Die Zürcher Uebereinkunft (Consensus Tigurinus) 1549

Die Zürcher Uebereinkunft (Consensus Tigurinus) 1549

Hauptstücke der Uebereinkunft.

  1. Da Jesus Christus das Ende des Gesetzes ist, und die Erkenntniß desselben die ganze Summe des Evangeliums in sich faßt, so ist es nicht zweifelhaft, daß die ganze geistliche Regierung der Kirche darauf abzweckt, uns zu Christo zu führen, wie man denn zu Gott allein durch ihn selbst kommt, welches das letzte Ziel unserer Seligkeit ist. Wer also davon nur im geringsten abweicht, der kann von keiner göttlichen Anordnung richtig und passend reden.
  2. Da aber die Sacramente Zugaben zum Evangelium sind, so kann nur der über ihre Natur, Kraft, Wirkung und Frucht angemessen und mit Nutzen sprechen, der von Christo anhebt, und zwar nicht so, daß er nur obenhin seines Namens erwähnt, sondern so, daß er in Wahrheit weiß, weßhalb er uns von dem Vater geschenkt ist, und welche Güter er uns gebracht hat.
  3. Das aber muß man erkennen, daß Christus, der ewige Sohn Gottes, gleiches Wesens und gleicher Ehre mit dem Vater, unser Fleisch angenommen hat, um uns das, was ihm von Natur als Eigenthum zukam, gleichsam durch Adoption mitzutheilen, daß wir nämlich Gottes Kinder seien. Dieß geschieht, wenn wir, durch den Glauben Christo einverleibt, und zwar durch Kraft des heiligen Geistes, zuvörderst für gerecht erklärt werden vermittelst einer unverdienten Zurechnung seiner Gerechtigkeit, sodann wiedergeboren werden zu einem neuen Leben, wodurch wir ungeschaffen zum Bilde unsers himmlischen Vaters dem alten Menschen entsagen.
  4. Wir haben also Christum im Fleische zu betrachten als Priester, der unsre Sünden durch das alleinige Opfer seines Todes versöhnt, der all unser Unrecht durch seinen Gehorsam getilgt, der uns eine vollkommene Gerechtigkeit erworben hat, und uns jetzt vertritt, damit uns der Zugang zu Gott offen stehe. Er ist zu betrachten als ein Sühnopfer, durch welches Gott versöhnt ist mit der Welt. Er ist zu betrachten als ein Bruder, der uns aus elenden Kindern Adams zu seligen Kindern Gottes gemacht hat. Er ist zu betrachten als ein Wiederhersteller, der, was an uns fehlerhaft ist, durch die Kraft seines Geistes umschafft, so, daß wir aufhören, der Welt und dem Fleische zu leben, und daß Gott selbst in uns lebt. Er ist zu betrachten als ein König, der uns mit Gütern aller Art bereichert, der uns durch seine Kraft regiert und schützt, der uns mit geistlichen Waffen rüstet, der uns von allem Uebel befreit, der uns durch das Scepter seines Mundes lenkt und leitet. Er ist endlich zu betrachten als der uns zu sich, dem wahren Gotte, und zu seinem Vater erhebt, bis das, was dereinst geschehen soll, in Erfüllung geht, daß nämlich Gott Alles in Allem ist.
  5. Damit nun Christus das für uns werde, und solche Wirkungen in uns hervorbringe, müssen wir eins mit ihm werden und gleichsam mit ihm zusammenwachsen. Er läßt sein Leben nicht anders in uns hinüberströmen, als wenn er unser Haupt ist, mit dem der ganze Leib in der innigsten Gemeinschaft und Verbindung steht, und von dem der Leib sein Wachsthum erhält und jedem Gliede mittheilt.
  6. Das ist die geistige Gemeinschaft, die wir mit dem Sohne Gottes haben, indem er, durch seinen Geist in uns wohnend, alle Gläubigen theilhaft macht aller der Güter, die in ihm vereinigt sind. Um dieß zu bezeugen, ist sowohl die Predigt des Evangeliums angeordnet, als der Gebrauch der Sacramente uns empfohlen, nämlich der heiligen Taufe und des heiligen Abendmahls.
