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Theremin, Franz - Das Wachen.

Theremin, Franz - Das Wachen.

Den 30sten Oktober 1830.

Evangelium Marci, K. 13., V. 4.
Was ich aber euch sage, das sage ich allen: wachet.

Das natürliche Leben ist in Schlafen und Wachen getheilt, und der Schlaf, ob er gleich unentbehrlich ist, erscheint doch schon hier als ein geringer, untergeordneter Zustand, der nicht für sich selbst, sondern nur weil er dem Zustande des Wachens größere Kräfte verleiht, gewünscht werden darf. Auch in dem geistigen Leben giebt es ein Schlafen und ein Wachen; aber hier findet der Schlaf keine Entschuldigung, er ist immer ein Zustand des Verderbens und der Gefahr, der mit aller Anstrengung vermieden werden muß; während das Wachen sich als der allein gute und heilsame zeigt, der durch Gottes Gnade, wenn wir es wollen, vor aller Unterbrechung geschützt werden kann.

Und dennoch sind wir Alle zum geistigen Schlafe geneigt. Dies kann die eigene Erfahrung, dies kann auch das bekannte Gleichniß des Herrn uns lehren, worin er von zehn Jungfrauen redet, fünf thörichten und fünf klugen, welche mit ihren Lampen dem Bräutigam entgegen gingen. Da nun der Bräutigam verzog, spricht der Herr in dieser Parabel, ,wurden sie alle schläfrig und entschliefen; sie alle, die klugen wie die thörichten. Und so findet sich auch bei Christen auf verschiedenen Stufen der Vollkommenheit, eine Trägheit des Geistes, die in einen bald mehr bald minder schweren und gefährlichen Schlummer übergeht.

Wie also der Herr, nachdem er seine Jünger zur Wachsamkeit ermahnt hat, hinzufügt: Was ich aber euch sage, das sage ich Allen: Wachet! so können wir auch diese Ermahnung an alle Christen, obwohl nicht an alle in demselben Sinne, richten; und indem wir Euch zurufen: Wachet! so meinen wir damit erstlich, daß die Schlafenden erwachen; zweitens, daß die Erwachten nicht in den Schlaf zurücksinken; drittens, daß diese vielmehr nach einem immer höheren und vollkommneren Wachen streben sollen.

1.

Erstlich: die Schlafenden sollen erwachen. Wie? es gäbe also Menschen, die durchaus nicht wachen; deren ganzes Leben nichts ist, als ein geistiger Schlaf; die wie Nachtwandler einhergehen? Und wer sind sie? Es sind dieselben, von denen man sagen kann: sie leben nicht, sondern sind todt. Diejenigen, in welchen die Sünde jede bessere Gesinnung unterdrückt; welchen eine unglückliche Leidenschaft das Herz und die Welt verfinstert; die ihr Inneres verschlossen halten, daß aus Gott, dem Urquell des Lebens, kein Lebensodem sich darein ergießen kann: die sollten wachen? Nein sie schlafen, schlafen einen tiefen und schweren Todesschlaf. Diejenigen, die im Dämmerscheine der menschlichen Vernunft einhergehen, und die göttliche Offenbarung verachten; diejenigen, welche in Christo die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater nicht erkennen wollen, und aus selbstgegrabenen Brunnen den Durst nach Erkenntnis) zu stillen meinen, welchen nur die himmlische Belehrung löschen kann: sie sollten wachen? Nein, auch sie schlafen, schlafen selbst wenn sie sich einer weltlichen Rechtschaffenheit befleißigen und in einer rastlosen Bewegung und Thätigkeit begriffen sind; sie schlafen, denn sie sehen nicht Den, der das Leben in sich selber hat, der das wahre Licht dieser Welt ist, und der mit seinem Strahle unsern Geist berühren und unser Herz erwärmen muß, damit wir von uns sagen können: Wir wachen!

Ihr alle, die Ihr euch auf einer der höheren oder niederen Stufen des Wachens befindet, so habt Ihr einmal geschlafen, so sind die Kräfte eures geistigen Lebens einmal gebunden gewesen. Da ist an Euch der Gnadenruf ergangen: Wache auf der du schläfst, so wird dich Christus erleuchten! und Ihr send aufgewacht, habt wie Lazarus, da ihn Jesus aus dem Grabe erweckte, den schweren Todesschlaf von Euch abgeschüttelt. Ihr habt die Bande der Sünde und des Unglaubens zerrissen, und euer Herz ist durch Christum, den Ihr in seiner göttlichen Herrlichkeit schautet, in welchem Ihr euren Erlöser erkanntet, mit himmlischem Lichte und heiligem Feuer erfüllt worden.

Dieses Erwachen - es ist aber nicht bei Euch allen auf die gleiche Weise, sondern bei dem Einen plötzlich, bei dem Andern allmählig geschehen. Plötzlich wurde Paulus, da er im Taumel feindseliger Leidenschaft nach Damascus zog, durch die Stimme: Ich bin Jesus, den du verfolgst! vom Schlafe erweckt, und während Finsterniß auf seinem äußeren Auge ruhte, in seinem Innern mit Gnadenlicht erfüllt. Eben so plötzlich und schnell mögen vielleicht einige unter Euch vom Tode zum Leben übergegangen, mag der Schlaf, der sie umfangen hielt, entflohn, und ihre Finsterniß Licht geworden seyn. Doch ein so schnelles Erwachen ist immer selten, und gewöhnlich befreit der Mensch sich nur allmählig von der bleiernen Last des geistigen Schlafes. Ach wie manche unter Euch haben Jahre zugebracht in einem Zustande zwischen Wachen und Schlafen, wo das Leben sich zuweilen regte und dann wieder in den Tod zurücksank; wo sie, statt wirklich zu wachen, nur träumten, daß sie wachten; bis endlich durch die Gnade des Herrn, nach einem langen Kampfe Licht und Leben siegten.

Bei dem Einen ist dieses Erwachen freundlich, bei dem Andern furchtbar gewesen. Ja es giebt Einige, die gehn über von dem geistigen Schlafe zum geistigen Wachen, wie ein Kind, wenn der Vater mit einem Kusse es weckt, von dem natürlichen Schlafe zum natürlichen Wachen übergeht. Das Leben der Natur verschmilzt bei ihnen so sanft in das Leben der Gnade, daß man das Ende des einen und den Anfang des andern kaum zu erkennen vermöchte. Dies sind die Glücklichen, die den Glauben schon mit der Milch eingesogen haben, schon im Hause des irdischen Vaters für das Haus des ewigen Vaters gebildet wurden. Sollte es von diesen auch nur wenige geben; einige giebt es gewiß, und ich kann mir nicht denken, daß dies schöne Loos ganz ohne Beispiel sey. Andere sind auf keine so sanfte Weise geweckt worden. Zu den Füßen des Lagers, wo sie den schweren Schlaf der Sünde und des Unglaubens schliefen, fiel unter schrecklichem Getöse der Blitz herab, daß sie mit Entsetzen erwachten. Schon stand das ganze Gebäude in Flammen, und nur durch schnelle Flucht, wie Lot aus dem Feuerregen von Sodom und Gomorrha, konnten sie sich retten. Ein großes, schreckliches Unglück - wenn das jemals Unglück genannt werden darf, was zum ewigen Heile dient -; die traurigen Folgen und die herannahende Strafe einer größeren Missethat, öffneten ihnen die Augen; sie erkannten, wie sündhaft und wie verderbt ein Leben seyn müsse, das solche Früchte tragen, das den barmherzigen Gott zu solchen strengen Züchtigungen nöthigen konnte; sie flohen vor sich selbst, und wurden aufgenommen von den Armen, die sich am Kreuze allen reuevollen Sündern entgegenstrecken.

Aber ich rede ja zu Euch, meine Brüder, als ob Ihr alle aus diesem Seelenschlafe schon erwacht wäret; seyd Ihr es denn auch wirklich? Sollte Keiner unter Euch seyn, der noch darin begraben liegt, und der auch nur zufällig, ohne eigentlich zu wissen was er thut, als ein Träumender, sich unter dieser Versammlung eingefunden hat? Das muß ich annehmen, und so muß ich denn auch an manche unter Euch die Ermahnung ergehn lassen: Wache auf, der du schläfst, so wird dich Christus erleuchten. Wache auf! Dein Zustand ist ja nicht gezwungen; Du schläfst, weil Du schlafen willst; Du siehst nicht das Licht, weil sich dein Auge dem Lichte verschließt; sobald Du dich der Hülfe bedienst, welche die göttliche Gnade Dir bietet, so kannst Du erwachen. Wache auf! Denn kannst Du es läugnen, dein Schlaf ist unruhig, durch böse Träume gestört und vergiftet; von diesen möchtest Du dich befreien, und kannst es doch nur, wenn Du mit dem Schlafe auch die Träume verjagst. Wache auf! Siehe wie die köstliche Gnadenzeit verstreichet, während Du unthätig liegest, ohne für dein Heil und für das Heil deiner Brüder zu sorgen, Dir selbst eine Last, und ihnen eine Last und ein Aergerniß. In dem hellen Lichte des Glaubens und des besseren Lebens gehen so manche selig einher, dienen Gott und dienen ihren Brüdern, wandeln auf dem Wege des Heils, wo ein jeder Schritt sie dem Himmel näher führt: möchtest Du dich nicht zu ihnen gesellen? Wache auf! Ach könntest Du es sehen, welcher Abgrund an Deiner Seite sich öffnet, wie die Mächte der Finsterniß Dich unter lockenden Gestalten umgeben! Wenn Du schläfst, so wirst Du in schreckliches Verderben stürzen; wenn Du erwachst, kannst Du die Hand ergreifen, die der Herr Dir reichet, und durch seine Kraft die Versuchung überwinden. Wache auf! Denn willst Du etwa aus dem einen Schlaf in den andern noch tieferen, aus dem der Sünde und des Unglaubens in den des Todes fallen, aus der Finsterniß, die Dich umgiebt, in ewige Finsterniß? Willst Du nicht lieber dein Auge dem Lichte des Glaubens öffnen, um dann ewig im himmlischen Lichte einherzugehen? - O wäre er schon für Dich gekommen, herbeigeführt durch diese Worte, oder durch andere, die tiefer zum Herzen dringen; durch einen allmähligen oder plötzlichen Uebergang, lieblich und sanft oder furchtbar und erschütternd - wäre er schon für Dich gekommen, der Augenblick, wo Du dein bisher verlornes Leben beweinst, und beschließest zur Ehre Christi, der für deine frühere Versäumnis! und Versündigung genug that, ein neues Leben zu führen!

II.

Dies wäre das erste Erwachen, und dieser Zustand muß nun fortdauern. Denn in der Ermahnung: Wachet! liegt zweitens, daß Die, welche aufgewacht sind, nicht wieder in den Schlummer zurücksinken sollen. Und wie werden wir dieses bei der Trägheit unserer Natur, die stets dazu hinneigt, vermeiden? Indem wir täglich, ja mehr als einmal am Tage, die Handlung in unserm Innern wiederholen, durch die wir zuerst aufgewacht sind; indem wir durch Vorhaltung unserer Sünden die Schmerzen der Buße, durch den Hinblick auf Christum unsern Glauben an ihn beleben; indem wir täglich erwägen, daß es die heilige Pflicht der durch ihn Geretteten ist, ihm sein Kreuz nachzutragen, und ihm in seinem Tode ähnlich zu werden; indem wir den zerstreuenden, betäubenden, Herz und Geist beschwerenden und niederdrückenden Einfluß der Welt von uns fern zu halten suchen. Wenn wir in diesen Uebungen treu sind, so wird kein geistiger Schlaf uns nahen dürfen; wenn wir aber darin nachlassen, so wird er nur zu bald uns wieder beschleichen.

Und leider sind wir hierin nicht treu und standhaft genug. Wir sollten am Morgen, sobald der natürliche Schlaf gewichen ist, auch den geistigen verscheuchen, durch Wegwenden von der Finsternis;, die wir in uns selbst haben, und durch Herannahen zu Christo, als zu unserer ewigen Sonne. Wir thun es nicht immer; und gewiß, der Tag, dessen Morgen nicht durch Christum erleuchtet ward, ist immer ein dunkler, trüber, schläfriger Tag. Wir sollten stets in unser Herz blicken und alle Triebe, die nicht mit der Liebe zu Christo bestehen können, ertödten. Wir unterlassen es, wir bilden uns ein, da unser Herz wiedergeboren sey, so sey auch alles, was sich darin findet, geheiligt. Da ist Ehrgeiz; aber, denken wir, warum sollte man nicht bedeutende Verhältnisse suchen, in denen man den Menschen um so besser dienen kann? Da ist Eitelkeit und Begier der Welt zu gefallen; aber, sprechen wir, um unsere Brüder zu erbauen, müssen wir ja zuvor ihre Achtung erworben haben. Da ist Habsucht und Geiz nach irdischen Gütern; aber, sprechen wir, der Ueberfluß, der mir zufällt, den sollen die Armen mit mir theilen. Da ist jene Unruhe, welche die Einsamkeit des häuslichen Lebens, seine Nüchternheit und Mäßigkeit nicht erträgt; aber, denken wir, es wäre ja lieblos, uns den geselligen Verbindungen zu entziehest, und wir bedürfen ja auch der Erholung und Stärkung nach der Arbeit. Lauter Scheingründe der Trägheit, der das Wachen in dem hellen Lichte der Wahrheit zu schwer fällt, und die sich nach dem Dämmerscheine der Lüge und nach ihrer bunten Traumwelt zurücksehnt.

Diese strömt uns dann auch an jedem Morgen mit ihrer Fülle von Bildern entgegen. Das was sich in unserm engeren Kreise und außerhalb desselben ereignet hat; was weiter daraus hervorgehen kann; was diese mannigfaltigen Ursachen auf uns persönlich für eine Wirkung haben werden; was man über uns vortheilhaftes oder nachtheiliges denkt oder sagt; wer uns helfen und wer uns schaden kann; welche Arbeiten, welche geselligen Verpflichtungen nun zunächst zu beseitigen sind; welche Erquickungen und Feierstunden darauf folgen werden; - das sind die Vorstellungen, worein wir schon beim Erwachen den Geist versenken, noch ehe er durch einen Aufblick zu Gott Ruhe und Klarheit gewonnen hat.

Was ist sie aber anders diese Welt, der wir uns so willig hingeben, was ist sie anders als eine Traumwelt, wenn sie nicht durch das von Gott ausgehende Licht bestrahlt, wenn nicht ein jeglicher Gegenstand in Beziehung auf ihn gedacht wird? Aber ohne Erhebung zu Gott, oder nach einer solchen flüchtigen Erhebung, wodurch wir nur einer Gewohnheit und nicht einem Bedürfniß des Herzens genügen, die uns nicht bewahrt, nicht sichert und feststellt, stürzen wir uns in dies wogende Meer von Eindrücken, Zerstreuungen und Geschäften. Im Taumel reißt es uns mit sich fort; der Tag vergeht, die Nacht kommt wieder, ohne daß wir ein höheres Licht erblickt hätten. Die Tage verschwinden, und mit jedem vergrößert sich durch unsere Schuld der erneute Einfluß des gefährlichen Schlafes, der durch Gottes Gnade verscheucht war.

Aus diesem Zustande, meine Brüder, entspringen manche Uebel, über die Ihr euch oft so schmerzlich beklagt. Wir sind doch Christen, sprechet Ihr, wir haben uns doch mit Reue und Glauben zu Christo gewendet; warum schwinden denn nicht unsere sündlichen Leidenschaften^ warum thut die Gnade denn nicht für uns, was sie für Andere gethan hat; warum sieht unser Herz nicht ganz unter der Herrschaft des göttlichen Geistes? Man hat uns verheißen, sprechet Ihr, daß wir bei Christo Frieden finden würden für unser so lange in der Welt gequältes und gemartertes Herz. Friede? Wo ist er? Wir haben keinen gefunden; und oft ist in uns eine Unruhe, eine Angst, die wir in den schlimmsten unserer früheren Zeiten nicht kannten! Dem mag so seyn, meine Brüder, aber die Schuld liegt an Euch, an diesem Mittelzustande zwischen Schlafen und Wachen, aus welchem Ihr euch nicht losreißen wollt. Wie die Vernunft den Menschen in dem halben Schlummer nicht regiert, wie sie die wunderlichen Gebilde nicht entfernen kann, die ihm da vor die Augen des Geistes treten; so kann auch die Gnade Euch in diesem Zustande nicht regieren, und eure Leidenschaften, sammt den Bildern und Regungen, die daraus entstehn, vertreiben. Diese Leidenschaften, Bilder und Regungen aber sind ein schmerzlicher Stachel für jedes Herz, und vornehmlich für das fromme, weil es sie niemals ganz billigen kann, weil sie in ihm nur Kampf und Währung veranlassen. Wie solltet ihr also Ruhe haben können? Ihr befindet Euch nicht in jenem tiefen Sündenschlafe, der die verstockten Herzen mit schrecklicher Sicherheit umfängt; aber Ihr seyd auch noch weit entfernt von dem klaren Wachen, wo der immerwährende Anblick des ewigen Lichtes Freude gewährt und alle Besorgnisse verscheucht. In euerm Trübsinn erwartet Ihr dann oft Erheiterung von den Freuden der Welt, und den Genüssen des geselligen Lebens; aber Ihr findet sie nicht darin; sondern durch alle diese Berührungen mit dem Irdischen setzt sich von dem schweren und dunkeln Stoffe desselben nur immer mehr ab in euer Herz, vergrößert die Last, die Euch drückt, die Finsternis; die Euch umgiebt, die Unruhe die Euch quält.

Das Schlimmste aber ist, daß Ihr bei einem solchen Zurücksinken in geistigen Schlaf, auch leicht wieder in Sünden verfallen könnt. Der Mensch, der einige Schritte zur Besserung gethan hat, muß um so mehr auf seiner Hut seyn; denn es ist als ob die Macht der Finsterniß, die oft Derjenigen schont, die sie bereits als die Ihrigen betrachten kann, alle ihre Kräfte gegen ihn aufbietet. Daher wird es nicht lange dauern, so kommt zu den Leidenschaften, welche bei diesem träumenden Zustande sich noch im Herzen behauptet haben, auch die gefährliche Gelegenheit hinzu: und wird Der, welcher nicht durch das Licht der Gnade, sondern durch Bilder und Traume sich leiten läßt, der lockenden Versuchung widerstehn? Wer des Tages wandelt, spricht Christus, der stößt sich nicht, denn er sieht das Licht dieser Welt; wer aber des Nachts wandelt, der stößt sich, denn es ist kein Licht in ihm. Sie - diese Menschen, denen man einen Anfang des Glaubens und der Frömmigkeit nicht absprechen kann, die es aber an Wachsamkeit fehlen lassen, sie wandeln des Nachts, sie können fallen, manche unter ihnen fallen in der That, zur großen Schadenfreude der verderbten Welt, die nun das Recht zu haben glaubt, nicht nur der Christen, sondern auch des Christenthums zu spotten. Möchten wenigstens die Unglücklichen selbst, durch solche traurige Erfahrungen klüger gemacht, in Zukunft ihre Augen offen und ihre Lampen brennend erhalten! Möchten wir alle wachen, auf daß wir nicht in Anfechtung fallen!

Wenn Ihr das bedenkt, meine Brüder, so wird es Euch nicht schwer werden, die wahre Ursache der Leiden, die Gott so oft den Frommen sendet, zu erkennen; diese Leiden sollen dem Schlummer, worein sie versinken könnten, vorbeugen, sollen sie aus dem, worein sie versunken sind, erwecken. Warum wird es dem Frommen oft so viel schwerer als andern, für die Vorzüge, die er besitzt, eine gewisse Anerkennung, für seine Verdienste um die menschliche Gesellschaft eine geziemende Belohnung zu erhalten? Weil Gott weiß, daß er keinesweges frei ist von Ehrgeiz, von dem Verlangen nach weltlichem Ruhm; daß er sich oft wachen Träumen hingiebt, in welchen er diese vermeinten Güter schon zu besitzen wähnt; darum versagt Gott sie ihm oft, während er sie anderen, die schlechter sind, gewährt; denn er soll erwachen und erkennen, daß Gottes Wohlgefallen für sich allein genügt. Warum nimmt es Gott so genau und so streng mit allen Handlungen der Frommen; warum läßt er gewißlich ihre Plane scheitern, sobald ein unreiner Antrieb dabei zum Grunde lag; warum läßt er sie für geringe Fehler viel schwerer als andere büßen? Weil er durch den Druck seiner Hand, den sie häufiger und schmerzlicher empfinden, sie vor aller Trägheit bewahren will. Warum werden die Frommen so oft in ihren liebsten, und man darf wohl sagen, reinsten, Hoffnungen getäuscht; warum wird so oft das liebste Gut, wodurch sie an der Welt, und man darf behaupten, auf eine unschuldige Weise, hingen, ihnen entzogen? Weil es dem Gott, der sie liebt, weniger darauf ankommt, daß sie im äußern Glücke, als daß sie in dem Zustande des Wachens ihr Leben zubringen, und weil er sie vor der Erschlaffung bewahren will, worein man auch bei einer unschuldigen Anhänglichkeit an das Irdische, gerathen kann.

