Körber, Emil - Siehe, das ist Gottes Lamm!

Körber, Emil - Siehe, das ist Gottes Lamm!

(24. September 1871.)

Text: Joh. 1, 35-39.
Des andern Tages stund abermals Johannes und zwei seiner Jünger. Und als er sah Jesus wandeln, sprach er: siehe, das ist Gottes Lamm. Und zwei seiner Jünger hörten ihn reden, und folgten Jesu nach. Jesus aber wandte sich um, und sah sie nachfolgen, und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi (das ist verdolmetscht Meister), wo bist du zur Herberge? Er aber sprach zu ihnen? Kommt und seht's. Sie kamen und sahen's, und blieben denselbigen Tag bei ihm; es war aber um die zehnte Stunde.

Durch unser heutiges Evangelium, Geliebte, werden wir im Geist an die Ufer des Jordans versetzt. Dort sehen wir. umringt von den Scharen des Volkes eine hohe heilig-ernste Gestalt. Es ist Johannes der Täufer, der Mann im härenen Gewande, der gewaltige Bußprediger seines Volkes, die Stimme eines Predigers in der Wüste. Angetan mit der Kraft aus der Höhe, mit dem Feuergeist eines Elias bereitet er dem Herrn den Weg und macht eine ebene Bahn seinem Gott. O, ein treuer und edler Zeuge der Wahrheit, der furchtlos und ohne Scheu seinem Volke die Sünden vorhält, es ruft zur Buße und Bekehrung! Aber, meine Lieben, seht doch den Mann genau an, wie er in unserm heutigen Evangelium geschildert ist. Welch' eine göttliche Milde und Freundlichkeit ist über das heilig-ernste Antlitz des Bußpredigers ausgegossen! Welche holdseligen, lieblichen Worte gehen über die Lippen des ernsten Zeugen der Gerechtigkeit: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Ja, Johannes kann nicht satt werden, vom Lamme Gottes zu reden. Tags zuvor hat er ein herrliches Zeugnis abgelegt, und kaum sieht er am folgenden Tage Jesum wandeln, da bricht er voll Freude und Entzücken in die Worte aus: Siehe, das ist Gottes Lamm! Das ist der Welt Heiland, der ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unsern, sondern für die Sünden der ganzen Welt.

Geliebte, wie steht es mit uns? Schaut jetzt weg von der edlen Gestalt des Johannes, und lasst uns mit einander in unser eigen Herz sehen! Ist auch uns die Versöhnung mit Gott im Blute des Lammes eine Freude und Wonne des Herzens? Sind auch wir fröhlich und dankbar darüber, dass wir teuer erkauft sind, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit dem Blut unseres Herrn und Heilands? O Geliebte, wenn ihr ehrlich sein wollt gegen euch selbst, dann muss gar Manches unter uns sagen: von einer solchen Freude und Dankbarkeit über die Versöhnung mit Gott und Vergebung der Sünden weiß ich nichts. Und wenn wir weiter schauen in unsere Stadt, in unser Volk und Land, in die ganze Christenheit: ach, wie Viele sind, die gleichgültig vorübergehen an dem gekreuzigten Christus, verschlungen und versunken in die Eitelkeit der Welt! Ja, Viele gehen vorüber, schütteln den Kopf und lästern wir müssen es wie Paulus mit Traurigkeit und Weinen sagen, Viele wandeln als Feinde des Kreuzes Christi. Ihnen ist die Versöhnung im Blute des Lammes nicht eine Freude und Wonne, sondern sie hassen dieselbe, verabscheuen sie und empfinden einen Ekel daran. Und nicht genug, dass sie solche finstern Regungen und Gedanken in ihrem Herzen haben: nein, sie schämen sich nicht und posaunen dieselben in die Welt hinaus, um zu verführen, wenn es möglich wäre, viele Herzen. Diese Tatsache, geliebte Zuhörer, ist so betrübt, dass wir nicht weiter davon reden können; und ich will euch und mich zur ernsten Warnung und Mahnung nur an das Eine Wort des Apostels Johannes erinnern: Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm Alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer an den Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm. Joh. 3,35 und 36.

O, davor bewahre uns Gott in Gnaden und schenke uns einen kindlichen Glauben und eine herzliche Liebe zu Jesu, unserm gekreuzigten und auferstandenen Heiland. Ja

Sei mir tausendmal gegrüßet,
Der mich je und je geliebt,
Jesu, der du selbst gebüßet
Das, womit ich dich betrübt!
O wie ist mir doch so wohl,
Wenn ich knien und liegen soll
An dem Kreuze, da du stirbest
Und um meine Seele wirbest.

