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Johannes, Kapitel 17

Johannes, Kapitel 17

17:1 Solches redete Jesus, und hob seine Augen auf gen Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da, daß du deinen Sohn verklärest, auf daß dich dein Sohn auch verkläre;1)

17:2 Gleichwie du ihm Macht hast gegeben über alles Fleisch, auf daß er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast.

17:3 Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.
Gott und Jesum erkennen - das ist ewiges Leben. Dann kann damit aber nicht ein Aufmarsch von Begriffen und ein Lehrgebäude gemeint sein, sondern man muß an die biblische Sprache denken, die „erkennen“ von der innigsten Liebesgemeinschaft braucht. Gott und Jesus werden nur so weit erkannt, als man sie liebt, und man kann sie nur so echt und wahr lieben, wenn man sie am inneren Menschen erfährt. Es steht nicht so, als ob die Lehre über Gott zuerst an einen Menschen herangebracht werden müßte, um Ehrfurcht und Liebe zu wecken, sondern umgekehrt ist's gegangen: Die erfahrene Liebe von oben rief unsere Liebe wach und nachher suchte diese dankbare Rührung nach Begriffen, Namen, Lehren, die hoch genug für Gott und Jesus wären. Der goldene Faden im Gewebe unseres Erdenlebens ist, was wir in heiligem Schauer und süßer Bewegung vom Unsichtbaren erlebten: Scheidung von der Sünde, Gebetserhörungen, Tröstungen, die wir nicht in Worten weitersagen konnten. Schließ die Augen, wenn du allein dich müde geweint im Leid, oder müde gelesen in der Bibel und schicke deine Seele, daß sie Gott, dem nahen, gegenwärtigen, begegne.
Hier bin ich, Herr, mein Vater und Erlöser! Höre mich, sieh mich freundlich an, reiche mir deine durchgrabene Hand, zieh mich an dein Herz und laß mich eine keine Weile Heimatglück in der Fremde genießen. Amen. (Samuel Keller)


Was muß das für eine Erkenntnis sein, daß Johannes sie ewigem Leben gleichsetzt? Solche Erkenntnis muß erfahrene Erlösung sein, muß eine solche Wirklichkeit sein, daß der arme Sünder, der mit uns zusammentrifft, innerlich überzeugt wird: das ist es, was ich suche. Das gerade brauche ich, um aus meinem Elend herauszukommen. - Dann ist schon klar, daß das nicht in Begriffen und Worten stehen kann, sondern in einer Erfahrung, die neue Kraft und neues Leben mit sich bringt. Davon war im Alten Testament geweissagt: ein Volk, das seinen Gott erkennt, wird sich aufmachen und es ausrichten. Nun muß sich das erfüllen, wenn man die Offenbarung Gottes in Christo an sich gerissen hat, diesen Gottesstrom in sich hinein hat fluten lassen. Das gibt dann den Sinn des Lebens auf Erden; sein Mark, seine Seele, seine treibende Kraft: das ewige Leben. Weil aber durch Liebe und Erfahrung die Erkenntnis Gottes und Christi wächst, wächst auch die Wirkung dieses ewigen Lebens hienieden. Wenn wir einst Gott so erkennen werden, wie er jetzt uns, dann werden wir das Vollmaß des ewigen Lebens erlangt haben. Hier ist beides - Erkenntnis und Leben - nur Stückwerk.
Wir danken dir, Herr, daß du beides in der Hand hast, den Abbruch des alten und den Aufbau des neuen Lebens. Wir wollen in deiner Hand bleiben. Wirke deine Werke, wenn unsere Werke welken. Führ uns hindurch! Amen. (Samuel Keller)

17:4 Ich habe dich verklärt auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte.
Wie viele unter uns werden an ihrem Lebensabend dieses große Wort ihrem Meister nachsprechen können? Um so etwas sagen zu können, dazu gehört auch ein völliges Erkennen des aufgetragenen Werkes, das uns irrenden, kurzsichtigen Menschen fehlt. Nichts macht mich so klein und traurig, als wenn ich die Wirklichkeit meines Lebenswerkes mit dem vergleiche, was ich hätte leisten sollen. Es wäre zum Verzweifeln, wenn nicht in unserem Textwort ein starker Trost für solche traurige Arbeiter enthalten wäre. Jesu vollkommenes Werk ist nicht nur eine Sühne für unsere Sünden, sondern es deckt auch die Mängel und Unvollkommenheiten unseres Werkes. Er kann aus kleinen, schier vergessenen Abfällen unserer Arbeit noch etwas Wertvolles für die Ewigkeit schaffen, wenn er seinen Stempel darauf druckt: das habt ihr mir getan! Wir wollen uns nicht selbst entschuldigen, nicht geringer von unserer Verantwortlichkeit denken, nichts aufschieben oder unterlassen, was wir tun können - aber nervös brauchen wir uns nicht machen zu lassen! Jesus Christ ist Priester und Versühner aller seiner Diener. Sein Werk heiligt und verklärt unser Werk.
So, Herr Jesus, dann bringe ich dir alle meine Unvollkommenheiten und Unterlassungen. Erbarme dich meines Lebenswerkes und laß den Goldglanz deines Werkes darauf fallen, daß man meiner Schuld nicht mehr gedenke. Amen. (Samuel Keller)

17:5 Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.

17:6 Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort behalten.
Eine wundersame Stufenfolge: sie waren dein - erste Stufe. Nicht kraft der Schöpfung; denn sonst wären alle sein, sondern weil sie aus der Wahrheit waren und auf dieser untersten Stufe sich ehrlich von ihrem Gewissen strafen ließen. Dann hat der Vater sie dem Sohne gegeben, zugeführt, daß er sie „finden“ und nehmen konnte - zweite Stufe. Dann kommt des Sohnes Arbeit an ihnen: des Vaters Namen ihnen zu offenbaren, d. h. sein Wesen ihnen in Heiligkeit und Liebe zu zeigen - dritte Stufe. Und diese Arbeit ist nicht vergeblich gewesen; das Wort hat in den Herzen gehaftet, der Same ist aufgegangen. Denn Jesus irrt sich nicht, wenn er von ihnen sagt:„Sie haben's angenommen und erkannt wahrhaftig (V. 8), daß ich von dir ausgegangen bin“ - vierte Stufe. Nun, setze dich in die Stille und überlege, wieviel Stufen dieser Leiter du unter Jesu Führung schon hinangekommen bist. Wenn dich dieses Gedenken nicht rührt und dankbar macht, dann tust du mir leid. An wem sollte das wohl liegen? An seiner Führung gewiß nicht. Dann beuge dich über den versäumten Gnadenstunden und bitte ihn, daß er nochmals die Türen aufschließe und Gelegenheit schenke zum Wachsen und Werden im Licht.
Herr, wir danken dir für dein Tun an uns und bitten dich, fördere unser Werden. Du hast es verdient, daß wir ein vollkommenes Echo werden des Wortes, das du uns gabst. Mach unsere Herzen brennen in deiner Liebe. Amen. (Samuel Keller)


Ehe Christus in der Welt erschien, sagte zwar der HErr: Ich bin Israels Vater, und: Israel ist Mein erstgeborner Sohn, Jer. 31,9. 2 Mos. 4,22., doch erkühnten sich einzelne Israeliten nicht, Gott in ihren Gebeten Vater zu nennen, wie denn im ganzen Psalter und überhaupt in allen Büchern des Alten Testaments diese Ansprache an Gott nie vorkommt, außer Jes. 63,16., wo sie den Israeliten, die sich zur Zeit des Neuen Testaments bekehren werden, in den Mund gelegt wird. Als aber der eingeborne Sohn Gottes in der Welt erschienen war, that Er den Menschen, die Ihm der Vater von der Welt gegeben hat, den Vaters-Namen desselben so kund, daß Er sie belehrte, der Gott, den sie anbeten, sei Sein Vater und ihr Vater. Er sagte deßwegen, wenn Er mit Seinen Jüngern redete, sehr oft: euer Vater, oder: euer himmlischer Vater, und that dieses zuerst in der Bergpredigt, die Er eigentlich an Seine Jünger hielt, und befahl ihnen sogar, in ihrem Gebet zu sagen: unser Vater, der Du bist im Himmel. Indem Er aber so von dem himmlischen Vater redete, ließ Er auch das herumstehende Volk zuhören, um es zu reizen, daß es auch in das Recht, Gott Vater zu nennen, durch die Buße eintreten möchte. Als Er einmal mit rohen und feindseligen Leuten redete, welche trotzig sagten: wir haben einen Vater, nämlich Gott, so widerlegte Er dieses Vorgeben, und sagte: wäre Gott euer Vater, so liebtet ihr Mich, denn Ich bin ausgegangen und kommen von Gott – ihr seid vom Vater dem Teufel, Joh. 8,41.42.44. Johannes aber schreibt Joh. 1,12.13.: wie Viele Jesum aufnahmen, denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben, welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind. Hieraus lernen wir, daß der Heiland alle diejenigen, welche als Wiedergeborne an Ihn glauben und Ihn lieben, vergewissert habe, daß Gott ihr Vater sei, und daß Er hiebei nichts auf die Abstammung von Abraham oder Israel gebauet habe. Diejenigen aber, die Gott im Geist und in der Wahrheit Vater nennen, dürfen nach dem Kindrecht ein großes Zutrauen zu Ihm haben, und das himmlische Erbe hoffen. Es ist also etwas sehr Großes, daß der Heiland den Namen Seines Vaters kund gethan hat. Ob aber gleich der Vaters-Name Gottes oft in den Büchern des Neuen Testaments steht, so ist doch auch eine innerliche Offenbarung des Vaters nöthig, denn Christus sagt Matth. 11,27.: Niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren, was der Vater sei. Der Sohn offenbart aber den Vater durch den Geist der Weisheit und der Offenbarung, denn dieser Geist ist es, der in den Herzen der Glaubigen rufet: Abba, lieber Vater, folglich die Erkenntniß des Vaters, das kindliche Vertrauen zu dem Vater, und die geziemende Ansprache an den Vater wirkt. Gleichwie nun die aufgehende Sonne die Nacht vertreibt, also vertreibt der Vaters-Name Gottes, wenn er den Menschen durch den Geist geoffenbart wird, die Nacht des Unglaubens und der knechtischen Furcht, und macht den Menschen willig, diesem himmlischen Vater und Seinem eingebornen Sohn Jesu Christo mit einer kindlichen Liebe in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die Ihm gefällig ist, zu dienen. HErr Jesu, offenbare uns den Vater, so genüget uns. (Magnus Friedrich Roos)


Sie waren Dein, spricht er, das ist, wie gesagt, wer das Wort höret, Herz und Ohren aufthut, und die Offenbarung hinein schallen und klingen läßt, der gehöret nimmer in die Welt, sondern mich an. Weil nun das gewiß ist, daß sie mein sind, und ich ihr Herr, Meister und Heiland bin: so ists auch gewiß und kein Zweifel, daß sie Dein sind, ja nicht allein jetzt Dein sind, sondern vorhin von Anfang Dein gewesen und durch Dich zu mir kommen. Also ist mit einem Wort hinweggenommen aller Zorn und was man schreckliches denken mag im Himmel und auf Erden, und ein weiter Himmel voll Gnaden und Segen über dich aufgethan. Hangest du an dem Herr Christo, so bist du gewißlich unter dem Haufen, die Gott von Anfang dazu erwählet hat, daß sie sein eigen sein sollten; sonst würden sie nicht herzukommen, noch solche Offenbarung hören und annehmen. (Martin Luther)

17:7 Nun wissen sie, daß alles, was du mir gegeben hast, sei von dir.

