Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Erste Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Erste Predigt.

Mein Glaub' ist meines Lebens Ruh',
Und führt mich deinem Himmel zu,
O du, an den ich glaube!
Ach, gieb mir, Herr, Beständigkeit,
Daß diesen Trost der Sterblichkeit
Nichts meiner Seele raube!
Tief präg' es meinem Herzen ein,
Welch Heil es sei, ein Christ zu sein!

Das Christenthum ist nunmehr schon 1800 Jahre in Europa. Wir kennen den Mann, der es zuerst dahin gebracht, kennen auch den Ort in Europa, wo es zuerst verkündigt worden ist. Paulus, der bei Damaskus von dem Herrn bekehrte Paulus, war der erste, der das Evangelium von Asien nach Europa brachte. Ihm erschien ein Gesicht bei der Nacht (Apostelg. 16), das war ein Mann aus Macedonien, der stand und bat ihn und sprach: Komm hernieder in Macedonien und hilf uns. Das galt ihm für einen Ruf des Herrn. Er mit etlichen Genossen machte sich auf und kam nach Philippi, der Hauptstadt Macedoniens, gelegen auf einem Berge, am Flusse Strymon, nicht weit vom Meere. Hier nun predigte er etliche Tage das Evangelium. Ihr wißt von der Bekehrung der Lydia, von der Gefangennehmung der Friedensboten, dem nächtlichen Wunder ihrer Rettung, der Umwandlung des Kerkermeisters. So entstand die erste europäische Christengemeinde, von Paulus gestiftet, die mehr und mehr wuchs und aufblühete. Ungefähr zehn Jahre nachher, da der Apostel in Rom gefangen saß, schrieb er, wie an andere Gemeinden, so auch an die zu Philippi. Weil sie mit besonderer Liebe an dem Apostel und seiner Lehre hing, so hatte sie einen Boten, den Epaphrodit, zu ihm nach Rom gesandt, der ihm nicht nur Nachricht mittheilte über den Zustand der Gemeinde, sondern auch eine von der Gemeinde zusammengebrachte Unterstützung an Geld überbrachte. Von keiner andern Gemeinde nahm Paulus eine solche Unterstützung an - auch wenn er Mangel hatte, wollte er Niemand beschwerlich werden, sondern nährte sich von seiner Hände Arbeit als Zeltfabrikant; - nur von der ihm besonders theuren Gemeinde zu Philippi nahm er von Zeit zu Zeit eine Gabe der Liebe an. Das nun gab Veranlassung zu der Epistel an die Philipper, die er mit dem Epaphrodit an sie zurücksandte. Wir erkennen aus ihr den blühenden Zustand dieser Gemeinde. Zwar war auch sie von falschen Aposteln bedroht, und neben dem Samen des Evangeliums wuchs in Etlicher Herzen das Unkraut der Sünde, wie überall; doch waren die Christen dort im Ganzen einmüthigen Geistes, treu und gehorsam gegen des Apostels Wort, standhaft in der Trübsal und reich an Werken der Liebe. Daher spricht auch Paulus seine Freude über sie aus, dankt für ihre Anhänglichkeit an ihn, aber ermahnt sie zugleich zur Demuth und warnt vor dem Sauerteig der Irrlehrer. Ihre Angelegenheiten, wie seine eigenen, bespricht er in der Epistel, und webt sie in einander zu einem schönen Ganzen. Christen, laßt uns diese Epistel ansehen, als wäre sie auch an uns geschrieben, und so werde denn, wozu der Herr seinen Segen geben wolle, in einer Reihe von Predigten dieser Brief des Apostels näher von uns betrachtet. Heute laßt uns den Friedensgruß betrachten, womit der Apostel beginnt.

Phil. 1, V. 1-2:
Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, allen Heiligen in Christo Jesu zu Philippi, samt den Bischöfen und Dienern. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo.

