Waldenser - Erklärung der zehn Gebote GOttes

Waldenser - Erklärung der zehn Gebote GOttes

Das erste Gebot im Gesetze GOttes heißt: Du solt keine andere Götter neben mir haben.

Wer das Geschöpfe mehr liebet als den Schöpfer, der sündigt wider dies Gebot. Denn alles dasjenige, so man mehr ehret als GOtt, und dem man mehr dienet als GOtte, das macht man eben dadurch zu seinem Gott. Daher sagt Chrysostomus, daß auch das Böse, so der Mensch in sich herrschen lasse, sein Gott sey. Sprichst du, wie kann ich wissen, was ich lieber habe, GOtt, oder dasjenige, was mir GOtt zu lieben verboten hat; so mercke dir nur folgendes: Was der Mensch im äussersten Fall der Noth am wenigsten achtet, dessen Verlust kommt ihm auch am wenigsten schwer an; hingegen, wo er in solchem Fall am meisten vor sorget, das ist ihm auch am liebsten. So schmeisset ein Kaufmann bey anscheinender Gefahr eines unvermeidlichen Schiffbruchs, alle seine Waaren ins Wasser, und sorgt nur vor sein Leben: denn das Leben ist ihm lieber als alle seine Güter. Die Probe wird nun leicht zu machen seyn. Bist du gewiß versichert, daß du lieber den größten Schaden im Zeitlichen an deinem Vermögen, in deiner Haushaltung, an deinem Vieh, ja wohl gar an denen Deinigen und an deinem eigenen Leibe leiden, als etwas thun wolltest, so dich der Gnade GOttes verlustig machen könnte: so hast du ein sicheres Zeugniß, daß du GOtt lieber hast, als alles in der Welt; und im Gegentheil, so du lieber GOtt beleidigest, als etwas Zeitliches verlässest, so gibst du damit zu erkennen, daß du das Irdische lieber hast, als GOtt; folglich, bist du ein Götzen-Diener. Dis ist es, was der Heyland sagt: So jemand zu mir kommt, und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch darzu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger seyn.

So handeln auch diejenigen wider dieses Gebot, welche dafür halten, daß das Gestirne eine Gewalt habe, den Menschen wider seinen Willen zu etwas zu zwingen, oder von etwas abzuhalten. Diese machen das Gestirne zum Abgott, indem sie dem Geschöpfe dasjenige zuschreiben, was doch dem Schöpfer alleine zukommt. Mit solchen Leuten hat es Jeremias zu thun, wenn er sagt: Ihr sollt nicht der Heyden Weise lernen, und sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heyden sich fürchten. Und Paulus, wenn er an die Galater schreibt: Ihr haltet Tage, und Monden, und Feste, und Jahr-Zeit: ich fürchte euer, daß ich nicht vielleicht umsonst habe an euch gearbeitet.

Ferner sündigen wider dieses Gebot alle diejenigen, so denen Zauberern und Wahrsagern Gehör geben und ihnen Glauben zustellen: Denn diese machen gar den Teufel zu ihrem Gotte, und dieses darum, weil sie vom Teufel dasjenige wissen wollen, was ihnen GOtt allein gewähren kann; als da ist, das Verborgene geoffenbaret sehen, und das Zukünftige im voraus wissen wollen. Dinge, die GOtt ausdrücklich verboten hat: Denn so sagt er: Ihr sollt euch nicht wenden zu den Wahrsagern, und forschet nicht von den Zeichendeutern. Und abermahls: Daß nicht unter dir funden werde ein Weissager, oder ein Tagewähler, oder der auf Vogel-Geschrey achte, oder ein Zauberer, oder Beschwörer, oder Wahrsager, oder Zeichen-Deuter, oder der die Todten frage; Denn wer solches thut, der ist dem HErrn ein Greuel, und um solcher Greuel willen vertreibet sie der HErr, dein GOtt, vor dir her.

Wie aber GOtt die Uebertreter dieses Gebots, und insbesondere diese letzte Sünden zu straffen pflege, davon finden wir ein ausnehmend Exempel in dem andern Buche der Könige im ersten Capitel, da der Prophet Elias auf Befehl des Engels des HErrn, dem Könige Ahasia mußte sagen lassen: Ist denn nun kein GOtt in Israel, daß ihr hingehet zu fragen Baal-Sebub, den Gott zu Ekron? Darum so spricht der HErr: Du solt nicht von dem Bette kommen, darauf du dich geleget hast; sondern solt des Todes sterben. Saul mußte sterben, weil er dem Befehl des HErrn nicht nachgelebet, seine Hoffnung nicht auf GOtt gesetzt, und zu einer Zauberin sein Zuflucht genommen:; GOtt nahm auch das Königreich von seinem Hause weg, und gab es an David, den Sohn Isai. Ueberhaupt drohet der Höchste allen denen, so sich zu denen Wahrsagern und Zeichen-Deutern wenden, und ihnen nachhuren werden, daß er sie heimsuchen, und sie aus ihrem Volcke ausrotten wolle: wie davon im dritten Buch Mosis zu lesen ist.

Man hat demnach hierbey zu mercken, daß in diesem Gebote alle Arten von Zauberey, Beschwörung, sogenanntes Nestel-Knüpfen, abergläubische Zettel, zauberische Figuren, und Artzeneyen von verborgener Würckung, es sey für Menschen oder Viehe, ernstlich verboten sind: und daß man sie insgesammt als Fallstricke und einen Hinterhalt der alten Schlangen anzusehen habe, dadurch sie die Menschen auch noch bis auf diese Stunde zu berücken, und ins Verderben zu stürtzen bemühet ist.

Erklärung des zweyten Gebots. Du solt dir kein Bildniß noch irgend ein Gleichniß machen u.s.w.

Du solt dir kein Bildniß machen, weder von Stein, oder Holtz, oder Farben, noch sonst auf einigerley Art und Weise; weder des, das oben im Himmel, nemlich der Engel, Sonnen, Monds und Sternen, noch des, das unten auf Erden, als da sind Menschen und Thiere, dergleichen die Egypter zu machen pflegten: oder des, das im Wasser, als der Fische, deren Bildung sonderlich die Philister nachhiengen, als welcher Abgott Dagon den Kopf eines Fisches hatte: oder des, das unter der Erden ist; dahin die Teufel gehören, dergleichen zu Ekron der Baal Sebub war. Bete sie nicht an, und diene ihnen nicht: weder durch äusserliche noch innerliche Ehrenbezeugung: thue und mache auch nichts, womit oder wodurch sie könnten verheret werden. Es wird hier also ausdrücklich verboten, kein Bildniß noch irgend ein Gleichniß zu machen, um dasselbe anzubeten, oder ihm zu dienen. Man kann sich demnach nicht gnug verwundern, daß es dennoch Menschen gibt, die aus Blindheit und wider dieses klare Verbot des HErrn, dergleichen Bilder machen, und denselbigen diejenige Ehre und Ehrerbietung, die GOtt allein gebühret, erweisen.

Man wendet zwar hiergegen ein: Es wären die Bilder als Bücher der gemeinen Leute anzusehen; da sie nicht in Büchern lesen könnten, möchten sie an den Wänden lesen. Allein hierauf antwortet der Heyland selbst, wann er im fünften Matthäi zu seinen Jüngern sagt: Ihr seyd das Saltz der Erden: Ihr seyd das Licht der Welt. Das Leben und der Wandel der Hirten soll das Buch und Vorbild der Heerden seyn. Und gesetzt, man nähme die Bilder als Bücher an, so würden es doch nur falsche Bücher und böse Schriften seyn: Denn wer es dem vor sich habenden Heiligen in der Heiligkeit würde nachthun wollen, der würde sich gar bald betrogen finden, und die Unmöglichkeit davon gewahr werden. Wir wollen zum Beweis dessen, was wir hier gesagt, das Bildniß der heiligen Jungfrauen Marien vor uns nehmen. Wer wollte daran zweifeln, daß diese gebenedeyete unter den Weibern nicht das allerherrlichste Muster der Demuth, Armuth und Keuschheit gewesen? und wie wird sie den armen einfältigen Leuten vorgestellt? In Königlichem Schmuck, und in der äussersten Pracht und Herrlichkeit. Und nun, was soll ihnen dieser Anblick für einen Eindruck geben? wird er sie nicht viel eher zur Hoffart als zur Demuth reitzen? Da nun aber heute zu Tage die Priester so wohl als das Volck, dem Geitze, dem Hochmuth, und der Wollust mehrentheils ergeben sind; was ist es denn wohl Wunder, daß sie gern auch Bilder haben, die ihnen gleich sind? Hier gilts aber, was GOtt durch den Mund des Königes und Propheten Davids saget: Da meynest du, ich werde seyn gleich wie du.

Andre wollen es besser machen, und sagen: Wir verehren die sichtbaren Bilder blos zur Ehre des unsichtbaren GOttes.

Aber auch dies ist falsch. Wäre es ihnen ein Ernst, den unsichtbaren Schöpfer in seinen sichtbaren Geschöpfen zu verehren, sie dürften nur ihrem armen Nächsten, den GOtt selbst nach seinem Bilde gemacht hat, Gutes thun. Das Bild GOttes ist in allen Menschen: aber nur die sind ihm ähnlich, die ein reines Hertz und ein liebreiches Gemüthe haben. Willst du also deinen GOtt in der That und Wahrheit ehren, so musst du der Wahrheit Platz geben, und denen, die das Bild GOttes wircklich an sich tragen, Gutes thun. Man ehret aber GOtt in seinem Bilde da, wo man die Hungrigen speiset, die Durstigen träncket, und die Nackten kleidet. Aber falle nieder vor dein steinernes Bild, wie du willst, bete deinen höltzernen Gott noch so inbrünstig an, mache dir Bilder und putze sie noch so schöne; es bleiben doch nur Bilder ohne Leben, darin nichts zu finden ist, so was göttliches an sich hätte, und übersehe deinen Neben-Christen, der das Bild des HErrn wircklich an sich trägt; und sage mir hernach, ob bey dem allen dem wahren GOtt auch nur die allermindeste Ehre von dir wiederfähret? Chrysostomus sagt in der Erklärung des Evangelii Matthäi: Nicht das Gold, sondern der Mensch ist nach dem Bilde GOtte gemacht. Kayserliche Müntzen sind von Gold und Silber, aber die Müntze darauf der Allerhöchste sein Bild geprägt, ist der Mensch. Den Juden war es darum scchon im ältesten Gesetze gebothen, alle Bilder und Gestalten der Menschen, Thiere und anderer Dinge abzuschaffen, und nur bloß den wahren GOtt zu ehren; daher auch Samuel zu dem gantzen Hause Israel sagen musste: So ihr euch mit gantzem Hertzen bekehret zu dem HErrn, so thut von euch die fremden Götter, und Astaroth, und richtet euer Hertz zu dem HErrn, und dienet ihm allein, so wird er euch erretten aus der Philister Hand. Wie vielmehr sollte nun nicht ein Christ sein Hertz von allen solchen Dingen loßreissen, und es bloß dahin erheben, da Christus ist, sitzend zur Rechten seines Vaters?

Erklärung des dritten Gebots. Du solt den Namen des HErrn, deines GOttes, nicht mißbrauchen, u.s.w.

In diesem Gebote wird alles falsche, lügenhafte und unnütze Schweren verbothen, wie wir solches auch im dritten Buch Mose im 19. Capitel finden; und beym Syrach heißt es davon also: Wer oft schweret, der sündiget oft, und die Plage wird von seinem Hause nicht bleiben. Der Eid beruft sich auf die Allwissenheit GOttes, und ist ein Ende des Haders, folglich eine Art des Gottesdienstes so GOtt allein gebühret. Wer demnach bey den Elementen und andern Dingen schweret, der sündigt wider GOtt, daher der Heiland selber es verbiethet, und sagt: Ich sage euch, daß ihr aller Dinge nicht schweren sollt, weder bey dem Himmel, noch bey der Erden, noch bey Jerusalem, auch sollst du nicht bey deinem Haupte schweren, sondern eure Rede sey ja, ja, nein, nein; was düber ist, das ist vom Uebel; und Jacobus, vor allen Dingen, meine Brüder, schweret nicht, weder bey dem Himmel, noch bey der Erden, noch mit keinem andern Eide: Es sey aber euer Wort ja, das ja ist, und nein, das nein ist, auf daß ihr nicht in Heucheley fallet.

Erklärung des vierten Gebots. Gedencke des Sabbath-Tages, daß du ihn heiligest, u.s.w.

Man heiliget den Sabbath-Tag der Christen, oder den Sonntag, und feyert ihn, wenn man auf vier Stücke Achtung giebt. Einmal, daß man an demselben von allerley Arbeit gäntzlich ruhet: sodann, daß man an diesem Tage gar keine Sünde thut; drittens, daß man fleißig ist in guten Wercken; und endlich, daß man etwas thut, so einem geistlichen Vortheil und der Seelen Nutzen bringt.

Von der ersten Art dieser Feyer heißt es: Sechs Tage sollst du arbeiten, und alle deine Ding beschicken: aber am siebenden Tage ist der Sabbath des HErrn, deines GOttes; da sollst du kein Werck thun; und an einem andern Orte: Haltet meinen Sabbath, denn er soll euch heilig seyn: wer ihn entheiliget, der soll des Todes sterben: Und daß diese Drohung auch wircklich in ihre Erfüllung gegangen, lesen wir im vierten Buch Mosis, wann es daselbst im 15. Capitel also heißt: Als nun die Kinder Israel in der Wüsten waren, funden sie einen Mann Holtz lesen am Sabbath-Tag: und die ihn drob funden hatten, da er Holtz laß, brachten ihn zu Mose und Aaron, und vor die gantze Gemeine: und sie legten ihn gefangen, denn es war nicht klar ausgedruckt, was man ihm thun sollte. Der HErr aber sprach zu Mose: Der Mann soll des Todes sterben, die gantze Gemeine soll ihn steinigen ausser dem Lager. Da führete die gantze Gemeine ihn hinaus vor das Lager, und steinigten ihn, daß er starb. Ja dies göttliche Gebot ging so weit, daß das Volck Israel auch nicht einmal das Manna sammlen durfte, das GOtt an diesem Tage unter sie vom Himmel regnen ließ.

Auf die andere Art der rechten Sabbaths-Feyer, da man sich nemlich gar besonders an diesem Tage vor allem sündigen hütet, gehen hauptsächlich die Worte: Gedencke des Sabbath-Tages, daß du ihn heiligest; das heißt, gedencke stets daran, daß dies des HErrn Tag sey, und stehe wohl auf deiner Huth, daß du an demselben nicht sündigest. Daher sagt Augustinus: es wäre viel verantwortlicher an einem solchen Tage ackern und pflügen, als sich voll saufen, oder andere wissentliche Sünden zu begehen, sintemalen eine jedwede Sünde eine Arbeit ist, die man als ein Sclave des Satans demselben leistet, und an einem andern Orte: Es sey besser mit Nutzen arbeiten, als liederlich mit müßig gehen die Zeit verderben, So ist auch der Sabbath gar nicht zu dem Ende eingesetzt, daß man an demselben auch nichts äusserliches gutes thun, und sich lieber der Sünde ergeben solle: sondern er ist dazu geordnet, daß man sich daran mit geistlicher Arbeit, als welche die leibliche bey weitem übertrifft, beschäftigen, und sich von den Sünden, so man die übrigen sechs Tage begangen hat, bekehren, und sie GOTT abbitten soll. Müßiggang ist ohne dem aller Laser Anfang, und ein gesitteter Heid sagt: Die Ruhe ist das Grab der Lebendigen.

Die vierte Art der rechten Sabbaths-Feyer besteht darinnen, wenn man an diesem Tage etwas vornimmt, so der Seelen nützlich ist. Dergleichen ist, fleißig an GOtt gedencken, andächtig beten, das Wort GOttes aufmerksam hören, GOtt für seine Wohlthaten dancken, die Unwissenden unterrichten, die Irrenden zu rechte führen, und sich überhaupt dafür hüten, daß man in keine Sünde willige, damit das Wort des Propheten erfüllet werde: Lasset ab vom Bösen, lernet Gutes thun. Wann die leibliche Ruhe nicht mit geistlicher Arbeit verbunden ist, wird sie zur Sünde.

Erklärung des fünften Gebots. Du solt deinen Vater und deine Mutter ehren, u.s.w.

In diesen und folgenden Geboten wird gezeigt, wie wir uns gegen den Nächsten verhalten sollen.

Man muß die Worte: Du solt deinen Vater und deine Mutter ehren, nicht blos von der äusserlichen Verehrung, sondern auch von dem Unterhalt und alle dem verstehen, was ihnen nöthig und nützlich seyn kann. Folglich sollen wir nach diesem Gebote denen Eltern alle Arten der Ehrerbietung erweisen, die nur zu erdencken sind. Denn wir haben dreyerley so ausnehmende Gaben von ihnen empfangen, daß wir sie ihnen nimmermehr wieder vergelten können: dergleichen sind das Leben, die Nahrung und der Unterricht. Daher sagt Sirach im 4ten Capitel: Ehre deinen Vater von gantzem Hertzen, und vergiß nicht, wie sauer du deiner Mutter worden bist, und dencke, daß du von ihnen geboren bist, und was kannst du ihnen dafür thun, das sie an dir gethan haben? In Ansehung der Geburt und des natürlichen Lebens, so wir unsern Eltern zu dancken haben, sollen wir sie mit aller Demuth und Niedrigkeit auf dreyerley Weise ehren. Erstlich mit allen Kräften unsers Leibes, so, daß wir sie tragen, heben, und ihnen in allen Dingen Handreichung thun. Hierzu vermahnet Sirach Cap. 3. wenn er sagt: Wer den HErrn fürchtet, der ehret auch den Vater, und dienet seinen Eltern, und hält sie für seine Herren. So sollen wir sie auch nach allem Vermögen dergestalt ehren, daß wir uns niemahls mit ungestümen Worten gegen sie auflehnen, sondern ihnen ehrerbietig antworten, und auch so gar ihre Bestrafung gerne und willig ertragen: Denn so heißt es Sprüchw. 1. Mein Kind, gehorche der Zucht deines Vaters, und verlaß nicht das Gebot deiner Mutter: wer seinem Vater und seiner Mutter fluchet, des Leuchte wird verlöschen mitten im Finsterniß. Und endlich müssen wir sie auch damit ehren, daß wir ihnen dasjenige willig darreichen, was sie zu ihrer Verpflegung nöthig haben. Die Eltern haben uns ja ihr eigenes Wesen mitgetheilt, und uns von ihrem eigenen Leibe selbst genährt: da wir nun nicht im Stande sind, ihnen eben dergleichen Wohlthat wieder zu vergelten, so ist es ja wohl billig, daß wir ihnen auf andere Weise so viel Gutes dafür erzeigen, als nur immermehr uns möglich ist.

In Ansehung des Unterrichts, so wir von unsern Eltern empfangen haben, sind wir ihnen in allen billigen Dingen allen Gehorsam schuldig, nach der Vermahnung Pauli Ephes. 6: Ihr Kinder, seyd gehorsam euren Eltern in dem HErrn, denn das ist billig. In solchem Gehorsam ist uns JEsus mit seinem eigenen Exempel selbst vorangegangen, von dem es heißt: Er gieng mit seinen Eltern hinab, und war ihnen unterthan. Luc. 2. Bey alle dem aber, so ehre zuerst deinen Vater im Himmel, der dich erschaffen, und alsdenn deinen Vater auf Erden, der dich gezeuget, und deine Mutter, die dich unter ihrem Hertzen getragen und auf diese Welt geboren hat, auf daß du lange lebest auf Erden, und nachdem du im Guten beharret bis ans Ende, Theil bekommest an dem ewigen Erbe.

Erklärung des sechsten Gebots. Du solt nicht tödten.

Zwar wird in diesem Gebot das Todtschlagen insonderheit, zugleich aber auch überhaupt alle Beleidigung und Schaden des Nächsten, verboten, sie bestehe nun worinnen sie wolle. Dahin gehören so wohl alle Verläumdungen, Schimpf- und Schmäh-Worte, als auch alle handgreifliche Beleidigungen mit Schlägen und dergleichen. Von der ersten Gattung solcher Beleidigung, so hier unter dem Worte tödten begriffen ist, redet der Heiland, wenn er beym Matthäo am 5ten sagt: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichtes schuldig. Desgleichen Jacobus Cap. 1. des Menschen Zorn thut nicht, was vor GOtt recht ist. Und Paulus zun Ephesern am 4ten: Lasset die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Wer mit seinem Bruder, ohne Ursache zürnet, der ist des Gerichts schuldig: denn ein gerechter Eifer wird keinesweges hier verboten. Es würde der Lehre der Wahrheit gewiß wenig Vortheil bringen, wenn man nicht um des Glaubens willen eifern dürfte: und wie würde es um die Handhabung der Gerechtigkeit und die Bestrafung des Bösen aussehen, wenn man allen Zorn aus der Welt verbannen wollte? Ein gerechter Zorn ist vielmehr eine Mutter der Zucht, und diejenigen versündigen sich, die da schweigen, wenn sie mit Eifer reden sollten. Eine unzeitige Geduld ist der Saame, daraus viel Böses erwächst, sie nähret die ungebundene Freyheit, und macht, daß sowohl die Guten als Bösen ihrer Pflicht vergessen. Wird das Böse zu rechter Zeit bestraft, so wird es zugleich dadurch ausgerottet: folglich ist der Zorn zu rechter Zeit nöthig und nützlich: nemlich, wann es ihm um die Liebe zur Gerechtigkeit, oder um den Haß wider die Sünden zu thun ist. In einem solchen Eifer und Zorn treffen wir den Heiland selber mehr als einmal, wider die Pharisäer an. Die andere Art des Zorns, so bloß eine Rachgier zum Grunde hat, ist böse, und wird alhier verboten. Denn es heißt von derselben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der HErr.

Erklärung des siebenden Gebots. Du solt nicht ehebrechen.

In diesem Gebote wird alle unordentliche böse Lust, samt aller fleischlichen Unreinigkeit verboten. Hiervon heißt es beym Matthäo am 5. Wer ein Weib ansiehet, ihr zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Hertzen; desgleichen Epheser am 5. Das sollt ihr wissen, daß kein Hurer, oder Unreiner, oder Geitziger, Erbe hat an dem Reiche Christi und GOttes; desgleichen 1. Corinther am 6. Lasset euch nicht verführen; weder die Hurer, noch die Weichline, noch die Knabenschänder, noch die Diebe, noch die Geitzigen, werden das Reich GOttes ererben: und Cap. 5. so jemand ist, der sich läßt einen Bruder nennen, und ist ein Hurer, mit demselben sollet ihr auch nicht essen. Dieses ist die Befleckung des Leibes: es giebt aber auch eine Befleckung des Geistes, und bestehet darinnen, wann der Mensch sich von seinem GOtt trennet.

Erklärung des achten Gebots. Du solt nicht stehlen.

Hier verbietet GOtt nicht nur allen groben Diebstahl, sondern überhaupt alle verbotene Mittel, des Nächsten Haabe und Gut an sich zu bringen, es geschehe nun solches entweder durch Betrug, oder Geitz, oder Unrecht, oder auch nur durch böse Begierde. So sind demnach nicht nur diejenigen die Diebe, die einem mit Gewalt das Seinige nehmen, sondern auch alle die, so dazu Anlaß geben, oder wohl gar Vorschub thun: Item alle Heler, ferner diejenigen, welche wissentlich gestohlne Sachen kauffen, um sich daran zu bereichern. Alle diese gehören unter den Namen der Diebe: Einer ist nicht besser als der andere, und alle haben einerley Strafe zu erwarten. Aber noch mehr; wer etwas findet, weiß wer es verlohren hat, und giebt es dem nicht wieder, der ist ein Dieb. Die Obrigkeit begehet einen Diebstahl, wann sie die Unterthanen mit unbilligen Steuren und Gaben belegt, dieselben mit allerley listigen Erfindungen beschweret, wann sie um Nachlaß bitten; sie noch dazu ins Gefängniß wirft, auch wohl gar darinnen umkommen läßt, und also das Ihrige mit Unrecht an sich bringet, dergleichen der Prophet Esaias meynet, wenn er sie also beschreibt: Deine Fürsten sind Abtrünnige und Diebes-Gesellen, sie nehmen alle gerne Geschencke, und trachten nach Gaben. Diebe sind ferner die, so den Arbeitern den Lohn vorbehalten: Höret was GOtt saget im 3. B. Mose am 19. Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bey dir bleiben bis an den Morgen; und Jacobus im 5. Capitel: Ihr habet euch Schätze gesammlet an den letzten Tagen: siehe, der Arbeiter Lohn, die euer Land eingeerndtet haben, und von euch abgebrochen ist, das schreyet; und das Rufen der Erndter ist kommen vor die Ohren des HErrn Zebaoth.

Diebe sind alle diejenigen, so dem gemeinen Wesen schädlich sind: dergleichen sind falsche Müntzer, auch die, so mit falscher Elle, Maaß und Gewichte umgehen, und überhaupt alle diejenigen, so zum Nachtheil des andern ihre Waaren verfälschen. Diese und alle ihres gleichen verdienen nichts bessers, als nach dem Gesetze im Oele gesotten zu werden.

Unter die Zahl der Diebe gehören auch alle die, so vortheilhaftig und betrüglich arbeiten, die ihren Nächsten im Handel und Wandel betrügen und böses für gutes verkauffen: ferner alle Spieler, so andere zum spielen locken, und aus böser Begierde und Geitz, so die Wurtzel alles Uebels ist, des andern Geld an sich zu bringen suchen: des Raubes, der Lügen, eitlen und unnützen Worte, Schwüre und Gotteslästerungen, der bösen Exempel, und des kostbaren Zeitverlusts, so mit dergleichen Spielen verbunden ist, zu geschweigen. Man sehe das Spiel an wie man wolle, so bleibt es ein ungerechtes Mittel des Nächsten Geld und Gut an sich zu bringen.

Erklärung des neunten Gebots. Du solt nicht falsch Zeugniß reden wider deinen Nächsten.

Nicht nur wird in diesem Gebote das Lügen, sondern auch alles verstellte Wesen zum Schade und Nachtheil des Nächsten, es bestehe nun in Worten, oder in Wercken, verboten. Denn wer die Lügen lieb hat, der ist vom Teufel, und dahin gehören auch alle diejenigen, die durch Afterreden ihrem Nächsten die Ehre abschneiden, oder die zum Behuf der Boßheit falsch Zeugniß reden wider die Frommen. Augustinus sagt: Ein falscher Zeuge versündigt sich an dreyen: einmal, wider GOtt, dessen Allgegenwart der verspottet: zweytens, wider den Richter, den er durch Lügen hinter das Licht führet: und drittens, wider seinen Nächsten, dessen Unschuld er durch sein falsches Zeugniß unterdrücket. Es handeln aber und sündigen auch die Verläumder wider dies Gebot. Diese sind einem offenen Grabe gleich, nach dem Zeugniß Davids im 5. Psalm: Ihr Rachen ist ein offenes Grab. Kein offenes Grab kann nemlich ein so stinckender Geruch vor GOtt, als das Maul eines Verläumders seyn. Darum sagt der heilige Ambrosius: Es könne ein Dieb viel eher noch in der menschlichen Gesellschaft gelitten werden, als ein Verläumder; denn jener raube dem Menschen nur sein zeitliches Gut, dieser aber schneide ihm seinen ehrlichen Namen ab. Ein solcher Mensch ist billig ein Gräuel, beydes vor GOTT und den Menschen. Die Läster-Zunge zermalmet die Gebeine.

Erklärung des zehnten Gebots. Laß dich nicht gelüsten u.s.w.

In diesem Gebote wird alles verboten was Begierde heißt, und ein Verlangen nach des Nächsten Haus, Weib, Knecht, Magd, Vieh, oder alles was er hat, in sich schleußt. Es beziehet sich demnach dasselbe, theils auf die Augen- theils auf die Fleisches-Lust. Diese ist dem Wasser gleich, welches beständig läuft und niemals müde wird; jene hingegen der Erde, wegen ihrer Neigungen die stets mit der Erde verbunden sind. Wie nun der leibliche Koth aus Erde und Wasser besteht, also auch der geistliche Unflath der Seele, der den Menschen in den Augen GOttes verhaßt und stinckend macht. Dazu kommt denn noch zuletzt das hoffärtige Leben, welches einem gewaltigen Winde gleich, in die mit Lüsten angefüllte Seele bläßt, dieselbe auch nicht nur anzündet, sondern nach und nach zu Asche verbrennt, und endlich als Staub davon jagt.

Beschluß der Erklärung der zehn Gebote.

Dieses sind also die zehn Gebote GOttes im Gesetze, davon die ersten die Pflichten gegen GOtt, die andern aber die Pflichten gegen den Nächsten in sich halten. Auf die Erfüllung dieser Gebote kommt die Seligkeit an. Wer sie hält, hat sich alles des Segens zu getrösten, den GOtt in diesen Geboten verheissen hat: da hingegen diejenigen, so dieselben übertreten, auch alle die Flüche, so darinnen enthalten sind, gewiß und wahrhaftig treffen werden. 5. B. Mose 28. Wenn wir unsere Sünden wahrhaftig erkennen, so werden wir auch gewahr werden, daß wir entfremdet sind von dem Leben das aus GOtt ist. Das Heil und alle Seligkeit ist weit von dem Sünder entfernet, die Erkenntniß der Sünde aber führet zur Busse: denn niemand ist sein selbst recht kundig. So bestehet demnach die erste Gnade des Heils in der Erkenntniß der Sünde. Haben wir es dazu gebracht, so laßt uns alsdenn hinzu treten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, und daselbst von Hertzen alle unsere Sünde bekennen: denn GOTT ist treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergibt, und reiniget uns von aller Untugend, und hilft uns aus zu seinem ewigen Reiche. Amen!

Quelle: Leger, Johann - Johann Legers allgemeine Geschichte der Waldenser

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