Theremin, Franz - Von der Traurigkeit.

Theremin, Franz - Von der Traurigkeit.

Am Sonntage vor der Gedächtnißfeier der Verstorbenen 1832.

Zweite Epistel an die Korinther, K. 7. V. 10
Die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit eine Rene die Niemand gereuet; die Traurigkeit aber der Welt wirket den Tod.

Die Traurigkeit wie die Freude, meine Brüder, ist von großer Bedeutung für das innere Leben des Menschen, und deshalb ist es nothwendig über beide die Belehrung der Schrift zu vernehmen. Heute soll von der Traurigkeit unter uns die Rede seyn. Diese Bettachtung ist der jetzigen Jahreszeit angemessen, wo die äußere Natur gleichsam in einem Trauerkleide erscheint. Sie soll vornehmlich nach unserer Absicht eine Einleitung seyn zur Feier des nächsten Sonntages, und Euch vorbereiten in heiliger Trauer eurer Hingeschiedenen zu gedenken. Und was haben wir Euch denn Wichtiges über die Traurigkeit zu sagen? Das was die Schrift in unserm Texte darüber sagt; daß es nämlich eine doppelte gibt: eine Traurigkeit der Welt, und eine göttliche Traurigkeit. Die erste wird empfunden wenn man Gott verläßt um sich der Welt hinzugeben; die zweite wenn man sich von der Welt losreißt um Gott zu suchen. Die erste wird stets tiefer und tiefer bis sie in gänzliche Unseligkeit endet; sie wirket den Tod; die zweite wird stets leichter und leichter, bis sie sich selbst verzehrt und sich in Seligkeit auflöset; sie wirket zur Seligkeit eine Reue die Niemand gereut.

Der Traurigkeit also, geliebte Brüder, werdet Ihr niemals entgehn; denn es gibt nur zwei Richtungen in denen das Gemüth sich bewegen kann - entweder von Gott zur Welt, oder von der Welt zu Gott; und in beiden ist Traurigkeit unvermeidlich. Euch ist nur die Wahl überlassen; und Wolltet Ihr nicht lieber die göttliche Traurigkeit wählen, die zur Seligkeit, als die Traurigkeit der Welt, die zum Tode führt?

Daß Ihr diese Wahl treffen möget sey der Segen dieser Betrachtung, in welcher ich Euch die eine wie die andre Traurigkeit in ihrem Wesen und in ihren Wirkungen darstellen will. Ich rede zuerst von der Traurigkeit der Welt; und zweitens von der göttlichen Traurigkeit.

Wenn man die Traurigkeit, wie es zuweilen geschieht, unbedingt für etwas Edles und Gutes, ja überhaupt für höher und für besser hält, als die Freude, so wird ihr ohne Zweifel dadurch zu viel Ehre angethan; denn es gibt auch eine Traurigkeit der Welt, die alsdann entsteht, wenn man Gott verläßt um sich der Welt hinzugeben, die also mit Schuld verbunden, und nichts Anderes ist als der erste Grad jener Strafe, womit Gottes Wort die Sünde bedroht, wenn er spricht: Der Tod ist der Sünde Sold. Gott ist das höchste Gut; sein Wille ist das vollkommenste Gesetz; seine Macht regiert die Welt: ist der Mensch mit Gott verbunden, so findet er Befriedigung für seine Sehnsucht, heilsame Thätigkeit für seine Kräfte, Trost für sein Herz im Vertrauen auf den Schutz des Höchsten; sein Inneres fühlt sich belebt, über seine gewöhnlichen Grenzen hinaus erweitert; er ist ruhig, zufrieden, selig. Sobald er Gott verläßt, um sich der Welt hinzugeben, so tritt ein beschränktes Gut an die Stelle des unendlichen, und das Verlangen bleibt unbefriedigt; so nehmen seine Kräfte eine Richtung, die er nie ganz billigen kann, und wobei das Vertrauen auf den Beistand des heiligen und gerechten Gottes ihn verläßt. Er fühlt sein inneres Leben gehemmt, gefesselt, gebunden; und dieß Gefühl der Hemmung des innern Lebens, ist Traurigkeit; diese Traurigkeit in ihrem äußersten Gipfel, ist Tod.

In der That, meine Brüder, pflegt mit den irdischen Neigungen und Leidenschaften zugleich auch die Trauer sich zu entwickeln und hervorzutreten. Das Kind ist noch froh, denn es ist unbefangen. Die Welt steht ihm als etwas Unbestimmtes, Allgemeines gegenüber, aus welchem es nach Laune und Bedürfniß bald dieses, bald jenes hervorgreift, ohne doch jemals einen und denselben Gegenstand mit beharrlicher Leidenschaft zu verfolgen. Woher aber schon so oft auf der Stirn des Jünglings und der Jungfrau diese dunkele Wolke; auf ihrem Angesichte dieser Ausdruck von Trübsinn und Mißvergnügen? Sie haben ihre Wünsche einfangen lassen in einzelne Begierden und Leidenschaften; sie wollen nicht das ewige, geistige Gut, sondern ein bestimmtes, beschränktes, irdisches. Und deshalb sind sie traurig; denn wo Leidenschaft ist, da ist auch Traurigkeit; und je mehr man sich der Leidenschaft ergibt, um so mehr versinkt man in Trauer.

Denn von wem soll nun der Mensch, der sich einer Leidenschaft ergeben hat, welchen Namen sie auch führe, die Erfüllung seiner Wünsche erwarten? Von Gott? Rein, das sagt ihm eine geheime Stimme, auf Gottes Beistand darf er nicht rechnen. Der fromme Christ freilich der sich der Reinheit seiner Wünsche und Absichten bewußt ist, der hat auch das Recht, sie dem Höchsten zu befehlen, alle Sorgen auf ihn zu werfen, und wenn er gethan hat was in seinen Kräften lag, ruhig den Erfolg zu erwarten. Aber der, welchen eine Leidenschaft treibt, fühlt auch daß er nicht auf den Segen von Oben, sondern nur auf die Gunst der Menschen, auf die Künste weltlicher Klugheit seine Hoffnung setzen darf. Er ganz allein hat alle seine Sorgen zu tragen, und er versenkt sich in die Tiefen ihrer martervollen Berechnungen. Er zählt nun die Menschen, die er schon gewonnen hat; die welche er noch gewinnen kann; die welche ihm entgegen sind; die Umstände, von welchen sich ein günstiger Einfluß erwarten, oder ein nachtheiliger befürchten läßt. Das lustige Gebäude, welches er aufführt, sieht nicht einmal fest in seinen eigenen Gedanken; die Wahrscheinlichkeit schwankt für oder wider den Erfolg. Indessen vergeht eine lange Zeit, und er empfindet die Qualen des Harrens, der Ungewißheit. O, denkt er, wann werde ich einmal in mein Haus eintreten, und erfahren daß Alles gelungen sey; wann wird man mit dieser Nachricht mich wecken! Endlich kommt der Augenblick der Entscheidung, aber sie fällt gegen ihn aus; Alles ist mißlungen, alle seine Hoffnungen sind getäuscht.

Und nun glaubt er daß es noch nie auf Erden einen so unglücklichen, so unschuldig gekränkten und verfolgten Menschen gegeben habe; daß in einer solchen unerhörten Lage auch der heftigste Ausbruch des Schmerzes erlaubt sey. Er ist ganz von Traurigkeit beherrscht und niedergebeugt; ja man möchte fürchten, daß die Verzweiflung sein Inneres zerrütten könnte. Was ist Dir? Sind Dir Vater und Mutter gestorben? - Nein, sie leben, und befinden sich wohl. - Läufst Du Gefahr zu darben und Noth zu leiden? Denn in einem solchen Falle ist einiger Kummer wohl zu verzeihen. - Ich besitze überflüssig Alles was das äußere Leben erheischt. - Ist Dir die Möglichkeit genommen, zu Gottes Ehre und zum Besten deiner Brüder zu wirken? - Nein, in dieser Rücksicht hat sich nichts mit mir verändert.

Was ist Dir denn? - Ach! ich unglücklicher Mensch! Ich habe dieß oder jenes - und nun führt er einen der Gegenstände seiner leidenschaftlichen Wünsche an, - nicht erlangen können. - Darüber kannst Du weinen, Da Du vielmehr Dich freuen solltest! - Mich freuen, wie? - Ja, Dich freuen, daß Dir Gott versagt hat, was eine Quelle wirklichen Unglücks, wahrer Schmerzen geworden wäre; daß er Dir Gelegenheit verschafft hat, darzuthun, an seinem Wohlgefallen sey Dir mehr gelegen als an Menschengunst, und wenn man so viel wahre Güter besitzt, könne man leicht einige falsche entbehren.

