Tholuck, August - Apostelgeschichte 4,20 "Ein Christenherz, das seinen Heiland aus Erfahrung kennt, kann nicht lassen von ihm zu zeugen, so lange nur noch eine Seele auf Erden ist, die von ihm nicht weiß."

Tholuck, August - Apostelgeschichte 4,20 "Ein Christenherz, das seinen Heiland aus Erfahrung kennt, kann nicht lassen von ihm zu zeugen, so lange nur noch eine Seele auf Erden ist, die von ihm nicht weiß."

(Predigt an der vierten Jahresfeier der Missionsgesellschaft in Weißenfels am zweiten Mai 1838.)

Es sollte mich nicht wundern, meine Andächtigen, wenn manche unter uns wären, denen von vorn herein auch jetzt noch das ganze Unternehmen, welches die Missionsgesellschaften verfolgen, als ein seltsames und willkührliches vorkommt. Daß von hier, von Orten aus, welche Tausende von Meilen von den Heiden getrennt sind, Prediger an die Heiden gehen sollen; daß hier, wo es uns kaum einfällt, daß noch Heiden in der Welt sind, und wo hundertfache nahe Bedürfnisse unsre Geldopfer in Anspruch nehmen, Geldopfer gebracht werden sollen, um den Heiden Prediger zu verschaffen - hier, wo vielleicht nicht eine geringe Anzahl zurücktreten würde, wenn sie auch nur an ihrem eignen Orte Prediger und Kirchen auf ihre eignen Kosten unterhalten sollten: das Alles hat etwas Befremdendes, und so hat sich wohl mancher von dem ganzen Unternehmen, den Heiden das Evangelium zu bringen, als von einem wunderlichen Einfalle abgewandt. - Missionen, meine Freunde, sind nichts anders, als Zeugnisse von Christo an die, welche noch nie von ihm gehört haben. Um sie zu unternehmen, dazu gehört Zeugen trieb. Welch' ein Unterschied nun in Bezug auf diesen Zeugentrieb zwischen uns, die wir uns über die Missionen wundern, und zwischen jenen ersten Jüngern statt findet, die sie gegründet haben - das werdet inne, indem wir uns im Geist hineinversetzen in den Gerichtssaal des hohen Raths zu Jerusalem, wo eben der Hohepriester mit ernstlichem Bedräuen den Aposteln untersagt hat, daß sie „hinfort keinem Menschen von diesem Namen sagen sollten“, und wo aus der bewegten Brust eines Johannes und Petrus das Wort dringt (Apostelgesch. 4, 20.): „Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehöret haben!

Sie können es nicht lassen von Christo zu zeugen aller Welt, und wir - können das nicht begreifen; sie können es nicht lassen, auch da, wo das Leben zu opfern ist, - wir können es nicht begreifen, auch wenn nur ein Geldopfer zu bringen ist, damit Andere predigen. Aber freilich, die Apostel sagen auch dazu: was wir gesehen und gehöret haben. Sie haben also Erfahrungen von Christo gemacht, sie haben etwas erlebt in der Gemeinschaft mit Christo, und eben dieses ist die Grundlage des Zeugentriebes überhaupt und des Missionstriebes insbesondere. Auf jenes Wort des Apostels gestützt, erklären wir euch denn den Grund, in dem alle Missionen wurzeln, indem wir aussprechen: Ein Christenherz, das seinen Heiland aus Erfahrung kennt, kann nicht lassen von ihm zu zeugen, so lange nur noch eine Seele auf Erden ist, die von ihm nicht weiß. Die Wahrheit hievon will ich nach der Kraft, die Gott giebt, euch zu zeigen versuchen, einmal aus der Beschaffenheit des christlichen Glaubens, sodann aus der Geschichte der christlichen Kirche.

