Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Bergpredigt - Matthäus 7

Thiersch, Heinrich Wilhelm Josias - Bergpredigt - Matthäus 7

Das Verbot des Richtens - Mt 7, 1-6

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balken in deinem Auge? Oder wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, — und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh erst den Balken aus deinem Auge, danach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest. Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf dass sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen.”

Der Mensch ist außerordentlich geneigt, über seinen Nächsten zu Gericht zu sitzen. Hat er nur ein wenig von den Geboten Gottes gehört, so wendet er es auch gleich an, nicht um sich selbst, sondern um andere danach zu beurteilen. Solchen Gebrauch machten insbesondere die Juden von dem reichen Maß der Erkenntnis, welches ihnen im Vergleich mit den Heiden verliehen war (Röm 2).

Aber so etwas will der Herr bei Seinen Jüngern nicht dulden. Wenn wir mehr Licht empfangen als andere, so sollen wir es anwenden, um uns selbst danach zu beurteilen, und unser Wachstum an Erkenntnis soll zugleich ein Wachstum an Demut und Milde sein. Aber so ist der Mensch, dass er meint, durch scharfes Urteil über die anderen gebe er den besten Beweis seiner Frömmigkeit. Die Verblendung geht so weit, dass die Heuchler meinen, durch Splitterrichten sich selbst bei Gott und den Menschen zu empfehlen, als wenn der Herr ihre eigenen Fehler desto weniger bemerken würde, je ärger sie über andere losziehen. Allein gerade das Gegenteil ist der Fall:

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.”

Urteilst du über deinen Bruder, so gibst du zu erkennen, dass du etwas vom Gesetz weißt, und der Herr, der das hört, wird um so genauer zusehen, wie du das Gesetz, das du so gut kennst, befolgst (Jak 4,1 1.12).

Gott ist der Gesetzgeber, Er ist der Richter. Wenn du dich nun auf Seinen Richterstuhl schwingst und an Seine Stelle setzt, so muss Er fragen: „Wer bist du, der du den andern richtest?” „Wer ist, der so redet mit Unverstand?”

Hast du unbarmherzig geurteilt, so wirst du, und zwar nicht allein von den Menschen, sondern auch von Gott, um so strenger beurteilt werden.

„Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.”

Dies müssen wir schon in diesem Leben empfinden. Wenn man in Worten, oder auch nur in Gedanken und Gefühlen, lieblos und unversöhnlich über den Nächsten herfährt, so lässt es einen der Herr entgelten. Man kommt dadurch in einen dürren, missvergnügten Seelenzustand ohne Frieden und Freude. Denn der einzige Quell unseres Friedens ist die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes. Entziehen wir nun dem Nächsten unsere Barmherzigkeit, so muss der Herr auch Seine Barmherzigkeit gegen uns zuschließen, und haben wir uns Härte gegen den Nächsten erlaubt, so wird der Herr auch hart mit uns umgehen, bis wir uns demütigen, die lieblosen Urteile bereuen, die dem Nächsten zugefügten Kränkungen gutzumachen suchen und also den Frieden Gottes wiederfinden.

Das Gleichnis vom Splitter und Balken ist keine Übertreibung. So groß ist in der Tat die Blindheit, in welche die Heuchler geraten. Ein heidnischer Poet hat gesagt, dass ein jeder Mensch einen Zwerchsack auf der Schulter trage, in dem vorderen Teil habe er die Fehler des Nebenmenschen, in den anderen Teil, welchen er nicht sieht, stecke er seine eigenen Fehler. Der Mensch ist nicht fähig, sein eigener Richter zu sein und sich selbst endgültig zu beurteilen; so auch der Christ. Deswegen sind wir in der christlichen Kirche zusammengeführt, damit wir uns durch solche beurteilen lassen, die der Herr als ältere Brüder oder als Väter über uns gesetzt hat. Ihnen will Er es geben, unseren Zustand im rechten Licht zu unterscheiden, und durch ihre in Gottesfurcht und Liebe ausgesprochenen Bemerkungen sollen wir zur Einsicht dessen kommen, was uns fehlt. Der Mensch meint zwar, er müsse selber seinen Herzenszustand am besten kennen, und niemand anders könne ihn verstehen; aber mit einer solchen Behauptung wird die von Gott gestiftete Ordnung verworfen und die Einheit des Leibes Christi völlig verleugnet; denn kein Glied darf zum andern sagen: Ich bedarf deiner nicht (1 Kor 12,21).

Wenn du den Balken aus deinem Auge entfernt hast, „dann sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.”

Hast du dich selbst der Beurteilung Gottes aufrichtig unterworfen, dann darfst du wohl auch etwas sagen, um den Nächsten von seinen Fehlern zu befreien.

Nur bedenke zweierlei:

Einmal, dass es dein Bruder ist, den du also mit brüderlicher Liebe behandeln sollst. Aus der reinen Liebe müssen deine Worte hervorgehen. Fehlt es dir zur Stunde noch an dieser Liebe, so schweige still.

Zweitens bedenke: was du vorhast, ist eine Augenoperation, du willst den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen; dabei ist große Vorsicht, Zartheit und Schonung nötig, damit man nicht mehr Schmerz verursache, als unvermeidlich ist, und damit man nicht an dem Auge einen größeren Schaden anrichte als der Splitter, den man ausziehen will.

Wir müssen dem Bruder, der von einem Fehler übereilt worden ist, im Geist der Sanftmut zurecht helfen (Gal 6,1).

Wir müssen ihn wie ein krankes Glied unseres eigenen Leibes betrachten, das mit möglichster Schonung zurechtgebracht und geheilt werden soll.

Niemand darf sich selbst auf den Richterstuhl setzen. Gott ist es, der Richter einsetzt.

Es gibt einen Auftrag zu richten:

  • Eltern haben über ihre Kinder,
  • Lehrer über ihre Schüler,
  • Geistliche über ihre Gemeinden,
  • Obrigkeiten über die Untertanen

zu urteilen und nötigenfalls auch sie zu strafen.

Dies alles hat der Herr mit den Worten: „Richtet nicht” keineswegs umstoßen wollen. Solcher Auftrag ist vom Himmel, und Jesus Christus will die Einrichtungen Gottes nicht beseitigen. Er bestätigt und heiligt sie vielmehr.