So lasst uns denn in dieser stillen Stunde heiliger Andacht mit einander betrachten:

Das Zeugnis des Johannes von Christus.

Dabei sehen wir

  1. was das für ein Zeugnis sei;
  2. die Frucht dieses Zeugnisses.

Herr Jesu, du gekreuzigter und auferstandener Heiland, du Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, erbarme dich unser! Die Welt hasst dich, und viele unter den Christen kehren dir den Rücken und wollen nicht, dass du über sie herrscht. O Herr, hilf, dass wir dich lieben, weil du uns zuerst so hoch geliebt und dein Leben für uns gelassen hast, da wir noch Feinde waren! Hilf, Herr, dass wir in deinen Wunden die Versöhnung suchen und finden, und so selig sind in Zeit und Ewigkeit! Amen.

Wir betrachten mit einander, Geliebte, das Zeugnis des Johannes von Christo, und reden unter Gottes gnädigem Beistand

I. davon, was das für ein Zeugnis sei.

Des andern Tags stund abermal Johannes und zwei seiner Jünger. Und als er sah Jesum wandeln, sprach er: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ O ein seliges Zeugnis! eine liebliche Botschaft, eine beglückende Kunde von Christo! O herrliche Worte, köstlicher denn Gold und viel feines Gold, süßer denn Honig und Honigseim! Seid mir gegrüßt und ins Herz gedrückt, mir und allen meinen sündigen Brüdern! Solche Worte können wir brauchen. Das ist Balsam für unser wundes Herz, das ist Kraft in unserer Schwachheit. Gelobt sei Gott, hier ist Immanuel! Ach, dass ich würdig davon reden könnte und mein Mund aufgetan würde mit Freudigkeit.

Vor allem, meine Lieben, müssen wir das Wörtlein „siehe“ ins Auge fassen. Schon lange Jahrhunderte hatten die Propheten geweissagt von dem Messias, der da kommen sollte, Könige und Propheten wünschten sehnlich ihn zu sehen, und haben ihn nicht gesehen. Und Johannes selbst hatte mit aller Freudigkeit gepredigt von dem Stärkeren, der nach ihm kommen sollte, dessen er nicht wert sei die Schuhriemen aufzulösen und nun schlug die Stunde der Erfüllung. Johannes sieht den Trost Israels leibhaftig vor seinen Augen wandeln an den Ufern des Jordans, und darf alles Volk mit Fingern auf ihn weisen und sprechen: Siehe! siehe! seht doch, das ist Gottes Lamm! von dem hat Jesajas geweissagt, von dem haben alle Propheten geredet.

Was der alten Väter Schar
Höchster Wunsch und Sehnen war,
Was im Geist sie prophezeit,
Ist erfüllt in Herrlichkeit.

O was mag das eine feierlich-ernste, heilig-selige Stunde gewesen sein in dem Leben des Täufers! Was mag in seiner Seele vorgegangen sein, als er Jesum leibhaftig sah und erkannte durch die Erleuchtung des heiligen Geistes. Welcher Strom der Freude und Wonne durchzog sein Herz, das bebte vor Entzücken! Wie jauchzte und frohlockte seine Seele; wie hieß es in seinem Innern: Himmel, freue dich, und Erde, sei fröhlich, denn der Herr ist gekommen! Herr nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.

Geliebte wir können unsern Herrn und Heiland nicht mit leiblichen Augen sehen. Er ist eingegangen ins obere Heiligtum und hat sich zurückgezogen in die himmlische Verborgenheit. Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Wir glauben an ihn, ohne ihn gesehen zu haben, und lieben ihn, ohne ihn zu schauen. Aber es kommt die Stunde, da dürfen Alle, die in lebendigem Glauben an ihn durch diese Zeit pilgerten, erwachen nach seinem Bild und ihn sehen, wie Er ist, von Angesicht zu Angesicht. Was mag das für eine Freude und ein Jubel sein für eine Seele, welche hier unten auf Erden mit jungfräulichem Sinn in kindlichem Glauben und herzlicher Liebe Jesu nachwandelte, wenn sie endlich nach Vollendung ihres kurzen Erdenlaufs ihren Pilgerstab niederlegen darf am Throne des Lammes und ihren Herrn und Heiland begrüßen kann. Davon schreibt Petrus: Ihr werdet euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude (1. Petr. 1,8.9).