Ein Christenherz, das seinen Heiland aus Erfahrung kennt, kann von ihm zu zeugen nicht lassen, so lange noch eine Seele auf Erden ist, die von ihm nicht weiß. Dies ergiebt sich aus der Beschaffenheit des christlichen Glaubens, aus dem Außerordentlichen und aus dem Beseligenden, was darin liegt. Es ergiebt sich aus dem Außerordentlichen des Gegenstandes des christlichen Glaubens. Unauflöslich, meine Freunde, ist mit der menschlichen Natur das Bedürfniß nach Mittheilung verbunden, denn von Natur ist der Mensch zur Geselligkeit, zur Gemeinschaft geschaffen, und die Gemeinschaft ist auf Mittheilung begründet, auf wechselseitiges Geben und Nehmen in Wort und That. So kann der unverkünstelte Mensch auch nicht leicht seine Erfahrungen für sich behalten, und je größer das ist, was er erfährt, desto unwiderstehlicher ist der Drang nach Mittheilung, desto süßer ist sie. Auch von dem Inhalte aller Mittheilung abgesehen, hat das Mittheilen selbst etwas Süßes für den Menschen, ja, und wäre es sogar, daß man die Botschaft eines großen unerwarteten Unglücksfalles überbringen müßte. Die nächsten Jünger nun des Herrn, die sein Leben beschaut hatten, hatten das Ungeheuerste erfahren, was der Mensch überhaupt erfahren kann. In einem Wechselgesange der alten christlichen Kirche sangen die Christen es sich zu, wie Paulus es uns aufbewahrt hat (1 Tim. 3, 16.): „Gott ist geoffenbaret im Fleisch - gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln - gepredigt den Heiden; geglaubet in der Welt - aufgenommen zur Seligkeit!“ Schon war Johannes wohl achtzig Jahr alt, als er sein Evangelium schrieb, und in jugendlicher Frische der Begeisterung bezeugte er: „Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit;“ und in noch höherem Alter schreibt er in seiner ersten Epistel mit dem vollen Eindrucke des Augenzeugen: „Das da von Anfang war, das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschauet haben und unsre Hände betastet haben vom Worte des Lebens.“ Der Mensch, mit dem Johannes an ein und demselben Tische gesessen, an dessen Brust er sein Haupt gelegt in den Tagen seiner Jugend, der Mensch war die Erscheinung Gottes in der Menschheit gewesen; dieser, sein Freund, war jetzt der Weltregent, in der Einheit mit dem Vater. Läßt eine außerordentlichere Erfahrung sich denken, als diese? Könnt ihr euch denken, daß, wer das glaubt, wahrhaftig glaubt, wie es Johannes geglaubt hat, daß der sich hätte in irgend eine Einsamkeit zurückziehen können? Oder findet ihr es nicht ganz begreiflich, wenn ein Mensch, der das erfahren hatte, hinausging, und es nicht eher lassen konnte, als bis, so weit seine Stimme reichte, alle Menschen auf dem ganzen Erdenrund dieses außerordentlichste aller Ereignisse erfahren hätten? Ist schon die Mittheilung jedes andern außerordentlichen Erlebnisses eine Freude, eine Süßigkeit, welche Süßigkeit muß in dieser liegen! Findet ihr es nicht begreiflich, wenn die, welche das glauben, rufen: „Wir können es ja nicht lassen zu zeugen von dem, was wir gesehen und gehöret haben!“ Und warum zeuget ihr nicht alle so? Freilich könnt ihr sagen: ach, es ist uns ja nicht so gut geworden, mit ihm zu Tische zu liegen wie Johannes, und an seine Brust unser Haupt zu legen, mit unserm leiblichen Auge den zu schauen, der gesagt hat: „Wer mich stehet, der flehet den Vater!“ Aber christliche Gemeinde - was ist Glaube? Glaube ist, „daß man nicht zweifelt an dem, was man nicht sieht“, „eine gewisse Zuversicht“ zu dem, das man nicht sieht (Hebr. 11, 1.); habt ihr nun Glauben, so habt ihr die gewisse Zuversicht, wie sie. Ja noch mehr - auch ihr sehet. Denn auch der Glaube ist ein Sehen, er ist ein inneres Auge. Was sagt der Brief an die Hebräer von Mose (11, 27.)? „Er hielt sich an den Unsichtbaren, als sähe er ihn!“ Durch den Glauben sieht man also noch heut die Gnadenwunder der evangelischen Geschichte, wie damals mit dem äußern Auge, ja mit dem äußern Auge haben sie auch damals dieselben nicht gesehn, denn warum hat das Auge so Vieler in dem Gottessohn nur das ohnmächtige Menschenkind, und in dem gekreuzigten Erlöser nur den Verbrecher gesehn? So singt denn also auch heut noch das Christenherz:

Ja, du mein Heiland, mein Befreier,
Du Menschensohn, voll Lieb' und Macht,
Du hast ein allbelebend Feuer
In meinem Innern angefacht!
Durch dich seh' Ich den Himmel offen,
Als meiner Seele Vaterland,
Ich kann nun glauben, freudig hoffen,
Und fühle mich mit Gott verwandt.

