Gerok, Karl von – Andachten zum Psalter - Psalm 10.

Gerok, Karl von – Andachten zum Psalter - Psalm 10.

(1) Herr, warum trittst du so ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not? (2) Weil der Gottlose Übermut treibt, muss der Elende leiden; sie hängen sich aneinander und erdenken böse Tücke. (3) Denn der Gottlose rühmt sich seines Mutwillens und der Geizige segnet sich und lästert den Herrn. (4) Der Gottlose ist so stolz und zornig, dass er nach niemand fragt; in allen seinen Tücken hält er Gott für nichts. (5) Er fährt fort mit seinem Tun immerdar; deine Gerichte sind ferne von ihm; er handelt trotzig mit allen seinen Feinden. (6) Er spricht in seinem Herzen: Ich werde nimmermehr darnieder liegen; es wird für und für keine Not haben. (7) Sein Mund ist voll Fluchens, Falsches und Trugs; seine Zunge richtet Mühe und Arbeit an. (8) Er sitzt und lauert in den Höfen, er erwürgt die Unschuldigen heimlich; seine Augen halten auf die Armen. (9) Er lauert im Verborgenen, wie ein Löwe in der Höhle; er lauert, dass er den Elenden erhasche, und erhascht ihn, wenn er ihn in sein Netz zieht. (10) Er zerschlägt und drückt nieder und stößt zu Boden den Armen mit Gewalt. (11) Er spricht in seinem Herzen: Gott hat es vergessen, er hat sein Antlitz verborgen, er wird es nimmermehr sehen. (12) Stehe auf, Herr Gott, erhebe deine Hand; vergiss der Elenden nicht. (13) Warum soll der Gottlose Gott lästern und in seinem Herzen sprechen: Du fragst nicht danach? (14) Du siehst ja, denn du schaust das Elend und Jammer, es steht in deinen Händen; die Armen befehlen es dir, du bist der Waisen Helfer. (15) Zerbrich den Arm des Gottlosen und suche das Böse; so wird man sein gottloses Wesen nimmer finden. (16) Der Herr ist König immer und ewiglich; die Heiden müssen aus seinem Lande umkommen. (17) Das Verlangen der Elenden hörst du, Herr; ihr Herz ist gewiss, dass dein Ohr darauf merkt; (18) Dass du Recht schaffst den Waisen und Armen, dass der Mensch nicht mehr trotze auf Erden.

Als David in seinen letzten Tagen durch die Volkszählung, die er gegen des Herrn Willen aus hochmütiger Eitelkeit vorgenommen, Gottes Strafgericht über sich herabgezogen, da legte der Herr ihm durch den Propheten Gad dreierlei Strafen zur Wahl vor (2. Sam. 24,13): Willst du, dass sieben Jahre Teuerung in dein Land komme, oder dass du drei Monate vor deinen Widersachern fliehen musst und sie dich verfolgen, oder dass drei Tage Pestilenz in deinem Lande sei? David sprach: Es ist mir sehr angst, aber lass uns in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist groß; ich will nicht in der Menschen Hände fallen. Vom Herrn wollte er jede Strafe sich gern gefallen lassen, aber der Menschen Bosheit, Aufruhr und Empörung, Krieg und Blutvergießen, Lästerung und Verfolgung, das fürchtete er mehr als Pestilenz und Hungersnot.

Und er hatte freilich der Menschen Bosheit und Verfolgung oft genug erfahren und von Grund aus kennen gelernt, das sehen wir aus seinen Psalmen, das sehen wir insbesondere auch aus diesem unserem Psalm, der nichts ist als wiederum ein Klagelied ob dem Übermute der Bösen.

Auch wir, meine Lieben, wenn wir wählen dürften zwischen zwei Trübsalen, würden, denk ich, oft mit David wählen: Lass uns in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist groß; ich will nicht in der Menschen Hände fallen. Ein Übel, das von oben kommt, dünkt uns meist erträglicher als eins, das uns von Menschen widerfährt; eine Krankheit, die der Herr schickt, die können wir mit Geduld ertragen, aber gegen einen Schaden, ein Unrecht, uns von Menschen zugefügt, dagegen empört sich unser Herz, das können wir kaum verwinden. Und das geht ganz natürlich zu.