17:8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben; und sie haben's angenommen und erkannt wahrhaftig, daß sie glauben, daß du mich gesandt hast.

17:9 Ich bitte für sie und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein.2)
Das ist aber wiederum schrecklich, daß er spricht: Ich bitte nicht für die Welt. Da lasset uns je zusehen, daß wir nicht unter dem Haufen funden werden, für welche er nicht bitten will. Denn daher kann nichts anders folgen, ohne daß sie gar verloren sein, als derer sich Christus schlechts äussert und nichts von ihnen wissen will. Das sollte je die Welt schrecken, daß sie vor Zittern erstarrete für solchem Urtheil. Aber sie hälts nur für ihren Spott, machet ein Gelächter daraus und bleibet in der greulichen, verstockten Blindheit, daß sie es so sicher in den Wind schläget und lässets vor den Ohren fürüber gehen, als hätte es irgend ein Narr geredet.
Sondern für die, die Du mir gegeben hast, denn sie sind Dein.
Da wiederholet er noch einmal die Worte, die er zuvor angezogen hat, daß ers uns je wohl einbleue. Für die Welt kann ich nicht bitten (spricht er) denn sie sind nicht Dein, sondern hassen und verfolgen die, so Du mir gegeben hast; für sie aber bitte ich, denn sie sind Dein eigen Gut und Erbe, da habe ich Sorge für, da ist all mein Herz und Sinn. Nun ist genug gesagt, warum er die Worte also setzet: die Du mir gegeben hast. Denn wer Christi ist, der ist auch des Vaters. Die sind aber Christi, wie er selbst gesaget hat, die das Wort von ihm nehmen und behalten. Das ist das gewisseste Wahrzeichen eines gnädigen Vaters; denn niemand würde, (wie oft gesagt,) das Wort annehmen, noch dabei bleiben, wo er nicht Gottes Kind und dem Herrn Christo vom Vater gegeben wäre. (Martin Luther)

17:10 Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen verklärt.
Nach dem Vorausgehenden und Nachfolgenden bezieht sich diese Aussage auf den Besitz von Menschen. Was Jesus gewonnen hat an Persönlichkeiten, ist gerade dadurch, daß sie an ihn gläubig wurden, auch unlöslich mit dem Vater verbunden. Was dem Vater gehorcht und gehört, wird dem Sohne zugeführt. Vater und Sohn sind so eins, daß, wer einen von ihnen liebt, auch den andern liebt. In Gott ist kein Gegensatz durch die Spaltung in Personen (wenn dieser Ausdruck überhaupt paßt), sondern eine Mannigfaltigkeit der Offenbarung. Dieser reiche Gott neigt sich durch Jesus freundlich zu dir und spricht:„Was mein ist, ist dein.“ Das können wir kurzsichtigen, schwachmütigen Menschen jetzt auf Erden ebensowenig begreifen, wie ein zweijähriges Kind etwas davon hat, wenn es eine Million erbt. Ein Gummiball oder eine Leckerei für wenig Geld erscheinen ihm mehr wert. Aber wie im Lauf der Erziehung dem heranwachsenden Knaben und Jüngling der Wert des Geldes aufgeht, so werden wir Christen für unsern Reichtum erzogen, daß wir mehr und mehr verstehen lernen, was für eine Herrlichkeit unser wartet.
Das soll heute abend nach dem schweren Tagwerk voll Enttäuschungen und Verdrießlichkeiten mein Trost sein, daß du, Herr Jesus, mir die Bilder zeigst von dem Vaterhaus mit den vielen Wohnungen, und leise flüsterst: Was mein ist, das ist dein. Ich danke dir dafür. Amen. (Samuel Keller)

17:11 Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, daß sie eins seien gleichwie wir.
Was muß das für ein Geheimnis um Gottes Namen sein, daß die darin Geborgenen nicht nur darin erhalten werden können, sondern daß das noch die Wirkung hat, sie auf die wunderbarste Weise zu vereinigen. Dieser Gottesname ist die Offenbarung Jesu. Nichts bewahrt sie nach außen so mächtig als Jesus, und nichts kittet sie nach innen so fest zusammen als Jesus. Dadurch, daß jeder von ihnen für seine Person das rechte Verhältnis zu Jesu Person bekam (Pfingsten!), dadurch war die goldene Fassung um sie gelegt, daß sie erhalten wurden. Aber zugleich machte Jesus in ihnen sie untereinander verwandt, daß, was einer von ihnen von Jesu Art an sich trug, ihn den anderen liebenswert erscheinen ließ. Warum sollte dasselbe nicht auch bei uns möglich sein? Nur unsere Sünde und unsere persönliche ungebrochene Eigenart stört solche Zusammengebundenheit. Wenn aber die Welt zu einem scharfen Angriff auf uns losstürmt, nicht wahr, dann lassen wir alles, was uns trennt, fallen und schließen uns fest zusammen gegen den gemeinsamen Feind. Je näher dem Ende und der Wiederkunft Jesu, desto besser muß das werden.
Der du einst so für deine Jünger gebetet hast, Herr Jesu, decke auch uns mit dem Schild deiner Fürbitte. Reinige deine Kinder und schließ du sie zusammen, daß die Welt erkenne, du habest heute noch die Deinen in deiner Hand. Amen. (Samuel Keller)

17:12 Dieweil ich bei ihnen war in der Welt, erhielt ich sie in deinem Namen. Die du mir gegeben hast, die habe ich bewahrt, und ist keiner von ihnen verloren, als das verlorene Kind, daß die Schrift erfüllet würde.
Der Heiland sagte diese Worte, als Er vor Seinem Hingang in den Garten Gethsemane zu Seinem himmlischen Vater betete, und setzte hinzu: und ist Keiner von ihnen verloren, ohne das verlorene Kind (Judas Ischarioth), daß die Schrift erfüllet würde. Nach dem eigentlichen Laut dieser Worte möchte man meinen, der Heiland rede nur von der vergangenen Zeit, allein Johannes, der mit den übrigen Aposteln das Gebet Jesu angehört hatte, erzählt Joh. 18,8.9., der HErr Jesus habe bei Seiner Gefangennehmung am Oelberg zu Seinen Feinden gesagt: suchet ihr Mich, so lasset diese Meine Jünger gehen, auf daß das Wort erfüllet würde, welches Er sagte: Ich habe der Keinen verloren, die Du Mir gegeben hast. Hieraus erkennen wir, daß die Worte Jesu: die Du Mir gegeben hast, habe Ich bewahret, und ist Keiner von ihnen verloren, auch auf diejenige Zeit zu deuten sei, die von Seine Gebet an bis auf Seinen Tod verfloß. Der Heiland betete damals schon als ein Sterbender, oder als Einer, der zum Vater kam, V. 13. Er war im Geist schon nicht mehr in der Welt, V. 11. Es däuchte Ihn, Er stehe am Rand der Welt und am Eingang des Himmels, und bei dieser Erhebung Seines Geistes legt Er Seinem Vater Rechenschaft ab wegen der Treue, die Er gegen Seine Jünger bewiesen hatte, und in diese Rechenschaft war auch dasjenige noch eingeschlossen, was Er ihretwegen am Oelberg zu Seinen Feinden sagte. Als Er nämlich am Oelberg gefangen genommen wurde, waren Seine Jünger noch nicht so befestigt im Glauben, daß sie mit Ihm in’s Gefängniß und in den Tod hätten gehen können, ob sie sich schon vorher dazu anheischig gemacht hatten; allein die Furcht, womit sie flohen, und die Schwachheit, welche Petrus im Hof des Hohenpriesters zeigte, da ihn eine vermeinte Lebensgefahr bewog, Jesum zu verläugnen, bewies deutlich, daß es zur Bewahrung der Jünger in der Gnade höchst nöthig gewesen, daß der Heiland sie vor den Banden und dem Tod bewahrte, und durch das Machtwort: lasset diese gehen, Seine Feinde bewegte, sie laufen zu lassen.
Joh. 6,37. sagt der Heiland: Alles, was Mir Mein Vater gibt, das kommt zu Mir, und wer zu Mir kommt, den werde Ich nicht hinausstoßen. Will Er den Kommenden nicht hinausstoßen, so will Er ihn in Seine Gnade und in Sein Reich aufnehmen; will Er ihn aufnehmen, so will Er ihn auch bewahren bis an sein Ende. Er hat die Treue, die Er in den Tagen Seines Fleisches gegen diejenigen, die Ihm der Vater gegeben hat, bewiesen, bei Seiner Erhöhung nicht abgelegt, sondern beweiset sie noch auf dem Thron Seines Vaters, und bewahret sie, bis sie das Ziel ihrer Vollendung erreicht haben. Weil Er sie aber bewahren will, so wendet Er alle Versuchungen von ihnen ab, die ihnen zu schwer sind, gibt ihnen Licht in zweifelhaften Fällen, gibt ihnen, wenn sie müde sind, neue Kraft, erhält sie, wenn sie fallen, richtet sie auf, wenn sie niedergeschlagen sind, läßt sei bei dem Sterben einen sonderlichen Beistand genießen, vollführt das in ihnen angefangene gute Werk bis an den Tag Seiner herrlichen Erscheinung, und bewahrt auch die Seele eines Jeden, wenn sie von dem Leib geschieden ist, als eine Ihm anvertraute Beilage, bi sie mit dem auferweckten und verklärten Leib wieder vereinigt ist. Dank sei Dir, lieber Heiland, gesagt für Deine Treue. Bewahre uns ferner, bis wir aller Gefahr entgangen sind. (Magnus Friedrich Roos)