Hier finden wir den Gruß und Wunsch, der in allen Briefen des Apostels wiederkehrt. Der Gruß ist an Alle gerichtet, an alle Heiligen. Das Wort „Alle“ gibt ihm seine sonderliche Liebe zu dieser Gemeinde ein; er schreibt wie ein abwesender Vater an seine Familie schreibt, der in seinem Gruß wohl gar alle Kinder bei Namen nennt, was gern auch der Apostel thäte, wenn es möglich wäre. Mochten immerhin Einige ihm ferner stehen als die Uebrigen, so schließt er doch auch sie nicht aus, er trägt sie Alle auf dem Herzen. So umfaßt nun auch der Wunsch, den er ausspricht, alles Gute, das man sich nur denken mag. Denn wenn er spricht: Friede mit euch! so sollt ihr wissen, daß das Wort „Friede“ zwar zunächst die Herzens- und Gewissensruhe bezeichnet, die aus der Versöhnung mit Gott hervorgeht, aber als Grußwort zugleich alles übrige Wohlergehen in sich schließt. Dieser Friede ist ein Werk der Gnade, daher auch Paulus hier, wie in allen seinen Episteln, die Gnade dem Frieden voran gehen läßt. Was ist Gutes in der Gemeinde, und was kann ihr wahrhaft Gutes widerfahren, das nicht von der Gnade käme? Laßt uns darauf unsern Text einmal näher ansehen. Geleitet von ihm wollen wir das Werk der Gnade näher betrachten, nämlich 1. das Band, das sie knüpft, und 2. den Frieden, den sie wirkt.

Wir bitten dich, heiliger Geist, daß du diese unsere Betrachtung leiten und mit deinem Segen begleiten wollest.

1.

Welch ein Band ist es denn, das die Gnade knüpft? Vor Allem ein Band zwischen uns und dem Herrn, wovon wir ein Zeugniß gleich in der ersten Reihe unsers Textes finden: „Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi.“ Wenn sonst der Apostel seinem Namen seinen Amtstitel „Apostel“ hinzufügt, so thut er es hier nicht. Gepränge will er mit seinem Apostelamt nicht machen, und bei den Philippern war es nicht nöthig, auf sein apostolisches Ansehen zu dringen, weil unter ihnen Keiner es läugnete. Daher macht er keinen Unterschied zwischen sich und Timotheus, sondern stellt diesen sich gleich, wie denn auch bei Gründung der Gemeinde zu Philippi dieser Mann auf ganz gleiche Weise mit ihm gewirkt hatte. Er war sein Begleiter gewesen, und nun war er bei ihm in Rom, daher er zu seinem eigenen Gruße den Gruß des den Philippern wohlbekannten, theuren Timotheus fügt. Aber Beide führen den Namen „Knechte Jesu Christi.“ Manches Ohr in unserer Zeit hört nicht gern das Wort Knecht, wenn es unser Verhältniß zu dem Herrn bezeichnen soll. Es kommt noch hinzu, daß die Knechte zu Pauli Zeiten Leibeigene waren. Also Paulus und Timotheus Leibeigene Christi? Ja! und nicht Leibeigene nur, sondern Christi Eigenthum auch nach ihrem ganzen inwendigen Menschen, mag nun an den Verstand, oder an das Gefühl, oder an den Willen, oder an Anderes gedacht werden. Fürwahr! es ist ein schönes Werk der Gnade, daß, wenn sie Jemanden zu einem Lehrer oder Prediger macht, sie ihn Christo ganz zu eigen gibt, nach Leib und Seele, nach allen Bewegungen innerlich und äußerlich. Wer nicht Christi Knecht sein will, der lege seine Hand nicht an den Pflug des christlichen Lehramts. Wer dem Erlöser nicht ganz gehört, der gehört ihm gar nicht; man kann nicht zugleich Christo dienen und der Welt. Habt Paulum vor Augen, ihr lieben Pastoren, und Jegliches, das ihr thut, es sei mit Worten oder Werken, das thut Alles in seinem Namen und Dienst. Ich bitte dich innig, mein Erlöser, daß du immer mehr alle Bande zwischen mir und der Welt, zwischen mir und meinem Fleische lösen, und schaffen wollest, daß ich ganz dein eigen sei, und auf Nichts sinne, als wie ich dir diene mit allen Kräften alle Tage bis an meinen Tod. Ich will gerne dein Knecht heißen, dein Joch ist sanft und deine Last ist leicht, und jemehr ich dir angehöre, desto mehr bin ich frei.

