Textor, Gustav Adolph - Am 2. Weihnachtstage.

Textor, Gustav Adolph - Am 2. Weihnachtstage.

Ich freue mich in Dir,
Und heiße Dich willkommen,
Mein liebstes Jesulein!
Du hast Dir vorgenommen,
Mein Brüderlein zu sein.
Ach, wie ein süßer Ton!
Wie freundlich sieht er aus,
Der große Gottessohn.
Wohlan, so will ich mich
An Dich, Mein Jesu halten,
Und sollte gleich die Welt
In tausend Stücke spalten.
O Jesu! Dir, nur Dir,
Dir leb' ich ganz allein;
Allein auf Dich, auf Dich,
Mein Jesu! schlaf ich ein. Amen!

Geliebte Christen! Als Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, da waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Heerde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht: siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.“ Und alsobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerschaaren, die lobten Gott, und sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Das war die erste Verkündigung von dem Aufgang des Heiles. Ein Engel war der Evangelist, Hirten auf dem Felde waren die Auserkornen, welchen Gott der Herr die große Freude zuerst verkündigen ließ: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt David's.“ Das hieß vor den Ohren eines gläubigen und gottesfürchtigen Israeliten so viel, als wenn er sagte: Der Helfer und Erretter, der Messias, auf den eure Vater seit Jahrtausenden gehofft, den eure Propheten euch so lange verkündigt haben, ist da, er ist heute geboren. Diese Nachricht brachte ihnen ein Engel Gottes, umleuchtet von der Klarheit des Herrn, zur Zeit der Nacht. Ja, als seine Botschaft vollendet war, stellte sich die Menge der himmlischen Heerschaaren bei dem Engel und bei den Hirten ein, lobten und priesen den allmächtigen Gott. Also zu Bethlehem ist er als Kind geboren, den Moses und David, Jesaias und die andern Propheten ersehnt und verkündigt haben. Ein Kind, das Ewigvater und Friedefürst heißt; ein Kind, empfangen von dem heiligen Geiste, geboren von der Jungfrau Maria, in welchem Gott und Mensch zu Einer Person verewigt waren, Christus, der Herr.

Wir haben schon gestern davon geredet, daß Jesus Christus wahrhaftiger Gott ist, vom Vater in Ewigkeit geboren. Wir wollen heute in Betrachtung ziehen, daß Jesus Christus wahrhaftiger Mensch ist.

Zu dieser Betrachtung wird uns der heutige Vespertext Anleitung geben, und wir wollen uns zur Beherzigung desselben den Segen Gottes in einem stillen Gebete erflehen, wenn wir noch vorher den 1. Vers aus dem Liede No. 168, miteinander werden gesungen haben, welcher anhebt: „Wie soll ich dich empfangen.“

