Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Sechste Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Sechste Predigt.

Herr, hilf uns, deine Wahrheit rein
Und unverfälscht bewahren!
Laß alle, die sich ihrer freun,
Stets ihre Kraft erfahren!
Dein Wort sei Rath und Trost in Noth,
Daß wir im Leben und im Tod
Ihm zuversichtlich trauen!

Es ist der Prediger und Lehrer heilige Pflicht, daß sie, so oft sie ihren Mund aufthun, das Evangelium zu verkündigen, es nicht so verkündigen, wie es ihnen gefällt, sondern vielmehr so, wie es ihnen von Gott befohlen worden ist. Denn ist es nicht möglich, daß Jeder auf seine Weise selig werde, so kann es auch Keinem frei stehen, auf seine Weise das Evangelium zu predigen, sondern er wird den Einen Weg zeigen müssen, der zum ewigen Leben führt. Beruht doch auch das Evangelium zunächst auf Thaten Gottes, die geschehen sind und die als etwas Geschehenes ihre bestimmte ausgeprägte Gestalt in der Geschichte haben, und uns ebensowenig gestatten, sie umzugestalten, als wir die Stellung der Sterne am Firmament verändern können. Gott geoffenbaret im Fleisch, gelitten, gestorben, auferstanden von den Todten, aufgenommen in die Herrlichkeit - diese und noch viele andere Wunder der Offenbarung, wer darf sie ungepredigt lassen oder sie anders predigen als sie geschehen sind? Nun sind freilich diese geschichtlichen Begebenheiten an sich einer vielfachen Deutung und Anwendung fähig: aber haben wir nicht das Wort der Propheten und Apostel, die, vom heiligen Geiste erleuchtet, uns sagen, welche Bedeutung jene Gottesthaten haben und in welcher Verbindung sie mit unserm Heile stehen? Das prophetische und apostolische Wort ist ja eben nichts anders als die Offenbarung Gottes im Wort, die hinzugekommen ist zu der Offenbarung Gottes in der That, der sie zur Auslegung dienen soll. Setze nun doch Keiner seine menschlichen Einfälle und Gedanken an die Stelle des von Oben gegebenen, durch das Blut der Zeugen Gottes besiegelten Worts! Es kommt so sehr auf die Reinheit der Lehre an, die wir verkündigen, daß Paulus sagt (Gal. 1, V. 8): „So wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen, anders, denn das wir euch geprediget haben, der sei verflucht.“ - Und dennoch wird das Evangelium auf so verschiedene Weise verkündiget? Ja, wer auch noch so wenig um das sich bekümmert, was in der Welt vorgeht, der wird doch Kunde davon haben, daß es mehr als zehn, mehr als zwanzig verschiedene Arten gibt, wie das Evangelium gelehret wird; und daß diese Verschiedenheiten nicht bloß die äußere Darstellung betreffen - wie könnten auch Alle in einerlei Wort die großen Thaten Gottes predigen, da ja die Gaben so verschieden sind! - sondern daß sie tief in das Herz des Evangeliums eingreifen. Hören wir über diese verschiedene Weise, das Evangelium zu predigen, ein Wort des Apostels Paulus :

Phil. 1, V. 15 - 20:
Etliche zwar predigen Christum auch um Haß und Haders willen: Etliche aber aus guter Meinung; diese thun es aus Liebe; denn sie wissen, daß ich zur Verantwortung des Evangelii hier liege; jene aber verkündigen Christum aus Zank, und nicht lauter, denn sie meinen, sie wollen eine Trübsal zuwenden meinen Banden. Was ist ihm aber denn? Daß nur Christus verkündiget werde auf allerlei Weise, es geschehe zum Scheine oder in Wahrheit, so freue ich mich doch darinnen, und will mich auch freuen. Denn ich weiß, daß mir dasselbe gelinget zur Seligkeit, durch euer Gebet, und durch Handreichung des Geistes Jesu Christi. Wie ich endlich warte und hoffe, daß ich in keinerlei Stück zu Schanden werde, sondern daß mit aller Freudigkeit, gleich wie sonst allezeit, also auch jetzt, Christus hoch gepriesen werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.

Der Apostel hatte zuvor gesagt, daß seine Bande zur Förderung des Evangeliums gereichten, auch in dem Betracht, daß die Mehrzahl der Brüder dadurch Vertrauen gewonnen hätten, desto muthiger das Wort zu verkündigen ohne Furcht. Von diesen Brüdern aber unterscheidet er nun die, welche Christum in anderer Weise und in anderer Absicht predigten, als jene. Also Christus und das Wort von ihm wurde auf verschiedene Weise in Rom gepredigt? Ja, ebendavon handeln die Worte unsers Textes. Laßt uns diese Sache in nähere Erwägung ziehen. Unser Thema ist

die verschiedene Art, wie Christus verkündigt wird. Fragen wir

  1. worin diese verschiedene Art der Verkündigung besteht, und
  2. wie wir darüber zu urtheilen haben.

1.

Der Apostel meint die zuvor genannten Brüder, wenn er sagt: „Etliche verkündigen Christum aus Wohlgefallen,“ nämlich an der Sache des Apostels, weil sie darin die Sache des Evangeliums erkannten. Sie thaten's demnach als von Liebe Geleitete, weil sie sahen, daß der Apostel von Gott zur Verantwortung und Bekräftigung des Evangeliums bestimmt sei, auch in seinen Banden. Daher waren sie ihm herzlich zugethan und predigten auch das Evangelium ganz nach seiner Weise. Aber wer sind die, von denen er klagt, daß sie „aus Neid und Streitsucht“ Christum verkündigen? Lautete auch ihre Verkündigung wie die des Apostels, nur daß sie Ehrsüchtige waren, die dem Apostel das hohe Ansehen nicht gönnten, worin er bei der Gemeinde stand? Nein, Christen, wir haben Grund zu vermuthen, daß ihre Feindschaft gegen den Apostel in etwas Anderm seinen ersten und tiefsten Grund hatte. Wir finden, wenn wir die Briefe des Apostels Paulus lesen, daß er fast in allen Gemeinden, wo er wirkte, mit falschen Aposteln zu kämpfen hatte, die Christum anders predigten als er, und auch in dieser Epistel an die Philipper, wie in dem einige Jahre zuvor geschriebenen Briefe an die Römer, kommen Andeutungen darüber vor. Es waren jüdisch gesinnte Männer, die überall, wo sie kamen, neben dem Evangelium auch das Mosaische Gesetz von den Christen gehalten wissen wollten. Allerdings verkündigten sie Christum als den von den Propheten verheißenen Erlöser der Welt, predigten ihn als den Gekreuzigten und Auferstandenen und von Gott in den Himmel Erhöheten, forderten auch Buße und Glauben von Allen, die selig werden wollten. Aber statt Christum als den alleinigen Grund des Heils gelten zu lassen, forderten sie zugleich die Beschneidung und die Beobachtung der sonstigen Gebräuche und Werke des alten Testaments. Sie setzten das Christenthum als einen neuen Flicken auf das alte Kleid des Judenthums, und die ihnen folgten, wurden fast mehr Juden als Christen. Wie ganz anders aber lehrete Paulus! Zwar glaubete auch er alle dem, das gesagt war durch Mosen und die Propheten; zwar verachtete auch er nicht das Gesetz des alten Testaments, sondern erkannte darin einen Zuchtmeister auf Christum, und was vollends die Summa und das Herz des alttestamentlichen Gesetzes betrifft: „Liebe Gott über Alles und deinen Nächsten als dich selbst,“ so drang er darauf mit aller Kraft in allen seinen Predigten und Briefen. Aber nicht wollte er die äußerliche Beschneidung noch die Beobachtung der levitischen Gebräuche beibehalten wissen, zumal bei den neubekehrten Heiden; nicht wollte er es gelten lassen, daß neben Christo noch ein anderer Grund des Heils bestehen sollte, und neben dem Glauben an Christum irgend ein Werk, darauf Jemand die Hoffnung seiner Seligkeit setzte. Seine Predigt lautete: „Aus Gnaden seid ihr selig worden, durch den Glauben, und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht Jemand rühme.“ Kommt das Heil von der Gnade, so kommt's nicht von den Werken; kommt's von den Werken, so kommt's nicht von der Gnade. - Das war der Unterschied zwischen ihm und jenen jüdischgesinnten Lehrern. Kein Wunder nun, daß diese gegen den Apostel waren, und desto mehr gegen ihn eiferten, je größer der Anhang war, den seine Predigt unter den Heiden fand. Von ihnen sagt er, daß sie aus Neid und Streitsucht Christum verkündigten; daß sie Partei wider ihn zu machen suchten in der Gemeinde; daß sie nicht auf lautere Weise, nicht in reiner Gesinnung predigten, nämlich in Erkenntniß, in Langmuth, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in ungefärbter Liebe (2 Cor. 6, V. 6).

„Sie meinen Trübsal zu meinen Banden hinzuzufügen.“ Freilich, eine Meinung, ein Wahn war es nur, denn sie erreichten es nicht; aber sie gingen doch darauf aus. Suchten sie denn etwa das Evangelium darum in Rom auszubreiten, damit es dem Kaiser Nero und den Staatsbehörden desto verhaßter würde und so der gebundene Paulus in desto größere Gefahr käme? Nein, dann hätten sie ja nicht nur über ihn, sondern auch über sich selbst Gefahr gebracht. Aber innerhalb der Gemeinde suchten sie ihm auf alle Weise Abbruch und Schaden zu thun, sonderlich bei den Judenchristen, denen sie ihn bezeichneten als einen Verächter des väterlichen Gesetzes, wo sie nicht gar seinen apostolischen Beruf läugneten.

So gab es demnach schon in jenen Zeiten eine gar verschiedene Art, Christum zu verkündigen, und ist diese Verschiedenheit nicht geblieben bis auf unsere Tage? In wie viele Bekenntnisse und Kirchen ist doch die Eine christliche Kirche zertheilt! Es kommen hier besonders zwei dieser Kirchen in Betracht: unsere protestantische und die katholische. Finden wir zwischen diesen beiden nicht einen ähnlichen Zwiespalt, wie der war zwischen Paulus und seinen Gegnern in Rom? Was hat die Trennung zwischen uns und den Katholiken herbeigeführt? Vornehmlich das äußerliche jüdischgesetzliche Wesen der katholischen Kirche. Zwar wird auch dort Christus verkündiget, wie hier; aber gilt nicht dort neben dem Evangelium eine große Menge äußerlicher Satzungen und Ueberlieferungen, die mit dem Evangelium gleiches Ansehen haben, obwohl sie darin nicht gegründet sind? Gilt nicht dort neben dem Verdienste Christi das eigene Verdienst, wodurch der Mensch zu seiner Seligkeit mitzuwirken und sich Gottes Gnade mit zu verdienen hat? Fürwahr, handelte es sich bloß um die Vollbringung guter Werke, die die Liebe Gottes und des Nächsten fordert, so kann darauf keine Kirche eifriger dringen, als unsere Kirche thut. Aber das glauben und lehren wir nicht, daß der Christ aus irgend einem Werke, wie gut und herrlich es auch sei, sich ein Verdienst machen und es neben Christi Verdienst stellen solle, sondern Christus gilt uns als der alleinige zureichende Grund unsers Heils, und gerecht und selig werden wir allein durch den lebendigen Glauben an ihn. Viel weniger aber noch lehren wir, daß es über die Werke der Liebe hinaus noch andere Werke gebe, als Fasten, ehelos sein, Kasteiungen, freiwillige Armuth, Klosterleben und dergleichen mehr, dadurch der Christ seinen Gnadenstand bei Gott erhöhen könne. Wer die Schrift kennt, der urtheile, ob wir Protestanten nicht zu der reinen Lehre uns bekennen, wie wir sie bei einem Paulus finden. Aber werden wir nun auch von unsern Gegnern anerkannt als Brüder in Christo? Nein, wir gelten für Abgefallene, vom Heile Ausgeschlossene, für Ketzer, und unsere Kirche soll nicht einmal den Namen Kirche verdienen. Gibt es auch Unzählige unter den Katholiken, die milde über uns urtheilen, milder, als das Bekenntniß ihrer Kirche lautet, so finden sich neben diesen wiederum Viele, von denen das alles gesagt werden kann, was Paulus von seinen Gegnern in unserm Texte sagt. Der Apostel leidet noch in unsern Tagen dieselbe Schmach, die er vor 1800 Jahren gelitten hat, wegen seines Kämpfens wider die Gerechtigkeit aus den Werken, wegen des von ihm gepredigten „Sola - Glaubens,“ wie man ihn nennt, nämlich daß wir gerecht und selig werden sollen „bloß“ aus Gnaden, nicht aber durch irgend ein Verdienst unserer Werke.

2.

In der That, liebe Christen, wenn wir auch von allen sonstigen Bekenntnissen absehen wollen, so reicht schon der Blick auf das Verhältniß unserer Kirche zu der katholischen hin, uns zu überzeugen, daß es eine gar verschiedene Art gibt, Christum zu verkündigen. Aber wie haben wir nun darüber zu urtheilen? Lehre uns das der Apostel Paulus. Wir finden nämlich nicht, daß Paulus durch das Verhalten seiner Gegner in große Sorge und Traurigkeit versetzt wird, sondern er behält die Ruhe und Freudigkeit seines Herzens. Sie lehren anders als er lehrt, und sind sogar bemüht, die Trübsal, die er hat, noch durch größere Trübsal zu erhöhen. „Wie nun?“ frägt er, „droht mir und meiner Sache von ihnen Gefahr? Wird es ihnen gelingen, meinen Muth zu beugen und meine Freude zu zerstören? Nein! „wird doch auf jegliche Weise, sei es zum Vorwande oder mit Wahrheit, Christus verkündigt, und darüber freue ich mich.“ Als ob er sagen wollte: Es wäre ja freilich ungleich besser, wenn das Evangelium von Allen mit Wahrheit und Aufrichtigkeit verkündigt würde, wie es von den Brüdern geschieht. Jene Leute geberden sich und geben vor, als wären sie bei ihrer Verkündigung von dem reinsten Eifer für die Sache des Herrn erfüllt, da doch Christus und sein Evangelium nur ein Deckel ihres Hasses, Neides und Ehrgeizes ist. Aber wenn wir von diesem Menschlichen ab- und bloß auf die Sache sehen: muß ich mich da nicht freuen, daß doch auch von ihnen Christus verkündigt wird? Sei ihr Irrthum, worin sie stecken, auch ein noch so beklagenswerther, so predigen sie doch, daß Jesus sei der Messias, den die Propheten geweissagt haben; predigen ihn, der für uns gelitten hat und gekreuzigt ist; der durch seine Auferstehung Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht; der das Himmelreich auf Erden gegründet hat, welches er, als der in den Himmel Erhöhete, regiert. Sie läugnen die großen Thaten nicht, die Gott an seinem Sohne und durch ihn gethan, und das ist ja jedenfalls das Fundament, worauf die Kirche Christi steht. Laß sie denn eifern, sie eifern nicht wider mich, sondern für mich, denn je mehr sie eifern, desto mehr helfen sie zugleich an dem Fundament der Kirche Christi bauen. O Christen, erkennet hier wieder die hohe Gesinnung unsers Apostels, der ganz von sich selbst abzusehen weiß aus reiner Liebe zu dem Herrn. Er vergißt seiner eigenen trübseligen Lage, und läßt es sich nicht anfechten, von wem und wie sehr er auch angefeindet wird, sondern immer siehet er nur auf das, was Christi ist, und wo nur Christi Name gepredigt wird, da freuet sich sein Herz. Wenn immer dieser Geist der Selbstverläugnung und der Christusliebe die Diener des Evangelii erfüllt hätte: wie viel milder und nachsichtsvoller hätten sie dann geurtheilt über ihre Gegner! wie viel weniger Erbitterung und verkehrter Eifer fände sich dann in der Geschichte unserer Kirche!

Haben wir bei aller Verschiedenheit unseres Bekenntnisses von dem der römischen Kirche nicht dennoch Grund, uns über diese Nachbarkirche zu freuen? Paulus lehrt uns auf das sehen, was wir mit ihr gemein haben, und das bestehet kürzlich darin, daß in beiden „Christus verkündigt wird.“ Unser Glaubensbekenntniß in den bekannten drei Artikeln, ist das nicht eben so sehr katholisch als lutherisch und reformirt? Da heißt es doch und wird auch allenthalben so gelehrt: „Ich glaube an Jesum Christum, Gottes eingebornen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist vom heiligen Geiste, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontio Pilato, gekreuziget, gestorben und begraben, niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Todten, aufgefahren gen Himmel, sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten.“ Heißt das nicht „Christum verkündiget?“ Und in wie vielen Punkten des Glaubens stimmen die verschiedenen Bekenntnisse nicht sonst noch überein! Wollen wir denn trauern und klagen, so laßt uns klagen über den Unglauben, der mit dem Heuschreckenheer seiner Irrlehrer über unsere Kirche gekommen ist. Wie ganz anders stehen wir diesen Kirchen- und Himmelsstürmern gegenüber, als den Katholiken, die, wenn sie uns nicht Brüder heißen wollen, wenigstens von uns so geheißen werden sollen.

Aber wie? sind denn die Unterschiede so bedeutungslos, daß wir, wenn nur Christus allenthalben verkündigt wird, sie als etwas Gleichgültiges betrachten dürfen? Ist's namentlich einerlei, ob neben dem Evangelium auch menschliche Satzungen und Ueberlieferungen uns binden oder nicht? Ist's einerlei, ob Christus, der Gekreuzigte, der alleinige Grund unserer Hoffnung ist, oder ob wir zugleich auf das Verdienst eigener Werke bauen? Nimmermehr können wir das gleichgültig nennen. Ist's nicht auch bekannt, daß unter den Aposteln keiner mehr als eben der Apostel Paulus gegen die Menschensatzungen und die Werkgerechtigkeit der jüdischgesinnten Christen eifert? Lest nur vor Allem den Brief an die Galater, wo er eben wider dieselben Gegner kämpft, die ihm in Rom entgegen standen. Da heißt es: „So durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben“ (Gal. 2,21). Ja er verwirft ganz und gar ihr Evangelium und sagt (Gal. 1,8): „So wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen, anders denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht.“ Wie reimt sich nun das mit unserm Text? Aber laßt uns bedenken, wie ganz anders es um die Galatischen Gemeinden stand, als um die Gemeinde in Rom. Dort war schon von Paulus das Licht des reinen Evangeliums angezündet worden, und die Bekehrten hatten es angenommen mit großer Freude ihres Herzens. Da war nicht von Menschensatzungen, von Beschneidung und dergleichen die Rede, noch von irgend einer Gerechtigkeit, gegründet auf Menschenwerk und Verdienst; sondern alle glaubten an das alleinige Evangelium von Christo und gründeten ihre Zuversicht nur auf ihn und seine Gnade. Wie waren sie dazumal so selig! Und dennoch ließen sie später sich verblenden und bethören von den jüdischen Eiferern, die ihnen das Joch des Gesetzes auf den Nacken legten und ihnen das Wort des Apostels Paulus verdächtig machten. Was war denn nun ihr Uebergang vom Evangelio zum Gesetz anders als ein Abfall von Christo, und welche verheerende und zerstörende Folgen mußte ein solcher Abfall haben! Gewinnt der Irrthum da Raum, wo bereits die helle Sonne der Wahrheit aufgegangen ist, so löscht er das Licht aus und verwandelt Alles in Finsterniß. Kommt der Senfsame der Irrlehre auf einen reinen Acker, so ist er verderblicher und ist schwerer zu vertilgen, als wenn er auf einem Boden steht, den man erst urbar macht. Wolltest du, liebe Brügger Gemeinde, die du zu der Lehre Pauli dich bekennst, dich überreden lassen, katholisch zu werden, so gölte von dir fast dasselbe, was Paulus von den Galatern sagt. Aber wo noch die Heiden wohnen oder wo das Christenthum gewesen, aber fast gänzlich wieder ausgestorben ist, da könnte man sich freuen, wenn das Evangelium selbst mit großen Irrthümern hinkäme, und die Heiden oder Ungläubigen dafür gewonnen würden. Die Wahrheit hat in sich eine Macht, die, wenn auch spät, doch endlich den ihr zugesellten Irrthum überwindet. 1500 Jahre hat es gewährt, bevor dies von Paulus verkündigte Evangelium Herr geworden ist über die Menschensatzung und Werkgerechtigkeit, die schon zu der Apostel Zeit in die Kirche eingedrungen sind; ohne Christum aber ist die Kirche nie gewesen, Christus ist auch in den finstersten Zeiten verkündigt worden. Mag denn, da es ohnehin nicht zu ändern ist, auf allerlei Weise gepredigt werden, wenn nur Christus verkündigt wird. Mögen neben den evangelischen Sendboten auch die Sendboten anderer Kirchen in die Heidenländer gehen: wir haben uns zu freuen, daß doch Christus verkündigt wird. Wenn er nur verkündigt wird, was kommt's darauf an, von wem er verkündigt wird? Unsere Gegner zeigen einen großen Eifer in Ausbreitung des Evangeliums, und viele von ihnen eifern eben so wenig auf lautere Weise, wie die Feinde des Apostels Paulus; aber laß sie nur eifern und wider uns streiten und Partei machen, wir wollen in christlicher Selbstverläugnung uns dennoch freuen: „Wird doch auf jegliche Weise Christus verkündiget!“ Das ist die Sache, darauf kommt es an.

Aber wie, wenn nun über dem Eifern und Fortschreiten der Gegner unsere Sache und Kirche zu Grunde ginge! Das hat nichts zu sagen, spricht der Apostel. Ich freue mich über die Fortschritte, die das Evangelium macht, und meine Freude hat einen so guten Grund, daß sie auch bleiben wird bis an mein Ende. Ich freue mich, „aber ich werde mich auch freuen. Denn ich weiß, daß mir das gerathen wird zum Heile.“ Seht, Christen, so gewiß ist er seiner Sache, die ja die Sache Christi ist, daß ihn das Eifern und Wirken seiner Feinde nicht erschreckt, sondern er fest überzeugt ist, daß sie ihm immerdar in die Hände arbeiten. Gerade dadurch, daß Christus auf jegliche Weise verkündigt wird, gewinnet seine Sache, denn auch sein Streben und Thun gehet auf nichts anderes aus, als Christum zu verkündigen. Was ihn selbst betrifft, so weiß er, daß er bis an's Ende, daß er lebend und sterbend Christum verherrlichen wird. Nicht, als bauete er das bei auf sich selbst und seine eigene Kraft; nein, in der Kraft des Herrn will er bis zum Tode fortfahren, wie er angefangen bat. Daher wünscht er sich die Fürbitte der Philipper und die reichliche Darreichung des Geistes Jesu Christi.

Hört nur nicht auf, für mich um Kraft, Muth und Treue zu bitten, und Gott erfülle mich mehr und mehr mit demselben Geiste, womit der Heiland mir auf der Kampfbahn vorangegangen ist, der nicht nur lebend, sondern auch leidend und sterbend treu in seinem Werke gewesen ist, so soll's mir schon gelingen und gerathen. Mein Leib mag dem Tode überliefert werden, aber das Heil meiner Seele wird auch im Sterben grünen wie ein Lorbeerbaum. So red' ich nach meiner Erharrung und Hoffnung, daß ich in keinem Stücke werde zu Schanden werden, daß nichts unerfüllt bleiben wird von dem, worin ich meinen Ruhm, Ehre und den Zweck meines Lebens sehe, sondern daß bei aller Freudigkeit, wie in meinem bisherigen Leben immer, so auch jetzt Christus an meinem Leibe wird verherrlichet werden, sei es durch Leben oder durch Tod.“ Es mag, will Paulus sagen, nach dem Willen Gottes mit mir gerathen, entweder zum Leben, daß ich wieder frei werde und noch eine Weile hienieden bleibe, oder zum Tode, daß ich auf des Kaisers Befehl eines gewaltsamen Todes sterbe, so weiß ich doch, daß nichts ungeschehen bleiben wird von dem, worin ich meinen Ruhm, meine Ehre und den Zweck meines ganzen Lebens setze; sondern wie früher allezeit, bevor ich gefangen war, im ganzen Laufe meines Predigtamtes, also auch jetzt in meiner Gefangenschaft, wird Christi Ehr und Lehr in großer Freudigkeit verherrlicht werden „an meinem Leibe“, an mir, durch mich und durch alles das, was sich mit mir begeben und zutragen mag. Denn bleib' ich am Leben, so ist's ja Christi Werk, daß ich aus des Löwen Rachen gerissen worden bin, und ich will aus Dankbarkeit für solche Wohlthat mit großer Freudigkeit sein Wort weiter ausbreiten, wie viel Müh und Gefahr auch damit verbunden sein mag. Muß ich aber sterben, so wird er nicht geringere Ehre davon haben. Leb' ich, so dient mir dieser Leib zum Werkzeuge der Verkündigung des Evangeliums; sterb' ich, so soll er der Welt das Schauspiel eines freudigen Bekenntnisses darbieten. Mein Tod wird, da ich um keiner andern Ursach als um des Evangelii willen sterbe, es bezeugen und versiegeln, daß Christi Evangelium die Wahrheit sei. Mein Tod, den ich willig und unerschrocken leide, wird es öffentlich zeigen, daß Christus, der in mir lebt, größer und mächtiger sei, als Nero und alle Tyrannen dieser Welt. Sie können mich tödten, aber sie können mir nichts zu leide thun; sie können mich brechen, aber sie können mich nicht beugen. Mein Tod, den ich zehnmal lieber leiden als die Wahrheit verleugnen will, wird andern Christen ein Beispiel und ein Antrieb sein, daß auch sie sich willig zeigen, für die Wahrheit ihr Leben zu lassen. Das ist meine Hoffnung, die nicht trügt, das meine zuversichtliche Erwartung, die auf meiner Hoffnung ruht. -

Christen, ich wollte, daß Jeder von uns eine solche Sprache führte. So muß namentlich jeder echte Protestant denken und reden. Wahre Protestanten sind wir nur, wenn wir wahre Nachfolger Pauli sind. Wird unsere Kirche bestehen? Man arbeitet katholischerseits auf den Untergang, auf den Tod des Leibes unserer Kirche hin. Aber wir tragen - das ist ein köstliches Gut der protestantischen Kirche - wir tragen in uns die Glaubensfreudigkeit des Apostels Paulus. Laßt uns die bewahren, so dürfen wir hoffen und zuversichtlich erwarten, daß uns der Herr nicht werde zu Schanden werden lassen. So lange wir leben, laßt uns das Evangelium verkündigen, welches unser Panier und der Grund unserer Freiheit ist. Soll aber einmal in Zukunft der äußere Leib, die äußerliche Gestalt unserer Kirche untergehn, so kann dieser Leib nur sterben, um in die verklärte Gestalt einer höheren Gemeinschaft überzugehen.

Das sei aus unserm Texte der kurze Unterricht über die verschiedene Art, wie Christus verkündigt wird. Wir sollen über den Unterschieden nicht der Einheit vergessen, die darin besteht, daß doch Christus in allerlei Weise verkündigt wird. Wir sollen, wie beklagenswerth auch diese oder jene Irrthümer sind, die Hoffnung festhalten, daß die Wahrheit durch alle Wolken des Irrthums sich Bahn brechen werde, bis wir zuletzt alle hinankommen werden zu einerlei Glauben. Wir sollen im Kampfe mit unsern Feinden, jeder an seinem Theile, dahin streben, daß Christus durch uns verherrlicht werde, sei es durch Leben oder durch Tod.

Noch ist meines Helfers Rechte
Sieht sie gleich mein Auge nicht!
Weiter bin im Thal der Nächte
Ist mein Retter und mein Licht!
Ja, dort wird mir Gott begegnen!
Dort wird mich sein Antlitz segnen!
Jetzt, jetzt ist die Prüfungszeit;
Jetzt sei, Seele, stark zum Streit!

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