Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Dritte Nacht. - Die Gnade.

Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Dritte Nacht. - Die Gnade.

Die Nacht hat Stille und Schlaf über das Schiff verbreitet. Man hört nur ein trauriges Rasseln der Segelstangen, nur das Zischen der Winde und das Geräusch der Wogen, die das Schiff durchschneidet. Alles liegt da in tiefen Schlaf versenkt. Nur der Steuermann wacht, beobachtend die Winde, den Himmel und das Meer, um das Fahrzeug zu lenken. Frei vom Gewirre des Tages, wodurch er sich selbst entfremdet ward, kehrt mein Gedanke zu den erhabenen Betrachtungen, zu Gott und dem Menschen zurück.

O einzige und erste Urquelle, letztes und einziges Ziel aller Dinge, auch ich lenke mein Schifflein mitten auf unermesslichem Meere, um einst an sicherem Gestade zu landen. Du allein bist mein Hafen. Alles übrige ist für mich Wüste, Einöde, wie die Wogengefilde, die ich durchsegeln will. Gold, Freuden, Ehren und was die Welt uns Glänzendes darbietet, sind nur Nebel, die dem Blicke der unvorsichtigen Sterblichen ruhige Hafen, selige Gestade und ein beglücktes Land da verheißen, wo in der Tat nur Fluten, Gefahren und Stürme herrschen. Du, der du von der Höhe herab das Weltall beherrschst, leite mich auf diesem Meere, verleih' mir günstige Winde, lass mich den Klippen ausweichen, die Sirenen vermeiden, die Stürme besiegen. Zeige mir die Richtung, die ich nehmen soll, und lass mich glücklich an den Ort meiner Bestimmung gelangen. Du willst, dass ich umsichtig wache bei der gefahrvollen Fahrt? Siehe, ich wache; bald schaue ich um mich her, bald wendet sich mein Auge zu dir. Du zeigst mir den Pfad und du entdeckst mir die verborgenen Gefahren.

Ach! der Mensch allein ist für sich selbst die reiche Quelle seiner Gefahren und der traurige Urheber kläglichen Schiffbruches. Darum lerne der Mensch vor allem sich selber kennen. Und doch quält und müht und härmt er sich ab, immerfort lernend, was ihm zu wissen nicht frommt, und er lebt und stirbt, sich selbst ein Fremdling. Dadurch verirrt sich das Menschengeschlecht auf tausenderlei Weise, verliert sich und strauchelt, stürzt und geht unter. Aber ist es schon genug, den Menschen zu studieren, um ihn zu erkennen?, Nein, höher muss man seinen Blick erheben; betrachten muss man ihn bei jenem klaren Lichte, das ein höheres Wesen über ihn verbreitet, fragen muss man seinen Urheber. Er allein, der ihn bildete, ist imstande, die Natur, die Bestimmung desselben vollkommen zu erklären. Der Mensch ist nicht jenes Tierische, das wir in diesem flüchtigen Leben an uns tragen. Das, was wir mit den Jahren wachsen und wieder abnehmen sehen, was hienieden der irdischen Nahrung bedarf, ist nur vom Menschen die äußere Hülle. Der Mensch ist das verborgene Wesen, das diesen Ton belebt. Er ist auf der Erde ein Pilger, ein Fremdling, auch seine Speise ist nicht irdisch. Er gehört höheren Regionen an, seine Nahrung ist die Wahrheit, die Weisheit, seine Schönheit die Tugend, sein Bild das Ebenbild des Allerhöchsten, sein Leben Gott.

Der Mensch wird hienieden gebildet, hienieden beginnt er sein Leben, aber er sieht noch nicht den Tag. Dann erst wird er geboren, wenn er befreit und losgebunden von der Last der Materie durch den Tod aus diesem Leben scheidet. Und wie er dann geboren wird, so bleibt er ewig. Wenn die schöne Unschuld, wenn die siegende Tugend hienieden seine Neigungen beherrschen und seinen Willen lenken, dann tritt er in jene Welt, gebildet nach dem höchsten Muster der wahren Schönheit. Dann wohnt in ihm, dem Schüler des ewig Guten, Gottes Geist, der nie in unreiner Wohnung verweilt. Dann wird der Mensch neu geboren und ganz strahlend vom Glanze der. in ihm wohnenden Gottheit. Er wird neu geboren, und bei seiner Geburt offenbart sich sogleich die verborgene Majestät, die ihn über die ganze sichtbare Schöpfung erhebt und der Gottheit nahebringt. Aber wenn die rasenden, ungezähmten Begierden ihn beherrschen und dem Laster preisgeben, dann verlässt er seine sterbliche Hülle, missgestaltet, hässlich und schauderhaft, wie eine Fehlgeburt, wie eine verwachsene Missgestalt, wie eine Missgeburt ohne Leben, weil der Geist Gottes fern von ihm ist. O übernatürliches Licht, o Himmelsfackel, die der gütige Herr seinen Kindern in dieser dunkeln Nacht leuchten lässt, ach! leite freundlich meine schwachen Schritte an der Hand der treuen Wegweiserin, der heiligen Schrift, und lass mich entdecken die ewigen Wahrheiten, die Gott uns verhüllt. Er offenbart sich gern Dem, der mit gelehrigem Herzen auf seine Stimme horcht, und hält sie verborgen den hochmütigen Sterblichen, den blinden Anbetern einer erschaffenen Weisheit. Der Tor findet einen edlen Diamanten und achtet ihn nicht, weil er noch im Rauen ist; es findet ihn der Weise und greift danach mit Freude, schleift die schlechte Außenseite weg und entdeckt das Edelgestein. So sieht der stolze Narr in den heiligen Schriften nichts anderes, als Menschenworte, und verachtet sie. Das fromme Herz nimmt sie ehrerbietig auf, und unter der rohen Schale entdeckt es den verborgenen Sinn und findet dort Schätze göttlicher Weisheit.