Ueberhaupt, meine Brüder, giebt es Zeiten, die mehr als andere zur Wachsamkeit ermuntern. Ach! wir sollten immer wachen, denn wir wissen ja nicht Zeit und Stunde, wo der Herr kommen, uns vor sein Gericht fordern, und über die Anwendung des verliehenen Pfundes von uns Rechenschaft verlangen wird. Aber das vergessen wir oft, zumal in Zeiten, wo die äußern Dinge uns das Schauspiel des Friedens und der Ruhe darbieten; wo die Welt sich den Schein zu geben weiß, als hätte sie aller Feindschaft gegen das Gottesreich entsagt allen Kampf gegen dasselbe eingestellt. Da lassen selbst edle Gemüther und sehr weit fortgeschrittene Christen allmählig nach im Wachen, und knüpfen die zerrissenen Bande wieder an mit der Welt, die ihnen lacht. Aber wie der Prophet sagt: Sie sprechen: Friede! Friede! und ist doch kein Friede; so verhält es sich auch hier. Plötzlich brechen die unter dem friedlichen Scheine lange verborgenen Uebel hervor. In Einem Augenblick hat die ganze Gestalt der Welt sich verändert; Licht ist in Finsternis; untergegangen; Verwirrung an die Stelle der Ordnung getreten. Die feindlichen Elemente, welche schienen einen Stillstand geschlossen zu haben, stehen plötzlich gerüstet gegen einander, und das Geräusch des Kampfes, sey's daß er mit Worten, sey's daß er mit Waffen geführt wird, ertönt weit umher. Was soll Euch dies lehren, ihr Kinder des Lichts? Euch nicht gleichzustellen dieser Welt, die im Argen liegt; keine Hütten zu bauen auf diesem Boden, der durch immerwährende Erschütterungen bewegt wird, und aus dieser Dunkelheit ein wachsames Auge zu den Strahlen des himmlischen Lichtes zu erheben.

III.

Die Ermahnung: Wachet! hat aber auch drittens den Sinn, daß wir uns stets bestreben sollen zu einem höheren und helleren Wachen zu gelangen. Der welcher zuerst die Augen beim Entfliehen des natürlichen Schlafes aufthut, wachet noch nicht in dem Maße und in dem Grade der Lebendigkeit wie Der, welcher sich mitten in der Anstrengung und Aufregung seiner Tagesarbeit befindet. So ist das erste Aufwachen aus dem Sündenschlafe auch nur ein geringerer Grad des geistigen Lebens, der nicht nur bewahrt, sondern gesteigert werden soll, und der einer ins Unermeßliche gehenden Steigerung fähig ist.

Wodurch aber kann dieses Wachen gesteigert werden? Durch genauere Verbindung mit Dem, der ewig wachet, mit Gott. Ja Gott wachet immer, der Hüter. Israels schläft noch schlummert nicht. Immer ist seine Allmacht thätig; immer ergießt sich seine Liebe aus seinem Vaterherzen, um alle Wesen, die er geschaffen hat, zu erhalten; um ihnen auf den verschiedenen Wegen, wo sie wandeln, entgegen zu kommen; um alles, was sie bedürfen, noch ehe es ihnen selber deutlich ward, für sie zu bereiten; um Belohnung und Strafe, so wie es einem jeden heilsam ist, zu vertheilen; um den großen Rathschluß ihrer Heiligung und Beseligung auszuführen. Also nur in Gott ist ein ursprüngliches, sich durch eigene Kraft regendes Leben, ein Licht, welches auch unser Inneres bestrahlen, und alle Fähigkeiten desselben in wacher Thätigkeit erhalten kann; nur bei Gott, der es allein besitzt, und der es uns verleihen will, müssen wir es suchen, nicht in uns selbst, nicht in der Welt. Ueber diese Erde hinaus, wo nur Dunkel und Finsterniß herrscht, ja hinaus über diese irdische Sonne, die selbst nur ein Schatten des ewigen Lichtes ist, erhebet zu diesem euren Blick, und haltet ihn immer darauf gerichtet. Wenn Ihr das thut, so wird es eurem Herzen ergehn, wie der Erde im Frühling. Dann ist kein Stillstand, kein Schlaf in der sichtbaren Natur; immer neue Bildungen lockt die irdische Sonne hervor; in nie gehemmtem Fortgange muß Alles wachsen und sich entwickeln. So läßt auch die ewige Sonne, wenn sie euer Inneres bestrahlt, es nicht ruhen und schlummern, sondern belebt es mit einer stets wachsenden Fülle gottseliger Gedanken und frommer Empfindungen. Ja für den, welcher sich mit Verlangen nach dem ewigen Lichte wendet, bleibt dieses nicht etwas Aeußerliches; es dringt in ihn herein, so daß es nicht nur über ihm sieht in den fernen Regionen des Himmels, sondern auch in ihm selber, in dem Mittelpunkt seines Herzens. O wie wird dann erst alles gedeihn, dann erst das höhere Leben sich regen, dann erst der Schlaf verscheucht werden, wenn das ewige Licht in den Tiefen unsers eigenen Geistes aufgegangen ist!

Eine schöne Vorstellung! werdet ihr sagen; aber liegt ihr auch einige Wahrheit zum Grunde; ist sie mehr als ein Spiel der Einbildungskraft? Wie kann eine Berührung Statt finden zwischen unserm dunkeln Herzen und dem ewigen Lichte, ja wie kann dieses aus den Finsternissen unsers Innern hervorbrechen? - Wie dies geschehen kann? Durch Christum! Leset Johannis Evangelium im Anfang; es ist als ob er auf diese eure Frage hätte antworten wollen. In Christo war das Leben, heißt es dort: nicht das erschaffene, wie in uns, sondern das ewige, ursprüngliche. Und das Leben war das Licht der Menschen. Fähig, bestimmt sie zu erleuchten, und die Augen ihres Geistes wach zu erhalten. Auf Christum könnt Ihr aber den Blick richten; ja ihr könnt ihn in euer Herz aufnehmen. Ihr folget Christo, traget ihm das Kreuz nach, es stirbt in Euch die sündliche Natur. Nun wird Christus in Euch geboren, Ihr lebet nicht mehr, Christus lebt in Euch; was ihr denket, fühlet und thut, das ist das Ausströmen, die Fortsetzung seines göttlichen Lebens. So stände denn also gewiß mit ihm, der in Euch lebt, auch das ewige Licht, welches er selber ist, in euerm Herzen; Schlaf und Finsterniß waren vertrieben, und wie Christus sich mehr in Euch gestaltete, erhöbt Ihr euch zu einem immer helleren Wachen. Gewiß, Herr Jesu, wer Dich kennt, wer Dich liebt, der wird nimmermehr schlafen. Mag der natürliche Schlaf seine Rechte fordern, und die Glieder, die sich in deinem Dienste ermüdet haben, umgeben. Der Christ, wenn ihm die Augen zufallen, befiehlt seinen Geist in deine Hände; er legt sich an den Ort, wo Johannes gelegen, an deine Brust; und dann gilt von ihm, was die Braut im hohen Liede von sich sagt: Ich schlafe, doch mein Herz wachet.

Wenn sich aber dies Licht verfinstert? Es verfinstert sich nie, weder in der Jugend, noch im Alter, weder im Glück noch im Unglück, weder in Gesundheit noch in Krankheit, es verfinstert sich nie, wenn man nicht die Augen davon wegwendet. Und wenn es so scheint, als verdunkele es sich, so ist dies nur eine Entziehung seiner Kraft, die erfreut, aber nicht seiner Kraft, die da heiligt; eine Aufforderung es noch eifriger zu suchen, und wenn man das thut, so bricht es von Neuem, mit größerem Glanze, hervor.

Das himmlische Licht finden wir aber durch das Gebet; und durch das Gebet sollten wir es suchen. Das Gebet erhebt uns immer von einer geringeren zu einer höheren Stufe des Wachens und der Klarheit. Bestände es auch nur in einem kurzen Aufblick zu Gott unter den Arbeiten und Zerstreuungen des Tages, in einem Seufzer um Hülfe, in einem Geschrei um Errettung in Zeiten der Noch und Trübsal: sogleich läßt sich eine sehr empfindliche Wirkung spüren; das dunkele Herz hat sich dem Lichte zugekehrt und wird von ihm beschienen; Trost kommt in unsern Schmerz, Ruhe in unsere Angst, Kraft in unsere Schwäche herab; wie wir zu Gott nahten, so naht er sich uns, und durchströmt uns mit höherem Leben. Dies haben wir Alle erfahren, meine Brüder. O wäre doch dadurch der Wunsch in uns entstanden, die Segnungen, wodurch einzelne Augenblicke so wunderbar begnadigt wurden, öfter, ja immerwährend zu genießen! Wären doch unsere Gebete nicht nur die Frucht der Angst und der Noch, sondern auch die der Liebe, die auch dann, wenn sie nichts bedarf, nichts verlangt, zu dem Geliebten redet, allein um die süße Gewohnheit des Mittheilens nicht zu unterbrechen! Solche Gespräche mit dem Herrn würden uns wach halten! Wenn wir geredet hätten, dann schwiegen wir, nicht um einzuschlafen, sondern um zu lauschen, was er durch seinen Geist uns antworten würde. Wenn selbst bei einem beiderseitigen Schweigen nur das Gefühl seiner Gegenwart in uns wäre, nur sein leuchtender Blick uns in das Herz dränge - es würde wach bleiben. So flösse der Geist des Herrn zusammen mit dem unsrigen; wir würden Ein Geist mit ihm; wir würden, wie Petrus verheißt, theilhaftig der göttlichen Natur. Könnten wir da wohl schlafen? Könnten wir da wohl sündigen? Könnten uns da wohl der Eigenwille und die Welt das reinere Licht verdunkeln? Nein, immer leuchtete es hell in der Erkenntnis; des göttlichen Willens, und noch heller in der feurigen Liebe zu dem höchsten und vollkommensten Gut. Besonders helle Punkte im Leben des Christen bildet der Genuß des heiligen Abendmahls. Wunderbares Geheimniß dieses Sacramentes! Der Herr gibt sich uns in demselben/ um in unsere Seele zu dringen, sich mit ihr zu verbinden, und darin Wohnung zu machen. Wenn Er aber in ihr wohnt, der das Leben, der das Licht selber ist, muß sie nicht höher belebt, heller erleuchtet werden? Und uns verlangt nicht nach diesem Segen; und bei der Finsterniß, die uns umgibt und die wir in uns tragen, sehnen wir uns nicht nach diesem hellen Scheine der Gnade? Ach! wie würde das Wachen uns erleichtert werden, wenn er häufiger unsere trägen Herzen berührte! Möchte er, Ihr heutigen Abendmahlsgenossen, doch ganz euer Inneres erfüllen! Der Herr kommt zu Euch! Möchte dieser Ruf, wenn Ihr etwa entschlummert send, Euch aufwecken, daß Ihr, wie die klugen Jungfrauen mit brennenden Lampen ihm entgegengeht! Mit den Worte n unsers Textes rufe ich Euch zu: Wachet! Mit den Worten des Propheten: Wache auf, werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! Mit den Worten des Liedes, das wir während des Abendmahles singen werden: Schmücke Dich, o Seele; komm ans helle Licht gegangen; fange herrlich an zu prangen. Hinab in den Abgrund des göttlichen Erbarmens fällt der ganze Schattentheil eures Lebens, fallen eure Sünden: wendet auch Ihr euch hinweg von allem was Euch sündigen ließ! Die finstere, der Erde zugewendete Neigung entzünde sich zur hellen Flamme des Glaubens und der Liebe! So geht dem HErrn entgegen: und der Augenblick, wo Göttliches und Menschliches, Unendliches und Endliches sich berühren, sey einer der wachsten, hellsten, segensreichsten Augenblicke eures Lebens!

Noch einen wichtigen Augenblick gibt es für uns Alle; möchte dies doch auch ein heller Augenblick seyn! Ich meine den Tod. Und hell ist er - welches Dunkel der Trauer und der Leiden ihn umgeben mag - wenn ein waches Leben im Scheine der Gnade ihm voranging; hell ist er dann und führt zum helleren Lichte. Siehe! das irdische Auge ist geschlossen, und der sonst so lebendige Geist ist in eine augenblickliche Betäubung versunken. Da heißt es wieder: Wache auf der Du schläfst, so wird Dich Christus erleuchten. Es wird ihm zugerufen, nicht mit der Donnerstimme, welche aus dem Sündenschlafe, sondern mit der lieblichen Stimme, welche den Frommen aus dem Todesschlafe erweckt. Er erwacht. Ja nun erst ist er wirklich wach geworden. Wie die Kindheit gegen das reifere Alter, wie die in Sünde und Unglauben gegen die im Gnadenstande zugebrachte Zeit, als ein Traum und ein Schlaf erscheint: so erscheinen auch die besten und hellsten Augenblicke des früheren Lebens nur wie ein Traum und ein Schlaf gegen das was nun begonnen hat. O wie ringen alle Kräfte, von allen Schranken befreit, vor jeder falschen Richtung bewahrt, um den Besitz des höchsten Gutes, das sich ganz hingibt, zu ergreifen! Wie sanft, wie mild, wie feurig, wie tief ins Herz dringend, sind die Strahlen der ewigen Sonne, die Strahlen deines Angesichts, Herr Jesu! Und dort sollten wir schlafen?

Nein, wie im Gesichte des Johannes die Thore der ewigen Stadt nicht geschlossen werden, weil dort keine Nacht ist, so schließen sich auch nie die Augen ihrer Bewohner. Der verklärte Leib bedarf keines Schlafes, , und der selige Geist wird weder zur Sünde noch zum Schlafe versucht. O laß uns hier wachen, o Herr, um dort ewig zu wachen! Amen.

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