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Matthäus, Kapitel 9

Matthäus, Kapitel 9

9:1 Da trat er in das Schiff und fuhr wieder herüber und kam in seine Stadt.

9:2 Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bett. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben.
Fragst du nun, woher die Gerechtigkeit komme, oder wodurch sie zuwege gebracht oder erworben sey? Antwort: Daher kömmt sie, daß Jesus Christus, Gottes Sohn, vom Himmel kommen und Mensch worden, für unsere Sünden gelitten hat und gestorben ist. Das ist die Ursach, das Mittel und der Schatz, durch welchen und um welches willen uns die Vergebung der Sünden und Gottes Gnade geschenket ist; denn solcher Schatz kömmt nicht zu uns ohne Mittel oder Verdienst. Aber weil wir alle, als in Sünden geboren und Gottes Feinde, nichts, denn ewigen Zorn und Hölle verdienet haben, daß alles, was wir sind und vermögen, verdammt ist, und keine Hülfe noch Rath, daraus zu kommen; denn die Sünde ist zu schwer, daß sie keine Creatur auslöschen, und der Zorn so groß, daß ihn niemand stillen noch versöhnen konnte; darum mußte ein anderer Mann an unsere Statt treten, nämlich Jesus Christus, Gott und Mensch, und durch sein Leiden und Tod für die Sünde genug thun und bezahlen. Das ist die Kost, so darauf gelegt und an uns gewendet ist, dadurch die Sünde und Gottes Zorn ist ausgelöschet und weggenommen, der Vater versöhnet und uns zum Freunde gemacht.
Solches wissen und glauben auch allein die Christen , und hier theilen sie sich von allem andern Glauben und Gottesdienst auf Erden. Denn die Juden, Türken, falsche Christen und Werkheiligen rühmen auch, daß Gott barmherzig sey, und ist kein Mensch auf Erden, der nicht wisse von Gottes Gnade zu sagen; und fehlen doch alle, daß sie keine Gnade und Vergebung der Sünde erlangen. Das machet, sie wissen nicht, wie man dazu komme, das ist, sie haben den Schatz nicht, in dem sie lieget, und daher sie fleußt, fahren in ihrer Blindheit und wollens mit ihrem Thun, strengen Leben und eigner Heiligkeit ausrichten, damit sie nur Gottes Zorn und Ungnade schwerer machen.
Darum ist noth, daß wir diesen Schatz lernen recht treffen, und die Vergebung suchen, da sie zu suchen ist; das ist, daß wir den Herrn Jesum Christum wohl lernen kennen, ergreifen und halten. Denn es ist beschlossen, daß ohne und außer dem Christo niemand vor Gott kommen, keine Gnade finden, noch der allergeringsten Sünde Vergebung erlangen soll. Denn weil du ein Sünder bist und ohne Unterlaß bleibest, so ist dein Gewissen da und verdammt dich, hält dir Gottes Zorn und Strafe vor, daß du keine Gnade sehen kannst. Daß sie aber dir vergeben werde, wirst du, wie gesagt, nicht in deinem Busen finden, damit du bezahlest, noch etwas aufbringen, darum dich Gott ansehen und das Register auslöschen solle: Wenn du aber Christum ergreifest, als der für dich dahin getreten, deine Sünde auf sich genommen und sich dir zu eigen gegeben hat mit alle seinem Verdienst und Gütern, so kann keine Sünde etwas wider dich vermögen. Bin ich ein Sünder, so ist er heilig und ein Herr über Sünde, Tod, Teufel und Hölle, daß keine Sünde mir schaden kann, weil er mir als meine Gerechtigkeit und Seligkeit geschenket ist.
Also haben wir wohl eitel Gnade und Vergebung aller Sünden; aber nirgend, denn durch und in dem einigen Christo, da muß es allein gesucht und geholet werden. Wer nun mit irgend einem Werk vor Gott kommt, das er solle ansehen und etwas gelten lassen, Gnade zu erlangen, der wird anlaufen und den Kopf zerstoßen, ja für Gnade eitel Zorn auf sich laden. Daher stehest du, daß alle andere Mittel und Wege verdammt sind als Teufelslehre, dadurch man die Leute führet und weiset auf ihre eigene Werke oder anderer Heiligkeit und Verdienst; als da sind der Heiligen Exempel, die strenge Leben und Orden geführet, viel gelitten und lange gebüßet., als auch die gethan haben, so die Leute in Todesnöthen getröstet und vermahnet, den Tod willig zu leiden für ihre Sünde. Denn es heißet, den Herrn Christum verleugnet, ja geschmähet und gelästert, wer sich unterstehet, etwas anders wider die Sünde zu setzen, und selbst auch Sünde zu büßen, als gelte Christi Blut nicht so viel als unsere Buße und Genugthuung, oder als wäre sein Blut nicht genug, alle Sünde auf Erden zu vertilgen.
Darum willst du der Sünde los werden, so laß nur anstehen, Werke und Genugthuung zu suchen und vor Gott zu tragen, sondern kreuch allein unter und in den Christum, als den, der deine Sünde von dir genommen und auf sich geladen hat, daß du nicht dürfest dich mit ihr schlagen noch etwas zu schaffen haben; denn er ist das Lamm Gottes, spricht Johannes C. I, 29, das der Welt Sünde trägt; und ist kein anderer Name unter dem Himmel, wie Petrus Apg. 4, 12. sagt, darinn wir können selig werden. (Martin Luther)


Krankheiten können Strafen und Gerichte wegen begangener Übertretung sein. Gott ist gerecht, Er kann die Sünde nicht ungestraft lassen. Auch liegt die Strafe nicht selten schon in der Übertretung selbst. Jede Sünde birgt in sich ihren gerechten Lohn. In vielen Fällen sind leider arge Krankheiten da„ bittere und einzige Erbe, das Kinder von ihren Eltern überkommen haben. Denken wir nur an manche Fallsüchtige, deren Mütter leichtsinnig und deren Väter elende Trinker, vielleicht zornwütige und fleischlich gereizte, schnell leidenschaftlich aufgeregte Trinker waren. Ein Heer von Übeln würde von der Erde nach und nach verschwinden, wenn wir mäßig, züchtig, keusch, rein und gerecht, sanftmütig und von Herzen demütig zu leben verstünden, wenn wir beharrliche Überwinder wären! Sowohl die geistigen als auch die fleischlichen Sünden zerstören den Organismus und ziehen festgesetzte Strafen nach sich. - Was aber ist zu tun, wenn nun jemand einen Fluch oder eine Strafe zu tragen hat, oder wenn es ihm ist, als stehe er im Gericht? Wenn Krankheit und Krankheiten dich niederbeugen, was dann? Heilung begehrst du! Dein Gott allein vermag den Fluch hinwegzunehmen, Er allein kann die Strafe erleichtern oder abkürzen oder sie gar, wenn die Buße gründlich ist, erlassen. Von den Sünden abzulassen, ist deine erste Pflicht. Solange dein Herz und deine Phantasie, dein Wille und dein Sinn nicht geändert, nicht geheilt sind, kann Gott die Last nicht von dir hinwegnehmen. Der Herr will und kann heilen; willst und kannst aber du von deinen Sünden ablassen? (Markus Hauser)

9:3 Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott.
Da uns die Ordnung unseres Gottesdienstes zur Beichte verpflichtet, so haben wir alle oft gehört: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Hätten wir bei uns Schriftgelehrte, wie sie vor Jesus saßen, die mit Ernst für Gottes Gebot und Ehre eiferten, so würden sie auch dazu sagen, das sei nicht Evangelium, sondern Lästerung; wenn wir unsere Sünden für vergeben erklären, so duldeten wir das Böse, und wer das Böse dulde, der erzeuge es. Sünde sei das, was nicht geschehen darf, weil es Gott gegen sich hat. Wenn wir das nach unserem Gutdünken für beseitigt erklären, so wäre auch dies schon Sünde; wenn wir aber in Gottes Namen mit Berufung auf Gott so handelten, so machten wir Gott zum Freund des Bösen und dies sei Lästerung. Diese Einrede ist ernst genug, so dass wir für sie eine klare Antwort haben müssen. Wenn ich selbst mich mit meinem Bösen versöhne, etwa weil ich nicht nur Schlechtes, sondern auch Gutes in meinem Leben finde, oder weil ich es bereue, oder weil ich nicht nur sündige, sondern daneben auch noch gläubig bin, das ist unzweifelhaft Sünde und ihre Befestigung und Vollendung. Daran darf sich kein Zweifel hängen, dass Gott vergibt, er allein, und die Frage, die ihre klare Antwort bekommen muss, ist die: Hat Gott mir vergeben? War es Gott, der damals dem Gichtbrüchigen vergab? Jesus sagt: Ja, Gott vergibt, und er nennt es nicht ein Geheimnis, das im Himmel verschlossen blieb; vielmehr hat der Menschensohn auf der Erde die Vollmacht, die Sünden zu vergeben. Daran, dass Jesus bei uns ist, Jesus zu uns spricht, Jesus uns seinen Tisch bereitet, Jesus für uns starb und für uns lebt, daran sehe ich, dass Gott mir vergeben hat. Das ist das Ende der Feindschaft, die Aufhebung der Entzweiung, die Wiederherstellung der Gemeinschaft, die den Verschuldeten suchende Liebe. Wenn ich zweifle, ob mir vergeben sei, so zweifle ich, ob Jesus zu uns gekommen sei, und wenn ich in der Beichte höre: eure Sünden sind euch vergeben, so vernehme ich die Botschaft Jesu, nichts anderes, als was mir die Weihnacht sagt, dass Christus geboren ist, und was ich am Karfreitag vernehme, dass er gestorben ist, und was ich am Ostertag höre, dass Er auferstanden ist. Was muss ich also tun, um die Vergebung zu empfangen und zu bewahren? Kommt zu mir, hat Jesus gesagt, und bleibt in mir. Das ist die Weise, wie uns Gott vergibt.
Vater, Du weißt, was wir bedürfen, ehe wir reden und bitten. Du weißt, dass wir Dein Vergeben bedürfen. Weil Du es uns gibst, suche ich es bei Dir und sage Dir Dank, dass ich es bei Dir suchen und empfangen darf. Amen. (Adolf Schlatter)

9:4 Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr so arges in euren Herzen?

9:5 Welches ist leichter: zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Stehe auf und wandle?

9:6 Auf das ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe, auf Erden die Sünden zu vergeben (sprach er zu dem Gichtbrüchigen): Stehe auf, hebe dein Bett auf und gehe heim!1)
Siehe, das ist eine der gewaltigsten Leistungen unsers großen Arztes: Er hat Macht, die Sünden zu vergeben! Solange Er hienieden lebte, ehe Er noch das Lösegeld bezahlt hatte, noch ehe das Blut wirklich auf den Gnadenstuhl gesprengt wurde, hatte Er Macht, die Sünden zu vergeben. Und sollte Er jetzt, da Er gestorben ist, die Macht der Vergebung nicht mehr besitzen? Welch eine Macht muss nicht in Dem wohnen, der die Schulden seines Volkes bis auf den letzten Heller getreulich erstattet hat! Er besitzt eine unbegrenzte Macht, da Er nun der Missetat gewehrt und der Sünde ein Ende gesetzt hat. Wenn ihr noch daran zweifelt, so schaut hin, wie Er von den Toten aufersteht! Betrachtet Ihn im Glanzlicht seiner Himmelfahrt, da Er erhöhet ist zur Rechten Gottes! Höret, wie Er Fürbitte tut vor seinem ewigen Vater, und auf seine Wunden hinweist, und das Verdienst seines heiligen Leidens geltend macht! Welch eine Macht der Vergebung findet sich hier! „Er ist aufgefahren in die Höhe und hat den Menschen Gaben gegeben.“ „Er musste auferstehen von den Toten und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden.“ Die blutigsten Sünden werden abgewaschen durch sein Blut der Versöhnung. In diesem Augenblick, liebe Seele, hat Christus Macht, dir zu vergeben, wie überaus sündig auch deine Sünde sei; hat Macht, dir zu vergeben, und mit dir Millionen andern, die nicht besser sind als du. Ein einziges Wort vollbringt es. Er braucht nichts mehr zu vollbringen, um deine Vergebung zu erlangen; das Versöhnungswerk ist ganz vollbracht. Er kann dein Geschrei und Tränen erhören, und dir heute, jetzt, deine Sünden vergeben und dich dessen gewiss machen. Er kann in eben diesem Augenblick deiner Seele einen Frieden mit Gott einflößen, der alles Verständnis übersteigt, und welcher entspringt aus der vollkommenen Versöhnung deiner mancherlei Übertretungen. Glaubst du das? Ich hoffe, du glaubst es. Mögest du nun die Macht Jesu, die Sünden zu vergeben, an dir erfahren! Verziehe keinen Augenblick, dich an den Arzt deiner Seele zu wenden, sondern eile zu Ihm mit dringendem Flehen um Gnade! Und siehe, wie brennt sein Herz in Liebe gegen dich! (Charles Haddon Spurgeon)