Ach, wie wünsch' ich dich zu schauen,
Jesu, liebster Seelenfreund,
Dort auf deinen Salemsauen,
Wo man nicht mehr klagt und weint,
Sondern in dem schönsten Licht
Schaut Gottes Angesicht!

Siehe, das ist Gottes Lamm! Johannes weist an den Ufern des Jordans mit Fingern auf Jesus. Dieser Jesus von Nazareth ist der Welt Heiland und sonst Niemand. In Ihm ist Heil, Trost, Kraft und Licht, Friede und Freude zu finden, Alles, was du suchst in Zeit und Ewigkeit. In Ihm ist das Heil für Leib und Seele, in Ihm Leben und. volle Genüge. Aber, Geliebte, wer glaubt das noch in unsern Tagen? wer glaubt unserer Predigt, und wem ist der Arm des Herrn geoffenbart? Wer sucht noch in der Tat und Wahrheit durch ernste Buße und Bekehrung, durch Glauben und Liebe das Heil in Christo? Ach, es ist ein kleines Häuflein, eine kleine auserwählte Schar, die in herzlicher Liebe und Dankbarkeit um das Kreuz ihres Heilandes sich sammelt. Doch fürchte dich nicht, du kleine Herde; es ist eures Vaters Wille, euch das Reich zu geben! Aber ach, weitaus die Mehrzahl will nichts von Christo und hat unserm Herrn und Heiland vornehm den Rücken gekehrt, sie wollen nicht, dass dieser Gekreuzigte über sie herrsche. Die Worte des Täufers: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ sind ihnen rätselhaft und unverständlich, abgeschmackt und lächerlich. Ja, Geliebte, die Welt sträubt sich immer mehr gegen das Kreuz Christi und verhärtet sich im Unglauben, mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht, sie verstocken ihr Herz und wollen sich nicht bekehren und nicht genesen. So ist es, und so betrübt und traurig diese Tatsache ist, es ist dennoch wahr. Tretet einmal auf die Straßen und Gassen, und seht und hört das Treiben der Welt: wie sie rauschend einhergeht in Pracht und Eitelkeit, voll Begierde nach Erwerb und Reichtum, nach Geld und Gut, nach Wollust und sinnlichem Vergnügen des Fleisches - das ist ihr Gott und Heiland! Aber wer fragt nach Christus? Tretet in die Häuser und in die Gemächer, und seht und hört, was hier getan und geredet wird im Dienst der Eitelkeit. Alle Schriften, Bücher, Zeitungen und Blätter sind den meisten Leuten lieber als Gottes Wort. Ach, in den meisten Häusern liegt die Bibel, das Zeugnis von Christo, dem Heiland und Versöhner der Welt, bestäubt und unbenützt in einem Winkel oder im Schrank, und nur bei einer kleinen Zahl ist Gottes Wort das Licht und die Leuchte des Lebens, des Herzens und des Hauses. - Tretet in die hohen und niederen Schulen, und seht und hört, was von Christo gelehrt wird. Ach, Geliebte, ihr wisst es so gut wie ich, dass großenteils unsere liebe, teure Jugend nicht mehr auferzogen wird in der Zucht und Vermahnung zum Herrn, nicht mehr unterwiesen wird im Glauben der Väter, nicht mehr geführt wird zu Jesu, dem Kinderfreund, dem großen Erzhirten der Schafe, der gesagt hat: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt ihnen nicht! Ach, die Bildung und Aufklärung, das ist ihr Gott und Heiland! Aber wer fragt nach Christus? Und endlich tretet in die Kirchen, und seht und hört, was gepredigt wird. O Geliebte, an vielen Orten Orten erschallt nicht mehr die Predigt des Evangeliums von Jesu Christo, als dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Nein, nach den Einfällen des menschlichen. Witzes und den vermeintlichen Ergebnissen der hohen Wissenschaft, der falsch berühmten Kunst, wird das Volk belehrt: es müsse selbst seine Sünden tragen, der Mensch müsse auf eigenen Füßen stehen und durch eigene Gerechtigkeit in den Himmel kommen. Was wollen wir weiter sagen, meine Lieben? Das wollen wir sagen, dass trotz all' diesem Unglauben fest und unerschütterlich die Wahrheit stehen bleibt, welche Johannes ausgesprochen und ausgerufen hat mit freudigem Entzücken: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und so will auch ich getrosten Mutes und fröhlichen Herzens diese hohe selige Wahrheit, diese köstliche Lehre von der Versöhnung und Erlösung der Welt durch das Leiden und Sterben unseres Heilandes ausrufen und bekennen:

Jesus ist kommen ein Opfer für Sünden,
Sünden der ganzen Welt träget dies Lamm,
Sündern die ew'ge Erlösung zu finden,
Litt es und starb es am blutigen Stamm.
Abgrund der Liebe, wer kann dich ergründen?
Jesus ist kommen ein Opfer für Sünden!