Christen, die ihr dieses Glaubensauge habt, ihr könnt ja also auch sagen: wir haben gesehen und gehöret! Warum hört man nun nicht auch euch rufen: Wir können es also nicht lassen zu zeugen!

So unwiderstehlich würde der Zeugentrieb in unserer Brust erwachen, wenn es auch nur eine außerordentliche Botschaft wäre, die wir an die Menschen haben. Aber diese außerordentliche Botschaft ist zugleich mehr als jede andere, eine beseligende. „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, ruft Johannes, daß er die Welt richte, sondern daß er sie selig mache!“ In diesem einfachen Worte liegt Alles. Die Menschheit mußte erwarten, gerichtet zu werden, und - sie wurde beseliget! Stellt euch die Welt vor, ehe noch der Erlöser in dieselbe eingetreten war; zwei Jahrtausende waren die Menschen auf ihren eigenen Wegen gegangen, und auch Israel hatte der Masse nach sich von dem Wege Gottes abgewendet, und war auf eignem Wege gegangen. Dem Gott, welcher gesagt hat: ich will meine Ehre keinem andern geben! dem hatten sie seine Ehre genommen, und hatten sie dem Menschen, dem Gewürme der Erde und dem todten Steine gegeben; vor dem Geschöpf hatten sie ihr Knie gebeugt, und waren undankbar vorübergegangen vor dem unendlichen Geiste, der das All trägt mit dem Hauche seines Mundes; und die Götzen, die sie anbeteten, deren Ebenbilder waren sie geworden, Ebenbilder der Thiere in ihren Lüsten und des Gesteins in seiner herzlosen Kälte. „Der Herr schaute vom Himmel herab auf der Menschen Kinder, zu sehen, ob jemand klug sei und nach Gott frage; aber sie waren alle abgewichen und allesammt untüchtig, da war keiner, der Gutes thäte, auch nicht Einer!“ Und der unendliche Geist, der das All trägt mit dem Hauche seines Mundes, will Gestalt annehmen und unter sie kommen als ein Mensch von Fleisch und Blut - ein Schrecken geht durch die Herzen der schuldigen Welt; doch - schuldige Welt, vernimm es, er kommt nicht, daß er dich richte, sondern daß er dich selig mache! Wie der Einzelne es erfährt, daß, während er gottverlassen auf seiner Straße hinzuziehen meint, Gott immerfort väterliche Gedanken über ihn hat, die zu seiner Zeit offenbar werden, so wurden zu seiner Zeit offenbar die großen „Friedensgedanken“ Gottes, der von Ewigkeit her gefaßte Rathschluß, daß auch die Heiden „Miterben“ und „ miteinverleibet“ werden sollten (Eph. 3, 6.) in die große Gemeinschaft derer, welche durch Gnade und Vergebung der Sünde neue Menschen werden. Der Sohn Gottes ist erschienen, nicht um Rechenschaft zu fordern von unser'n Werken, sondern, trotz der Ungerechtigkeit unsrer Werke, uns selig zu machen durch Gnade im Glauben; nicht um mit uns zu rechten, daß wir gottlose Kinder waren, ein entartetes Geschlecht, sondern „um uns die Macht zu geben, Kinder Gottes zu werden“ durch eine neue Geburt. Hat schon die Außerordentlichkeit der Botschaft, die wir glauben und die wir erfahren haben, unser Herz aufgethan, daß wir gegen unsere Brüder uns aussprechen mußten, wie wird es erst die Beseligung, die sie mit sich bringt, aufthun! Wer ist unter euch, der eine fröhliche Botschaft hätte an einen Unglücklichen, und es lassen könnte, sie auszusprechen mit lautem Aufthun seines Mundes? Wer hat an einen unverschuldeten Armen die Botschaft, daß er reich werden soll, und kann es lassen, sie ihm zu bringen? Wer hat für den zum Tode Verurtheilten die Botschaft, daß es einen Pardon für ihn giebt, und kann es lassen, sie ihm zu bringen? Solche Botschaft nun an die Menschheit habt ihr, ihr Gläubigen, an jeden Menschen, der noch kein Gläubiger ist. Wißt ihr, was Evangelium auf deutsch heißt?: freudige Botschaft, freudige Botschaft an das Menschengeschlecht! Warum nun könnt ihr es lassen, sie zu überbringen? Ich sagte: ein Christenherz, das seinen Heiland aus Erfahrung kennt, kann nicht lassen von ihm zu zeugen, so lange nur noch Eine Seele auf Erden ist, die von ihm nicht weiß - so lange nur noch eine Seele ist, habe ich gesagt: es sind aber mehr als sieben hundert Millionen, die von ihm nicht wissen, Heiden, Juden, Muhammedaner! Und ihr könnt es lassen, von Ihm zu zeugen?

Ihr Christen, die ihr um den Abendmahlstisch herumsteht und singt:

Meinen Jesum laß' ich nicht,
Meine Seel' ist nun genesen;
Selig ist das heut'ge Licht,
Da ich Jesu Gast gewesen;
D'rum ruft jetzt mein Herz und spricht:
Meinen Jesum laß' ich nicht!

wollt ihr's vergessen, daß unterdessen sechs hundert Millionen eurer heidnischen Mitbrüder vor dem Gewürm und dem Gestein der Erde niederknien und zu ihm sagen: du bist mein Gott! - Ihr Christen, die ihr um das Sterbebett eines Anverwandten steht, und in der Gemeinschaft fröhlicher Hoffnung der Auferstehung mit ihm singt:

Laß mich auch, mein Jesu, nicht,
Wenn es mit mir geht zu Ende,
Wenn mir Sinn und Herze bricht,
Nimm den Geist in deine Hände!
Jesum, meines Lebens Licht,
Laß' ich auch im Tode nicht!

wollt ihr es vergessen, daß unterdessen mancher fromme Cornelius in der Heidenwelt von seinem Sterbelager aus hoffnungslose Blicke in das Grab wirft, aus dem es für ihn keine Auferstehung giebt? Ihr christlichen Hausväter, die ihr über dem täglichen Brote die Hände faltet, und in dem tröstlichen Glauben, daß ihr einen Vater im Himmel habt, sprechet: „Vater unser, der du bist im Himmel!“: wollt ihr es vergessen, daß sechs hundert Millionen Heiden geistige Waisen sind, die keinen Vater im Himmel haben? Nein, ihr könnt, ihr dürft das nicht vergessen!

O, gehet aus auf allen Wegen,
Und ruft die Irrenden herein,
Streckt allen eure Hand entgegen,
Und ladet froh sie zu uns ein!
Der Himmel ist bei uns auf Erden -
Das kündigt ihnen freudig an!
Und wenn sie unsers Glaubens werden,
Ist er auch ihnen aufgethan.

Ein Christenherz, das seinen Heiland erfahren hat, kann nicht lassen von ihm zu zeugen, so lange noch Eine Seele auf Erden ist, die von ihm nicht weiß. Das hab' ich euch gezeigt aus der Beschaffenheit unsres christlichen Glaubens, das wollte ich euch auch zeigen aus der Geschichte unsrer christlichen Kirche. Von der Zeit an, wo die christliche Kirche aus zweien und dreien bestand, ist sie eine Missionsgesellschaft gewesen. Wie lieblich wird die erste Missionsthätigkeit der christlichen Gemeinde, als sie noch aus zweien oder dreien bestand, uns im ersten Kapitel des Johannes geschildert! „Des andern Tages - heißt es - stand übermalen Johannes und zween seiner Jünger, und als er sah Jesum wandeln, sprach er: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ und die Jünger folgen ihm nach und bleiben bei ihm, von ihm gefesselt, den ganzen Tag.“ „Einer aus den zween - heißt es ferner - die von Johanne höreten und Jesu nachfolgten, war Andreas, der Bruder Simon Petri. Derselbe findet am ersten seinen Bruder Simon, und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden!“ Sehet da den ersten Missionar! sehet da, wie das Christenherz, das seinen Heiland gefunden hat, die Freude nicht für sich behalten kann! Und gleich darauf heißt es wieder von Philippus, daß er den Nathanael findet und ihm zuruft: „Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben!“ O, selige Zeit, wo sich das erste kleine Häuflein sammelte, und einer dem andern zurufen konnte: Wir haben gefunden, was Könige und Propheten begehrten zu sehen und haben es nicht gesehen! Es war der engste Kreis der Anverwandten und Freunde, an welche damals ihr Zeugniß erging. Lieben Freunde, sehet ihr hier in dieser lieblichen Geschichte, wie die, welche Christum gefunden haben, sofort auch es nicht lassen können, Andern Zeugniß von ihm abzulegen, und zunächst denen, welchen man das Liebste mittheilt, den Anverwandten und nächsten Freunden; o möchte das einen Jeden in sein eignes Herz führen, um sich zu fragen, wie es bei ihm mit dem Zeugentriebe steht. Daß derselbe so nothwendig, so natürlich da entsteht, wo einem Menschen Christus lieb und theuer ist, das seht ihr hier auf's deutlichste.

Doch sollte das Zeugniß nicht in dem engen Kreise der Verwandten bleiben, bald sollte es über Palästina, bald über die Welt hin erschallen. Es war damals eine Haus Mission, bald sollte es eine Welt Mission werden. „Gehet hin und lehret alle Völker!“: das war das Vermächtniß, das der scheidende Erlöser den Jüngern zurückließ. Schon brannte es in ihrer Brust, und gern wären sie wohl sofort vor allem Volke aufgetreten, schon damals konnten sie das schwer lassen; aber wie die Apostelgeschichte uns berichtet, hatte er ihnen befohlen, „von Jerusalem nicht zu weichen, bis sie die Verheißung vom Vater empfingen,“ die Feuertaufe des Geistes. Vorher nämlich hatte ihr Zeugniß eigentlich nur darin bestanden, daß sie die Leute zum erschienenen Heilande hinwiesen. So heißt es vom Andreas, wie er den Petrus gefunden hat, daß er ihn sogleich zum Herrn hinführt. So ruft Philippus dem Nathanael zu: „Komm und siehe es!“ Jetzt war es anders, jetzt mußten sie selbst Zeugniß davon ablegen, was sie in seiner Gemeinschaft erfahren hatten, sie mußten gleichsam an die Stelle Christi treten; das war nicht möglich ohne die Taufe des Heiligen Geistes. Auf Pfingsten mußten sie warten. O, Christen, - wer unter uns ein Zeuge Christi aus Erfahrung werden will, wird nicht auch für den die Mahnung gelten, daß er nicht ausgehe vor Pfingsten? Und das große Pfingsten kam, und der leiblich von ihnen hinweggenommen war, kam wieder im Geist, und sie wurden getauft mit Feuer, und als jetzt Petrus aufsteht, mit diesem Feuer in seinem Herzen, da schlagen dreitausend Männer aus Israel an ihre Brust und fragen: „Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?“ Und von dem Tage an konnten sie es nicht mehr lassen, durften sie es auch nicht lassen, fröhlich in Jerusalem vom Morgen bis zum Abend zu zeugen von dem, was sie gesehen hatten, „und täglich wurden hinzugethan zu denen, die da selig wurden.“ (Apg. 2, 47.)

Aber in Judäa hält es sie nicht. „Es ist ein Geringes - hat der Geist der Weissagung vom Messias gesprochen - daß du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und das Verwahrloste in Israel wiederzubringen; sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß du seiest mein Heil bis an der Welt Ende!“ Das Wort hat der Geist des Herrn aufgehen lassen im Gemüthe der Apostel, nun konnten sie es nicht lassen, über Palästina's enge Grenzen hinauszugehn, und es fliegt die Botschaft des Evangeliums durch alle Lande. Man macht in unsern Tagen die Einwendung, daß noch in unsern, Lande viel zu bekehren sei; aber war nicht auch in Judäa viel zu bekehren? und doch sind sie hinausgegangen bis an die Enden der Erde! warum? - weil zur Bekehrung des Menschen zweierlei nöthig ist: die kräftige Stimme des Predigers, aber auch das willige Herz der Zuhörer. Die kräftige Stimme des Predigers konnte aller Orten in Palästina vernommen werden, aber das willige Herz der Zuhörer war nicht aller Orten da. Wie es dort vom frommen Heiden Cornelius heißt, daß seine Gebete zu Gott hinaufgestiegen, so waren zu Gott hinaufgestiegen die Gebete frommer Heiden in allen Landen, und solche willige Herzen sollte die Predigt suchen gehen in allen Landen. Dieser willigen Herzen zu vergessen und den harten Herzen zu predigen, wäre es nicht eine Versündigung gewesen? So zogen denn von der Muttergemeinde in Jerusalem die Glaubensboten aus, so daß schon Paulus rufen sonnte: „In alle Lande ist ihr Schall ausgegangen, und in alle Welt ihre Worte.“ Sie predigten, sie stritten, sie litten und im Himmel steht die große Zahl der edlen Kämpfer angeschrieben, die in dem heiligsten aller Kriege, in dem gegen Lüge und Sünde, ihr Blut vergossen haben. Von jenen Tagen der Apostel an hat es die christliche Kirche niemals mehr lassen können, auch denen von Christo zu zeugen, die ihn noch nicht kannten. Es muß zur Ehre der katholischen Kirche gesagt werden, daß sie diesen Missionsberuf der Christenheit niemals vergessen hat, wenngleich sie vielfach mit dem Lichte zugleich den Irrthum und mit der Predigt das Schwert in die heidnischen Lande trug. Unsre Kirche scheint dieses Berufs am Anfange nicht gedacht zu haben, - einen schwachen Versuch ausgenommen, der schon früh von der französischen protestantischen Kirche ausging, - allein in Deutschland wenigstens hatte ja auch unsre Kirche bis nach den Zeiten des dreißigjährigen Krieges um ihre eigene Existenz zu kämpfen. Als aber nach diesen Zeiten eine Periode kam, in welcher der Glaube in unserer deutschen Kirche wieder Sache der Erfahrung wurde, als es wieder mehr Leute gab, die da sagen konnten, daß sie in ihrem eignen Herzen den Heiland gesehen und gehört hatten, da wurde auch der Trieb lebendig, sein Zeugniß über die Grenzen des Vaterlandes hinaus in die Heidenlande zu tragen - in der Zeit von A. H. Francke und hernach von Zinzendorf; und mit dem neu erwachten Glaubensleben in unsrer Zeit ist dieser Trieb abermals neu geworden, und, wie ihr es wisset, zuerst in England, dann in Deutschland, Frankreich, Holland, Dänemark, Schweden, kurz in allen Theilen der protestantischen Kirche ist der Missionstrieb rege geworden. Und bedenkt man, wie jetzt gleichsam an jeden wichtigen Posten der Heidenwelt ein Streiter Christi gestellt ist, so möchte man fast hoffen, daß die Zeit nicht fern sei, wo, wie der Prophet es ausspricht, der Name des Herrn nur Einer seyn werde in allen Landen.