DAs ir / liebe Christen / nicht irret / wie die Phariseer und Heuchler / die da wehnen / Gott vergebe allein üsnde im Himel / Oder / wie die Papisten trewmen / im Fegfewer / ausserhalb der Erden. So solt ir wissen / das bey euch / unter euch / und durch euch / die ir auff Erden lebet / vergebung der sünden sey / gegeben und empfangen werde.
Also / das Gott der sünde vergibt / ja so nahe bey euch ist auff Erden / als Gott Schöpffer ist / der da auff Erden / schafft / erhelt / speiset / neeret und schützet. Denn gleich wie er durch euch / unter euch / bey euch / euch schaffet / erhelt / speiset / neeret und schützet. Also auch / beut er gnade an / und vergibt sünden / durch euch / unter euch / und bey euch / allen / die sein Wort annemen und gleuben.
Wolt ir nu Gott kennen / sehen / ja tappen / So sehet / und habt aucht auff euch selbs. Denn ir seid Gottes werck / und seine werck sind in euch / und unternander durch euch / in euch.
Und dis thu Ich / des menschen Son / durch euch. Denn Gott thut solchs nicht gegenwertig / in seiner Herrligkeit oder Maiestet / die euch zu sehen untreglich ist ( Denn kein Mensch wird leben / der Gott also sihet). Auch durch keine Engel nicht. Sondern des menschen Son / hat macht sünde zu vergeben auff Erden / Und nach im niemand / denn menschen Kinder imer fur und fur. Bis so lang der tage der seligen und herrlichen zukunfft des menschen Sons kome / Da wird denn Gott selbs / one euch sein und thun / alles in euch / und ir alles in Im / Amen. (Martin Luther)

9:7 Und er stand auf und ging heim.

9:8 Da das Volk das sah, verwunderte es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat. 2); 3); 4); 5)
Der HErr Jesus hatte zu dem Gichtbrüchigen, dessen redlichen israelitischen Glauben Er vor Sich sahe, gesagt: sei getrost, Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Dieser gnädige Zuspruch erquickte ohne Zweifel den Geist des Gichtbrüchigen, welcher durch die Erkenntniß der Sünden und durch das Gefühl des leiblichen Elends gedemüthigt war; etliche unter den Schriftgelehrten aber sprachen bei sich selbst: dieser lästert Gott. Jesus, der ihre Gedanken sah, bestrafte sie wegen derselben, und bewies auf der Stelle, daß Er Gott nicht gelästert, sondern wirklich die Macht habe, Sünden zu vergeben, indem Er den Gichtbrüchigen schnell gesund machte. Da das Volk das sah, verwunderte es sich, und preisete Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat. Ohne Zweifel dachte das Volk an die Macht, Sünden zu vergeben, von welcher der Heiland V. 6. geredet hatte; denn die Macht, Kranke gesund zu machen, hatte der Heiland schon so oft gezeigt, daß eine neue Erweisung derselben keine Verwunderung verursacht hätte, aber das Wort: sei getrost, Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben, war etwas Neues und Unerhörtes. So hatte kein Prophet und Priester jemals die Menschen getröstet, besonders wenn kein Opfer vorhergegangen war. Nathans Rede 2 Sam. 12,13. hatte den Sinn nicht, den die Rede Jesu hatte, denn sie zeigte nur, wie Ps. 78,38. 85,3., die Erlassung der Todesstrafe an, weßwegen David hernach noch sehnlich um die wirkliche Vergebung seiner Sünden gebeten hat. Warum hat aber das Volk Gott gepriesen, daß Er solche Macht den Menschen gegeben habe, da es doch von Jesu allein wußte, daß Er sie habe? Ohne Zweifel hat das Volk Jesum nach Seiner göttlichen Würde nicht gekannt, sondern als einen Menschen zu seinem menschlichen Geschlecht gerechnet, wie es auch thun durfte, weil Sich Jesus bei dieser Gelegenheit selber den Menschen-Sohn genannt hatte. Es preisete also Gott, der den Menschen, das ist Einem aus den Menschen, welcher die Ehre des ganzen menschlichen Geschlechtes sei, die Macht, Sünden zu vergeben, gegeben habe. Es sah Jesum als denjenigen an, der im Namen und zum Besten der übrigen Menschen diese Macht empfangen habe.
Der Heiland hat hernach Joh. 20,23. zu Seinen Aposteln gesagt: welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Die Apostel und mit ihnen alle Hirten und Lehrer haben also von dem HErrn Jesu auch die Macht bekommen, in Seinem Namen zu jedem bußfertigen und glaubigen Menschen, der ihrer Aufsicht anvertraut ist, zu sagen: sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben. Sie sagen solches als bevollmächtigte Knechte, da Er’s als der HErr sagen konnte, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben war. Gepriesen sei Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat. Ach daß sie immer unter der Regierung des Heiligen Geistes ausgeübt werde, und alsdann denen, die der Vergebung ihrer Sünden fähig sind, zum Trost gereiche! (Magnus Friedrich Roos)

9:9 Und da Jesus von dannen ging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.

9:10 Und es begab sich, da er zu Tische saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern.

9:11 Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isset euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?

9:12 Da das Jesus hörte, sprach er zu ihnen: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.6)

9:13 Gehet aber hin und lernet, was das sei: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ Ich bin gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten.
O der unaussprechlich erquickenden Wahrheit, wenn der Herr sagt, er sei gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen! Wie der Thau das Land zur Sommerszeit, so befruchtet dies liebliche Wort alle trost- und hülfesuchenden Herzen. Wie der Hirt das verirrte Schäflein, so sucht der treue Heiland uns Menschenkinder. Er sucht uns mit der Stimme seines Wortes in Lehre und Mahnung, mit den Zügen seiner Gnade, die in den Tiefen des Herzens sich regen und uns aufschrecken aus der Lust dieser Welt; er sucht uns durch ein unaussprechliches Sehnen nach einem besseren Heil, welches weder die Genüsse noch die Schätze dieser Erde befriedigen können. Er giebt Freudenstunden, um unser kaltes Herz zu erwärmen, er schickt Trübsalstage, um unsern Hochmuth zu brechen, er lenkt die Schritte unseres Lebens so wunderbar und heilsam, daß es uns vorkommt, als wären wir der Mittelpunkt seiner gnädigen Führung und seines allmächtigen Regimentes. Das aber ist die Herrlichkeit seiner göttlichen Liebe, daß er jedem einzelnen Sünder ohne Ermüden nachgeht, als wären die Hunderte von Gerechten gar nicht da, und daß es der begnadigten Seele erscheint, als wäre die ganze Erlösung für sie allein geschehen. Und doch gehen so viele Menschen dahin und wissen nichts von der Gnade, die ihnen in Christo Jesu angeboten wird. Sie gehören zu denen, die da sagen: „Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts und die doch nicht wissen, daß sie sind elend, jämmerlich, arm, blind und bloß“ sie sind die Frommen, .zu denen der Herr nicht gekommen ist, die Gesunden und Starken, die des Arztes nicht bedürfen, die Gerechten, für die kein Sündentilger und Heiland da ist, denn der Herr sprach: Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Darum also giebt es so viele taube Ohren und todte Herzen, die die Stimme des Evangeliums nicht hören und das Heil nicht annehmen, weil es so viel eingebildete Fromme, so viel vermeintliche Gesunde und Gerechte giebt. Wer an Christo Theil haben will, der muß freilich von seiner stolzen Tugendhöhe herabsteigen und bei Jesu Heil und Vergebung suchen. Das aber lernen wir, wenn wir zwei Bücher vor uns aufschlagen und sorgfältig mit einander vergleichen, das Buch der Schrift und das Buch des eigenen Lebens. In unserem Lebensbuche ist kein Blatt rein, keines ohne Tadel und auf nicht wenigen Blättern stehen gar arge Sünden wider Gottes Gebot verzeichnet. Nur einige seltene Blätter sehen klarer aus: das Blatt, worauf unsere Taufe geschrieben steht, wo wir unser Confirmationsgelübde abgelegt, oder das heilige Sacrament des Leibes und Blutes Christi empfangen haben. Doch ob auch Blatt für Blatt befleckt und voller Makel ist, Christus reinigt es und zeichnet darauf seine Gerechtigkeit. Ist das geschehen, dann sind wir Gottes Kinder, dann können wir fröhlich sagen:
Ich habe nun den Grund gefunden,
Der meinen Anker ewig hält:
Wo anders, als in Jesu Wunden?
Da lag er vor der Zeit der Welt.
Den Grund, der unbeweglich steht,
Wenn Erd' und Himmel untergeht. (Spieker, Christian Wilhelm)


7)

9:14 Indes kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sprachen: Warum fasten wir und die Pharisäer so viel, und deine Jünger fasten nicht?

9:15 Jesus sprach zu ihnen: Wie können die Hochzeitleute Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten.
Ein Bräutigam braucht Festgenossen, die mit ihm feiern, und dazu hat Jesus seine Jünger gemacht. Für ihn war sein Wirken ein festliches Feiern, ein Hochzeitstag. Denn nun kommt zur Tochter Zions ihr König und zur geplagten, zerstreuten Herde der Hirt und zum gottlosen Volk der Sohn Gottes, an dem es endlich den Vater sieht. Er kann aber nicht einsam feiern. Er kommt als der Gebende; so braucht er die Empfangenden. Er kommt mit dem selig machenden Wort; so braucht er die, die es hören. Er kommt mit der Vergebung der Sünden; darum sucht er die Sünder, die sie empfangen. Er kommt im Dienst des göttlichen Reichs; so braucht er die, die er regiert und zu seiner Gemeinde macht, und weil er sie brauchte, führte der Vater sie zu ihm. Sie waren da, die Freunde des Bräutigams, seine Hochzeitsleute. Was haben sie zu tun? Mit ihm zu feiern, sich daran zu freuen, dass das Fest des Bräutigams begonnen hat, seine Tischgenossen zu sein, denen er seine Gaben reicht, und ihm treu und verbunden zu sein, wie es die ihnen gewährte Freundschaft von ihnen verlangt. Dies ist ihre Pflicht und darum können sie nicht Leid tragen, obwohl es ihnen an Anlass zum Kummer nicht fehlt. Die Welt ist dunkel und in Israel geschieht viel Böses und die Jünger haben auch selber teil an dem, was die Welt aus uns macht und die Not des Volkes ihnen antut. Dennoch können sie nicht fasten, wie es die Betrübten tun. So dächten sie nur an sich, nur an das, was sie bekümmert und sie bedürfen. Ihre Zeit gehört aber dem Bräutigam und dieser feiert und sie mit ihm. Das ist die Christenregel, die für alle Zeiten gültig ist. Das Werk Jesu in der Menschheit ist ein freudenreicher Dienst und ein selig machendes Werk; denn es verherrlicht ihn und in ihm Gott. An uns verherrlicht er sich und macht an uns Gottes Gnade groß. Das macht aus dem Christenleben die Feier und gib der Christenheit das Loblied, das nicht verstummt. Zum betrübten Kummer haben wir Grund, wenn wir auf uns und unsere Zustände sehen. Dort gibt es vieles, was Tränen verdient. Wer aber Jesus kennt, kann nie so auf sich selber sehen, dass er nur sich selber sieht, und darum gilt es in jeder Lage, auch wenn wir tief gebeugt sind: die, die Christus kennen, sind eine feiernde Schar.
Sende auch jetzt einen Strahl aus Deiner Freude in meine Seele. Die anderen sprechen vom grauen Alltag. Mache ihn mir zum Festtag, weil Du lebst und regierst in der Vaters Gnade und Macht. Amen.(Adolf Schlatter)

9:16 Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder vom Kleid, und der Riß wird ärger.
Vieles an uns ist Flickwerk und gleicht einem alten Gewand, auf das ein neues Stück Zeug genäht wurde. Dieses Flickwerk entsteht dadurch, dass wir einen christlichen Zusatz zu dem hinzutun, was wir ohne Jesus sind. Unsere natürliche Art bleibt an uns, wie sie war, wild und krank, ohne dass sie gereinigt und geheiligt wird. Weil wir aber auch bei Jesus manches sehen, was uns lockt, verbinden wir mit ihr ein gewisses Maß von christlicher Lehre und Sitte. So wurden die Jünger des Johannes darauf aufmerksam, dass die Jünger Jesu, ohne zu fasten, frei von der Furcht mit freudiger Hoffnung auf Gottes Reich warteten. Mussten nun sie noch bei ihrem Fasten bleiben? War die Freiheit nur für die Jünger Jesu da, nicht auch für sie? Jesus warnte sie: Verderbt euer Gewand nicht durch einen neuen Flick. So wäre es weder neu noch alt und nützte euch gar nichts mehr, sondern zerrisse ganz. Was von Jesus her stammt, hilft uns nichts, wenn wir es nur dazu brauchen, unser altes Wesen zu verschönen. Im alten Weg sind wir durch den neuen Zusatz gehemmt und haben doch das nicht gewonnen, was uns Jesus gibt. Komme ganz zu mir, sagt mir Jesus, und folge nicht neben mir noch anderen Meistern nach; dann entsteht nicht ein Flick auf deinem alten Wesen, sondern ein neuer Mensch. Verschwindet dann das Alte? Trägt nicht jeder an seinem Leib und an seiner Seele, was die Geburt ihm gab? Und sitzt nicht das fest in uns, was die Welt in uns hineingetragen hat? Verschwinden kann und soll das nicht; denn wir sind fest gewurzelt an dem Ort, an dem wir angewachsen sind. Wenn ich mich aber zu Jesus halte, hat mein Leben nicht mehr an meinem alten Wesen seinen Grund und sein Ziel. Das Neue bleibt vom Alten deutlich unterschieden und vermengt sich nicht mit ihm, sondern steht über ihm und ist das, was uns regiert. So wird auch unser alter Rock uns wirklich brauchbar. Jetzt erst werden wir im richtigen Sinn natürlich, der Natur untertan und Herr über sie und ihrer froh, und stehen in fester Gemeinschaft in den Verbänden, in denen wir leben, mit treuer und heilsamer Arbeit, die ihnen nützt. Aber unser altes Gewand ist nicht mehr unsere einzige Habe, sondern darüber steht, was uns Jesus gibt, und er bewährt die Neuheit seiner Gabe darin, dass er uns den Weg Gottes gehen macht.
Ich hasse, lieber Herr, meine Halbheiten, hasse, was als leeres Wort und unechte Verzierung an mir hängt. An Dir sehe ich den neuen Menschen und wende dorthin mein Verlangen. Herr, hilf! Amen. (Adolf Schlatter)

9:17 Man faßt auch nicht Most in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche und der Most wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man faßt Most in neue Schläuche, so werden sie beide miteinander erhalten.
Meine Seele, du Verlobte deines Jesu, dein Bräutigam hat dir sein Herz geschenkt; ja, du hast Ihm solches selbst genommen: was schenkst du Ihm wieder? Geschenke erfordern Gegengeschenke. Du sprichst: „ich habe nichts, was sollte ich Jesu schenken? Ist doch schon Alles sein, was ich habe.“ Schon recht; gleichwohl bekommt Er vielmals das Beste nicht, was der Mensch hat, und was doch dieser Seelenbräutigam so sehnlich wünscht und verlangt. Was ist dieses? Das Herz. Herz gegen Herz ist sein Begehr. Hörest du nicht, wie inständig Er sich dieses Geschenk ausbittet: „Gieb mir, mein Sohn, dein Herz?“ wie beweglich und durchdringend Er im Texte zum Zöllner Matthäus spricht: „folge mir,“ und wie Er so stark auch an deine Herzensthür klopft, so laut schreit und so süß dir zuspricht: „komm, komm doch her zu mir, ich will dich erquicken“? (Spr. 23,26.) Treue im Glauben, Beständigkeit im leiden, und eine ungefärbte Liebe ist’s, was Er verlangt. (Offbg. 2,10. Lux. 8,13. Joh. 21,15.) Jeder sollte billig ein Jakobsherz haben, daß er sage: „Herr, ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn;“ ein Assaphsherz, welches spricht: „Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde,“ und ein Hiobsherz, welches ausruft: „Ob mich der Herr gleich tödten würde, so will ich dennoch auf Ihn hoffen.“ Ein solches Herz haben die Alten einander gewünscht; dies wünsche ich auch dir. Dein Herz ein Tempel des heiligen Geistes, eine Ruhestätte Gottes. Das Herz ist dreieckig; anzuzeigen, daß es dem dreieinigen Gott gehöre. Es ist oben offen, unten zu; zu lehren, wie es Gott stets offen, dem Irdischen aber verschlossen sein soll. Es soll nicht lieb haben die Welt, noch was in der Welt ist; Gott aber soll es lieben von ganzem Herzen und von ganzer Seele. – Mein Christ, hast du Ihm auch dies Geschenk gegeben? ganz? hast du nicht ein Herz für Gott, ein anderes für die Welt? Was die Delila zum Simson sagte, das muß auch Gott von dir sagen: „Wie kannst du sagen, du habest mich lieb, so dein Herz doch nicht mit mir ist?“ (Richt. 16,15.) Gott nennst du, die Welt meinst du. Zweiherzig, zweizüngig. Kaltsinniger, du stoßest Gott aus deinem Herzen: wahrlich, Er wird dich wieder aus seinem stoßen! – Herr Gott, ich habe Dein Herz, hier hast Du meines wieder. Ist es unrein, reinige es. Schaff’ in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen, gewissen Geist. Ist es verstockt und hart? Erweiche es. Ist es unbeständig? Befestige es. Ist es erkaltet? Flamme es an mit dem Feuer Deiner Liebe. Ist es zu schwach, Jesu zu folgen? Ziehe Du es selbst Ihm nach, so laufe ich in seinen nachgelassenen Fußtapfen. Du, Herzenskündiger, prüfst es: richte es ein nach Deinem heiligen Wohlgefallen. Welt, so ist und bleibt dir nun mein Herz verschlossen; Gott hat es gelenkt, Ihm sei es nun auch geschenkt.
Wem sollt’ ich mein Herz lieber gönnen,
Als dem, der mir das Seine giebt?
Gott muß ich meinen Herzlieb nennen,
Er hat mich bis zum Tod geliebt.
Mein Herz, sein Herz, ein Herz allein,
Soll Sein und keines Andern sein.
Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

9:18 Da er solches mit ihnen redete, siehe, da kam der Obersten einer und fiel vor ihm nieder und sprach: HERR, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig.

9:19 Und Jesus stand auf und folgte ihm nach und seine Jünger.

9:20 Und siehe, ein Weib, das zwölf Jahre den Blutgang gehabt, trat von hinten zu ihm und rührte seines Kleides Saum an.

9:21 Denn sie sprach bei sich selbst: Möchte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund.

9:22 Da wandte sich Jesus um und sah sie und sprach: Sei getrost, meine Tochter; dein Glaube hat dir geholfen. Und das Weib ward gesund zu derselben Stunde.

9:23 Und als er in des Obersten Haus kam und sah die Pfeifer und das Getümmel des Volks,

9:24 sprach er zu ihnen: Weichet! denn das Mägdlein ist nicht tot, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn.

9:25 Als aber das Volk hinausgetrieben war, ging er hinein und ergriff es bei der Hand; da stand das Mädglein auf.

9:26 Und dies Gerücht erscholl in dasselbe ganze Land.

9:27 Und da Jesus von da weiterging, folgten ihm zwei Blinde nach, die schrieen und sprachen: Ach, du Sohn Davids, erbarme dich unser!

9:28 Und da er heimkam, traten die Blinden zu ihm. Und Jesus sprach zu ihnen: Glaubt ihr, daß ich euch solches tun kann? Da sprachen sie zu ihm: HERR, ja.

9:29 Da rührte er ihre Augen an und sprach: Euch geschehe nach eurem Glauben.8)
Des HErrn Jesu Augen sahen in den Tagen Seines Fleisches nach dem Glauben. Er rühmte auch, wenn Er die Leute loben wollte, nichts als den Glauben. Als das cananäische Weib und der Vater des mondsüchtigen Knaben Ihn um Hülfe für ihre Kinder baten, so verlangte Er wenigstens, daß sie glauben sollten, daß Er helfen könne und wolle. Da aber einst zweimal zwei Blinde auf dem Feld bei Capernaum Ihm nachgelaufen waren, und geschrieen hatten: ach Du Sohn Davids, erbarme Dich unser, und als sie hernach in dem Haus, das Er zu Capernaum bewohnte, vor Ihn traten, so fragte Er sie: glaubet ihr, daß Ich euch solches thun kann? Da sprachen sie zu Ihm: HErr, ja. Da rührete Er ihre Augen an und sprach: euch geschehe nach eurem Glauben, und ihre Augen wurden geöffnet. Der Glaube dieser Blinden und Anderer reichte vermuthlich nicht so weit, daß Christus ihnen, wie kurz vorher dem Gichtbrüchtigen, der auch ohne eine deutliche Erkenntniß der Person Jesu, wie David, bußfertig und glaubig war, die Vergebung ihrer Sünden hätte ankündigen können: Er hatte aber doch ein Wohlgefallen daran, daß sie wenigstens glaubten, und Ihm zutraueten, Er könne ihnen die Augen öffnen. Auch jetzt können wir Ihn nicht besser ehren, als durch den Glauben, oder durch Zuversicht und Vertrauen. Wie sollen Ihm in allen leiblichen Nöthen zutrauen, daß er helfen könne, und so weit es nöthig und nützlich ist, helfen wolle, und zu diesem Glauben ist die Erkenntniß Seiner Allmacht und Güte nöthig. Drückt uns aber die Sünde, sind wir wegen unserer Seligkeit besorgt, und verlangen wir sehnlich gerechtfertigt und geheiligt zu werden, so müssen wir Ihn als den Heiland, Fürsprecher, oder als Denjenigen, der uns von Gott zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung gemacht ist, ansehen und glauben, daß Er als ein Solcher thun könne, was wir bitten, und geben, was wir suchen. Ohne einen solchen Glauben wäre das Beten unnütz, und dem vergeblichen Bitten der thörichten Jungfrauen Matth. 25,11. gleich. Die zwei Blinden wurden durch’s Gehör zum Glauben erweckt, da ihnen erzählt wurde, wie Jesus schon Vielen, die unheilbare Gebrechen an sich gehabt, durch eine Wunderkraft geholfen habe. Hieraus machten sie den billigen Schluß, daß Er ihnen Solches auch thun könne. Auch wir sollen auf die Gnadenwerke des HErrn Jesu aufmerksam sein, und beobachten, wie Er Sich schon an Andern als ein geistlicher und leiblicher Arzt und Nothhelfer bewiesen habe. Können wir uns hiebei eigener Erfahrungen erinnern, so ist’s desto besser. Ueberdieß haben wir ein wahres und klares Wort Gottes vor uns, welches uns von der Gnade Jesu Christi, von der Liebe Gottes, und von der Gemeinschaft des Heiligen Geistes, und von dem ewigen Heil, das aus dieser dreifachen Quelle fließt, viel mehr sagt, als wir selbst und Andere neben uns erfahren und genossen haben. Hier finden wir also eine beständige Reizung zu einem noch völligern Glauben, gleichwie uns auch von Zeit zu zeit ein neues Gefühl unserer Dürftigkeit und Noth dazu treibet. HErr, mehre unsern Glauben. (Magnus Friedrich Roos)

9:30 Und ihre Augen wurden geöffnet. Und Jesus bedrohte sie und sprach: Seht zu, daß es niemand erfahre!