Hier führt mich in reißendem Fluge der Gedanke auf die glücklichen Tage der Urwelt. Noch ertönte der Nachhall jener allmächtigen Stimme, die das unermessliche Firmament aus dem Nichts hervorgerufen hatte. Staunend über ihr erstes Licht funkelten die Sterne. Angeregt zum ersten Mal von der bewegenden Kraft, durchliefen die Planeten die endlosen Bahnen, die der Ewige ihrem Kreislaufe bezeichnete. Die Erde, grünend von tausend neuen Gewächsen, prangte unter reinem und heiterem Himmel in noch nie gesehener Schönheit. Und das fischreiche Meer empfing von den Flüssen den ersten Tribut. Und vom Abhange der Gebirge eilten die jungen Quellen murmelnd in schwankendem Laufe hernieder; und die munteren Vöglein lobten in einer noch reinen Atmosphäre die Hand Dessen, der sie eben gebildet hatte. Die ganze Nacht hatte erst begonnen das große Loblied, das sie in so verschiedenen Sprachen dem ewigen Urheber singt. Damals war der Mensch gerecht; so war er hervorgegangen aus des Schöpfers Hand. Unversehrt glänzten in seiner Seele, die erhabenen Züge seines himmlischen Vaters. Sein Geist war voll von jenem Lebensodem, den der Mund Gottes ihm eingehaucht hatte. Er lebte und alle die verschiedenen Geschöpfe, die ihn umgaben, schienen ehrfurchtsvoll an ihm einen erhabenen Sohn ihres Schöpfers zu erkennen. Glücklicher Garten, liebenswürdiger Aufenthalt, worin Gott selbst die Freuden als Gespielinnen der schönen Unschuld berufen: ach! wie kurze Zeit sahst du in diesem seligen Zustande den Menschen! In dein freundliches Gebiet trat die Schuld ein. Das schöne Geschöpf, das anfangs so reizend war, wurde die freiwillige Beute des grausen Ungeheuers, dessen Tochter der Tod ist: und ach! wie stolz ist die Herrschaft, die er sich anmaßt! Freundliches Land, du warst Zeuge des stolzen Wechsels, wodurch ein Sohn Gottes, seine Liebe und Wonne, als Empörer gegen ihn auftrat und als Feind. Die Natur sahst du, treu ihrem Herrn, die Undankbaren bekriegen und sich zur Rache bewaffnen gegen den schuldbeladenen Sünder. Und den Unglücklichen sahst du, zum Spotte der übrigen Geschöpfe, verachtet, niedergebeugt, um= ringt von der schwarzen Schar quälender Sorgen und Schmerzen in harte Verbannung wandern. Da bereitete die Sünde eines Menschen jene Sündflut von Übeln, die nachher stets über die elenden Sterblichen herabkamen. Erde, du bitterer Aufenthalt der Verbannten; der kurze Kreislauf meiner Tage reicht nicht hin, um über alle Unglücksfälle deiner Bewohner zu seufzen. Ich sehe sie gebeugt, atemlos deine Felder bauen, die ihnen karg und nur mit Schweiß ein wenig Brot geben. Ich sehe, wie der grausame Hunger sie schmachtend und halbtot oft zur Erde hinstreckt. Hier zernichten sie vollends kalter Schnee und rauer Frost, dort eine glühende Sonne, ein Himmel, bald mit Erz, bald beständig mit Wolken bedeckt und sich ergießend in Strömen zerstörenden Platzregens, Winde, Stürme, Erschütterungen eines unter ihren Füßen wankenden Erdreichs, reißende Bestien und giftige Insekten. Ich sehe die endlose schwarze Schar von Krankheiten sich nach allen Seiten hin verbreiten, den Krieg sehe ich, ich sehe die Best, mit giftigen Pfeilen bewaffnet, die Nationen wegraffen. Wo ist die den Sterblichen bekannte Küste, die nicht tausendmal von ihrem Wehklagen widerhallte? Wo ist der Boden, den sie nicht mit ihren Tränen benetzten? Wo die Erde, deren Staub nicht vermischt ward mit der kalten Asche des vom Tode aufgelösten Menschen?

O, ihr armen Sterblichen, euch quält das Leben, euch verschlingt das Grab; aber das sind noch nicht die größten Übel, die ich an euch beweine!… Eine schlimmere Erbschaft ist euch zu teil geworden von jenem unseligen Augenblicke an, da euer Stammvater sündigte. Abkömmlinge eines Rebellen werden wir als Feinde Gottes geboren, und seinen Hass - einen weit schlimmeren Tod als der, welcher diesen irdischen Leib zerstört tragen wir in uns, von dem ersten Tage des Lebens an.

Wie wenn die Mutter mit grausamer Gewalttätigkeit die zarten Glieder, die sie in ihrem Schoße trägt, misshandelt, sie presst und verdirbt und daraus Geist und Leben verbannt, so schlich sich damals das tödliche Gift des Ungehorsams in den ersten Menschen ein, tötete seinen Geist, indem es ihn von Gott trennte, und tötete in ihm seine unglückliche Nachkommenschaft. Deswegen erstreckt sich seine unglückliche Trennung vom Urheber des Lebens auch auf seine Kinder, und wir tragen von Geburt an in uns den Leichnam eines Geistes, der mit schwachen Banden an Gliedern hängt, die auch dem Tode geweiht sind. Ach! wir sind alle dürre und verworfene Äste von dem dürren und verworfenen Stamme. Das ist unser Los, und so würde es unabänderlich sein, wenn der beleidigte Gott nicht Mitleid hätte mit dem armen Sünder und seinem Geschlechte. Ihr Jahrhunderte der Urwelt, ihr Jahrhunderte, die ihr die Wunder eines Gottes anstauntet, der mit einem Winke in die leeren Räume den Himmel wie ein Gezelt ausspannte, die Sterne dort befestigte, den Tag und die Nacht schuf und der ganzen Natur unwandelbare Gesetze vorschrieb, seht, ich verkündige euch größere Wunder, Wunder der Liebe und der Erbarmung.

