Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten – Röm. 6, 3-11

Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten – Röm. 6, 3-11

Evangelische Gemeinde! Während mit großer Macht der Feind der evangelischen Kirche vor den Thoren steht und seinen Anlauf nimmt, ist innerhalb der evangelischen Gottesstadt selbst der alte Kampf wieder aufgerufen worden. Eine Schwesterkirche greift die andere an, als ob es unter allen Feinden der evangelischen Kirche keine gefährlicheren gäbe, als die Reformirten und schmählich wird die Kraft vergeudet, welche sie gemeinsam dem gemeinsamen Feinde gegenüber zu Felde liegen lassen sollten - den zwei Feinden gegenüber, meine ich, einer weltlichen Kirchlichkeit und einer unkirchlichen Weltlichkeit. Nun wäre das zwar ein kurzsichtiges Urtheil, wenn wir meinen wollten, die beiden Schwesterkirchen hätten gar nichts mit einander auszustreiten, aber - nur nicht als Feinde sollen sie mit einander streiten, nur nicht mit blank gezogenen tödtlichen Waffen, sondern als Brüder, die sich dabei in's Bruderauge blicken. Es wird nicht wohl geleugnet werden, daß die lutherische Kirche vor der reformirten namentlich dadurch vieles voraus hat, daß sie manche treffliche Schätze, welche die katholische Kirche aus der ältesten Kirche herüber gerettet in Lehre, Cultus, Erbauungsmitteln - daß sie diese, von etwaiger Entstellung gereinigt, bewahrt hat, während die reformirte Kirche sie als Unrath bei Seite geworfen. Wer dürfte indeß läugnen, daß auch die reformirte Kirche ihre eigenthümlichen Schätze besitzt: die Gründlichkeit ihrer Schriftauslegungen, ihre Anstalten kirchlicher Zucht, ihre reichlichere Thätigkeit der Menschenliebe in Missionen, Bibelgesellschaften, Armenversorgung, vor Allen den herrlichen Chor ihrer Glaubenszeugen auf Schaffot und Scheiterhaufen. Wir dürfen ferner auch nicht verkennen, daß die Verschiedenheit der beiden Kirchen uns auf eine Verschiedenheit der beiden Stifter derselben, von Luther und Calvin, zurückweist. Doch nur eine Verschiedenheit der Volksthümlichkeit ist es, die in beiden uns entgegentritt: das deutsche Gemüth in dem einen, die französische Verstandes- und Willensenergie in dem andern - aber ist's nicht eine Verschiedenheit des Glaubensgrundes; denn der Reformator Frankreichs wie der Deutschlands hat keinen andern gekannt, als den, der für ewig gelegt ist: „Christus unsere Weisheit und Gerechtigkeit, unsere Heiligung und Erlösung!“ Jene Verschiedenheit volksthümlicher Art geht indeß allerdings selbst durch die Lehrweise dieses Fundamentalartikels noch hindurch, wenngleich ohne sein Wesen zu ändern. Bei Luther ist es das in dem Verdienste seines Heilands andächtig und selig feiernde Gemüth, mit welchem er die in Christo erschienene Gnade Gottes aufgefaßt hat; bei Calvin der durch die Gnade Gottes in Christo zu rastloser selbstverläugnender Thätigkeit getriebene Wille - ein Gegensatz, der freilich zur religiösen Lüge werden würde, wenn das Eine das Andere ausschließen wollte, der aber, da er nur ein Mehr oder Weniger auf der einen und der andern Seite setzt, uns nur auch hier darstellt, was wir überall in der Vertheilung göttlicher Gnadengaben finden, daß ein und dasselbe göttliche Licht sich in den einzelnen Gläubigen und in den gläubig gewordenen Völkern in verschiedenen Strahlen bricht. Ein Licht ohne solche Strahlenbrechung ist uns ja in Keinem aufgegangen als in dem Einen, dem der Geist ohne Maaß verliehen ist.