Wer den Auftrag hat, soll mit rechtem Ernst urteilen, doch zugleich im Geist der Demut und Milde. Weil es der Herr ist, der durch uns Gericht üben will, muss es unsererseits in Seinem Geist geschehen, mit Ertötung der natürlichen Hoffart und Härte des menschlichen Herzens.

Wenn wir in unserem Beruf andere rügen und strafen müssen, sollen wir zuerst uns selbst richten und stets über uns selber wachen, damit wir nicht selbst in Versuchung geraten, den Balken in unserem eigenen Auge übersehen und zu Heuchlern werden.

Die Welt macht einen üblen Gebrauch von dem Wort des Herrn: „Richtet nicht”. Sie verlangt, dass die Diener Christi zu allen Ärgernissen und Lästerungen stillschweigen und den gröbsten Sündern und Irrlehrern volle Christenrechte einräumen sollen. Aber der Herr Selbst gibt zu erkennen, dass Er es so nicht gemeint hat, indem Er die Worte folgen lässt:

„Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen nicht vor die Säue werfen.”

Hunde und Schweine sind nach der Schrift unreine Tiere und das Bild unreiner Menschen.

Den Hunden, die im Morgenland meist heimatlos und bösartig sind (Psalm 59,7), gleichen die Feinde der Religion, die Spötter und Lästerer.

Den Schweinen vergleichbar sind Menschen, die in niedrige Lüste versunken sind.

Wie es nun ein Frevel gewesen wäre, wenn ein israelitischer Priester oder Hausvater das Opferfleisch, z.B. des Passahlammes, den Hunden zum Futter vorgeworfen hätte, ebenso und noch mehr ist es ein Frevel, wenn man das Heilige Abendmahl wissentlich solchen darreicht, die das Heilige verspotten oder in groben Sünden leben.

Die Diener Christi sind Haushalter über Gottes Geheimnisse, und sie müssen mit den Schätzen des Hauses Gottes so verfahren, dass sie es vor dem Herrn verantworten können. Die göttliche Gnade, dargereicht in den Sakramenten und den sakramentalen Handlungen, eingehüllt in Geheimnis und unbekannt der Welt, gleicht der köstlichen Perle, die in der Muschel verschlossen auf dem Grund des Meeres liegt.

Auch die heiligen Lehren, die süßen Tröstungen, die tiefen Aufschlüsse, die Gott Seinen Dienern anvertraut, sind Perlen, und wir dürfen sie nicht rohen Menschen preisgeben, welche nur Missbrauch damit treiben.

Die köstlichste Perle aber, die wir zu hüten haben, damit sie von den Säuen nicht zertreten werde, ist die Gemeinde Jesu Christi selbst, die Er so teuer erkauft und mit Seinem Geist geheiligt hat. Diese muss gegen das Eindringen von Lastern und Unglauben geschützt werden. Die Diener Christi müssen also unterscheiden, urteilen und strafen mit allem Ernst. Sie müssen das Schwert des Geistes führen und zur rechten Zeit mit der Tat für die Wahrung des Heiligtums einstehen. Das war die Sünde des alten Hohenpriesters Eli, weshalb er selbst in das Gericht fiel, weil er für seine gottlosen Söhne nur schöne Ermahnungen hatte. Er hätte sie aus dem Priesteramt stoßen und absetzen sollen. Werden die Perlen den Säuen preisgegeben, so werden diese nicht nur die Perlen zertreten, sondern sich zuletzt gegen die untreuen Haushalter wenden und diese zerreißen. Das heißt, Gott gebraucht die gottlosen Menschen als Seine Werkzeuge, um Sein Gericht an treulosen Priestern zu vollziehen.

Auch einem jeden Christen ist es gesagt, dass er nicht die heiligsten Wahrheiten und Erfahrungen einem jeden Menschen ohne Unterschied mitteilen soll:

”Wandelt weislich gegen die, die draußen sind” (Kol 4,5).

„Sehet zu, wie ihr vorsichtig wandelt. nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen” (Eph 5, 15).

Aller Weisheit höchste Fülle
In Dir ja verborgen liegt.
Gib nur, dass sich auch mein Wille
Fein in solche Schranken fügt,
Worinnen die Demut
und Weisheit regieret
Und mich zu der Weisheit,
die himmlisch ist, führet.
Ach, wenn ich nur Jesum
recht kenne und weiß,
So hab ich der Weisheit
vollkommenen Preis.

(Joh Heinrich Schröder)

Die große Verheißung und das große Gebot - Mt 7, 7-12

„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet ums Brot, der ihm einen Stein biete? oder so er ihn bittet um einen Fisch; der ihm eine Schlange biete? So denn ihr, die ihr doch arg seid, könnt dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die Ihn bitten. Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen; das ist das Gesetz und die Propheten.”

An der Stelle, wo der Herr zum Schluss Seiner Bergpredigt übergeht, fasst Er alles, was Er Seinen Jüngern ans Herz zu legen hat, in wenige Worte zusammen. Er eröffnet uns die Schatzkammer aller himmlischen und irdischen Güter. Der Schlüssel dazu, den Er uns in die Hand gibt, ist das Gebet; denn auf dem Gebet ruhen die größten Verheißungen. Der Mensch ist arg von Natur, und aus seinem Herzen kommen böse Gedanken, Worte und Taten. Er ist verschlossen gegen Gott und hat von sich aus kein Vertrauen zu Ihm. Aber bei dem allen ist etwas Gutes in ihm geblieben: das ist die Liebe der Eltern zu den Kindern.

„Wiewohl ihr arg seid, könnt ihr dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wenn sie darum bitten.”

Diese gute Eigenschaft findet sich auch noch bei sehr herabgekommenen Menschen. Hier knüpft der Herr an, um einen Zug des Vertrauens und der Liebe zu dem himmlischen Vater zu erwecken, das kalte Herz zu erwärmen und das verschlossene Gemüt aufzuschließen, damit der Mensch sich im Gebet zu Gott wende. Denn was ist die elterliche Liebe im Menschenherzen anderes als eine Spur der göttlichen Liebe? Wenn in Dem, der den Menschen geschaffen hat, die Liebe nicht wäre, wie käme sie im Menschen zum Vorschein? Wenn keine Vaterliebe im Himmel wäre, so würde sich ganz gewiss auch keine Vaterliebe auf Erden finden. Hat sich jemals in deinem Inneren die kindliche Liebe zu deinen Eltern und Wohltätern geregt, warum solltest du dich nicht zur Liebe gegen den rechten Vater im Himmel und zum Vertrauen gegen den höchsten Wohltäter bewegen lassen?

„Wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die Ihn bitten.”

Mit besonderer Macht dringen diese Worte an unser Herz, nachdem uns Gott in Seinem eingeborenen Sohn zur Kindschaft gegen Ihn Selbst erwählt hat. Diese Macht, Gottes Kinder zu werden, hat Er denen, die an den Namen Jesu Christi glauben, gegeben. Diese Macht und dieses Recht, Ihn als Vater anzurufen, hat Er uns in der heiligen Taufe zugesichert. Nun ist unsere Aufgabe, diese Macht mit dem Beistand Seines guten Geistes zu gebrauchen und zu Ihm in allen unseren Anliegen als zu unserem rechten Vater zu beten. Die höchste aller guten Gaben und der Inbegriff derselben ist die Gabe des Heiligen Geistes. „Wie viel mehr wird euer Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die Ihn bitten” (Lukas 11,13).

Der Herr bezeichnet uns drei Stufen des Weges, den wir zu gehen haben:

„Wer da bittet, empfängt;
wer da sucht, findet;
wer anklopft, dem wird aufgetan.”

Das Gebet ist das erste und notwendigste, aber nicht das einzige, was uns vorgezeichnet wird, damit wir himmlische Güter erlangen. Es gibt Christen, welche meinen, jeder einzelne könne für sich durch Gebet alles erreichen und zur Vollkommenheit gelangen.

Aber der Herr sagt nicht nur:

Bittet, so werdet ihr nehmen,

sondern auch:

Suchet, so werdet ihr finden.

Beim Suchen kommt alles darauf an, dass man sich an den rechten Ort wende, wo die Sache zu finden ist. Gilt es, himmlische Güter zu finden, so kann uns nur Gott den rechten Ort bezeichnen, und dies hat Er getan, denn Er hat uns auf Seine Ordnungen hingewiesen, nämlich auf das Amt, das Er gestiftet hat, auf die Heilige Schrift und auf die heiligen Sakramente. Da sollen wir die Güter des Himmelreichs suchen, da werden wir sie finden. Als Cornelius, der Hauptmann, so anhaltend betete, erschien ihm ein Engel und sprach: „Sende nach Joppe und lass den Petrus holen, der wird dir sagen, was du tun sollst.”

Der Engel vom Himmel predigte nicht und taufte nicht, aber er verwies den gläubigen Beter auf das Amt der Versöhnung, das Gott in der Kirche aufgerichtet hat.

Durch den Mund des Petrus sollte Cornelius das Wort des Lebens hören und durch die Hand der Diener des Herrn die heilige Taufe empfangen (Apg 10,1-6; 44-48).

Dürstet deine Seele nach Erkenntnis göttlicher Wahrheit, so suche sie in der Schrift, durchforsche die heiligen Bücher mit heilsbegierigem Sinn wie der Kämmerer aus Mohrenland, und sei willig zu lernen und dankbar, wenn Gott dir einen Evangelisten Philippus sendet, dir die Tiefen der Schrift, die du nicht verstehst, aufzuschließen (Apg 8,26-35).

Verlangt jemand nach der Wiedergeburt, er suche sie in dem Sakrament der Taufe; da haben wir diese himmlische Gabe schon in unserer Kindheit empfangen.

Sehnst du dich nach Gewissheit der Vergebung der Sünden?

Suche sie im Wort der Absolution.

Verlangst du nach befestigter Gemeinschaft mit deinem Heiland und nach Kraft, um in Ihm zu bleiben?

Suche sie im Sakrament des Altars.

Sehnst du dich nach der Gabe des Heiligen Geistes, so suche sie durch die Fürbitte und Handauflegung der Diener Christi, welchen Er Macht gegeben hat, zu sprechen: „Nimm hin den Heiligen Geist”.

Begehrt ihr nach der Fülle der Gnade Gottes, so suchet sie in der christlichen Kirche.

Was tun also die, die dafür halten, jeder könne für sich in seinem Kämmerlein oder in einer willkürlich sich zusammenfindenden Gemeinschaft von Brüdern durch Gebet alles empfangen, welche die Kirche und die Sakramente für etwas Äußerliches und Unwesentliches ansehen und beiseite lassen?

Sie gehen an der Stelle vorüber, wo der Herr alle Gnade niedergelegt hat. Sie beten, aber sie suchen nicht, und dadurch kommen sie nicht zum Ziel.

Andere Christen finden wir, welche sich streng an die kirchlichen Ordnungen halten, aber das Gebet des Herzens nicht üben. Aber auch damit ist es nicht getan, wenn man sucht, aber nicht betet.

Das Gebet ist das erste und notwendigste. Erstickt der innere Lebenshauch, so wird alles Tun des Menschen lieblos werden.

Aber der Herr sagt endlich auch:

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

Damit lehrt Er uns das rechte Ausharren und Nicht-müde- werden, wie im Gleichnis von dem Mann, der um Mitternacht an der Tür seines Freundes so lange anklopft, bis sein Wunsch ihm gewährt wurde (Lukas 11,5-8), oder in dem Gleichnis von der Witwe, die durch ihr ungestümes Bitten zuletzt selbst den ungerechten Richter bewegte (Lukas18,1-6).

„Wer da anklopft, dem wird aufgetan.”

Die Pforte der Gnade wird uns jetzt schon eröffnet, aber auch die Pforte der Herrlichkeit wird endlich sich auftun. Der Eingang in das unvergängliche Reich wird das Ende sein, welches die Kirche durch ihr Bitten, Suchen und Anklopfen erreicht.

Mit dieser großen Verheißung verbindet der Herr das Gebot, welches der Inbegriff aller Gebote ist: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen; das ist das Gesetz und die Propheten.”

Geschieht dies, so ist die ganze Absicht Gottes, die Er mit Seinen Offenbarungen und Seiner Gnade verbindet, erreicht. Sein Anliegen ist, dass unsere Herzen mit der wahren Liebe erfüllt werden, und dies soll auch unser Anliegen sein.

Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung, und wenn nicht die Liebe in den Herzen wohnt, hat die sonstige Beobachtung der Gebote wenig Wert.

Der Mensch fragt so gerne: Wer ist denn mein Nächster, dem ich Liebe schuldig bin, und wie weit soll ich mit den Erweisen meiner Liebe gehen?

Er meint, er könnte zu viel tun; aber der Herr macht diesen Gedanken ein Ende. Er sagt es mit Worten, die der Einfältigste fassen kann, dass wir in der Liebe, Aufopferung, Verzeihung, Barmherzigkeit und Handreichung nicht zu viel tun können. Frage dich selbst, welche Behandlung, welche Gesinnung du von anderen dir wünschst, und so sei gegen die andern gesinnt.

Nachdem uns Gott unaussprechliche Liebe erzeigt hat, weist Er uns an den Nächsten und sagt: Diesem vergeltet, was Ich euch Gutes getan habe.

Nachdem wir so viel von Ihm empfangen haben, sind wir Schuldner Ihm gegenüber, und nun sollen wir diese Schuld an dem Nächsten abtragen.

Darum können wir nie sagen, dass wir in dieser Hinsicht nichts mehr zu tun hätten, es ist eine Schuld, die wir nie ganz abzahlen können. Die Nächstenliebe soll wachsen, sie soll ewig währen.

Du bist ein Geist, der lehret,
Wie man recht beten soll:
Dein Beten wird erhöret,
Dein Singen klinget wohl;
Es steigt zum Himmel an,
Es steigt und lässt nicht ab,
Bis Der geholfen hat,
Der allen helfen kann.
Du bist ein Geist der Freuden,
Von Trauern hältst du nicht,
Erleuchtest uns im Leiden
Mit Deines Trostes Licht.
Ach ja, wie manches Mal
Hast Du mit süßen Worten
Mir aufgetan die Pforten
Zum goldnen Freudensaal!
Du bist ein Geist der Liebe,
Ein Freund der Freundlichkeit,
Willst nicht, dass uns betrübe
Zorn, Zank, Hass, Neid und Streit.
Der Feindschaft bist Du feind,
Willst, dass durch Liebesflammen
Sich wieder tun zusammen,
Die voller Zwietracht seind.
Du, Herr, hast Selbst in Händen
Die ganze weite Welt,
Kannst Menschenherzen wenden,
Wie Dir es wohlgefällt;
So gib doch Deine Gnad
Zum Fried und Liebesbanden,
Verknüpf in allen Landen,
Was sich getrennet hat.

(Paul Gerhardt)

Warnung vor dem breiten Weg und vor den falschen Propheten - Mat 7, 13-20

„Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt; und ihr sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige finden ihn. Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und in das Feuer geworfen. Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.”

Es gibt wohl in der ganzen Heiligen Schrift wenig Worte, die so ernst und erschütternd lauten wie diese.

Der Herr, der die Liebe ist, der für alle den Tod geschmeckt hat, der nicht gekommen ist, dass Er die Welt richte, sondern dass Er die Welt selig mache, spricht diese Warnung aus: „Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zum Verderben führt, und viele sind, die darauf wandeln.”

Er spricht in klagendem Ton: Wie eng ist die Pforte und wie schmal ist der Weg, der zum Leben führt! Ja, und dies ist das Traurigste, was Er ausspricht: „Viele werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden es nicht können“ (Lukas 13,24).

Menschlicher Meinung nach ist gerade das Gegenteil wahr. Man sagt, wo so viele gehen, da will ich auch mitgehen, wo so viele hinkommen, das kann doch kein böser Ort sein. Allein, was gilt die Ansicht der Menschen gegen das Wort dessen, dem der Vater alles Gericht übergeben hat?

Sich fürchten vor Seinem Wort, das ist der Anfang der Weisheit. Der menschlichen Meinung mehr zu vertrauen als Seinem Wort, ist die größte Torheit.

Die Pforte des Verderbens steht weit offen; alle werden zum Eintritt eingeladen, ungebunden mögen sie der Lust und Hoffart sich hingeben; die Pforte ist bereit, alle in sich aufzunehmen wie die unersättliche Gier des Totenreiches (Spr 27,20).

Die Straße des Weltlebens ist breit, denn sie gestattet dem Sünder, alles mitzuschleppen, was ihm beliebt, uneingeschränkt durch Zucht, Sitte und Gebot. Viele wandeln darauf, zumal da es keine Mühe kostet, diese breite Heerstraße des Verderbens zu finden und sie zu verfolgen.

Wie kommt es, dass die Pforte so eng ist, durch die wir eindringen müssen, um das ewige Leben zu erlangen?

Der Mensch möchte gerne so vieles mitnehmen, er möchte das ganze Gefolge seiner Sünden, oder wenn dies nicht, doch wenigstens einige, die ihm besonders ans Herz gewachsen sind, in das Himmelreich mitnehmen. Aber hiermit beladen kann er nicht durch die enge Pforte, ja wenn sein Herz auch nur an einer einzigen Sünde wissentlich festhält, so ist die Pforte zu eng; mit einem solchen Auswuchs behaftet, kann der Mensch nicht hinein. Er muss alles, was er als Sünde und Übertretung erkannt hat, verabscheuen und von sich werfen.

Wenn es nicht die Sünde ist, die der Mensch durch die enge Pforte mit hineinbringen will, so schleppt er sich mit etwas anderem, was ihm ebenso den Eingang unmöglich macht, und dies ist das Vertrauen auf seine eigene Gerechtigkeit. Er hat Wohlgefallen an sich selber, er gedenkt dessen, dass er nicht so schlimm ist wie andere Leute, er erinnert sich gerne, dass er schon etwas für Gott getan oder aufgeopfert hat, und indem er seine Tugenden vor sich herträgt, findet er die Pforte viel zu eng; denn es ist die Pforte der Buße. Wer da hineingehen will, muss sich selbst richten, ganz gering in seinen eigenen Augen werden und als ein armer Staub sich demütigen, um die Vergebung der Sünden, die Kindschaft und das ewige Leben als ein Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit zu empfangen. Einmal in seinem Leben muss der Christ ein zerschlagenes Herz bekommen und vor sich selbst ganz zunichte werden.

Eine andere Pforte zum ewigen Leben gibt es nicht. Wohl uns, wenn wir frühe schon eindringen; denn durch längeren Aufschub wird der Kampf, den es kostet, nur erschwert.

Doch Gott sei Dank, die Pforte ist in der Wirklichkeit nicht ganz so eng, wie sie einer geängsteten Seele aus der Entfernung vorkommt Wir müssen als Kinder in das Himmelreich eingehen.

Ein Kind kann am ersten durch diese Pforte dringen; die Gnade Gottes kommt uns entgegen und schafft in uns, wenn wir herzlich danach verlangen, den Kindessinn und hilft uns hindurch. Gott ist uns entgegengekommen und hat uns bereits in einen Stand versetzt, wo uns kindliche Reue geziemt, nicht knechtische Marter. Wir sind getauft, und die Sünden, die wir als Getaufte begangen haben, wiegen schwerer und sind verabscheuungswürdiger vor Gottes Augen als die Missetaten der Heiden, die von Gott nichts wissen. Aber wir sind gewiss, Gott gedenkt noch an Seinen Bund, den Er mit uns in der heiligen Taufe aufgerichtet hat. Wenn wir in Staub und Asche zu Ihm flehen und in Jesu Namen Ihn anrufen, so erkennt Er in unserer Stimme die Stimme Seiner Kinder und eilt uns als Vater entgegen.

So hilft Er uns Selbst durch die enge Pforte, und jenseits derselben empfängt uns die göttliche Liebe. Die Freude der Engel im Himmel umtönt uns und widerhallt aus unseren Herzen. Gott verfährt mit uns wie der Vater mit dem verlorenen Sohn (Lk 15,22.23).

Er bestätigt uns aufs neue in dem Besitz der Kindschaft, erquickt uns reichlich in Seiner Nähe und rüstet uns mit Kraft zu einem neuen Wandel aus.

Sind wir durch die enge Pforte gedrungen, dann kommt der schmale Weg, den wir einhalten müssen bis an das Ende, um das geschenkte ewige Leben nicht wieder zu verlieren. Auf dem schmalen Pfad ist Vorsicht, Wachsamkeit und Selbstbeherrschung notwendig, denn es sind Abgründe zur Rechten und zur Linken. Auf der einen Seite liegt Leichtsinn und Verweltlichung, die Gefahr des Nachlassens in der Selbstzüchtigung, die Gefahr des Spielens mit der Sünde.

Auf der anderen Seite liegt geistlicher Stolz, Ungehorsam gegen die Ordnungen Gottes und Vermessenheit. Unterwegs sind Fallstricke von Satan und von der Welt gelegt. Aber die Treue des Herrn und Seine Macht ist groß. Geben wir uns Ihm kindlich hin, so wird Er das gute Werk, das Er in uns angefangen hat, vollenden. Bleiben wir nur auf dem schmalen Weg, so wird Er uns in der Heiligung fördern und dem himmlischen Ziel näherbringen.

Die Menge der Menschen wandelt in Gleichgültigkeit und weltlichem Sinn auf dem breiten Weg. Die Frommen sollen sich ihr nicht gleichstellen, aber es gibt für die Frommen noch eine andere, ganz besondere Gefahr: sie kommt von den falschen Propheten.

Propheten sind von Gott erleuchtete Männer, die Seinen Willen den Menschen zu verkündigen haben.

Die falschen Propheten, von denen der Herr spricht, sind solche, die den wahren Propheten täuschend ähnlich sehen. Sie reden mit Begeisterung, und das, was sie sagen, sind mitunter große Wahrheiten. Sie wären imstande, selbst Auserwählte zu täuschen, wenn nicht eines wäre, nämlich die Früchte, an denen man sie erkennt. Sie kommen in Schafskleidern, das heißt, sie geben vor, zu den Schafen Christi zu gehören, aber inwendig sind sie reißende Wölfe. Der Geist, der sie beseelt, ist nicht der Geist Christi. Sie sind nicht wirkliche Nachfolger des Lammes, sie sind (vielleicht ihnen selbst unbewusst) Werkzeuge des Feindes, der wie ein Wolf in die Herde Christi einbricht.

Nicht jeder falsche Lehrer ist auch ein falscher Prophet im eigentlichen Sinne des Wortes. Der Herr hat besonders solche im Auge, die mit einer hinreißenden, übernatürlichen Kraft ausgerüstet sind. Solche waren bereits aufgetreten. Judas aus Galiläa stand auf, als die Schätzung des römischen Kaisers vollzogen werden sollte, mit dem Vorgeben, er sei gesandt, um Israel von dem Joch der Heiden zu befreien, und stürzte viele ins Unglück (Apg 5,37).

Später, zur Zeit des jüdischen Krieges und der Belagerung Jerusalems, erhoben sich solche Eiferer in Menge und beschleunigten durch ihre falschen Vorspiegelungen den Untergang der heiligen Stadt. Diese Männer waren den Propheten des Herrn im Alten Bund täuschend ähnlich und doch falsche Propheten, reißende Wölfe.

Wie nun solche durch Zulassung Gottes unter dem Volk Israel aufstanden, sei es zur Prüfung, sei es zur Strafe, so sind sie auch in der christlichen Kirche zu erwarten. Paulus sah, dass sie nach seinem Abschied kommen würden (Apg 20,29.30). Petrus hat vor seinem Hinscheiden von ihnen geweissagt. 2 Petr 2,1.

Der Herr Selbst hatte zur Warnung für Israel und zur Warnung für Seine Kirche sie angekündigt (Mt 24,11).

So muss denn dies Wort uns mit Furcht erfüllen und zur größten Vorsicht bestimmen, wenn Männer auftreten mit dem Vorgeben einer göttlichen Sendung an die christliche Kirche. Darum wollen wir unsere Pflicht mit allem Ernst erfüllen, und diese Pflicht heißt:

„Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind” (1 Joh 4, 1).

Es heißt nicht: Hütet euch vor allen Propheten, sondern vor den falschen. Es heißt nicht: Weiset alle, die als Propheten auftreten, ungeprüft oder nach einer oberflächlichen Prüfung zurück. So verkehrt haben viele Christen die Warnung des Herrn aufgefasst.

Aber der Herr hat nie so etwas gesagt: Hütet euch vor allen Propheten. Er hat im Gegenteil gesagt: „Siehe, Ich sende zu euch Propheten” (Mt 23,24 und Lk 11,49).

Ist es gefährlich für unsere Seelen, einen falschen Propheten aufzunehmen, so ist es auch gefährlich, einen von Gott gesandten Propheten zu verwerfen. Mag es eine schwere Aufgabe sein, die Geister zu prüfen; sie ist uns auferlegt, sie ist unabweisbar, und kein Christ darf sich dem Ernst dieser Aufgabe entziehen. Das Auftreten zahlreicher falscher Propheten in unserer Zeit macht natürlich die Gläubigen ängstlich, und sie gehen im allgemeinen solchen Sachen aus dem Weg, anstatt mit Gewissenhaftigkeit und Entschlossenheit und mit Anwendung des rechten Maßstabes zu prüfen. Aber solches Ausweichen ist nicht dem Wort des Herrn gemäß. Es ist auch nicht der Vernunft gemäß.

Die falsche Münze wird von Betrügern in Umlauf gesetzt, aber wer wird deswegen alle Münzen verwerfen?

So sind die falschen Propheten ein Gemächte, womit Satan die Propheten des Herrn nachäfft, sie verdächtig, verächtlich und lächerlich zu machen sucht; aber das sollte ihm bei den Kindern Gottes nicht gelingen. Gäbe es gar keine echte Münze, so würde es dem Betrüger nicht einfallen, falsche Münze zu verfertigen. Darum gilt es, die Mühe einer ernsten Prüfung nicht zu scheuen.

Nun gibt uns der Herr die tröstliche Zusage:

„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.”

Wie Er es in der Natur geordnet hat, dass jeder Baum seine Frucht bringt nach seiner Art und an der Frucht die Beschaffenheit des Baumes erkannt wird, so hat Er es auch auf dem geistigen Gebiet festgesetzt: „Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.”

Unter den Früchten ist Lehre und Leben zu verstehen. Gute Früchte sind:

  • schriftgemäße Wahrheit,
  • reiner Wandel und
  • heiligende Wirksamkeit.

Findet man diese Früchte und sagt man dann dennoch, die Männer, an denen man diese Früchte wahrnimmt, sind falsche Propheten, so redet man damit gegen das Wort des Herrn und zugleich gegen die Vernunft.

„Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?”

Antwort: Nein.

Die Trauben wachsen an dem Weinstock Christus, die Feigen an dem Baum, den der Herr in Seinem Garten gepflanzt hat.

Also diese große Beruhigung gewährt uns der Herr durch Seine untrügliche Zusage: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Der Herr will nicht zugeben, dass die falschen Propheten gute Früchte bringen.

Er will Selbst dafür sorgen, dass ihre bösen Früchte offenbar werden.

Mag es dem Satan gelingen, in anderen Stücken:

  • in Wundertaten,
  • in äußeren Erfolgen,

das Wirken des Herrn nachzuäffen, nie, soll es ihm gelingen, die edlen Früchte:

  • heiligende Wahrheit,
  • Reinheit des Herzens,
  • Demut und Liebe,
  • Hoffnung und Gottseligkeit

zustande zubringen.

Der Herr Selbst will alles leiten, dass den Kindern Gottes die bösen Werke der falschen Propheten, die argen Früchte des widerchristlichen Geistes, der in ihnen ist, wahrnehmbar werden.

„Sie werden es in die Länge nicht treiben, ihre Torheit wird offenbar werden jedermann” (2 Tim 3,9).

Es gibt wohl kein größeres Leiden für die Kinder Gottes in dieser Welt als dieses, dass sie so viel Verführung sehen müssen und nicht abstellen können. Auch das Auftreten falscher Propheten, welche den Namen des Herrn missbrauchen und um welcher willen der Weg der Wahrheit verlästert wird, muss uns bittere Schmerzen verursachen. Doch wird es nicht immer so bleiben.

„Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird ab gehauen und ins Feuer geworfen.”

Einen solchen Baum lässt Gott in Seinem Garten wohl eine Zeitlang stehen, aber nicht auf immer. Er duldet das Auftreten falscher Propheten, damit die rechtschaffenen Christen offenbar werden, die unredlichen oder leichtfertigen ihre Strafe empfangen.

Aber Er lässt es nicht dabei bewenden, Er eifert für Seine Ehre und erbarmt sich Seines Volk es. Endlich wird Er ins Mittel treten. Die Ärgernisse, die Verführungen, die Irrlehren werden ein Ende nehmen auf immer. Die Bäume, die böse Frucht bringen, werden gefällt und in das Feuer geworfen.

Auch den unfruchtbaren Bäumen im Garten Gottes gilt diese Warnung. Sie richtet sich an jeden von uns. Nachdem der Pfleger des Weinbergs, Christus, so viel Mühe an uns gewendet, nachdem Er für uns, da wir schon die Ausrottung verdient hatten, bei dem Herrn des Weinbergs gebeten hat (Lk 13,6-9), so erwartet Er nun, edle Früchte an uns zu finden.

Einen jeden einzelnen wird Er beurteilen nach der Frucht, die Er an ihm findet, wenn Seine Zeit, Früchte zu suchen, gekommen ist.

Möge dann niemand unter uns sein, der die jetzige Segenszeit unbenützt hat vergehen lassen, denn, wenn sie abgelaufen ist, dann erst Früchte bringen zu wollen, das ist zu spät!

Meine Seele lebt in mir
Durch die süßen Lehren,
So die Christen mit Begier
Alle Tage hören.
Gott eröffnet früh und spat
Meinen Geist und Sinnen,
Dass sie Seines Geistes Gnad
In sich ziehen können.
Was sind der Propheten Wort
Und Apostel Schreiben,
Als ein Licht am dunkeln Ort,
Fackeln, die vertreiben
Meines Herzens Finsternis,
Und in Glaubenssachen
Mein Gewissen fein gewiss
Und recht grundfest machen.
Nun auf diesen heil‘gen Grund
Bau ich mein Gemüte;
Sehe, wie der Höllenhund
Zwar dawider wüte;
Gleichwohl muss er lassen stehn,
Was Gott aufgerichtet,
Aber schändlich muss vergehn,
Was er selber dichtet.

(Paul Gerhardt)

Vom Tun des göttlichen Willens - Mt 7, 21-27

„Es werden nicht alle, die zu Mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun Meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu Mir sagen an jenem Tag: Herr, Herr! haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in Deinem Namen viele Taten getan? Dann werde Ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von Mir, ihr Übeltäter. Darum, wer diese Meine Rede hört und tut sie, den vergleiche Ich einem klugen Mann, der sein Haus auf einen Felsen baute. Da nun ein Platzregen fiel und ein Gewässer kam und wehten die Winde und stießen an das Haus, fiel es doch nicht, denn es war auf einen Felsen gegründet. Und wer diese Meine Rede hört und tut sie nicht, der ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf den Sand baute. Da nun ein Platzregen fiel und kam ein Gewässer und wehten die Winde und stießen an das Haus, da fiel es und tat einen großen Fall.”

Ein Wort, nicht an die Gegner des Herrn oder an die, welche von Ihm nichts wissen, sondern an uns, die wir zu Ihm geführt worden sind und Ihn kennengelernt haben:

„Es werden nicht alle, die zu Mir Herr, Herr! sagen, in das Himmelreich kommen.”

Wir nennen Ihn Herr und tun wohl daran. Wer von Herzen Jesum als seinen Herrn bekennt, der hat es von dem Heiligen Geist empfangen und gelernt. Es ist Gnade von Gott, wenn jemand bekennt, dass Jesus der Herr ist, denn der natürliche Mensch und der fleischliche Verstand ohne die Gnade sieht in Ihm nur einen Menschen. Aber wenn uns durch christliche Erziehung und Unterweisung in der Kirche diese Gnade zuteil geworden ist, gerade dann ist es Zeit für eine solche Warnung. Sie gilt denen, die wirklich zu Jesus gekommen sind (Lk 6,47). Wer zu Mir kommt, sagt Er, den will Ich nicht hinausstoßen. Wer auch nur eine einzige Sünde herzlich bereut und zu dem Heiland flüchtet, dem erzeigt Er Barmherzigkeit und nimmt ihn unter Seine Jünger auf. Da beginnt ein solcher, Jesum seinen Herrn zu nennen; aber da fängt auch die Prüfung an. Nun muss es sich zeigen, ob es uns Ernst damit ist, den Willen des himmlischen Vaters zu tun. In der christlichen Gemeinschaft, der wir eingefügt sind, werden wir angeleitet, Jesum Christum als unseren Herrn anzuerkennen und anzubeten. Das ist der Inhalt unserer Gottesdienste, da nennen wir Ihn auf die feierlichste Weise Herr.

Wenn der jüngere Plinius von den Christen sagt: „Sie stimmen in ihren Versammlungen Christo als Gott einen Lobgesang an”, so bezeichnet er ganz richtig die Hauptsache im christlichen Gottesdienst.

Aber die christliche Gemeinschaft ist zugleich die Schule, in welcher wir stufenweise den Willen Gottes kennenlernen und uns in der Erfüllung dieses Willens üben sollen.

Das ist also die Gefahr, vor welcher der Heiland mit so ernster Rede uns schützen will, dass wir nach den ersten Erfahrungen der Gnade, während wir am Gottesdienst und den heiligen Handlungen teilnehmen, oberflächlich und gleichgültig in Beziehung auf die Heiligung werden und es mit der Erfüllung der Gebote Gottes leicht nehmen. Dadurch kann man in einen Zustand der Selbsttäuschung und des Schlafes geraten, aus welchem der Herr uns mit diesem Donnerwort aufwecken möchte:

„Es werden viele zu Mir sagen an jenem Tage: Haben wir nicht in Deinem Namen viele Taten getan? Dann werde Ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von Mir, ihr Übeltäter!”

Es sind die Heuchler, zu denen Er solches sagen wird. Unter Heuchlern versteht man gewöhnlich solche, die mit Gottes Namen wissentlich lügen und betrügen, die sich für Jünger des Herrn ausgeben, während sie sich bewusst sind, dass sie Knechte der Sünde sind. Mit solcher bewussten Lüge fängt die Heuchelei an.

Eine Zeitlang zeugt das Gewissen dagegen. Aber unterdrückt man anhaltenderweise die Stimme des Gewissens, so wird man zu einem Heuchler anderer Art, der gar nicht mehr weiß, dass er ein Heuchler ist, der fort und fort Sünde tut und dabei meint, es stände gut mit ihm, weil er aus alter Gewohnheit Herr Herr sagt.

Von dieser schrecklichen Selbsttäuschung sagt der Herr, sie könne fortdauern bis zu der Stunde, wo Er kommen wird. Wenn Er die Seinen zu Sich genommen und die Tür verschlossen hat, werden solche draußen stehen und anklopfen und sagen:

„Herr, tu uns auf, wir haben vor Dir gegessen und getrunken und auf den Gassen hast Du uns gelehrt”, aber es wird ihnen nichts helfen (Lk 13,25-27).

Sie werden sagen: „Haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt und Teufel ausgetrieben?”

Aber auch das wird nicht gelten. Man kann nicht sagen, dass dies gelogen sei, was sie anführen. Im Gegenteil, wir lernen daraus, man kann in der Kirche eine Gabe und ein Amt empfangen und ausüben und zuletzt doch noch als ein Übeltäter erfunden werden.

Wie ist das möglich?

Wenn eine Gabe, wenn ein kirchliches Amt den Inhaber heiligte und in der Heiligung bewahrte, so wäre ein solcher Ausgang unmöglich. Aber hier sehen wir, dass die Gabe und das Amt den Besitzer nicht heilig macht, sondern er muss ebenso wie ein anderer Christ, der keine Gabe ausübt und kein Amt hat, in Christo bleiben, über sich selbst wachen, beten, Ermahnung und Zurechtweisung annehmen und sich im Halten der Gebote Gottes üben, um von dem Herrn anerkannt zu werden.

Die geistliche Gabe und die Amtsgnade muss zur Ehre Gottes angewendet werden und um den Brüdern zu dienen. Wer seine eigene Ehre und seinen Vorteil damit sucht, der missbraucht das Anvertraute und wird als Übertreter erfunden.

Der Herr in Seiner Güte und Großmut vertraut uns geistliche Gaben und kirchliche Ämter an, damit ist aber noch keine Bürgschaft gegeben, dass wir vor Ihm bestehen werden. Er wartet nun erst ab, wie wir uns bewähren. Dienen wir Ihm und den Brüdern in Demut und Einfalt, so wird unser Lohn und unsere Freude groß sein im Himmel; wenn aber nicht, so wäre es besser für uns, nie eine Gabe und nie ein Amt empfangen zu haben.

Nun sehen wir deutlich, wie nötig es ist, dass geistlich begabte Christen unter der Aufsicht von Lehrern stehen, die über ihre Seelen wachen, und dass sie sich von diesen sagen lassen. Wir lernen, wie nötig es ist, dass auch Seelsorger selbst einen Seelsorger haben. Lehrer, die biblisch predigen und ermahnen, aber selbst nicht danach tun, sind wie die Zimmerleute des Noah, die in seinem Auftrag am Bau der Arche arbeiteten, aber selbst in der Sintflut untergingen.

Der Herr schließt mit einem Gleichnis, das Seinen Zuhörern gilt. Er spricht von dem Mann, der sein Haus auf den Felsen baut und von dem Mann, der es auf Sand baut. Es ist ein seliger Stand, wenn wir zu den Füßen des Herrn sitzen, Seine Rede hören und von Ihm erleuchtet werden dürfen. Dies erfuhren die Jünger, die der Herr damals um Sich gesammelt hatte.

An die ganze Schar Seiner Jünger hat Er die Bergpredigt gerichtet (Lk 6,17), und nun sagt Er ihnen zum Schluss, dass auf diese ruhige und freudenreiche Zeit eine andere Zeit kommen werde, wo die Stürme wehen und die Wasser daher brausen werden.

Es wird ein Kampf geben gegen böse geistige Mächte und gegen feindselige Menschen; dann wird es sich erst zeigen, wer recht gehört hat, das heißt, wer nicht bloß ein Hörer, sondern auch ein Täter des Wortes ist.

Dieser allein ist der kluge Mann, der sein Haus auf den Felsen baut, der andere ein törichter, der es auf den Sand gebaut hat. Der Bau auf dem Sand, wo man nicht erst nachgräbt und einen tiefen Grund legt, geht leicht und schnell vonstatten.

Ein Gebäude christlicher Erkenntnis ist bald aufgerichtet, wird aber dabei das Tun der Worte Jesu versäumt, so wird das Haus einen großen und plötzlichen Fall tun. Hieraus mag jede einzelne Seele Weisheit lernen.

Doch nicht bloß den einzelnen ist dies gesagt, es gilt auch ganzen Gemeinschaften, es gilt der christlichen Kirche. Eine christliche Gemeinschaft, welche sich rühmt, dass sie die rechte Lehre habe, sehe wohl zu, dass sie auch danach tue. Unterlässt sie dies und hält sie etwa gar ihr rechtgläubiges Bekenntnis für einen hinreichenden Ersatz ihrer Versäumnisse im Befolgen der Gebote des Herrn, so ist ihr Urteil in diesem Schlusswort der Bergpredigt schon gesprochen.

Eine solche Gemeinschaft baut sich ein Haus, welches in den Stürmen der letzten Zeit und beim Herannahen der Gerichte nicht standhalten wird. Ein solches Haus fällt in Trümmer beim Kommen des Herrn. Die christliche Kirche ist bestimmt, als ein unvergänglicher Bau zu bestehen, die Gefahren der letzten Zeit zu überdauern, bei der Wiederkunft Christi anerkannt, befestigt und mit Seiner Herrlichkeit erfüllt zu werden. Das ist die Absicht des Herrn mit ihr. Darum hat Er verheißen: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”

Aber Er hat die Zusage mit einer Bedingung verknüpft:

„Lehret die Völker halten alles, was Ich euch befohlen habe” (Mt 28,20).

Das Wort des Herrn, das ganze Wort des Herrn und nichts als das Wort des Herrn soll in ihr gelten. Mit der Tat soll es befolgt und ausgeführt werden.

Die Gefahren, die der Herr angekündigt hat, sind gekommen. Bald werden die Winde losgelassen, die jetzt zum großen Teil noch zurückgehalten sind, die bösen Geistesmächte, von denen die Völker aufgeregt werden gegen den Herrn, Sein Wort, Seine Stiftungen, gegen alles, was christlich, ehrwürdig und heilig ist.

Das Meer und die Wasserwogen werden brausen, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Erwartung der kommenden Dinge. Ganze Völker, die abgewichen sind vom Glauben und vom Gehorsam gegen die Gebote Gottes, werden sich erheben, und wenn diese wilden Wasser die Länder der Christenheit überfluten, wird es sich zeigen, ob ein Bau vorhanden ist, der sich in Wahrheit auf den Felsen Christus gründet.

Nur eine Gemeinschaft, welche wirklich die Rede des Herrn hört und tut, ist ein solcher Bau. Eine solche zustande zubringen, das ist nicht das Werk eines Menschen, sondern des Herrn Werk. Er ist es Selbst, der Seinem Volk dazu helfen will. In dieser Absicht sucht Er uns mit Seinen Segnungen heim. Damit uns Anteil an diesen Segnungen bleibe, müssen wir alle darauf bedacht sein, die Worte des Herrn zu hören und zu tun. So werden wir bleiben und bestehen in dem unvergänglichen Hause des Herrn, in Seiner Einen heiligen Kirche. In ihrer Mitte warten wir auf Sein Heil. Möge in ihr unser Los sein auf immer und ewig!

Ich gebe Dir, mein Gott, aufs Neue
Leib, Seel und Herz zum Opfer hin.
Erwecke mich zu neuer Treue,
Und nimm Besitz von meinem Sinn.
Es sei in mir kein Tropfen Blut,
Der nicht, Herr, Deinen Willen tut.

(Joh Jak Rambach)

Nun so gib, dass meine Seele
Auch nach Deinem Bild erwacht;
Du bist ja, den ich erwähle,
Mir zur Heiligung gemacht.
Was dienet
zum göttlichen Wandel und Leben,
Ist in Dir, mein Heiland,
mir alles gegeben;
Entreiße mich aller vergänglichen Lust;
Dein Leben sei, Jesu, mir einzig bewusst.

(Joh Heinrich Schröder)

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