Es kommt der Gedanke euch wunderlich vor, euren Blick nach der Heiden Länder hinzuwenden. Ihr denkt kaum daran, daß es Heiden giebt. Es dünkt euch so natürlich, daß ihr Christen seid, gleich als wäre es mit euern Vorfahren nie anders gewesen. Aber ihr christlichen Bürger dieser sächsischen Provinz, denkt ihr daran nicht, daß es noch nicht volle tausend Jahre her sind, daß auf eben diesen Fluren eure sorbischen Vorväter vor den Götzenbildern niedergefallen sind, wie die Heiden der fernen Inseln? daß in den Gauen dieses Landes unter den Bäumen des heiligen Haines die Opferthiere bluteten, und die Menschen, statt vor dem lebendigen Gotte, vor dem Schicksalsrade erbebten, das Götter und Menschen in seinem Umschwunge mit sich reißt? - Wie lange meint ihr, daß es her ist, seit in unserm Europa die letzten Götzenbilder gestürzt worden? In einer Missionsgesellschaft zu Stettin weist der Redner seine Zuhörer darauf hin, daß noch vor 712 Jahren auf dem Markte an der Stelle der Jakobskirche der Tempel des dreiköpfigen Götzen Triglav gestanden. Noth nicht viel über 350 Jahre ist es her, als in Litthauen die letzten Trümmer des Götzendienstes gestürzt wurden, und erst vor etwa achtzig Jahren haben evangelische Missionare voll Selbstverläugnung und Glaubensgluth die letzten Spuren des Heidenthums im Norden Europa's unter den Finn- und Lappländern durch Predigt des Evangeliums überwunden. Ihr Christen, so wenig fern stehen von euch die Zeiten eures blinden Heidenthums! Ihr Bewohner der Provinz Sachsen, und wenn nun damals auch euren christlichen Nachbarn im Westen die Mission eine so gleichgültige Sache gewesen wäre, wie euch! O, wollt ihr an denen, die jetzt noch im Dunkel sitzen, die Liebe nicht vergelten, welche damals die christlichen Brüder an euren Vorvätern ausgeübt haben? Christen, sechshundert Millionen Heiden bitten um diese eure christliche Liebe und rufen: Kommt herüber und helft uns - könnt ihr es lassen, ihnen ein Zeugniß von dem Heilande der Welt zu senden?

O, geht hinaus auf allen Wegen,
Und ruft die Irrenden herein!
Streckt allen eure Hand entgegen,
Und ladet froh sie zu uns ein.
Der Himmel ist bei uns auf Erden,
Das kündigt Allen fröhlich an,
Die eines Glaubens mit uns werden,
Auch ihnen ist er aufgethan.

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