Es ist lieblich, daß von denjenigen, die durch den Glauben an Jesum Gnade erlangen und selig werden, gesagt wird, sie seien Ihm von dem Vater gegeben. Jes. 8,18. sagt Er selbst: siehe, hie bin Ich, und die Kinder, die Mir der HErr gegeben hat. Jes. 53,12. aber sagt der Vater: Ich will Ihm eine große Menge zur Beute geben. Joh. 6,37. aber sagt der Sohn Gottes: Alles, was Mir der Vater gibt, das kommt zu Mir, und wer zu Mir kommt, den will Ich nicht hinausstoßen. Niemals aber hat Er öfter von diesem Geben geredet, als in Seinem Gebet Joh. 17., wie Er denn dessen V. 2.6.9.11.12.24. Meldung thut.
Damit wir aber nicht meinen, diejenigen, die der Vater Seinem Sohn gegeben hat, seien hernach nimmer des Vaters, sagt der Sohn V. 10. in der Absicht auf dieselben zu dem Vater: Alles, was Mein ist, das ist Dein, und was Dein ist, das ist Mein. Auf diese Worte des HErrn Jesu sind die Aussprüche der Apostel gegründet, in welchen sie sagen, daß die Glaubigen überhaupt Gottes herrliches Eigenthum und ein Volk des Eigenthums seien, 2 Thess. 2,14. Tit. 2,14. 1 Petr. 2,9. Wir können auch hieraus erkennen, wie hoch glaubige und treue Menschenseelen von Gott geachtet seien, weil der Vater sie dem Sohn für Sein tiefes und schweres Leiden zur Beute und zum Eigenthum gibt, und der Sohn daran Seine Lust sieht und Seine Begierden sättiget, Jes. 53,11.
Christus sagte am Ende Seines Laufes zu Seinem himmlischen Vater: die Du Mir gegeben hast, habe Ich bewahret, und legte dadurch die Rechenschaft ab wegen der Hirtentreue, die Er Seinen Jüngern bewiesen hatte. Er hatte sie bewahrt, aber freilich mit der Ausnahme des Judas Ischarioth, von dem Er sprach: es ist Keiner von ihnen verloren, ohne das verlorne Kind, daß die Schrift erfüllet würde. Die Uebrigen alle also hatte Er bewahrt, dieser Judas aber wurde nie recht bekehrt und konnte nicht bewahrt werden; und wenn man wegen seiner dem HErrn Jesu einen Vorwurf machen wollte, so antwortete Er, es sei in der heiligen Schrift geweissagt gewesen, daß Er einen Verräther haben, und derselbe anstatt des Segens den Fluch bekommen werde, Ps. 109. Indem Er aber von den übrigen Jüngern sagte, daß Er sie bewahrt habe, so setzte Er voraus, daß sie einen wahren Gnadenstand erlangt haben, daß aber derselbe von vielen Seiten her angefochten worden. Und fürwahr, neben den satanischen Anfällen und der innerlichen natürlichen Verderbniß konnte es sie erschüttern, wenn sie sahen, daß so viele vornehmen, gelehrte, gewaltige und fromm scheinende, aber auch viele arme und geringe Leute nicht glaubten, was sie glaubten, und daß das kleine Häuflein, das sie ausmachten, dem Haß und Spott der Welt bloß stand und nichts als Armuth und Ungemach vor sich sahe. Der Heiland bewahrte sie aber durch viele kräftige Lehren, Ermahnungen, Tröstungen, Warnungen und Bestrafungen, wie auch durch Sein Beispiel, das sie täglich vor sich sahen, und durch Anwendung einer unsichtbaren Macht, welche Er Joh. 10,28. Seine Hand nennt. Auch denen, die jetzt in der Gnade stehen, ist eine solche Bewahrung verheißen, s. Spr. 2,8. Joh. 10,28.29. 2 Thess. 3,3. 1 Petr. 1,5. Phil. 1,6. Man richte sich nur nach dem klaren Wort Gottes, und fürchte sich nicht. Derjenige ist treu und mächtig, der die Bewahrung verheißen hat. (Magnus Friedrich Roos)

17:13 Nun aber komme ich zu dir und rede solches in der Welt, auf daß sie in ihnen haben meine Freude vollkommen.

17:14 Ich habe ihnen gegeben dein Wort, und die Welt haßte sie; denn sie sind nicht von der Welt, wie ich denn auch nicht von der Welt bin.

17:15 Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrst vor dem Übel.
Hätte der HErr Jesus begehrt, daß der himmlische Vater Seine Apostel zur Zeit Seines Leidens von der Welt nehme, und sie dadurch aller fernern Leiden überhebe, so wäre es geschehen, weil der Vater den Sohn allezeit erhört. Es wäre auch damals allen treuen Aposteln das Sterben ein Gewinn gewesen, weil sie im Glauben und in der Gnade standen: allein der Heiland hatte noch andere Absichten mit ihnen, und wollte sie in die Welt ausschicken, um das Evangelium zu predigen. Auch das Leben eines Menschen, der einem unfruchtbaren Feigenbaum gleich ist, wird durch Seine Fürbitte so lange erhalten, bis alle Gnadenmittel zu seiner Zurechtbringung an ihn gewandt sind, sie mögen hernach die gehörige Frucht wirken oder nicht, Luk. 13,6-9. Aber auch ein jedes Kind, ein jeder Knecht Gottes hat die Erhaltung seines Lebens unter den vielen Nachstellungen des Satans, der ein Mörder von Anfang ist, Seiner Fürbitte zu danken. Wenn ein begnadigter Christ auch, wie Paulus sagen kann: ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, so muß er doch seinen Willen dem Willen seines HErrn unterwerfen, und wenn dieser ihn bleiben heißt, um mehr Frucht zu schaffen, sich es gefallen lassen. Phil. 1,22-24.
Aber die gegenwärtige Welt ist eben der Ort nicht, worin wahre Christen, welche die Kräfte der zukünftigen Welt schon geschmeckt haben, zu ihrem Vergnügen lange bleiben möchten. Es sei dem also: der HErr Jesus weiß aber besser als wir, was die Welt sei; denn Er hat gegen dreiunddreißig Jahre darin zugebracht, und Alles, was einem Pilgrim darin begegnen kann, auf das Hellste erkannt, und auf das Genaueste empfunden. Er hat auch das Wort Welt in seinem unvergleichlichen Gebet, das Joh. 17 steht, sechszehnmal ausgesprochen, und dadurch angezeigt, daß Er sie gar wohl kenne, und Sich dessen bewußt sei, was Er in Seinem Lauf durch die Welt erfahren habe. Wir dürfen auch nicht denken, daß Er den Unterschied zwischen Ihm selbst und Seinen Kindern und Knechten nicht wisse und zu Herzen nehme. Er ist aber in Allem versucht worden, und kann Mitleiden haben mit denen, die versucht werden, und weiß, was für eine Bewahrung sie nöthig haben.
Niemand denke, daß die göttliche Bewahrung nur den Aposteln zugedacht gewesen sei. Ihre Arbeiten, Leiden und Gaben waren ungemein, ihr Gott ist aber auch unser Gott, und wir sind durch eben das theure Blut Jesu Christi erlöset, durch welches sie erlöset worden sind, ja Alles, was Paulus Röm. 8,31-39. als den Grund des Sieges über Alles anführt, geht alle Glaubigen an. Deßwegen konnte Paulus an die Thessalonicher 2 Ep. 3,3. schreiben: der HErr ist treu, der wird euch stärken und bewahren vor dem Argen, und Petrus 1 Petr. 1,5. bezeugen, daß die Gerechten aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret werden zur Seligkeit. Durch den Glauben sagt er, denn ein Jeder, der unter allen Versuchungen vor dem Argen bewahrt werden will, muß auch darunter Gott vertrauen, und auf die Gnade und Kraft desjenigen, der stärker ist, als Alles, seine Zuversicht setzen.(Magnus Friedrich Roos)


Es ist ein seliges und liebliches Ereignis, das allen Gläubigen bevorsteht zu der Zeit, da es Gott wohlgefällig ist, dass wir heimgehn dürfen, um bei Jesu zu sein. Nach etlichen wenigen Jahren werden die Streiter des Herrn, die hienieden kämpfen „den guten Kampf des Glaubens,“ den Streit überwunden haben und werden eingegangen sein zu ihres Herrn Freude. Aber obgleich Christus will, dass die Seinen einst bei Ihm seien, wo Er ist, so bittet Er doch nicht, dass sie plötzlich von der Welt in den Himmel möchten genommen werden. Er wünscht, dass sie hienieden bleiben. Und wie oft sendet dennoch der müde Pilger die Bitte hinauf zum Gnadenthron: „O, hätte ich Flügel wie Tauben, dass ich flöge und irgendwo bliebe!“ aber Christus, unser Herr, bittet nicht also; Er hinterlässt uns und befiehlt uns in seines Vaters Hände, bis wir gleich Garben reifen Korns eingesammelt werden in die Scheunen unsres Meisters. Der Herr Jesus bittet für uns nicht um eine Erlösung durch einen baldigen Tod, denn es ist nötig, im Fleisch bleiben, um andrer willen, ob es uns auch nicht zum größern Segen dient. Er bittet, dass uns der Vater bewahre vor dem Übel, aber nimmermehr bittet Er für uns, dass wir eingehen dürfen zum Erbteil der ewigen Herrlichkeit, ehe wir zum vollen Alter herangewachsen sind. Christen wünschen oft zu sterben, wenn sie von irgendeiner Trübsal heimgesucht werden. Fragt sie warum, so antworten sie: „Weil wir möchten bei dem Herrn sein.“ Wir fürchten aber, es sei ihnen nicht sowohl darum zu tun, bei dem Herrn zu sein, als ihrer Trübsale los zu werden; sonst würden sie das gleiche Verlangen nach dem Tode auch zu andern Zeiten hegen, wo sie nicht dem Druck der Drangsale seufzen. Sie möchten gern heimgehen, nicht sowohl um der Nähe des Heilands willen, als um der Ruhe genießen zu können. Nun ist‘s aber recht und gut, wenn wir Lust haben, so abzuscheiden, wie der Apostel Paulus, dieweil bei Christo zu sein viel besser wäre; aber das Verlangen, der Trübsal zu entfliehen, ist ein selbstsüchtiger Wunsch. Vielmehr sei euer Sehnen und Sorgen, dass ihr möget Gott verherrlichen durch euer Leben, solange es Ihm gefällt, und wäre es auch mitten unter Mühe und Kampf und Leiden, und überlasset es Ihm, zu sagen: „Es ist genug.“ Wenn die rechte Stunde kommt, wird Er euch schon heimholen. (Charles Haddon Spurgeon)


