Theremin, Franz - Die Eine köstliche Perle.

Theremin, Franz - Die Eine köstliche Perle.

Mat. 13, 45-46
Abermal ist gleich das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte. Und da er Eine köstliche Perle fand, ging er hin und verkaufte alles was er hatte, und kaufte dieselbige.

Wenn man uns fragte, meine Brüder, welche Güter den größern Werth haben, die irdischen oder die geistigen; welche von beiden das tiefste Verlangen unserer Seele befriedigen; welche von beiden also auch mit größerem Eifer und Fleiß gesucht werden müssen: so würden wir Alle, wie aus einem Munde antworten: die geistigen!

Wenn man nun weiter fragte: Sucht Ihr aber auch die geistigen Güter mit dem Eifer und Fleiß, den sie verdienen? Habt Ihr unter denselben das höchste Gut erkannt und gefunden? Habt Ihr Alles angewendet, um Euch dieses zum Eigenthum zu erwerben? so fürchte ich sehr, es würde sich, wie man in diesen Fragen fortschritte, immer die Anzahl Derer vermindern, welche sie mit Ja beantworten könnten.

O wären doch die Kinder des Lichts eben so klug als die Kinder der Welt in ihrem Geschlecht; strebten sie doch nach geistigen Gütern eben so rastlos als diese um irdische sich bemühen! Ist der Kaufmann unseres Textes nicht vollkommen in seiner Art? Er sucht gute Perlen: das ist das Geschäft seines Lebens, und er widmet sich ihm ganz. Da findet er Eine köstliche Perle; er sieht sie, und erkennt sie mit geübtem Blicke sogleich für das, was sie ist: für den größten Schatz, der jemals aus den Gründen des Meeres ist gezogen worden. Er muß sie besitzen; das sieht bei ihm fest. Zwar der Preis, der dafür gefordert wird, ist ungeheuer. Sey's! Noch ungeheurer kann der Gewinn seyn? er ging hin, und verkaufte, was er hatte, und kaufte dieselbige. Das Himmelreich ist diesem Kaufmann gleich; die Himmelsbürger sollen sein Beispiel nachahmen, mit dem einzigen Unterschiede, daß das Geistige an die Stelle des Irdischen gesetzt werde. Sie sollen erstlich geistige Güter suchen. Sie sollen zweitens das Eine höchste geistige Gut erkennen und finden. Sie sollen drittens Alles hingeben, um es zu ihrem Eigenthum zu erwerben.

I.

Erstlich sollen wir geistige Güter suchen. Wie gern würden wir es thun - so erhebt sich hier eine Stimme, die mir zu Herzen geht; es ist die Stimme derjenigen, die durch die Sorge um das tägliche Brot gedrückt werden - wie gern würden wir es thun, wenn wir nur könnten! Ihr Glücklichen, die Ihr mit Allem, was das irdische Leben bedarf, hinlänglich und reichlich versehen send, Ihr behaltet wohl Freiheit des Geistes genug, um Euch mit Dingen von einer höheren Ordnung zu beschäftigen; aber wir Unglücklichen, die wir, mitten in der menschlichen Gesellschaft, wo so Viele arbeiten und gewinnen, weder zu dem Einen noch zu dem Andern Gelegenheit finden; die wir durch Angst und Qual vom Morgen bis zum Abend höchstens die entschiedene Noth, das bittere Darben abwenden, wir müssen wohl die Lust und die Kraft zu einem bessern Streben verlieren! Wer nicht einmal Brot hat, der wird schwerlich daran denken, Perlen zu suchen; und man sollte auch billig seyn, und es nicht von ihm verlangen. - Nicht von ihm verlangen? Warum nicht? Wenn er nun die Perle und zugleich das Brot fände? Hat der Herr nicht gesagt: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird Euch solches Alles zufallen? Ihr thut wahrlich unrecht, daß Ihr Euch so sehr durch irdische Sorgen fesseln und niederschlagen laßt; diese helfen sehr wenig selbst für das Irdische, und sind ein großes Hinderniß für das geistige Heil. Darum machet Euch doch einmal davon los; behandelt sie, als wären sie gar nicht vorhanden, und fasset solche Güter in's Auge, die Ihr ewig zur Nahrung eurer Seele bedürfen werdet. Gott wird sie Euch geben; und vielleicht die irdische Nahrung obenein.

