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Philemon, Kapitel 1

Philemon, Kapitel 1

1:1 Paulus, der Gebundene Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, Philemon, dem Lieben und unserm Gehilfen,

1:2 und Appia, der Lieben, und Archippus, unserm Streitgenossen, und der Gemeinde in deinem Hause:
Gibt‘s eine Gemeinde in diesem Hause? Gehören Eltern, Kinder, Freunde, Dienstboten alle dazu? oder sind etliche der Hausgenossen noch unbekehrt? Wir wollen einen Augenblick hierbei verweilen und jedes bei sich selber die Frage erwägen: Bin ich auch ein Glied der Gemeinde in diesem Hause? Wie müsste des Vaters Herz vor Wonne hüpfen, wie müssten der Mutter Augen sich mit Tränen heiliger Freude füllen, wenn vom Ältesten bis zum Jüngsten alle dem Herrn angehörten, alle selig und errettet wären! Wir wollen um diese große Gnade flehen, solange bis sie uns der Herr gewährt. Es war wahrscheinlich des Philemon größtes Herzens-Anliegen, dass doch alle, die zu seinem Hause gehörten, möchten selig werden; aber es wurde ihm zuerst nicht nach der ganzen Fülle seines Wunsches gewährt. Er hatte einen unnützen Knecht, Onesimus, der, nachdem er ihm noch Schaden zugefügt hatte, aus dem Dienste entfloh. Seines Meisters Gebete folgten ihm auf allen seinen Wegen nach, und endlich, da es Gott also wohlgefällig war, wurde er so geleitet, dass er den Apostel Paulus predigen hörte; sein Herz wurde ergriffen, und er kehrte zu Philemon zurück, nicht mehr als ein bloßer Knecht, der da treu wäre in seinem Dienst, sondern als ein lieber Bruder und als ein neues Glied der Gemeinde in Philemons Hause. Fehlt heute ein unbekehrter Dienstbote oder ein Kind bei deinem Hausgottesdienst? Bitte ernstlich, dass er bei seiner Heimkunft alle Herzen erquicken möge mit guter Botschaft, und mit dem, was die Gnade an ihm ausgerichtet hat! Ist eines der Anwesenden unbekehrt? o, schließe es mit nicht minderer Liebe in deine Fürbitte ein. Wenn eine solche Gemeinde in deinem Hause ist, so wache über sie und handle hierin als vor dem Angesicht Gottes. Wir wollen unsre Tagesarbeit tun mit allem Ernst der Heiligung, mit treuem Fleiß, mit liebevollem und aufrichtigem Wesen. Die häusliche Andacht macht das Familienleben innig und herzlich; die Liebe tritt wärmer und ungehinderter hervor, und der Wandel ist geheiligter und Christo ähnlicher. Wir haben nicht zu fürchten, dass die kleine Zahl uns aus der Reihe der Gemeinden verbanne, denn der Heilige Geist hat hier eine Hauskirche verzeichnet in der von Gott eingegebenen Heiligen Schrift. Lasset uns zu Ihm flehen, Er möge uns die Gnade verleihen, dass wir unser Licht leuchten lassen zur Ehre seines Namens. (Charles Haddon Spurgeon)

1:3 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem HERRN Jesus Christus!
Philemon hatte - wie es scheint - die Gemeinde der Gläubigen in seinem Haus aufgenommen. Zweifellos war er ein wohlangesehener und wohlhabender Christ in Kolossä, Apphia war seine gläubige Frau und Archippus war im Werke des Herrn tätig; denn wir lesen in Kol. 4,17: “ sagt Archippus: Sieh auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, dass du ihn erfüllst. “ Wir blicken also hier in ein Christenhaus hinein, das in jenen Tagen ein Mittelpunkt des Zeugnisses für den Herrn war. Da in diesem Haus die Gläubigen sich versammelten und die Gnade Gottes für verlorene Sünder bezeugt wurde, so war es überaus wichtig, dass die häuslichen Verhältnisse zur Ehre des Herrn geordnet waren, um so mehr, als auch Philemon selbst im Werke des Herrn tätig war. Paulus nennt ihn seinen Mitarbeiter. Die Schrift erwähnt noch eine Anzahl anderer Christenhäuser aus den apostolischen Tagen, die dem Dienst des Herrn geweiht waren, z. B. das des Stephanas zu Korinth (1. Kor. 1, 16), das Haus der Lydia und das Haus des Kerkermeisters zu Philippi (Apg 16,15.32), das Haus des Kornelius zu Cäsarea (Apg 10, 1.2), des Haus des Gajus zu Korinth (Röm. 16, 23), das Haus des Aquila und der Priszilla zu Ephesus. (Apg 18,26.) „Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ hatten alle Hausgenossen des Philemon nötig wie auch wir, um in all unserem Tun den Herrn zu verherrlichen inmitten einer bösen Welt. (Georg von Viebahn)

