Wesley, John - Ökumenische Gesinnung

Wesley, John - Ökumenische Gesinnung

  1. „Ist's also, so gib mir deine Hand!“ Damit meine ich nicht: „Teile meine Auffassung!“ Das brauchst du nicht. Ich erwarte und wünsche das nicht. Aber ebensowenig meine ich: „Ich will deine Auffassung teilen.“ Ich kann das nicht. Das hängt nicht von meinem Willen ab. Ich kann ebensowenig willkürlich denken, als ich sehen oder hören kann, was ich will. Behalte deine Auffassung. Ich will die meine behalten, und zwar so fest wie je. Du brauchst dir nicht einmal Mühe zu geben, auf meine Seite herüberzukommen oder mich auf deine Seite hinüberzuziehen. Ich habe gar keine Lust, mich in einen Streit mit dir einzulassen über diese Fragen oder darüber auch nur ein Wort zu hören oder zu reden. Wir wollen alle Auffassungen auf der einen und der andern Seite ruhig liegen lassen. Bloß, gib mir deine Hand!
  2. Ich meine auch weder: „Nimm meine gottesdienstlichen Formen an!“ noch: „Ich will die deinen annehmen.“ Auch das ist etwas, das weder von meinem noch von deinem Willen abhängt. Wir müssen beide nach unserer Gewissensüberzeugung handeln. Halte du fest an dem, was nach deiner Meinung Gott am wohlgefälligsten ist, und ich will das gleiche tun. Ich halte die bischöfliche Form des Kirchenregiments für biblisch und apostolisch. Wenn du die der Presbyterianer oder der Freien Gemeinden für besser hältst, wohlan, bleibe bei deiner Meinung und handle danach. Ich glaube, daß Kinder getauft werden sollen und daß dies entweder durch Untertauchen oder durch Besprengung geschehen kann. Wenn du eine andere Überzeugung hast, so bleibe dabei und handle nach deiner eigenen Überzeugung. Mir scheint, daß liturgische Gebete, besonders in der großen Gemeinde, außerordentlich nützlich sind. Wenn du meinst, daß freie Gebete nützlicher sind, so handle nach deinem eigenen Urteil. Meine Auffassung ist, daß ich mit Wasser taufen, daß ich Brot essen und Wein trinken soll, um meines Herrn Tod zu verkündigen. Wenn du aber nicht davon überzeugt bist, so handele nach dem Licht, das dir geworden ist. Ich habe keine Lust, auch nur einen Augenblick über irgendeine dieser Fragen zu streiten. Ist dein Herz wie mein Herz, liebst du Gott und alle Menschen, so frage ich nicht weiter: „Gib mir deine Hand!“
  3. Ich meine damit erstens: „Liebe mich, und zwar nicht nur so, wie du alle Menschen liebst und die Feinde Gottes, die, welche dich hassen, dich „beleidigen und verfolgen“. Nicht nur so, wie du einen Fremdling liebst, einen, von dem du weder Gutes noch Böses weißt. Nein, damit begnüge ich mich nicht. „Ist dein Herz richtig wie mein Herz mit deinem Herzen“, so liebe mich mit zärtlicher Zuneigung als einen Freund, der dir näher steht denn ein Bruder, als einen Bruder in Christus, einen Mitbürger des Neuen Jerusalem, einen Kriegskameraden in demselben Kampf, unter demselben Herzog unserer Seligkeit. Liebe mich als einen Mitgenossen am Reich und an der Geduld Jesu und als einen Miterben der Herrlichkeit des Herrn.
