Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Die sieben Gleichnisse, Mt 13, im Zusammenhange betrachtet Mt 13, 34-35

Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Die Gleichnisse Jesu Christi - Die sieben Gleichnisse, Mt 13, im Zusammenhange betrachtet Mt 13, 34-35

34 Solches alles redete Jesus durch Gleichnisse zu dem Volk, und ohne Gleichnis redete er nicht zu ihnen, 35 auf das erfüllet würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Ich will meinen Mund auftun in Gleichnissen und will aussprechen die Heimlichkeiten von Anfang der Welt. (Psalm 78, 2)

Mit diesen Worten wird von dem Psalmisten die Verkündigung der Taten Gottes, von der Ausführung Israels aus Ägypten bis zur Errichtung des Königtums Davids eingeleitet.

Jene Wege des HErrn mit Seinem Volke haben eine Bedeutung für alle Zeiten, sie sollen uns zur Erleuchtung und zur Ermahnung dienen, und dies gilt nicht nur von den einzelnen Ereignissen, sondern auch ihre Reihenfolge und der große Zusammenhang, in dem sie stehen, ist bedeutsam.

Ebenso tiefe Wahrheiten hat nun der HErr, wie der Evangelist uns zu verstehen gibt, in diesen Parabeln ausgesprochen; es liegen in ihnen, wie Jesus selber sagt (Mt 13, 11) „die Geheimnisse des Himmelreichs“, und den Jüngern ist es gegeben, diese Geheimnisse zu verstehen, während die Welt sie nicht zu fassen vermag. Es mangelt in der christlichen Kirche nicht an Verständnis für diese Parabeln im Einzelnen; aber sollte nicht auch ihre Aufeinanderfolge und ihr Zusammenhang bedeutsam sein?

Die Sendschreiben an die sieben Gemeinden in der Offenbarung enthalten nach dem Lichte, welches Gott schon seit geraumer Zeit gegeben hat (der erste, welcher diese Einsicht ausgesprochen hat, war meines Wissens der gelehrte prophetische Forscher Johann Coccejus aus Bremen, gestorben 1669, der Lehrer von Campegius Vitringa), ein umfassendes, prophetisches Bild der verschiedenen geistlichen Gestaltungen der Kirche, wie sie nach einander im Verlauf ihrer Geschichte hervortreten. Sollte es sich mit den sieben Gleichnissen nicht ähnlich verhalten, wie mit den sieben Episteln?

Ist die Deutung des Einzelnen, welche wir vorgetragen haben, dem Sinne des Geistes gemäß, so lässt sich darauf bereits eine Bejahung dieser Frage gründen, und man darf überzeugt sein, dass die Zusammenstellung gerade dieser sieben Gleichnisreden nicht ans Zufall oder Willkür beruht, sondern nach der Absicht des göttlichen Geistes uns einen Ausschluss über die Wege Gottes im Großen geben soll.

I. In dem ersten Gleichnis sehen wir die Stiftung der Kirche vor sich gehen. Wir sehen, wie der Menschensohn selbst über diese Erde wandelt und die Saat des göttlichen Wortes ausstreut. Wir werden inne, wie Er hierbei von Anfang an verschiedene Erfahrungen machen musste, denn der Feind und die Menschen tun alles, was sie vermögen, um die gute Saat zu beschädigen.

Dennoch findet der HErr auch ein fruchtbares Land, ans welchem sie gedeiht und reichen Lohn verspricht.

II. In dem andern Gleichnis sehen wir die Kirche unter der Leitung der Diener, welchen der HErr, nachdem Er Seine eigene Arbeit auf Erden ausgerichtet hatte, für die Zeit Seiner Abwesenheit die Obhut über die nun heranwachsende Saat anvertraut hat.

Die Aufgabe dieser Knechte ist, den Acker des HErrn zu hüten und rein zu halten, damit der Weizen unverkümmert zur Reife gelange und damit sie selbst bei der Ernte ihren vollen Lohn empfangen.

Aber es kommt anders. Die Knechte wachen nicht, wie sie sollten; der Feind, welcher die Gründung der Kirche nicht hindern konnte, richtet hinterher durch seine List Unheil in der vom HErrn gestifteten Gemeinde an, und es zeigen sich in ihrer Mitte die Anfänge des Abfalls.

Da fühlen sich die Knechte zur Gewalttätigkeit versucht, sie wollen das Unkraut ausrotten, sie wollen das Gericht, welches sich der HErr aus Seine Wiederkunft vorbehalten hat, vor der Zeit vollziehen, sie wollen eigenmächtig und mit Anwendung weltlicher Gewaltmittel den Sieg des Reiches Christi herbeiführen, sie verraten damit, dass ihre eigene Gesinnung ins Irdische herabgesunken ist.

Dieser Versuch einer Vorausnahme des Weltgerichts und des Königreichs Christi begründet den Charakter der Kirche im Mittelalter, darauf beruht ihre damalige Größe, darauf beruhen auch ihre damaligen Verirrungen.

III. u. IV. Die Warnungen des HErrn bleiben nicht hierbei stehen; in den beiden folgenden Gleichnissen zeigt Er uns gesteigerte Übel, zu denen es kommen wird, nachdem einmal der Abfall in der Kirche seinen Anfang genommen.

Wir sehen die Kirche in ihrer größten Entfaltung und Ausbreitung als einen gewaltigen Baum dastehen, aber wir sehen, dass nicht nur böse Menschen, sondern sogar böse Geister sich auf ihrem Gezweige einnisten und ihre Früchte abfressen.

Wir sehen ferner, wie der Sauerteig ungesunder Lehre und unreinen Lebens, nachdem er unbemerkter Weise Eingang gefunden, in geräuschlosem, aber unaufhaltsamem Gang seine Wirksamkeit immer weiter ausdehnt, bis das traurige Ergebnis zu Tage kommt: alle christlichen Kirchengemeinschaften haben sowohl in der Lehre als auch im Leben Verunreinigung und Schaden erlitten.

V. Nach so traurigen Ausschlüssen eröffnet sich im fünften und sechsten Gleichnis ein erfreuender Ausblick.

Der HErr will es nicht dabei lassen, Er will Sorge dafür tragen, dass nach diesen schlimmen Erfahrungen von der Unfähigkeit und Untreue der Menschen Seine Macht und Treue desto herrlicher ans Licht trete.

Die heilsame Wahrheit, die am Anfang in der heiligen Schrift niedergelegt wurde, ist auch in den trübsten Zeiten der Kirche nicht verloren gegangen. Sie war zeitenweise nicht in der rechten Wirksamkeit, die Verkündigung der Lehre des Heils war bis zu einem gewissen Grad außer Übung, doch blieb die Wahrheit in der Kirche aufbewahrt, ähnlich wie ein im Acker vergrabener Schatz. (Es mag sich mit der Absicht des göttlichen Geistes vereinigen lassen, dieses Bild vom Schatz einmal auf die Auserwählten, ein andermal auf die göttliche Wahrheit anzuwenden.)

Aber während die Menschen das versteckt liegende Gold vergessen haben, richtet der HErr Sein Augenmerk aus dasselbe und bringt zu seiner Zeit den vergrabenen Schatz wieder ans Licht; dies geschah, als nach den Zeiten, in welchen die Unwissenheit vorwaltete, und die Forschung über das göttliche Wort vernachlässigt war, die heilige Schrift wieder hervorgezogen, und manche wenig beachtete altchristliche Wahrheiten der Kirche aufs Neue zum Bewusstsein gebracht wurden.

Dies war das Gute der Reformation — ein Segen nicht nur für die Protestanten, sondern für die ganze Christenheit, denn auch auf den Gebieten, wo man die Reformatoren zurückwies, hat, durch die Reformation veranlasst, eine weitgreifende Verbesserung im Vortrag der christlichen Wahrheit stattgefunden.

Indessen ist der vergrabene Schatz nicht mit einem mal wieder zu Tag gefördert worden, sondern es ist in der neuern Kirchengeschichte eine stufenweise Zunahme der Erkenntnis und Erleuchtung wahrzunehmen, und während einige Teile der alten biblischen Wahrheit schon im 16. Jahrhundert verkündigt wurden, gelangen andere erst jetzt zur rechten Anerkennung und Wertschätzung.

VI. Aber es ist dem HErrn nicht bloß um die Wahrheit zu tun, sondern auch um die Kirche.

Es ist nicht genug getan mit Verbreitung der Bibel und Predigt der reinen Lehre, womit man sich im Protestantismus meistenteils beruhigt, sondern Christus sucht die köstliche Perle, Er verlangt nach der Gemeinde, welche himmlisch gesinnt, nach Gottes Willen geordnet und mit Gnade reichlich ausgestattet ist; das ist Sein Anliegen: die Kirche, endlich nach Gottes Wohlgefallen gestaltet und ihre Bestimmung erfüllend, ist Ihm teurer als alles. Hat Er doch Sich selbst aus Liebe zu ihr hingegeben, damit Er sie herrlich und makellos vor dem Vater darstelle.

Endlich findet Er die köstliche Perle, die lang gesuchte. Es ist Sein Werk, dass die Kirche endlich die rechte Gestalt gewinnt. Er weiß Seine schon entschlafenen Heiligen zu bewahren und die Kinder Gottes der letzten Zeit vorzubereiten, bis sie zusammen als ein Volk Gottes in die Herrlichkeit eingehen.

VII. Das siebente Gleichnis versetzt uns an das Ende dieser Haushaltung, oder des gegenwärtigen Weltalters.

Die Zeit der Gnade und Geduld hat lange gewährt, und wohl meinen manche, sie wird immerfort währen.

Aber es ist wie mit dem Netz, das lange im Meer gestanden: es wird endlich emporgehoben und die darin befindlichen Fische werden gesichtet, es erfolgt die Sonderung der Bösen von den Gerechten, und die Entscheidung, wodurch einem jeden das ihm gebührende Los angewiesen wird.

Eine Sichtung der christlichen Völker bildet den Abschluss dieser Weltzeit und den Übergang in das neue, vollkommene Reich.

Solche Andeutungen der wundersamen Wege Gottes, von dem ersten Auftreten Jesu auf Erden bis zu Seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, sind in diesen Worten des HErrn enthalten, die Er durch Eingebung des heiligen Geistes geredet hat, und die für uns unter Leitung desselben Geistes aufgezeichnet sind.

Schon sehen wir den prophetischen Inhalt bis zum fünften Gleichnis einschließlich erfüllt, wir dürfen in der Gegenwart Zeugen davon sein, wie der HErr daran arbeitet, die köstliche Perle zu finden. Ist nun das Vorangehende alles wahr geworden, so sollen wir desto fester überzeugt sein, dass auch alles noch mangelnde, was hier vom Reisen der Frucht, von der großen Ernte und von dem Hervorleuchten des Himmelreichs, was von der Vollendung der Kirche und was vom Kommen des HErrn gesagt ist, in Erfüllung gehen und durch die Tat sich als göttliche Wahrheit erweisen wird.

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