Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - VII. Jesus Christus, der wahrhaftige Gnadenstuhl.

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - VII. Jesus Christus, der wahrhaftige Gnadenstuhl.

Text: Röm. 3, 23-26.
Denn es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder, und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten; - und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist; welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut, damit Er die Gerechtigkeit, die vor Ihm gilt, darbiete, indem, dass er Sünde vergibt, welche bis anhero geblieben war unter göttlicher Geduld; auf dass Er zu diesen Zeiten darböte die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, auf dass er allein gerecht sei, und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesu.

Die noch im Todesschlafe der Sünde gebundene Seele weiß gar nichts von der Bedeutung der Passionszeit; nur die Gründlicherweckten beherzigen es; sie hören mit Schrecken, dass sie verloren sind, und sehen mit Entsetzen, dass sie dem Abgrund einer schauerlichen Ewigkeit zueilen; denn sie haben es verstanden und auf sich angewendet, was der Heilige Geist in unserm Text von uns Allen bezeugt: „Es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder, und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten.“

Wir haben unsern Ruhm, das Ebenbild Gottes, das uns anerschaffen war, verloren; aber durch die Gnade Jesu Christi können wir es wieder erlangen, wenn wir es mit rechtem Ernst suchen.

„Denn wir werden ohne Verdienst gerecht aus Seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist.“

Jede erweckte Seele findet sich gar bald zurecht in diesen Wahrheiten; der forschende Denker hingegen kann es nur schwer fassen, dass zu unserer Erlösung das Opfer Christi nötig war. Wir wollen darüber nicht streiten, sondern mit offenem Ohr es vernehmen, was da heißt: „Gott hat Jesum vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut, damit Er die Gerechtigkeit, die vor Ihm gilt, darbiete, indem, dass er Sünde vergibt, welche bis anhero geblieben war unter göttlicher Geduld.“

Mit dem einzigen Wort: Gnadenstuhl, ist uns die vollständige Gottestat zu unserm Heile erklärt, wenn wir es zu Herzen nehmen, was es bedeutet. Freilich ist das Wort zentnerschwer für den menschlichen Stolz; das Weltgeschwätz geht nur immer darauf aus, dass der leidende und sterbende Heiland ein Vorbild der Tugenden sei, dem man nachfolgen müsse, um die Seligkeit zu verdienen; aber dass wir durch sein blutiges Opfer gerecht und selig werden müssen, das ist der Welt eine fremde Sprache. Der erleuchtete Christ hingegen weiß, dass in dem Gnadenstuhl des Neuen Bundes Alles zusammengefasst und angewendet ist, was der Alte Bund in diesem Vorbild uns darstellt1).

Am großen Versöhnungstag ging jährlich Einmal der Hohepriester Israels in das Allerheiligste, hinter den Vorhang, und besprengte siebenmal mit dem Blut des Sündopfers den goldenen Deckel der Bundeslade, den man den Gnadenstuhl nannte; dadurch wurden die Sünden der Priester und des Volkes versöhnt, dass sie blieben unter göttlicher Geduld, bis Der erschiene, welcher durch den Gnadenstuhl vorgebildet war, und eine ewige Erlösung stiftete für Alle, die nach der Gnade verlangen, und an Ihn, den Retter der Sündenwelt, sich gläubig flehend wenden. Das ist ein wichtiger Gegenstand zur ernsten Betrachtung:

Jesus Christus, der wahrhaftige Gnadenstuhl.

  1. Von Ihm geht alle Versöhnungsgnade aus.
  2. Der Zutritt zum Gnadenstuhl ist nun Allen aufgeschlossen.
  3. Wenn Gott einen Menschen dazu beruft, hört die göttliche Geduld auf.

I.

Der Gnadenstuhl war der Mittelpunkt des ganzen israelitischen Gottesdienstes; von da aus redete der Herr mit seinem Volk; in ihm vereinigten sich alle Strahlen des göttlichen Lichtes. So ist Jesus Christus der wahrhaftige Gnadenstuhl; er ist der Mittelpunkt der ganzen Religion; durch Ihn redet der Vater zu uns; niemand kommt zum Vater, denn durch Ihn; er ist das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen; und obgleich die Welt Ihn noch nicht kennt, wird doch um seinetwillen die Welt erhalten; Er hält uns, dass wir nicht untergehen; ja, auch seine Feinde und Spötter trägt er mit göttlicher Geduld, denn auch für sie hat er gelitten und sein teures Blut vergossen, damit für sie noch Gnade möglich sei, wenn sie die Gnadenzeit benutzen und sich retten lassen wollen.

Er ist darum für Alle gestorben, auf dass die, so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern Ihm, der für sie gestorben und auferstanden ist. Die jährlichen Opfer der Priester haben aufgehört, denn mit Einem Opfer hat der Heiland Alles vollbracht; Er hat mit Einem Opfer, das ewig gilt, in Ewigkeit vollendet die geheiligt werden.

