Thomas von Kempen - Buch 1 - Kapitel 5
Vom Lesen der heiligen Schrift.
1. Wahrheit ist in der heiligen Schrift zu suchen, nicht Beredtsamkeit.
Die ganze heilige Schrift muß in demselben Geiste gelesen werden, in welchem sie verfaßt ist.
Wir müssen in der heiligen Schrift mehr den Nutzen, als die Feinheit der Rede suchen.
Wir sollen eben so gern die andächtigen und einfachen Bücher lesen, als die hohen und tiefsinnigen.
Nimm keinen Anstoß an dem Ansehen des Schriftstellers, ob er von geringer oder großer Gelehrsamkeit war, sondern die Liebe der reinen Wahrheit treibe dich zum Besten an.
Frage nicht, wer das gesagt habe, sondern merke auf, was gesagt wird..
2. Die Menschen vergehen, aber die Wahrheit des Herrn bleibet in Ewigkeit.
Ohne Ansehen der Person redet Gott auf mancherlei Weise zu uns.
Unser Vorwitz hindert uns oft beim Lesen der Schrift, indem wir verstehen und ergrübeln wollen, woran wir einfach vorüber gehen sollten.
Willst du Nutzen haben, so lies demüthig, einfältig und gläubig und begehre nie den Ruhm des Wissens.
Frage gern und höre schweigend die Worte der Heiligen, und laß dir nicht mißfallen die Gleichnisse der Alten, denn sie werden nicht ohne Absicht vorgetragen.