Jesus Christus ist Gottes Lamm, von Gott verordnet vor Grundlegung der Welt zu unserer Seligkeit, von Gott uns geschenkt, als die Zeit erfüllt war, ein Opfer für unsere Sünden, Gott angenehm und wohlgefällig. Was die alttestamentlichen Brandopfer und Sündopfer vorgebildet und abgeschattet haben, das ist in Christo Jesu erfüllt, der mit einem Opfer alle Opfer abgeschafft und durch sein Leiden und Sterben. eine ewig gültige Versöhnung zu Stande gebracht hat. Der Gerechte starb für die Ungerechten, der Fromme starb für die Gottlosen, der Reine starb für die Unreinen, der Heilige starb für die Sünder. Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Und merket wohl, meine Lieben: Jesus ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Nicht bloß die Sünden seines Volkes, nicht bloß die Sünden seiner Zeit, nicht bloß die Sünden einzelner Auserwählten und Frommen: o nein, aller Welt Sünde, die Sünden aller Jahrhunderte, die Sünden aller Völker und Nationen, Stände und Klassen, die Erbsünde und die wirkliche Sünde, die leichten und die schweren Sünden, die Sünden aller Sünder hat Christus getragen, von der Welt weggenommen und auf sich genommen. Nun ist die ganze Welt mit Gott versöhnt, nun sind alle Seelen erworben und gewonnen, teuer erkauft mit dem Blute des Lammes. Es kommt nur darauf an, dass wir im Glauben diese Versöhnung uns aneignen und so selig sind, Kinder Gottes und Erben des ewigen Lebens.

Geliebte! sollte uns das Herz nicht vor Freude hüpfen und springen bei dieser frohen und seligen Botschaft von dem Alles umfassenden Erbarmen, von der Alles versöhnenden Liebe unseres Gottes, der also die Welt geliebt hat, dass er seinem Herzen weg den eingebornen Sohn gab in Leiden und Sterben? Lasst uns doch nicht länger gleichgültig, kaltsinnig und undankbar sein; öffnet die Herzen und schenkt dem eure Liebe, der euch so hoch geliebt hat! Nun darf Niemand mehr verzagen wegen seiner Sünden, wer nur gläubig zu Jesu kommt. Ach, fasst es doch, ihr zagenden Herzen, ihr Mühseligen und Beladenen, ihr Bekümmerten und Leidtragenden, fasst es doch Alle, die ihr zu keinem wahren Frieden, zu keiner bleibenden Ruhe der Seele durchdringen könnt, fasst doch das köstliche Gotteswort von dem Lamm Gottes, von Christo, der eine ewige Erlösung erfunden hat und gerecht macht Alle, die durch ihn zu Gott kommen. Hier ist Immanuel, hier ist der Versöhner und Heiland der Welt, hier ist der ewige Hohepriester, das wahre Opferlamm! Alle Sünden sind gebüßt und gesühnt, alle Schulden sind bezahlt. Gelobt sei Gott! Auch meine Sünden, auch deine Sünden hat Jesus weggenommen; wenn. wir zu ihm, dem Herzog unserer Seligkeit, gläubig unsere Zuflucht nehmen, so sind wir abgewaschen, geheiligt und gereinigt im Blute des Lammes. Auch der ärgste Sünder, der seine edelsten Kräfte im Dienst der Sünde vergeudet hat, darf mit Buße und Glauben zu Jesus fliehen und wird angenommen und geheilt. Wenn deine Sünde gleich blutrot wäre, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie gleich ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.

O Lamm Gottes, unschuldig, Am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
Allzeit erfunden geduldig,
Wiewohl du warest verachtet!
All Sünd hast du getragen,
Sonst müssten mir verzagen;
Erbarme dich unser, o Jesu!