  7. Zwar haben auch die Sacramente den Zweck, Zeichen und Loosung des christlichen Bekenntnisses und der Gemeinschaft oder Brüderschaft, Erweckungen zur Danksagung und Uebungen des Glaubens und der Frömmigkeit, endlich Verpflichtungen dazu zu sein. Aber die Hauptabsicht derselben ist, daß Gott uns durch sie seine Gnade bezeugen, darstellen und besiegeln will. Denn obgleich sie nicht Anderes bezeichnen, als was auch in seinem Worte angekündigt wird, so ist es doch etwas Großes, daß uns gleichsam lebende Bilder vor die Augen gebracht werden, die mehr Eindruck machen auf unsre Empfindung und uns gleichsam in die Sache hineinführen, indem sie uns den Tod Christi und alle seine Wohlthaten ins Gedächtniß rufen, damit der Glaube mehr geübt werde, und daß, was der Mund Gottes gesprochen hat, gleichsam durch Siegel befestigt und bekräftigt wird.
  8. Da aber die Zeugnisse und Siegel der Gnade, welche der Herr uns gegeben hat, wahrhaft sind, so macht er ohne Zweifel durch seinen Geist in uns dasjenige wirklich, was die Sacramente den Augen und andern Sinnen vorbilden, das heißt, daß wir Christi theilhaft werden, als der Quelle aller Güter, daß wir ferner durch die Wohlthat seines Todes mit Gott versöhnt, und durch den Geist zur Heiligkeit des Lebens erneuert werden, daß wir endlich die Gerechtigkeit und das Heil erlangen, und zugleich für diese Wohlthaten Dank sagen, die uns einst am Kreuze geschenkt sind, und die wir täglich im Glauben empfangen.
  9. Obgleich wir, wie billig, die Zeichen von dem Bezeichneten unterscheiden, so trennen wir doch die Wahrheit nicht von den Zeichen, vielmehr bekennen wir, daß Alle, welche die dargebotenen Verheißungen im Glauben annehmen, Christum auf geistliche Weise mit seinen geistlichen Gaben empfangen, daß folglich die, welche schon längst Christi theilhaft gemacht waren, diese Gemeinschaft fortsetzen und erneuern.
  10. Denn man muß nicht auf die bloßen Zeichen sehen, sondern vielmehr auf die Verheißung, die daran geknüpft ist. In dem Maße also, in welchem unser Glaube durch diese Verheißung gewinnt, bewährt sich auch jene Kraft und Wirkung, von der wir reden. So giebt uns die Materie des Wasser, Brotes und Weines keinesweges Christum, macht uns auch nicht seiner geistlichen Gaben theilhaft; es ist vielmehr auf die Verheißung zu sehen, die uns auf dem geraden Wege des Glaubens zu Christo führt, und dieser Glaube macht uns Christi theilhaft.
  11. Hier wird der Irrthum derer widerlegt, welche mit Ehrfurcht bei den Elementen verweilen, und auf sie die Hoffnung ihrer Seligkeit bauen, da die Sacramente ohne Christum nichts sind, als leere Hüllen, und deutlich erschallt in ihnen der Zuruf, an Christum allein müsse man sich halten, und nirgend sonst die Gnadengabe der Seligkeit suchen.
  12. Wenn uns übrigens durch die Sacramente etwas Gutes zu Theil wird, so geschieht das nicht durch ihre eigene Kraft, selbst, wenn wir die Verheißung ergreifen, mit der sie bezeichnet sind. Denn Gott allein wirkt durch seinen Geist, und wenn er sich der Sacramente, als Mittel, bedient, so gießt er darum doch nicht seine Kraft in sie, noch vermindert er die Wirksamkeit seines Geistes, sondern er gebraucht sie nach unsrer Beschränktheit als Hülfsmittel, so, daß das ganze Vermögen ihm allein beiwohnt.
  13. Wie Paulus erinnert, daß weder der, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, etwas sei, sondern Gott allein, der das Gedeihen giebt, so muß man auch von den Sacramenten sagen, daß sie nichts sind, weil sie nichts helfen, wenn nicht Gott allein Alles thut; sie sind Werkzeuge, durch welche Gott nachdrücklicher wirkt, wo es ihm gefällt, jedoch so, daß das ganze Werk unsrer Seligkeit ihm allein beigelegt werden muß.
  14. Wir behaupten also, daß Christus allein innerlich tauft, und uns im Abendmahle sich mittheilt, und das erfüllt, was die Sacramente andeuten, daß er sich dieser Hülfsmittel auf solche Weise bedient, daß die ganze Wirksamkeit seinem Geiste zukommt.
  15. So heißen die Sacramente auch zuweilen Siegel, man sagt, daß sie den Glauben nähren, befestigen, befördern; und doch ist eigentlich der Geist allein das Siegel, der Anfänger und Vollender des Glaubens. Denn alle diese Eigenschaften der Sacramente sind etwas Untergeordnetes, und nicht der kleinste Theil unsrer Seligkeit ist unabhängig von dem alleinigen Urheber, so, daß er dem Geschöpf oder dem Element beiwohnte.
  16. Ueberdieß lehren wir ernstlich, daß Gott nicht seine Kraft an Allen ohne Unterschied beweiset, welche die Sacramente empfangen, sondern nur an den Auserwählten. Denn wie er nicht Andere zum Glauben erleuchtet, als die er zum Leben vorherbestimmt hat, so wirkt er durch die geheime Kraft seines Geistes, daß die Auserwählten das empfangen, was die Sacramente darbieten.
  17. Durch diese Lehre wird die Erdichtung der Sophisten widerlegt, welche behaupten, daß die Sacramente des neuen Testaments Allen Gnade verleihen, welche es nicht durch Todsünden unmöglich machen. Denn abgesehen davon, daß in den Sacramenten Alles nur durch den Glauben empfangen wird, man muß festhalten, daß die Gnade Gottes nicht so daran geknüpft ist, daß, wer das Zeichen hat, auch der Sache theilhaft werde. Denn den Verworfenen werden die Zeichen eben sowohl dargereicht, als den Auserwählten; die Wahrheit der Zeichen wird nur den Letztern zu Theil.
  18. Es ist zwar gewiß, daß Christus mit seinen Gaben Allen dargeboten, und daß die Wahrheit Gottes durch den Unglauben der Menschen nicht erschüttert wird, weil die Sacramente immer ihre Kraft behalten; aber nicht Alle sind für Christum und seine Gaben empfänglich. Auf Seiten Gottes wird daher nichts geändert; aber was die Menschen betrifft, so empfängt Jeder nach dem Maße seines Glaubens.
  19. Wie aber der Gebrauch der Sacramente den Ungläubigen nichts mehr hilft, als wenn sie dieselben entbehrten, ja, ihnen nur verderblich ist, so bleibt den Gläubigen auch ohne den Gebrauch derselben die Wahrheit, welche sie abbilden. So sind durch die Taufe dem Paulus die Sünden abgewaschen, die schon früher abgewaschen waren. So ward dieselbe Taufe für den Cornelius ein Bad der Wiedergeburt, der schon zuvor den heiligen Geist empfangen hatte. So theilt sich Christus uns im Abendmahl mit, der sich uns doch schon früher geschenkt hat, und immer in uns bleibet. Denn da Jedem geboten ist, sich selbst zu prüfen, so folgt daraus, daß der Glaube von ihnen gefordert wird, ehe sie zum Sacramente hinzutreten. Aber es giebt keinen Glauben ohne Christum, sondern wie der Glaube durch die Sacramente befestigt wird und wächst, so werden auch die Geschenke Gottes in uns befestigt, und, so zu sagen, wächst Christus in uns und wir in ihm.
  20. Ferner darf der Nutzen, den uns die Sacramente gewähren, nicht von der Zeit abhängig gemacht werden, wo wir sie empfangen, als ob das sichtbare Zeichen, wenn es dargeboten wird, in demselben Augenblicke uns die Gnade Gottes zuführte. Denn die, welche in früher Kindheit getauft sind, die werden von Gott wiedergeboren als Knaben oder als Jünglinge, zuweilen auch als Greise. So breitet sich der Nutzen der Taufe durch das ganze Leben aus, weil die Verheißung, welche sie mit sich führt, immerfort in Kraft ist. Es kann auch zuweilen geschehen, daß der Gebrauch des heiligen Abendmahls, der bei der Handlung selbst wegen unsrer Gedankenlosigkeit oder Trägheit wenig hilft, dennoch späterhin seine Frucht bringt.
  21. Besonders muß man jede Einbildung einer örtlichen Gegenwart aufgeben. Denn obgleich diese Zeichen in der Welt sind, mit Augen gesehen und mit Händen berührt werden, so dürfen wir doch Christum, wiefern er Mensch ist, nirgend anders suchen, als im Himmel, und nicht auf andere Weise, als mit dem Geiste und mit der Erkenntniß des Glaubens. Daher ist es ein verkehrter und böser Irrthum, wenn man ihn unter den Elementen dieser Welt einschließt.
  22. Diejenigen, welche in den Einsetzungsworten des Abendmahls: „Das ist mein Leib! Das ist mein Blut!“ auf den buchstäblichen Sinn bringen, wie sie es nennen, verwerfen wir als schlechte Ausleger. Denn wir halten es für ausgemacht, daß sie bildlich aufzufassen sind, so, daß Brot und Wein den Namen von dem haben, was sie bezeichnen. Das darf auch nicht als neu und unerhört betrachtet werden, daß durch eine Metonymie der Name der bezeichneten Sache auf das Zeichen übertragen wird, da solche Ausdrücke hin und wieder in der Schrift vorkommen, und wir dabei nichts behaupten, was nicht bei den ältesten und bewährtesten Kirchenschriftstellern sich fände.
  23. Daß aber Christus durch das Essen seines Fleisches und durch das Trinken seines Blutes, die hier vorgebildet werden, unsre Seelen im Glauben durch die Kraft des heiligen Geistes nährt, das ist nicht so zu verstehen, als geschähe eine Vermischung oder Verwandlung der Materie, sondern weil wir aus seinem Ein Mal zum Opfer dargebrachten Fleische und aus seinem zur Versöhnung vergossenen Blute das Leben schöpfen.
  24. Auf diese Weise wird nicht nur die Fabel der Päpstler von der Brotverwandlung verworfen, sondern auch alle einfältigen Erdichtungen und eitlen Spitzfindigkeiten, welche entweder die himmlische Herrlichkeit Christi verkleinern oder mit dem Wesen der menschlichen Natur nicht übereinstimmen. Denn wir halten es für eben so ungereimt, Christum in das Brot einzuschließen, oder mit dem Brote zu vereinigen, als daß das Brot sich in seinen Leib verwandeln solle.
  25. Und damit keine Zweideutigkeit übrig bleibe, wenn wir sagen, daß man Christum im Himmel suchen müsse, so bezeichnen wir mit diesem Ausdruck die Entfernung der Oerter. Denn obgleich, philosophisch zu reden, es keinen Ort über dem Himmel giebt, so müssen wir doch, weil der Leib Christi, wie es die Natur und Beschaffenheit eines menschlichen Leibes mit sich bringt, endlich ist und sich im Himmel, als an seinem Orte, befindet, so weit von ihm entfernt sein, als der Himmel von der Erde.
  26. Wenn wir nicht durch unsere Phantasie Christum an Brot und Wein fesseln dürfen, so dürfen wir noch viel weniger ihn im Brote anbeten. Denn obgleich uns das Brot als Zeichen und Pfand der Gemeinschaft, die wir mit Christo haben, dargereicht wird, so machen doch die, welche, wenn sie Christum anbeten wollen, ihre Gedanken auf das Brot richten, dasselbe zu einem Götzen, weil es ein Zeichen ist, nicht die Sache selbst, auch die Sache nicht darin eingeschlossen oder daran gefesselt ist.

Quelle: Böckel, Ernst Gottfried Adolf - Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformierten Kirche

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
bekenntnisse/zb.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain