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Philipper, Kapitel 1

Philipper, Kapitel 1

1:1 Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, allen Heiligen in Christo Jesu zu Philippi samt den Bischöfen und Dienern:

1:2 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem HERRN Jesus Christus!

1:3 Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke
Sind wir andern solch ein Gegenstand freudigen Dankes? Oder liegt die Gefahr näher, daß sie über uns vor Gott seufzen? Haben wir andere Christen, über die wir Gott danken? Was für innige, feine Beziehungen hat der Apostel zu den Philippern, daß er ihnen von seinem Gebetsleben diesen einen Zug mitteilen darf! Bei uns mischt sich meistens so viel Menschliches in das von Gott gewirkte neue Leben, daß wir wohl nur sehr selten in die Lage kommen, so zu danken, wie der Apostel es tut. Bald liegt der Fehler an uns, bald an den Seelen, denen unsere Arbeit galt. Oder sind heutzutage die religiösen Erweckungen überhaupt nicht so tiefgehend und allumfassend, daß man viel Rühmens machen darf? Hält sich der Dank für eine Erweckung, wenn die Begeisterung doch verrauscht und die Frischerweckten für die Dauer nur mittelmäßige Christen abgeben? Aber wir wollen nicht nur die Kritik reden lassen - der eine Umstand ist doch des Dankes und der freudigen Erhebung wert, daß überhaupt Leben von oben gezeugt wird und Feinde Jesu herumgeholt werden. Über dem, was Gottes Geist da wirkt, können wir doch dankbar uns beugen; unsere und unserer Gemeinden Schuld nachher aber wollen wir erkennen und ihm bringen in unserer Fürbitte.
Herr Jesus, du bist Priester und Versühner aller deiner Diener. Laß uns die Vergebung aller unserer Arbeitsfehler erfahren und nimm dich deiner Herde besser an, als wir es vermöchten. Amen. (Samuel Keller)

1:4 (welches ich allezeit tue in allem meinem Gebet für euch alle, und tue das Gebet mit Freuden),

1:5 über eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bis her,
Der Spruch, den wir dießmal vor uns haben, faßt eine Gratulation in sich, welche die Form einer Danksagung gegen Gott bekommen hat. Mit herzlichem Vergnügen und mit innigster Danksagung gegen Gott gratulirt also der Apostel Paulus seinen glaubigen Philippern über einer Sache, die von größter Wichtigkeit sein muß, wenn seine Worte und Ausdrücke mit gebührender Achtung angenommen werden. Und was war denn die Sache, wovon sein Herz und Mund und Feder so reichlich überfloß? - Ueber eurer Gemeinschaft am Evangelio, sagt er. Das Evangelium ist die erwünschte Nachricht, daß Gott nach dem Reichthum Seiner Barmherzigkeit uns armen verschuldeten und verlornen Sündern Seinen eingebornen Sohn zum Versühner und Erlöser geschenkt – und daß dieser eingeborne Sohn Gottes durch Sein Leiden, Tod und Auferstehung uns Gnade, Vergebung der Sünden, Friede mit Gott, Leben und Seligkeit erworben habe.
Wer nun dieses Evangelium nicht nur hört, lieset und betrachtet, und sich mit dem Munde dazu bekennet als zu einer von Gott geoffenbarten Wahrheit, sondern demselben auch mit Ueberzeugung beipflichtet, und die kraft desselben zur Beruhigung seines Gewissens vor Gott und zur Freude seines Herzens an der durch Christum erworbenen Gnade erfährt; wer in allem Ernst glauben und sich dafür halten kann, daß er Gott versühnt sei durch den Tod Seines Sohnes, und sich also vor keinem Urtheil der Verdammniß mehr zu fürchten, sondern lauter väterliche Huld und Liebe, Geduld und Nachsicht bei vorkommenden Mängeln und Gebrechen – aber auch täglichen Zufluß nöthiger Geisteskraft zu Ueberwindung der Sünde und zum Wandel im Licht zu gewarten habe; ja daß ihm, als einem in Christo zur Kindschaft Gottes aufgenommenen Menschen, in der zukünftigen Ewigkeit ein unvergängliches unbeflecktes und unverwelkliches Erbe himmlischer Güter und Ergötzlichkeiten gut stehe, gegen welchem aller irdische Reichthum, Pracht und Herrlichkeit nur für Schaum und Spreu zu rechnen sind: - wer das Alles von Herzen glauben, und sich dieser Vorzüge in demüthiger dankbarer Zuversicht anmaßen und getrösten kann, der hat eben damit Gemeinschaft am Evangelio. Zugleich aber findet er in den hohen Gütern, womit ihn Gott um Christi willen begnadiget hat, den kräftigsten Beweggrund, sich anderer Glaubigen, als seiner Mitgenossen an der Gnade des Lebens, unter allerlei Bedürfnissen liebreich anzunehmen, und beweist es in der That, daß der wahre Glaube durch die Liebe thätig ist, vergl. Phil. 4,10.15. f.
Welch‘ eine große Sache, welch‘ ein hohes Glück ist es demnach um die Gemeinschaft am Evangelio! Wer sie hat, danke Gott mit Freuden dafür. Wer sie aber auch bei Andern wahrnimmt, danke Gott ebenfalls mit Freuden dafür, und bitte Gott, daß Er solche Leute in dieser Gemeinschaft erhalte und befestige. Sie ist unendlich mehr werth als alle Gemeinschaft, welche die Menschen im Studiren, in der Handelschaft, in Ehrenämtern, und in eitlen Zusammenkünften und Ergötzlichkeiten mit einander haben. Diejenigen, die bis an ihr Ende eine Gemeinschaft am Evangelio mit einander haben, werden auch mit einander das Reich erben, welches der himmlische Vater den Auserwählten bereitet hat. (Magnus Friedrich Roos)

1:6 und bin desselben in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.
Es gibt ein Werk Gottes, welches in dem Menschen, der erschaffen und erlöst ist, einmal seinen Anfang nimmt. Gott fängt nämlich in der Seele an zu wirken, und dringt mit Seiner Wirkung in die Tiefe derselben, welche Andern unergründlich ist, hinein: von da aus bricht sie auch auswärts hervor, und der ganze Mensch wird verändert. Gott fängt an zu wirken, ehe der Mensch Ihn sucht und bittet. Wenn aber Gott angefangen hat, so kann der Mensch Ihn auch bitten und suchen. Er kann im Wort Gottes mit einigem Licht forschen, er kann beten, enthaltsam sein und Gutes thun, und wenn er dieses treulich thut, so haben die Wirkungen Gottes ihren Fortgang, und der Mensch empfindet und empfängt täglich etwas neues, wobei er wieder eine neue Treue zu beweisen hat. Weil aber Gott zwar mit der überschwenglichen Größe Seiner Kraft wirket, dabei aber sachte verfährt, und den Bewegungen des menschlichen Willens Raum läßt, so kann der Mensch Ihm auch widerstreben, Ap. Gesch. 7,51. Gleichwie nämlich ein Mann, der ein Kind nicht schleppen, sondern führen will, geschehen läßt, daß das störrige Kind sich aus seiner starken Hand loswinde: also läßt Gott geschehen, daß der halsstarrige Mensch der überschwenglichen Größe Seiner Kraft widerstrebe, oder sich derselben entziehe, weil Er sie nicht auf eine gewaltsame Weise anwendet, sondern mit dem Menschen als einem vernünftigen und freiwilligen Geschöpf umgehen will. Wehe aber demjenigen, der sich Gottes Wirkung entziehet; denn Sein Werk ist ein gutes Werk.
Gott aber, der es anfängt, will es auch vollführen. Will Er’s aber vollführen, so will Er’s auch fortsetzen. Indem er’s aber fortsetzt, wirkt Er so mannigfaltig, so behend, so wunderbar, daß man’s nicht beschreiben kann. Ueberhaupt kann man sagen, daß Er tödte und lebendig mache, in die Hölle führe und wieder herausführe, daß Er betrübe und tröste, zerstöre und aufbaue, daß Er aus der Finsterniß das Licht mache, und Seine Kraft in der Schwachheit mächtig sei, daß Er den Menschen unterweise, zu Sich ziehe, und mit Sich vereinige, daß Er seine Seele immer völliger einnehme, mit Sich selber erfülle, und darin lebe, u.s.w. Wenn aber nun das Werk Gottes, welches unzählige Empfindungen und Erfahrungen in der Seele schafft, und sie auch zu unzähligen Proben der Anbetung und Treue sänftiglich antreibt, auf diese Weise seinen Fortgang hat, so wird es endlich auch vollführt oder vollendet bis auf den Tag Jesu Christi. Dieser Tag ist also der von Gott festgesetzte Termin dieser Vollendung. Vorher gibt es zwar Geister der vollendeten Gerechten: aber in Absicht auf den ganzen Menschen, wie auch auf den Gnadenlohn und das himmlische Erbe wird das Werk Gottes bis auf diesen Tag vollendet. Obschon die Seele eines Gerechten, wenn sie vom Leib geschieden ist, von der Sünde völlig frei sein kann, so wird doch der ganze Mensch nicht bälder als am Tag Jesu Christi der vollkommenen Herrlichkeit, die ihm Gott bereitet hat, theilhaftig werden.(Magnus Friedrich Roos)


Eine große selige Gewißheit spricht dieses Wort aus, die so recht dazu angetan ist, die Unholde trüber Stimmungen zu vertreiben, die nach einem Tage voll Enttäuschungen einen Abend voll Befürchtungen schufen. Meine eigene geistliche Entwicklung hat Risse und Sprünge; wird's harmonisch ausklingen, was Gottes wunderbare Gnade in mir begonnen hat? Ich bete für so manche herzbeklemmende Sorge; wie wird's mit dem allem? Da muß vor 1900 Jahren der alte Apostel mit Ketten an den Füßen diese Zeilen in Rom niederschreiben, damit von seiner Heldenüberzeugung ein Strom von Gewißheit über mich armseligen Gefühlsmenschen sich ergieße! Jesus ist der Werkmeister; er wird keine heilige Seelenarbeit halb lassen. Der Ablieferungstermin ist der am Tage seiner herrlichen Wiederkunft. Bis dahin hat er Zeit und Möglichkeit, sein Werk gut zu machen; jeder Schaden, der durch unsere Schuld - die Schuld des spröden Materials - entstanden, wird durch die große Kunst des Meisters ausgeglichen und überwunden! Ich will die Augen schließen und die Hände falten und mir das Vertrauen erbitten zu seinem seligen Vollführen.
Herr Jesus, du weißt, wie es mir zumute ist und was du vorhast. Schenk mir einen hellen Schein von der herrlichen Vollendung her, der mein Herz still und froh macht. Ich vertraue dir, Herr Jesus. Ich freue mich auf dich! Amen. (Samuel Keller)


Ein Anfang war geschehen, als Paulus in Philippi war und Gott der Lydia das Herz auftat, daß die Botschaft Jesu sie erfaßte, und als der Kerkermeister mit raschem Entschluß von Paulus die Taufe begehrte und empfing und als sich die anderen, die die Gemeinde bildeten, im Glauben miteinander verbanden. Paulus nennt das einen guten Anfang; denn hier war Gott der Wirkende und das, was geschah, waren die Wunderwerke seiner Gnade. Aber mehr als ein Anfang war das, was die Gemeinde besaß, noch nicht und jeder Anfang zwingt uns, nach dem Fortgang zu fragen udn auf die Vollendung zu sehen. Mehr als ein Anfang ist auch mein Leben nicht und ebenso wenig das der Christenheit. Wir können nicht das bleiben, was wir sind, nicht satt und beruhigt bloß rückwärts sehen und nur bewahren wollen, was vorhanden ist. Wir haben überreichen Grund zum Dank, daß dieser Anfang ein gutes Werk ist, ein von Gott gewirktes Werk, durch Gottes Wort geschaffen und mit Gottes Gnade gefüllt. Aber Gott steht nicht bei dem still, was unsere Gegenwart uns zeigt. Soll ich nun mit Bangen auf die Vollendung sehen? angstvoll klagen: „nur“ ein Anfang? Höre auf Paulus. Wenn er zu uns spricht, lernen wir glauben. Der, sagt er, der das gute Werk begonnen hat, wird es auch vollenden. Diese seine freudige Zuversicht ist Glaube. Denn er stützt sie nicht auf das, was der Mensch leistet, sondern gründet sie auf Gott. Weil er der Anfänger ist, bleibet der Vollender nicht aus. Denn Gott ist beides, Anfänger und Vollender. Das ist er nicht wegen unserer Treue, sondern wegen seiner Treue, nicht wegen unserer sieghaften Tapferkeit, sondern wegen der Festigkeit seiner Gnade. Nicht nur im Blick auf unser eigenes Leben, sondern auch für unsere Arbeit ist das eine herrliche, antreibende und stärkende Erkenntnis, daß alles, was begonnen wird, zur Vollendung kommt, nämlich alles, was Gott durch uns beginnt. Was meine Hände schaffen, zerfällt. Nicht meine Erzeugnisse haben Platz in Gottes ewiger Welt. Wir mssen vielmehr jederzeit bereit sein, mit dem, was wir begannen, aufzuhören und wieder abzubrechen, was wir bauten. Das aber, was Gott gemacht hat, bleibt nicht in Unfertigkeit stecken und ergibt nicht Ruinen. Er vollendet, was er begonnen hat.
Du, Herr, bist Erster und Letzter, Anfänger und Vollender, A und O. Als den treuen bete ich dich an, der du derselbe bist gestern und heute und in Ewigkeit. Amen. (Adolf Schlatter)

1:7 Wie es denn mir billig ist, daß ich dermaßen von euch halte, darum daß ich euch in meinem Herzen habe in diesem meinem Gefängnis, darin ich das Evangelium verantworte und bekräftige, als die ihr alle mit mir der Gnade teilhaftig seid.

1:8 Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Jesu Christo.

1:9 Und darum bete ich, daß eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung,
Gott sei Dank, es gibt etwas, was immer reicher werden kann, was nie sein letztes Ziel erreicht und niemals fertig sein wird. Das ist die Liebe. Paulus hat um sie gebetet, nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Gemeinde. Er bittet um sie; denn die Liebe ist nicht ein Erzeugnis und Merkmal der Natur. Gott ist sie und Gott gibt sie und darum muss sie erbeten sein. Nun haben wir einen Gebetsstoff, der uns nie ausgehen kann. Wie klein und arm ist unsere Liebe, die meine, aber auch die unserer ganzen Christenheit! Sie ist umwölkt durch die dichten Nebel unserer Eitelkeit und gefesselt durch die harten Stricke unserer Eigensucht. Wie mehrt sie uns Gott? Durch Erkenntnis und Wahrnehmung. Unsere Blindheit ist ein mächtiger Feind unserer Liebe. Die erste Bedingung für sie ist, da wir sehen lernen. Denn die Liebe wendet uns den anderen zu und macht, dass wir sie suchen. Wir finden sie aber nicht mit geschlossenen Augen, träumender Seele und fabelnden Gedanken. Das ist der tiefe Ernst in unserer Bemühung, unsere Gedanken hell zu machen, damit sich unserer Bemühung, unsere Gedanken hell zu machen, damit sich uns die Welt in ihrer wahren Gestalt zeige. Nur so entsteht die Liebe, freilich nicht dann, wenn einzig die Welt uns sichtbar ist, wohl aber dann, wenn unser Blick auf den gebenden Gott gerichtet ist. Dann sehen wir die Not und die Hilfe, den Hunger und die Speise, das Bedürfnis und die Gabe, und nun geht die Liebe an ihr Werk.
Ich gehorche Deinem Wort und bitte um das, worum es mich bitten heißt. Bitte ich um die Liebe, so weiß ich, dass ich es nach Deinem Willen tue. Töte die kranke Eigensucht in mir. Es wird mir wehtun, aber ich will es leiden. Deine Gabe, die Liebe, ist für alles der köstliche Ersatz; sie verschafft mir das Leben und sie verherrlicht Dich. Amen. (Adolf Schlatter)

1:10 daß ihr prüfen möget, was das Beste sei, auf daß ihr seid lauter und unanstößig auf den Tag Christi,
Weder Christus, noch Seine Knechte, die Propheten und Apostel, haben jemals von dem Zustand der Seele nach dem Tod so geredet, daß ein Mensch dadurch veranlaßt wurde, seine Buße oder auch sein Wachsthum in der Heiligung auf denselben zu verschieben. Sie haben aber auch keinen Gerechten und Wiedergebornen veranlaßt zu befürchten, daß er durch den Tod etwas verliere, oder in der Zwischenzeit zwischen dem Tod und dem jüngsten Tag aus der Gnade fallen könne. Alle ihre Ermahnungen sind den Lebendigen gegeben, und sie zeigen an, daß wenn man sich bei Leibesleben nach denselben rechtschaffen halte, solches bis auf den jüngsten Tag seine gute Wirkung und Folge habe. In dieser Absicht schrieb Paulus an die Philipper, K. 1,9.10.11.: daselbst um bete ich, daß eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntniß und Erfahrung; daß ihr prüfen möget, was das Beste sei; auf daß ihr seid lauter und unanstößig bis auf den Tag Christi, erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesum Christum geschehen in euch zur Ehre und Lobe Gottes. Es ist klar, daß Paulus für die Philipper nach ihrem damaligen Zustand gebeten habe. Ihre Liebe, das ist ihr ganzes Christenthum, welches in der Liebe zusammengefaßt ist, und in derselben geführt werden muß, sollte je mehr und mehr reich werden in der Erkenntniß und allem Gefühl oder Empfindung, damit sie nirgends blindlings zufahren, sondern theils durch die Erkenntniß, theils durch das Gefühl des Geistes prüfen können, was das Beste sei, und auf diese Weise lauter und unanstößig seien, bis auf den Tag Jesu Christi. Er setzt also voraus, daß wenn sie bei Leibesleben lauter und unanstößig seien, solches bis auf den Tag Jesu Christi seine Folge und Wirkung haben werde, wenn sie schon denselben nicht erleben. Wer in der Liebe Gottes und des Nächsten lebt und wandelt, ist lauter, und wessen Liebe an Erkenntniß und allem Gefühl reich wird, ist unanstößig, oder stößt nicht an, ärgert sich nicht, und gibt Andern kein Aergerniß. Dahingegen derjenige, welchem die Liebe mangelt, bei allem guten Schein ein Heuchler ist, und dem es bei der Liebe an genugsamer Erkenntniß und Gefühl mangelt, oft mit seinem Thun in Schwierigkeiten verwickelt, und Andern beschwerlich wird. Wer aber bei seiner Liebe weder an der Erkenntniß noch an dem übrigen geistlichen Gefühl, welches oft, wo die Erkenntniß nicht durchschauen kann, den Ausschlag geben muß, einen Mangel hat, ist mit Früchten der Gerechtigkeit erfüllt, die durch Jesum Christum zur Ehre und Lobe Gottes hervorkommen.
Wir lernen hieraus, wie wir den Grund unserer Seligkeit bei Leibesleben so legen können, daß er bis auf den Tag Jesu Christi fest bleibe. Wer bekehrt und glaubig wird wie der Kerkermeister und die Purpurkrämerin Lydia und Andere zu Philippi, wer hernach in der Liebe bleibt und wandelt, und wessen Liebe an Erkenntniß und allem geistlichen Gefühl reich wird, ist lauter und unanstößig bis auf den Tag Jesu Christi. Der Zustand nach dem Tod wird nichts bei ihm verschlimmern, wohl aber verbessern, weil das Sterben der Gerechten ein Gewinn ist. Gott wird seine Seele als eine gute Beilage bis an den jüngsten Tag bewahren, daß sie nichts wird verlieren können. Der Gnadenstand, in welchem sie vom Leibe geschieden ist, wird ungekränkt bleiben, bis der Richter der ganzen Welt erscheinen wird, und alsdann wird auch der Leib seinen völligen und wonnesamen Genuß davon bekommen. (Magnus Friedrich Roos)

1:11 erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesum Christum geschehen in euch zur Ehre und Lobe Gottes.
Auf den Tag Christi kommt Alles an. Wer an demselben rechtschaffen erfunden wird, und ein gutes Urtheil bekommt, dessen Glück ist auf die unendliche Ewigkeit hinaus befestigt. Der Todestag entscheidet zwar auch schon Vieles: doch ist der Ausschlag, den es an demselben in Ansehung der Seligkeit und Verdammniß gibt, nicht so vollständig, als derjenige, den der jüngste Tag mit sich führen wird, weil an demselben der ganze Mensch sein ganzes Urtheil und Loos bekommen wird. Wir sollen aber bis auf den Tag Christi lauter sein in Ansehung unserer selber, und unanstößig in Ansehung anderer Personen und Sachen. Die Lauterkeit ist der Falschheit des Geistes (Ps. 32,2.), oder dem Rath des Herzens (1 Kor. 4,5.), nach welchem der Mensch sich selber lebt, und Alles um sein selbst, und nicht um Gottes willen thut, entgegengesetzt. Wer einen wahren Glauben und eine aufrichtige Liebe gegen Gott und den Nächsten hat, ist lauter. Dabei soll ein Christ unanstößig sein, daß er selber nicht anstoße, und aus seiner Schuld Andere nicht an ihm anstoßen. Wer selber nicht anstoßet, hat gegen Gott und Menschen ein unanstößiges Gewissen, Apost. Gesch. 24,16., weil er weder von den Werken Gottes noch von den Werken der Menschen Anlaß nimmt, aus Unzufriedenheit, Ungeduld, Haß, Neid, Zorn wider sein Gewissen zu sündigen. Dabei soll er auch, so viel an ihm ist, verhüten, daß Andere nicht an ihm zum Schaden ihrer Seele anstoßen oder sich ärgern, wie denn Paulus 1 Kor. 10,32. die Korinther ermahnt, sie sollen sich in Ansehung der Gastmahle und anderer Dinge so verhalten, daß sie weder den Juden, noch den Griechen, noch der Gemeinde Gottes anstößig seien, oder daß weder Juden, noch Heiden, noch Christen sich an ihnen ärgern müssen, oder durch sie zu sündlichen Urtheilen und Werken verleitet werden. Ein Christ soll aber auch mit der Gerechtigkeitsfrucht erfüllt sein durch Jesum Christ zur Ehre und Lob Gottes. Wer durch Jesum Christ ein Gerechter geworden ist, kann ein guter Baum genannt werden. Dieser gute Baum hat aber einen guten Saft, nämlich den Heiligen Geist, welcher ihm auch durch Jesum Christ, das ist um Seines Verdienstes und um Seiner Fürbitte willen, gegeben worden ist. Durch den Trieb dieses Heiligen Geistes kommt bei ihm eine Gerechtigkeitsfrucht hervor, welche Gal. 5,22. eine Frucht des Geistes genannt wird, weil ein jeder Gerechter auch ein geistlicher Mensch ist. Mit der Gerechtigkeitsfrucht soll er als ein guter Baum reichlich erfüllt sein. Es wird hiemit erstlich angezeigt, daß die Frucht des Geistes oder der Gerechtigkeit nach allen Gattungen derselben bei einem Christen vorhanden sein müsse: wie denn zwar an einem Christen eine oder die andere gute Eigenschaft vor andern völlig sein und in’s Gesicht fallen kann, doch aber auch alle anderen guten Eigenschaften ohne Ausnahme zugegen sein müssen, und z.B. Niemand ohne alle Liebe geduldig, und ohne alle Sanftmuth enthaltsam sein kann. Es soll aber auch eine jede Gattung dieser Frucht immer völliger werden, und gleichsam immer mehr erstarken. Der Glaube soll wachsen, die Liebe zunehmen, 2 Thess. 1,3., die Geduld groß werden, 2 Kor. 6,4. u.s.w.(Magnus Friedrich Roos)


Früchte der Gerechtigkeit, d.h. ganz natürlich gewachsene Wirkungen des neuen Lebens, der erfahrenen Gnade Jesu Christi, kenne ich auch; an andern Christen und mir selbst konnte ich einzelne derselben sehen. Aber „erfüllet“? Wohl habe ich einige reife, geläuterte Christen kennengelernt, bei denen die letzten Spuren der Selbstsucht für eines andern Auge getilgt schienen -wohl hatten sie viel Wirkungen der Gnade aufzuweisen, aber erfüllt, angefüllt, so daß für anderes kein Raum gewesen wäre - das habe ich noch nicht sehen dürfen. Vielleicht ist das ein Trost; sonst müßten wir Stümper verzagen. Oder es muß das Ziel stets höher sein als wir, sonst bliebe ja nichts zu Erstrebendes mehr übrig. Auf jeden Fall liegt hier das Wichtigste vor, wofür wir Gläubigen uns, je älter wir werden, am meisten interessieren: Was geschieht in mir durch Jesus? Wie kann ich ihm mehr Raum und Möglichkeit zum Wirken in mir schaffen? Das wenige, von dem wir nach ehrlicher Selbstprüfung sagen mußten, daß es nicht aus unserm Fleisch und Blut stammte, sondern von ihm gewirkt war, erfüllt uns mit Dankbarkeit und steigert die Sehnsucht noch mehr. Uns aufgeben ist dann nicht so schwer, wenn wir ihn dafür gewinnen.
Lieber Herr Jesus! Aus mir wächst Heiliges nicht hervor, darum bitte ich dich, brich du Breschen, damit dein Strom hereinfluten kann und deine Segnungen mich fruchtbar machen für dein Reich. Amen. (Samuel Keller)

1:12 Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder, daß, wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten,

1:13 also daß meine Bande offenbar geworden sind in Christo in dem ganzen Richthause und bei den andern allen,

1:14 und viele Brüder in dem HERRN aus meinen Banden Zuversicht gewonnen haben und desto kühner geworden sind, das Wort zu reden ohne Scheu.

1:15 Etliche zwar predigen Christum um des Neides und Haders willen, etliche aber aus guter Meinung.

1:16 Jene verkündigen Christum aus Zank und nicht lauter; denn sie meinen, sie wollen eine Trübsal zuwenden meinen Banden;

1:17 diese aber aus Liebe; denn sie wissen, daß ich zur Verantwortung des Evangeliums hier liege.

1:18 Was tut's aber? Daß nur Christus verkündigt werde allerleiweise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich doch darin und will mich auch freuen.

1:19 Denn ich weiß, daß mir dies gelingt zur Seligkeit durch euer Gebet und durch Handreichung des Geistes Jesu Christi,

1:20 wie ich sehnlich warte und hoffe, daß ich in keinerlei Stück zu Schanden werde, sondern daß mit aller Freudigkeit, gleichwie sonst allezeit also auch jetzt, Christus hoch gepriesen werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.

1:21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Nicht von Anfang an lebt der Gläubige ein Leben aus Christo. Ein solches Leben beginnt erst, wenn der Heilige Geist ihm die Sünde aufdeckt und ihm durch die Wirkung der Gnade zeigt, wie der sterbende Heiland seine Schuld versöhnt hat. Mit dem Augenblick der neuen, himmlischen Geburt fängt der Mensch an, in und mit Christo zu leben. Jesus ist denen, die da glauben, die eine köstliche Perle, um deretwillen wir alles, was wir haben, freudig hingeben. Er hat unsre Liebe so völlig gewonnen, dass unser Herz ganz allein nur für Ihn lebt; zu seiner Ehre wollen wir leben, um seines Evangeliums willen gehen wir willig in den Tod; Er ist der Maßstab unsers Wandels, das erhabene Vorbild, nach welchem wir unsern inwendigen Menschen zu vervollkommnen trachten. Des Apostels Paulus Worte sagen weit mehr, als die meisten Menschen ahnen; sie bezeugen: Zweck und Ziel seines Lebens war Christus; ja, noch mehr, Jesus war für ihn das Leben selber; wie ein Heiliger aus der ersten christlichen Zeit es ausdrückt: Er aß und trank und schlief ein ewiges Leben. Jesus war geradezu sein Odem, die Seele seiner Seele, das Herz seines Herzens, das Leben seines Lebens. Kannst du sagen, dein Leben reiche so weit hinan? Kannst du sagen, Christus sei dein Leben? Ist dir dein Beruf lieb um Christi willen? Treibst du ihn nicht bloß, um dich emporzuarbeiten und den Deinen ein bequemes Dasein zu sichern? Fragst du dich auch: „Ist dies mein Hauptbeweggrund?“ Für einen Christen ist er‘s. Er bezeugt, er lebe nur Christum; wie darf er dann noch für etwas andres leben, ohne damit sich eines geistlichen Ehebruchs schuldig zu machen? Viele streben diesem Ziele nach; wer aber darf behaupten, er habe so ganz für Christum gelebt, wie der Apostel? Und dennoch ist das wahre Leben eines Christen seine Quelle und sein Fortgang, sein Zweck und sein Ziel, in einem Wort zusammen gefasst: Jesus Christus. O Herr, nimm mich an; hier komme ich und flehe vor Dir, lass mich in Dir und für Dich leben. Brauche mich nach Deinem Wohlgefallen Dir zum Dienst oder zum Opfer, gleich dem Farren, der zwischen Pflug und Altar steht; und mein Wahlspruch sei: „Zu beidem bereit.“ (Charles Haddon Spurgeon)


Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. Wie bedeutungsvoll folgen hier diese Worte unmittelbar aufeinander: „Leben,“ „Sterben.“ Nur drei Buchstaben stehen dazwischen, und wie es in den Worten ist, so ist‘s auch in der Wirklichkeit. Wie nah sind Leben und Tod beisammen! Das Leben ist des Todes Vorhof; und unsre Pilgrimschaft auf Erden ist nur eine Reise zum Grab. Der Puls, der unser Dasein fristet, schlägt nur unsern Todesmarsch, und das Blut, das unser Leben erhält, schwemmt es den Tiefen des Todes zu. Heute sehen wir unsre Freunde in der Blüte der Kraft; morgen vernehmen wir die Nachricht ihres Todes. Gestern boten wir dem Starken noch die Hand, und heute drücken wir ihm die Augen zu. Mancher fährt im glänzenden und wohlgepolsterten Staatswagen durch die Straßen, und nach wenigen Stunden bringt ihn die schwarze Leichenbahre zur letzten Ruhestätte aller Lebendigen. O, wie eng ist der Tod mit dem Leben verknüpft! Das Lamm, das jetzt noch auf der Wiese hüpft, wird bald unter dem Messer verbluten. Der Ochse, der auf den Fluren weidet, wird fett für die Schlachtbank. Bäume wachsen, dass man sie fällen möge. Ja, und noch an größere Dinge tritt der Tod heran. Weltreiche entstehen und blühen, sie blühen dem Verfall entgegen, sie erheben sich zum Sturz. Wie oft schlagen wir das Buch der Geschichte auf und lesen vom Werden und Vergehen der Staaten. Wir hören von der Krönung und dem Tode der Könige. Der Tod ist der schwarze Diener, der hinter dem Wagen des Lebens her reitet. Siehe das Leben! und der Tod ist dicht hinter ihm!
Aber, Gott sei Lob und Dank! Es gibt noch einen Ort, wo der Tod nicht des Lebens Bruder ist, wo das Leben allein herrscht; wo dem Wörtlein „Leben“ keine Silbe „Tod“ mehr nachfolgt. Es gibt ein Land, wo kein Todesröcheln mehr ist, wo kein Trauerschleier mehr gewoben wird, wo keine Gräber mehr geschmückt werden. O seliges Land über den Wolken! Wenn wir dich erreichen wollen, müssen wir sterben. Wenn wir aber nach dem Tod zur Herrlichkeit des ewigen Lebens eingehen, wenn wir Den, der uns vom Tode errettet und zum Leben berufen hat, dürfen schauen mit diesen unsern Augen als Den, der des Todes Gewalt und die Schlüssel des ewigen Lebens hat, und Ihn lieben und loben dürfen in Ewigkeit: dann dürfen wir ausrufen: „Sterben ist mein Gewinn!“ (Charles Haddon Spurgeon)

1:22 Sintemal aber im Fleisch leben dient, mehr Frucht zu schaffen, so weiß ich nicht, welches ich erwählen soll.

1:23 Denn es liegt mir beides hart an: ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein, was auch viel besser wäre;
„Bei Christus sein . “ Wer kann dies fassen, als allein der Christ? Das ist ein Himmel, um den sich die irdisch Gesinnten nie kümmern. Sie wissen nicht, welche Fülle sich in dem einen Wort zusammendrängt „bei Christus sein.“ Aber dem Gläubigen sind diese Worte ein Inhalt aller Seligkeit. Nimm nur einen der vielen köstlichen Gedanken, die das Wort darbietet: der Anblick Christi . „Deine Augen werden den König sehen in Seiner Schöne.“ Wir haben von Ihm gehört und können sprechen: „Welchen wir nicht gesehen und doch lieb haben.“ Dann aber „werden wir Ihn sehen .“ Ja, wir werden den erhöhten Heiland wahrhaftig schauen. Vergegenwärtigt euch diesen Gedanken. Liegt nicht ein ganzer Himmel darin? Du wirst die Hände sehen, die für dich an‘s Kreuz genagelt worden sind; du wirst das dornengekrönte Haupt erblicken und mit der ganzen blutgewaschenen Schar wirst du dich in tiefer Ehrfurcht vor Ihm beugen, der sich um deinetwillen in die tiefste Erniedrigung beugte. Der Glaube ist köstlich; was muss es aber erst um das Schauen sein? Jesus im Spiegel des Glaubens als das Lamm Gottes zu erblicken, das erfüllt die Seele mit einer unaussprechlichen Freude; aber ihn zu schauen von Angesicht zu Angesicht, in Seine Augen zu blicken, Seine Stimme zu vernehmen - o, da übernimmt uns das Entzücken, wenn wir nur davon hören! Wenn schon der Gedanke hieran so süß ist, wie herrlich muss erst der Anblick selber sein, wenn wir mit Ihm reden dürfen, „wie ein Mensch mit seinem Freund redet“? Denn der Anblick Christi schließt den Umgang mit Ihm ein. Alles, wonach sich die Braut im Hohen Lied sehnt, werden wir empfangen, und noch zehntausend mal mehr. Dann wird das Gebet erhört werden: „Ich will Ihn küssen mit den Küssen meines Mundes: denn Deine Liebe ist besser denn Wein.“ Dann werden wir sagen können: „Seine Linke ruht unter meinem Haupt und Seine Rechte herzet mich.“ Dann wird sich die Verheißung an uns erfüllen: „Sie werden mit Mir wandeln in weißen Kleidern, denn sie sind es wert.“ Und dann wollen wir ausbrechen in einen lauten Lobgesang, in ein Lied, wie wir‘s auf Erden nie gesungen haben, so melodisch, sanft und rein, so voller Freude und Jubel, in einen Jubel, der von keinem Misston getrübt wird; in einen entzückenden, seraphischen Gesang. Seliger Tag, wo wir Seinen Anblick und Seinen Umgang in unverkürzter Fülle genießen dürfen, wo wir Ihn erkennen werden, gleichwie wir erkannt sind! (Charles Haddon Spurgeon)

1:24 aber es ist nötiger, im Fleisch bleiben um euretwillen.

1:25 Und in guter Zuversicht weiß ich, daß ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und Freude des Glaubens,

1:26 auf daß ihr euch sehr rühmen möget in Christo Jesu an mir, wenn ich wieder zu euch komme.
Meine lieben Freunde, ich möchte eure Aufmerksamkeit auf den Sinn lenken, mit dem der Apostel hier Leben und Tod betrachtet. Erwägt zuerst das Wort, von dem er ausgeht und das der Wahlspruch seines christlichen Lebens ist: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn“; das heißt: mein Leben, mein natürliches Leben - das ich heute noch besitze und das ich morgen schon verlieren kann - soll nur dem Dienst und der Nachfolge Jesus Christi gewidmet sein. Das Wort: „Sterben ist mein Gewinn“ bedarf keiner Auslegung.
Danach fragt sich der Apostel, ob es besser für ihn sei, zu leben oder zu sterben. Diese Frage hat sich uns oft aufgedrängt, und vielleicht haben wir gesprochen wie der Apostel. Ich fürchte nur, wir haben es in anderem Sinne getan. Wenn wir uns den Tod gewünscht haben, so bedeutete es: ich weiß nicht, was ich am meisten zu fürchten habe - die Trübsale des Lebens, von denen der Tod mich befreit, oder die Schrecken des Todes, vor denen das Leben mich bewahrt! Das heißt: das Leben und der Tod erscheinen uns als zwei Übel, und wir wissen nicht, welches das kleinere ist. Der Apostel hingegen sieht sie an als zwei unermeßliche Güter, und er weiß nur nicht, welches das größere ist. Er für seine Person möchte lieber sterben, um bei Christus zu sein; doch im Hinblick auf die Gemeinde Jesu und auf die Welt möchte er leben, um Christus zu dienen, Sein Reich auszubreiten und Ihm Seelen zu gewinnen. Welch eine erhabene Ansicht vom Leben und vom Tode - erhaben, weil sie ganz von der Liebe beherrscht und durch sie geheiligt wird und dem Sinne und Geiste Jesu Christi entspricht! Trachte wir danach, uns diese Gesinnung anzueignen!
Das Leben ist gut, der Tod ist gut. Der Tod ist gut, weil er uns von dem Elend dieses Lebens befreit, und vor allem noch aus einem andern Grunde: Mag unser Leben auch voller Erdenfreuden gewesen sein, so läßt uns doch der Tod erst in eine Freude und Herrlichkeit eintreten, wovon wir uns keine Vorstellung machen können. Deshalb müssen wir als Kinder Gottes den Tod als wünschenswert ansehen. Laßt uns nichts abweisen, was uns an ihn erinnert. Mögen alle Krankheiten, alle plötzlichen Todesfälle, alles, was um uns her geschieht, für jeden von uns eine Mahnung sein, daß der Tod uns jeden Augenblick erreichen kann! - Auch das Leben ist gut, weil wir Jesus dienen, Ihn verherrlichen und Ihm nachfolgen können. Es ist nicht der Mühe wert, für etwas anderes zu leben. Unsere ganze Kraft und Zeit, jeder Atemzug, unsere Fähigkeiten, unser ganzes Lebens, alles muß dem Dienste unseres HErrn Jesus Christus geweiht, gewidmet, geheiligt und gekreuzigt sein.
Dies gekreuzigte Leben ist das eigentlich glückselige Leben - selbst unter den bittersten Erdenschmerzen -, in dem wir die köstlichsten Segnungen schmecken und um uns her verbreiten. Laßt uns das Leben lieben, seinen Wert schätzen, aber nur, um es mit Jesus Christus auszufüllen! Der Heilige Geist allein kann uns diese Gesinnung geben und uns zu neuen Menschen machen.
Doch beachten wir wohl: es ist nicht genug, daß unser Geist gestützt, getröstet und gestärkt werde; Gottes Geist muß in uns wohnen. Oft trachten wir nur danach, an uns selbst zu arbeiten, um unseren Geist zu bereichern - das ist gut, aber nicht genügend. Es wird mehr verlangt. Christus selbst muß durch Seinen Heiligen Geist in unseren Herzen Wohnung machen.
O meine Freunde, wenn wir bedenken, wie groß die Verheißungen des Evangeliums sind, so werden wir innewerden, wie viel uns noch fehlt, sie zu besitzen und zu genießen. Gott wolle Seinen Himmel über uns öffnen, uns alles offenbaren, uns mit Weisheit erfüllen und uns zeigen, daß - indem wir noch auf die ganze Fülle der Glückseligkeit und Herrlichkeit warten - wir doch schon hier auf Erden zu vollkommener Freude gelangen können. Er wolle uns die Güter ernten lassen, die der Himmel über die Erde ausgießt, die sich willig öffnet, sie zu empfangen - dann erkennen wir: mag die Erde auch imstande sein, uns niederzuschlagen und zu beunruhigen, sie ist doch nicht imstande, die himmlischen Werte auszulöschen, die Gottesverheißungen zu vernichten oder einen Schleier, ja nur einen leichten Hauch über die Liebe zu breiten, mit der Gott uns in Jesus Christus geliebt hat! (Adolphe Monod)

1:27 Wandelt nur würdig dem Evangelium Christi, auf daß, ob ich komme und sehe euch oder abwesend von euch höre, ihr steht in einem Geist und einer Seele und samt uns kämpfet für den Glauben des Evangeliums 1)
Das Wort „wandelt“ bezeichnet nicht nur unser Reden und Verkehren untereinander, sondern den ganzen Gang unsers Lebens in Wort und Tat vor der Welt. Das griechische Wort bezeichnet die Rechte und Pflichten unsrer Bürgerschaft; und in diesem Sinne werden wir ermahnt, dass wir als Bürger des neuen Jerusalems in unserem Tun uns so verhalten, wie es des Evangeliums Christi würdig sei. Worin besteht nun dies Bürgerrecht?
Erstlich: das Evangelium ist einfältig; und darum sollen die Christen in ihrem Tun und Lassen einfältig und aufrichtig sein. In unserem Benehmen, in unsrer Sprache, in unsrer Kleidung, in unserem ganzen Wandel sollten wir uns jener Einfalt befleißigen, welche die Seele der Schönheit ist. Das Evangelium ist rein und wahr, es ist Gold ohne Schlacken; und so ist auch das Leben der Christen ohne das Juwel der Wahrheit wertlos und trübe. Das Evangelium ist ein Evangelium ohne alle Furcht, es verkündet die Wahrheit kühn und offen, gleichviel, ob man sie gern höre oder nicht: darum müssen auch wir treu und tapfer sein. Aber das Evangelium ist auch sehr mild und zart. Denke an den Ausspruch seines Urhebers: „Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen.“ Wir wollen suchen, andre durch Sanftmut zu gewinnen. Das Evangelium ist äußerst liebevoll. Es ist die Botschaft des Gottes der Liebe an ein verlornes und gefallenes Geschlecht. Christi letzter Befehl an seine Jünger lautete: „Liebet euch untereinander.“ Ach, dass doch alle Heiligen untereinander durch innigere, herzlichere Liebe und aufrichtigere Gemeinschaft verbunden wären! dass doch ein tieferes Mitleid gegen die Elendesten und Verworfensten unsres Geschlechts sich in uns regte! Wir dürfen nicht vergessen, dass das Evangelium Christi heilig ist. Es nimmt die Sünde nie in Schutz: es vergibt sie, aber nur durch ein Sühnopfer. Soll unser Leben dem Evangelium gleichen, so müssen wir uns nicht nur vor den gröberen Lastern scheuen, sondern vor allem, was unsre vollkommene Verklärung in das Bild Jesu Christi hindert. Um seinetwillen, um unsertwillen und um der andern willen müssen wir Tag für Tag danach ringen, dass unser Wandel würdig sei des Evangeliums Christi. (Charles Haddon Spurgeon)

1:28 und euch in keinem Weg erschrecken lasset von den Widersachern, welches ist ein Anzeichen, ihnen der Verdammnis, euch aber der Seligkeit, und das von Gott.

1:29 Denn euch ist gegeben, um Christi willen zu tun, daß ihr nicht allein an ihn glaubet sondern auch um seinetwillen leidet;

1:30 und habet denselben Kampf, welchen ihr an mir gesehen habt und nun von mir höret.
Als die Gemeinde zu Philippi gehört hatte, daß Paulus in Rom um des Evangelii willen gefangen saß, schickte sie den Epaphroditus dorthin mit einer Gabe für den Apostel. Durch ihn erhielt Paulus zugleich Nachrichten von dem Zustand der Gemeinde, die theils sehr erfreulich waren, theils aber auch Befürchtungen erregen mußten, weil Irrlehrer, wie in Galatien, aufgetreten waren, die neben Christo das mosaische Gesetz wollten gehalten wissen. Paulus schrieb daher diesen Brief an die Philipper und sandte ihn durch Epaphrodit zurück. Er versichert die Gemeinde seiner Liebe und Fürbitte, theilt ihr sodann Nachrichten mit über seinen äußern und innern Zustand, und ermahnt sie zur Standhaftigkeit. Dabei sagt er von sich: Christus ist mein Leben. Großes Wort, nur in meines Gottes Worte, nur an Jesu Herzen gefunden! Großer Apostel, dürfte ich dir’s nachsprechen! O Jesus, mein Heiland und Herr, wärest Du auch mein Leben! Du einziges Licht der Seelen, ihr Friede, ihre Seligkeit! O wäre mein Geist von Deinem Geiste umfangen und Deine Liebe meiner Seele Gluth! Deine Gedanken allein meine Gedanken, und Deine heiligen Wege meine Wege, und Deine heiligen Triebe meine Triebe! Doch, das wirst Du mir werden; Dein Geist sagt es mir zu, und Deine Liebe und Treue tragen ja doch allein mein armes Leben! Ohne Dich ist mir die schöne Welt wüste, aller Welt Geister sind mir fremde, unheilige, unselige Geister; aller Welt Dinge Leerheit, Eitelkeit, Kummer meiner Seele; nur bei Dir ist mir eine Freude Freude, der Frieder erquickend, die Lieb köstlich, das Leben ein Leben; nur bei Dir habe ich Ruhe für meine Seele, und kann dann auch wie Paulus hinzufügen: und Sterben ist mein Gewinn, das Ende alles Ringens und Leidens, die Erlösung von allen Beschwerden dieses armen, vergänglichen Lebens und Eingang in jene selige Ewigkeit, wo keine Sünde mehr sein wird und darum auch kein Leid und Tod ewiglich. Ohne Dich sind Leben und Tod zwei große Uebel, und wir wissen nicht, welches das geringere ist; in und mit Dir ist aber Leben und Tod gut, beides eine Gnade Gottes, und wir können das Leben lieben und den Tod wünschenswerth finden. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

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