Zuletzt angesehen: Psalm 71

Psalm 71

Psalm 71

71:1 HERR, ich traue auf dich; laß mich nimmermehr zu Schanden werden.

71:2 Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir aus; neige deine Ohren zu mir und hilf mir!

71:3 Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge, der du zugesagt hast mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg.

71:4 Mein Gott, hilf mir aus der Hand der Gottlosen, aus der Hand des Ungerechten und Tyrannen.

71:5 Denn du bist meine Zuversicht, Herr HERR, meine Hoffnung von meiner Jugend an.

71:6 Auf dich habe ich mich verlassen von Mutterleibe an; du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen. Mein Ruhm ist immer von dir.

71:7 Ich bin vor vielen wie ein Wunder; aber du bist meine starke Zuversicht.

71:8 Laß meinen Mund deines Ruhmes und deines Preises voll sein täglich.

71:9 Verwirf mich nicht in meinem Alter; verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde.
Der einundsiebenzigste Psalm enthält alle Begebenheiten, welche in dem Lebenslauf eines Christen, welcher ein ziemliches Alter erreicht, vorkommen, nebst den geziemenden Bitten, welche sich auf dieselben beziehen. Unter solchen Bitten ist auch diese: verwirf mich nicht im Alter, verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde. Ein Christ siehet sich bis in sein Alter ungeachtet aller Werke, die er gethan hat, als einen Sünder und unnützen Knecht an, und hat deßwegen Ursache zu bitten: verlaß mich nicht im Alter. Auch ist er immer mit sichtbaren und unsichtbaren Feinden umgeben, und hat deßwegen nöthig, Gott zu bitten: verlaß mich nicht. Die Schwachheit des Alters, welche sich in dem Abnehmen der Leibeskräfte, im Abgang der Munterkeit und Hurtigkeit, im Nachlaß des Gedächtnisses, und in einer gewissen Ungeschicklichkeit, sich in die heranwachsende neue Welt zu schicken, wie auch in einer gewissen Ermüdung bei der langen und oft vergeblichen Arbeit äußert, drängen ihn heftig zu diesen Bitten. Das Alter hat seine eigenen Versuchungen, und es hat schon wackere Christen gegeben, welche im Alter eine gewisse Abnahme der Geisteskräfte, der Brauchbarkeit und der Treue gezeigt haben, und in diese oder jene Thorheit hineingerathen sind, ob sie gleich nicht alle Gnade verloren haben. Ach der HErr stärke und bewahre einen jeden Christen, der alt wird, daß er wie ein Baum bleibe, der an den Wasserbächen gepflanzt ist, und seine Frucht zu seiner Zeit bringt, dessen Blätter nicht verwelken, und dessen Werke wohl gerathen, Ps. 1,3. Auch erfülle Er an einem Jeden, was Ps. 92,13-16. steht: der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Ceder auf Libanon. Die gepflanzt sind in dem Hause des HErrn, werden in den Vorhöfen unsers Gottes grünen. Und wenn sie gleich alt werden; werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein; daß sie verkündigen, daß der HErr so fromm ist, mein Hort, und ist kein Unrecht an Ihm.
Man soll alle Alten ehren, 3 Mos. 19,32. Der Jünglinge Stärke ist ihr Preis, und graues Haar ist der Alten Schmuck, Spr. 20,29. Insbesondere aber ist eine alte, durch viele Erfahrungen geübte, und durch vieljährige Leiden geläuterte Frömmigkeit etwas sehr Ehrwürdiges. Man sollte sich billig frühzeitig bekehren, damit man eine solche reife Frömmigkeit erreichen möge. Solche alten Väter und Christen klagen und murren nicht mehr wie die Jungen, sondern verkündigen, daß der HErr so fromm, und kein Unrecht an Ihm sei. Sie verkündigen den Arm Gottes Kindeskindern, und Seine Kraft denen, die heranwachsen, Ps. 71,18. Junge Christen aber sollen ich solche ehrwürdigen Väter in Christo durch Fragen und Hören, und durch eine ehrerbietige Beobachtung ihres Sinnes und Wandels zu Nutze machen. Uebrigens ist ein alter Christ immer demüthiger als ein junger, und bittet deßwegen sehnlicher, aber auch zuversichtlicher als dieser, daß ihn Gott nicht verwerfen und verlassen möge. Nun der HErr ist treu und barmherzig, und antwortet auf diese Bitte Jes. 46,4.: Ich will euch tragen bis in’s Alter, und bis ihr grau werdet. Ich will es thun. Ich will heben und tragen und erretten.(Magnus Friedrich Roos)

71:10 Denn meine Feinde reden wider mich, und die auf meine Seele lauern, beraten sich miteinander

71:11 und sprechen: „Gott hat ihn verlassen; jaget nach und ergreifet ihn, denn da ist kein Erretter.“

71:12 Gott, sei nicht ferne von mir; mein Gott, eile, mir zu helfen!

71:13 Schämen müssen sich und umkommen, die meiner Seele zuwider sind; mit Schande und Hohn müssen sie überschüttet werden, die mein Unglück suchen.

71:14 Ich aber will immer harren und will immer deines Ruhmes mehr machen.

71:15 Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich deine Wohltaten, die ich nicht alle zählen kann.
Das Wort „Gerechtigkeit“ hat hier und oft eine weitere Bedeutung, und ist nicht als Strafgerechtigkeit zu nehmen, sondern in der Bedeutung, daß Gott alles recht mache. Verkündigt also David die Gerechtigkeit des HErrn, so will er rühmen, wie der HErr es recht mache nach allen Beziehungen für's Innere und Äußere, unter Bösen und Guten. Er sagt das Nemliche, was der Schluß eines Liederverses:
„In Seinem ganzen Königreich
„Ist alles recht und alles gleich.
„Gebt unsrem Gott die Ehre.“
In diese Gerechtigkeit ist allerlei eingeschlossen, auch das, daß sie nicht als solche erscheint. Je und je sieht Alles sehr uneben ans, und kann man längere Zeit sehr in Zweifel sein, ob es auch noch recht werde auslaufen. Aber nach gewissen Zeiträumen merkt man's, wie vieles, das in einem unauflöslichen Gewirre zu sein schien, doch immer wieder auf den rechten Punkt hinauskommt. So hat man, wenn man zurückblickt, Ursache genug, die Gerechtigkeit des HErrn, d. h. Sein Rechtmachen, zu loben und zu preisen. So bekommt man Mut, auch für's große Ganze zu hoffen. Wie verwickelt sind und bleiben nicht oft die Knoten? Menschlicher Verstand sieht da nicht hinaus. Ihm kommt es als eine Unmöglichkeit vor, daß Alles noch recht und harmonisch sich auflösen soll. Der Glaube aber hält sich an das wunderbare Rechtmachen Gottes im Einzelnen, da die Lösung auch nicht voraus erkannt werden konnte. Das Unmögliche wird oft im Laufe der Zeit möglich; und ein frommer Sinn, wie der Davids, kann darum jetzt schon beim Vorblick auf die Vollendung aller Dinge jauchzen, da die Gerechtigkeit Gottes, d. h. Seine Wunderhand, die alle Rätsel gelöst, alles Verwickelte in Ordnung gebracht, alles recht gemacht hat, von allen Kreaturen im Himmel und auf Erden verkündigt werden wird.
Beim Rechtmachen Gottes aber geht es immer auf das Heil der Menschen hinaus, von dem auch unser Spruch redet. Alle Fäden der göttlichen Führung laufen in dem endlichen Heil zusammen, das Gott den Menschen zugedacht hat. Darum kann auch das Evangelium, nach welchem alles wiedergebracht wird, wie das Heil Gottes, so auch Seine Gerechtigkeit, Sein Rechtmachen, genannt werden. Zunächst darf jeder Mensch, der zum Glauben sich wendet, es erfahren, wie bei ihm alles zum Heil zielt, zum Preis der Gerechtigkeit Gottes. Dieses Heil wird aller Kreatur nahe gebracht; und zuletzt werden alle Zungen der Erlöseten sagen (Jes. 45, 24): „Im HErrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke,“ d. h. Er bringt bei mir alles zurecht, und offenbart Sein Heil an mir durch Seine starke Hand.
Zusatz: Wie glücklich ist der Mensch, der dieses Rechtmachen Gottes zum Heile hin in Zeiten merkt, und darum in Unangenehmes, Trübes und Schweres sich fügen kann, weil er sich's bewußt ist, daß alles aufs rechte, aufs Heil, hinausläuft! Wer aber die Einsicht und Erfahrung davon hat, soll auch davon reden, wie David es tut, und nicht immer so stumm sein, soll auch nicht fortfahren, mit Unmuth und Verzagtheit auf neues Gewirre, das sich etwa vor seinen Augen ineinanderschlingt, hinzusehen, da er's doch erfahren hat, wie Anderes sich so schön vor ihm zuletzt recht gemacht hat aus aller Verwirrung heraus. Lerne dieses Rechtmachen Gottes laut rühmen. Das wird dir und Andern aufhelfen, wenn du auf die verborgene Führung Gottes zum Heil im eigenen Leben aufmerksam machst, und es darlegst, wie Gott so vieles, das Anfangs rätselhaft schien, doch so wunderbar schön zum Guten hat ausschlagen lassen. (Christoph Blumhardt)

71:16 Ich gehe einher in der Kraft des Herrn HERRN; ich preise deine Gerechtigkeit allein.

71:17 Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und bis hierher verkündige ich deine Wunder.

71:18 Auch verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde, bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern und deine Kraft allen, die noch kommen sollen.1)
Der einundsiebzigste Psalm ist die Lebensbeschreibung eines jeden frommen Israeliten oder Christen, worin theils nach der Art eines Bekenntnisses, theils aber durch Bitten dasjenige ausgedrückt wird, was in einem gottgeheiligten Lebenslauf vorzukommen pflegt. Unter Anderem bittet der Verfasser dieses Psalmen: verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde. Das Alter hat nämlich seine eigenen Beschwerden und Versuchungen. Es faßt die Jahre in sich, wovon man sagt: sie gefallen mir nicht. Die junge Welt, welche die Alten um sich sehen, gefällt diesen auch nicht, weil sie gemeiniglich neue Meinungen und Sitten hat, deren diese nicht gewohnt sind. Das Gedächtniß wird schwach, die Kräfte lassen nach, die Arbeit geht mühsamer und langsamer von statten, und was man lange gesehen, gehört und getrieben hat, entleidet nach und nach. Daraus kann dann leicht Ungeduld, mürrisches Wesen, Unachtsamkeit, Trägheit und Gleichgiltigkeit gegen die Gebete Gottes entstehen. Auch meint man an vielen Alten einen Hang zum Geiz zu bemerken, welcher den Schein der klugen Vorsorge für ihre Nachkommen annimmt, und aus den Fehlern, die man vorher bei dem unvorsichtigen Geben gemacht hat, entstehen kann. Man hat also nöthig zu bitten: verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde. Dein Trost erquicke mich im Alter, der Geist der Liebe mache mich liebreich und mild, und Deine Kraft belebe mich, daß die Abnahme des natürlichen Lebens keine Abnahme des geistlichen Lebens mit sich führe. Kann ich im Alter weniger Werke thun, als vorher, so müssen dagegen durch die Wirkung deiner Gnade meine letzten Werke besser denn die ersten werden. Dein Wort sei mir immer kräftig, daß ich auch im Alter wie ein Baum sei, der an den Wasserbächen gepflanzt ist, der seine Frucht zu seiner Zeit bringt, und dessen Blätter nicht verwelken, und daß, was ich mache, wohl gerathe. Dein Geist erinnere mich an alles Nöthige, und bilde auch im Alter meinen Sinn und Wandel so, daß ich den Jungen nicht zum Aergerniß werde, sondern vielmehr Deinen Arm, das ist Deine bewahrende, stärkende, tröstende, heilende, siegende und Alles wohl machende Kraft, meinen Kindeskindern, und den Enkeln derer, die mit mir aufgewachsen sind, zu ihrer Erbauung verkündigen könne. Solche geistreiche alte Männer wurden Abraham, Isaak, Jakob, Mose, Josua, David und fast alle Apostel, ja auch viele andere Christen zu allen Zeiten, deren Reden und Werde von den Jungen mit Ehrerbietung beobachtet, und im Angedenken behalten werden sollen; da hingegen das Beispiel des Salomo anzeigt, wie man noch im Alter in eine schädliche Abnahme der Geisteskraft hinein gerathen, und Andern ärgerlich werden könne. Lasset uns den gegenwärtigen Tag wohl anwenden, und auf’s Künftige nicht sorgen, aber doch beten. Der HErr, der Allmächtige, wird nicht müde, nicht matt: auch ist Er treu und Seine Güte währet ewiglich. Wenn ich bete: verwirf mich nicht in meinem Alter; verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde, so antwortet Er: Ich will euch tragen bis in’s Alter, und bis ihr grau werdet. Ich will es thun, Ich will heben und tragen und erretten. Jes. 46,4.(Magnus Friedrich Roos)

71:19 Gott, deine Gerechtigkeit ist hoch, der du große Dinge tust. Gott, wer ist dir gleich?

71:20 Denn du lässest mich erfahren viele und große Angst und machst mich wieder lebendig und holst mich wieder aus der Tiefe der Erde herauf.

71:21 Du machst mich sehr groß und tröstest mich wieder.

71:22 So danke ich auch dir mit Psalterspiel für deine Treue, mein Gott; ich lobsinge dir auf der Harfe, du Heiliger in Israel.

71:23 Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sind fröhlich und lobsingen dir.

71:24 Auch dichtet meine Zunge täglich von deiner Gerechtigkeit; denn schämen müssen sich und zu Schanden werden, die mein Unglück suchen.2)
Ist das nicht der wesentliche Inhalt der Bitte des bußfertigen Schächers? Wie beschämt er mich mit seiner Buße und mit seinem Glauben nach allen Stücken desselben! Wie hell ist seiner Erkenntniß von Dir, Herr Jesu, wie gewiß sein Beifall, wie zuversichtlich sein Vertrauen auf Dich! Und Du lässest ihn nicht nur keine Fehlbitte thun, sondern antwortest ihm so, wie er es gewiß nicht erwartete; denn Du versprichst ihm viel mehr, als er von Dir gebeten. Wer Dein Herz noch nicht kennt, der mag nur auf Golgatha gehen und auf Dein Verhalten gegen Sünder Achtung geben, und auf Deine so süßen Worte. So oft Du Deinen Mund öffnest, so oft schüttest Du gleichsam Dein Herz mit den Worten aus. Wie froh bist Du, wenn Dich ein armer Sünder um etwas bittet! Wie wartest Du gleichsam mit Verlangen darauf, damit Du nur Deine Willigkeit ihm zu helfen beweisen kannst! Wie bittet man doch nie zu viel von Dir! Du giebst immer noch mehr; denn Dein Herz ist eine unerschöpfliche Segensquelle. Und weil oft einer schüchternen Seele Deine Antwort zu köstlich für sie dünkt: so bekräftigst Du ihr die theuersten Verheißungen mit einem Eidschwur und mit einem doppelten Wahrlich. - Je größer die Noth, je mehr eilest Du mit Deiner Hülfe. Der Schächer hatte wenig Zeit zu leben, da er Dich um Dein Andenken in Deinem Reiche bat; darum eilest Du, die Verheißung an ihm zu erfüllen: „Ich will Dich nicht verlassen noch versäumen;“ Du versäumest ihn keinen Augenblick, sondern nimmst diesen Sünder als eine Kreuzesbeute mit in’s Paradies. Ach, da sehe ich wohl, daß Du Dich nicht nur der Sünder nicht geschämt hast auf der Welt, sondern daß Du Dich ihrer auch im Himmel nicht schämest, ja, mit ihnen prangest als mit einer Siegesbeute. Du magst ohne errettete Sünder nicht im Himmel sein, auch nicht einmal hineingehen, ohne einen mitzunehmen; so sehr liebst Du ihre Gesellschaft. – Herr, ich bin auch ein Sünder, ein großer, todeswürdiger Sünder; ich muß auch schreien: „Herr, gedenke an mich;“ o erbarme Dich denn auch über mich und sei mir armen Sünder gnädig jetzt im Leben und dereinst in meinem Sterben. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
bibel/at/19_psalter/psalm_71.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain