Kapff, Sixtus Carl von - Am zweiten Sonntag des Advents

Kapff, Sixtus Carl von - Am zweiten Sonntag des Advents

Text: Röm. 15, 4-13.

Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid unter einander, nach JEsu Christo; auf dass ihr einmütig mit Einem Munde lobet Gott und den Vater unseres HErrn JEsu Christi. Darum nehmet euch unter einander auf gleichwie euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lobe. Ich sage aber, dass JEsus Christus sei ein Diener gewesen der Beschneidung, um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen. Dass die Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben stehet: Darum will ich Dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen. Und abermals spricht er: Freuet euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. Und abermals: Lobet den HErrn, alle Heiden, und preiset Ihn, alle Volker. Und abermals spricht Jesaias: Es wird sein die Wurzel Jesse, und der auferstehen wird zu herrschen über die Heiden, auf den werden die Heiden hoffen. Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habet durch die Kraft des Heiligen Geistes.

„Siehe, dein König kommt zu dir;“ dieser frohen Adventsbotschaft freuten wir uns vor acht Tagen, und fühlten uns gedrungen, unsere Herzen dem HErrn aufzutun, der aufs Neue bei uns eingehen will mit dem vollen Segen seines gottmenschlichen Lebens und mit allen Fruchten seines großen Erlösungswerkes. So ihn in uns aufzunehmen, dazu treibt uns heute besonders der zweite Advent, d. h. die zweite Zukunft des HErrn, wovon das heutige Evangelium spricht, die Erscheinung Christi in der Herrlichkeit, die von den Engeln gleich nach seiner Himmelfahrt mit den Worten angekündigt wurde: „Dieser JEsus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird ebenso wieder kommen, wie ihr ihn habt gesehen gen Himmel fahren.“

Auf diese glorreiche Wiederkunft des HErrn warten die Gläubigen seit 1800 Jahren mit Sehnsucht. Die meisten Christen aber wollen nichts davon wissen, weil dieses andere Kommen des HErrn für alle Unbekehrte ein gerichtliches Kommen sein wird, bei dem nur die wahrhaft Gläubigen würdig sein werden, zu entfliehen allen den Gerichten, die nach unserem Evangelium kommen werden, und zu stehen vor des Menschen Sohn. Deswegen ermahnt der HErr im heutigen Evangelio: seid wacker allezeit und betet. Und noch genauer gibt unsere Epistel die Eigenschaften an, ohne welche wir dem zweiten Advent Christi nicht ruhig entgegengehen können. Feste Gemeinschaft der Heiligen, einerlei Gesinnung, schonende und tragende Bruderliebe, gegründet in lebendigem Glauben und völliger Hoffnung - das verlangt und wünscht der Apostel in unserem Texte. Und mit solchen Gesinnungen auf die Zukunft des HErrn oder auf unser vielleicht baldiges Ende uns bereit zu halten, dazu ermahnen uns die beiden Gräber, die auf unserem Gottesacker offen stehen, und die zwei noch nicht lange geschlossenen. O wie schnell können wir von einander Hinwegsterben! Wie traurig dann, wenn es gefehlt hat an Liebe, gefehlt an völliger Hoffnung und an lebendigem, weltüberwindendem Glauben! Und wie schrecklich muss es sein, zu Schanden zu werden vor Ihm in seiner Zukunft! Daher wollen wir die Warnung unseres Evangelisten und die Ermahnungen unserer Epistel tief zu Herzen fassen, indem wir unter dem Segen des HErrn betrachten:

Wie wir uns auf den zweiten Advent Christi bereiten sollen? Nach unserer Epistel:

  1. durch Glauben und Hoffnung,
  2. durch Liebe.

HErr JEsu! lass mich sowohl auf Zorn als Huld
In deiner Zukunft merken.
Lass stets dein Wort mich in Geduld
Und in dem Glauben starken,
Und lehre mich in Einem Geist
Mit Allen, die Du gläubig heißt,
Auch sprechen: Komm, HErr JEsu! Amen.

I.

Unsere Epistel beginnt mit den Worten: Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und durch Trost der Schrift Hoffnung haben. Dies gilt nicht nur in der besonderen Beziehung, in welcher es Paulus zunächst meint, nämlich als Aufmunterung, das Beispiel JEsu in seiner verzeihenden Menschenliebe nachzuahmen, sondern wir können es allgemein auf die ganze Schrift und auf Alles, was sie zur Stärkung unseres Glaubens enthält, anwenden. Am meisten ist uns Geduld und Trost der Schrift nötig im Warten auf den zweiten Advent des HErrn und Alles das, was ihm vorangehen wird. Nach unserem Evangelium werden „Zeichen geschehen an Sonne, Mond und Sternen, und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen, und das Meer und die Wasserwegen werden brausen, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden, denn auch der Himmel Kräfte sich bewegen werden.“

Die Erschütterungen der Natur werden der Ausdruck der geistigen Erschütterungen sein, durch welche das religiöse und bürgerliche Leben so starken Verwerfungen ausgesetzt sein wird, wie die Gestalt der Erde bei einem Erdbeben. Denn es wird in der letzten Zeit der Abfall von Christo den höchsten Grad erreichen, und alle Feinde Christi werden sich immer mehr gegen Gott und seinen Gesalbten und gegen die Gläubigen empören, und als das Haupt des ganzen Antichristentums wird zuletzt der Mensch der Sünde und das Kind des Verderbens auftreten, der nach 2. Thess. 2 „sich erhebt über Alles, das Gott oder Gottesdienst heißt, also, dass er sich setzet in den Tempel Gottes als ein Gott, und gibt sich vor, er sei Gott. Und seine Zukunft wird geschehen nach der Wirkung des Satans mit allerlei lügenhaften Kräften und Zeichen und Wundern und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit, besonders auch durch kräftige Irrtümer, durch welche nach dem Wort des HErrn (Matth. 24) auch die Auserwählten verführt werden könnten.“

In dieser schrecklichen Versuchungszeit des Antichristen werden die Gläubigen viele Drangsale durchzumachen haben. Denn es wird ihm nach Offenb. 13 gegeben zu streiten mit den Heiligen und sie zu überwinden, und wer sein Malzeichen nicht annimmt, wird nicht kaufen und verkaufen können, und wer sein Bild nicht anbetet, wird ertötet werden. Dann erst, wenn die Noth aufs Höchste gestiegen, wird der HErr kommen, wie Er selbst sagt, in den Wolken des Himmels, mit großer Kraft und Herrlichkeit, aber es werden heulen alle Geschlechter auf Erden.

Von dieser Zukunft und folglich auch von der ihr vorangehenden Notzeit sagt der HErr oft, dass sie bald erfolge und dass wir allezeit darauf warten sollen, weil wir nie wissen können, ob er am Abend oder um Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder des Morgens erscheine. Und sehen wir die Zeichen unserer Zeit an, so finden wir so manche Vorzeichen der letzten Zeit, dass, wenn der HErr will, bald vollends Alles sich schnell entwickeln kann, was seine Zukunft herbeiführt. Der Abfall ist auf einen hohen Grad gestiegen, Menschenvergötterung ist der Geist der Zeit unter Gelehrten und Ungelehrten, und es gibt der Antichristen, die an nichts glauben als an ihr Ich, deren gibt es allenthalben viele, und die Volksmassen im Großen stehen so, dass sie eine leichte Beute der Machthaber werden, wenn nur das fleischliche Leben recht gepflegt wird. Bei den Gläubigen aber ist die Liebe in gar Vielen erkaltet, während draußen in der Heidenwelt Christus täglich neue Siege gewinnt, so dass das Ziel, nach dessen Erreichung der HErr kommt, nämlich die Verkündigung des Evangeliums in aller Welt, bald erreicht sein kann, so der HErr will. Auf seinen Willen kommt freilich Alles an, es kann sich vielleicht auch noch lange verziehen. Aber wir sind angewiesen, täglich zu warten und täglich bereit zu sein mit Wachen und Beten, dass, wenn Er kommt, wir nicht zu Schanden werden vor Ihm in seiner Zukunft, sondern als kluge Jungfrauen von Ihm aufgenommen werden können in seinen Hochzeitsaal.

So bereitet zu sein, dazu ist nun vor Allem Glaube nötig. Ohne Glauben ist Geduld und Trost der Schrift uns nicht möglich. Daher wünscht der Apostel auch am Schlüsse unseres Textes den Römern, dass sie doch erfüllt werden möchten mit aller Freude und Friede im Glauben und völlige Hoffnung haben durch die Kraft des Heiligen Geistes. Ohne Glauben gibt es keine Freude und keinen Frieden und keine Hoffnung. Der wahre Glaube blickt rückwärts und vorwärts, rückwärts auf alles das, was JEsus von der Krippe bis zum Kreuz und vom Kreuz bis zum Throne der Herrlichkeit für uns und uns zu gut getan und gelitten und uns als ewiges Erbe erworben hat. Darin findet der Glaube sein Heil und seinen Frieden. Aber er blickt auch vorwärts auf das, dessen wir nach dem Worte Gottes noch zu warten haben, und ist nicht, wie so viele Christen, gleichgültig gegen das, was zur Lehre vom zweiten und vom dritten Advent Christi gehört.

Wer über diesen wichtigen Gegenstand die Belehrungen der heil. Schrift noch nicht kennt, dem fehlt eines der Hauptstücke des christlichen Glaubens, und er kann nicht im vollen Sinn „Geduld und Trost der Schrift“ haben. So gewiss der erste Advent JEsu in Niedrigkeit und Leiden aller Art geschah, und uns ewiges Heil erwarb, so gewiss wird der zweite Advent in Herrlichkeit geschehen zur Vernichtung der antichristlichen Macht und zur Errichtung des herrlichen Königreiches JEsu noch auf dieser Erde, worauf dann erst der dritte Advent, d. h. sein letztes Kommen zum allgemeinen Weltgericht erfolgen wird. Über das Alles hält der Glaube das fest, was JEsus und seine Apostel in klaren und bestimmten Worten voraussagen. Und da hat der Glaube die trostvolle Hoffnung, dass JEsus bei seinem zweiten Advent nach 2. Thess. 2 den Boshaftigen, d. h. den Antichristen, umbringen wird mit dem Geist seines Mundes, und wird nach Offenb. 19 als der König aller Könige und Herr aller Herren das ganze antichristliche Heer vertilgen, und dann alle Gewalt und Herrschaft und Königreich einnehmen auf Erden und sein glorreiches Friedensreich errichten, in welchem die Erde voll werden wird vom Erkenntnis der Ehre des HErrn, wie mit Wellen des Meeres bedeckt, und wo dann, wie wir später sehen werden, die Verheißungen unseres Textes über Juden und Heiden erst ganz in Erfüllung gehen werden.

Ohne diesen Glauben und ohne diese Hoffnung können wir auf den zweiten Advent Christi uns nicht bereiten. Daher bitte ich euch Alle, in dieser Adventszeit auch das prophetische Wort fleißig zu betrachten und aus demselben den Ruf der heiligen Wächter zu vernehmen, die aus aller Gegenwart beständig auf die Zukunft hinausweisen und uns gebieten, in beständiger Erwartung des andern Advents Christi zu leben, wie eine Braut sich allezeit sehnet nach ihrem Bräutigam. In solcher hoffnungsvollen Erwartung Christi und der großen Erlösung, die Er den Seinigen bringen wird, können wir täglich, wie unser Text wünscht, mit aller Freude und Friede Alles geduldig aus der Hand des HErrn annehmen, was Er uns zuschickt, uns willig in's Leiden geben, über das, was feindlich gegen JEsum und uns in den Weg tritt, siegen, den Versuchungen entfliehen, und, in Hoffnung der künftigen Freude, Hülfe und Herrlichkeit, die gegenwärtige Lust und die gegenwärtige Last überwinden und im Glauben aushalten bis an's Ende, mit völliger Hoffnung, durch die Kraft des Heiligen Geistes, wie unser Text sagt. Zu solcher Bereitung im Glauben und in der Hoffnung gehört aber

II.

auch die Liebe, welche in Allem erst das rechte Band der Vollkommenheit ist. Von ihr hauptsächlich spricht unser Text, und zwar ganz besonders von der brüderlichen Liebe, von welcher der ganze Abschnitt, zu dem unsere Epistel gehört, handelt. Dabei aber weist der Apostel immer auf die Liebe Gottes und JEsu als das Fundament der brüderlichen Liebe hin. Wir sollen einerlei gesinnt sein nach JEsu Christ, sollen mit Einem Munde Gott loben und also auch Ihn lieben, sollen uns unter einander ausnehmen, d. h. lieben, gleichwie Christus uns hat aufgenommen zu Gottes Lobe, sollen Alle lieben, weil Gottes Verheißungen noch an Allen sollen erfüllet werden.

Weil der HErr uns so hoch geliebt hat, so ist unsere erste Aufgabe, Ihn zu lieben und zu loben, und darin steht auch die beste Bereitung auf den zweiten Advent Christi. Wie könnten wir nach unserem Evangelium allezeit wacker, d. h. wachsam sein, in Erwartung seiner Zukunft wachen, wenn nicht Liebe uns dazu treibt! Nur diese Liebe kann uns über das erheben, was uns einzuschläfern droht. Solcher Dinge gibt es so viele, dass ein starkes Gegengewicht von göttlicher Liebe nötig ist, um die Weltliebe aufzuwägen. Vor wie Vielem muss JEsus warnen, als vor Hindernissen einer rechten Bereitschaft, Ihn zu empfangen! Fressen, Saufen, Sorgen der Nahrung, Alles, was den Geist beschwert mit eitlen, irdischen Gedanken, selbst Erlaubtes, aber von Gottes Licht nicht Durchdrungenes, z. B. Freien, Sichfreienlassen, Kaufen, Verkaufen, Pflanzen, Bauen, das Alles kann die Seele einschlafen: und gegen JEsum und sein Reich gleichgültig machen. Und wie große Macht übt die Menschenfurcht und Menschengefälligkeit über die Herzen aus! Wie Mancher hat schon eines elenden Spottes wegen seinen Glauben verläugnet, wie Mancher fürchtet sich, es mit den Brüdern zu halten, und bleibt so schwach im Geistlichen, da ja nur Gemeinschaft stark macht! Wie Mancher dient dem Mammon mehr als dem Heiland, oder hat in fleischlicher Lust sich an Kreaturen verkauft! Solche Seelen können der Zukunft des HErrn nur mit Schrecken entgegengehen. Wer aber JEsum herzlich liebt, weil er in Ihm sein einziges Heil gefunden hat, der sehnt sich, Ihn zu sehen, und lässt sich in der Freude der Erwartung gerne auch das gefallen, was seiner Erscheinung Bitteres und Schweres vorangeht.

Aber solche Liebe zu JEsu kann nicht sein ohne wahre Bruderliebe. Denn wer seinen Bruder nicht liebet, den er sieht, wie kann er den HErrn lieben, den er nicht sieht, und wie kann er dem HErrn entgegengehen, dessen erstes Gebot das ist, dass wir uns unter einander lieben sollen, wie Er uns geliebt hat. Deswegen wünscht der Apostel in unserem Texte, dass wir doch einerlei gesinnt seien unter einander nach JEsu Christo, d.h. in der Liebe, womit Er uns geliebt hat, und dass wir einmütig mit Einem Munde Gott loben.

Nie ist festes Zusammenhalten der Gläubigen nötiger, als in der letzten Zeit. Nur gemeinschaftliche Kraft ist stark. Wer außer der Gemeinschaft der Gläubigen steht, der kann viel christliche Erkenntnis und christliche Gesinnung haben, aber wenn er um Christi willen etwas leiden, etwas verleugnen und überwinden soll, so fehlt es meistens an Muth und Kraft, ja selbst die Erkenntnis in geistlichen Dingen ist desto richtiger, je inniger wir mit den Brüdern verbunden sind. Besonders die Erkenntnis der Irrtümer und Irrlehren und Irrwege wird in der Gemeinschaft mit Andern viel leichter, als wenn wir allein stehen.

Deswegen sollte unser Hauptbestreben darauf gerichtet sein, die Gemeinschaft der Heiligen immer mehr zu befestigen und zu erweitern, dass alle Kinder Gottes einerlei gesinnt wären in den Grundwahrheiten unseres allerheiligsten Glaubens, in Nebensachen aber das Gebot unserer Epistel befolgten, in deren ganzem Zusammenhang Paulus ermahnt, entgegenstehende Ansichten mit Geduld zu behandeln, der Schwachen Gebrechlichkeit zu tragen und nicht Gefallen an uns selber zu haben. Jeder soll sich so stellen, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung nach dem hohen Vorbild Christi. Nur in solcher Liebesgemeinschaft sind die Kinder Gottes stark gegen den gemeinschaftlichen Feind, vor dessen Unchristentum ja doch alle Unterschiede des ernstlichen Christentums als unbedeutend erscheinen.

Wie schrecklich es aber geht, wenn Einer dem Zank und Streit sich überlässt, sagt der Heiland Matth. 24: „Wenn der böse Knecht wird sagen in seinem Herzen: mein HErr kommt noch lange nicht, und fängt an zu schlagen seine Mitknechte, so wird der HErr kommen zu der Stunde, die er nicht meinet, und wird ihn zerscheitern und wird ihm seinen Lohn geben mit den Heuchlern, da wird sein Heulen und Zähnklappen.“ O, wie sollte dieses Wort des HErrn uns zu ausharrender Liebe treiben und zu einer Geduld, die auch die Schwachheiten und Fehler trägt, verzeiht und nur im Stillen an deren Besserung arbeitet. Führt ja doch unser Text unsern Blick noch weiter hinaus auf das allgemeine Erbarmen Gottes, wonach Er will, dass Allen geholfen werde. Paulus sagt: „Christus sei ein Diener gewesen der Beschneidung, um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen.“ Damit will er den Heidenchristen zeigen, welcher Liebe die Juden wert seiend weil Christus sich zu ihrem Diener gemacht habe, um die alten Verheißungen des Bundesvolkes zur Erfüllung zu bringen. Dies ist jetzt noch nicht geschehen. Denn der größte Theil Israels ist der Verheißung des Messias nicht teilhaftig geworden. Aber in dem Brief unseres Textes (Kap. 11, 25.) sagt Paulus: „Blindheit ist Israel einestheils wiederfahren, so lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei, und also das ganze Israel selig werde, wie geschrieben steht: es wird kommen aus Zion, der da erlöse und abwende das gottlose Wesen in Jakob.“ Wie Paulus hier eine Stelle des A. T. (Jes. 59, 20.) als noch nicht erfüllt betrachtet, ungeachtet der ganze Lauf Christi vollendet war, so sind gar viele andere Stellen des A. T. noch nicht erfüllt und wir warten noch dessen, der kommen soll, sie zu erfüllen. Er wird kommen in seiner zweiten Zukunft. Da wird nach Sach. 12 „das Volk der Juden Ihn sehen, welchen ihre Väter zerstochen haben, und wenn sie aus seiner Zukunft Ihn als Messias erkannt haben, dann werden sie Ihn klagen, wie man klaget ein einiges Kind, und werden sich um ihre Sünde an Ihm betrüben, wie man sich betrübet um ein erstes Kind.“ Da wird die große Bekehrung der Juden im Königreich ihres Messias angehen, in Folge welcher nach Röm. 11, 26 ganz Israel, auf der Erde noch, zur Erkenntnis und zum Licht gelangen wird.

Und in Folge der Bekehrung Israels werden dann, durch Israels Beispiel und Predigt angelockt, die Heiden in Masse sich bekehren, und so werden erst die Verheißungen erfüllt, deren unser Text vier aufführt, wonach noch alle Heiden Gott loben, also als Christen des Heils Gottes teilhaftig werden sollen. In gar vielen Stellen des A. B. ist die Verheißung gegeben, dass noch alle Heiden bekehrt werden sollen. Das wird im tausendjährigen Reich geschehen, die bekehrten Israeliten werden dabei besonders mitwirken, und es wird erfüllt werden, was der HErr Jes. 45 sagt: „Wendet euch zu mir, so weidet ihr selig, aller Welt Ende, denn Ich bin Gott und Keiner mehr. Ich schwöre bei mir selbst und ein Wort der Gerechtigkeit gehet aus meinem Munde, da soll es bei bleiben, nämlich: Mir sollen sich alle Kniee beugen und alle Zungen schwören und sagen: Im HErrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Solche werden auch zu Ihm kommen, aber Alle, die Ihm widerstehen, müssen zu Schanden werden. Denn im HErrn werden gerecht aller Same Israels und sich seiner rühmen.“

Auf diese große Wiederbringung der Nationen, da alle auf Erden Christo als ihrem König dienen und Ein Hirte und Eine Herde ist, darauf blickt Paulus in unserem Text hinaus und aus dieser allgemeinen Annahme aller Völker durch das Erbarmen Gottes leitet er die Pflicht der Liebe ab, der brüderlichen und der allgemeinen Menschenliebe. Wie kannst du den hassen oder verachten, der vielleicht morgen dein Bruder ist! So sollten wir über die Welt denken, nicht sie wegwerfen, über sie nur schimpfen und klagen, sondern durch Liebe unser Licht leuchten lassen und als Priester Gottes die Welt auf dem Herzen tragen, und nach 1. Tim. 2 vor allen Dingen zuerst tun Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen. Durch solche Gebete und durch einen ihnen gemäßen Wandel können wir in der letzten Zeit nach als Mitarbeiter Gottes (1. Kor. 3, 9.) zur Ausführung seiner großen Absichten helfen, wozu ein Knecht Gottes uns mit den Worten ermahnt: Wenn die, die beten können, mehr beteten, so würden mehr Menschen selig.

Stehen wir so in rechter Liebe und lebendigem Glauben, so werden wir als kluge Jungfrauen das Oel des Geistes allezeit in unsern Lampen haben, dass, wenn der HErr kommt, Er uns wachend finde und aufnehmen könne in sein Freudenreich.

Wann Er kommen wird, wissen wir nicht. Und wenn wir auch seine große Zukunft nicht erleben sollten, so ist der Tod, der uns jeden Tag und jede Stunde überraschen kann, er ist für den Einzelnen, was Christi Zukunft für das Ganze. Ein Schüler fragte einmal seinen Lehrer: „Meister, wie lange darf ich noch sündigen?“ Der Lehrer antwortete: „so lange du willst, nur bekehre dich Einen Tag vor deinem Tode.“ Freudig ging der Schüler hinweg, aber aus einmal kehrte er wieder um und fragte: „und wann werde ich sterben?“ Da sagte der Lehrer: „das weiß ich dir nicht zu sagen, und darum ist kein anderer Rath, als dass du heute noch anfangest, dich zu bekehren.“

O liebe Seelen! prüfe sich doch ein Jedes von uns, wie es dem Tag Christi entgegengehe. Es ist gewiss nicht umsonst, dass JEsus und seine Apostel so oft von seiner Zukunft reden und so ernstlich ermahnen, dass wir doch recht wachen und beten, dass unsere Herzen doch ja nicht beschweret werden mit irdischen Dingen, Lüsten des Fleisches, Fressen, Saufen, Sorgen der Nahrung, da dann der große Tag Christi wie ein verderblicher Fallstrick über uns käme. Deswegen ist es nötig, dass wir recht oft, ja ich möchte sagen täglich, die Frage an uns machen: Wie wäre dir's, wenn der HErr heute käme, wenn Er jetzt majestätisch hier hereinträte in unsere Mitte und seine feuerflammenden Augen hereinleuchteten in alle unsere Werke, Pläne, Wünsche und Gedanken? Würde dir's da vielleicht auch gehen, wie dem Dieb, der gestohlene Sachen bei sich trägt und der beim Anblick der Polizei Alles in den verborgensten Winkel wegzuwerfen wünscht! Hättest du keine solche Dinge in deinem Leben, in deinem Herzen, die du vor den Augen JEsu nicht sehen lassen könntest, ohne zu zittern und zu beben! O wie erscheint so Vieles uns in so ganz anderem Lichte, wenn wir uns damit in die Gegenwart JEsu hineinversetzen. Wie erschrecken wir da über Gedanken, Worte und Werte, die uns vielleicht kein Mensch vorwerfen kann, über die aber aus seinem Mund ein gewaltiges „Ich habe wider dich“ uns trifft. O, wir haben keinen Begriff davon, was es sein muss, Ihn zu sehen. Als Johannes, der doch an seiner Brust gelegen war, Ihn später in seiner himmlischen Herrlichkeit sah, da fiel er ohnmächtig und wie tot auf den Boden. So gewaltig und so heilig ist seine Majestät. Wenn es einem heiligen Apostel so ging, wie werden wir den Anblick seiner Herrlichkeit vertragen können! Wenn alle Geschlechter der Erde darüber heulen und zittern, wie wird's uns dabei sein! Wohin wollen wir dann uns verkriechen mit so vielem Fleischlichen, das wir immer noch an uns haben, wohin mit dem trägen Glauben, mit dem schläfrigen Gewohnheits-Christentum, wohin mit so Vielem, was gegen die Liebe ist und gegen den Willen Gottes und Geist JEsu!

Ach, Geliebte! so wenig alles dieses Ungöttliche an uns den großen Advent JEsu vertragen kann, so wenig sollte es heute schon die, wenn gleich unsichtbare, aber doch eben so gewisse Gegenwart JEsu vertragen können. Er sieht und hört alle unsere Gänge, unsere Worte und Gedanken. Wie muss das uns bei aller Liebe doch auch mit heiliger Scheu und Ehrfurcht vor Ihm erfüllen, dass wir es doch ja nicht zu leicht nehmen, als ob durch die Gnade immer wieder Alles gut gemacht würde. Wer auf das hin es mit der Sünde nicht genau nimmt, der gleicht dem Knecht, von dem wir vorhin gehört haben, dass er, da er's am wenigsten glaubt, überrascht werde von der Zukunft des HErrn und seinen Schreckenslohn bekomme mit den Heuchlern. O, wer wollte so dein zweiten Advent Christi entgegengehen! Nein, wir wollen wachen und beten, dass der HErr bei seiner Zukunft uns als die Seinen erkennen kann. Wir wissen nicht, wann Er kommt; aber wir sollen, wie eine Braut auf ihren Bräutigam, allezeit auf Ihn warten, nie sagen: Er kommt noch lange nicht, aber auch nicht, um indes schlafen zu können, fürwitzig sagen: Er kommt in diesem oder in jenem Jahr. Er hat das seiner Macht vorbehalten, damit wir allezeit warten und wachen, und wahr ist, was Hiller sagt:

Wenn Jemand tausend Jahre wachte
Und Er kam' erst im letzten an.
So wär's, obgleich der Spötter lachte.
Doch klug und nicht umsonst getan.
Und wer nicht an dem Tage wacht,
Der schläft gewiss auch bei der Nacht.

Darum bitten wir:

HErr, mache Du mich alle Tage
Auf alle Stunden recht bereit,
Dass ich mein Oel stets bei mir trage
Und sei zum Brauttag angekleid't.
Wenn Du schon kommst, so ist der Rath,
Sich erst zu rüsten, allzuspat.

Ach, mache das Gefäß der Seele
Mit einem Glaubensvorrat voll.
Damit mir's in der Zeit nicht fehle,
Wenn ich entgegengehen soll.
So schließ'st Du mich vom Hochzeithaus
Nicht in der letzten Stunde aus.

Amen.

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