Siehe, Gott steigt auf die Erde, siehe, entäußert von dem unendlichen Glanze seiner Majestät, in der niedrigen Gestalt eines Sünders, eines Schuldbeladenen, eines der ewigen Gerechtigkeit geweihten Schlachtopfers. So verhüllt in unsere Niedrigkeit, wandelte er mehrere Jahre hienieden. Was will er tun? Glaube, leuchtender Glaube, geleite mich zu jenem berüchtigten Berge, auf dem die Hauptstadt Judäas die Missetäter hinrichten lässt. Dort sehe ich mit dem schwachen Auge des Fleisches nur einen Menschen, ans Kreuz geheftet, zwischen zwei Mördern. Ich frage die Welt, die zu diesem grässlichen Schauspiele hineilt, und ich finde bloß, dass Der, welcher so stirbt, ein Gerechter ist, den die blinde Wut eines rasenden Volkes, den der Neid der Großen, den die Verräterei eines Ungeheuers in Menschengestalt und unter dem Scheine der Freundschaft, den der verächtliche Blick eines Richters, der die Unschuld sieht und unterdrückt, dorthin gebracht hat. Ich finde, dass Er nie etwas anderes tat, als die undankbare Nation mit Wohltaten überhäufen, für die Er jetzt blutend da hängt, die Ihn wenige Tage zuvor noch zu ihrem Könige machen wollte. Seltsame Dinge finde ich. Aber die Sonne, die plötzlich der Welt ihr Licht verjagt und ihr Antlitz verbirgt, die Gräber, geöffnet von unsichtbarer Macht; die Erde, die erbebt, ziehen schon meine Aufmerksamkeit auf größere Dinge. Der Vorhang der alten Wohnung des lebendigen Gottes zerreißt, du sprichst zu mir, o Glaube, du zündest mir dein Licht an, und in dem Gerechten, der da stirbt, erkenne ich Gott, der unter den harten Schlägen der eigenen Gerechtigkeit die sündige Menschheit an sich zerstört; Er tötet den fürs ewige Leben erstorbenen Menschen, und erneuert ihn. O des wundervollen Übermaßes von göttlicher Güte! o der staunenswürdigen Macht seiner Liebe! Sieh, da ist vollendet des Himmels Rache an Adams Geschlechte. Der sündige Mensch ist begraben, die Strafe ist gebüßt, und es gibt keinen Schuldigen mehr. Es gibt keinen Schuldigen mehr, weil der Mensch, der da lebt, nicht mehr der vorige ist. Die Epoche des Anfanges des Menschengeschlechtes geht zu Ende, ein Schleier zieht sich über die verflossenen Jahrhunderte hin, und ihr, ihr vergangenen Zeiten, wendet eueren Blick auf jene Zeit, wo euer eigentlicher Ursprung beginnt. Aufgehoben wird für den Menschen jenes Erbübel der alten Abstammung, aufgehoben wird jenes Menschengeschlecht, das an den Ufern des Tigris und des Euphrats aus Ton gebildet war. Aus dem Grabe des alten Menschen geht für uns ein neuer, ein himmlischer Erzeuger hervor, ein Gottmensch, ein Gott Vater. In ihm werden wir wiedergeboren, und durch diese Wiedergeburt werden wir seine werten Kinder, frei von den Banden der Schuld, unschuldige, himmlische und unsterbliche Söhne, denen die Erbschaft des Vaters, die Ewigkeit, die Glorie, die Gottähnlichkeit gebührt.

Aber wie kann der einmal Geborene von neuem wieder geboren werden? Törichte Sprache des gutmütigen, aber mit den Geheimnissen des Welterlösers noch unbekannten Juden! Eure Väter, sprach der Heiland, sind in der Wüste von dem Biss feuriger Schlangen gestorben. Ihre Anführer erhöhten vor ihrem Angesichte eine eherne Schlange, und wer von ihr gebissen, seine Augen auf jene wendet, findet, wenn auch tödlich verwundet, Rettung. So wird einst der unter Menschengestalt verborgene Gott, an einem schmachvollen Stamme erhöht, einem jeden das Leben wieder geben, der, getötet von der alten Schlange, zu ihm sich wendet. Der Geist, den wir als Söhne unseres Stammvaters haben, ist ein Geist ohne Gnadenleben. Derjenige, welcher das Leben ist, kann allein uns dasselbe wieder geben. Bei uns also steht es, seinen Geist aufzunehmen, uns zu seinen Kindern zu machen und durch ihn neu geboren zu werden. Nicht nur den Geist, sondern auch diese seine sterbliche Hülle wandelt er um und gibt ihr eine neue Gestalt. Wenn sein Geist in uns ist, so gehören wir dem Himmel; aber in den Himmel geht nichts Schlechtes, nichts Sterbliches, nichts Verwesliches ein. Dieser irdische und sterbliche Körper, wie wir ihn vom Stammvater haben, gehört der Erde und dem Tode an. Im Himmel erlangen wir ihn wieder, aber so, wie ihn unser neuer Stammvater wieder herstellt, nicht mehr einen irdischen, tierischen, hinfälligen Körper, sondern geistig, unverweslich, unsterblich, umgeben mit Herrlichkeit, mit Himmelsglanze geschmückt, einen Körper, wie er sich schickt für die hohe Abkunft von oben durch die Wiedergeburt in seinem Geiste.

Aber, ewiger Gott, mit welcher Güte lässt du dich zu unserer Niedrigkeit herab, um uns zur unendlichen Höhe deiner Majestät zu erheben? Wenn du kommst, uns zu erlösen, so erblicken wir in dir ein Kind unsersgleichen; wenn du die Schätze deiner ewigen Weisheit dem törichten Volke eröffnest, so nimmst du die Sprache des Landmannes, des Fischers, des Hirten an; und indem du in uns die tiefen Wunder deiner Macht, der Dienerin deiner unermesslichen Liebe, ausübst, bedienst du dich, um unsere Schwachheit nicht ganz zu Boden zu drücken, der gewöhnlichen Zeichen, die unserer Kurzsichtigkeit angemessen sind! So wolltest du, dass die Wiedergeburt deiner sterblichen Kinder im Wasser geschehe, nicht im hehren Glanze, der dich umgibt. Aber, ewiger Gott, wie groß bist du auch dann noch, wenn du dich in niedrigen Dingen verhüllst! Siehe! ich stehe an der Schwelle deines alten Tempels, wo von prophetischer Hand der neue gezeichnet ist, wo die Gebräuche vorhergesagt, die Taten vorgebildet, die Ereignisse geweissagt sind; und ich sehe deutlich ausgedrückt die wunderbare Kraft, die du in deinem neuen Reiche dem Wasser verleihst. Ich sehe dein Volk, unterdrückt vom Herrscher Ägyptens mitten in den Wogen, die deine Macht zerteilte, Leben und Rettung finden, während der stolze Unterdrücker in eben diesen Wassern seinen Untergang und sein Grab fand. So weiche denn der Vorhang, es stürze die Wand, die deinen neuen und alten Tempel von einander trennte, nur eine Fackel, nur ein Licht, derselbe Glaube leuchtet in beiden, und einem einzigen, ewigen Herrn wird da gehuldigt, ein und derselbe göttliche Mittler wird in beiden angebetet. Durch Ihn werden die beiden auserwählten Völker vor und nach Ihm gerettet. Das eine betet Ihn an, ehe Er noch erschienen ist, das andere erkennt und betet Ihn an nach Seiner Erscheinung. Ein Kind, das an den Ufern des Nils dem allgemeinen Untergange der anderen hebräischen Knaben entrann, der Befreier seines Volkes, der Verkünder von Gesetzen, die vorher im Himmel geschrieben waren, der Wundermann, der es auf den von dem Herrn bezeichneten Wegen ins gelobte Land führte, war nur ein Bild Desjenigen, nach dem sich unsere Väter von ferne sehnten. Der glückliche Tag, den die alten Gläubigen von ferne schauten, verhüllt von dem geheimnisvollen Dunkel der symbolischen Gesetz, ist endlich herangekommen und bringt der Erde Denjenigen, an welchem die Vorbilder der alten Zeit in Erfüllung gehen. Ein hebräisches Kind entrinnt dem Gemetzel, wodurch der Tyrann von Juda es aufreiben wollte, aber ein göttliches Kind erhebt sich zur Verteidigung und Rettung Israels und aller Völker. Durch ihn überwindet der Mensch im Wunderbad den höllischen Feind und tritt als neue Kreatur aus demselben hervor.