1:4 Ich danke meinem Gott und gedenke dein allezeit in meinem Gebet,

1:5 nachdem ich höre von der Liebe und dem Glauben, welche du hast an den HERRN Jesus und gegen alle Heiligen,

1:6 daß der Glaube, den wir miteinander haben, in dir kräftig werde durch Erkenntnis alles des Guten, das ihr habt in Christo Jesu.
Der Glaube ist an sich selbst ein Vertrauen, das man auf die Gnade des HErrn Jesu setzt, und das der verborgene Mensch des Herzens in sich faßt. Was zwischen dem HErrn Jesu und einer glaubigen Seele vorgeht, macht kein Geräusch. Niemand weiß es, als der HErr Jesus und die glaubige Seele selbst. Der Glaube ist an sich selbst ein stilles Aufsehen auf Jesum, eine geheime Zuneigung Seines Verdienstes, eine verborgene Zuversicht auf Gott. Er verlangt, empfängt und genießt Vieles in der Stille, und verehrt Gott durch eine Anbetung, die Niemand sieht. Der glaube hat aber auch eine andere Seite. Er ist auch kräftig oder wirksam, und diese seine Wirksamkeit bricht in das äußerliche Leben aus. Paulus beschreibt sie Hebr. 11., und erzählt viele und vielerlei Thaten, welche der glaube bei den Gerechten, die zur Zeit des Alten Testaments lebten, unter großen Schwierigkeiten und Leiden hervorgebracht habe. Paulus betete für den Philemon, daß auch sein Glaube wirksam werden möge durch die Erkenntniß alles Guten, das sie beide in Christo Jesu haben, und wies ihm sogleich eine Gelegenheit dazu an, indem er ihm seinen entlaufenen Sklaven Onesimus, welcher sich zu Rom auf den Zuspruch Pauli bekehrt hatte, zu einer gütigen Aufnahme empfahl. Eines jeden Christen Glaube hat viele ähnliche Gelegenheiten, seine Wirksamkeit zu zeigen; wie denn Petrus 2 Petr. 1,5.6.7. viele Tugenden namhaft macht, die man im Glauben darreichen müsse, und V. 8. hinzusetzt: wenn diese Tugenden sich bei euch befinden und im Ueberfluß da sind, so lassen sie euch nicht müssig noch unfruchtbar sein, was die Erkenntniß unsers HErrn Jesu Christi betrifft. Er bezeugt aber auch V. 9.10.11., wie nöthig die wirksame Kraft des Glaubens sei, indem er sagt: wer diese Tugenden nicht bei sich hat, ist blind, siehet nichts von Weitem, und hat die Reinigung von seinen alten Sünden , die er einmal durch den Glauben erlangt hatte, in Vergessenheit gestellt. Darum seid vielmehr, ihr Brüder, beflissen, euren Beruf und Auswahl fest zu machen, denn so ihr diese Dinge thut, werdet ihr niemals straucheln; denn also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Reich unsers HErrn und Heilands Jesu Christi. Kurz zu sagen, der Glaube muß thätig sein, so lange die Gnadenzeit währt, sonst erstirbt er, und derjenige, der ihn hatte, geht verloren. Er wird aber kräftig oder thätig durch die Erkenntniß alles des Guten, das man von Christo Jesu empfängt. Und was ist dann dieses Gute? Es ist Gnade und Friede, Gerechtigkeit und Stärke, Licht und Leben, Trost und Hülfe. Es ist die Kindschaft Gottes und die Erbschaft des ewigen Lebens. Zuerst empfängt der Glaube dieses Alles als in einer Summa. Hernach soll der glaubige Christ das Empfangene auseinander lesen, und oft ruhig betrachten, damit er dadurch erweckt, entzündet und gedrungen werde, dem HErrn Jesu, durch den er so viel Gutes empfangen hat, zu leben, zu dienen, und bei allen Gelegenheiten Alles zu Gefallen zu thun. HErr Jesu, laß auch meinen Glauben kräftig werden durch die Erkenntniß alles des Guten, das ich von Deinetwegen habe. (Magnus Friedrich Roos)