So ist Er zugleich der Hohepriester der Menschheit und das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt. Wie wunderbar, wie herrlich hat sich in Ihm die erbarmende Liebe Gottes geoffenbart! Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.

Welches große Opfer war nötig, den Zorn des strafenden Gesetzes zu tilgen, damit der Verkläger verworfen würde, der uns verklagte Tag und Nacht vor Gott. Aber nun ist demselben die Macht genommen wider uns aufzutreten im Gericht. Wir haben einen Fürsprecher beim Vater, Jesum Christum, der gerecht ist; und derselbe ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unsern, sondern auch für die der ganzen Welt2).

Wenn nun des Menschen Sohn, denn der Vater alles Gericht gegeben, erscheinen wird in seiner Herrlichkeit, und die letzte Entscheidung über die Menschheit ergeht, dann dürfen nicht nur die Seinen getrost vor Ihm stehen, als Begnadigte, sondern sie helfen Ihm richten, und werden manche Seelen noch zu Gnadenstuhl bringen, die ihnen teuer sind, und deren Namen im Buch des Lebens sich finden, weil sie ihnen Gutes getan haben, und im Gerichte der Grundsatz gilt: Was ihr getan habt Einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir, dem Heiland selber, getan.

O wohl uns einem Herrn anzugehören, der Alle, die nur noch von ferne eine Empfänglichkeit für die Gnade haben, beseligen will! So kommt denn, und nehmt aus seiner Fülle Gnade um Gnade!

II.

Der Zutritt zum Gnadenstuhl ist nun für Alle aufgeschlossen. Der Hohepriester des Alten Bundes durfte nur Einmal im Jahre allein ins Allerheiligste gehen; für die andern Priester und für das Volk war der Gnadenstuhl unzugänglich. Nun aber ist der dichte Vorhang zerrissen, von oben an bis unten aus, denn unser Hohepriester ist Einmal eingegangen mit seinem eigenen Blut, und hat denen, die mit seinem Blute besprenget und geheiligt sind, den Zutritt erworben, dass wir dürfen mit Freudigkeit auch eingehen in das Heiligtum, durch das Blut Jesu; wer an den hohen Wert dieses Blutes glaubt, komme nur, denn es ist Alles bereit!

Da ist nun die Kraft des Wortes: Glaube, recht zu erfassen. Der Glaube ist nicht menschliches Wissen oder Meinen; jenes kann aufwändig gelernt werden, und wohnt nur im Kopf; das Meinen hat keinen festen Grund und ist leere Einbildung. Der Glaube hingegen wird durch Gottes Heiligen Geist gewirkt, in einem Herzen das nach Gnade verlangt, weil es über seine Sünden Buße tut. O es ist ein lebendig, mächtig Ding um den Glauben; er treibt zur Tat und ist immer im Tun. Er fragt auch nicht lange, ob gute Werke nötig seien; sondern ehe man fragt, hat er sie schon getan und ist immer im Tun; denn in Christo Jesu gilt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist; sich aufzuopfern für Den, der sich selbst für uns am Kreuz geopfert hat, für Ihn Alles hinzugeben, der für uns des Himmels Herrlichkeit hingab, für uns arm ward, und sein Herzblut vergoss uns zu erlösen, das ist der wahre, der christliche Glaube. Alles Andre ist nur Wahn und Selbstbetrug.

Glaubst du einmal von Herzen, dass das Blut Jesu Christi dich rein macht von aller Sünde, so kommt die Kraft dieses Blutes über dich in aller Sündennot, und du erfährst an dir selber seinen unendlich hohen Wert. Des Leibes Leben ist im Blut, sagt der Herr, und ich habe es euch zum Altar gegeben, dass eure Seelen damit versöhnt werden, denn das Blut ist die Versöhnung für das Leben3). Diese Stelle des geheimnisvollen Leviticus sagt in wenig Worten, warum Christus dargestellt worden ist zum Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut und an sein Blut, denn dieser Sinn liegt ebenfalls in unserer Stelle.

Durch Vergießung seines teuren Gottesblutes hat er seine Gemeine erworben4); Er hat sein Leben, das in seinem Blut war, freiwillig ausgegossen in unsere Welt des Todes5); und nun ist sein Fleisch und Blut eine Nahrung und ein Trank für die Auferstehung bei unserm Eingang zu dem ewigen Reich Jesu Christi, der uns zur ersten Auferstehung, zur Auferstehung der Heiligen berufen hat6). Darum nannten auch die ersten Christengemeinen das heilige Mahl: Pharmakon Athanasias, d. i. Arzneimittel der Unsterblichkeit. Wer mein Fleisch isst, und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am jüngsten Tage auferwecken7).

Das war der Glaube aller wahren Christen zu allen Zeiten, und ist es noch. Wer sich aber dieses Glaubens schämt, und mit allerlei Deuteleien des Unglaubens die Wahrheit des göttlichen Wortes entkräften will, mag sich seiner Weisheit rühmen; wir halten es mit der göttlichen Torheit, die weiser ist als die Menschen sind, und mit der göttlichen Schwachheit, die stärker ist als die Menschen sind8).

Wenn wir recht oft die Erlaubnis benutzen, das heilige Sakrament des Altars im Glauben zu genießen, finden wir, dass ein ganz eigentümliches Leben in uns kommt, nämlich die Erlösungsgnade durch das Blut Jesu Christi9), die Heiligung unsers Wandels, die Kraft der Sünde siegreich zu widerstehen, und die Versicherung der zukünftigen Herrlichkeit. Solches wirkt in uns Jesus Christus, der treue Zeuge, und Erstgeborne von den Toten, ein Fürst der Könige auf Erden; der uns geliebt hat, und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut; und hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater; demselben sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit10). Amen.

III.

Für alle dazu Berufenen hört nun die göttliche Geduld auf. Das ist dem Christen keine schreckliche, sondern eine sehr tröstliche Versicherung, denn die Sünden waren bis dahin nicht vergeben, sondern in Geduld von Gott getragen worden; ein Beweis davon war die Erhaltung der jüdischen Nation, und ihre Wiederherstellung aus der babylonischen Gefangenschaft. Nun aber können und sollen die Seelen völlig und ewig begnadigt werden. Er bietet zu diesen Zeiten die Gerechtigkeit dar, die vor Ihm gilt; auf dass Er allein gerecht sei, und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesu. Denn Christus ist des Gesetzes Ende, wer an den glaubt, der ist gerecht11). Das ist die Wirkung des Versöhnungsleidens unsers Heilandes; ein Wunder der erbarmenden Liebe Gottes. Darum ermahnen wir euch als Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt; denn Er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört, und habe dir am Tag des Heils geholfen. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils12).

Welch ein Friede erfüllt das Gnadenkind! ja, der Friede Gottes, der über alle Vernunft geht, und Herz und Sinne in Christo Jesu bewahrt; dass es getrost und fröhlich rühmen darf:

Ich habe nun den Grund gefunden,
Der meinen Anker ewig hält!

Ich bin frei von der Erbsünde, und von allen andern Sünden, die ich seit meiner frühesten Jugend begangen habe; das ist die herrliche Freiheit der Kinder Gottes; und darum kann ich auch mit aller Freudigkeit dem Grab und Gericht entgegen gehen, denn das Blut Jesu Christi, welches Besseres redet denn Abels, hat meine ganze Schuld getilgt, und ich bin erlöst, nicht mit Gold noch Silber, sondern mit dem teuren Blute Christi, des unschuldigen und unbefleckten Lammes13). Das ist das innerliche Entzücken der Braut, die ihrem himmlischen Bräutigam zueilet, und deren Denken und Fühlen in dem Einen Worte zusammengefasst ist:

Mein Freund ist mein, und ich bin sein!

Da kann nicht mehr die Rede sein von göttlicher Geduld, sondern nur von Liebe und Gegenliebe, mit seliger Dankbarkeit.

Ganz anders ist es dagegen mit denen, welche ihre Gnadenzeit ungenützt verstreichen lassen und im Unglauben frevelnd widerstreben; die trägt Er allerdings mit großer Geduld, als Gefäße des Zorns, die da zugerichtet sind zur Verdammnis14). Aber wenn das Maß voll ist und überläuft, dann hat auch die Geduld ein Ende, und es bleibt solchen Frevlern, welche das Evangelium des leidenden und sterbenden Heilandes mit Verachtung von sich gestoßen, kein anderes Opfer mehr für die Sünde, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird15).

Unsere Zeit eilt dahin, und ist uns sehr kurz zugemessen; o nehmt die Gnadenpredigt mit Heilsbegierde auf. Seht zu, dass nicht jemand unter euch ein arges ungläubiges Herz habe, das da abtrete von dem lebendigen Gott, sondern ermahnt euch selbst alle Tage, so lange es heute heißt, dass nicht Jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. Denn wir sind Christi teilhaftig geworden, so wir anders das angefangene Werk bis an das Ende fest behalten16).

Entscheide dich, o liebe Seele; heute so du Gottes Stimme hörest, so verstocke dein Herz nicht:

Heute bietet Gottes Güte
Dir, und mir, und Jedermann,
Ein neu Herz und neu Gemüte,
Einen neuen Geist dir an.
Mache, dass der heut'ge Tag
Dein Geburtsfest werden mag!

1)
Man lese nur: 2. Mos. 25,17-22 und 3. Mos. 16,12-16.
2)
1 Joh. 2,1-2.
3)
3. Mos. 17,11
4)
Apg. 20,28
5)
Joh. 10,18
6)
Offb. 20,6
7)
Joh. 6,54
8)
1. Cor. 1,25
9)
Eph. 1,7
10)
Offb. 1,5-6
11)
Röm. 10,4
12)
2. Cor. 6,1-2
13)
1. Petr. 1,18-19
14)
Röm. 9,22
15)
Ebr. 10,27
16)
Ebr. 3,12-14
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