Vespertext: Johannis 1, 14.
Und das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Wir wollen nach diesem Texte davon reden, das Jesus Christus wahrhaftiger Mensch geworden ist. In welchem Sinne der heilige Johannes den Sohn Gottes „daß Wort“ nennt, ist nicht leicht zu erklären, so viel aber ist offenbar, daß er Christum den Sohn Gottes, mit diesem Ausdrucke benennt, und das zu wissen ist uns genug. Im Eingange seines Evangeliums sagt er nun, daß dieses Wort Gott war, daß es im Anfange schon bei Gott gewesen ist, und daß alle Dinge durch dasselbige gemacht sind. Unser heutiger Text verkündigt uns weiter: „Und das Wort ward Fleisch,“ d. h. der, welcher Gott war, ist Mensch geworden; „und wohnete unter uns,“ erlebte unter den Menschen und mit den Menschen, wie ein anderer Mensch. „Und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Er sagt: Wir sahen seine Herrlichkeit; nicht Allen ist sie offenbar geworden, sondern nur Etlichen. Mit leiblichen Augen haben Petrus, Jacobus und Johannes Etwas von seiner Herrlichkeit gesehen, da sie mit ihm waren auf dem heiligen Berge, und er vor ihnen verklärt ward. Mit den Augen des Geistes sehen alle Gläubigen seine Herrlichkeit. Je fester der Glaube in uns ist, desto mehr sehen wir auch die Herrlichkeit Jesu Christi, eine Herrlichkeit als des eingebogen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Höchst wunderbar aber tritt uns die Botschaft entgegen, daß der Sohn Gottes, der Herrscher aller Dinge, ein wahrer Mensch geworden ist, arm und niedrig, verachtet, verhöhnt und getödtet. Gewöhnlich zweifelt der Unglaube der Menschen an der wahren Gottheit unsers Heilandes. Die Klugen der Welt sehen ihn für einen bloßen Menschen an. Wenn nun das nicht angeht, wenn wir es nach allen Aussprüchen unsers Herrn Jesu Christi, nach allen Beweisen seiner Macht und Hoheit, nach allen Zeugnissen der heiligen Apostel, nach dem Glauben der ganzen Christenheit durch 1800 Jahre für gewiß ansehen müssen, daß er wahrer Gott ist; so möchte ein Mensch mit menschlichen Gedanken anfangen zu zweifeln, ob er denn auch wohl wahrer Mensch geworden sei, ob er nicht bloß dem Scheine nach einen menschlichen Leib an sich getragen habe, wiewohl manchmal die Engel Gottes, ja auch der Herr selbst zu den Zeiten des alten Bundes, in Menschengestalt erschienen sind. Und wirklich hat es zu Zeiten unter den Christen Solche gegeben, die dies im Ernste gedacht haben. Aber das heilige Wort Gottes steht dawider. Es muß vielmehr dabei bleiben, daß der wahrhaftige Gott ein wahrhaftiger Mensch geworden ist, also daß unser Heiland Gott und Mensch in Einem ist, zwei Naturen in Einer Person. Es darf uns nicht wundern, wenn menschliche Vernunft sich an dieser wunderbaren Lehre stößt, nicht wundern, wenn die Ungläubigen und die Verächter des göttlichen Wortes dieselbe leugnen, ja wohl gar unsern 'Glauben verlachen. Die Wege und Gedanken Gottes sind viel höher als der Menschen Wege und Gedanken, so viel höher, als der Himmel höher ist, denn die Erde. Der Herr hat es ja zuvor verkündigt, daß er wolle wunderlich und seltsam zu Werke gehn, so wunderlich, daß die Weisheit der Weisen zu Schanden werden, und der Verstand der Verständigen solle verworfen werden. Sagt nicht Jesus selbst: „Ich danke Dir, Vater, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es den Unmündigen geoffenbaret.“ Freilich ist es überaus wunderbar, daß der Allerhöchste in der Herrlichkeit Gottes sich erniedrigt und wird ein armes Menschenkind. Doch darum dürfen wir es nicht verachten, weil es höher ist, denn alle Vernunft; je höher, desto seliger; ob ich armer Erdenwurm es verstehe, oder nicht, mag sich gleich bleiben. Es ist genug, daß es so ist; es Ist genug, wenn uns Gott Gnade giebt, es auf sein Wort fest zu glauben. Das Verstehen wird sich hernach finden, wenn wir vom Glauben zum Schauen gehen. Wir wollen nicht menschlich fragen mit den Klugen der Welt, sondern das wollen wir fragen, forschen und glauben, was Gottes Wort sagt; darauf wollen wir feststehen, wenn es sein soll, aller Welt, dem Teufel und der Hölle zum Trotz. Gottes Wort muß doch bleiben.

Schon die heiligen Propheten haben es verkündigt, daß der zukünftige Heiland der ganzen Welt ein Mensch sein werde, zeitlich und doch ewig, niedrig und doch hoch, der Allerverachtetste und Unwertheste, und doch gesetzt zur Rechten Gottes, gestraft und gemartert und doch herrschend bis er alle Feinde zum Schemel seiner Füße haben werde. Jesaias verkündigt ihn als ein Kind, das geboren werden sollte, als einen Sohn, der uns gegeben werden sollte; ja er nennt eine Jungfrau als seine Mutter. Micha sagt seinem Volke, daß er aus Bethlehem kommen werde. Moses nennt ihn einen Propheten, David einen ewigen Priester nach der Weise Melchisedek. Abraham, Isaak, Jacob und David erfahren und verkündigen es, daß er aus ihren Nachkommen sein sollte. Einen König erwartete ganz Israel als den verheißenen Heiland der Welt. Simon und Hanna erkannten durch Gottes Offenbarung in dem Jesuskinde den lang ersehnten Erretter.

Sehen wir nun das ganze Leben unsers Herrn und Erlösers an, was kann uns da Anderes in den Sinn kommen, als daß er ein wahrer Mensch gewesen ist, wie andere Menschen, ausgenommen die Sünde. Er ist empfangen vom heiligen Geiste, geboren von der Jungfrau Maria, ist ein Kind gewesen und herangewachsen, hat zugenommen an Alter und Weisheit. Danach finden wir ihn unter den Jüngern und unter dem Volk, wir hören, daß er gehungert und gedürstet, gegessen und getrunken, geschlafen und gewacht hat, daß er Schmerz empfunden und geweint, daß er gezittert und gezagt, und endlich am Kreuze sein Blut vergossen und sein Leben ausgehaucht hat. Ja auch versucht worden ist er, wie ein Mensch. Und was sagt er selbst hierüber? Es finden sich über seine Menschheit nicht solche einzelnen nachdrücklichen Zeugnisse aus seinem eigenen Munde, wie wir über seine Gottheit gehört haben. Er war ja täglich unter den Jüngern und vor den Augen des Volks, sie sahen ihn mit ihren Augen, hörten ihn mit ihren Ohren, berührten ihn mit ihren Händen, wie Johannes Nachricht giebt; da konnte kein Zweifel aufkommen, daß er ein wahrer Mensch sei. Es war vielmehr Ursache da, ihnen seine Gottheit zu bezeugen, welche sie nicht sehen noch hören konnten, und an welche ihre trägen Herzen so schwer glauben konnten. Zum Zeugniß aber für sie und uns nennt sich Jesus selbst oftmals „des Menschen Sohn“ auch spricht er z. B. vor Pilatus, daß er dazu geboren und in die Welt gekommen sei, daß er die Wahrheit zeugen solle. Er redet von seinem Leibe, der gegeben, und von seinem Blute, das vergossen werden solle zur Vergebung der Sünden. Einmal nach seiner Auferstehung, als er mitten unter die Jünger trat, und sie erschraken, sich fürchteten und meinten, sie sähen einen Geist, sprach er zu ihnen: „Was seid ihr so erschrocken? Und warum kommen solche Gedanken in eure Herzen? Sehet meine Hände und meine Füße, ich bin es selber; fühlet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe.“