1:7 Wir haben aber große Freude und Trost an deiner Liebe; denn die Herzen der Heiligen sind erquickt durch dich, lieber Bruder.
Paulus war ein Mann des Gebets und besonders der Fürbitte. (Vergl. Eph. 1, 16.) Auch das geht aus diesen Worten hervor, dass er fortlaufende Nachrichten empfing über den Zustand der einzelnen Gläubigen und besonders derer, die in den Versammlungen dienten. Philemon scheint die besondere Gabe besessen zu haben, die Gläubigen in Tagen der Anfechtung und der Schwierigkeiten zu erquicken und aufzurichten - vielleicht bezieht sich Vers 7 auch auf solche Heilige Gottes, die auf der Durchreise in seinem Hause Aufnahme gefunden hatten. Das zu vernehmen, brachte dem Paulus in seiner Gefangenschaft Freude und großen Trost. - Haben wir ein Herz für die Schmerzen, Nöte, Bedrängnisse der Kinder Gottes, die mit uns an demselben Orte wohnen? Sie sind es doch, auf die das Wort des Herrn Anwendung findet: „insofern ihr es einem der Geringsten dieser meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan.“ (Matth. 25, 40.) Steht unser Herz und Haus denen offen, die wir als wahre Kinder Gottes erkannt habend Oder leben wir noch ein solches Leben, in dem uns die Kinder Gottes gleichgültig sind? (Lies 1. Joh. 3, 14.) Möchten die Gläubigen diese Frage nicht als gering beiseite schieben; auf diesem Gebiete liegt für manches Kind Gottes und für manches Christenhaus der Verlust großer Segnungen. Wir haben viel eingebüßt von dem Begriff der Einheit des Volkes Gottes, darum auch von dem Bewusstsein unserer Verantwortung für das Wohlergehen unserer Brüder und Schwestern. Paulus erbat für den Philemon, dass die Gemeinschaft seines Glaubens mit den anderen Gläubigen zu Kolossä wirksam werde für die Sache des Herrn.
Die Welt und die Gläubigen sollten alles Gute anerkennen, das in ihren Brüdern und Schwestern ist - gewirkt durch den Heiligen Geist - damit dem Herrn Ehre und Freude zuteil wird. Deshalb ist es wichtig, dass unser Leben für den Herrn und mit dem Herrn vor Freund und Feind, vor den Kindern Gottes und den Kindern der Welt untadelig ist, (Georg von Viebahn)

1:8 Darum, wiewohl ich habe große Freudigkeit in Christo, dir zu gebieten, was dir ziemt,

1:9 so will ich doch um der Liebe willen nur vermahnen, der ich ein solcher bin, nämlich ein alter Paulus, nun aber auch ein Gebundener Jesu Christi.

1:10 So ermahne ich dich um meines Sohnes willen, Onesimus, den ich gezeugt habe in meinen Banden,

1:11 welcher weiland dir unnütz, nun aber dir und mir wohl nütze ist; den habe ich wiedergesandt.

1:12 Du aber wollest ihn, das ist mein eigen Herz, annehmen.
Paulus hätte volle Freimütigkeit gehabt, die Sache, wegen der er hier schreibt, mit apostolischer Machtvollkommenheit dem Philemon zu gebieten. Das hätte jedoch nicht seinem Herzensverhältnis zu diesem Bruder und nicht der Liebe des Philemon zu dem alternden Apostel entsprochen. Es war viel schöner für alle Beteiligten und viel mehr zur Ehre des Herrn, dass die Sache aus freiwilliger Liebe den Wünschen des Paulus gemäß geordnet wurde. Es handelt sich um den Sklaven Onesimus, der dem Philemon entlaufen und nach Rom gegangen war. Dorthin wandten sich viele Verbrecher aus allen Provinzen, um unter dem Gesindel der Weltstadt einen sicheren Schlupfwinkel zu finden. Ein entlaufener Sklave hatte das Leben verwirkt. Onesimus kam in Rom durch die Gnade Gottes in Berührung mit Paulus und wurde bekehrt. Paulus fasste eine große Zuneigung zu ihm, er nennt ihn „mein Herz“; man darf annehmen, dass er, seit er gerettet war, dem Herrn mit Hingebung diente, denn Paulus nennt ihn „den treuen und geliebten Bruder“. (Kol. 4, 9.) - „Onesimus“ heißt „nützlich“; darauf bezieht sich das Wortspiel in Vers 11. Es war selbstverständlich, dass Onesimus, nachdem er ein Christ geworden war, dahin zurückkehren musste, wo er entlaufen war. Das bot für ihn eine gesegnete Gelegenheit, mit der Tat zu beweisen, dass es ein Neues mit ihm geworden war! Es unterliegt keinem Zweifel, dass es die Pflicht ist, das Unrecht, das vor der Bekehrung geschehen war, zu bekennen und in Ordnung zu bringen, soweit es in der Macht eines Neubekehrten steht. Wird dieser Pflicht nicht genügt, so wird das Herz nicht zur vollen Freude und zum vollen Frieden kommen! (Georg von Viebahn)

1:13 Denn ich wollte ihn bei mir behalten, daß er mir an deiner Statt diente in den Banden des Evangeliums;

1:14 aber ohne deinen Willen wollte ich nichts tun, auf daß dein Gutes nicht wäre genötigt, sondern freiwillig.