Ich will aber weinen, ich will mich abhärmen! - Höre, man verzeiht es einem Kinde, wenn es über sein zerbrochenes Spielzeug weint; und es hat auch mit seiner Betrübniß nicht viel auf sich, denn bald trocknet es seine Augen, und ist wieder froh wie zuvor. So ist es nicht mit deiner Traurigkeit, die hat eine ernste Bedeutung; sie entsprang aus der Sünde, und führt zur Sünde, indem sie Dich immer tiefer in die Leidenschaft versenkt, von welcher das Fehlschlagen deiner thörichten Hoffnungen Dich hätte heilen sollen. Es ist eine Traurigkeit der Welt, und die wirket den Tod.

Wir haben hier angenommen, die Wunsche der Leidenschaft würden vereitelt; aber wenn sie nun erfüllt werden, wie es doch auch geschehen kann und oft geschieht, wenn das ersehnte Gut errungen, die angestrebte Stufe erstiegen ist: sollte dann die Leidenschaft nicht ihre hohen Freuden haben können? Nein, die kann sie niemals haben. Der fromme Christ allein kann sich der irdischen Güter freuen, denn sie sind ihm ein reines Geschenk Gottes; die Gabe erhebt ihn zum Geber; er blickt gen Himmel, und spricht: Herr, ich bin viel zu gering aller der Barmherzigkeit und Treue, die Du an mir gethan hast. Sein Herz ist voll, nicht von dem irdischen Gute, sondern von Gott selbst, und darum ist er froh; und darum eben kann die Leidenschaft es niemals seyn, weil es sich bei ihr immer auf die entgegengesetzte Weise verhält. Von welcher Leidenschaft soll ich hier ein Beispiel nehmen? Ich wähle die Eitelkeit, den Stolz, und das um so lieber, weil er sich mit allen übrigen vermischt, und gleichsam ihre Grundlage bildet. Also die Eitelkeit, der Stolz eines Menschen haben eine unerhörte Befriedigung erhalten. Was bewirkt sie in ihm? Was anderes, als daß nun das ihm immer schon so theure Ich noch mächtiger in das Bewußtseyn tritt, es ganz ausfüllt, jeden andern Gegenstand, auch Gott selbst, daraus verdrängt. Der arme Mensch! An Gott könnte er denken, an ihm sich laben, könnte sich ergehn in der Anschauung seiner lieblichen und erhabenen Vollkommenheiten, könnte wie der Adler schweben im reineren Element, und dort mit unbeschreiblicher Freude die Flügel des Geistes üben: und er läßt sich beschränken und fesseln durch die Betrachtung eines so armen elenden Wesens als er selber ist! Ein solcher Mensch sollte froh seyn?

Will jedoch die Leidenschaft das Freude nennen, was sie in Augenblicken der Befriedigung empfindet, wo beim Stillstand der höheren Seelenkräfte die niedrigen um so gewaltiger sich regen: immerhin! Wir erinnern nur an das Wort der Schrift: Die Welt vergeht mit ihrer Lust, und bemerken daß diese Lust bald im Widerwillen an ihrem eigenen Gegenstande erstirbt, und daß auf die kurze Freude eine lange Traurigkeit folgt. Wir erinnern an das Wort des Herrn: Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele; und wir fürchten daß mancher leidenschaftlich Strebende es mag erfahren haben, daß, wenn er Schaden an seiner Seele litt, die ganze Welt, mit allen ihren Gütern und Freuden, ihm in der That nichts helfen, ihn nicht vor der entsetzlichsten Traurigkeit schützen konnte. Wie hat er gehofft und geharrt; wie hat er gearbeitet und geduldet; wie hat er Jahre lang immer dieß Ziel, dieß eine im Auge gehabt! Es war ein sündliches; er bediente sich sündlicher Mittel - dieß Alles ließ die Leidenschaft ihn nicht sehen. Jetzt fühlt er es auf einmal, jetzt da das Ziel erreicht, und das Gut errungen ist. Eben wollte das Herz ihm aufgehn vor Freude; aber da kam eine furchtbare Hand, und preßte es ihm zusammen mit ungeheurer Bangigkeit; denn er merkte, er hätte Schaden genommen an seiner Seele.