Aber, Christen, wie steht denn ihr zu dem Herrn? Ihr werdet Heilige in Christo Jesu genannt. Auch das drückt die innigste Gemeinschaft zwischen euch und eurem Erlöser aus. Keiner nenne sich einen Christen, der nicht ein Heiliger ist oder sein will. Was bedeutet denn das Wort? Das Heilige ist ein der Welt und ihrem Dienst Entnommenes, und dagegen Gott und seinem Dienste Geweihetes. Seid ihr nicht heilig in diesem doppelten Betracht? Würdet ihr nicht getauft, damit der alte Adam in end stürbe mit seinen Sünden und bösen Lüsten, und wiederum auferstände ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewiglich lebt? Seid ihr nicht Gottes Tempel, in welchen der heilige Geist wohnet, dessen Werk es ist, daß er Sünde, Welt, Tod und alles Ungöttliche aus euch wegschaffe, und euch von einer Stufe des Glaubens, der Liebe, der Tugend auf die andere hebe? Alle Veranstaltungen der Gnade, die Gott in Christo getroffen hat, von seiner Menschwerdung an bis zu seiner Erhöhung in den Himmel; alle. von Gott verordneten Gnadenmittel, von der Taufe bis zum Sterbesacrament; alle Wege, die die Gnade mit dem Einzelnen geht - sie ist ja eine liebende Mutter, die ihn von seiner Wiege leitet bis an sein Grab: - zielt dies Alles nicht auf eure Heiligung ?, Erfülle euch nur die in Christo offenbar gewordene Liebe, welche Gnade heißt, so hört ihr auf, Kinder der Welt zu sein, und werdet Gottes Kinder und Christi Eigenthum. Du hast Herrliches und Großes aus uns gemacht, treuer Gott! Es war nicht unser Verdienst und Würdigkeit, daß du das thatest, sondern aus freier, unverdienter: Gnade hast du uns, die wir verlorene Menschen waren, zu deinem Eigenthum gemacht für Zeit und Ewigkeit.

Es ist ein schönes Band, welches die Gnade knüpfet zwischen uns und Gott. Durch ein nicht minder schönes Band verknüpft sie uns unter einander. Unser Text weiset uns hin auf eine der herrlichsten Christengemeinden der ersten Zeit. Da standen Hunderte zusammen wie Ein Mann, oder, wie die Schrift es nennt, sie waren Ein Herz und Eine Seele. Alle glaubten an dasselbe Evangelium, hingen an Einem Herrn, an Einem Gott und Vater Aller; waren erfüllt mit einerlei Segen an himmlischen Gütern; gingen Einen Weg, verfolgten Ein Ziel; Einer stand für Alle, Ale standen für Einen. Waren sie das von Anfang an gewesen? Nein, die Gnade Gottes hatte sie dazu gemacht. Als Paulus nach Philippi kam, waren noch Alle Götzendiener und Kinder der Welt, waren wie irrende und verlorene Schaafe in der Wüste dieser Welt. Da aber wurde die Stimme des Evangeliums unter ihnen laut; die Verlorenen wurden gerufen, die Gerufenen wurden gesammelt, die Gesammelten wurden geheiliget, die Geheiligten wurden Eine Heerde unter Einem Hirten. War's also nicht die Gnade, die dies Band unter ihnen knüpfte? Und mit welcher Sorgfalt wachte die Gnade, daß dies Band nicht wieder zerreiße, sondern immer stärker und Fester würde! Wozu sonst die Bischöfe und Diener, die Paulus grüßet, nach seiner Liebe, die über der Heerde nicht der Hirten vergessen will, wie es denn immer der Liebe Art ist, daß sie in's Einzelne geht. Bischöfe.- denkt bei diesem Namen nicht an Männer, die in Ehre und Ueberfluß leben; nein, sie standen den Uebrigen äußerlich gleich, nur daß sie das Amt hatten, wie auf sich, so auf die Heerde zu achten, die sie weiden sollten auf der grünen Aue des Evangeliums (Apostg. 20). Diener oder Diakonen, dergleichen schon eingesetzt waren in der ersten Gemeinde zu Jerusalem (Apostg. 6); sie hatten die Sorge für die Armen, dienten beim Tische des Herrn, tauften und predigten auch wohl. Dergleichen Aemter führten die Apostel ein, um der Heerde willen, damit sie nicht wieder zerstreuet würde, und Alles ordentlich zuginge. Christen, sind nicht auch wir eine Gemeinde des Herrn, verbunden, wie mit ihm, so unter uns? Kann es ein schöneres Band geben, das uns verknüpft, als das Band des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe ist? Ach, daß nur alle Einzelnen so unter sich, und mit ihren Hirten verbunden wären, wie sie es in Philippi waren!

2.

Solche Bande knüpft die Gnade. Und nun laßt uns ihres zweiten Werks gedenken, davon in unserm Texte die Rede ist, nämlich des Friedens, den sie wirkt. Gnade sei mit euch und Friede! so lautet der Wunsch des Apostels. Warum stehen denn diese beiden beisammen? Antwort: Weil kein Friede ohne die Gnade ist. Wäre jene Liebe Gottes nicht, die erschienen ist in Christo, und uns mit Gott versöhnt hat durch das Blut am Kreuze, woher dann Vergebung der Sünden nehmen? wo dann Ruhe für die Seele finden? wie dann dem Gerichte Gottes entrinnen, in dieser und in jener Welt? worauf dann unsern Trost gründen und unsere Hoffnung im Leben und im Sterben? Wir wissen zwar, daß Viele sind, die ihre Hand auf's Herz legen und sprechen: Mein Gewissen beißt mich nicht! Sie rufen: Friede! Friede! und bemerken nicht, daß tief im Herzen Krieg ist zwischen ihnen und Gott. Auf dem Marktplatz haben sie Frieden und Ruhe; aber wenn sie mit Gott und sich alleine sind in der stillen Kammer, da klagen oft die Gedanken laut einander an, und das schwarze Hündlein, Furcht genannt, will den Schlaf nicht in ihre Augen und die Ruhe nicht in ihre Seele kommen lassen. Und ob sie auch von keiner Unruhe irgend einer Art wüßten, sondern sorglos und selbstzufrieden Morgens aufwachten und Abends einschliefen, so haben sie dennoch keinen Frieden, denn sie haben keinen Gott, den sie von ganzem Herzen ihren Vater nennen könnten. Sie gehören zu denen, welche sprechen (Offenb. 3, 17): Ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf nichts, und wissen nicht, daß sie sind elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. Werden sie's auch nimmer erfahren? Ja, wenn der Tod sie aus dem Gewühl der Welt in die Einsamkeit bringt; wenn die Augen sich schließen, die nach Außen blicken, und die Augen sich öffnen, die nach Innen schauen; wenn alle Nebel und Wolken des Wahns, der Selbstgerechtigkeit, der weltlichen Luft vor ihnen verschwinden, und sie nun vor dem Richter stehen, vor dem ihre Sünde als das erscheint, was sie wirklich ist: dann wird's auch ihnen klar und offenbar werden, daß jeder Friede, den die Welt gibt oder den man sich selber beut, ein falscher Friede ist. - Darum ist auch nichts auf ihr äußerliches Glück und Wohlergehen zu rechnen, wenn sie etwa darin ihren Frieden suchen. Wer an Christum nicht glaubt, wer also auch in Wahrheit keinen Gott hat - denn Niemand kommt zu Gott ohne Christum, - der rede nicht von Wohlergehen. Und ob er Haus, Hof, Ader, Vieh und Tonnen Goldes hätte, und alle seine Anschläge gelängen ihm wohl, und er fände auf dem Wege der Ungerechtigkeit so viel Geld und gute Freunde, daß er alle Tage herrlich und in Freuden leben könnte: ach, was ist das alles, wenn darauf die Hölle folgt und die Qual? Traue dem stillen Wetter nicht, wenn schon am Horizonte das heranziehende Gewitter steht. Denke an das Wort (Psalm 37): Ich habe gesehen einen Gottlosen, der war trotzig, und breitete sich aus, und grünete wie ein Lorbeerbaum. Da man vorüberging, stehe, da war er dahin; ich fragte nach ihm, da ward er nirgends gefunden.

Woher kommt denn der rechte Friede? Paulus sagt es in unserm Texte: Von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo! War's nicht genug, zu sagen: Von Gott, unserm Vater? Nein! der Apostel will dir zugleich sagen, wie du zu Gott, deinem Vater, kommen sollst. Das ist nicht anders möglich als durch den, der uns erlöset, erworben, gewonnen hat von Sünde, Tod, Teufel, mit seinem heiligen theuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben. Du kannst wohl Vater sagen zu Gott, wie man Herr sagen kann zu Christo, ohne von Neuem geboren zu sein; aber nicht alle, die Herr, Herr zu Christo, und nicht alle, die Vater, Vater zu Gott sagen, kommen zum Frieden und in's Himmelreich. Ohne Kind kein Vater; so frag' ich dich: bist du schon ein Kind Gottes geworden durch Jesum Christum? Ohne Geburt kein Kind; so frag' ich dich: bist du schon durch die Wiedergeburt zur Kindschaft gelangt? Hier ist der heilige Acker, worauf der Friede wächst. Er wächst nicht auf dem Boden des alten Menschen; sondern es muß erst die Buße kommen und den Boden umreißen, und der himmlische Säemann muß kommen und das Wort von der Vergebung auf den Boden streuen, dann wächst aus diesem Wort der Friede heraus. Angethan mit dem Kleid des neuen Herzens, steh' ich vor Gott als ein Kind vor seinem Vater, hab' ihn herzlich lieb und spreche: Vater, ich glaube an den, welchen du für mich hast sterben lassen, und obwohl ich ein verlorner Sohn war, der auf dem Wege des Verderbens ging, so weiß ich doch, daß du mir alle meine Sünden vergeben hast, und sie mir nicht zu meinem Verderben anrechnen willst. So gewiß ich meines Lebens bin, so gewiß bin ich deiner Liebe, die mir alle meine Schuld erlassen hat. – So rede ich mit Gott und habe so den Frieden. Erworben ist er mir von Christo, geschenkt ist er mir von Gott. - Aber kommt doch nicht gleichwohl noch manche Unruhe in meinem Herzen und in meinem Leben vor? Ja, Christen, wir fahren mit unserm Frieden auf einem Meere, wo oft genug die Wellen unser Schiff bedecken. Ich habe wohl gar mehr mit Unruhe zu kämpfen als ein Kind der Welt, welches seine Tage in Sicherheit verlebt. Was macht sich die Welt aus zehn, zwanzig, fünfzig Sünden? Fällt sie nur nicht und bricht ein Bein, so lacht sie über jeden Fall, den sie thut. Ich aber, als Christ, kann nicht lachen, wenn ich gesündigt habe, sondern muß traurig sein und unruhig, bis ich den Frieden wiedergefunden habe. So muß ich nun oft genug mich vor mir selber anklagen und vor Gott, und muß ringen mit Gott im Gebet, daß er mir den Frieden erhalte; wenn ich ihn habe, und mir die Freudigkeit des Herzens wiedergebe, wenn ich sie verloren habe. Mein inneres Leben ist nicht lauter Wonne und Seligkeit. Es kommen Stunden vor, wo mir ist als wäre ich schon verklärt und lebte in der andern Welt; aber dann kommen wieder harte Anfechtungen, Kämpfe, Trübsale, wo es mir oft sehr an Trost und Freudigkeit gebricht. Aber bin ich dann ohne Frieden? Nein, der Friede ist ein bleibendes Gut und gleichsam der ruhende Ton in meinem Herzen, wie sehr auch die Töne der Gedanken und Empfindungen wechseln mögen. Der Friede ist nichts anders als die Gnade Gottes selbst, wie sie Wohnung gemacht hat in meinem Herzen, daher ich schon aus der Gnade fallen müßte, wenn ich sollte aus dem Frieden fallen. Sie sitzet still verborgen im Hintergrunde meines Herzens und führt das Steuer, und lenkt das Schifflein meines Glaubens durch allen Wogendrang des Kampfes hindurch, bis sie es gebracht hat in den Hafen der Seligkeit.

Aber nicht blos diesen innern Herzensfrieden wünscht uns der Apostel, wenn er spricht: Gnade und Friede sei mit euch! sondern, wie ich schon zuvor gesagt, der Friedenswunsch schließt in sich alles mögliche Wohlergeben. Können wir nun aber sagen, daß es uns in allem Betrachte wohlgehe, wenn wir uns der Gnade Gottes zu erfreuen haben? Sind doch nicht der Heiligen genug, die mit viel äußerlicher Trübsal zu kämpfen haben bis an ihren Tod? ja, wer ein Christ ist im vollen Sinne des Worts, ist der nicht von dem Herrn selbst auf viel Trübsal angewiesen? So bringt mich ja die Gnade um mein Wohlergeben! Wisse aber, mein Christ, jegliche Trübsal, in der die Gnade Gottes verborgen ist, gleicht einer rauhen Muschel, in der eine köstliche Perle steckt, ja, die Gnade ist um so köstlicher, je rauher ihre Außenseite ist, wie ja ein schönes Bild durch einen schwarzen Rahmen gewinnt. Glück ohne Gnade ist ein übertünchtes Grab, und wie viele der sogenannten Glücklichen gibt es, deren Glück wie ein schöner Marmorstein über dem Moder eines verlorenen Herzens steht! Dagegen Trübsal mit Gnade ist wie ein Gewölk, hinter dem die Sonne steht. Da muß es heißen, wie Paulus spricht (2 Cor. 6): Als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertödtet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch Viele reich machen; als die Nichtsinne haben und doch Alles haben. – Mit deiner Trübsal, lieber Christ, wie schwer ihre Last auch sei, kannst du des Abends vor deinen himmlischen Vater treten, und das einzige Wort „lieber Vater,“ zu Gott gesprochen aus kindlichem Herzen, macht, daß dein Auge sich mit Trost- und Freudenthränen füllt, und der Trübsalsstein zu einem weichen Kissen wird, worauf du ruhig einschläfst als in den Armen der Gottesliebe. Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, wenn ich in deiner Liebe ruh'! - Aber sei auch überzeugt, daß die Gnade Gottes, wenn sie dir gleich Trübsal schickt, dir dennoch nicht mehr schickt, als du tragen kannst. Zum Hungern und Dürsten kann es kommen, aber auch zum Verhungern und Verdursten? Der Herr fragte einst seine Jünger: Habt ihr auch je Mangel gehabt? Sie antworteten: Nie keinen! Gewiß, der Herr hat noch jetzt die Seinen lieb und sorgt für sie. Und wenn er es sollte bis zum Hungertode kommen lassen mit mir, nun, so weiß ich, andere Christen haben eines noch härteren Todes sterben müssen. Was aber ist das Leben mit aller seiner Trübsal? Die Kampfbahn, deren Ziel die Krone eines ewigen Wohlergehens ist. - Was dir dann auch begegne, mein Christ, bete und sorge nur, daß du allezeit der Gnade deines himmlischen Vaters dich mögest zu erfreuen haben. Die bleibe dir, die nehme in dir zu wie der wachsende Mond, so bist du fest und innig mit Gott verbunden, und hast den Frieden, davon Christus sagt: Den Frieden lass' ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, ich gebe euch nicht wie die Welt gibt (Joh. 14).

So bleibe denn und nehme zu
Die Gnade in uns allen!
Sie bringt mir Freud' und Seelenruh'
Und Gottes Wohlgefallen.
Sie gibt zum Beten Lust und Kraft;
Sie ist's, die Gutes in mir schafft ;
Sie hilft mein Kreuz mir tragen;
Ich sterbe auch auf Gnade hin,
Von Gnaden bin ich, was ich bin!
Will ich im Himmel sagen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/kaehler_c/kaehler_philipperbrief_1_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain