Unbekannt - Wie ist die Inspiration der Schrift aufzufassen?

Unbekannt - Wie ist die Inspiration der Schrift aufzufassen?

Es ist nicht gleichgültig, ob die Bibel von Gott herrührt oder nicht; den Tausende haben ihren Glauben, ihr Leben und ihre Hoffnung darauf gebaut. War es wirklich ein untrügliches Gotteswort, worauf sie bauten, oder nur das Machwerk von Menschen? In unseren Tagen, wo an Allem gerüttelt wird, ist es besonders notwendig, daß wir uns des göttlichen Ursprungs der Schrift bewußt bleiben. Ist die Bibel ein Buch wie jedes andere, dann haben wir keinen untrüglichen Prüfstein der Wahrheit, keine autoritative Regel für unseren Glauben, keinen Grund für eine feste und gewisse Hoffnung. Es könnten die biblischen Schriften vollkommen echt und geschichtlich wahr sein, aber geschichtliche Wahrheit ist noch kein Beweis von göttlichem Ursprung, Wir müssen also an der Inspiration der biblischen Schriften festhalten. Die Frage ist nur, wie dieselbe aufzufassen sei. Den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage finden wir 2.Pet. 1,21: „Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist“ (eigentlich: gehoben).

Die Frage ist einfach: In welchem Sinn ist die Bibel Gottes Wort? Sie wird aber oft vermischt mit anderen Fragen, die ihr verwandt sind. Daher kommt dann viel Verwirrung und Meinungsverschiedenheit. So wird oft die Frage nach der Echtheit der Schriften damit verbunden. Ob aber die einzelnen Bücher wirklich von den Schreibern herrühren, deren Namen sie tragen, und ob sie zu der angegebenen Zeit entstanden sind, das ist etwas anderes, als die Frage, ob sie nach Gottes Willen und unter seiner besonderen Leitung verfaßt worden sind. Auch die Frage nach der Unversehrtheit der heiligen Schriften gehört nicht hierher. Die Textkritik hat zu untersuchen, ob wir im Besitz der Urschriften sind, oder welche Veränderungen im Laufe der Zeit vorgekommen sein mögen. Auch die höhere Kritik hat nichts mit unserer Frage zu tun. Sie befaßt sich mit der Schreibart, den Gedankenformen usw., um Zeit, Umstände und Methode des Verfassers zu begreifen, hat aber mit der Inspiration nichts zu tun. Eine andere Frage ist die nach der geschichtlichen Wahrheit. Haben sich die berichteten Tatsachen wirklich so zugetragen? Wurden jene Reden gehalten? Auch Dichtungen können auf Gottes Antrieb hin geschrieben worden sein. Wenn z.B. das Buch Hiob eine Dichtung wäre (was ich nicht gelten lasse), um das Ringen der Menschen nach der Lösung der Rätsel des Lebens darzustellen, so wäre das kein Beweis gegen die Inspiration. Dasselbe gilt vom Buche Jona. Auch die Frage nach dem Kanon hat nichts mit der Inspiration zu tun. Ob dieses oder jenes Buch zum Schriftganzen gehören sollte oder nicht, berührt nicht im mindesten die Frage, ob diejenigen, die dazu gehören, von Gott inspiriert seien.

Die meiste Verwirrung entsteht jedoch, wenn die Frage nach der Offenbarung vermischt wird mit der nach der Inspiration. Offenbarung ist direkte Mitteilung göttlicher Wahrheiten; die Inspiration dagegen hat es mit der Weiterbeförderung ihres Inhaltes und der Darstellung ihrer Geschichte in menschlicher Rede und Schrift zu tun. Viele empfingen am Sinai die Offenbarung von Gott; aber nur Mose wurde beauftragt, die Sache schriftlich aufzuzeichnen. Manches dagegen, das nicht direkte Offenbarung war, z.B. einfache geschichtliche Tatsachen, wurden unter göttlicher Leitung aufgezeichnet. Wir halten nun dafür, daß die heiligen Schreiber alles mit einander nicht bloß mit ihrem Verstande auffaßten und überlieferten, so gut sie konnten, sondern daß in der Überlieferung ein übernatürliches Element waltet, daß sie die Sache so auffaßten und niederschrieben, getrieben von dem Heiligen Geiste, der ihren Geist besonders erleuchtete, ihr Gedächtnis auffrischte, sie vor solchen Irrtümern bewahrte, die eine aufrichtig nach Gott suchende Seele hätten irre leiten können oder im Dunkeln lassen. Die Inspirationslehre behauptet also, daß das, was in den heiligen Schriften geschrieben steht, nach Gottes Willen dasteht.

Die Frage ist nun, wie diese göttliche Leitung aufzufassen sei. Die Antwort muß der Natur der Sache nach meistens negativer Art sein. Wir verstehen nichts von Gottes Wirken. Ist uns doch völlig unbekannt, wie der eigene Geist auf den Körper einwirkt, oder ein Geist auf den anderen. So muß uns auch das Wie? der Inspiration ein Geheimnis bleiben. Die Schrift behauptet einfach die Tatsache, ohne eine Theorie aufzustellen. Aus dem Resultat müssen wir ihren Charakter erforschen, ohne weiter in das Geheimnis eindringen zu können.

Das Resultat aber sagt uns, daß wir nicht eine mechanische Methode der Inspiration annehmen können. Die Heilige Schrift ist nicht ein Diktat. Nach dieser Auffassung wäre die Bibel ausschließlich göttlichen Ursprungs. Nichts menschliches haftete ihr an. Die Gedankenformen wie die Sprache gehören dem Heiligen Geiste an. Der Mensch war nur Schreiber, ihm wurde alles diktiert. In dieses Extrem wurden die Theologen nach der Reformation getrieben durch die Absicht, einer unfehlbaren Kirche eine unfehlbare Bibel entgegenzustellen. Sie fürchteten, daß irgend welches Zugeständnis an menschliche Urheberschaft der göttlichen Autorität der Schrift schaden möchte. Wenn diese Auffassung richtig wäre, müßten wir allenthalben dieselbe Sprache und Individualität und denselben Stil finden. Es wäre schon nicht zu begreifen, wie der Heilige Geist bald hebräisch, dann aramäisch und zuletzt hebräisch gefärbtes Griechisch reden sollte. Nun finden wir aber allenthalben die größte Mannigfaltigkeit und die ausgeprägteste Individualität in Anlage, Gedankenform und Sprache.

Die sogenannte „natürliche“ Inspiration genügt aber auch nicht. Diese ist die Ansicht der Rationalisten. Sie behaupten eine durchgängige Inspiration der Heiligen Schrift, schwächen aber die Sache selbst sehr ab. Es sei nur eine besondere Erhebung des menschlichen Geistes, wie beim Dichter. Plato, Shakespeare und Schiller wären ebenso inspiriert wie Mose und Jesaja. Die Bibel wäre demnach nur ein menschliches Buch. Es enthielte keine Offenbarungen Gottes und wäre auch nicht unter seiner direkten Leitung geschrieben. Hier wird kein Unterschied gemacht zwischen den verschiedenen Wirkungen des Geistes Gottes. Er waltet, nach der Schrift, im Reiche der Natur als der Belebende. Aber sein Wirken zur Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung ist davon gänzlich verschieden. Dann gibt es noch ein drittes Gebiet seines Wirkens, das des Wunders. Er hat gewisse Fromme mit besonderen Kräften ausgerüstet. In dieses letztere Gebiet gehört Offenbarung und Inspiration. Beide sind Wunder des Wissens. Ein übernatürliches Walten des Geistes Gottes müssen wir also bei der Inspiration gelten lassen.

In dem Gesagten ist bereits angedeutet, daß wir unter der Inspiration der biblischen Schreiber auch nicht eine allgemeine Inspiration verstehen können. Für eine solche ist sie von vielen Frommen gehalten worden. Sie ist ihnen ein Werk des heiligenden und leitenden Gottesgeistes; aber nicht spezifisch verschieden von seinem Wirken in jedem Gläubigen. Es ist wahr, der Geist Gottes ist jedem Gläubigen zugesagt. Aber diese Gabe hängt von Bedingungen ab, die man erfüllen oder nicht erfüllen mag; sie kann zunehmen und abnehmen; sie ist eng verbunden mit dem persönlichen Charakter und hat als besonderes Ziel die Seligkeit. Aber gehören alle diese Merkmale zur Inspiration? Die allgemeine christliche Erleuchtung ist es gerade, was Rom veranlaßte, die Stimme der Kirche dem Worte Gottes gleichzustellen. Aber die Inspiration schließt nicht notwendigerweise die Innewohnung des Heiligen Geistes zur Seligkeit in sich. Bileam redete unter Inspiration, ohne jedes Maß des Geistes Gottes. Ebenso weissagte der König Saul; auch Kaiphas, der doch selber gottlos war. Die treuesten Jünger des Herrn sind sich andererseits bewußt, daß sie nicht inspiriert sind, wie die Propheten und Apostel. Sie würden ihre eigenen Worte denen jener nicht gleichstellen. So sehr wir uns auch der Leitung des Herrn bewußt sein mögen, haben wir doch das Bewußtsein, daß die Inspiration der Apostel etwas Höheres war. Auch dürfen wir nicht eine bloß teilweise Inspiration annehmen. Nach dieser Anschauung wären nur gewisse Teile inspiriert, z.B. die Lehren und Vorschriften, oder solche Dinge, die der natürliche Verstand nicht finden kann; während die Schreiber in anderen Dingen sich selbst überlassen blieben. Der Gedankengang soll inspiriert sein, aber nicht die Worts usw.. Demnach wäre die Bibel nicht Gottes Wort, sondern enthielte es nur. Da wäre dann die frage, wie das Wort Gottes herauszufinden sein: Durch das christliche Bewußtsein des Einzelnen? Durch die Überlieferung? Oder durch das Urteil der Gemeinde? Wo bliebe dann der sichere Maßstab? Wo das hinausführt, das kann uns eine gewisse Richtung in der Theologie zeigen. Es müßte eben jeder seine eigene Wahl treffen.

Andere halten dafür, daß die Bibel ganz inspiriert sei, aber nicht gleichmäßig; manches mehr, anderes weniger. Auf diese Weise sucht man vorgebliche Irrtümer zu erklären. Bei dieser Ansicht liegt der Fehler zu Grunde, daß man nicht unterscheidet zwischen Inspiration und Offenbarung. Die einzelnen Teile sind einander nicht gleich in Bezug auf ihren Inhalt. Manche enthalten mehr direkte Offenbarung, andere weniger. Da sind Geschlechtsregister, Geschichte, menschliche Gefühle, die keiner Offenbarung bedurften. Aber wir können nicht gelten lassen, daß solche teile nicht auch nach demselben Gotteswillen und unter derselben Leitung des Heiligen Geistes auf uns gekommen sind. Jeder einzelne Bestandteil ist uns entweder ganz nach Gottes Willen und unter seiner Leitung überliefert worden oder gar nicht. Ein Mehr oder Weniger gibt es da nicht; denn „die Schrift kann nicht gebrochen werden.“

Wir können jedoch auch keine Inspiration gelten lassen, die den Schreibern ein vollkommenes Wissen oder Fehlerlosigkeit im Wandel zuspricht. Sie waren nicht allwissend; auch nicht zu allen Zeiten oder in Bezug auf alle Gegenstände inspiriert; sondern nur in Bezug auf die Wahrheiten, die sie mitteilen sollten. Oft kannten sie selbst den Sinn dessen, was sie mitteilten, nicht, und suchten seine Bedeutung zu erforschen. Mose hatte seine Fehler; so David und Petrus. Das hinderte aber nicht ihre Inspiration.

Wie sollen wir denn nun die Inspiration verstehen? Die Heilige Schrift ist wahrhaftig von Gott. Es ist alles unter der Leitung des Heiligen Geistes geschrieben, der auf eine uns unerklärliche Weise sich die Werkzeuge auserwählte, sie antrieb zu ihrer besonderen Arbeit, ihnen - wir wissen nicht wie - den Stoff zuwies, sie vor allen Irrtümern bewahrte, die einer suchenden Seele schaden könnten; und zwar so, daß sie nichts schrieben, was er nicht gewollt, noch etwas, das er wollte, ausließen. Wenn nun in nebensächlichen Dingen wirklich wissenschaftliche oder theoretische Irrtümer vorhanden wären - was zu beweisen ist - dann müssen wir es gelten lassen, daß auch solche Bestandteile unter göttlicher Zulassung dastehen, und wäre es nur, um dem Unglauben ein Stein des Anstoßes zu werden.

In demselben Maße ist die Schrift aber auch das Werk von Menschen. Sie trägt alle Kennzeichen menschlichen Ursprungs an sich; so daß jeder sie für das Werk von Menschen halten muß. Diese doppelte Autorschaft erstreckt sich auf jeden einzelnen Bestandteil. Wenn wir uns das Zusammenwirken der beiden Faktoren nicht erklären können, so ist darauf hinzuweisen, daß irgend eine Handlung das Produkt von Geist und Körper ist, und als solches unerklärlich dasteht. Besonders aber erscheint der gottmenschliche Charakter Jesu Christi als das geheimnisvollste Urbild des gottmenschlichen Charakters der Heiligen Schrift vor uns.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1908

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