Unser leidensscheues Herz hätte es freilich lieber gehabt, daß der Herr den Vater gebeten hätte: Nimm meine Jünger von der Welt weg, wo sie doch nur Angst und Anfechtung haben! Aber was wäre dann aus der inneren Entwicklung der Jünger selbst geworden und was aus ihrem Lebenszweck, der Weltmission? Darum ist es nötig, daß sie in der Welt bleiben. Als Trost waltet Jesu Fürbitte über ihnen:„Daß du sie bewahrest vor dem Übel.“ Vergleichen wir das Kleinste mit dem Größten! Auch unser Leben hat diese zwei Linien einzuschlagen, seit wir lebendig im Glauben wurden: es muß aus jedem doch noch etwas werden, damit das Bild Jesu an ihm offenbar werden könne, und es muß doch jeder sein noch so bescheidenes Stückchen Arbeit fürs Reich Gottes tun. Darum nimmt der Herr nicht jeden gestern gläubig gewordenen flugs in die Seligkeit hinein, sondern läßt ihn hier auf Erden sein Brot noch manchmal mit Tränen und Seufzen essen. Vor seelenmörderischem Übel will er uns bewahren, vor der geistigen Pest, die im Finstern schleicht - aber das Weltleid kriegen wir alle ebensogut wie die Arbeit an dieser Welt. Was sollte sonst aus uns beiden werden, der Welt und uns?
Ach, Herr Jesus, laß uns nicht allein in dem täglichen Arbeiten und Seufzen. Sei du die Sonne unserer Tage, der Trost in unserer Traurigkeit und der Friede unseres Abends. Wir schauen auf dich. Gib uns deine Freundlichkeit zu spüren! Amen. (Samuel Keller)

17:16 Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich auch nicht von der Welt bin.3)
Daß Jesus nicht von der Welt war, steht außer allem Zweifel. Was aber sollen wir zu der Gleichung sagen, die er zieht, daß seine Jünger in diesem Punkt auch ihm gleichen? Das kann nur bedeuten, daß das eine Stück neuen Lebens, das sie durch seinen Geist empfangen haben, nicht von der Welt stammt, sondern aus ihm. Sonst ist ihr äußeres Leben nicht viel anders, als ordentliche, ehrbare Weltmenschen es auch unter de Einfluß christlicher Zucht und Sitte haben können. Der Hauptunterschied, das total Neue, steckt unsichtbar (unser Leben ist verborgen mit Christo) in ihrem Herzen und Willen, in ihrer Gesinnung und ihren Trieben, in ihrem Hassen und Lieben. Jeder muß wohl für sich selbst ganz überzeugt sein, daß er diesen wesentlichen Unterschied von der Welt in sich trage, aber über andere erlaube er sich nicht schnell ein Urteil. Mancher ist in christlicher Luft erwachsen und hat sich so die Formen der Gläubigen angewöhnt, daß man ihn auf den ersten Blick für „nicht von der Welt“ halten muß. Wenn man aber seine Stellung zum Geld, sein Benehmen gegen die Nächsten, seine Gesinnung betreffs Eitelkeit und Empfindlichkeit kennen lernt, wird man sagen müssen, es sei doch Welt - nur an manchen Stellen fromm angestrichene Welt!
Herr, erlöse uns von allem frommen Scheine, dem das innere Wesen und die Wahrheit der Gesinnung nicht entspricht. Hilf uns zum vollen Siege der Wahrheit in allen Stücken, damit man an uns sehe, was wir sind, nämlich dein Eigentum. Amen. (Samuel Keller)

17:17 Heilige sie in deiner Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.
Mit dem Augenblick der Wiedergeburt beginnt auch die Heiligung. Der Geist Gottes haucht dem Menschen jenes neue Leben ein, durch welches er eine „neue Kreatur“ in Christo Jesu wird. Dies Werk, das mit der Neugeburt anfängt, wird in zwiefacher Weise fortgeführt, durch die Selbstverleugnung, in welcher die Lüste des Fleisches gedämpft und unterdrückt werden; und durch die Lebendigmachung, wodurch das Leben, das Gott in uns gepflanzt hat, zu einem Brunnen lebendigen Wassers wird, das in das ewige Leben quillet. Beides vollzieht sich täglich in dem, was man „Standhaftigkeit“ nennt, wodurch der Christ bewahrt und gefördert wird in einem Stande der Gnade und erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesum Christum geschehen zur Ehre und zum Lobe Gottes; und es gipfelt sich und kommt zur Vollkommenheit in „Herrlichkeit“, wenn die Seele, nachdem sie völlig durchläutert ist, aufgenommen wird in den Himmel, um zu wohnen mit allen heiligen Wesen zur Rechten der Majestät in der Höhe. Aber während der Geist Gottes auf solche Art der Urheber der Heiligung ist, tritt noch eine wahrnehmbare wirksame Macht hinzu, die nicht darf außer acht gelassen werden. „Heilige sie,“ spricht der Herr Jesus, „in Deiner Wahrheit: Dein Wort ist die Wahrheit.“ Die Stellen Heiliger Schrift, welche zeigen, dass das Werkzeug zu unsrer Heiligung das Wort Gottes ist, sind sehr zahlreich. Der Geist Gottes bringt unserem Gemüt die Vorschriften und Lehren der Wahrheit nahe und macht sie kräftig und wirksam in ihm. Sie werden mit dem Ohr vernommen und empfangen im Herzen, und wirken in uns beides, das Wollen und das Vollbringen, nach Gottes Wohlgefallen. Die Wahrheit ist, was uns heiliget, und wenn wir die Wahrheit nicht hören oder lesen, so können wir nicht in der Heiligung wachsen.
Wir können nur dann in einem gesunden Leben wandeln und wachsen, wenn wir zunehmen in der gesunden Erkenntnis der Wahrheit. „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Sage nicht von irgendeinem Irrtum, es habe nichts auf sich, es handle sich bloß um Ansichten und Meinungen. Niemand duldet einen Irrtum im Urteil, ohne früher oder später auch einen Irrtum in der Tat zu gestatten. Bleibe streng bei der Wahrheit, denn wenn du das tust, wird dich der Geist Gottes heiligen. Herr, heilige auch mich in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit! (Charles Haddon Spurgeon)


Heiligen heißt nicht nur reinigen von dem Bösen, sondern auch aussondern und bestimmen zum Dienst Gottes. Offenbar ist in unserem Text als Mittel, wodurch der Vater Jesu Jünger zu seinem Dienste reinigen und aussondern möchte, das Wort der Wahrheit gemeint. Gottes Wort unterscheidet deutlich zwischen Recht und Unrecht, Rein und Unrein und bezeugt sich am Gewissen als ein unbestechlicher Richter der Gedanken und Triebe des Herzens. Das kann unserer Trägheit und Selbstsucht, unsern unedlen Unterströmungen und eigensinnigen Nebentönen sehr unbequem werden. Aber der wirkliche Dienst Gottes verträgt keine innere Halbheit und Gebundenheit an andere Zwecke. Entweder muß man dem haarscharfen Zeugnis des Wortes im Gewissen nachgeben und jede Verbindung mit solchen Gedanken und Wünschen fahren lassen, oder man muß sich aussperren lassen vom himmlischen Arbeitgeber. Das ist ein Fluch in manchen christlichen Arbeiten, daß die Leute, die der Herr eigentlich als untreu beiseite geschoben hat, so daß er nichts mehr durch sie wirkt, ruhig in ihrem Getue fortfahren! Mit solchen innerlich unwahrhaftigen Arbeitern kann aber der Wahrhaftige sein Werk nicht treiben; sie lärmen weiter, aber es geschieht nichts.
Davor behüte uns, lieber himmlischer Vater! Lehre uns auf das Zeugnis deines Geistes im Gewissen achten, damit wir innerlich deinem Wort gehorsam werden, ehe wir Hand anlegen, um andere zu bessern. Amen. (Samuel Keller)

17:18 Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.

17:19 Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.
Halte dich an den Unsichtbaren, als ob du Ihn sehen würdest; wandle von Stunde zu Stunde vor dem Angesicht Christi. Am Herrn allein sollst du hangen, dann wirst du Ihm ähnlich und Seines Wesens teilhaftig. Die geistige Atmosphäre wird da rein, wo Jesus im Herzen wohnt, wo sich Seine Kraft offenbart. O glaube es: Reinheit ist Seligkeit! Das Leben mit dem Herrn ist keine Last. Je völliger deine Gemeinschaft mit Ihm ist, desto fröhlicher wirst du trotz aller Leiden dieser Zeit. Sein Umgang mit uns heiligt uns. Er zerstört in uns die Sündennatur und pflanzt die göttliche Natur in unser Ich ein, so dass wir in Wahrheit neue Geschöpfe, Menschen Gottes sind. Wenn wir als Gläubige, als von der Sünde Gerechtgesprochene in Jesus bleiben und Er in uns, so sind wir durch Ihn und in Ihm heilig. Dies ist so einfach, dass jeder es verstehen, und so köstlich und selig, dass jeder es fassen und ergreifen kann. Nicht erst im Himmel kannst du ein Heiliger werden, hier auf Erden, hier im Vorhofe des Himmels geht das Wort des Herrn an dich: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ Ist dein Ziel die Heiligung, so wolle, was Er will, und erfülle mit Freuden Seinen Willen. Er ist nahe, Er kommt, darum drängt Er dich zur Heiligung. Hast du Ihn lieb, willst du Ihn auch schauen, so hast du ein brennendes Verlangen, Ihm ähnlich zu sein. So lass dich denn umschmelzen, reinigen und erneuern, dass Jesu Bild in dir entsteht. (Markus Hauser)


Siehe, wie er so deutlich redet von der wahrhaftigen Heiligkeit, uns zu warnen, daß man sich vorsehe und der rechten Heiligkeit nicht fehle, und zu wehren, daß man nicht anders predige, denn von seiner Heiligung, noch etwas erdenke und angreife, darinnen man Heiligkeit suche. Denn er hat wol gesehen, wie schwer es eingehet und so viel Anfechtung hat, so gar hängets uns an, auch denen, die Christen sind, daß man etwas bei sich selbst suchet, das wir selbst thun und die Heiligkeit erlangen möchten. Da will niemand an, daß er sich bloß ans Wort hänge, und in Christi Heiligkeit krieche. Darum hat er (sage ich,) so fleißig das Wörtlein: in der Wahrheit, wiederholt, und gesetzt wider alle Welt und menschliche Heiligkeit. Meine Heiligkeit, spricht er, machet sie wahrhaftig heilig. (Martin Luther)

17:20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden,
Es ist etwas sehr Erfreuliches für uns, daß der HErr Jesus auch für diejenigen gebeten hat, die durch das Wort Seiner Apostel an Ihn glauben würden: denn fürwahr, Er ist der Sohn Gottes, den der Vater allezeit hört, Joh. 11,42. Was begehrte Er aber, da Er für sie betete? Er sagte zu Seinem Vater: Ich begehre, daß sie Alle Eines seien, gleichwie Du Vater in Mir, und Ich in Dir, daß auch sie in Uns Eines seien, auf daß die Welt glaube, Du habest Mich gesandt. Dieses Eines sein muß etwas sehr Großes sein, und die ganze Seligkeit in sich fassen, weil der Heiland für die Glaubigen sonst nichts als dieses begehrt hat. Er hatte Seinen himmlischen Vater V. 3. dadurch geehrt, daß Er Ihn den einigen wahren Gott nannte, und nun begehrte Er, daß die Glaubigen auch Eines, das ist Eine Heerde, Ein Volk, Ein Leib, Eine Braut, übrigens aber von der Welt geschieden sein sollen, V. 16. Er begehrte, daß sie Alle Eines sein sollen, gleichwie der Vater in Ihm, und Er in dem Vater sei, oder wie Er und der Vater Eines seien, wie Er V. 22. redet. Der Vater und Sohn sind also nicht nur wegen der Uebereinstimmung des Willens Eins; denn wenn Zwei einstimmig denken und wollen, so sagt man deßwegen nicht, daß Einer in dem Andern sei. Auch wird von den Glaubigen nicht gesagt, daß Einer in dem Andern sein müsse, gleichwie der Vater in dem Sohn, und der Sohn in dem Vater ist, sondern Christus sagt nur, sie sollen Eines sein, gleichwie der Vater in Ihm sei, und Er in dem Vater. Der Vater und der Sohn sind also auf eine höhere Art Eins, als die Glaubigen unter sich sein können: doch sollen auch diese Alle Eins sein auf eine niedrigere Weise, wie der Vater und Sohn auf eine höhere Art Eines sind. Sie sollen in dem Vater und Sohn Eins sein. Alle und ein Jeder für sich sollen mit dem Vater und Sohn Gemeinschaft haben, Alle sollen den Geist des Vaters und des Sohnes empfangen haben, und dadurch mit dem Vater und Sohn vereinigt sein. Alle sollen des Vaters Kinder, des Sohnes Glieder, und Tempel des Heiligen Geistes sein. Bei Allen sollen alle die Gründe der Geistes-Einigkeit vorhanden sein, die Eph. 4,4.5.6. angeführt werden. Ob also gleich die Einigkeit der Glaubigen unter sich nicht an die Einigkeit des Vaters und des Sohnes heranreicht, so reicht sie doch weit über den Gedanken von Freundschaft und Uebereinstimmung im Denken und Wollen hinaus. Ein göttlicher Geist ist nach Seinem Wesen in Allen, Ein HErr siehet Alle als Sein Eigenthum an, Ein Gott und Vater ist über Allen, durch Alle und in Allen. Ob sie also gleich nicht Einen Menschen miteinander ausmachen, gleichwie die drei göttlichen Personen Ein Gott sind, so werden sie doch durch das einige göttliche Wesen zusammen gehalten und miteinander verbunden. So lange die Sünde nicht ganz vertilgt, und die Heiligen nicht ganz verklärt und über alles Stückwerk der Erkenntniß erhöhet sind, kann diese Einigkeit noch nicht vollkommen sein. Sie werden aber einmal vollendet werden in Eines, Joh. 17,23., das ist, sie werden so vollendet werden, daß sie im höchsten Grad, dessen die menschliche Natur fähig ist, in Gott Eine, folglich auch in der Liebe des einigen Gottes ewiglich und völlig vergnügt sein werden. An diesem Allen haben wir vermöge der Fürbitte Jesu Antheil, wenn wir durch das Wort der Apostel an Ihn glauben.(Magnus Friedrich Roos)


Da haben wir eine Fürbitte Jesu für uns, weil wir ja auch zu denen gehören, die durch das Wort der Apostel an ihn gläubig geworden sind. Wenn ein Mensch, den wir lieben und von dessen Glaubensstellung wir überzeugt sind, uns versichert, daß er für uns betet, so kann in dunklen Stunden und schweren Versuchungen die bloße Erinnerung an solche Fürbitte uns eine gewaltige Stütze und Hilfe sein. Oder man könnte auch sagen, daß in solcher Erinnerung uns die Kraft und die Erhörung der Fürbitte spürbar wird. Sollte das nicht in noch ganz anderer Weise der Fall sein, wenn wir uns des Fürsprechers beim Vater erinnern, der uns vertritt mit unaussprechlichem Seufzen! Mir ist wiederholt in besonderen Zeiten geistlicher Not diese Steigerung lebendig geworden; zuerst fiel mir ein, wie dieser und jener meiner Freunde für mich bete, und das fing an, mich aus meiner verzagten Stimmung herauszuheben; im nächsten Augenblick dachte ich an Jesu Fürbitte, und da war das stärkende Vertrauen wieder hergestellt, und der nächste und letzte Absatz war dann das Bewußtsein seiner Nähe. Die Dankbarkeit für das neue Erfahren der alten Treue Gottes strahlte über meinem Erdentag.
Herr Jesus, ich danke dir, daß du mich nicht hast versinken lassen, wenn ich in der größten Schwachheit meines Glaubens steckte. Stärke mir durch solche Erfahrungen den Glauben und bringe mich endlich heim ins Land ohne Versuchungen. Amen. (Samuel Keller)

17:21 auf daß sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; daß auch sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, du habest mich gesandt.
Gott einigt uns. Wer sich von Gott löst und sich selbst zum Herrn über sein Leben macht, ist mit niemand mehr eins. Nun misst er alle Dinge nach seinem eigenen Mass, sieht nur auf seine Zwecke, arbeitet, wirbt und kämpft für sich. Da dies die anderen ebenso tun, ist der Streit da. Wir machen den Versuch, ihn dadurch zu verhüten, dass der eine den anderen unterjocht. So entsteht eine um ihn gescharte Gruppe, die ihm dienen muss. Aber Einigung ist das nicht; denn Einigung gibt es nur zwischen Freien. Die Natur kommt uns zu Hilfe, weil sie uns die anderen unentbehrlich macht. Sie zwingt uns, Frieden zu halten, weil wir uns selbst zerstören, wenn wir die anderen verderben. Aber auch dieser erzwungene Friede ist noch nicht Einigung. Gott dagegen einigt uns; denn er ist derselbe für uns alle und macht uns von uns selber frei. Weil Gott uns einigt, macht Jesus aus der Einheit der Seinen seine Bitte. Sie muss erbeten sein, weil Gott sie wirkt. Solange wir mit unseren eigensüchtigen Gedanken ausgefüllt sind, wissen wir nicht einmal, was Einheit ist. Deshalb zeigt sie uns Jesus an seiner Verbundenheit mit dem Vater. „Du Vater, in mir und ich in dir.“ Das war nicht Unterjochung, sondern Geeintheit in der Gemeinsamkeit des Willens. Der Vater steht in seiner herrlichen Einzigkeit auch über dem Sohn und der Sohn steht in seiner eigenen Lebendigkeit vor dem Vater. Dies trennt sie aber nicht, der Vater ist der im Sohn Redende und Wirkende und der Sohn ist mit allem, was er will und tut, in die gebende Gegenwart des Vaters hineingestellt. Diese Einheit ist das Vorbild für die, die nun Jesus für seine Gemeinde erbittet und für sie empfängt. Sie kann ihren Beruf nicht erfüllen, wenn sie in eine gegeneinander kämpfende Schar zerbricht. Sie soll der Menschheit zeigen, dass ihr Herr die Sendung vom Vater empfangen hat, die ihn zum Schöpfer und Herrn der in Gott geeinten Gemeinde macht. Sie ist aber keine Gemeinde, wenn sie die Einheit verliert. So gleicht sie der Welt, in der jeder gegen den anderen sich wehrt, und hat die Kraft verloren, die die Welt zum Glauben führt.
O barmherziger Gott, mache uns eins. Wir finden den Weg zueinander nicht, weil wir das Unsrige suchen. Aber Du vergibst Deiner Christenheit alle ihre Eigensucht und machst uns Deinen Namen groß, der uns von ihr befreit. Um dieses Wunder deiner allmächtigen Barmherzigkeit bitte ich Dich. Amen. (Adolf Schlatter)


Wenn der Herr im hohenpriesterlichen Gebet fünfmal diese Bitte seinem Vater vorträgt, und das laut vor seinen Jüngern, dann ist's klar, daß es ihm ein wichtiges Anliegen war und eine ernste Mahnung an die Jünger. Das spüren wir alle, so wahr wir seines Leibes Glieder sind, und wir kennen auch in der Vorstellung eine allgemeine christliche Kirche. Wir sind auch, wenn es gilt, gegen das freche Antichristentum unserer Tage einig, die Hauptsätze unseres christlichen Glaubens zu verteidigen. Das ist aber auch alles. Weiter kommen wir jetzt eben noch nicht. Bildung, theologische, kirchliche, persönliche Auffassung, sowie die praktischen Folgen beim Zusammenkommen mit Brüdern anderer Konfessionen schaffen für ein wahres, christliches Gewissen so verschiedene Sehfelder, daß ein jeder ehrlich sagen muß: Bis hierher kann ich nachgeben, aber jedes Wort weiter ist mir Sünde. Das soll uns aber in der persönlichen Bruderliebe und der gegenseitigen Achtung und geeintem Kampf gegen den gemeinsamen Feind nicht stören. Der Herr Jesu wird durch die Entwicklung der Geschichte in der Endzeit selbst die Einigung machen. Dann wird sie echt und haltbar sein für die Ewigkeit.
Herr, tue aus unsern brüderlichen Beziehungen alle Sünde fort, allen Neid, alle Mißachtung, alle Lieblosigkeit, alle Rechthaberei. Lehre uns lieben, wie du geliebt hast und deinen Sinn pflegen untereinander. Amen. (Samuel Keller)

17:22 Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind,
Schaue an die außerordentliche Freigebigkeit des Herrn Jesu, denn Er hat uns sein Alles geschenkt. Wenngleich schon der bloße Zins alles dessen, was Er besitzt, eine ganze Welt von Engeln über alle Vorstellung reich gemacht hätte, so gab Er sich doch nicht zufrieden, bis dass Er all sein Eigentum uns zu eigen gegeben hatte. Es wäre schon eine überaus wundervolle Freundlichkeit gewesen, wenn Er uns gestattet hätte, die Brosamen seiner Güte unter dem Tische seiner Gnade aufzulesen und zu essen; aber was Er tut, will Er nicht nur halb tun; Er setzt uns zu sich an seine Freudentafel, und teilt sein Mahl mit uns. Hätte Er uns eine kleine Zehrung von seinem königlichen Einkommen gewährt, so hätten wir Ursache genug gehabt, Ihm unsre Liebe auf ewig zu schenken; aber nein, Er will haben, dass seine Braut so reich sei wie Er und begehrt keine Herrlichkeit und keine Hoheit zu besitzen, die sie nicht mit Ihm teilt. Er hat sich nicht mit etwas Geringerem begnügen wollen, als damit, dass wir seine Miterben sein sollen, und hat uns ein gleiches Erbteil zu eigen geschenkt. Er hat alle seine Schätze ausgeschüttet in die Schatzkammer der Brautgemeinde, und hält alle Dinge gemein mit seinen Erlöseten. Es ist kein Gemach in seinem Hause, dessen Schlüssel Er den Seinen vorenthielte. Er gewährt ihnen volle Freiheit, alles, was Er hat, sich zum Eigentum zu nehmen; Er hat es gern, wenn sie mit seinen Schätzen frei schalten und walten, und für sich behalten, so viel sie nur zu tragen vermögen. Die unendliche Fülle seiner Allgenugsamkeit steht dem Gläubigen so frei zur Verfügung, wie die Luft, die er atmet. Christus hält den Becher seiner Liebe und Gnade dem Frommen an die Lippen und heißt ihn trinken ohne Aufhören; denn wenn er den Becher leeren könnte, so wäre er ein willkommener Gast; aber auch so, wo er ihn nie und nimmer zu erschöpfen vermag, soll er nur forttrinken in alle Ewigkeit, denn alles gehört ihm. Was können Erde und Himmel für einen stärkern Beweis der Gemeinschaft geben? (Charles Haddon Spurgeon)


Gestern Abend betrachtete ich mit meiner Familie Joh. 17,22: „Und Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du Mir gegeben hast, daß sie eines seien, gleich wie Wir eines sind.“ Das Wort „Herrlichkeit“ machte uns tiefen Eindruck. Der Heiland nennt das Einssein der Seinen Herrlichkeit, gewiß deswegen, weil dieses Einssein durch den Geist der Herrlichkeit zustande kommt, und weil eine Jüngerschar, die eines ist, durch ihre Liebe leuchtet in der Welt, damit die Welt durch unser Leuchten zum Glauben an Jesum komme (Vers 21,23). Heute morgen kam Ihr Brief an, in dem Sie seufzen über den gegenwärtigen Zank von innerkirchlichen und außerkirchlichen Kindern Gottes. Ja, lieber Freund, ich seufze mit Ihnen über dieses Gezänke. Die einen rufen: „Heraus aus der Landeskirche, wenn ihr Jesu Jünger sein wollt!“ und die anderen sagen: „Wir können auch in der Landeskirche Jesu Jünger sein!“ Nun fragen Sie mich: Wer hat recht?
Sie wissen, daß ich in der Landeskirche 80 Jahre alt geworden bin. In diesen 80 Jahren habe ich in Afrika, in England, Schottland, der Schweiz und in Deutschland verschiedene Staatskirchen, Freikirchen und Gemeinschaften kennen gelernt. Unter all diesen Kreisen und Gemeinschaften habe ich nicht eine gefunden, ber der nicht viel zu wünschen übriggeblieben wäre. So kam es, daß ich in meinem Leben, durch göttliche Führung, keinen kirchlichen Austritt und keinen kirchlichen Eintritt zu verzeichnen habe. Das kommt wohl auch daher, daß ich seinerzeit bei meinem Heiland gründlich eintrat und von Anfang an den Eindruck bekam, daß wir bei Ihm alles finden, was wir zu unserer Vollendung brauchen. Ich begegnete vielen in meinem langen Leben, die sich längere Zeit mit Kirchenfragen quälten. Nicht wenige dieser Leute machten mir den Eindruck, daß sie in ihrem Leben nie gründlich beim Heiland eingetreten seien; es fehlte ihnen an einer wahrhaftigen Bekehrung; darum waren sie unbefriedigt und suchten bei Menschen, was sie allein bei Jesu finden konnten.
Gewiß braucht jedes Kind Gottes auch Gemeinschaft mit anderen Kindern Gottes; sie dient wesentlich zu unserer Förderung. Ich preise den Herrn, daß Er mich in der bewußten 57jährigen Gemeinschaft mit ihm immer auch Gemeinschaft mit seinen Kindern finden ließ. Die idealste und schönste Gemeinschaft hatte ich in Bern, und ich freue mich heute noch, daß in jenem engeren Kreis kirchliche und freikirchliche Glieder die Kniee zusammen beugten, ohne die geringste Schwierigkeit. Unsere Losung war: „Er das Haupt, wir Seine Glieder.“ Auch in England hatte ich innige Gemeinschaft mit Kindern Gottes, deren kirchliche Anschauungen sich mit den meinen nicht deckten. Der selige Wilhelm Hoffmann, Hofprediger in Berlin, sagte vor Jahren: „Der Berg Zion ist höher als alle Kirchtürme.“ Wir könnten auch sagen: Der Leib Christi ist herrlicher als alle Kirchenabteilungen. Darum ist mir auch das gegenwärtige Zanken der Kinder Gottes von Herzen zuwider; es ist fleischlich. Ich mache nicht mit, weil ich fest überzeugt bin, daß der Heiland auch nicht mitmacht. Er steht himmelhoch über allem Parteigeist.
Wenn wir Menschen und Verhältnisse ohne Parteibrille ansehen, so ist es uns rein unmöglich, reines Geistesleben von der Zugehörigkeit zu einer Staatskirche oder einer Freikirche abhängig zu machen. Brüder, welche Kinder Gottes, die in der Landeskirche stehen, als Christen zweiter Klass ansehen, haben kein Urteil, das Beachtung verdient. Es kommt nicht darauf an, wo ich stehe, sondern wie ich stehe. Mein persönliches Verhältnis zu Christo gibt den Ausschlag. Ich kann einem Menschen unmöglich gerecht werden, wenn ich ihn nicht danach beurteile, was Christus an ihm getan hat. Nicht die äußeren Beziehungen, in welchen ein Mensch steht, geben ihm seinen Wert, sondern das Gnadenwerk des Heiligen Geistes in seinem Herzen gibt ihm vor Gott seinen Wert. Man sehe doch eine Familie an. Alle Kinder derselben stehen äußerlich in denselben Verhältnissen, und wie verschieden können die einzelnen Kinder sein! Lassen wir deshalb das Zanken und Richten, und lernen wir, einander in Christo anzusehen: dann wird Friede werden.
Ich sehe in dem gegenwärtigen Zanken eine List des Feindes. Wer offene Augen hat, der muß erkennen, daß in dem wachsenden frechen Unglauben unserer Tage eine gewaltige Aufforderung für uns Kinder Gottes liegt, uns zusammenzuschließen zu gemeinsamen Kampf gegen unseren gemeinsamen Feind. Die meisten Kinder Gottes sind heute noch in der Landeskirche. Viel mehr als 7000 beugen ihre Kniee vor dem lebendigen Gott und bilden ein Priester- und Zeugenvolk. Solange es uns noch möglich ist, zu zeugen von unserem gekreuzigten und auferstandenen Heiland, so wollen wir uns wohl hüten, mit dem flüchtigen Elia in die stille Höhle auf dem Horebzu fliehen; wir gehören auf den Kampffplatz des Karmel, und da wollen wir aushalten, solange uns unser Feldherr und König nicht abkommandiert. (Elias Schrenk)

17:23 ich in ihnen und du in mir, auf daß sie vollkommen seien in eins und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst.
Wenn die Vereinigung so innig ist, die zwischen unsern Seelen und der Person unsers Herrn und Heilandes stattfindet, wie tief und breit da der Strom unsers Umgangs mit Ihm fließen! Es ist kein dünnes Rohr, durch das die fadenschmale Strömung sich hindurchschlängelt, sondern es ist eine Wasserstraße von erstaunlicher Breite und Tiefe, längs deren herrlichem Bette eine meeresgleiche Flut lebendigen Wassers ihre Wogen hinabwälzt. Siehe, Er hat vor uns gegeben eine offne Tür, so wollen wir nicht verziehen, dadurch einzugehen. Diese Stadt der Gemeinschaft hat viele Perlentore, und jedes Tor ist weit aufgetan, damit wir sollen eingehen, eines willkommenen, herrlichen Empfanges sicher. Wäre nur ein enges Sprachgitter vorhanden, durch welches wir mit dem Herrn Jesus verkehren könnten, so müssten wir‘s dennoch für einen großen Vorzug achten, wenn wir ein Wort der Liebe und Gemeinschaft durch die schmale Öffnung werfen dürften; wie groß ist darum die Gnade, dass uns ein so weiter Zugang geöffnet ist! Wäre der Herr Jesus weit von uns entfernt, und trennten uns stürmische Meere von Ihm, so würden wir das sehnliche Verlangen hegen, Ihm einen Boten zusenden zu können, der Ihm unsre Liebesgrüße überbrächte, und uns Nachricht brächte aus seines Vaters Hause; aber siehe seine Freundlichkeit; Er hat seine Wohnung dicht vor unsrer Tür aufgeschlagen, ja, vielmehr, Er macht Wohnung bei uns, und richtet sich ein Heiligtum zu in unsern armen, demütigen Herzen, damit Er solchermaßen in beständigem Verkehr mit uns bleibe. Ach, wie töricht müssten wir doch sein, wenn wir nicht im unablässigen Umgang mit Ihm blieben! Wenn der Weg weit und gefahrvoll und mühselig ist, dann brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn Freunde einander nur selten besuchen; wenn sie aber bei einander wohnen, wird dann wohl Jonathan seinen David vergessen? Wenn ein Mann über Land ist, so mag sein Weib seinen Umgang und seine Unterhaltung manchen langen Tag entbehren; aber sie könnte es nicht aushalten, von ihm getrennt zu bleiben, wenn sie wüsste, er sei im Hause anwesend. Nun, gläubige Seele, sitzest du nicht bei Ihm an seinem Gastmahl? Suche deinen Herrn, denn Er ist dir nahe; umarme Ihn, denn Er ist dein Bruder. Lass Ihn nicht, denn Er ist dein Mann, und drücke Ihn an dein Herz, denn Er ist dein Fleisch und Blut. (Charles Haddon Spurgeon)

17:24 Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet ward.
Mit einer Freimüthigkeit, welche nur dem eingebornen Sohn Gottes gebührt, sagt der HErr Jesus in Seinem Gebet: Vater Ich will. Kein Prophet, kein Apostel hat jemals so zu Gott gesagt. Am Oelberg sagte der HErr Jesus: nicht Mein Wille, sondern Dein Wille geschehe, und meinte, da Er von Seinem Willen redete, den Willen Seiner dem Vater zum tiefsten Gehorsam unterworfenen, aber doch schwachen menschlichen Natur. Joh. 17. aber sagte Er als Gottmensch, und als der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schooß ist: Vater Ich will, und war gewiß, daß, was er wollte, auch der Vater wollte. Was wollte Er denn? Ich will, sagte Er, daß, wo Ich bin, auch die bei Mir seien, die Du Mir gegeben hast, daß sie Meine Herrlichkeit sehen. Wo ist denn Christus, nachdem Er in die Herrlichkeit aufgenommen worden? Er hat es selber angezeigt, da Er sagte: Ich gehe hin zu Dem, der Mich gesandt hat; Ich verlasse die Welt und gehe zum Vater, und da Er betend zu Seinem Vater sagte: Ich komme zu Dir, verkläre Mich nun bei Dir selbst. Christus ging zu Seinem Vater: wer also nach dem Tod da ist, wo Christus ist, der ist auch bei dem Vater, nämlich in des Vaters Haus, wo viele Wohnungen sind, im Tempel Gottes und vor Seinem Thron, und im neuen Jerusalem, welches eine Hütte Gottes bei den Menschen sein wird. Stephanus betete, als er sterben sollte. HErr Jesu nimm meinen Geist auf. Der Geist des Stephanus kam also zu dem HErrn Jesu, da er aus der irdischen Hütte ging, und eben dieses wird den Geistern oder Seelen aller Gerechten widerfahren, und doch wird das Sein bei Christo erst am jüngsten Tag seine Vollendung erreichen; denn Er wird alsdann noch zu den Gerechten sagen: kommet her, und sie werden, wenn sie dem HErrn in der Luft werden entgegen gerückt sein, also auf eine neue Weise, bei dem HErrn sein allezeit, 1 Thess. 4,7. Wer aber bei Christo ist, siehet auch Seine Herrlichkeit. Die Apostel sahen sie bei Seiner Taufe, bei Seinen Wundern, bei Seiner Verklärung auf dem Berge, und nach Seiner Auferstehung, doch war dasjenige, das sie sahen, eine noch verhüllte Herrlichkeit. Wenn man aber Jesum sehen wird, wie Er ist, so wird man Seine Herrlichkeit als ganz aufgedeckt sehen. Es ist die Herrlichkeit, welche Er schon als das Wort bei dem Vater gehabt hatte, ehe die Welt war, folglich eine göttliche Herrlichkeit, die aber Ihm hernach auch als einem Menschensohn gegeben ward, folglich im Himmel aus Seiner menschlichen Natur herausleuchten wird. Wer sie siehet, in dem spiegelt sie sich, in wem sie ich aber spiegelt, der wird in Sein Bild verkläret, und dieses fängt nach 2 Kor. 3,18. schon in dieser Welt bei den Gerechten an, wird aber in jener Welt vollkommen geschehen. Es wird nach dem Willen des Sohnes Gottes bei Allen geschehen, die Ihm der Vater durch Seine ewige Gnadenwahl und durch Seinen kräftigen Gnadenzug gegeben hat. HErr Jesu, ich bin Dein: Dein Wille geschehe auch an mir. Laß mich immer gewisser werden, daß ich auch unter denjenigen sei, die Dir der Vater als eine Beute und al ewiges Eigenthum gegeben hat.(Magnus Friedrich Roos)


Tod, warum rührst du den Baum an, unter dessen weitschattenden Zweigen der Müde Ruhe findet? Warum raubst du die Trefflichsten dieser Erde, an welchen wir unsre höchste Wonne haben? Wenn du deine Art gebrauchen willst, so versuche sie an den Bäumen, die keine Frucht geben, so wirst du dir Dank verdienen. Warum aber schlägst du die herrlichen Zedern auf Libanon? Ach, halt‘ inne mit deinen Schlägen und verschone die Gerechten! Aber nein, es darf nicht sein; der Tod trifft mit unwiderstehlicher Kraft die holdseligsten unter unsern Freunden; die Großmütigsten, die Gottesfürchtigsten, die Geheiligtsten, die Gesalbtesten müssen sterben. Und warum? Weil der Herr Jesus in seinem hohepriesterlichen Gebet gefleht hat: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast.“ Das ist es, was sie auf Adlers Flügeln gen Himmel trägt. Immer und immer wieder steigt ein Kind des Glaubens von dieser Erde zum Paradies empor; es ist eine Erhörung des Gebets unsers Heilandes. Ein trefflicher alter Gottesmann sagt: „Manchmal arbeiten Jesus und die Seinen einander im Gebet entgegen. Ihr beugt eure Kniee im Gebet und sprecht: Vater, ich will, dass, wo ich bin, Deine Heiligen bei mir seien; Christus spricht: Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast.“ So streitet die Absicht des Jüngers mit derjenigen seines Herrn. Die Seele kann nicht an beiden Orten zugleich sein; der Geliebte kann nicht zugleich bei Christo und auch bei euch sein. Nun, welche von beiden Bitten wird wohl den Sieg davontragen? Wenn du wählen dürftest; wenn der König von seinem Throne herabstiege und sagte: „Hier sind zwei Bittsteller, deren Anliegen einander zuwiderlaufen, welchem soll ich seine Bitte gewähren?“ O, ich bin gewiss, wenn es dich auch einen schweren Kampf kostete, so würdest du doch von deinen Knieen aufstehen und sagen: „Herr Jesu, nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe!“ Du würdest deine Bitte um das Leben deines Geliebten dahingeben, wenn du die Gewissheit hättest, dass Christi Gebet es anders will: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast.“ Herr, so nimm sie hin zu Dir! (Charles Haddon Spurgeon)


Hat uns der Heilige Geist innerlich das Zeugnis gegeben, daß das wirklich uns gilt:„die du mir gegeben hast“, dann soll das „Wo“ des Heilands auch unser „Wo“ werden. Seine Bitte klingt an dieser Stelle so eigentümlich befehlend:„Ich will“, daß wir den Eindruck bekommen, als bitte er jetzt nicht mehr, sondern zeige nur an, was er beschlossen hat. Und diese feste Tatsache bezieht sich auf unser Glück, daß wir nahen, lebendigen Anteil bekommen sollen an Jesu ewiger Herrlichkeit. Wir können uns das nicht vorstellen, unsere stärkste Phantasie hat keine Farben, das Bild zu malen, und doch können wir uns darauf freuen, weil wir Zutrauen zu Jesus haben und wissen, was wir an ihm haben. Der uns hier auf Erden so ob über Bitten und Verstehen geholfen und bisweilen so unsäglich wohlgetan hat - der kann sicherlich uns in einem andern Leibe, einer andern Umgebung, wo wir selbst ohne Sünde sein werden, noch ganz unaussprechliche Freuden bereiten. Hier auf Erden seine Schmach mit ihm geteilt - einst seine Herrlichkeit mit ihm zusammen genossen! Das eine ist kurz und zeitlich, und wenn man's recht bedenkt, gar nicht so schlimm, und das andere ist ewig und über alles Träumen hinaus herrlich!
Auch wenn du, Herr Jesus, uns keine solche Herrlichkeit verheißen hättest - wir können von dir nicht lassen. Und wenn es nur dein Wohlgefallen wäre, das ewig auf uns ruht, dann folgten wir dir unser Leben lang. Gelobt sei dein Name! Amen. (Samuel Keller)


Wegen dieser Fürbitte des Sohnes Gottes konnte Paulus Phil. 1,23. schreiben: ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, und 1 Thess. 4,17.: wir werden bei dem HErrn sein allezeit, ingleichen Johannes 1 Joh. 3,.: wir wissen, daß wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Große Verheißungen! in eben den himmlischen Tempel aufgenommen werden, in welchem Christus Sein Priesterthum verwaltet, Offenb. 7,15. Hebr. 8,2., und in der Stadt Gottes wohnen, welche eine Hütte Gottes bei den Menschen sein, und in welcher der Thron Gottes und des Lammes sein wird, Offenb. 21,3. 22., und die Herrlichkeit Jesu sehen, und durch dieses Sehen Ihm gleich werden, gleichwie ein reiner Spiegel, wenn er gegen die Sonne gehalten wird, voll Licht und Glanz und der Sonne gleich wird. Dieses ist die Hoffnung aller derjenigen, die der Vater dem Sohn gegeben, und diese sind erstlich die Auserwählten und Glaubigen, die vor Christo gelebt haben, hernach die Jünger und Jüngerinnen, denen Er den Namen Seines Vaters in den Tagen Seines Fleisches offenbarte, Joh. 17,6., und endlich alle diejenigen, die bis an’s Ende der Welt durch das Wort der Apostel an Ihn glauben werden V. 20. Diese Alle sind von dem Vater dem Sohn als ein Eigenthum, als eine Beute, als ein Volk, als eine Heerde gegeben. Sie sind Ihm schon durch eine ewige Erwählung gegeben worden, ehe der Welt Grund gelegt ward; in der Zeit aber ziehet der Vater alle diese Erwählten zu dem Sohn, und übergibt sie Ihm wirklich. Wir können in die ewige Erwählung, oder in die Tiefen der Gottheit nicht geradezu hineinsehen, und wollen da den Anfang nicht machen, wenn wir unsere Zufriedenheit und unsere Hoffnung gründen wollen, sondern uns selbst erforschen, ob wir uns von dem Vater zu dem Sohn ziehen lassen, und ob wir durch das Wort der Apostel an den Sohn glaubig worden seien, und nun gern mit Leib und Seele ewiglich Sein Eigenthum sein wollen. So gewiß wir sind, daß wir diesen Sinn bis an unser Ende durch Seine Gnade behaupten können und werden, so gewiß sind wir auch, daß wir dem Sohne vom Vater von Ewigkeit her gegeben worden; wie denn auch Paulus Eph. 1,.4. erstlich Gott und den Vater unsers HErrn Jesu Christi lobet, weil Er ihn und Andere mit einem geistlichen Segen in himmlischen Gütern durch Christum gesegnet habe, und hernach erst mit diesen Mitgenossen des geistlichen Segens auf die ewige Erwählung zurücksieht. Lasset uns nur im Glauben treu sein, und bis an’s Ende beharren: was der eingeborne Sohn von dem Vater begehrt hat, wird uns alsdann gewißlich zu Theil werden. Kein Mensch hätte mit seinem Verlangen bis zu dem Sein bei Christo und bis zu dem Sehen Seiner Herrlichkeit aufsteigen können, wenn nicht Christus vorangegangen wäre, und Sein Geist alsdann die Herzen der Glaubigen zu dieser Hoffnung erweckte. Wir sind nicht werth, dieses herrliche Ziel zu erlangen; aber der Sohn Gottes ist’s werth, daß der Vater thue und gebe, was Er will. Gelobet sei der HErr Jesus, daß Er uns die Hoffnung gegeben hat, nach der Vollendung der Pilgrimschaft ewiglich bei Ihm zu sein und Seine Herrlichkeit zu sehen! (Magnus Friedrich Roos)

17:25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese erkennen, daß du mich gesandt hast.
Sind wir Weltmenschen, oder sind wir Gottesmenschen? Weltmenschen leben ohne Gott in der Welt, der Heiland hat sie noch nicht dem Vater zuführen können. In ihnen lebt die Welt, weil sie diese liebhaben. Wenn du den Neigungen und Begierden des Fleisches noch folgen musst, dann bist du ein Weltmensch. Aber das Wesen dieser Welt vergeht, darum ist es schrecklich, ein Weltmensch zu sein. Wenn du diese Welt verlassen musst, so nimmst du sie als Weltmensch in deinem Herzen, in deinem Sinn und Wesen mit hinüber in die Ewigkeit. Dort aber kannst du diese Welt nicht mehr haben. Woran du hängst, das mangelt dir; ein nagender Wurm, eine quälende Sehnsucht, eine bittere Leere martert dich. Gottesmenschen sollen wir werden. Gott will es haben! Dazu ist Christus in diese Welt gekommen, dass wir durch Seine Macht Gottes Kinder werden können. Gottmenschen gehören Gott an, ihr Bürgerrecht ist im Himmel, die „Welt“ herrscht nicht mehr in ihrem Herzen. Sie haben nicht lieb die „Welt“, noch was in der „Welt“ ist, denn die Liebe Gottes ist in ihnen. Der Heiland spricht zu ihnen: „Ihr seid nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“; „ich habe euch von der Welt erwählet, darum hasset euch die Welt“! Ein Gottmensch wirst du nur durch die Geburt von oben, und diese wird dir zuteil, wenn du an den glaubst, der die Gottlosen gerecht macht. O sei es müde, ein Weltmensch zu sein! Lass dich erneuern durch die in Jesus dir angebotene Gnade. Ein Gottmensch zu werden, das ist ein hoher Beruf. Ergreife ihn! Verloren geht, wer träge hier zurückbleibt. Jesus will dich freimachen, völlig frei. O komme zu Ihm! (Markus Hauser)

17:26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und will ihn kundtun, auf daß die Liebe, damit du mich liebst, sei in ihnen und ich in ihnen.4)
Mein Heiland, Du leidest unschuldig, schreiest Du denn nicht um Rache über Deine Kreuziger? oder schreiet Dein unschuldiges Blut nicht um Rache? O nein, dieses redet bessere Dinge, denn Abels Blut; es schreiet um Gnade und Barmherzigkeit, wie Dein holdseliger Mund. Du sagtest einst, Du seiest nicht gekommen, daß Du die Welt richtest; das beweisest Du auch noch am Kreuze, und zwar hier im höchsten Grade. Wie Du im hohenpriesterlichen Gebete für Dich, für Deine Jünger und alle, die künftig noch an Dich glauben würden, flehetest, so bittest Du am Kreuze für Deine Feinde, die im tollen Grimme auf Dich zuschlagen. Du begleitest Dein fließendes blut und dessen unbegreifliches Reden mit der allerlieblichsten und kräftigsten Fürbitte. Gottlob, daß diese Deine Fürbitte gerade für Deine Feinde und Kreuziger geschieht; denn da gehet sie auch mich an, und ich nehme im Glauben auch Theil daran; auch meine Sünden, die Dich gekreuzigt haben, sind dadurch verbeten und vergeben; denn das Lob hattest Du schon längst Deinem Vater beigelegt, daß Er Dich, den Sohn, allezeit erhöre: also bist Du auch hier erhöret worden. O Du sanftmüthiges Lamm, Deine durch diese Fürbitte bewiesene Feindesliebe schmelze doch alles Harte, Rauhe, Unversöhnliche aus meinem Herzen hinweg; sie lasse mir stets diese ganz unschätzbaren Worte in meinen Ohren erschallen, und mich nie satt daran hören.
O Du vollkommner Hoherpriester, wie treulich richtest Du an diesem Deinem Versöhnungstage Dein Amt aus! Du opferst Dich selbst für die Sünde des Volkes, Du betest und verbittest die Sünde des Volkes mit einer Fürbitte, die mit Deinem eignen Versöhnungsblute besprenget ist. Vor den Ohren Deines Vaters wird gewiß jede Silbe Deiner Fürbitte eine viel lieblichere Schelle sein, als die Schellen an Aarons Rock. (2. Mose 28, 33.34.) Du wirfst gleichsam die theuern Worte: „Vater, vergieb ihnen!“ als ein wohlriechendes Rauchwerk auf das Feuer Deiner zarten Liebe, und gehest damit in’s Heiligthum. Wie wird dieser angenehme Geruch den häßlichen Gestank meiner Sünden vertreiben! Ich weiß nichts zu sagen, mein nie genug geliebter Heiland, als: Dank, Preis, Lob und Anbetung sei Dir gebracht in alle Ewigkeit! Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)


In diesem Kapitel ist das unvergleichlich schöne Gebet verfasset, welches der Sohn Gottes als unser ewiger Hoherpriester - kurz vor dem Antritt Seines schweren Kampfes am Oelberg - mit großer Bewegung Seines Herzens - für Sich, für die lieben Apostel und insgemein für alle Gläubigen - zu Gott, Seinem himmlischen Vater, gethan hat.
Die Kraft dieses Gebets währet bis an der Welt Ende, also daß wir uns dessen, so lange wir wahre und lebendige Gliedmaßen der Kirche Christi sind, in allen geistlichen und leiblichen Anfechtungen trösten dürfen. Denn nachdem wir von Christo die Gnadenversicherung haben: was wir den Vater bitten werden in Seinem Namen, das werde Er uns geben, - so hat ohne allen Zweifel dieser Gott und Vater im Himmel dasjenige Gebet, welches Sein eingeborner Sohn selber mit solcher Kraft, Andacht, Demuth und kindlicher Zuversicht vor Ihn gebracht, gnädiglich erhöret.
Es bittet aber der HErr JEsus erstlich für Sich selber, daß Ihn der Vater verklären, das ist, durch Leiden und Tod mit Preis und Ehre krönen, zu Seiner Rechten im Himmel setzen - und vor aller Welt durch die Predigt des Evangelii, welche Er, Christus, bereits im jüdischen Land angefangen, als den wahren Messias, den Er in die Welt gesandt habe, wolle bekannt werden lassen.
Vornehmlich ist der Hauptspruch wohl zu merken, daß dieses das ewige Leben - oder der Weg, Anfang und Vorschmack zu dem ewigen, seligen Leben sey, wenn man Gott den Vater und, den Er gesandt hat, Jesum Christum, erkenne, verstehe: im wahren Glauben und nach dem geoffenbarten Wort. Denn damit werden alle diejenigen widerlegt, welche dafür halten, der Mensch könne entweder durch das blose Licht der Natur und der Vernunft - außer der christlichen Kirche - oder doch in einer jedweden Religion durch Frömmigkeit des Lebens vor Gott gerecht und selig werden. Gott will aber in Seinem Sohn, Jesu Christo, recht erkannt und verehret seyn, „und ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name (unter dem Himmel) den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden“; wie auch St. Petrus sagt in der Apostelgesch. am 4.
Nachdem also Christus in Seinem Gebet zuerst um die Heiligung des Namens Gottes gebetet, gleichwie auch wir im Vaterunser zu thun angewiesen werden, gedenkt Er ferner Seiner Jünger, denen Er - ihrer großen, Ihm wohl bekannten Schwachheit ungeachtet - das Zeugniß gibt, sie haben Sein Wort angenommen - und wahrhaftig an Ihn geglaubet. Er bittet aber für sie, der himmlische Vater wolle sie in Seinem Namen, das ist, in Seiner Wahrheit, welche Er des HErrn Wort nennet, heiligen - und vor allem Uebel bei dem Haß der Welt und künftigen schweren Verfolgungen bewahren.
Es hat auch nicht nur Petrus, sondern auch die gesammte Zahl der übrigen Apostel diesem Gebet Jesu Christi, ihres HErrn und Meisters, gewißlich zu danken gehabt, daß ihr Glaube nicht aufgehöret; wie leider Judas, den der Heiland das verlorne Kind nennet, von dem bösen Feind sich hat verführen und überwinden lassen.
Wenn unser Jesus bezeuget. Er bitte nicht für die Welt, so darf solches nicht also verstanden werden, als habe Er nicht für alle Menschen in der Welt leiden und sterben sollen und wollen. Denn derselbe hat ja anderswo sogar für Seine Kreuziger gebeten, welche ohne Zweifel zu der gottlosen und verdammten Welt damals gehört haben, und sonst von allen Seinen treuen Nachfolgern begehret, daß sie für die bitten sollen, die sie beleidigen und verfolgen. Gleichwie Er aber ein Heiland aller Menschen ist und bleibet, denen auch das Evangelium nach Christi Himmelfahrt hat müssen verkündiget werden, so ist Er's insonderheit der Gläubigen, und diese liegen Ihm vornehmlich an Seinem Herzen.
Für die Gläubigen bittet Er auch in dem dritten und letzten Theil dieses Kapitels, wenn Er ausdrücklich neben den Aposteln und andern Jüngern selbiger Zeit Seinem himmlischen Vater diejenigen anbefiehlt, welche durch jenes Wort künftig noch an Ihn glauben würden.
Weil nun durch Gottes Gnade dieses Wort der lieben Jünger und Apostel Jesu noch unter uns vorhanden ist, so können alle, die dadurch an Jesum gläubig werden, das ist, vermittelst der Predigt des Evangelii von ihren Sünden sich zu Gott bekehren - und derselben Vergebung in Christi Leiden und Tod suchen, sich dessen getrösten, daß sie nicht allein hier in diesem Leben an Jesu Christo Theil haben - und mit Ihm und dem Vater, gleichwie unter sich selbst, in Gemeinschaft stehen, sondern auch dermaleinst der Fürbitte Jesu Christi wirklich genießen werden, da Er sich also vernehmen lasset: „Vater, Ich will, daß, wo Ich bin, auch die bei Mir seyen, die Du Mir gegeben hast.“
Gott erhalte und befestige uns in Seiner Wahrheit; Er gebe ewigliche Freiheit, zu preisen Seinen Namen, durch Jesum Christum. Amen. (Veit Dieterich)


Wer an Christo hanget, der hat eitel Gnade, und kann nicht verloren werden, ob er auch gleich aus Schwachheit fiele, wie St. Petrus, so ferne er nur das Wort nicht verachtet. Dieß bestätiget was oben gesagt ist, daß die wahren Auserwählten nicht verworfen werden, wenn sie gleich sündigen, und weisen es neben dem Exempel St. Petri aus auch Davids Exempel, Manasse, der offenbaren Sünderin, und aller die sich zu Gott bekehret haben. Ja obgleich etliche der Auserwählten ihr ganzes Leben durch in Irrthum, Sünden und Lastern gesteckt hätten, so haben sie doch vor ihrem Ende müssen Buße thun, und auf den rechten Weg kommen, und darauf dem Satan entlaufen, dieweil es unmöglich ist, daß sie der Satan dem Herrn Christo aus seiner Hand hätte reißen sollen, wie Joh. 10,28. stehet, und es ausweiset das trostreiche Exempel des einen Mörders oder Schächers am Kreuze, der an seinem letzten Ende Buße that, weil er war einer von den Auserwählten. Niemand aber soll darauf sicher sein, und denken, er wolle sich auch also am letzten Ende bekehren. Dann ob wohl eine späte Buße auch eine Buße ist, so ist späte Buße doch selten wahre, wie St. Augustinus sagt, und verläuft auch Gott ihr vielen den Weg, daß sie am letzten Ende nicht zur Buße kommen können, wie dem andern Schächer geschah. Darum sollen wir mit Furcht und Zittern schaffen, daß wir selig werden (wie oben gesagt ist). Dieweil es nicht so leicht ist, wie man vermeinen möchte, selig zu werden. (Martin Luther)<

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