Aber diese Traurigkeit, ist sie noch Traurigkeit der Welt, ist sie nicht schon wegen der Reue die darin liegt, göttliche Traurigkeit geworden? Sie kann es werden, gewiß; aber immer und nothwendig ist sie es nicht. Wir sehen ja daß so viele Menschen Mittel finden sich von da aus in noch tiefere Traurigkeit und Sünde zu stürzen. Sie geben sich der Verzweiflung hin, entweder jener heftigen und gewaltsamen, wo der Mensch gegen sich selber wüthet, aller Hoffnung entsagt, und vielleicht in einem schrecklichen Augenblicke, wie Judas, seinem Leben ein Ende macht; - doch solche Beispiele sind selten; - oder, was häufiger geschieht, jener schläfrigen, trägen und dumpfen Verzweiflung, wo solch ein Unglücklicher meint, bessern könne er sich doch einmal nicht mehr; wahrscheinlich werde Gott ihn strafen; daran wolle er aber lieber gar nicht denken; eben so wolle er das Geschehene möglichst vergessen; und wenn sich in dem armen elenden Leben doch noch eine Freude fände - sie mitnehmen. - Soll man diese Aermsten, Unglücklichsten nicht beklagen? Freilich, auf's Tiefste! Aber zugleich zürnen soll man ihnen, daß sie, die Christen sind, die es wissen müssen daß kein Augenblick zu spät für die Bekehrung und keine Sünde zu groß für die göttliche Gnade ist, dennoch an dieser Gnade zweifeln, Gott die Ehre entziehn, auf welche er vor allem eifersüchtig ist, und zu ihren übrigen Sünden diese schreckliche Sünde hinzufügen. - Aber auch das ist Sünde, schreckliche Sünde was Andere thun. Klagen, weinen, winseln im Gefühle der Sünden, das, - so denken sie - ist nichts für uns; wir sind kräftige Menschen. Wir haben gefehlt; wer fehlte nicht aus Leidenschaft einmal in seinem Leben? Wie viel Schwächlinge gibt es nicht, die uns wegen unserer Vergehungen beneiden müßten! Und wenn wir diesen nun vollends unsere Vortrefflichkeit, und unser Verdienst entgegenstellen - dann nehmen wir es mit allen andern Menschen, und selbst mit Gott und mit seiner Gerechtigkeit auf. - Dieser Trotz führt zum Tode; - verzeiht mir, meine Brüder, ich kann mich als ein evangelischer Lehrer, nicht anders ausdrücken; - dieser Trotz führt zum Tode, zum ewigen Tode. Und er ist obenhin voller Traurigkeit. Denn glaubt man denn daß ihr Trotz diesen Menschen das Herz frei gemacht habe; daß es ihnen gelinge sich zu täuschen, nur für die kurze Zeit dieses Lebens, bis zum großen Augenblick der Entscheidung, wo alle Täuschung aushört? Auch das gelingt ihnen nicht einmal. David bezeugt es ihnen, wenn er ausruft: Da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine, denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir.

Ja schwer wird Gottes Hand auf diesen allen - und zwar auch durch die zeitlichen Leiden die er ihnen sendet. Siehe, wenn solche Dir widerfahren, Du, der Du den Herrn durch sündliche Traurigkeit erzürnt hast, so wisse, sie kommen von ihm; und seine Absicht ist, Dich durch göttliche Traurigkeit zu sich zurück zu führen. Solltest Du diese nicht empfinden? Er macht es Dir ja so leicht! Kann man, wenn man den Druck von Gottes Hand so schmerzlich fühlt, anders trauern als in ihm? Ach leider! man kann es; kann auch noch in solchen Fällen der weltlichen Trauer vor der göttlichen den Vorzug geben. Man kann seine Leiden auf einen Ursprung zurückführen, den man Zufall und Schicksal nennt, und sich weigern in ihnen den Rathschluß des lebendigen, weisen und heiligen Gottes zu erkennen. Man kann sagen: Es ist ein hartes Schicksal das mich verfolgt, mich von Kindheit an verfolgt hat; aber ich biete ihm Trotz, und wenn es mich auch beraubt, so soll es mich doch nicht beugen. Man kann in den Zerstreuungen und in dem Treiben der Welt, ohne jemals wahren Trost zu finden, seinen Schmerz, diese theure Gottesgabe, zersplittern und vergeuden. Dieß kann man; Viele thun es. Und es ist herzzerreißend zu sehn, daß sie selbst die Gnadenmittel in Versuchungen umkehren, und in ihrer weltlichen Traurigkeit verharren - bis diese den Tod wirkt.

Der Tod ist die Hemmung des Lebens. Wenn das Leben im Körper aufgehört hat, wenn er da liegt, starr, kalt, unbeweglich, bald ein Raub der Verwesung - ach! es ist ein trauriger Anblick! Die Seele wird nie aufhören zu seyn; sie wird auch nie aufhören zu leben in ihren niedern Kräften, wodurch sie auf die endlichen Dinge wirkt, und die Wirkung von diesen auf sich erfährt. Aber es gibt noch ein anderes Leben, das die Seele leben kann in ihren höheren Fähigkeiten, wodurch sie mit Gott zusammenhängt, und das aus Gott in sie hereinströmt; und dieß Leben kann allerdings einmal aufhören, wenn sie sich ganz Gott entzogen hat, und wenn Gott sich ihr gänzlich entzieht. Dann fällt niemals mehr in sie ein Strahl von Freude und Hoffnung; nichts ist in ihr als jene Traurigkeit, die sie immer in sich gehegt und gepflegt hatte, und von welcher sie nun gänzlich durchdrungen wird. Nichts ist in ihr als Finsterniß, und wie sollte nicht auch außer ihr Finsterniß seyn? Sie ist verfallen dem ewigen Tode.

Die Traurigkeit der Welt also wirket den Tod; doch die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit eine Reue die Niemand gereut; und diese göttliche Traurigkeit wollen wir nun zweitens in ihrem Wesen und in ihren Wirkungen betrachten.

Was ist sie in ihrem Wesen? Sie ist Buße, sie ist Reue. Dafür erklärt sie der Apostel, denn er sagt ja von ihr: sie wirket eine Reue die Niemand gereut; und es war ja auch die Empfindung der Reue und Buße, die er durch seinen früheren Brief an die Christen zu Korinth hervorgebracht hatte. Diese Gemeine war in große Verirrungen gerathen; sie trieb mit menschlichen Persönlichkeiten einen gewissen Götzendienst, und spaltete sich deshalb in mehrere Partheien; sie duldete in ihrer Mitte das Aergerniß schrecklicher Vergehungen; sie entweihte durch eine unwürdige Feier das Abendmahl des Herrn. Dieses Alles hatte Paulus mit dem vollen Ansehn und Gewicht seines Apostelamtes in seinem ersten Schreiben gerügt. Die Wirkung desselben war tiefe Trauer über die erkannten und eingestandenen Verirrungen, sie war Reue und Buße bei der Gemeine gewesen. Ich freue mich, sagt Paulus, daß Ihr seyd betrübt worden zur Reue. Diese Reue nennt er nun eine göttliche Traurigkeit, die zur Seligkeit führt.

O! wie ich Euch diese wünsche, meine Brüder! Wie ich mich freuen würde mit dem Apostel, wenn Ihr betrübt würdet zur Reue! Betrübt: ja wohl! Es ist eine recht große und tiefe Betrübniß die in der Reue liegt. Ich liebe mich ja, und es gibt eine Liebe, die darf ich, die soll ich für mich hegen, denn Gott selber liebt mich, und hat meine unsterbliche Seele so werth geachtet, daß er seinen eingebornen Sohn für sie hingab. Wäre sie nun doch auch mit allen den Vorzügen geschmückt, welche dem Gegenstande der Liebe des höchsten Gottes geziemen würden! Wäre sie rein, unschuldig, erfüllt von himmlischen Gedanken, frei von allem was Gott in ihr verdammt, und was sie selber in sich verdammen muß! Ich meinte eine Zeitlang, sie wäre es; aber in welchem Irrthum war ich befangen! Nun verzieht sich der Nebel der Täuschung; nun entkleide ich mich von allem was nachsichtige Freundschaft, was Schmeichelei, was mein eigenes stolzes Herz mir angedichtet hatten; nun streife ich von mir ab den Glanz der Geburt, der Ehren und Würden, die ich besitzen mag. Nun siehe ich da vor meinen Augen in der Gestalt, wie Gott mich kennt; und ach - wie häßlich; mit wie vielen Gebrechen behaftet; durch wie viele Flecken entstellt! Wodurch habe ich sie mir zugezogen? Dadurch daß ich immer nur mein Ich behaupten, immer nur die Welt genießen wollte, und nicht an Gott dachte. Ich finde Mißfallen an mir selbst; denn was besitze ich als mein eigen, das verdiente gepriesen zu werden? Ich habe Mißfallen an der Welt; denn welchen entsetzlichen Schaden habe ich nicht durch sie an meiner Seele genommen! Ich will mich von ihr losreißen - ach! da hält sie mich fest. Mag sie; ich reiße dennoch mich los, ich überwinde ihren Widerstand; ich gehe zurück auf dem Pfade den ich gekommen bin, weg von mir, weg von der Welt, hin zu Gott, zu Gott! - Das ist die göttliche Traurigkeit, meine Brüder, die kommt von Gott, führet zu Gott, ist Gott wohlgefällig.

Und auch jeder andere Schmerz, aus welchen Ursachen er mag entstanden seyn, wird in göttliche Traurigkeit verwandelt, sobald er uns zur Reue und Buße erweckt. Möchten wir doch auf diese Weise alle die kleineren Schmerzen, die ein jeder Tag mit sich führt, veredeln und heiligen! Die Menschen lassen unsere billigen Wünsche unerfüllt, verweigern uns die Achtung die wir fordern dürfen, treten als unsere Gegner auf, lohnen uns mit Undank für empfangene Wohlthaten. Wir haben Recht, und sie Unrecht; aber wenn wir nur dieß mit Heftigkeit, mit Erbitterung fühlen, so schaden wir uns selbst durch weltliche Trauer. Laßt uns lieber sprechen: Wer bin ich; was darf ich verlangen; und kann es mich befremden, da ich so oft Gott beleidigt habe, daß die Menschen mich beleidigen? - Das ist göttliche Traurigkeit.

Auch wenn jene größeren Trübsale uns treffen, wodurch unser ganzes Erdenglück nicht nur scheinbar, sondern wirklich erschüttert wird, und zu Grunde geht; auch dann ist der so natürliche, so unvermeidliche Schmerz noch nicht durchaus und nothwendig eine göttliche Trauer; sondern er wird es nur, wenn er uns treibt in unser Inneres, in unser vergangenes Leben zurückzugehn, und zu fragen: Sollte ich es nicht verschuldet haben durch frühere Vergehungen? Sollte ich es nicht verdienen als Strafe für so manche unlautere Neigung, für den Hochmuth, für die Eitelkeit, die ich noch immer in mir herrschen ließ? Sollte ich es wenigstens nicht bedürfen, dieß harte Mittel, damit die Bande, die mich an die Welt fesseln, nun endlich einmal zerschnitten winden? - Das ist göttliche Traurigkeit!

Von allen Leiden werden jedoch die durch den Tod herbeigeführten Trennungen einem fühlenden Herzen die bittersten seyn. Ach! daß so viel Schönes, Edles, Vor. treffliches zu Grabe getragen wird! Daß die Gewohnheit des Zusammenseyns, daß die gegenseitigen Erweisungen der Liebe und Freundschaft nun für dieß Leben aufhören müssen! Daß sie dahingehn, die Themen, und solche schreckliche Leere und Oede zurücklassen in dem Hause, wo sie segensreich walteten, und in dem Herzen das sie beglückten! Sie sind bitter diese Empfindungen, doch, damit sie zu einer göttlichen Traurigkeit werden, was sie noch nicht sind, müßt Ihr die Bitterkeit noch verbittern, müßt Ihr die Wunde noch tiefer schneiden; Ihr müßt sprechen: Der Tod ist der Sünden Sold! Darum weil wir von Gott abgefallen sind, müssen wir sterben; darum müssen wir die Unsrigen durch den Tod verlieren. Anders nicht als durch solche furchtbare Schmerzen können wir geläutert werden. So sollen sie denn wenigstens ihre Wirkung an mir nicht verfehlen. Sie sind gestorben, mein Vater, meine Mutter, meine Gattin, mein Kind. Auch ich will hingehn und sterben an meines Vaters und meiner Mutter Grab ^ der Sünde sterben: - das ist göttliche Traurigkeit! Möchtet Ihr das nahe bevorstehende Fest in diesem Sinne begehn!

Aber Ihr erschreckt vor dieser Zumuthung, und Ihr horcht lieber auf so manche leidige Tröster, die Euch sagen, die Schmerzen wären schon groß genug, es sey thöricht sie zu vermehren. Doch ich sage Euch, gehet vorwärts, denn nun seyd Ihr bald dahin gekommen, wo die Traurigkeit sich in sich selber verzehrt. Vor Euch, nahe vor Euch liegt die Seligkeit, welche die göttliche Trauer wirket, welche Christus verheißt, wenn er spricht: Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Je tiefer die Trauer war, um so größer wird die Seligkeit seyn, um so schneller werdet Ihr sie ergreifen, um so voller Euch aneignen. Denn es gibt schon in diesem Leben Augenblicke der Seligkeit, wo etwas Himmlisches, wo eine Empfindung ähnlich der, welche das Anschaun Gottes gewähren mag, in unser Herz kommt: das sind diejenigen, wo hervor aus allem unserem Jammer, plötzlich eine Stimme in uns rufet: Ich bin erlöset! Ich, der so sehr verderbte, so tief gesunkene, durch so manche Flecken entstellte, ich siehe da rein und begnadigt vor meinem Gott, ja schon umgeben von einem Schimmer jener zukünftigen Herrlichkeit, die mir mein Erlöser erworben hat. Wer ich auch seyn mag, er hat mich werth gehalten seiner Liebe, und da er mich selig haben wollte, so hat er sein Blut nicht zu theuer geachtet, um es für mich zu vergießen. - Sollte es wohl etwas Seligeres geben als dieses Gefühl; sollte es nicht den Besitz der ganzen Welt und aller ihrer Güter aufwiegen; und wenn es mitten unter den größten Schmerzen erwacht, sollte es nicht dafür entschädigen? Wir könnten es immer haben; an jedem Tage könnte es uns durchdringen, aber es zieht sich zurück vor jener leichten, oberflächlichen Freude, der wir uns so oft überlassen, und die der wahren Seligkeit schadet. O gesegnete Stunden der Trauer, wo wir es wieder finden! O göttliche Traurigkeit, welche diesen Keim der Seligkeit in sich trägt!

So ist es auch mit der freudigen Hoffnung des ewigen Lebens. Wir leugnen es nicht; es liegt da in seiner Herrlichkeit; aber ihr Glanz dringt nicht bis zu uns, weil die ganze sichtbare Welt dazwischen sieht; und wenn wir uns seiner freuen, so ist dieß eine matte Freude, ohne Rührung, ohne Verlangen. Aber wenn wir nun in die Tiefen der Trauer versinken, wenn wir verlieren und der Verlust als ein verdientes Loos uns erscheint; wenn wir fühlen daß das ganze Wesen dieser Welt, weil es mit Sünde behaftet ist, nicht dauern kann, und zu Grunde gehn muß; wenn wir uns dann halten an die Gewißheit der Begnadigung als an die einzige Stütze unter diesen erschütternden Schmerzen: siehe! dann sieht auch das ewige Leben, nah, deutlich, herrlich vor unsern Augen. Diejenigen welche vor Kurzem die Erde verließen, die wir unter so großen Schmerzen scheiden sahn, immer noch suchen und nicht finden - dort stehen sie, dieselben aber verklärt, bewegen sich in dem ewigen Lichte, umgeben den Herrn, und schauen mit gänzlich gestillter Sehnsucht zu ihm empor. Werden wir sie nicht bald ereilen; werden wir nicht bald wieder Hand in Hand mit ihnen, wie sonst auf den dornigen Wegen der Erde, dort auf den ebenen Pfaden des Himmels wandeln? Ist nicht der Tod, der sonst seine Schrecknisse zwischen uns und diese frohe Hoffnung stellte, nun überwunden durch heiße Sehnsucht? - So etwas fühlten wir nicht in den Tagen des Glückes; es mußten die dunkeln, durchwachten und durchweinten Nächte der Trauer kommen, um uns zu solcher Seligkeit zu verhelfen.

Und auch das ist eine selige Frucht der göttlichen Trauer daß sie Euch zum Fleiße in der Heiligung erwecken wird, wie sie ihn ja auch in der Gemeine zu Korinth erweckt hatte. Denn Paulus schreibt ihr: Siehe, daß ihr göttlich seyd betrübt worden, welchen Fleiß hat es in euch gewirkt, dazu Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlangen, Eifer, Rache! Verantwortung: Jene standen dem Paulus gegenüber, einem Menschen; da konnten sie sich verantworten, sich entschuldigen. Ihr stehet Gott gegenüber; da gilt keine Entschuldigung, da gilt nur die Abbitte, die Euch sonst so schwer ward, und die jetzt so voll und innig aus euerm betrübten und begnadigten Herzen strömt, daß Ihr nicht aufhören könnt zu rufen: Vergib, vergib, Vater im Himmel! Zorn: die weltliche Trauer verzweifelt; Ihr zürnt Euch, wie der Vater dem Sohne, wie Gott Euch zürnt; Ihr zürnt Euch daß Ihr das Werk der Besserung, das schon vor so langer Zeit hätte begonnen, das schon so weit hätte gefördert werden können - daß Ihr es immer verschoben habt. Ihr schwört in eurem heiligen Zorn: Nun soll es begonnen werden! Und Ihr beginnt es wirklich. Aber warum Furcht? Fürchtet Ihr etwa, Ihr möchtet es nicht hinausführen? Wißt Ihr nicht daß Ihr Alles vermöget in dem der Euch mächtig macht, Christo? O, Ihr zweifelt nicht an seiner Gnade; aber Ihr fürchtet die Versuchungen, die Euch so oft gefährlich, und die Regungen eures Herzens, die fast immer mit ihnen einverstanden waren; darum meidet Ihr die ersten, und unterdrückt die letzteren schon in ihrem Entstehn. Verlangen, Eifer! O Herr, der Du uns ein so vollkommenes Vorbild hinterlassen hast, - Dir zu nahen, in Deine Fußtapfen zu treten, das ist das würdige Ziel des Eifers und des Verlangens, die sonst auf die unwürdigsten Gegenstände gerichtet waren. Rache! Was soll die hier; diese schrecklichste der Leidenschaften, die kein Vergessen, kein Vergeben, kein Erbarmen kennt, die Jahre lang beharrlich ihren Feind verfolgt, und nur durch seinen Tod gesättigt wird? Was ein großes Verbrechen ist in Beziehung auf einen irdischen Feind, das ist oft große Tugend in Beziehung auf einen geistigen. Euer wahrer Feind ist die Sünde; Ihr haßt sie; Ihr verfolgt sie bis in die Tiefen eures Innern, wo sie sich verbirgt; Ihr ruhet nicht bis sie ertödtet ist: dieß ist eure Rache.

Wenn nun die Seele, getrieben von göttlicher Traurigkeit, diese Stufe erreicht, und sich Gott genaht hat durch Buße, Glauben, Hoffnung und Heiligung: sollte dann Gott sich nicht auch zu ihr kehren mit dem vollen Sonnenschein seiner Gnade? Sollte er nicht nach so vielen Schmerzen, nach so vielen Kämpfen, nach so manchem Verlust, sie mit seinem Frieden, den keine Vernunft geben noch begreifen kann, erfüllen? Sollte er ihr nicht zuweilen, auf ihren einsamen, von der Welt abgewendeten Pfaden, freundlich begegnen, und sie mit hohen Entzückungen durchströmen? Wird er nicht vielleicht dem müden Pilger die letzten Tage seiner Wanderschaft versüßen, so daß dieser vor dem Scheiden rühmen könne, er habe doch eigentlich von Gott und von seiner Gnade selbst an irdischen Gütern mehr empfangen, als die Leidenschaft jemals zu erringen im Stande ist?

Ihr, die Ihr durch Gottes Gnade geleitet, diese Stufe erreicht habt, wenn Ihr zurückblicket, und euer vergangenes Leben betrachtet, werdet Ihr nicht dem Apostel beipflichten, welcher von der göttlichen Traurigkeit sagt, sie wirke zur Seligkeit eine Reue die Niemand gereut? Was gereut Euch in euerm Leben? Manche eitle Freude, die Ihr genosset, manche eben so eitle Trauer, der Ihr Euch hingabt. Aber das, worauf euer Auge am freudigsten ruht, das was Ihr preiset als die segensreichsten Wendungen, die eure Laufbahn zu Gott zurückgeleitet haben, als die hellsten Punkte in eurer Vergangenheit, das sind eben jene dunkelen Stunden, die Ihr der göttlichen Traurigkeit widmetet.

Aber auch Ihr, an die wir immer so gern im Stillen gedenken, und deren Gedächtniß wir bald öffentlich feiern werden; theure Hingeschiedene, die ein Jeder unter uns jetzt mit dem bekannten, unvergeßlichen Namen nennt; Ihr die wir selig preisen aus voller Ueberzeugung; o herab von eurer lichten Wohnung antwortet uns, und sprecht: Wodurch seyd Ihr selig? Und sie antworten, wir vernehmen ihre Stimme in unserem Herzen: Wir sind selig durch Gott; in Gott. Wir glauben ihnen; denn das ist es ja auch, was der Herr uns lehrt, wenn er zu dem treuen Diener spricht: Gehe ein zu deines Herrn Freude; wenn er den Auserwählten zuruft: Kommt her zu mir; wenn er die selig preiset, die Gott schauen. Ist dieß aber eure Seligkeit, o Ihr Seligen, so begreifen wir, daß auch Ihr, als Ihr hienieden bei uns waret, manche Stunde göttlicher Trauer gehabt haben mögt. Was anders als schmerzliche Kämpfe im Innern; was anders als große äußere Trübsale die in jenen Kämpfen die Kraft des Geistes verstärkten, hätte wohl die Welt aus euerm Herzen verdrängen, und Euch fähig machen können Gott zu schauen? O wie mögt Ihr gerungen haben! Wohl viel öfter, heißer, kräftiger als wir bisher! Reuen Euch diese Kämpfe; reut Euch diese göttliche Traurigkeit? Vielmehr preiset Ihr den Herrn, daß er Euch durch sie vor ewiger Trauer bewahrt hat.

Und nun, indem der Schluß unserer Betrachtung zu ihrem Anfang zurückkehrt, wollen wir Gott bitten, daß wir, die wir nie der Traurigkeit entgehn können, nicht die weltliche Traurigkeit wählen, die zum Tode, sondern die göttliche Traurigkeit, die zur Seligkeit führt. Amen.

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