Was vom Herrn kommt, das kommt aus einer allmächtigen Hand, in der wir nichts als Staub und Asche sind und gegen die wir uns nicht auflehnen können; aber was uns von unsers Gleichen Übles widerfährt, dagegen empört sich unser Stolz, das, meint unser Fleisch und Blut, brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen. Was vom Herrn kommt, das kommt von einer heiligen und gerechten Hand, die allezeit Ursache und Recht hat uns zu züchtigen; aber was uns von Menschen übles widerfährt, das kommt von unheiligen Händen, die nicht tun, was recht, sondern was unrecht ist vor Gott, und die kein Recht haben, uns zu strafen. Was vom Herrn kommt, das kommt aus der treuen Hand eines barmherzigen Vaters, der es wohl mit uns meint, auch wenn er uns weh tut; aber was uns von Menschen Übles widerfährt, das kommt so oft aus boshaftem schadenfrohem Herzen ohne Liebe und Erbarmen. So ist es denn keine Frage: es ist schwerer das Übel zu tragen, das aus Menschenhänden kommt, als das, welches aus Gottes Händen kommt.

Und doch, Geliebte, müssen wir eben auch das Böse tragen lernen, das Menschen uns tun; denn es ist nicht die gewöhnliche Art des Herrn, dass er seinen Kindern, wie dort dem David die Wahl vorlegt: welches Kreuz willst du wählen? sondern wir müssen eben das auf die Schultern nehmen, das er uns auflegt, und da fehlts denn in einer argen Welt auch keinem Knecht Gottes, keinem Jünger Christi an dem Kreuz, das die Bosheit der Menschen uns zimmert; hat ja unser Herr und Meister selber den Seinen gesagt: siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe! und ihnen die Weisung gegeben: So euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wärt ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb, dieweil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum hasst euch die Welt.

Und so erkennt man denn einen Jünger Christi, einen Knecht Gottes insonderheit auch daran, wie er den Hass der Welt, wie er die Bosheit der Menschen erträgt. Zu einer Lektion in dieser schweren Kunst kann uns mit Gottes Hilfe auch unser diesmaliger Psalm dienen:

Das Klagelied einer frommen Seele über den Übermut der Bösen;

der Psalm zerfällt in 3 Teile:

  1. Der Übermut der Bösen. (V. 2-11. 13.)
  2. Der Hilferuf an den lebendigen Gott. (Vers 12-14.)
  3. Der Trost der frommen Seele. (V. 14-18.)

1) Der Übermut der Bösen.

Vers 1 redet David zunächst Gott an, trägt ihm seine Klage vor. Damit zeigt er auch uns die rechte Tür, zu der wir flüchten sollen, wenn die Bosheit der Menschen uns weh tut. Man kann nicht oft genug sagen: klage Gott deine Sache, das ist besser als wieder schelten, wenn man gescholten wird, oder gar selber Rache nehmen am Feind und Böses mit Bösem vergelten.

Freilich, wenns die Schlechten recht übermütig treiben, dann ists uns gerade, als wäre Gott nicht zu Haus, als hätte er sein Angesicht verborgen, seine Hand abgezogen von der Welt. So ist auch unserem David zu Mute. Und doch wendet er sich an Gott, doch klagt er ihm seine Not, doch glaubt er also noch an ein Ohr, das seine Klagen hören, an eine Hand, die seinen Feinden wehren kann. Und darum schildert er seinem Gott den Übermut der Bösen, und zwar Vers 2-7 ihren Übermut gegen Gott. Der Gottlose treibt sein Wesen so frech und übermütig, als wäre fein Gott im Himmel, kein Allwissender, dessen Augen schauen auf alle Menschenkinder, kein Allmächtiger, dessen Arm den frechen Sünder treffen kann, kein Heiliger, vor dem gottlos Wesen ein Gräuel ist, kein Gerechter, der den Erdboden richtet mit Gerechtigkeit. Es ist wahr, alles gottlose Wesen hat am Ende den Unglauben zur Wurzel, den Unglauben an den heiligen lebendigen Gott, der da recht richtet. Wo man im Herzen noch glaubt an Gott und sein Wort und sein Regiment, da kann man ja wahrlich nicht geflissentlich der Sünde dienen, da muss man sich fürchten vor dem gerechten Gericht Gottes. Wo aber dieser Glaube fehlt, wo entweder jener halbe Unglaube ist, der denkt: Gott nimmts nicht so genau mit dem Treiben der Menschen, er hat anderes zu tun, wie es bei Hiob heißt: Was weiß Gott? Wird er hinter dem Dunkel richten? Gewölk ist seine Hülle, dass er nichts sieht und am Kreise des Himmels wandelt er, Hiob 22, oder jener ganze Unglaube, der geradezu spricht: es ist kein Gott; Gott und Heiland, Gericht und Ewigkeit, Himmel und Hölle ist Pfaffentrug wo es so in den Herzen heißt und von den Lippen schallt, da, Geliebte, ist freilich jeder Zaum und Zügel weg, jeder Sünde Tür und Tor geöffnet. Darum ist in unserer Zeit Sünde und Laster soweit verbreitet, darum geschehen soviel Gräuel und Schandtaten allwöchentlich fast landauf und landab, dass die Gerichte nicht mehr fertig werden, weil der Glaube so abgenommen hat unter diesem Geschlecht, weil das Gift des Unglaubens so schrecklich um sich gefressen hat bei Hoch und Nieder, bei Alt und Jung, weil es auch in unserem einst so frommen und gottesfürchtigen Volk bei Tausenden wörtlich heißt, wie im 4. und 5. V. geschrieben steht: „Der Gottlose ist so stolz und zornig, dass er nach niemand fragt, in allen seinen Stücken hält er Gott für nichts. Er fährt fort mit seinem Tun immerdar, deine Gerichte sind ferne von ihm.“

Oder scheinen wenigstens ferne. Wohl trifft Gottes rächender Arm auch jetzt noch manchmal einen frechen Sünder und lässts den Gottesleugner fühlen, dass einer über ihm ist, der da recht richtet, wie wir in den Verhandlungen unserer Schwurgerichte oft lesen, dass auch die geheim begangene Untat, unerwartet, fast wunderbar an den Tag kommt und vor Gericht gezogen wird. Manchmal allerdings richtet Gott plötzlich und gibts auch dem frechen Sünder, gibts auch dem übermütigen Gottesleugner zu fühlen: der alte Gott lebt noch. Aber ebenso oft oder noch öfter verzieht er mit seinen Gerichten, also dass der Frevler in seinem Übermut bestärkt wird. Ist deswegen kein Gott, weil er nicht jeden Frevler gleich auf der Stelle richtet? Nein, der alte Gott lebt noch, das werden einst auch noch die erfahren, die jetzt scheinbar straflos ihn verspotten und ihren Nächsten misshandeln.

Denn, wo keine Furcht mehr ist vor Gott, da ist auch keine Liebe mehr zu den Brüdern, wo man Gott mit Füßen tritt, da wird auch der Nächste misshandelt, wo die erste Gesetzestafel nichts gilt, da hat man auch vor der zweiten in der Regel keinen Respekt. Dieses lieblose, gewissenlose, verderbliche, brudermörderische Treiben der Gottlosen schildert David V. 7-11. Mit wilden Tieren vergleicht er die Bösen, mit einem blutdürstigen Löwen, mit einem tückischen Tiger, der aus seinem Schlupfwinkel plötzlich auf das wehrlose Schaf, auf den harmlosen Wanderer losstürzt, ihn zu zerreißen. Auch diese Schilderung findet leider ihre Anwendung heute noch oft, mitten in christlichen Landen, auch mitten unter unserem Volke gehts oft her wie unter den wilden Tieren. Auf wie manche Raub- und Mordgeschichte, die wir in den täglichen Zeitungen lesen, die in unseren Schwurgerichten abgeurteilt wird, passt wörtlich das Bild V. 9 und 10. Und wenns auch nicht immer so blutig hergeht, wenns auch nicht immer mit Mord und Totschlag endet! ach! wie viel Totschlag wird mit der Zunge getrieben! ach! wie viel wird gehasst, gestritten, misshandelt mit Worten und Gedanken! ach, wie viel Unrecht und Gewalttat üben die Menschen gegeneinander öffentlich und insgeheim, auch mitten im täglichen Leben, auch unter der Decke des äußeren Anstandes, ohne dass es vor das Gericht kommt. Friedlich und reinlich liegen jetzt die Straßen unserer Stadt da draußen im Frühlingssonnenschein, in blanken Reihen stehen die Häuser da und ehrbar geht jedermann seiner Wege. Und doch auch in den friedlichen Straßen dieser Stadt, doch auch in diesen blankgetünchten Häusern, wie viel Hass, Neid, Falschheit, Tücke, Hinterlist, Bosheit lauert verborgen und schleicht bei Tag und Nacht umher, wie ein mordlustiger Tiger! Wie mancher Boshafte sinnt auch jetzt in diesem Augenblick Arges gegen seinen Bruder! Wie mancher Unterdrückte seufzt auch in dieser Stunde schmerzlich gen Himmel! Ja, wenn wir diesen Übermut der Bösen ansehen, ihren Übermut gegen Gott und ihren Übermut gegen die Brüder, wie David ihn schildert und wie er heute noch sich breit macht, dann möchten wir schmerzlich einstimmen in

2) Davids Hilferuf, V. 13 und 14.

Es ist etwas von Kleinglauben in diesem Hilferuf, als wäre der Herr des Himmels eingeschlafen, und doch auch wieder der ehrliche mutige Glaube: der Herr kann tun, er muss tun, er wird tun, was seines Amtes ist. Es ist etwas von Ungeduld in diesem Notschrei, als ob der Herr mit seiner Hilfe zu lange verzöge, und doch auch wieder der redliche Eifer für den Herrn und sein Reich; es ist ja David nicht bloß um seine Person, um seine Ehre, um seine heile Haut zu tun, sondern auch um die aller andern, die Unrecht leiden, ganz besonders aber um die Ehre Gottes und um sein heiliges Reich. In solchem Eifer darf ja wohl auch der Christ gen Himmel rufen: Stehe auf, Herr, und führe deine Sache! Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe, denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Und wohl uns, wenn wir dann unsere Klagen schließen mit

3) Dem Trost der frommen Seele, V. 14-18.

Wie ein brausendes Meer stille wird und den blauen Himmel wiederspiegelt, so wird am Schluss seine klagende Seele stille und der Himmel spiegelt sich wieder darin, der Himmel des Glaubens; des Glaubens an einen allwissenden Gott, „der sieht und schaut alles Elend und Jammer“, des Glaubens an einen allmächtigen Gott, von dem es heißt: „es steht in seiner Hand“ und „der Herr ist König immer und ewiglich“; des Glaubens an einen gerechten Gott, den man nicht vergebens bittet: „Zerbrich den Arm des Gottlosen und suche das Böse, so wird man sein gottlos Wesen nimmer finden“, des Glaubens an einen treuen und barmherzigen Gott, dem „die Armen ihre Sache befehlen, der der Waisen Helfer ist“ und von dem es heißt V. 17 und 18: „Das Verlangen der Elenden hörst du, Herr; ihr Herz ist gewiss, dass dein Ohr darauf merkt; dass du Recht schaffst den Waisen und Armen, dass der Mensch nicht mehr trotze auf Erden“. In solchem Glauben, Geliebte, o da lässt sichs getrost auch Unrecht dulden, solchen Glauben lasst uns lernen von dem Glaubenshelden David, und vor allem vom Anfänger unseres Glaubens, von unserm Herrn und Heiland, der ein solches Widersprechen von den Sündern erduldete und doch stille blieb in der Geduld, getrost blieb im Glauben, denn er stellte es dem anheim, der da recht richtet. Ihn begleiten wir ja in diesen Tagen auf seinem Leidensweg, ihn sehen wir in der Sünder Händen als das Lamm, das den Mund nicht auftut wider seinen Scheerer, und als den Löwen von Juda, der Sünde, Tod und Welt überwindet in der Kraft seines Gottes. Ihn lasst uns bitten, dass er uns lehre Unrecht leiden, den Feinden vergeben und Gott vertrauen:

Du sanfter Jesu warst unschuldig
Und littest alle Schmach geduldig
Und ließt nicht Groll noch Rachgier aus;
Kein Mensch kann deine Sanftmut messen,
Dabei kein Eifer dich gefressen,
Als der um Deines Vaters Haus;
Mein Jesu, ach, verleih
Mir Sanftmut und dabei
Guten Eifer, Jesu, Jesu, hilf mir dazu,
Dass ich sanftmütig sei wie Du!

Amen.

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