Waldenser - Der Traum eines Gottesfreundes

Waldenser - Der Traum eines Gottesfreundes

Mir war, ich sähe einen Menschen liegen, der krank war von großer Bedrängnis inwendigen Leidens. Er zeigte mit seinen Gebärden große innere Qual und begehrte Hilfe von mir. Eine übersinnliche Stimme sagte mir: Hilf ihm.

Da sprach ich zu dem Kranken: Wie kann ich dir helfen?

Er antwortete: Mit den Wunden Christi. Die sollst du suchen mit Fasten und durch innere Vereinigung mit Gott. Anders wird mir nimmer besser, ich werde denn Eins mit Gott und werde mir dessen bewußt. Denn meine Pein besteht in nichts anderem, als daß ich Unfriede habe. Denn sieh: Bei all meinem Tun und Lassen und bei allem, was über mich kommt, ist immer: es sollte anders sein.

Ich sagte: Wisse, das Fasten, Wachen, Beten und all die Werke, die mit der Zeit anfangen und endigen, können dich nicht heilig und mit Gott eins machen. Denn sie sind Zeit, beginnen und endigen mit der Zeit und sind d e i n e Werke. Gott aber ist Gott und du bist Mensch. Darum ist Ungleichheit zwischen Gott und deinen Werken. Darum infolge ihrer Ungleichheit können sie keine Einheit hervorbringen. Auch sind deine Werke an sich selbst weder gut noch heilig, darum können sie weder gut noch heilig machen. Und alle, die, damit sie mit Gott vereinigt werden, solche Werke wirken, sind betrogen.

Der Mensch sagte: Wie soll ich denn tun?

Ich sprach: Du sollst ein Werkzeug Gottes sein und eine Stätte, in der Gott wirkt. Denn wisse: In dem Maße, als der Mensch sich eines Werkes, das Gott durch ihn tut, selber annimmt, in dem Maße ist er nicht in Gottes Willen. Denn Gottes Wille ist, daß der Mensch ein Werkzeug Gottes sei und eine leere Stätte. Wäre das der Mensch, so stünden alle seine Werke auf gleichmäßiger Stufe in ihm: keins wäre böse oder besser als das andere. Denn alle trügen ihm Frieden ein. Wäre es hier so: ich stünde vor dem Kranken und sähe nichts als gute Werke, kein einziges böses. Sie trügen dem Menschen allezeit Frieden ein.

Da wandte ich mich um und sah einen Menschen in geistlichem Gewande. Er war zu der Zeit ein Meister der heiligen Schrift, aus dem Predigerorden. Er hielt ein Schreibtäflein in der Hand.

Ich fragte ihn, was er im Sinn habe.

Er sprach mit finsterem Angesicht: Ich schreibe dich verworfen aus der christlichen Rechtgläubigkeit. Du sagst: niemand solle gute Werke tun wie Fasten, wachen, Beten und andere Übungen, sie seien nichts nütze. Ebenso sagst du: alle Werke seien gleich im Menschen. Das ist falsch und wider die Wahrheit!

Ich antwortete: Höre, ich habe nicht gesagt, daß die Gesinnung infolge der Werke falsch sei. Ich sagte: die Werke seien eitel infolge der verkehrten Gesinnung. Tu es um Gott und höre meine Meinung.

Er sprach: Darum bin ich hier.

Ich sagte: Wisse, alle Werke, die alle Kreaturen in ihrer kreatürlichen Gesinnung je wirkten, können sich nicht für gleich oder ebenbürtig halten, dem geringsten Werke, das Gott im Menschen wirkt. Und darum: alle, die um Gott oder um Gottes Gaben wirken, betrügen sich darin selbst, daß sie Gott durch ihre Werke zu gewinnen glauben: sie erkennen nicht, daß Gott in ihnen die Werke wirkt und zwar deshalb, weil sie sich ihm lassen und sehen, daß er alles ist: suchen und finden, begehren und empfangen, haben und behalten in zuversichtlicher Sicherheit. Und willst du, so erkennst du selbst wohl, daß ich die Wahrheit sage! Sieh in dich, dann merkst du, daß, wenn du alle Werke der Tugend noch um Gott oder um Gottes Gaben vollbringst, daß du dann in eigennütziger Gesinnung handelst und nicht zur Ehre und zum Lobe Gottes. Verstehst du das, so merkst du es wohl in dir. Daran kannst du merken, daß du in dem allen keinen Frieden hast. Dir ist beständig, als sollte es anders und besser sein. Dieser Unfriede beweist, daß du kein friedlich ergebenes Werkzeug Gottes bist, in dem Gott allein Wollen, Wirken und Vollbringen ist. Du willst selbst anordnen und wirken. Darum straft dich dein eigenes Werk in dir, das doch lobwürdig sein soll. Hieran kannst du dein Recht und dein Unrecht merken. Gib acht auf den Frieden, den du in der Geringwertung und freien Aufgabe deiner selbst in Gottes Willen hast, in der Gelassenheit, mit der du in das vorgezeichnete ewige Bild hingewandt bist. Daran siehst du, wie du ohne dein Zutun zu den Werken der Tugend erwählt bist. Und so sollen sie auch in der Zeit in dir gewirkt werden, ohne daß du dich ihrer annimmst, und die ewige Erwählung läßt dir keine Ruhe, bis die Tugend, in zeitlichen Vermahnungen durch dich hinfließt: dann ist Freude und Friede. Denn so geht dann deine zeitliche Vergänglichkeit und dein ewiges Sein in dem Werke eine Gleichheit ein, und das Werk schaut sich in seinem ewigen Bilde. Dann steht der Mensch in Frieden. Denn er ist die Tugend selbst und alle Tugenden werden durch ihn gewirkt infolge der rechten Gelassenheit seiner selbst, nicht in Verachtung der wahren Gerechtigkeit, wie die falschen Freien lehren, sondern in Selbstaufgabe Leid wäre es ihnen, wenn sie sich selbst irgendeiner Mühsal enthöben, sie wollen sich fröhlich durchquetschen und durchzerren lassen, bis auf ihr eigenes Nichts, das ihnen in dem allen entgegenblickt. Das ist ihr Friede, ihre Freude, ihre Lust, ihr Leben.

Der Meister oder Herr neigte sich und sprach: Gott sei gelobt, daß er dich schuf: ein Geschöpf, in dem sein Licht wahrhaft leuchtet.

Ich fiel vor ihm nieder und bat ihn ernstlich: Tue es um Gott und öffne dich dem, dem alle Dinge offen sind. Dem sei auch du offen. Sonst möchtetst du hart bedroht werden.

Er sprach: Dazu bin ich nie gekommen, auch im geringsten nicht. Da hatte der Schlaf ein Ende.

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