  4. Liebe mich (aber in einem höheren Maß als die Menschheit im großen ganzen) mit der Liebe, die langmütig und freundlich, d. h. geduldig ist. Wenn ich töricht und vom Wege abgekommen bin, so trage meine Last und vermehre sie nicht. Nicht eifersüchtig, wenn irgend einmal es Gott gefiele, mir in seinem Werk mehr Erfolg zu geben als sogar dir. Liebe mich mit der Liebe, die sich nicht erbittern läßt durch meine Dummheiten oder Schwächen, nicht einmal dadurch, daß ich (wie es dir manchmal scheinen mag) nicht nach Gottes Willen handle. Liebe mich so, daß du mir nichts Böses zutraust und allen : Neid und Argwohn von dir tust. Liebe mich mit der Liebe, die alles zudeckt und weder meine Fehler, noch meine Schwachheiten verrät, mit der Liebe, die alles glaubt und immer bereit ist, das beste zu denken, sich die günstigste Auslegung meiner Worte und Taten zu eigen macht, mit der Liebe, die alles hofft und entweder annimmt, daß, was man mir nachsagt, nicht geschehen ist, oder wenigstens nicht 50, wie es erzählt wird, oder wenigstens, daß ich es in guter Absicht tat oder aber unter dem Einfluß einer übermächtigen, plötzlichen Versuchung handelte. Hoffe auch bis zuletzt, daß alles Verkehrte durch die Gnade Gottes zurechtgebracht und jedem Mangel durch den Reichtum der Barmherzigkeit Gottes in Christus abgeholfen werden wird.
  5. Ich meine damit zweitens: Befiehl mich Gott in all deinen Gebeten, ringe mit ihm um mich, damit er schnell das Verkehrte zurechtbringe und meinem Mangel abhelfe. Wenn du dem Gnadenthron am nächsten gekommen bist, dann flehe zu dem, mit dem du da so innige Gemeinschaft hast, daß mein Herz noch mehr werde wie dein Herz, immer fester in der richtigen Stellung zu Gott und Menschen; daß mir eine immer völligere Überzeugung geschenkt werde von den Dingen, die man nicht sieht, und eine klarere Erkenntnis von der Liebe Gottes in Christus Jesus; daß ich mit gewisseren Tritten im Glauben wandle und nicht im Schauen und entschlossener das ewige Leben ergreife. Bete, daß die Liebe zu Gott und allen Menschen reichlicher ausgegossen werde in mein Herz, daß ich inbrünstiger und unermüdlicher den Willen meines Vaters im Himmel tue, fleißiger sei zu guten Werken und beflissener, allen bösen Schein zu meiden.
  6. Ich meine damit drittens: Reize mich zur Liebe und guten Werken! Unterstütze dein Gebet, wo sich Gelegenheit bietet, durch liebevolle Ermahnungen über alles, was du für mein Seelenheil als förderlich achtest. Feure mich an in dem Werk, das Gott mir aufgetragen hat, und lehre mich, es besser tun. Ja, „schlage mich freundlich und strafe mich“, wenn es dir scheint, daß ich eher meinen eigenen Willen tue als den Willen dessen, der mich gesandt. O sprich und schone nicht in allem, womit du glaubst, meine Fehler bessern, meine Schwachheit stärken, mich in der Liebe erbauen oder in irgendeiner Weise für den Dienst des Meisters brauchbarer machen zu können.
  7. Zuletzt meine ich damit: Liebe mich nicht nur mit Worten, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit! Soweit es dein Gewissen erlaubt, ohne deine eigene Lehrauffassung oder deine eigenen gottesdienstlichen Formen aufzugeben, vereinige dich mit mir im Werke Gottes und laß uns Hand in Hand gehen! Zum mindesten kannst du sicher folgendes tun: Rede mit Ehrerbietung, wo immer du auch sein magst vom Werke Gottes, durch wen er auch wirken möge, und sprich freundlich von seinen Boten!. Wenn es in deiner Macht liegt, so erweise Ihnen nicht nur dein Mitgefühl in Ihren Schwierigkeiten und Nöten, sondern leiste ihnen freudig tatkräftige Hilfe, damit sie Gott um deinetwillen preisen.
  8. Mit Bezug auf das im letzten Abschnitt Gesagte ist noch zweierlei zu beachten: Erstens, was an Liebe und Liebesdienst an geistlicher und zeitlicher Hilfe im von dem fordere, dessen Herz richtig ist wie mein Herz mit seinem, das gleiche bin ich durch Gottes Gnade bereit ihm zu leisten, soweit mein Vermögen reimt. Zweitens, die Forderungen, die ich aufgestellt habe, habe ich nicht nur in meinem, sondern im Namen aller aufgestellt, deren Herz richtig ist gegen Gott und Menschen, auf daß wir alle einander lieben, wie Christus uns geliebt hat.
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