Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am Reformationsfest 1878. Evangelium Matth. 9, 1-8.
Text: Da trat er in das Schiff, und fuhr wieder herüber, und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter, zu sagen: dir sind deine Sünden vergeben; oder zu sagen: stehe auf und wandele? Auf dass ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht habe, auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bette auf, und gehe heim. Und er stand auf, und ging heim. Da das Volk das sah, verwunderte es sich, und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.
In Christo geliebte Gemeinde! Wir haben uns angeschickt, schon heut unser Reformationsfest zu feiern, aber der heutige 19. Sonntag nach Trinitatis ist doch ein so überaus anziehungskräftiger, dass er uns nicht loslassen will, dieser Absolutions-Sonntag mit seinem Evangelium vom Gichtbrüchigen. Wir kommen her vom Gesetzessonntage, dem 18. Sonntage nach Trinitatis, da uns die Forderung: „Du sollst lieben Gott deinen HErrn, von ganzem Herzen und deinen Nächsten als dich selbst,“ wieder vor die Augen gemalt wurde. Da folgt nun heut dieser 19., in dessen Evangelium die Lossprechung von Sünden jeder einzelnen Seele zugesprochen wird. Und damit sind wir ja schon im Herzen der Reformation, denn was ist Reformation anders als Zurückbildung der Christenheit in das Bild Christi als das Hellemachen und Losmachen von Sünde und Schuld. Luther sagt: „Das Reich Gottes besteht in Vergebung der Sünden.“ Wer es so hat, der hat Leben und Seligkeit und wer es so nicht hat, der hat keine Vergebung, ist nicht bereit zur Aufnahme aller Heilsgüter, uns von Gott dargereicht in der einen Vergebung der Sünden. Und so wird es euch ja recht sein, dass wir unsre Reformationspredigt herholen aus dem Evangelium, in welchem der HErr Jesus diesen teuren Schatz dem Gichtbrüchigen zueignet.
Das Volk im Evangelium pries Gott, der solche Macht, nämlich Sündenvergebungsmacht, den Menschen gegeben hat. Es ging ihm wie jenem Palmsonntagsvolke, das - auch selbst die Jünger nicht mit ihrem Kleiderausbreiten und Zweigeabhauen - doch nicht ganz wusste, was es damit tat. So mögen wir wohl sagen, dass auch dies Volk hier, das Gott pries um solcher Machttat willen, die der HErr Jesus vollbracht, noch gar wenig verstand von dem, was da geschehen; es war nur so ein erstes Aufleuchten am Morgenhimmel der Gnade. Aber wir, wir können es nun ganz verstehen, was es heißt und, dass Gott unter den Menschen eine Macht gestiftet hat, wodurch Sünden vergeben und Menschen selig gemacht werden. Luther sagt einmal: „Hier sollst du es suchen, auf Erden und bei Menschen. sollst du es suchen und sonst nirgend.“ Geliebte! Dies ist der Herzschlag des Wortes Gottes und der rechten Lehre, und wenn der Spruch wahr bleiben soll: „Gottes Wort und Luthers Lehr vergehen nun und nimmermehr“, so führt uns unser heutiges Evangelium in den Mittelpunkt der heilsamen Lehre, an den Feuerherd, den Gott im Brande erhalten wird, so lange Seelen noch nach Gnade dürsten und so lange von mit Sünden Beladenen geseufzt werden wird, wie im 35. Psalm David seufzt: „Sprich du zu meiner Seele, ich bin deine Hilfe“. So lange es noch solche Herzen geben wird, die nach Heilsgewissheit dürsten, so lange wird auch die Kirche bleiben, die auf dem Grunde, der Christus Jesus heißt, fest und unbeweglich steht.
Von dem teuren edlen Schatze der Vergebung der Sünden lasst uns heute eine Predigt hören. Von dem teuren edlen Schatze der Vergebung! Die Kirche ist dieses Schatzes Schatzhaus und allein um dieses Schatzes willen wird sie erhalten. Wir fragen: 1) Was ist die Vergebung der Sünden? 2) Wodurch werde ich ihrer teilhaftig und gewiss? 3) Was folgt auf Vergebung der Sünden oder worin fruchtet sie? Die Beantwortung dieser drei Fragen, meine Lieben, wird uns dann zu dem rechten Herzensdank entzünden, dass wir sprechen: „O HErr! habe Du Dank, dass Du mich zu Deiner Kirche geführt hast und zu der Erkenntnis der rechten Lehre;“ aber es wird sich uns auch die Verantwortung, die große Verantwortung fühlbar aufs Herz legen, denn Geliebte, was uns gegeben ist in dieser rechten Lehre von der Vergebung der Sünden, ist Großes, ist sehr viel, und „wem viel gegeben ist, von dem wird man auch viel fordern.“
„Da trat Er in das Schiff und fuhr wieder herüber und kam wieder in Seine Stadt“ „in Seine Stadt“. Er wars noch nicht überdrüssig geworden, immer wieder nach Kapernaum zu kommen „und siehe, da brachten sie zu Ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf seinem Bette“.
„Siehe,“ recht aus eigener Erfahrung berichtet Matthäus, was Jesus hier an dem Gichtbrüchigen tat, denn, nachdem er schon im 8. Kapitel ein recht duftendes Bündel von Gnadentaten Gottes zusammengebunden hat, kommt er nun an diese Geschichte, die so recht seiner eigensten Erfahrung entsprach, und dass er sie mit solcher Ausführlichkeit erzählt, ist uns nicht verwunderlich, denn im 9. Verse berichtet er: „Und da Jesus von dannen ging, sah Er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus und sprach zu ihm: „Folge mir!“ Und er stand auf und folgte Ihm. Wonach verlangte denn diesen Matthäus, wonach dürstete er? Nach Vergebung der Sünden dürstete er und es ist ihm zeitlebens wichtig geblieben, dass von dem Gichtbrüchigen her, dem der HErr seine Sünden vergeben hatte, Jesus an seiner Zollbude vorüber kam und sah ihn an, sah ihn an mit Augen, wie nur Jesus blicken konnte. Matthäus war zwar gesund dem Leibe nach, aber er brauchte doch für sich auch denselben Mann, der zu dem Gichtbrüchigen eben gesprochen: „Sei getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Dies Wort betrachtet Matthäus als die zentralsonne, und alle Wundertaten, die der HErr verrichtet, sind nur lauter Ausstrahlungen dieser einen Sonne, die da heißt: Gnade, Gnade, Vergebung der Sünden auf und in der Person des Menschensohnes beruhend und auf Erden heimisch gemacht durch Ihn.
Was ist Vergebung der Sünden? Macht, Kraft, sagt der Heiland. „Auf dass ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht habe, die Sünden zu vergeben.“ „Macht,“ - wie St. Paulus das Evangelium eine „Kraft“ Gottes nennt, „selig zu machen alle, die daran glauben“ so nennt unser lieber Heiland die Vergebung eine Gottesmacht, die Gott den Menschen gegeben. Nun, meine Lieben, so ist die Vergebung der Sünden etwas ganz anderes, als die menschliche Vernunft davon denkt, und alle die davon denken, die im Leichtsinn und Gleichgültigkeit dahin gehen, die noch niemals einen solchen Schrecken über ihre Sünden hatten, dass ihnen die Haut schauderte“. Bei solchen besteht das, was sie Vergebung nennen nur darin, dass sie in sich den Gedanken machen, Gott sei gütig und nehme es nicht so genau mit der Sünde! Leugnen können sie es freilich nicht und ihr Gewissen sagts ihnen auch immer wieder: „es gibt Sünde“; aber sie nehmen es leicht damit, sie absolvieren sich selbst und machen. sich einen Gott. Nun, meine Geliebten! Diese Ansicht ist der all- gemeinsten Meinungen eine, aber auch der grundlosesten eine; sie stimmt nicht zu Gottes Wort, sie kann auch das Herz nicht trösten, am wenigsten hält sie in der Anfechtung Stich. Die heilige Schrift weiß nichts von solcher Nachsicht Gottes. Einmal kommts wohl vor, dass Paulus davon redet, wie Gott „übersehen“ habe die Zeit der Unwissenheit (Röm. 3) aber nur darum konnte Gott „übersehen“, weil er hinsah auf Christum. Von Adam an war der Tod da, um Seine Ehre zu retten. Tod und Übel die Folgen der Sünde führen eine laute Sprache zur Rechtfertigung des heiligen Gottes; aber hat Er denn im alten Bunde nun gar niemanden selig gemacht? Ja wohl Er hat etliche selig gemacht und Er konnte sie selig machen, weil Er die Verheißung auf Jesum gegeben, weil Er in Ihm eine Rettungsanstalt gegründet hat auf Bezahlung der Schuld durch Sühne! Das war Sein Ratschluss von Anfang gewesen, auf diesen Ratschluss, der seiner Erfüllung durch Jahrtausende immer näher gerückt ward, der arme beschwerte Gewissen getröstet hat, der in den Propheten des alten Testamentes seine Dolmetscher hat, ist die Vergebung der Sünden gebaut. Und nun ist es geschehen! Es ist gekommen dieser Jesus, der Macht hat die Sünden zu vergeben, weil Er die Sühne für die Sünde geworden ist. „Tröstet, tröstet mein Volk,“ so fängt die große Trostpredigt an, die der Prophet Jesaias dem Volke der Gefangenschaft gehalten hat! „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Ritterschaft ein Ende hat.“ O! Gott hat wohl gewusst, warum Er diese Trostpredigt diesem Kinde des Heils, Jesaia, denn Jesaia heißt, Heil des HErrn in den Mund gelegt hat! Und wes tröstet er dies arme Volk? Sie waren in Gefangenschaft geraten, in Jammer und Elend aller Art und machten sich Gräber im fremden Lande; wäre es ihnen da ein voller Trost gewesen, wenn er ihnen gepredigt hätte: Gebt euch zufrieden! bald sollt ihr daraus erlöst werden und wieder nach Jerusalem ziehen? Ach, Geliebte! auch in Jerusalem gabs so viele Grabmale und auch ihrer warteten dort solche das hätte sie nicht getröstet, dies: „Tröstet, tröstet mein Volk,“ muss noch etwas anderes bedeuten. „Redet mit Jerusalem freundlich, und predigt ihr, dass ihre Ritterschaft ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat zwiefältiges empfangen von der Hand des HErrn, um alle ihre Sünde“ (Jes. 40,1.2). Darin, Geliebte, besteht nun die Vergebung der Sünde, und, wenn ich den Gichtbrüchigen im Evangelium ansehe, wie er auf Jesum sieht und wie alle um ihn her lauschen: was wird Er nun tun, was wird Er nun sagen? Da sagt Er nicht zuerst: „Sei geheilt, nimm dein Bett und gehe heim,“ sondern Er spricht: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Ei! wie wird er da aufgeatmet haben, das gerade das bedurfte er - nun will er seine Gicht wohl behalten, wenns sein soll, nun drückt sie ihn nicht mehr zu schwer, denn der HErr Jesus hatte ihn losgesprochen. „Sei getrost mein Sohn,“ nun ist seine Krankheit nicht mehr Zorn, sei getrost! Gott zürnt nicht mehr mit dir und deiner Strafe bist du los und ledig. Erledigung der Strafe ist Vergebung, es ist eine Handlung und eine Handlung nahm der HErr Jesus auch mit dem Gichtbrüchigen vor. Predigt Jerusalem: „Deine Missetat ist vergeben, denn sie hat zwiefältiges empfangen von der Hand des HErrn um alle ihre Sünde.“ Meine Lieben! Es ist in der Vergebung der Sünden immer ein zwiefaches. Erstens, es wird etwas getilgt, hinweggenommen. „Ich, Ich tilge deine Übertretung um Meinetwillen.“ Wie der Wind den Nebel verscheucht, so nimmt der Hauch Gottes die Sünde als Schuld hinweg. Um uns das recht eindrücklich zu machen, kommt die heilige Schrift uns mit allerhand Bildern zu Hilfe, mit so vielen Ausdrücken bemüht sie sich, uns das Herz gewiss darüber zu machen: „Ich will deine Sünden in die Tiefe des Meeres werfen. Ich will deiner Sünde nicht mehr gedenken“. „So ferne der Morgen ist vom Abend soll eure Übertretung von euch sein,“ so unmöglich es ist, dass jemals Morgen und Abend zusammentreffen sollten so unmöglich will Er sagen soll es sein, dass du mit deiner Sünde, als der dir zugerechneten, zusammentreffen solltest! Nicht wahr, da haben wir den tiefen Eindruck im Herzen, dies wäre gar nicht möglich, wenn es keinen Heiland gäbe.
Aber, Gott hat es Sich möglich gemacht durch Jesum, weil Er unsre Schuld und Strafe für uns Ihm zugerechnet hat. Weg sind erstens unsre Sünden und was zweitens, kriegen wir dafür? Leben und Seligkeit, denn die Gerechtigkeit und Heiligkeit meines HErrn Jesu wird mir zugerechnet; ich rede davon, dass mit der Vergebung der Sünden der Gehorsam Christi mir zugerechnet wird! Darum sei stille, liebe Seele, wenn auch du noch keine Heiligkeit an dir siehst; in Gottes Händen stehst du so schon da, wie wir sein werden, wenn erscheinen wird die Herrlichkeit der Kinder Gottes in ihrem verklärten Leibe. O du Kind Gottes! o, du hochgeliebtes teures Eigentum Gottes! Das hast du alles schon empfangen, da Jesus dir deine Sünden vergeben hat. Wie aber werde ich denn dessen gewiss, wie teilhaftig, wie ergreift mich die Vergebung der Sünden? Meine Geliebten! Hierüber hat Luther sich zergrämt und wäre schier verschmachtet in seinem Kloster. Er wollte Vergebung der Sünden, o das Gewissen, das böse Gewissen, o wie quälte es ihn, trotzdem er als Knabe und Jüngling ein heiliges Leben geführt! Ihm war es noch nicht geschehen, was der Psalm spricht: „da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde“ - davon schwieg zu Luthers Zeit fast alles fast alles, sage ich, denn als Luther in trostloser Ohnmacht in seiner Zelle lag, da trat jener Augustinermönch zu ihm und sagt: „Bruder Martin, bekennst du denn nicht mit der ganzen Christenheit: „Ich glaube an eine Vergebung der Sünden?“ Das erquickte ihn, er fing nun auch wieder an zu lesen, in der heiligen Schrift zu lesen, aber es war ihm alles noch versperrt, viel mehr noch, als dem Gichtbrüchigen der Weg zu Jesu durch die Menge versperrt war und sie durch das Dach ihn mussten herunterlassen zu Seinen Füßen. Aber waren denn keine Beichtväter da? O die Masse! sie sagten auch mit Gottes Wort, „dir sind deine Sünden vergeben,“ aber gewiss machen darüber, das können wir nicht, das kann nur Gott wissen, meinten sie. Einer der römischen Theologen, Möhler in seiner „Symbolik“, sagt darüber: „Es würde ihm unheimlich zu Sinn, wenn er einen Menschen davon reden höre, dass er seiner Seligkeit ohne Umstände gewiss sei. Dabei müsse etwas Dämonisches im Spiele sein.“ Seht, Geliebte! so müssen aber die echt Römischen lehren, so müssen sie lehren; warum? Weil sie sagen: Zur Vergebung sind drei Stücke nötig: die Reue, die Beichte, die Genugtuung und zwar ist die Erfüllung dieser drei Stücke dann verdienstlich. Nun, ich frage dich höre zu, liebe Seele wirst du von deiner Reue wirklich jemals sagen können, was David sagt: „Ich schwemme mein Bett mit meinen Tränen“ (Ps. 6), und doch war David nie der Ansicht, dass seine Reue ihm die Vergebung zusichere. Was das Beichten an sich betrifft, so ist es Recht, wenn du deine Sünde bekennst und mit David sprichst: „Ich bin der Mann,“ was aber das Erzählen deiner einzelnen Sünden betrifft, so sagt David: „HErr, wer kann merken, wie oft er fehle!“ Verzeihe mir auch die verborgenen Fehler, und ist es ein seelenquälerisches Begehren, sie alle herzählen zu sollen. Und nun vollends mit dem Genugtun! Wird denn da jemals sich einer genugtun? Nein!
Nein! Nun, meine Lieben, es hat seit Johannis des Täufers Tagen wohl keinen treueren Nachfolger desselben in der Buße gegeben als Luther; aber davon ist er gründlich überzeugt gewesen, dass keines Menschen Buße der Preis seiner Vergebung sein solle. Nicht so! Nicht um unsrer Buße willen, wenn sie auch manchmal uns Gott herzgründlich schenkt, auch dann ist sie doch nicht so, dass ich sagen könnte: sie genügt! Nur eine genügt, das ist die alleinige allgenugsame Buße Christi, und Christi Blut ist der Preis. Nun, wodurch werde ich ihrer teilhaftig? Nur durchs Wort und sonst durch nichts. Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben“ und des Menschen Sohn hat Macht, die Sünden zu vergeben.
Aber wie? wenn Er sie nun mit in den Himmel genommen hätte, diese Macht? Gott Lob! Treuer Heiland, das hast Du nicht getan. Er hat sie auf Erden zurückgelassen. Er hat ja Seiner Kirche die Schlüssel des Himmelreichs gegeben, Er hat die sündentilgende Macht in die Predigt, in die Sakramente niedergelegt. Was nützt die Taufe,“ sie wirkt Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, das wirkt, das nützt auch das Sakrament des heiligen Abendmahls, dieses Brot und dieser Kelch, in, mit und unter welchen ich Ihn, meinen HErrn Jesum, esse und trinke. Er hat sie in den Mund jedes gläubigen Christen, insonderheit in den Mund Seiner Diener gelegt. Und nun, Geliebte! was denkt ihr euch aber? Was geht mit euch vor? Glaubt ihr es wahrhaftig, glaubt ihr, dass in der lauten Menschenstimme Gottes Stimme zu euch redet und spricht: „Dich, dich meine ich grade, dir lege ich meine Hand auf und vergebe dir alle deine Sünde und streiche sie durch mit Jesu Blut?“ Geliebte! so soll es sein. Hier ist die Gewissheit, bei Menschen sollst du sie suchen und doch nicht als etwas menschliches. „Ins Endliche senkt sich das Unendliche.“ Du sollst nicht gen Himmel fahren und die Gnade herunter holen wollen; hier, hier ist die Gnade, die das köstliche Ding, ein festes Herz schafft und hier sollst du sie suchen. Es ist auch damit nicht etwa so wie die Schwärmer wähnen, eine Benachrichtigung davon, ob ich von Gott zur Seligkeit bestimmt sei und zu der Zahl der Auserwählten gehöre. Dies ist nichts, Geliebte! mit solchen Benachrichtigungen befasst sich der liebe Gott nicht. Es sind Mächte, es sind Handlungen. Ich soll mir auch, um zur Gewissheit zu gelangen, wie Luther sagt, keine „Nebentreppen“ bauen, nicht in meinen Empfindungen und Gefühlen eine Gewissheit suchen. Nein, als eine Macht, eine Kraft, erweist sich die Sündenvergebung an allen, die in Stille sich dem Worte Gottes untergeben. „Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“
O, dass deine Seele so stille würde, dass du Gottes Stimme verstehst, dass du sprechen kannst: „Rede HErr, denn dein Knecht hört!“ und du wirst diese Stimme verstehen, wenn alles andre in dir schweigt. Ich werde es nie vergessen, wie nach einer herzausschüttenden Beichte, eines dem Tode Nahen, dieser die Frage an mich richtete: „Mein lieber Herr Pastor, können Sie mir ganz bestimmt versichern, dass mir meine Sünden alle vergeben sind?“ und, o wie herzensfroh war ich, dass ich das durfte und es ihm zuschwören konnte, dass seine Sünde alle durchgestrichen sei durch das Blut Jesu Christi! Da glänzten seine Augen und wie verklärt sah er aus, da er sprach: Gott sei Dank, dass Er uns arme Sterbliche solche Stimme hören lässt!“
Ja, Geliebte, so ist es, aber nur Anfechtung lehrt aufs Wort merken, und der Leichtsinn erfährt davon nichts. Für dich aber, arme geplagte Seele, für dich ist es, die du dich für eine arme jämmerliche, ja erbärmliche Kreatur erkennst; erfasse den Trost der Vergebung wieder recht und es wird heller werden in deiner Seele. Es ist eine Handlung deines Hohenpriesters, die jetzt mit dir vorgeht, Er verwaltet Sein Amt an dir, und wenn über dir gesprochen wird: „Ich vergebe dir alle deine Sünde und streiche sie durch mit dem teuren Blute Jesu Christi,“ so ist es eine Handlung und es geschieht! Bei wem? Bei dem, der es glaubt, dem Worte glaubt. Wort und Glaube, das ist die schönste Ehe! sagt Luther und was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden. Und ist dein Glaube auch nur senfkornartig, aber doch Glaube, den Gott durchs Wort dir schenkt, so ist die Vergebung ein Erleiden; widerstrebe nicht, gib dich ihm hin.
„Auf dass ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bett auf und gehe heim. Und er stand auf und ging heim.“ Aus diesen Worten, Geliebte, wäre nun die Beantwortung unsrer dritten Frage zu holen, nämlich in dem neuen Leben, das uns vorgebildet ist und in der Heilung des Gichtbrüchigen. Oder wollen wir uns den Odem dazu rauben lassen, allsonntäglich zu singen: „Hier all' Sünd' vergeben werden, das Fleisch soll uns wieder leben.“ Der HErr hat Macht, schon jetzt auch alle Krankheit des Leibes zu bannen, Er wird es aber erst tun am Ende der Tage und hier im Evangelium tat er es als ein solches Wunder, welches als Jesuszeichen alle locken sollte zu Ihm zu kommen. An uns aber wird es erst erscheinen, wenn er unsre Leiber verklären wird, dass sie ähnlich werden Seinem verklärten Leibe. Das folgt zuletzt, darin fruchtet zuletzt die Vergebung der Sünden, dass wir nicht vergeblich genossen haben hier auf Erden den Leib und das Blut unsers HErrn Jesu Christi. Und dieser Leib der Ewigkeit ist dadurch schon im Keime da, er ist schon im Entstehen, wenn man als ein Christ isst und trinkt. Aber noch einen Wink und diesen Wink gebe ich aus der Epistel die uns zeigt, dass der Absolutionssonntag auch ein Heiligungssonntag ist, dass wir aufstehen sollen und in einem neuen Leben wandeln. Geliebte, der hat Luther noch nicht verstanden und schlecht studiert, der da meint, von der Heiligung habe er nicht viel verstanden! nein, o nein! Er war ein sehr demütiges Kind Gottes und bekannte wohl von seinem Mitbruder Nikolaus Hausmann: „Was wir lehren, das lebt er“ aber seht in den Katechismus! Wie köstlich wird da von der Heiligung gelehrt und Luther selbst sagt davon: „Nun wissen wir doch wieder, wie wir Gott gefallen sollen“ im Leben und Wandel den Geboten nach. Zwar sind es die alten Gebote und doch neue. So lange ich es aber mit den Werken angreife, um zum Frieden zu kommen, ist's nichts, so lange ich selber es machen will, so kommt es zum Frieden nicht mit mir, aber wenn ich stille geworden bin durch die Vergebung meiner Sünden dann singe ich: Gewiss, wer erst die Sünde in Christi Blut ertränkt und dann gleich einem Kinde Ihm unverrückt anhängt, der wird auch heilig wandeln und kann gar anders nicht HErr Jesu, lehr mich wandeln in Deiner Augen Licht.
Gott stärke uns in des rechten Glaubens Trost bis zu unserm letzten Atemzuge. Amen!