Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Neun Predigten - Ueber das Gebet - Vierte Predigt.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Neun Predigten - Ueber das Gebet - Vierte Predigt.

Frage: Was hat uns Gott befohlen von ihm zu bitten?
Antwort: Alle geistliche und leibliche Nothdurft, welche der Herr Christus begriffen hat in dem Gebet, das er uns selbst gelehret.

Heid. Kat. Frage 119.

Meine Geliebten! Ich sagte heute Morgen, wir wollten in der Abendstunde davon handeln, daß wir nach Gottes Befehl bitten dürfen und bitten sollen um alle geistliche Nothdurft. Nun ist mir aber inzwischen noch Etwas eingefallen. Es möchte Mancher in Anfechtung gerathen, daß er schon oft für seine leibliche Nothdurft bei Gott eingekommen ist und doch keine Erhörung gefunden hat. Darüber kann ein Kind Gottes wohl in furchtbare Zweifel fallen. Ich frage aber, ob verständige Eltern einem Kinde Alles geben, was dieses von Vater und Mutter verlangt, ob sie es zulassen, daß das Kind sich seinen Magen, seine Gesundheit verderbe, oder daß es sich auf Wege begebe, die es in's Verderben führen? Im Allgemeinen bleibt das gewiß, was der Apostel Jacobus gesagt hat, und wobei wir uns alle demüthigen müssen, Cap. 4, Vs. 1 ff.: „Woher kommt Streit und Krieg unter euch? Kommt es nicht daher, aus euren Wollüsten, die da streiten in euern Gliedern? Ihr seid begierig und erlanget es damit nicht; ihr hasset und neidet und gewinnet damit Nichts; ihr streitet und krieget, ihr habt nicht, darum daß ihr nicht bittet. Ihr bittet und krieget nicht, darum daß ihr übel bittet, nämlich dahin, daß ihr es mit euren Wollüsten verzehret.“ Und dann folgt in dem folgenden Verse: „Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein.“ Das ist nicht anders geworden, sondern ist so geblieben bis auf den heutigen Tag. Was aber die Kinder Gottes angeht, so wissen wir z. B. daß David, nachdem er von dem Propheten Nathan vernommen, daß der Sohn, den ihm Bathseba geboren, sterben werde, sich abgesondert, gefastet und gebetet hat; daß aber Gott der Herr dieses Gebet nicht erhörte. Gott hat wohl alle seine Gebete erhört, aber Gottes Wort ist auch stehen geblieben: „Das Schwert wird von deinem Hause nicht weichen ewiglich.“ Gott hat ihn auch da, als das Kind gestorben war, zufrieden gemacht mit allen seinen Wegen. Ich denke, David wird wohl auch am meisten gebetet haben um das Seelenheil des Kindes, daß dieses Kind des Ehebruchs nicht zur Hölle fahre, sondern selig werde. Da Abraham alt war und auf's Neue die Verheißung bekam, daß er aus Sarah einen Sohn bekommen werde, war er voll Zweifels, konnte es nicht annehmen und bat: ach, daß Ismael vor dir leben möchte! Aber Gottes Testament und Bund soll fest bleiben. „Ja für Ismael habe ich dich auch erhört,“ erhält er zur Antwort, „aber dein Erbe soll er nicht sein, sondern in Isaak soll dir der Same genannt sein.“ Saul betet auch zu Gott, und Gott erhört ihn das eine Mal, ein anderes Mal aber erhört er ihn nicht. Warum nicht? Weil er voller Ehrsucht und Eigenliebe steckte; es ging ihm nicht um Gottes Ehre oder um Gottes Volk, sondern um seine eigene Ehre, daß er König wäre, und da wollte er seine Heuchelei und Gottlosigkeit durchsetzen. Wenn Gott das Gebet des Aufrichtigen auch nicht so erhört, wie dieser es sich dachte, so wird er ihn doch zufrieden machen mit allen seinen Wegen. Er halte nur im Gebete bei Gott an und hadere nicht über Gottes Wege, daß er seine Bitte für diesmal nicht hat; Gott wird ihm wohl seine Bitte oder was Besseres geben.

Nun kommen wir zu der Hauptsache, das ist die geistliche Nothdurft. Um alle geistliche Nothdurft dürfen wir Gott bitten in des Herrn Jesu Namen. Da heben wir denn einen Text hervor als ein solches Gebet, welchen wir finden Hohelied Cap. 1. Vs. 2: „Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist lieblicher denn Wein.“ Nun um was sollen wir also Gott bitten? Um alle geistliche Nothdurft. Was bedürfen wir denn allererst? Einen Kuß von seinem Munde. Was ist das? Das ist sein Friede. Aber wenn ich sage „sein Friede“, dann ist das nicht so persönlich ausgedrückt, als wenn ich sage: er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes. Das will mit andern Worten sagen: Ich muß an meiner Seele es gewahr werden, daß er mir seinen Frieden gegeben hat und gibt; ich muß ihn haben, kann ohne ihn nicht sein, und da ist dies für mich denn ein Bedürfniß, wie es ein Bedürfniß ist zwischen Mutter und Kind, daß die Mutter dem Kind einen Kuß gebe und das Kind der Mutter, und wie es ein Bedürfniß ist zwischen Geliebten und Freunden, daß das Herz am Herzen des Andern schlage und über die Lippen ausgegossen werde in's Herz hinein. Ich sage also, daß unsere geistliche Nothdurft vor Allem darin bestehe, daß wir Vergebung von Sünden haben, bekommen haben und nachträglich bekommen. Das kann ein Kind verstehen, wenn es bedenkt seine große Sünde, die es wider seine Eltern begeht, wenn es bei sich selbst nachgeht, was für böse Gedanken in seinem kleinen Herzen aufkommen gegen Vater und Mutter, und welche verborgene und verkehrte Lust. Da ist es nicht genug, daß einem Kinde gesagt wird, daß das Sünde ist, auch nicht genug, daß es dieses einsieht, sondern so hebt an das geistliche und ewige Leben, daß so ein Kind die Kniee beugt vor dem Herrn im Verborgenen, ohne daß die Eltern Etwas wahrnehmen, und bei dem Herrn Jesu anhält um Vergebung der Sünden. Wo es dem Heiligen Geiste gefällt, an dem Gewissen eines Kindes anzuklopfen und die Sünde zu Sünde zu machen, so daß die Sünden ihm schwer werden, dann beginnt das Kind damit, und wo das Kind damit beginnt, wird es erfahren, daß der Herr Jesus kommt mit dem verborgenen Troste, so viel als dem Kinde Noth thut zu verstehen: Der Herr Jesus liebt mich und ich liebe ihn. Das ist eine Gabe Gottes, ich weiß es wohl; aber gepredigt soll es doch werden und da wirkt dann mit dem gepredigten Wort der Heilige Geist. Wenn ich nun weiter übersehe die jungen Leute in der Gemeine, ach, ach, was sind und bleiben so viele todt! Ich frage: habt ihr denn keine Sünden? Wollt ihr da kommen mit einer auswendig gelernten Lection von Vergebung der Sünden, das ist Nichts. Wollt ihr Etwas für eure geistliche Nothdurft haben, suchet den Herrn, kommet bei ihm ein mit euern Sünden und ruhet nicht, bis ihr ihn habt, bis ihr persönlich mit ihm Frieden gemacht habt, bis ihr ihn persönlich für euch gefunden habt, und er mit seinem Wort und durch seinen Geist dich geküßt hat mit dem Kusse seines Mundes. Nun hat der Herr Jesus, auf daß wir wissen, wie Gott das Gebet um die geistliche Nothdurft erhört, zu uns gesagt: „Alles was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, daß wird er euch geben.“ Darunter versteht er zuerst alle geistliche Nothdurft. Wo ihr nun den Vater bittet, bekennet da nur eure Unwürdigkeit, daß ihr der Erhörung unwerth seid, aber kommt in dem Namen des Herrn Jesu und saget zu ihm: Der Herr Jesus hat es gesagt, lieber Vater, da steht es geschrieben, das ich mit Allem bei Dir einkommen darf in Jesu Namen! Dann werdet ihr es erfahren, daß der Herr Jesus als Herr über sein Haus von den geistlichen Gütern austheilen will und wird, was einem Jeden Noth thut. Es sei nur das Gefäß leer und die Wittwe bankrott, so daß Nichts mehr da ist, so wird er wohl reichlich hineinfließen lassen von dem ewigen Oel. Wir verstehen eigentlich nicht recht, was geistliche Nothdurft ist. Darum wollen wir uns beschränken auf das Eine, daß ich sage: Vergebung der Sünden. Kommt ein um Vergebung der Sünden, ihr, die ihr es bis dahin noch nicht gethan habt, jung oder alt, und die ihr es schon hundertmal gethan! Wo Vergebung der Sünden ist, da ist Leben, da ist Seligkeit, da ist wahrhaftiger Friede im Innern, da ist Trost. Wenn wir nun weiter von geistlicher Nothdurft reden, so wollen wir nicht reden, wie man das gewöhnlich thut, von den verschiedenen christlichen Tugenden oder vom Wachsen und Zunehmen der Heiligung, sondern wir wollen die geistliche Nothdurft kurz angeben aus der Epistel Pauli an die Epheser, Cap. I, Vs. 16 ff.: „Ich höre nicht auf zu danken für euch,“ nachdem nämlich der Apostel gehört hatte von ihrem Glauben an den Herrn Jesum Christum, und von ihrer Liebe zu allen Heiligen „ich höre nicht auf zu danken für euch, und gedenke eurer in meinem Gebet, daß der Gott unsers Herrn Jesu Christi, der Vater der Herrlichkeit gebe euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung, zu seiner Selbsterkenntnis“ also Gott zu erkennen in seiner Gnade und Barmherzigkeit, was er nach dem ewigen Rath seiner Gnade, nach der ewigen Wahl seiner Liebe in Christo Jesu für dich ist, und wie er es ist, nämlich als Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi. Und nun weiter: „Und erleuchtete Augen eures Verständnisses, daß ihr erkennen möget, welche da sei die Hoffnung eures Berufs,“ d. i. zu welcher Hoffnung ihr berufen seid „und welcher da sei der Reichthum seines herrlichen Erbes an seinen Heiligen, und welches da sei die überschwängliche Größe seiner Kraft an uns, die wir glauben, nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke, welche er gewirket hat in Christo, da er ihn von den Todten auferwecket hat, und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel.“ Und Cap. 3, 14 ff.: „Derhalben beuge ich meine Kniee gegen den Vater unsers Herrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, daß er euch Kraft gebe nach dem Reichthum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, und Christum zu wohnen durch den Glauben in euern Herzen, und durch die Liebe eingewurzelt und gegründet zu werden; auf daß ihr erkennen möget mit allen Heiligen, welches da sei die Breite und die Länge, und die Tiefe und die Höhe; auch erkennen, daß Christum lieb haben viel besser ist, denn alles Wissen, auf daß ihr erfüllet werdet mit allerlei Gottesfülle.“ Da ist also geistliche Nothdurft bei geistlichem Mangel, da ist Kraft in den Schwachen, Glaube bei dem Zweifel, Liebe, wo wir keine Liebe in uns finden. Wir haben es nicht und wissen auch nicht recht, wie Noth es uns thut. Die leiblichen Bedürfnisse plagen uns mehr, demüthigen uns mehr, und treiben uns eben deswegen zu Gott hin. Aber auf das Andere achten wir nicht so. Da muß uns erst diese geistliche Nothdurft fühlbar gemacht werden, und da ist es wahrlich eine Gnade, wenn Gott nicht allein die Gnade gibt, daß uns die Sünden vergeben sind, sondern auch daß wir begreifen und verstehen, daß nicht der alte Mensch, sondern der neue Mensch den Sieg davon tragen soll, daß nicht unser Name, sondern Gottes Name geehrt werden, nicht unser Reich, sondern Gottes Reich kommen, nicht unser Wille, sondern Gottes Wille geschehen soll! Wohl dem Kinde, dem von Jugend auf die heiligen zehn Gebote gut in's Herz geprägt worden sind! Ach liebe Seele, du mußt das Manna haben vom Himmel, du mußt Wasser haben aus dem Felsen, du mußt Kleider haben, das hochzeitliche Kleid, die Kleider des Heils und den Rock der Gerechtigkeit, auf daß du nicht nackt erfunden werdest; du mußt eine Wohnung haben, ein Obdach haben in dem Jerusalem das droben ist! Wo bleibt sonst die Seele, die arme Seele, wenn sie nicht geborgen ist in Christo Jesu? Darum ist das unsere geistliche Nothdurft daß wir Gott, den lebendigen Gott, vor Augen halten, wie er uns nahe ist und uns geben will Alles, was wir nicht haben und was wir nicht aufweisen können in unserm Schrank und in unserer Tasche, denn da liegt es nicht. Gott glauben, Gott ehren, die Welt verachten, sich selbst verleugnen, sein Vertrauen setzen auf den lebendigen Gott wer kann es? Das ist eine geistliche Nothdurft, welche Gott allein ausrichten kann; aber Noth thut es uns. Gott ist, er sieht und er hört uns, der Herr Jesus kennt uns, er hat sein Leben für uns gelassen am Stamme des Kreuzes, ist auf Golgatha ein Fluch für uns geworden und hat den Zorn Gottes getragen, die ewige Schuld bezahlt; so sind wir gehalten und berufen, ihm dankbar zu sein, in seinen Wunden die Heilung unserer Wunden zu suchen und nirgend wo sonst, mit unsern Sünden zu ihm zu kommen und von ihm zu erbitten Vergebung und Erlösung; wir sind gehalten und berufen, zu vertrauen auf Gott, auf den lebendigen Gott, ihn vor Augen zu haben, ihn uns nahe zu glauben, er wisse Alles und kenne uns auf's tiefste Gebein. Wir sind gehalten und berufen, bei Gott einzukommen um Erbarmen, wie wir so oft in den Psalmen lesen: Gott, sei mir gnädig nach Deiner Güte, und tilge meine Sünden nach Deiner großen Barmherzigkeit. Wir sind gehalten und berufen, stark zu werden nach dem inwendigen Menschen. Ja, meine Geliebten, wer begreift das? Eines begreifen wir, daß wir total schwach sind und Nichts können, aber das soll eben unsere geistliche Nothdurft sein, zu bitten, daß wir Stärke und Kraft bekommen nach dem inwendigen Menschen.

Ein Kind ist den Eltern ungehorsam, das kommt immer wieder auf; das soll aber nicht so bleiben. Da ist es nicht genug, zu bitten um Vergebung der Sünden, sondern da du zu schwach bist in dir selbst, um ein gehorsames Kind zu sein, sollst du bei dem Herrn anhalten um Gnade, daß er dich gehorsam mache. Ebenso wenn du geizig bist, darfst und sollst du bei Gott anhalten, er wolle diesen teuflischen Geiz von dir nehmen; denn das darf so nicht bleiben. Geiz ist eine Wurzel alles Nebels. Oder wo du jähzornig bist, darfst und sollst du bei Gott anhalten, er wolle dich zahm machen, dich bescheiden, geduldig, demüthig machen. Oder wenn du von Fleischeslust gepflügt wirst, dann halte bei Gott an, er möge sich deiner erbarmen, und es mit dir machen nach seinem Rathe, so oder so. Das ist geistliche Nothdurft. Daß wir. also auf Grund der ewigen Gnade Christi und der Liebe Gottes anhalten bei Gott als arme und ärmste Bettler um alles das, wovon wir in den Evangelien und Episteln lesen, daß der Herr Jesus von seinen Heiligen verlangt oder will, wie wir das so häufig lesen: Habet getödtet eure Glieder, die auf Erden sind u. s. w., und da sage ich denn: „Rufst du mit Ernst, gleich ist dein Helfer da!“ Halte an, und wenn du auch die Antwort erhältst wie Paulus, da er betete, daß der Satansengel von ihm wiche, und es zu ihm hieß: „Laß dir an meiner Gnade genügen,“ wohlan sei zufrieden damit!

Wenn du nur Gnade hast, so wird die Gnade nicht vergeblich an dir arbeiten, sondern die Gnade ist dafür da, auf daß du erfüllet werdest mit allerlei Gottesfülle, wie der Apostel sich ausdrückt.

Wer spricht es denn aus: „Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes?“ Das ist ein armes Kind, und ein häßliches Kind obendrein; es erkennt seine Häßlichkeit und Armuth an, aber es will einen Kuß haben von dem Herrn, und in diesem Kusse seines Mundes liegt eine Kraft für die Ewigkeit.

Amen.

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