Aber wenn der Mensch als ein himmlisches Wesen wiedergeboren wird, warum verlässt er nicht alsbald den irdischen Körper und erschwingt sich dorthin, wohin sein Erlöser, nachdem er den Tod und die Sünde besiegt, im Triumphe sich erhoben hat? Erforsche, o Mensch, die Ratschlüsse des Allerhöchsten; aber wenn du sie gefunden hast, so bete sie ehrfurchtsvoll an und fordere nicht, dass Gott dir Rechenschaft gebe von seinem erhabenen Willen. Das evangelische Licht verscheucht die alten Wolken, erhellt die Vorbilder, zerreißt den dunklen Schleier; aber eben dieses Licht hat auch noch seine dunkle Seite. Der größere Teil der ewigen Geheimnisse bleibt hier versiegelt und wird sich uns nicht eher enthüllen, als bis wir dorthin gelangen, wo die Wahrheit ohne Schleier in hellem Lichte glänzt.

Folge mir nur dorthin, wo der trübe Nil sich wälzt, folge Israel, das vor den ägyptischen Schwertern flieht, und lies dein Schicksal in der Geschichte desjenigen, der schon dein Vorbild war. Nicht sogleich nach besiegtem Feinde wirst du in jenes Land eingehen können, das von Milch und Honig fließt. Zwischen ihm und dem roten Meere liegt noch eine große Strecke, es bleiben Feinde zu besiegen, die ihm den Durchzug streitig machen. So wandere nun in der dürren Wüste dieses Lebens, bis der Himmel, der allein die Tage deiner Pilgerschaft gezählt hat, dich beruft in deine ewige Heimat. Wandere, aber treu folge der freundlichen Führerin, der Wolken- und der Feuersäule, die Gott dir vorhergehen lässt, um deine Schritte zu leiten. Wandere und wende dich nicht mit lüsternem Verlangen und mit schändlicher Begierde nach den Gerichten Ägyptens und den geringen Speisen deiner alten Knechtschaft zurück. Du bist kein Sklave mehr, kein Sohn dieser Erde. Himmlische Speise muss deine Nahrung sein, nicht mehr stehendes Sumpfwasser, sondern helles und klares Wasser, hervorgequollen aus dem lebendigen Felsen, worauf die ewige Stadt ruhet, muss deine Labung sein. Wandere und stehe großmütig für dein hohes Geschick, zu dem du berufen warst, als der Himmel dich mitten in den Wassern schützte. Unordentliche Neigungen, sündhafte Begierden werden oft in deinem Busen erwachen, um dich zum Laster anzulocken und in den Tod zu stürzen. Wirf dich nicht weg; es sind dies Auswüchse aus jenem alten Stamme, aus jener alten Wunde, die dir schon einmal den Tod gebracht hat; unselige Auswüchse, die der Erlöser bei der Wiedergeburt nicht vertilgte zu deiner größeren Verherrlichung und zu deinem Besten. Aus keiner anderen Ursache wollte Er, nachdem Er uns von dem verderblichen Joche befreit, uns den feindlichen Waffen noch ausgesetzt lassen, als um einen glänzenden Sieg und einen edlen Triumph davonzutragen und uns alsdann mit Palmen geschmückt und reich an Verdiensten aufzunehmen. Die alte Schlange besiegte einst unter dem Schatten des Unglücksbaumes unsere Schwäche. Gott will, dass zu ihrer Schmach unsere Schwäche von einem neuen Baume herab im Schatten triumphiere. Wir sind schwach aus uns; aber seine Hilfe ist uns immer gegenwärtig und durch Ihn vermögen wir alles. Nie sollst du feige die Waffen hinwerfen, sondern, wenn die alte Schlange durch deine eigene Schuld dich tödlich verwundet und in den vorigen Sklavenstand zurückgeworfen hat, dann wehklage, zerreiß' dir in Bitterkeit das Herz über dein Vergehen; aber gib dich nur nicht gefangen. Dein Vater lebt und ist unsterblich; Er kann dich wieder ins Leben rufen und, ob du auch tot bist, in Ihm kannst du wieder aufleben. Mit zerknirschtem Herzen, mit gläubigem Auge betrachte Ihn am Kreuze, das dir zum Baume des Heiles geworden, und du bist schon lebendig. Und hättest du auch hundertmal undankbar und treulos dich von dem feindlichen Drachen anlocken lassen, weine, seufze und zittere, tauche dein Herz in die Galle untröstlichen Grames, aber begehe nicht die größte aller Missetaten, dass du den Glauben an deinen Vater, Führer und König von dir wirfst. Er lebt immer und ist mächtig, den toten Sohn zu beleben. Er ist stets stärker als sein Feind und hat vollkommenes Recht auf seine Beute, stets kann Er sie fremden Banden entreißen. Allmächtig in seiner Güte, wie in seiner Stärke, gibt es keine Wunde, die Er nicht zu heilen vermag, gibt es keine Bosheit, die nicht von seiner Güte unendlich übertroffen wird. Gott ist immer größer als seine Geschöpfe, und es gibt kein Übel, das Er nicht heilen kann.

Siehe, da hängt Er am Kreuze, gleich einem Missetäter, wie die eherne Schlange mitten im Lager der Hebräer, ausgesetzt dem Anblicke aller Nationen, aller Völker, die hienieden nach dem ewigen Reiche trachten. Wer da lebt, der hefte seine Blicke auf Ihn und er wird nimmer sterben. Wer da gestorben ist, wende sich zu Ihm und er wird in Ihm Leben und Heil finden. Solange Er uns auf dem Kampfplatze lässt, will Er uns, wenn wir auch überwunden sind, dennoch den Sieg verschaffen, und zu dem Ende bietet Er uns seinen Beistand an. Der Tod, den sich die Seele zuzieht, sobald sie schuldbeladen sich von Gott entfernt, ist, solange wir in diesem Pilgerleben wallen, nicht unheilbar. Solange der Geist noch die sterbliche Hülle trägt, kann er durch Gottes Kraft aus dem Tode ins Leben wiederkehren. Aber in welchem Zustande er dieses hinfällige Leben verlässt, in dem wird er für die Ewigkeit wiedergeboren, sei es nun zum ewigen Leben oder zum ewigen Tode.

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autoren/a/augustinus/augustinus-manuale/augustinus-nachtgedanken_3_nacht.txt · Zuletzt geändert: von aj
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