Kommt also und laßt uns anschauen den Reichthum Gottes in der Mannichfaltigkeit seiner Gaben, indem wir heute den Blick auf Luther das deutsche Gotteskind richten, als das in dem Verdienste seines Heilands selig und andächtig feiernde Gemüth, und in unserer nächsten Andacht auf Calvin das französische Kind Gottes, als den durch die Gnade Gottes in Christo zu rastloser Selbstverläugnung angetriebenen Willen. Das Centrum, um welches das geistliche Leben des einen sich bewegt hat und der Pulsschlag, der durch das ganze Leben des Andern hindurch schlägt, sie haben es beide, wie das die Alten oftmals pflegten, in den Sinnbildern ausgedrückt, welche sie zu ihren Siegelringen gewählt. Wir können aber auch sagen, daß sie beide gleichsam in zwei Stücke einer biblischen Predigt sich getheilt, der Predigt die Paulus Röm. 6 von den Früchten des Glaubens an die Taufe in den Tod Christi hält.

Vernehmet den ersten Theil derselben, welcher uns die Wahrheit beschreibt, die das Leben unsers Luthers regiert.

Röm. 6, 3 - 11.
Wisset ihr nicht, daß alle, die wir in Jesum Christ getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir je mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auferwecket von den Todten, durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. So wir aber sammt ihm gepflanzet werden zu gleichem Tode, so werden wir auch der Auferstehung gleich seyn: dieweil wir wissen, daß unser alter Mensch sammt ihm gekreuziget ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. Sind wir aber mit Christo gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden, Und wissen, daß Christus, von den Todten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen. Denn das er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu einem mal; das er aber lebet, das lebet er Gott. Also auch ihr, haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seyd, und lebet Gott in Christo Jesu, unserm Herrn.

Dunkel, wie diese ganze Rede Pauli für jeden in der Schrift und in geistlichen Dingen unerfahrenen Christen ist, ist sie doch lauter Licht und Leben für den, der durch Buße und Glauben hindurchgedrungen zu dem Geheimnisse des neuen Menschen.

In Christi Tod getauft, mußt du o Mensch einst sterben,
Doch stirbst du wahrlich nicht, im Tode zu verderben;
Denn wer mit Christo stirbt, wird auch mit Christo leben,
Verborgen hier, doch dort enthüllt im ewigen Leben.

So viele ihrer getauft sind in Jesu Christi Tod, die sind mit Christo gestorben, aber nur um Gott zu leben in Christo. Das ist's nun was Luther, nicht in Buchstaben aber im holdseligsten Bilde, sich hat eingraben lassen auf seinem Siegelring, wie er uns selbst beschreibt. Er schreibt nämlich 1530 an seinen Freund Lazarus Spengler in Nürnberg: „Weil ihr begehret zu wissen, ob mein Petschaft recht troffen sei, will ich euch meine ersten Gedanken anzeigen zu guter Gesellschaft, die ich auf mein Petschaft wollt fassen, als in ein Merkzeichen meiner Theologie. Das erste soll ein Kreuz seyn, schwarz, im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte, damit ich mir selbst Erinnerung gäbe, daß der Glaube an den Gekreuzigten uns selig macht. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht. Obs nun wohl ein schwarz Kreuz ist, mortificirt, und soll auch wehe thun, noch läßt es das Herz in seiner Farbe, verderbt die Natur nicht, das ist, ertödtet nicht, sondern behält lebendig. Solch Herz aber soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzuzeigen, daß der Glaube Freude, Trost und Friede giebt, und kurz in eine weiße fröhliche Rose setzt, nicht wie die Welt Fried und Freude giebt; darum soll die Rose weiß und nicht roth seyn. Denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe; solche Rose steht im Himmelfarbnen Felde, daß solche Freud im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlischen Freude zukünftig, ist wohl schon drinnen begriffen, und durch Hoffnung gefasset, aber noch nicht offenbar; und in solch Feld einen goldnen Ring, daß solche Seligkeit im Himmel ewig währet und kein Ende hat, und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das höchste, edelste, köstlichste Erz ist.

So viele ihrer getauft sind in Christum Jesum, die sind in seinen Tod getauft. In Christi Tod getauft, mußt du, o Mensch, mitsterben. Hineingetauft in Christum nennt der Apostel seine Christen, das will sagen: Als sie sich taufen ließen, da waren sie Menschen, die gar nicht mehr ihr eigen seyn wollten. Wie ihr Leib hineingetaucht wurde in die Wasserfluth, so hat sich zugleich ihre Seele hineingetaucht in eine Gnadenfluth, welche war Christus und sein Verdienst und Leben. Denn um Christi willen sind da den Sündern zugesprochen worden Gnaden- und Kindesrechte bei Gott, die er ihnen erworben durch sein heiliges Sterben und Leben, darum heißen sie denn selbst hineingetauft in seinen Tod. Auch ihr, da ihr eben erst gelandet an des Lebens Küsten und als ihr selbst noch nicht erkennen konntet, was euch geschah, ihr seid hineingesenkt in das Wasserbad und damit zugleich in Christum und seinen Tod, also daß ihr um seinetwillen seid angenommen worden bei Gott und aus Kindern des Zorns Kinder der Gnade geworden. In eure Wiege wurde euch ein Adelsdiplom gelegt, darauf stand - für euer Auge damals freilich noch nicht erkennbar: dies Kind, wiewohl aus sündlichem Samen gezeugt und von Natur ein Kind des Zornes, soll hiemit angenommen seyn als mein eigen Kind und Erbe, an dem ich Wohlgefallen habe um Christi willen. „ Das Diplom ist euch beigelegt in eurer Taufe, darauf hat die Kirche euch unterrichtet, damit ihr der großen euch darin gegebenen Vorrechte inne würdet und so viele unter euch sind, bei denen dieser Unterricht in der Kraft des heiligen Geistes Frucht gebracht, ihr seid bei eurer Confirmation vor den Altar getreten und habt das Bekenntniß eures eignen Glaubens an diese Gnade abgelegt. Du nun, der du also in Christo hineingetauft bist, magst du vorher gewesen seyn, was du willst, ein Petrus oder ein Judas, ein Zachäus oder ein Kaiphas - hat der Herr durch den Mund seiner Kirche dich in der Taufe in seinen Gnadenbund aufgenommen, so bist du nicht bloß gestorben in Christo, sondern begraben in der Wasserfluth. So viele eurer getauft sind, die haben Christum angezogen. Hie ist kein Jude und kein Grieche, kein Knecht und kein Freier, ihr seid allzumal Einer in Christo. - Als bei dem über den rechten Trost seiner Sünde bekümmerten Luther diese Predigt in das Herz eingeschlagen, da ist sie, wie er uns hier sagt, auch geworden der Hauptartikel seiner Theologie, darüber hinaus er keinen höhern erkannt, der Artikel, der als der Grundstein der Kirche bleiben muß, es falle Himmel und Erde und alles, was fallen will.

Den Artikel hat er nun auch in's Herz eingraben wollen, indem er in sein Siegel zuerst hat setzen lassen: „ein Kreuz schwarz im Herzen, das seine natürliche Farbe hatte, auf daß ich mir selbst Erinnerung gäbe, daß der Glaube an den Gekreuzigten uns selig macht. Also nämlich soll ja der, welcher so großer Gnade durch das Kreuz theilhaftig geworden, gesinnt seyn, daß er nimmer über der Süßigkeit der Gnade, die er genießt, die Bitterkeit des Kreuzes vergesse, wodurch sie erworben ist.“ Diese Bitterkeit, das ist die natürliche schwarze Farbe des Kreuzes. Und dies schwarze Krenz hat Luther in sein eignes Herz setzen lassen, weil er gewußt hat, daß der bittere Tod seines lieben Herrn ihm selbst zu Gute gekommen, daß auch er zu denen gehört, die in den Tod Christi hineingetauft, die also auch von Gott nicht mehr nach ihrem alten Menschen angesehen werden, sondern nach dem was sie für den gekreuzigten Christus sind. Und das war die Freudenquelle des Kreuzes.

Weiter sagt uns nun aber auch unser Text, daß die so mit Christo gestorben sind, auch Gott leben in Christo. „Doch du stirbst wahrlich nicht, im Tode zu verderben. Dieses Sterben unsrer alten Persönlichkeit in Christo kann kein Tod zur Verwesung seyn, sondern nur ein Tod zur Auferstehung, denn „Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er lebe und selig werde. Wie er den Tod seines liebsten Kindes nur also gewollt hat, daß derselbe, der sein Leben gelassen, es auch wieder nehme, also bist du sammt ihm gepflanzt zu gleichem Tode d. h. daß Gott auch bei dir den Tod des alten Menschen durch Buße und Glauben nur will, damit auch du zu einem neuen Leben auferstehest, wie er. „Unser alter Mensch ist nur darum mit ihm gekreuzigt worden, auf daß wir hinfort nicht mehr der Sünde dienen, denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde.“ Als dir dein ganzes armes Leben in der Sünde leid wurde, als du voll Angst umhergeblickt, wie du den alten Adam im Feuer verbrennen oder im Wasser ersäufen möchtest, und als Gottes Gnade dich mit dem alten Menschen hat untertauchen lassen in das Bad der Taufe auf den Tod deines Heilands, da hat er nicht bloß aus Gnade deinen alten Menschen zudecken und begraben lassen wollen in Christo, da hat er auch den Keim eines neuen Menschen in dich hineingepflanzt, einen Auferstehungskeim, gleich wie derselbe in den Heiland hineingepflanzt war. Wie könnte er dich auch jetzt als einen neuen Menschen in Christo anschauen, wäre nicht würklich der Keim eines neuen Auferstehungsmenschen in dich gepflanzt worden? Der ist jetzt nur ein schwacher Embryo in dir, aber er wird heranwachsen, wenn du nur Christum in dir walten läßt und sein Werk nicht hinderst. Den Mann in Christo, den Menschen der Zukunft, den du vor Gott in dir trägst, schaut dein Gott schon jetzt. Muth, Muth, verzagte und doch gläubige Seele, wer im Glauben des Todes Christi theilhaft werden und durch diesen Tod der Sünde abgestorben, bei dem schlagen ihre Anfechtungen nicht mehr an. Ueber einem Leichnam wird es still. So wird es auch still in einem Menschen, der mit Christo geistlich gestorben ist. Vorher da pochten zwei Gläubiger unaufhörlich an die Thür: das anklagende Gewissen mit dem Richterspruch Gottes und die Sünde dein Tyrann, unter dessen Herrschaft du standest, denn du konntest ja nicht wie du wolltest, was ich nicht will, das thue ich. das war dein Gesetz. Die zwei Gläubiger müssen jetzt verstummen. Wer in Christo gestorben^ ist, der ist, wie der Apostel spricht, von ihm gerechtfertigt, so daß er nichts mehr mit ihnen zu thun hat. Der Schuldbrief mit dem Verdammungsurtheil ist ja zerrissen, die Sünde kann dich zwar noch verlocken, dir aber nicht mehr gebieten. Und selbst die Verlockungstraft stirbt ab. Der alte Mensch ist ja mit Christo gekreuzigt, ein Gekreuzigter lebt zwar noch etliche Tage aber sein Leben ist ein zunehmendes Sterben.

Dasselbe lehrt uns nun auch Luther, wenn er weiter spricht: Ob es nun wohl ein schwarzes Kreuz ist, mortificiret und soll auch wehe thun, noch läßt es das Herz in seiner Farbe, verderbt die Natur nicht, tödtet nicht, sondern behält lebendig. Als die Predigt: das that ich für dich. in sein Herz fiel, da war es, als hätten sie in sein eignes Herz ein schwarzes Kreuz mit spitzen Nadeln gesenkt. Sind manche doch unter jenen Frommen der alten Zeit gewesen, die sich selbst mit spitzer Nadel das Kreuzeszeichen auf die Brust geätzt, und fromme Seelen von so wunderbarer Zartheit und Innigkeit, wie die des jungfräulichen Suso, der das Kreuz mit spitzen Stacheln auf seinem entblößten Rücken getragen - „zum Andenken, wie dieses kindliche Gemüth spricht, der süßen Minne meines lieben Herrn. Das haben die, welchen wie einem Luther das Evangelium das Auge erleuchtet hatte, nicht gethan, dennoch sagt er, daß das Kreuz seines Herrn ihn „mortificiret“ hat, das will sagen, daß sein alter Mensch dadurch hat sterben müssen; denn, meine Freunde, was Moses mit der Keule seines Gesetzes mit seinem „Du sollst“ nicht vermag - die Sündenlust in einem fleischlichen Menschenherzen zum Tode zu bringen, o wie leicht gelingt es der Liebe des gekreuzigten Jesus, wenn sie einem recht aufgegangen ist! Da ist denn jener Zweck Gottes auch an Luther in Erfüllung gegangen, von dem St. Paulus spricht: auf daß der sündliche Leib aufhöre, auf daß wir der Sünde nicht mehr dienen. Merket wohl wie er sich weiter erklärt. Er sagt nicht: auf daß ihr niemals mehr sündiget“ - er sagt: „auf daß ihr der Sünde nicht mehr dienet. und wie er nachher spricht: „lasset die Sünde nicht mehr herrschen in eurem sterblichen Leibe. Die Sündenlust wuchert wohl noch eine Zeitlang fort, wenn auch mit immer geringerer Kraft, aber mit dem Sündendienst ist es aus. Da seht ihr recht den Unterschied zwischen denen, in welchen der neue Mensch geboren ist, und den andern: diesen ist die Sündenlust, die sie wider Gott in sich tragen, noch so lieb, daß sie um nichts sie hingeben möchten, etwas besseres, daran sie sich laben und letzen möchten, haben sie ja nicht; wir aber haben ja etwas besseres, unsern theuren Jesus, der uns so lieb ist, daß vor seiner Liebe uns unsere eigne Sündenlust zur Last wird. Hätte Moses mit seinem: „Du sollst, du mußt“ es überhaupt vermocht die Sünde herauszureißen, er hätte stückweise das Herz herausgerissen und wir hätten uns daran verbluten müssen. Nun spricht freilich auch Luther, daß, als das schwarze Kreuzeszeichen ihm ins Herz hineingezeichnet worden, es ihm weh gethan habe, aber gewaltsam herausgerissen ist die Lust nicht worden, sie ist von selbst eines gar leichten Todes gestorben, daher er hinzusetzt, daß das Herz dabei in seiner rothen Farbe geblieben, die Natur auch nicht verderbet worden. Der Luther, wie ihn Gott der Vater geschaffen, der ist nicht verderbet worden, er ist gar derselbe Kraft- und Kernmann geblieben - nur umgeschaffen zu dem Gottesmanne, den wir vor uns sehen. Die Mortification unter Mosis Gesetz, wie wir sie bei den katholischen Heiligen sehen, hat das Fleisch gar zerrissen und untüchtig gemacht; solche edle Geistesgaben, wie Luther gehabt, Gesang und Musika, haben unter den Kasteiungen ersterben müssen und sind begraben worden. Bei Luther sind sie erst recht aufgegangen in Gottes Licht. So ist das Kreuz zwar ein trauriger Pfahl aber ein solcher, an dessen Fuße liebliche Kräuter sprießen: Vergißmeinnicht, Augentrost und Ehrenpreis.

Daher setzt er auch hinzu: Solch Herz aber soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzudeuten, daß der Glaube Freude, Trost und Frieden giebt und kurz eine freudige weiße Rose setzt, nicht wie die Welt Freude giebt; darum soll die Rose weiß und nicht roth seyn, denn weiß ist der Geister und aller Engel Farbe. Denn wer mit Christo stirbt wird auch mit Christo leben, verborgen hier, doch klar dereinst im ew'gen Leben. Damit daß Christi Kreuz in sein Herz gesenkt ist, ist auch seines Heilands Leben in sein Herz gesenkt, und Christi Leben das trägt ja der Geister und aller Engel Farbe. So ist daher auch des Christen Freude, des Christen Frieden, des Christen Trost ein unbefleckter und reiner Trost, an dem nichts haftet von dem Staube, der Hitze und der Unruhe der Welt. Ihr seligen Herzen, die der Glaube in die weiße fröhliche Rose hineingesetzt, ihr denkt gewiß nicht mehr an das, was ihr in der Welt verloren, sondern nur an das, was ihr in Christo gefunden habt.

Nun weiß aber auch unser Luther, daß alles nur ein schwacher Anfang ist, wie das auch Paulus hier lehrt: Sind wir mit Christo gestorben, so glauben wir auch, daß wir mit ihm leben werden und wissen, daß Christus von den Todten erweckt hinfort nicht mehr stirbt. Der Tod wird hinfort nicht über ihn herrschen, denn das er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu Einem Male, das er lebet, lebet er aber Gott. Gerade als hätte Luther unsern Text vor sich gehabt, weist auch er darauf hin, daß solcher Tod mit Christo eitel ewig Leben sei, schon hier in der Zeit, das sich aber in der Zeit nicht auslebet, sondern erst in der Ewigkeit, wie er spricht: Solche Rose steht im himmelfarbenen Felde, daß solche Freude im Geiste ein Anfang ist der himmlischen Freude zukünftig, ist wohl schon darinnen begriffen, aber noch nicht offenbar. Hat nämlich der Herr Christus sich deiner Seele eingelebet durch den Glauben, da spürest du es wohl, daß etwas ewiges in dir ist:

Ich lebe mich nicht aus!
Ein Tröpflein von dem Leben,
Das Christus mir gegeben:
Ich leb in Ewigkeit!

Das ist das himmelfarbene Feld, in das die weiße Rose gesetzt ist, denn wie der Apostel spricht: Wir wandeln auf Erden und leben im Himmel. Was der Christen eigentliches Leben ist, das hat kein Menschenauge gesehen. Das ist nicht ihr Säen und Pflügen, ihr Studiren und Dociren; alles das ist ja nur ihr Leben auf Erden, aber über das Alles hinaus haben sie ein in Gott verborgenes Leben in Christo. In dem ist, wie Luther spricht, ihr zukünftiges Leben im Himmel schon mitbefaßt, nur noch nicht offenbar. Der Himmel nämlich, in den sie hineinkommen sollen, ist eigentlich schon in ihnen, er kann nur seine Schwingen noch nicht entfalten, die Schranke der Endlichkeit lastet noch auf ihm und doch spüren sie, daß der Engel schon da ist, wenn er auch seine Schwingen noch nicht entfalten kann. Dessen ist sich auch Luther bewußt und setzt daher hinzu: Und um solch Feld soll ein goldner Ring gehen, anzuzeigen, daß solche Seligkeit im Herzen ewig währt und kein Ende hat, und auch köstlich über alle Güter ist, wie das Gold das höchste und köstlichste Erz ist. '

Sehet, das ist Luther's Theologie. Wer von euch Theologen hat Lust diese zur Theologie seines Lebens zu machen? Das ist das rechte Herzblut unsers Vaters Luther und die diese seine Theologie nicht verstehen und nicht ins Herz sich eingraben lassen, die klauben alle nur an der Schale. Von dieser seligen Freudentheologie hat der theure Mann aber auch etwas auf seine Kirche überfließen lassen. Denn das des Heilands Verdienst andächtig und selig feiernde Gemüth, das ist auch der Charakter der lutherischen Kirche. Welcher anderen unter denen durch die Reformation gereinigten Kirchen ist so der Stempel seliger Glaubensfreudigkeit aufgedrückt! Welche andere hat durch soviel tausend Liederzungen und so glaubensinnige Andachtsbücher ihr andächtig seliges Gemüth in die Welt hinausgesetzt? welche andere durch so schöne liturgische Gottesdienste die Gnadengüter gefeiert, deren die Christen theilhaft geworden? Und welche andere die geistige Vermählung des verklärten Erlösers mit seiner Braut der gläubigen Gemeinde im Sacrament mit solcher Inbrunst und seligen Andacht begangen?

O Christe Herr der Kirche, der du deine Gaben an deine einzelnen Glieder wie an deine Kirchen so mannichfach ausgetheilt, o mache Alle, die du zum Dienste der einen oder der andern auserkoren, nur zu treuen Haushaltern, daß sie die Schätze ihrer eignen Kirche erkennen und der Gemeinde aufschließen. Mache auch, da die Gaben und Gnaden an die einzelnen wie an die Kirchen nach Maaß und nach Vermögen nicht die gleichen sind, daß jeder von uns reicher werde durch das was den Brüdern gegeben ist, bis wir alle hinankommen zu einerlei Erkenntniß und Glauben des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden in Christo! Amen.

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