9:31 Aber sie gingen aus und machten ihn ruchbar im selben ganzen Lande.

9:32 Da nun diese waren hinausgekommen, siehe, da brachten sie zu ihm einen Menschen, der war stumm und besessen.

9:33 Und da der Teufel war ausgetrieben, redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich und sprach: Solches ist noch nie in Israel gesehen worden.

9:34 Aber die Pharisäer sprachen: Er treibt die Teufel aus durch der Teufel Obersten.

9:35 Und Jesus ging umher in alle Städte und Märkte, lehrte in ihren Schulen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte allerlei Seuche und allerlei Krankheit im Volke.

9:36 Und da er das Volk sah, jammerte ihn desselben; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
Welch eine Thätigkeit des Herrn! Ein Werk seiner liebe und Menschenfreundlichkeit folgt dem andern. Nicht ein Mensch ist aus seinem wohlthuenden Kreise ausgeschlossen; an Alle wendet Er sich, Alle sucht Er für sich und damit für ihr eigenes Wohl zu gewinnen. Auf seinen Wanderungen durch Judäa und Galiläa, bei seinen Besuchen in den Synagogen wie bei seiner Einkehr in den Hütten der Armen, beständig mit dem Volke in Berührung gebracht, lernte der Herr aus eigenster Anschauung das sittliche Verderben und das hiermit so häufig verknüpfte leibliche Elend der Menge kennen. Dies bewegte sein gefühlvolles Herz im Innersten und es jammerte Ihn des verschmachteten, innerlich zerrissenen und unbefriedigten, und äußerlich gedrückten und unglücklichen Volkes, und nun widmete Er ihm die treueste Sorge und Geschäftigkeit ohne Rast und Ruhe. In der ganzen Welt- und Menschengeschichte giebt es kein Beispiel einer gleichen, allseitigen, herablassenden, uneigennützigen und reinen menschenfreundlichen Thätigkeit zum Heil der Sünder! – Müssen wir sie nicht bewundern, dankbar anerkennen und gläubig uns zueignen? Müssen wir nicht, erkennend, wie arm und unglücklich wir ohne Christum sein würden, glaubensvoll und froh jauchzen: Gottlob, daß Er auch an mich gedacht hat, auch mein Erlöser und Herr geworden ist!? Müssen wir nicht vor allem seine Thätigkeit auch für unser Leben und Wirken in der Zeit zum beständigen Vorbild erwählen? und namentlich derer gedenken, die noch in Finsterniß und Schatten des Todes sitzen? Mehr als zwei Drittheile der Menschheit sind noch brachliegendes Ackerfeld, und was bis jetzt zur Bekehrung der Heiden geschehen, ist nur der erste Anfang von dem, was geschehen muß, bis die Fülle der Heiden eingegangen ist. Laß uns denn anhalten in der Fürbitte und Handreichung für die Veranstaltungen zur christlichen Bebauung des unfruchtbaren Ackers der Welt, darüber aber den eigenen Herzensacker niemals vergessen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

9:37 Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.

9:38 Darum bittet den HERRN der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.9); 10)
Aber, wenn der Herr der Ernte Arbeiter hat, warum sendet er sie nicht ohne unser Gebet? Lies die Stelle nach von V. 35 an. Jesus predigt und heilt und seufzt doch über das Ungenügen seines Tuns: dabei bleiben die Leute wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da hat er sich als ihr Hirte in den Tod gegeben. Seither keine Furche, kein Wachstum, keine Ernte ohne sein Blut. Aber dann sieht er die Jünger an und gibt ihnen den Auftrag: bittet um Arbeiter! Was heißt das anders, als daß sie über solchem Gebet etwas Geheimnisvolles erleben sollen Wer ernstlich um eine Sache betet, wird innerlich mit ihr verwachsen und merkt eines Tages, daß er selbst darin eine Verpflichtung habe: du betest so viel dafür - was tust du denn selbst dafür? Dann kann es kommen wie bei den Jüngern; sie selbst wurden die Erhörung ihrer Bitte: aus Fürbittern wurden sie Arbeiter! - Wir alle, die wir fremden Jammer mit Augen der Liebe sehen, mit Schmerzen der Liebe als unsere Not spüren - wir können nicht bloß um Linderung und Hilfe beten, sondern wir werden uns selbst als Arbeiter zur Umgestaltung jener Verhältnisse anbieten müssen. Was würde das in der Welt bedeuten, wenn alle gläubigen Fürbitter diese Verwandlung in bewußte Erntearbeiter schon erlebt hätten!
Vater, wir bitten dich, mache uns so klein, so rein, so warm, so treu, daß du uns als deine Erntearbeiter senden kannst, wohin du willst. Amen. (Samuel Keller)


Dieses Wort gibt uns einen Einblick in die Leiden Jesu, und die Weise, wie er leidet, verherrlicht ihn nicht weniger als die Weise, wie er in Gott den Grund der Freude hat. Über Gottes Werk hat Jesus nicht geklagt; zur Klage bewegt ihn der Mensch und sein Verhalten. Sagte er: die Ernte ist klein, dann klagte er über das, was Gott macht. Denn die Ernte hängt von dem ab, was Gott tut. Sein ist der Same, aus dem die Ernte erwächst, und sein ist der Regen und Sonnenschein, der sie reift. Jesus heißt aber die Ernte nicht klein, sondern groß, obwohl ihn niemand erkennt und Kapernaum, das bis zum Himmel erhöhte, in die Tiefe stürzte und Gott ihn den Weisen und Klugen verborgen hat, so dass er dem Manne gleicht, der nur das kleine Senfkörnlein in seinen Garten legt. Dennoch könnte sie klein bleiben, da sich Gottes Reich uns aufgetan hat? Wenn die allmächtige Gnade vollbringt, was sie sich vorgenommen hat. dann entsteht die unzählbare Schar, die das weiße Gewand empfing. Ist aber die Erntezeit vorhanden, dann muss der Schnitter hinaus ins Feld. Hier beginnt die Klage Jesu. Wo sind die Schnitter, die Hand anlegen, dass die Ernte Gottes in seine Scheune kommt? Es ist aber schwere Not, wenn die große Ernte reif ist, ohne dass Arbeiter vorhanden sind, die sie heimbringen. Wo sind die Hörer des Wortes, die seine Täter werden, wo die, die der Botschaft Jesu glauben und sie deshalb auch den anderen sagen müssen? Wo sind die, die seine Liebe drängt, dass sie auch den anderen helfen? Das Leiden kehrt aber mit seiner Pein dazu bei uns ein, damit es in uns die Bitte erwecke. Arbeiter, die die Erntearbeit tun, sind die, denen der Vater den Sohn offenbart, die, die der Vater Jesus gibt und zu ihm zieht. Sie müssen also vom Vater erbeten sein. Darum legte Jesus in die Seele seiner Jünger die Bitte: Schaffe du zum Reichtum deiner Gnade auch die, die sie empfangen.
Wenn ich über das, was Gott tut, klagen möchte, dann trete ich zu Dir, Herr Jesus, und nun wird mein Klagen still. Ich erkenne unsere Schuld und empfange die Bitte: Rüste uns, zu tun, was Deine Gnade will. Zur großen Arbeit gib die große Liebe, zur Menge der Aufgaben die rüstige Hand. Bleibt die Schar der Arbeitenden bei uns klein, so erlöse sie von ihrem Zwist und mache sie eins in Dir. Amen. (Adolf Schlatter)


Dieses Kapitel zeiget an, wie der Herr Jesus im neuen Testament angefangen habe, Arbeiter in Seine Erndte zu senden, nämlich die zwölf Apostel, deren Namen hier erzählet werden, und welche nach des Heilands Befehl den verlornen Schafen vom Haus Israel, das ist, dem in Irrthum und Blindheit verfallenen Judenvolk das Himmelreich - oder das Evangelium von der Gnade Gottes - und Vergebung der Sünden in dem HErrn Messias predigen, auch ihr Wort mit Zeichen und Wundern haben bekräftigen müssen.
Hiebei ist insonderheit die Bedrohung merkwürdig, welche Christus der HErr den Verächtern solcher apostolischen Predigt gethan, daß es dem Lande der Sodomer und Gomorrer am jüngsten Gericht erträglicher ergehen werde, denn einem Land und Volk, welches die Apostel nicht hat annehmen noch hören wollen. Denn Gott will allerdings das Wort, so Er uns durch Menschen vortragen lasset, nicht als bloses Menschenwort, sondern, wie es wahrhaftig ist, als Gottes Wort aufgenommen haben - und diejenigen, die dawider handeln, nicht ungestraft lassen.
Gleichwie nun der Heiland in diesem Kapitel von allen und jeden Christen fordert, daß sie klug seyn sollen, wie die Schlangen, und ohne Falsch, wie die Tauben, - ebenso gehet neben den besondern Leiden und Trübsalen, welche Er den Aposteln und Nachfolgern im Lehramt verkündiget, auch das übrige in diesem Kapitel alle diejenigen an, welche für Christen und Christi Jünger gehalten seyn wollen.
So gehet es zum Exempel alle Seine Jünger an, wenn Christus hier ermahnet, man solle sich nicht sowohl vor den Menschen fürchten, die den Leib tödten, als vielmehr vor Gott, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle, und der diejenigen, so Ihm vertrauen, um so weniger verlassen will, weil ja kein Sperling ohne Seinen Willen auf die Erde fallen kann, und alle Haare auf ihrem Haupte gezählet sind.
Dieweil auch, wo Gott und Christus Sein Reich aufrichtet, der Satan und die Welt sich heftig dagegen setzen - und dessen Fortgang in der Menschen Seelen hindern wollen durch Haß und Verfolgung derjenigen, welche wahrhaftig zu Gott und Christo bekehret sind, - so weissaget Christus davon mit klaren Worten, damit man sich nicht daran stoße, sondern desto mehr Geduld und Standhaftigkeit beweise - und sich nichts abschrecken lasse, Christum zu bekennen vor den Menschen.
Wem nämlich an zeitlicher Gunst, Ehre, Freundschaft und Gewogenheit der Menschen mehr, als an JEsu und Seiner Nachfolge gelegen ist, der soll Sein nicht werth seyn - und einstmals von JEsu wieder verleugnet, das ist, für keinen Miterben des ewigen Lebens angenommen werden.
Wenn man hingegen Jesu Kreuz, das beim Christenthum nicht ausbleibet, willig auf sich nimmt, ob man auch das Leben verlieren müßte um des Namens JEsu willen, - so soll man dessen auch zu genießen haben; ja, für die allergeringste Wohlthat und Barmherzigkeit, welche man hier einem frommen Christen erwiesen hat, soll man dermaleinst aus Gnaden eine große Belohnung empfangen.
Da gilt es nun, zu prüfen, ob wir bisher in allerlei Noth und Widerwärtigkeit an Christo und Seinem Bekenntniß festgehalten - oder mehr der Welt und dem Zeitlichen nachgetrachtet haben. Jesu Wort ist nun einmal da, und wer Sein Jünger seyn will, hat sich darnach zu achten - oder rühmet sich des Christenthums vergeblich; wie leider von den meisten geschieht.
Gott bekehre, was zu bekehren ist, und lasse uns eine gute Ritterschaft üben, daß wir Glauben und ein gut Gewissen auch in der größten Anfechtung behalten mögen. Amen. (Veit Dieterich)

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