1:15 Vielleicht aber ist er darum eine Zeitlang von dir gekommen, daß du ihn ewig wieder hättest,1)
Wie freundlich sucht der Apostel Paulus die Flucht des Onesimus, des Sklaven Philemons, den er ihm bekehrt zurückschicken darf, zu mildern! „Er ist von dir gekommen, und zwar ziemlich werthlos, um nun werthvoll wiederzukehren als ein lieber Bruder, und zwar mir besonders lieb!“ Philemon möge ihm Verzeihung gewähren und ihn um so freundlicher aufnehmen, als er das Verlorene mit Zinsen zurückerhalte. Oder würdest du unwillig, wenn die Jemand Blei entwendete und brächte dir dafür Gold? „Eine Zeitlang hattest du ihn verloren, um ihn für ewig zu gewinnen;“ darin liegt die heilsame, wohl zu beherzigende Regel, daß wir nach Gottes Rathschluß und Zulassung wohl der nützlichsten, und angenehmsten Dinge beraubt werden können, ohne daß wir darum glauben dürfen, Gott nehme sie uns, um uns zu verderben, um uns in Armuth zu stürzen, sondern um uns das Verlorene durch viel Werthvolleres, wahrhaft Heilsames zu ersetzen. Daß wir doch nach dieser Norm unsere Wünsche einrichteten! Thun wir das nicht, so haben wir keine Ruhe, keinen Gleichmuth im Unglück und bei Verlusten, die uns treffen. Glaube man nicht, daß das bloße Worte seien zur Beschwichtigung verwundeter Gemüther; sie enthalten die vollste Wahrheit und sind durch göttliche Verheißungen, durch offenbare Wunder und Beispiele bestätigt. Ist nicht vor Allem unser Herr Gott der höchste, beste Gott? von solcher Güte, daß er nicht das Uebel zuließe, wenn er es nicht als Mittel zu Gutem benützen wollte und könnte? Ja, Gott ist die Güte selbst. Fügt sie nun uns Etwas zu, wie könnte es ein Uebel sein? Uns mag es wohl nach unserer Fassungskraft bisweilen so erscheinen, aber Gott erscheint es ganz anders. Darum muß alles das, was uns nach göttlichem Rath und Willen genommen wird, uns heilsam sein. Ist es uns aber heilsam, was grämen wir uns? warum werden wir unwillig darüber? Sodann ist es von Alters her Gottes Gewohnheit, daß er sein Wirken nicht nach der Weise einrichtet, wie es die Welt in Ordnung findet, sondern ganz entgegengesetzt. Will er trösten, so schreckt er; will er Einen reich machen, so macht er ihn arm; will er lebendig machen, so tödtet er. „Der Herr, spricht Hanna, tödtet und macht lebendig, er führt in die Hölle und wieder heraus“ (1. Sam. 2,6.); und Hoseas (6,1.): „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen und wird uns auch heilen; er hat uns geschlagen und wird uns auch verbinden;“ ebenso Jesaias (28,21): „Der Herr thut sein Werk auf andere (befremdende) Weise, er vollbringt sein Geschäft auf andere (unerhörte) Weies.“ Wenn der Herr zuläßt, daß uns das genommen wird, was uns nützlich und bequem s cheint, so ist das ein befremdend Werk. Das geschieht aber nur, daß er sein Werk thue, nämlich uns viel Besseres, Heilsameres zu geben. ER nimmt, um es uns mit viel Besserem zu ersetzen. So spricht Christus (Matth. 19, 29.I): Wer verlässet Häuser, oder Brüder, oder Schwestern, oder Vater, Mutter, Weib, Kinder, Aecker um meines Namens willen, der wird's hundertfältig nehmen und das ewige Leben erben. Nun verlasse aber nicht blos der das Seine, der in die Verbannung geworfen und dem um des Bekenntnisses Christi willen das Seine genommen wird, sondern auch der, der auf andere Weise seiner Habe beraubt wird, rechtmäßig oder unrechtmäßig, der aber seinen Verlust mit Gleichmuth im Glauben erträgt und Gott die Rache überläßt. Um des NAmens Christi willen Etwas verlassen, was heißt es anders, als im Gehorsam gegen seinen Willen? Dann ist der Verlust wie eine Aussaat; wie der Ackersmann, wenn er den Samen ausstreut, ihn nicht verliert, sondern seiner Zeit dreißig-, sechzig-, hundertfältig wieder bekommt, so wird der, der sein Gut verliert, wenn er es Gott heimstellt und wie einen Samen in seine Hand legt, gewißlich reiche Früchte davon ernten. Meinst du, daß ein irdischer Acker fruchtbarer sei, als die Hand des Herrn? Der Acker von Lehm sollte dem Ackersmann hunderfältig seinen Samen wiedergeben, und die so gütige und mächtige Hand Gottes nicht das, was ihr wie eine Saat anvertraut wird, noch viel reichlicher zurückgeben? Siehe, dem Abraham wurde durch Gottes Berufung sein Vaterland genommen; da er aber Alles in Gottes Hand stellte, wurde ihm und seinen Nachkommen statt seines Landes das ganze Reich Kanaan zugestellt. Joseph wird aus dem Vaterhaus verstoßen, aber da er's im Glauben ertrug, wird ihm dafür die Herrscherwürde in Aegypten. So Hiob, David, unzählige Beispiele der heiligen Schrift. Petrus spricht zu Christus: siehe, wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt, was wird uns dafür? Und Christus antwortet ihm: Wahrlich, ich sage dir, daß ihr, die ihr mir nachgefolgt, in der Wiedergeburt, wenn des Menschen Sohn auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit sitzt, mit mir sitzen werdet auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Stämme Israel. Welche Herrlichkeit wird ihnen so für die werthlosen Netze, die sie verließen! Meinst du nicht, daß Gott viel gütiger und gnädiger, auch viel weiser sei, als menschliche Eltern? Diese nehmen einem unerfahrenen Kind, wenn es eine Summe Gelds bekam, dieselbe, um sie ihm später mit Zinsen zurückzugeben. So sind wir Kinder unseres himmlischen Vaters. Er nimmt uns das Wenige, um uns Viel zu erstatten. Darum, wenn wir unserer Habe beraubt werden, laßt uns nicht ein Klag- und Jammergeschrei erheben gegen Gott und Menschen, sondern denken: Gott habe sie in seine Hand genommen, um sie zu vermehren und sie mit reichlichen Zinsen wieder zu erstatten! (Johannes Brenz)

1:16 nun nicht mehr als einen Knecht, sondern mehr denn einen Knecht, als einen lieben Bruder, sonderlich mir, wie viel mehr aber dir, beides, nach dem Fleisch und in dem HERRN.
Paulus hätte den Onesimus gern bei sich behalten zum Dienst während seiner Gefangenschaft. Er durfte wohl sagen: Da doch Philemon mir jeden Liebesdienst erweisen würde, den er vermag, wie sollte es ihm nicht recht sein, dass mir statt dessen sein entlaufener Sklave Liebesdienste erweist D och der Apostel wollte solche Wohltat nicht erzwingen. Er achtete das tatsächlich bestehende Rechts- und Eigentumsverhältnis, das durch die Flucht des Onesimus gebrochen war und göttlich gerechter Herstellung bedurfte. Die Rechtsansprüche, die geschäftlichen Pflichten und Verpflichtungen sollten unter gläubigen Christen nicht als gering missachtet werden; im Gegenteil, sie müssen um der Ehre des Herrn und um der Liebe willen genau und pünktlich eingehalten werden. W as dann die brüderliche Liebe tut, um eine Forderung zu erlassen oder eine Verpflichtung zu ermäßigen, einen Lieferungstermin aufzuschieben, eine Zinszahlung zu stunden und dergleichen, ist eine andere Sache. In diesem Sinn handelte Paulus hier! Er sandte zunächst den entlaufenen Sklaven zurück und erinnerte nur an die große Verwandlung, die Onesimus erlebt hatte. Er war jetzt nicht nur der Sklave des Philemon, sondern ein geliebter Bruder, ein Begnadigter Gottes, dem der Herr alle Schuld vergeben hatte; wieviel mehr musste Philemon ihm vergeben und für seine Errettung danken! (Georg von Viebahn)

1:17 So du nun mich hältst für deinen Genossen, so wollest du ihn als mich selbst annehmen.

1:18 So er aber dir etwas Schaden getan hat oder schuldig ist, das rechne mir zu.

1:19 Ich, Paulus, habe es geschrieben mit meiner Hand: Ich will's bezahlen. Ich schweige, daß du dich selbst mir schuldig bist.
Paulus sendet den Onesimus gewissermaßen als seinen Stellvertreter in das Haus des Philemon zurück: „Nimm ihn auf wie mich!“ Es kommt vielleicht manchem vor, als wäre das zu weit gegangen. Sollte wirklich Philemon den Onesimus so aufnehmen wie den Paulus? Es mag sich dies nicht darauf beziehen, dass Onesimus in demselben Zimmer wohnen und in demselben Bett schlafen sollte wie Paulus, wenn er in dies Haus käme, wohl aber sollte ihm nach Paulus Wunsch auch dieselbe Liebe und Freude des Empfanges zuteil werden. Es mochte sein, dass Onesimus vor seiner Flucht etwas unterschlagen, zerbrochen oder mitgenommen hatte - Paulus erklärt sich für haftpflichtig. Jedenfalls wollte er, dass nicht irgend ein Schaden an Geld oder Gut die Willigkeit des Philemon und seines Hauses zu voller Begnadigung des Onesimus hindere. Aber Paulus kann doch nicht umhin, den Philemon daran zu erinnern, dass er sich selbst dem Paulus schuldete - woraus zu schließen ist, dass auch Philemon durch den Dienst des Paulus das ewige Leben gefunden hatte! So räumte der Apostel in zarter Liebe und großer Weisheit alles aus dem Wege, was den Philemon irgendwie hätte hindern können, seinem entlaufenen Sklaven, der nun ein Bruder im Herrn war, mit herzlicher, vergebender und bereitwillig aufnehmender Liebe entgegenzukommen. Der natürliche Mensch würde einem entlaufenen Sklaven um so mehr mit Strenge begegnen, je mehr Güte dieser genossen und je mehr Undank er offenbart hatte. Diese Empfindungen gewinnen auch im Herren eines Gläubigen leicht noch Macht; dem trug der Apostel Rechnung. Auch wir haben hier zu lernen, dass wir solche Empfindungen schonen und nicht herausfordern sollen, welche Bitterkeit, Verstimmung, Zorn im natürlichen Herren wecken müssten. Paulus lehrt uns hier, wie zart fühlend die durch den Heiligen Geist gewirkte Liebe ist, und wie sehr Brüder untereinander ihre gegenseitigen Rechte achten sollen! Eines anderen Recht soll ich respektieren, auf mein eigenes Recht aber als Christ in vielen Fällen gern verzichten um Jesu willen! (Georg von Viebahn)

1:20 Ja, lieber Bruder, gönne mir, daß ich mich an dir ergötze in dem HERRN; erquicke mein Herz in dem HERRN.

1:21 Ich habe aus Zuversicht deines Gehorsams dir geschrieben; und ich weiß, du wirst mehr tun, denn ich sage.

1:22 Daneben bereite mir die Herberge; denn ich hoffe, daß ich durch euer Gebet euch geschenkt werde.

1:23 Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christo Jesu,

1:24 Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, meine Gehilfen.

1:25 Die Gnade unsers HERRN Jesu Christi sei mit eurem Geist! Amen.2)
Philemon war ein christlicher Mann in Phrygien, vermuthlich in der Stadt Colossä; Paulus nennt ihn seinen Freund und Mitarbeiter, und grüßt ihn mit andern Freunden und mit der Gemeinde, welche sich in seinem Hause versammelte. Diesem Philemon war ein Sclave und Leibeigener entlaufen, nachdem er sich Veruntreuungen an seinem Herrn hatte zu Schulden kommen lassen, Namens Onesimus. Auf seiner Flucht kam dieser nach Rom, und Gott fügte es nach seiner Weisheit und Liebe, daß er dort mit dem Apostel Paulus zusammentraf, aus seinem Munde das Evangelium hörte, gründlich bekehrt wurde und die ganze Liebe des Apostel gewann. Gern hätte dieser ihn bei sich behalten; da er aber noch ein Eigenthum des Philemon war, so war es auch nach Pauli Ueberzeugung billig, daß er zu seinem rechtmäßigen Herrn zurückkehrte. Um ihm eine freundliche Aufnahme zu sichern und ihn wie vor Gott, so auch vor den Menschen Gnade finden zu lassen, gab ihm Paulus dies Empfehlungsschreiben mit. Der Brief ist ein Muster einer freien und weisen Berücksichtigung der menschlichen Gemüthsart und eines ächt christlichen Sinnes, welcher aller Verhältnisse im Lichte des Glaubens betrachtet und beurtheilt. So zarte schonende Liebe mit der unveräußerlichen apostolischen Würde auf diese Weise zu vereinigen, erfordert wahrhaft christliche Weisheit; Paulus entäußert sich seines apostol. Rechts, um Philemon zu zwingen, sich auch seines Rechts zu begeben. Luther sagt: „Eben wie uns Christus gethan hat gegen Gott den Vater, also thut auch St. Paulus für Onesimus gegen Philemon. Denn Christus hat sich auch seines Rechts geäußert und mit Liebe und Demuth den Vater überwunden, daß er seinen Zorn und Recht hat müssen legen und uns zu Gnaden annehmen um Christi willen, der also ernstlich uns vertritt und sich unser so herzlich annimmt. Denn wir sind Alle seine Onesimi, so wir’s glauben.“ Was mußten Philemon und Onesimus empfinden, als sie einander so wiedersahen! Herr, laß mir diesen Brief für mein Verhältniß als Herrschaft oder Dienstbote nicht umsonst geschrieben sein! Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)


Im Geist ruht das Gefühl der Gnade, und ohne diese ist der Geist tot. Die gefühlte Gnade, oder nur auch die innerlich geglaubte Gnade, hat eine Macht über den ganzen Menschen; denn sie ist das Bewußtsein des Einsseins mit Gott durch JEsum Christum, hat also ihre Wirkung vornehmlich auf den Geist des Menschen, der aus Gott ist. Dieser Geist ist sozusagen kein Geist, wenn ihn nicht das Bewußtsein der Gnade Gottes beseelt und belebt. Wenn vollends auch die Zuckungen des Gewissens nachlassen oder aufhören, so wird der Geist zu einer bloßen Tierseele herabgewürdigt, oder zu einem bloß nach dem Äußerlichen und Irdischen gerichteten Instinkt, ohne der Art nach über die Unvernunft der Tiere heraufzukommen. Die Gnade allein kann da wieder helfen, indem sie das Herz erwärmt und den Geist wieder göttlich belebt, und dem Menschen seinen Gott durch Christum wieder schenkt, nach dem Wort Petri (1.Petri 1,21; 2,25): „Die ihr durch Ihn, nämlich Christum, Glauben an Gott habet,“ und „bekehret seid zu dem Hirten und Bischofe eurer Seelen.“ Ohne das gehören die Menschen zu den „Fleischlichen, die keinen Geist haben,„ wie Judas sagt (V.19).
Sorgen wir also auch heute, daß die Gnade Christi mit unsrem Geist sei, die Gnade, die uns der Vergebung der Sünden und der Kindschaft mit Gott versichert. Allezeit bleibe es unser Hauptanliegen, daß das Bewußtsein in unserem Geiste lebe, wir seien Gottes und werden Gottes durch Christum. Daneben aber sollen wir auch für die bitten, deren Geist noch schläft und tot ist, weil begraben im Umtrieb eines fleischlichen Wesens. Denn wir erblicken so wenige Geistmenschen auf Erden; und doch soll noch das Erbarmen Gottes groß werden über alle Menschen, wie Er sagt (Joel 3,1): „Ich will Meinen Geist ausgießen über alles Fleisch.” Um die Erfüllung dieser Verheißung, nach welcher die Gnade unsres HErrn JEsu Christi in aller Geist kommen und so mit aller Geist seyn solle, sollten wir unablässig bitten. Möge sie bald kommen! (Christoph Blumhardt)


Was Recht und Pflicht war, hatte Paulus nunmehr berücksichtigt. Jede Verpflichtung war an ihren Platz gestellt worden. Nun spricht am Schluss des Briefes ungehemmt das liebende Herz eines Vaters in Christus zu dem Bruder, dessen willigen Gehorsam er kannte. Paulus ist völlig unbesorgt: Philemon wird mehr tun, als Paulus von ihm erbittet. Die Ansage, dass Paulus selbst hofft, bald befreit zu werden und nach Kolossä zu kommen, brachte gewiss große Freude in Philemons Haus. Das Wort: „Ich hoffe, dass ich durch eure Gebete euch werde geschenkt werden“, war jedenfalls ein mächtiger Antrieb, um täglich neue Glaubensgebete zum Herrn empor zu senden, um diese bestimmte Gabe: die Befreiung des Paulus aus seiner Gefangenschaft. Nimmt man die Grüße des Epaphras, Markus, Aristarchus, Demas und Lukas zu dem Inhalt des Briefes hinzu, so empfängt man einen starken Eindruck davon, wie die Gläubigen jener Tage sich als die Familie Gottes miteinander verbunden und füreinander verantwortlich fühlten. Der göttliche Gegensatz zwischen der kleinen Schar der Kinder Gottes und den Millionen der unbekehrten Welt war noch unverwischt. Aber wie ernst klingt in diese Brüdergrüße das Wort hinein, das wenige Jahre später geschrieben wurde: „Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hat!“ (2. Tim. 4, 10.) Hier steht Demas noch als Mitarbeiter des Paulus verzeichnet, und doch ist es der List des Feindes gelungen, ihn von dem gesegneten Pfade eines Dieners Jesu Christi zurückzuziehen auf den breiten Weg der Welt. Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt! (Georg von Viebahn)

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