Andere haben diese Entschuldigung nicht; ihr irdisches Daseyn ist gesichert; und wenn ihr Geist sich erheben wollte, so würde nichts seinen Aufschwung zurückhalten. Aber er hat keine Schwingen, keine Wärme; man möchte sagen: er sey todt. Er ist nichts als ein Spiegel für die irdischen Dinge; ihre Bilder erfüllen ihn, gleiten vorüber, verursachen eine scheinbare Bewegung; aber eigentlich ist doch kein Gedanke, kein Gefühl, geschweige denn eine höhere Sehnsucht erregt worden. Bei Andern gesellen sich zu diesen Bildern schon tiefe Gefühle und lebhafte Wünsche, ob man gleich nicht sagen kann, daß diese auf Einen Gegenstand ausschließlich gerichtet wären; sie umfassen eben alle Gegenstände, alle irdischen Güter. Erstlich werde der Wohlstand so viel als möglich vergrößert, und das bleibe stets die vorherrschende Rücksicht. Ist das gelungen, so kann man schon einige Plane zur Vervielfältigung des Lebensgenusses entwerfen. In diesem fängt das sinnliche Ich nun an, sich selber recht zu fühlen; und sogleich möchte es durch Ehren und Würden geschmückt werden, und den Beifall der Menschen auf sich lenken. Je mehr man hiervon erwirbt, um so mehr glaubt man auch seine Ansprüche auf Besitz und Genuß steigern zu können. In diesem Kreise bewegen sich unzählige Menschen ihr ganzes Leben hindurch; die Ersättigung an dem einen irdischen Gute bringt immer den Hunger nach dem andern hervor; und das Verlangen nach einem geistigen Gute kann nie Raum dazwischen finden. Die Unglücklichen! Und vielleicht doch noch weniger unglücklich als jene Anderen, die unter den Gegenständen dieser Welt nur Einen wollen, aber diesen mit rücksichtsloser Leidenschaft, diesen mit Vergötterung desselben, diesen, indem sie sich zu seinen Knechten machen, und um ihn zu gewinnen, gern ihr Heil und ihre Seligkeit Preis gäben. Gott, Gott, und dieß ist das Wesen, das Du nach deinem Ebenbilde geschaffen, und nur um ein wenig geringer als die Engel gemacht hast; das, während es mit seinem irdischen Theile auf dieser harten Erde einhergeht, mit seinem Geiste schon im Himmel wandeln könnte, wo Du wohnst! Ungeheurer Abfall! Selbstverschuldetes Elend! Ja, seufzet, meine Brüder; denn gerade so stand es, so steht es vielleicht noch um Euch.

Sollte denn aber das Trachten nach geistigen Gütern wirklich so selten seyn, als es hier angenommen wird? Seht diesen Mann! Mit dem geringen Maaß von Wohlstand, das ihm zu Theil ward, ist er zufrieden; er hat die Nichtigkeit aller Bestrebungen erkannt, denen nur Eitelkeit zum Grunde liegt; auch an dem häufigen Verkehr mit anderen Menschen findet er keine Freude, sondern hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen. Dort befriedigt er einen edleren Durst als den nach irdischen Gütern, Genüssen und Ehren: den Durst nach der Erkenntniß. Die Gegenwart erhellt sich vor seinem Blick, und es schwinden ihm selbst die Schatten, welche das graue Alterthum bedecken. Jede ausgezeichnete Stimme aus älteren und neueren Zeiten tönt wieder in seinem Geiste, und nährt ihn mit der Weisheit der Jahrhunderte. Einen der scharfsinnigsten Denker wählt er sich zum Führer; von ihm geleitet, steigt er in die Tiefen seines Innern, und sucht die großen Räthsel über Gott und Welt, über den Menschen und seine Bestimmung zu lösen. - Seht jene Frau! Auch sie gehörte sonst zu der bunten Schaar, die überall umherflattert, und ein gedankenloses Vergnügen sucht. Aber ernste Erfahrungen haben sie aus dem Traume ihres leichtsinnigen Lebens aufgeweckt. In ihren schönsten Hoffnungen ist sie getäuscht worden; schmerzliche Schläge haben sie getroffen; mag auch wohl seyn, daß sie nicht frei ist von aller Schuld, deren Andenken in Geheim an ihrem Herzen nagt. Seitdem hat sie ihren Sinn auf ernste Beschäftigungen gewendet, die gewöhnlich nur den Männern gelingen, und worin sie diesen glücklich nacheifert. Wo gibt es ein Werk des Geistes, das ihr unbekannt bliebe? Wo gibt es ein Werk der Kunst, dessen Werth sie nicht zu beurtheilen wüßte? Sie selbst hat sich in manchen Fächern versucht, und nicht ohne Erfolg. Ist nun das Streben solcher Männer, solcher Frauen nicht geistig, nicht ein Streben nach geistigen Gütern?

Geistig mag das Streben immerhin genannt werden, da es doch seinen Grund im Geiste hat; und ich mag es hier im Allgemeinen weder loben noch tadeln. Aber ein Streben nach geistigen Gütern, nach solchen Gütern, wie ich sie hier meine, das ist es wohl nicht. Macht es Gott wohlgefällig; verschafft es Ruhe auf dem Sterbebette? Erwirbt es die Seligkeit des zukünftigen Lebens? Stillt es die blutenden Wunden des Herzens? Wie? und Männer und Frauen, scharfsinnige Männer, geistreiche Frauen, wenden ihren Geist und ihren Scharfsinn dazu an, sich zu überreden, daß sie eine Befriedigung antreffen in Dingen, die, nach Gottes Einrichtung, den Menschen nicht befriedigen können, nicht sollen; in Dingen, die, abgesondert von dem höchsten Streben, nichts Anderes sind als ein Mittel, die Zeit zu tödten, obgleich unter denen, die man bisher erfunden hat, das beste? Diese Männer, diese Frauen suchen gute, echte Perlen, wahre, ewige Güter, in ihrem Kram von Wissenschaft und Kunst; und die unechten Perlen, die falschen Güter, die gefährliche Beruhigung, die sie finden, die wollen sie für etwas Echtes, Wahres ausgeben, obgleich ihr eigenes Herz das Gegentheil bezeugt?

Wo sollen wir denn nun aber gute Perlen suchen? Hier sollt Ihr sie suchen! Hier, in der heiligen Schrift, in Gottes Offenbarung! Hier allein sind sie zu finden; denn Gott muß sie Euch geben; Ihr selbst könnt sie Euch nicht machen. Nicht im Sande der Wüste, ich meine, im Gebiete menschlicher Erkenntniß, müßt Ihr umherirren, da werden sie nicht angetroffen. Hier in dieß heilige Meer müßt Ihr Euch versenken, hier müßt Ihr untertauchen; hier liegen in der Tiefe die göttlichen Schätze, alle von unaussprechlichem Werthe; und unter ihnen liegt die Eine köstliche Perle.

II.

Diese Eine köstliche Perle müssen wir nun zweitens finden und erkennen. Laßt sehen, ob uns dieß gelingen wird. Sie wird uns dargeboten durch das Wort Gottes; also müssen wir wohl zuerst den Inhalt des göttlichen Wortes betrachten. Es ist ein Gott - so möchte dieser Inhalt lauten - der von Ewigkeit Vater seines gleich ewigen Sohnes gewesen ist, und der, um auch andere vernünftige Wesen als Vater lieben zu können, zahllose Geschöpfe aus dem Nichts hervorgehen ließ. Unter diesen war auch der Mensch, an welchem das Ebenbild Gottes glänzte; der glückselige Bewohner des Paradieses - eine Zeit lang; denn er sündigte. Die Sünde durchdrang und vergiftete die ganze menschliche Natur; ihr Gefolge sind Leiden; ihre Strafe ist der zeitliche Tod; ihre Strafe wird, wenn Gott sie nicht abwendet, der ewige Tod seyn. Er will sie abwenden, und sein eingeborner Sohn, durch den er die Welt geschaffen hatte, nimmt die Natur des Menschen an, und kommt auf die Erde herab. Wenn sein Mund die Gesetze eines Gott gefälligen Verhaltens auf das vollkommenste ausspricht, so stellt er selbst in seinem Leben und in seinen Thaten das vollkommenste Vorbild eines solchen Verhaltens dar. Dieß sein heiliges Leben gibt er hin am Kreuze als Opfer für die Sünden der Menschen, deren Strafen er auf sich nimmt, um sie davon zu erlösen. Seine Auferstehung ist ein Sieg des Lebens über den Tod, welchen er erringt, nicht nur für sich, sondern auch für die Seinen, die an ihn glauben und ihm nachfolgen. Auch sie werden hindurchdringen zu seiner unsichtbaren Wohnung, und sich dort ewig der Seligkeit erfreuen, die Er ihnen bereitet hat.

Da wären eine Menge guter Perlen vor Euch ausgeschüttet; nun sagt, ob die Eine köstliche darunter ist, und welche es sey. „Es ist, sagt der Eine, die Lehre von Gott, dem Unendlichen, dem Vollkommenen, dem Vater der Menschen.“ Das ist freilich der Anfang und die Grundlage von allem Uebrigen; es ist eine gute, aber nicht die Eine köstliche Perle. - „Es ist, sagt ein Anderer, die Lehre von der Verderbtheit der menschlichen Natur.“ Allerdings eine höchst wichtige, eine unerläßliche Erkenntniß, eine nothwendige Vorbereitung zum Glauben an die Erlösung; eine gute Perle, nicht die Eine köstliche. - „Es ist, sagt ein Anderer, die Lehre von der Gottheit Christi.“ Eine herrliche Lehre! Wer erinnert sich nicht mit Freuden der Begeisterung, die ihn ergriff, als er gefunden hatte: Dieser Mensch ist Gott! Er hatte eine gute Perle, er hatte nicht die Eine köstliche gefunden. „Es ist, sagen Mehrere mit Nachdruck, die Lehre von der Erlösung durch das Blut Jesu Christi.“ Ja, wahrlich, meine Brüder, Ihr seyd nahe daran, und Ihr habt da in der That eine sehr gute Perle genannt, aber die Eine köstliche ist es doch nicht. - „So ist es wohl, sprechen noch Einige, die Hoffnung des ewigen Lebens.“ Was wären wir ohne sie? Die unglückseligsten unter allen Menschen! Und dennoch, meine Brüder, habt auch Ihr es nicht getroffen.

Und auch diejenigen treffen es nicht, die jetzt vielleicht noch die Anweisung zu einem gottseligen Leben nennen möchten, durch welches wir zum Himmel gelangen. Diese ist, wie alles Frühere, etwas Gutes und Vortreffliches; es ist nicht das Beste und Vortrefflichste.

Solltet Ihr jetzt staunen, meine Brüder, und nicht mehr wissen, was Ihr rathen und denken sollt, so müßte auch ich bekennen, daß ich staune, wie Euch eine so geringe Gabe der Unterscheidung inwohnt, und wie Ihr unter der Fülle der Güter nicht das Eine höchste Gut zu erkennen wißt. Ihr habt von Lehren gesprochen: was sind denn Lehren ohne Den, welcher sie ertheilt? Ihr habt Wohlthaten angeführt: kaltes, eigennütziges Herz, welches nicht empfindet, daß der Wohlthäter besser als die Wohlthat sey! Ihr kennet die Schrift, Ihr habt Euch versenkt in ihre heiligen Fluthen, Ihr habt ihre Tiefen durchforscht: nun wohl, was tönet sie denn von Anfang bis zu Ende? Sind es Dinge, die man mit dem Verstande auffaßt, wie das Wahre, das Gute? Ist es nicht ein Wesen, das man mit seinen leibhaftigen Augen vor sich sieht, den Wahrhaftigen, den Guten, den Heiligen? Wer ist der Schlangenüberwinder, von dem die Schrift auf ihren ersten Blättern redet? Wessen Tag hat sich Abraham gefreut zu sehen? Wen haben die Propheten verkündet? Wer ist erschienen in der Fülle der Zeiten? Wessen Zukunft ist der Gegenstand des letzten Seufzers, mit welchem das letzte der heiligen Bücher sich schließt? Dieß Alles ist Jesus Christus! Er ist das höchste Gut, die Eine köstliche Perle. Er ist Alles; Er ist Gott und ist Mensch; Er ist Gerechtigkeit und Erlösung; Er ist ewiges Leben und Seligkeit; Er ist die Liebe. Wenn ich Ihn habe, - Ihn, diese bestimmte Person, die zu Bethlehem geboren ward und am Kreuze starb, Ihn, der zur Rechten seines Vaters sitzt, und allgegenwärtig mir zur Seite steht - so habe ich Alles, Begnadigung, Seligkeit, Anweisung und Kraft zu einem heiligen Leben. Meinte ich aber irgend etwas von diesen Gütern zu haben ohne Ihn, so hätte ich nichts.

Doch wie Wenige sehen dieß ein; und wir selbst - laßt es uns bekennen, wie spät haben wir es eingesehen! O Du einziges, höchstes Gut, o Du Eins, in welchem Alles enthalten ist, wie spät haben wir Dich gefunden! Zuerst suchten wir nichts, nichts als uns selbst, und in der Finsterniß, welche Geist und Herz bedeckte, hielten wir das Schlimmste, das Verderblichste - für Gewinn! Dann ging uns ein Licht auf; aber es war nicht das Licht, o Gott, das aus deinen Höhen herabkommt; es war der schwache Strahl menschlicher Erkenntniß! Und doch - wie lange haben wir uns damit begnügt, wie lange sind wir in dieser trüben Dämmerung umhergegangen; wie lange haben wir uns eingebildet, daß wir in ihr den Weg finden könnten zum Urquell des Lichts, der Wahrheit und der Seligkeit! Es konnte nicht gelingen; und wir suchten nun, zwar nicht ein anderes Licht, aber andere Lehren; die Wahrheiten, die uns das Wort Gottes verkündigt, die unternahmen wir mit der natürlichen Kraft des Verstandes zu fassen, zu ergreifen. Da gab es dann eine Menge Zweifel und Bedenklichkeiten zu überwinden; und kaum hatten wir sie für uns selber beseitigt, so kündigten wir schon Anderen den Krieg an, die noch damit zu schaffen hatten; mit unbegnadigtem Herzen, mit unerleuchtetem Verstande wollten wir Andere über ihr Heil unterrichten. Einige widersprachen uns, Andere meinten, sie wären schon weiter als wir im Glauben fortgeschritten; und nun entspann sich ein Streit zwischen den Gläubigen selbst, indem ein Jeder einer besondern Lehre, einer besondern Gestalt des frommen Lebens den Vorzug gab. Immer nur hatten wir einzelne Lehren aufgefaßt, bezweifelt, verworfen, angenommen; von einem lebendigen Wesen war noch nicht die Rede, für Christum hatten wir noch keine Liebe gefühlt, in ihm hatten wir noch nicht das Eine, was Noth thut, gefunden.

O Blindheit ohne Gleichen! Woher kam es denn, daß wir an dem, was wir suchten, vorübergingen, ob es gleich ausgezeichnet genug war, um von uns erkannt zu werden? Mußte nicht derjenige, der die höhere Liebe entzünden sollte, zu welcher wir doch noch die Anlage besaßen, gerade so beschaffen seyn, wie Jesus Christus es war; mußte sie nicht, sobald sie erwachte, in Ihm ihren Gegenstand erkennen? Mußte nicht unser Herz, bei dem Leben, das sich in ihm selber regte, uns sagen, daß wir eines lebendigen Helfers und Erlösers bedürfen? Ohne die Gnade des Vaters kommt freilich Keiner zu dem Sohne; doch diese Gnade, zog sie nicht mächtig an unserm Herzen, oft so mächtig, daß es fast zerrissen ward - und dennoch zog sie es nicht zu ihm hin? Woher kam dieß? Ich kann es mir nicht anders erklären als durch die unglückselige Gewohnheit der Menschen, immer nur außer sich und niemals in sich zu leben. Man kennt die ganze Welt - aber nicht sein Inneres; man ist überall zu Hause, nur nicht in seinem Herzen. Auch die Lehren des göttlichen Wortes werden rein als etwas Aeußerliches aufgefaßt, dem Gedächtniß eingeprägt, von dem Verstande beleuchtet, einer spielenden Einbildungskraft dienstbar gemacht; sie werden angegriffen oder vertheidigt - daß man sie für sich selber nöthig hat, daran denkt man nicht. Tritt nun auch Jesus einmal näher an uns heran, wirkt Er auf uns mit seiner ganzen göttlich anziehenden Kraft, so ist in unserm Herzen noch so viel Sünde, die sich behaupten, rechtfertigen, die nicht ausscheiden will, daß wir die Gegenwart des Heiligen nicht ertragen, daß wir ihn zurückstoßen. O daß wir doch früher gelernt hätten, unsere flatternden Gedanken zurückzuziehen in uns selbst, und unser Her; zu befragen über das, was es bedarf, und was seine tiefe Sehnsucht verlangt! Unser Herz, unser Gefühl hätten uns die Schrift ausgelegt; - die eine Tiefe kann ja nur die andere erklären; - unser Herz, unser Gefühl hätten uns einfältig auf Christum geführt; wir hätten sogleich die Eine köstliche Perle, das Eine höchste Gut erkannt; und in unserer namenlosen Freude hätten wir leicht das blöde Staunen besiegt, womit der Gottheit Gegenwart die schwache Menschenbrust erfüllt. Doch wir haben Dich gefunden! Ich rufe es aus im Namen von Einigen unter Euch; möchte bald ein Jeder sich dessen rühmen können! Wir haben Dich gefunden, Du lebendiger Erlöser, Du Gottes Sohn und Menschen Sohn; Du unser Heil und unsere Seligkeit. Größer noch als die Trauer über einen so langen verschuldeten Irrthum ist die Freude über eine so große und unverdiente Gnade! Gib nur, daß wir in derselben verharren, und auch das, was noch übrig ist, erfüllen.

III.

Und was ist dieß? Es ist drittens, daß wir Alles hingeben, um das Eine höchste Gut zu erwerben. Die Kinder dieser Welt können nichts Schönes und Vortreffliches sehen, ohne daß der Wunsch, es zu besitzen, sich in ihnen rege. Der Kaufmann hat die Eine köstliche Perle kaum gefunden, als auch der Entschluß, sie zu erwerben, in ihm feststeht. Wir haben Christum gefunden: ist es auch bei uns schon entschieden, daß er unser Eigenthum werden soll? Wie? Oder fällt uns ein solcher Gedanke nicht ein? Regt sich kein solcher Wunsch in unserem Herzen? Wir fühlen doch oft das Bedürfniß, ein irdisches Gut so fest an uns zu knüpfen, als es für diese Welt möglich ist, um davon sagen zu können: Es ist mein! Und wir empfinden nicht das Verlangen, Christum für Zeit und Ewigkeit unauflöslich an uns zu fesseln; auch von ihm sagen zu können: Er ist unser; eine Verbindung mit Ihm einzugehen, bei welcher das höchste Gut nicht etwas von uns Verschiedenes bleibt, sondern sich in unser eigenes Senn und Wesen verwandelt?

Ist aber die Eine köstliche Perle zu kaufen? Der Handelsmann in unserm Texte weiß wohl, daß sie es ist; er weiß wohl, daß es nichts Irdisches gibt, das nicht erstanden werden kann, wenn man nur einen hinreichend großen Preis dafür bietet. Mit jener Kühnheit, die wir oft an seines Gleichen bewundern, wo sie Alles für Alles wagen, wo sie sich entschließen, eine Zeit lang zu darben, um hinterher schwelgen zu können - geht er hin, verkauft was er hat, und kauft die Perle. - Ist die Perle, die wir meinen, ist Jesus Christus, der Sohn Gottes, zu kaufen? Ja, Er ist es! Um welchen Preis? Um das, was ein Jeder am höchsten schätzt; wenn er dieß darbringt, so wird der Herr des Himmels sein Eigenthum. Was ist dieses? Was ist einem Jeden unter Euch das Theuerste? Soll ich Euch fragen und Euch rathen lassen, so wird der Eine dieß, der Andere jenes nennen; und es würde doch vielleicht Keiner das, was hier gemeint ist, errathen. So will ich es Euch denn sagen. Was Euch am Theuersten ist, das send Ihr selbst; und diese Liebe zu eurem Ich ist so schlau, daß sie sich hinter der Neigung zu andern Gegenständen versteckt, und diese vorschiebt, um sich nicht zu verrathen. Aber eigentlich seyd Ihr doch selbst das was Ihr liebt. Ihr liebt Euch in euren Ehren, Gütern und Genüssen; in Weib und Kindern; ja selbst in euren Tugenden. Dieß euer Ich, - versieht mich wohl - dieß Einzige, um deßwillen Ihr alles Andere liebt, das ist der Preis, der hier gefordert wird. Ihr möchtet sonst irgend ein besonderes Gut, eine besondere Leidenschaft Preis geben; Ihr möchtet sagen: Ich will meinen Ehrgeiz mäßigen, ich will meinen Stolz überwinden, ich will die Ausbrüche meiner Heftigkeit zurückhalten, ich will mich der geistig oder irdisch Bedrängten annehmen. Das ist Alles gut, aber es ist nicht genug, denn bei dem Allen könnt Ihr Euch noch selber lieben; und das eben soll aufhören. Ihr sollt Jesum Christum allein, und Euch selbst, so wie Alles, was Ihr sonst noch lieben dürft, nur um Seinetwillen lieben. Ihr sollt aufhören, das was Ihr thut und was geschieht, auf Euch selbst zu beziehen, und sollt statt dessen Ihn vor Augen haben. Ihr sollt, wenn Ihr allein seyd, nicht mehr mit Euch reden, sondern mit Ihm. Ihr sollt gottselig seyn, nicht zu eurem Besten, sondern zu seiner Ehre. Sein Wille soll sich in euer Herz senken, und euern eigenen Willen, diesen furchtbar mächtigen Trieb, in Ketten legen, ja vernichten. Ihr sollt nichts Anders verabscheuen als die Trennung von ihm und das, was diese Trennung herbeiführen könnte; im Uebrigen sollt Ihr nichts hassen, nichts vermeiden, nichts ablehnen, sobald Er es befiehlt oder verhängt; nicht Opfer, nicht Anstrengung, nicht Schmach, nicht Elend, nicht Verlust; das soll Euch gleichgültig seyn, ja Ihr sollt es lieben, weil es von Ihm kommt. Verkaufe was Du hast! das ist immer die von dem Herrn auferlegte Bedingung; und sie ist nur in einzelnen Fällen buchstäblich von dem Verkaufen der irdischen Güter zu verstehen. Immer liegt darin das Höhere, unter welchem zuweilen auch jenes Besondere mit begriffen ist: Sich selbst hinzugeben! Dann sind wir Sein Eigenthum; aber auch Er - ist das unsere; und wir können nun laut vor dem Himmel und vor der Erde uns dessen rühmen: Er ist mein!

Es ist immer eine große Kühnheit, Alles für Alles hinzugeben; wer jedoch eines solchen Wagestücks fähig war, der wird, wenn es irdische Güter betrifft, oft für kurze Entbehrung durch den darauf folgenden Ueberfluß entschädigt; galt es aber das Eine höchste Gut, so folgt für ihn immer auf Opfer und Entbehrungen, auf das Gefühl der Angst und der Dürre, das ihn wohl anfänglich beschleichen mag, die unaussprechliche Freude, Alles zu besitzen, was der Seele Noth thut. Die Seele, die von Natur leer und öde und deshalb auch unruhig ist, pflegt, um diese Leere zu füllen, diese Unruhe zu beschwichtigen, einen Gegenstand, ein Bild, oder mehrere heranzuziehen und sich zu vergegenwärtigen. Aber selten findet sie etwas, das ihr genügt, und noch seltener etwas, das ihr heilsam ist. Der Habsüchtige überrechnet seinen Besitz und sein Vermögen; er öffnet die wohlverwahrten Schränke, worin seine Kleinodien verborgen liegen; er beäugelt sie; er zeigt sie seinen Freunden, und weidet sich an ihrem Erstaunen. Der Eitle erinnert sich, daß auch Er einmal ist bewundert worden; er erzählt, wie Viele von den Großen dieser Welt ihn ihres Gnadenblicks, ihres Umgangs gewürdigt haben. Ein Dritter stellt sich den Gegenstand seiner Leidenschaft mit den Reizen vor, die er vermißt, sobald er ihn selbst erblickt. Ein Anderer zerstreut seinen Sinn über alle die Güter und Gegenstände, welche die verschiedensten Neigungen jemals erweckt, und, wie er meint, befriedigt haben. Elende, nichtswürdige Beschäftigung! Wahres Zersplittern der edelsten geistigen Kräfte! Wahres Herausfordern der schlafenden Versuchung, daß sie durch eines der geöffneten Thore zum Herzen eindringe! Wer Dich besitzt, Du Eine köstliche Perle, wer Dich erworben hat, Herr des Himmels und der Erden, der weiß wohl, womit er die Leere seiner Seele füllt, der weiß wohl, Wen er herbeiruft, damit er ihm die Last seines irdischen Daseyns tragen helfe: das bist Du selbst! Du allein bist einer ewigen Betrachtung würdig; und je mehr man sich in dein Anschauen vertieft, um so mehr öffnen sich die Augen, um die Fülle deiner Gaben und die einzelneu Seligkeiten wahrzunehmen, die alle in Dir zu finden sind. Wenn der Sinn auf Dir ruht, und sich aus der Mannigfaltigkeit in diese Einheit zurückgezogen hat, so ist er durch Dich geschützt vor der Versuchung; so schöpft er aus Dir Alles, was zu einem göttlichen Leben und Wandel dient; und wie Du Dir selber genügst, so genügst Du auch dem Herzen, das Dich besitzt.

Die Leere und Oede, die das menschliche Herz immer empfindet, kann durch Entbehrung und Verlust zu einer furchtbaren Lücke, einer brennenden Wunde werden. Jede Lücke fordert Ersatz, und jede Wunde ein Heilmittel. Wer wird Dich für den Mangel schadlos halten, der Dich von Jugend an drückte, oder in den dein Wohlstand sich verwandelte? Wer wird Dir eine Kraft des Duldens verleihen, die mit den Leiden des Körpers und der Seele, von denen Du heimgesucht wirst, stets im Gleichgewicht bleibt? Wer wird seinen Zuspruch erstrecken tief hinein in dein Herz, welches hin und her wogt, bei der Nothwendigkeit großer Entschließungen und bei dem Unvermögen, sie durch sich selber zu fassen? Wer wird die Stelle deiner Freunde einnehmen und neben Dir wandeln, wenn jene, die sonst deinen Wandel auf Erden begleiteten, Dich allein lassen und sterben? Wer wird deinen Schmerz stillen, daß er nicht zu groß werde, wenn Du Dich immer aufs Neue der Sünden anklagst, die Gott Dir, dem Gläubigen, schon lange vergeben hat? Wer wird Dir helfen am Ende deines Lebens, wenn der leibliche Arzt erklärt, daß keine Hülfe mehr sey, und Du die Hoffnungslosigkeit in den Blicken der Deinigen liesest? Ach glaube mir, es gibt nur Einen Schatz, der Dir alle Güter und Freuden ersetzen, der jeden Verlust in Gewinn verwandeln, der Dich in dem Augenblicke, wo mit dem Leben Dir Alles schwindet, noch unermeßlich reich und reicher als irgend einen der Lebenden machen kann; suche ihn zu erwerben: es ist Jesus Christus, dein Gott und dein Herr!

Ja, mit dem Leben schwindet sonst Alles, was Du für dein Eigenthum hieltest; der Körper, welchen Du dein nanntest, und der nun der Raub der Verwesung wird; die Güter und Ehren, die Du Dir erworben hattest, und die nun an Andere, die schon längst darauf warteten, übergehen. Es schwinden selbst die christlichen Gedanken und Gefühle, die Du nur von der Oberfläche mit deinen natürlichen Kräften abgeschöpft hattest. Aber die Eine köstliche Perle, wenn Du sie besitzest, die schwindet nicht, die kann nicht von Dir genommen werden. Du hast sie erworben, indem Du dich selber hingabst; nun bewahrest Du sie und Dich selber durch sie. Du kannst niemals verderben, weil sie in deiner Seele wohnt, weil sie das Leben deines Lebens geworden ist, weil sie mit ihrer göttlichen Kraft Dich hinüberführt vom Tode zum Leben! O welchen hellen Glanz wird sie um sich werfen, Dir das dunkle Thal, durch welches Du wandelst, zu erhellen! Dort ist der Eingang zum Himmel: könnte er sich Dir verschließen? Du trägst ja Christum, und also auch den Himmel in Dir; überall, wo Er ist, muß der Himmel seyn. Doch, wenn Du die Freude des Himmels schon in Dir hattest, so sollst Du nun auch eingehen in diese Freude; sollst die Schätze, die Du besitzest, auch vor Dir ausgebreitet, sollst Den, welcher in Dir wohnt, auch auf dem Thron seiner Herrlichkeit sehen, und sollst die Seligkeit genießen, die sein Anschauen nur dann gewährt, wenn Er auch innerlich in uns lebt.

So gehet denn hin, meine Brüder, Ihr die Ihr noch nicht gesucht habt, gehet hin und suchet, nicht bald dieses, bald jenes, nicht mannigfaltige Güter, sondern das Eine was Noth thut. Ihr, die Ihr suchet, aber noch nicht gefunden habt, sehet nur recht hin auf Christum; Ihr werdet Ihn erkennen für das was Ihr bedürft! Auf der ganzen Welt gibt es ja nur diesen Einen! Ihr, die Ihr ihn gefunden und erkannt habt, zaudert nicht länger, und gebt Alles hin, um Alles zu gewinnen.

Ihr Abendmahlsgenossen! Welches ist denn der Schatz, welcher unter jenen beiden Gestalten des Brotes und des Weines Euch dargeboten wird? Zweifelt nicht; sie ist es selbst, die Eine köstliche Perle; Er ist es selbst, Jesus Christus, das höchste Gut! Kommt Ihr nicht, um Etwas zu suchen? Siehe! Euch wird mehr dargereicht, als Ihr gedacht hattet. O nehmt es auf in die Tiefen eures Herzens; bewahret es wohl! Und dann gehet hin, mit der übergroßen und siegreichen Freude, daß Ihr den Himmel selber besitzt, gehet hin mit dieser Freude, und überwindet die Welt! Amen.

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