Wir haben bis jetzt betrachtet das Zeugnis des Johannes von Christus und aufs erste gesehen, was das für ein Zeugnis sei. Nun wollen wir auch noch unter Gottes Segen uns vorhalten

II. die selige Frucht von diesem Zeugnis.

Davon redet unser Text in den Worten: „Und zwei seiner Jünger hörten ihn reden und folgten Jesu nach.“ Das ist wahrlich eine selige Frucht! Die zwei Jünger Johannis laufen auf das herrliche Zeugnis ihres Meisters von dem Lamm Gottes aus der Schule ihres bisherigen Lehrers und folgten Jesu nach. Das ist merkwürdig, meine Lieben! Schon manches Große und Herrliche hatte Johannes von Jesu gesagt: wie Er sei der Stärkere, der nach ihm kommen soll und vor ihm gewesen ist, wie er taufe mit dem heiligen Geist und mit Feuer, wie Er von Ewigkeit sei, der Sohn Gottes. Aber siehe, das Alles zündet nicht und fasst nicht die Herzen wie das Eine Wort: Siehe, das ist Gottes Lamm! Dies treibt zur Nachfolge Jesu. Die allerersten Jünger des Herrn sind gesammelt um ihn durch die Predigt von der Versöhnung, von der freien Gnade Gottes in Christo Jesu. Das Lamm Gottes ist und bleibt zu allen Zeiten der Magnet, der die Herzen anzieht, wie der Heiland selbst sagt: Wenn ich erhöht werde ans Kreuz, will ich sie Alle zu mir ziehen.

Geliebte, dass auch bei uns, ja bei uns allen diese selige Frucht der Predigt des Johannes sich offenbaren möchte! O dass wir doch Alles liegen und stehen ließen und nicht ruhen noch rasten möchten, bis wir in der Nachfolge Jesu uns befinden. Ach, dass doch das Lamm Gottes, die gekreuzigte und gemarterte Liebe, unsere Herzen in Besitz nähme, dass wir sagen könnten mit Paulus: Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir, und was ich noch lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben. Geliebte! Was meint ihr, wenn ich in diese große Versammlung hinein blicke, da muss ich, auch wenn meine Liebe es nicht will, es mir sagen und gestehen: da ist noch manche Seele, welche nicht in der wahrhaftigen Nachfolge Jesu steht. Und ihr nehmt es gewiss in Liebe an, wenn ich nun im Namen eures Gottes euch rufe und locke und bitte: Lasst euch versöhnen mit Gott! Lasst es nicht länger anstehen, über euer Seelenheil ins Reine zu kommen! Unser Leben fließt dahin wie ein Strom; wie bald ist die Gnadenzeit vorüber, und wir werden an die Pforten der Ewigkeit gestellt; wie bald schlägt die Stunde des Todes, da sich Niemand mehr bekehren kann! Ach, Geliebte, es ist Zeit, es ist Zeit! Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. Siehe, das ist Gottes Lamm! Hier ist Immanuel, hier ist der Welt Heiland. Kommt und eilt zu den Wunden des Lammes, dass ihr Versöhnung und Vergebung empfangt. Sprecht ja nicht: Ich will meine Bekehrung aufschieben, bis ich alt und krank bin. O nein! es kann vor Abend anders werden, als es am frühen Morgen war. Sprecht nicht: Ich brauche mich nicht zu bekehren, ich bin ein ehrbarer, rechtschaffener Mensch, und Niemand kann mir etwas nachsagen; dieses Evangelium vom Sünderheiland ist für die groben und schweren Sünder, für Hurer, Ehebrecher, Diebe, Räuber und Mörder, aber nicht für ehrbare und honnete1) Leute. O meine Lieben! wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir vor Gott haben sollen. Alle Welt ist Gott schuldig. Der Herr schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, dass er sehe, ob Jemand klug sei, und nach Gott frage. Aber sie sind Alle abgewichen und allesamt untüchtig, da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer. Wir sind allesamt wie die Unreinen und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Gewand. Wir sind Alle verwelkt wie die Blätter, und unsere Sünden führen uns dahin wie ein Wind. Ja, lieber Mensch, wer bist du, dass du mit Gott rechten willst? Hier ist Immanuel, hier ist das Lamm Gottes! Jesus ist der von Gott verordnete Mittler zwischen Gott und den Menschen. Außer Ihm ist kein Heil. Da mögen die Selbstgerechten und Heiligen dieser Welt Türme eigener Gerechtigkeit aufbauen, sie reichen doch nicht in den Himmel hinein, das Gewand ihrer eigenen Tugend ist zerrissen, der Mantel ihrer eigenen Frömmigkeit ist zerfetzt und deckt ihre Blöße nicht. Da mögen die Weisen und Klugen dieser Welt allerhand selbsterwählte Heilswege ausflügeln und ersinnen, diese Wege gehen doch alle abwärts und münden in den Abgrund. Nur Ein Weg führt uns aus unserem Sündenjammer und Elend zu den frohen, lichten Höhen der himmlischen Seligkeit und Herrlichkeit, und dieser Eine Weg ist Jesus Christus, das Lamm Gottes. Außer ihm ist kein Heil. An diesem Felsen des Heils muss unser Hochmut sich beugen und brechen, und wir müssen arme, bettelarme Sünder werden, die aus Gnaden die Seligkeit erlangen. Ach, dass doch bei uns. Allen dies Werk der wahren Buße und Bekehrung zu Stande käme, und wir zum Lebendigen Glauben gebracht würden an den, der die Gottlosen gerecht macht. Dann können wir in Wahrheit sprechen, wie wir gesungen haben:

Mir ist Erbarmung widerfahren,
Erbarmung, deren ich nicht wert;
Das zähl ich zu dem Wunderbaren,
Mein stolzes Herz hat's nie begehrt.
Nun weiß ich das und bin erfreut
Und rühme die Barmherzigkeit.

Siehe, das ist die köstliche Frucht von dem herrlichen Zeugnis des Johannes. Wer dieses Zeugnis hört und annimmt, wird ein seliges Eigentum Christi und kommt in Jesu Nachfolge. Aber wer in der Nachfolge Jesu stehen und wandeln will, muss wohl beachten die Frage des Heilands in unserem Texte und die Antwort der Jünger. „Jesus wandte sich um und sah sie nachfolgen, und sprach zu ihnen: was sucht ihr? Sie aber sprachen: Rabbi, wo bist du zur Herberge?“ Nun, meine Lieben, was sucht ihr bei Jesus? Versöhnung und Vergebung der Sünden? Ja, das ist das Rechte, das man suchen soll. Jesus ist der rechte Mann; ihr werdet es finden bei ihm reichlich, ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus dem Heilsbrunnen. Aus seiner Fülle nehmen wir Gnade um Gnade bis an unser Ende. Aber nicht bloß Versöhnung und Vergebung sollen wir suchen beim Heiland, sondern auch Heiligung und Erlösung von der Macht und Herrschaft der Sünde. Zieht den alten Menschen aus, der durch Lüste des Irrtums sich verdirbt, und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Zieht an als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und vertrage Einer den Andern, und vergebt euch unter einander, so Jemand Klage hat wider den Andern, gleich wie Christus euch vergeben hat, also auch ihr (Eph. 4,22-24; Kol. 3,12.13). Und noch mehr, Geliebte! Auf die Frage des Herrn: was sucht ihr? antworten die Jünger: Rabbi, wo bist du zur Herberge? Diese Antwort der Jünger könnte uns auf den ersten Anblick befremdlich und seltsam erscheinen; und doch suchen die Jünger das Rechte. Meister, wo bist du zur Herberge? Die Jünger sind keine flüchtigen und oberflächlichen Leute, sie wollen nicht bloß vorübergehend Jesum sehen und hören, sie wollen nicht Gäste und Fremdlinge sein, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen. O Geliebte, die Hausgemeinschaft und Tischgemeinschaft Jesu müssen wir suchen, sein Herz muss unsere Heimat werden. Es muss ein inniger, vertrauter Umgang der Seele mit dem Herrn stattfinden, ein Seelenaustausch und Herzensverkehr; wir müssen Glieder an Ihm, dem erhöhten Haupt und Heiland werden, Reben an Ihm, dem Weinstock, die aus Jesus ziehen alle Kraft und allen Saft. So lasst uns denn, Geliebte, die Herberge Jesu aufsuchen und bei Ihm bleiben in der Zeit, auf dass wir ewiglich bei Ihm bleiben dürfen in den Hütten. der Seligkeit, in der ewigen Heimat!

Bei dir, Jesu, will ich bleiben,
Stets in deinem Dienste stehn,
Nichts soll mich von dir vertreiben,
Deine Wege will ich gehn.
Du bist meines Lebens Leben.
Meiner Seele Trieb und Kraft,
Wie der Weinstock seinen Reben
Zuströmt Kraft und Lebenssaft.

Bleib mir nah' auf dieser Erden!
Bleib' auch, wenn mein Tag sich neigt,
Wenn es nun will Abend werden
Und die Nacht herniedersteigt.
Lege segnend dann die Hände
Mir aufs müde, schwache Haupt!
Sprich dann: Kind, hier geht's zu Ende,
Aber dort lebt, wer hier glaubt.

Amen!

1)
ehrliche
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