Nach seinem Hingange zum Vater, als die Jünger mit dem heiligen Geiste erfüllt waren, verkündigten sie der ganzen Welt, daß Gott sei Mensch geworden, um die Sünden der Welt zu tragen. Da erzählten sie in Worten und Schriften das ganze, heilige Leben des Erlösers von seiner Geburt bis zu seiner Auffahrt gen Himmel. Da schrieb Johannes: „Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Da bezeugte Paulus, daß „Jesus Christus, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich sein, sondern äußerte sich selbst, und nahm Knechtsgestalt an, und ward gleich wie ein andrer Mensch, und an Geberden, als ein Mensch erfunden.“ Da rief er aus: „Gott ist geoffenbaret im Fleisch;“ und bezeugte an einem andern Orte: „Es ist Ein Gott, und Ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch, Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für Alle zur Erlösung, daß solches zu seiner Zeit gepredigt würde.“ Da heißt es im Briefe an die Ebräer: „Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist er es gleichermaßen theilhaftig geworden.“ Da lesen wir im Briefe an die Galater: „Als aber die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan, auf daß er die, so unter dem Gesetze waren, erlösete, daß wir die Kindschaft empfingen.“ Es steht also fest das große Wunder der Gnade, welches auch die Engel gelüstete, zu schauen, daß Gottes eingeborner Sohn, der wahrhaftige Gott ist, gleiches Wesens mit dem Vater, aus seiner Herrlichkeit gekommen ist in die Niedrigkeit des Erdenlebens, ein armer Mensch geworden, auf daß wir durch seine Armuth reich würden.

Die Kirche Jesu Christi hat es also geglaubt und bekannt durch alle Jahrhunderte bis auf diesen Tag. Der Herr, der uns verlorne und verdammte Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, ist wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren. „Er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding' erhält allein. Er ist auf Erden kommen arm, daß er unser sich erbarm', und in dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich.“ Laßt uns festhalten an diesem theuren Glauben, und ihn bekennen mit Mund und Herzen! Laßt uns dem Herrn danken und seinen Namen lobsingen, laßt uns jauchzen dem Gott unsers Heiles, daß uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe.

Wir müssen unsre Gedanken noch hinrichten auf die reichen Ströme des Trostes, welche uns aus diesem Glauben zufließen. Der Herr vom Himmel predigt uns nicht mit Worten allein, daß er die Liebe ist, er predigt es uns durch Thaten, durch Beweise seiner Barmherzigkeit. Wir hätten viel zu rühmen und zu sagen von seiner erbarmenden Liebe, mit welcher Langmuth und Geduld er uns getragen hat von Kindesbeinen an; aber heute sollet ihr darin seine heilige Liebe erkennen und preisen, daß er seine Herrlichkeit verlassen hat, und uns zum Heile ein armer Mensch geworden ist. Davon singen wir: „Das hat er Alles uns gethan, sein', große Lieb' zu zeigen an; deß freu' sich alle Christenheit und dank' ihm deß in Ewigkeit.“ Sehet dies große Werk der Gnaden recht an, und ihr werdet gewiß sein müssen, daß Gott die Liebe ist, der die höchste Höhe mit der größesten Tiefe vertauschte, uns zu erlösen und zu erretten. „O große Gnad' und Gütigkeit, o tiefe Lieb' und Mildigkeit! Gott thut ein Werk, das ihm kein Mann, auch kein Engel verdanken kann.“ Drückt dich ein Elend, nagt dich ein Kummer, kämpfest du mit Noth und Jammer, blicke auf zu der Freundlichkeit Gottes unsers Heilandes, siehe seine Siebe an, er kommt ,ein Gerechter und ein Helfer, er kommt, daß er mit dir dein Elend trage, mit dir voll Kummer und Schmerzen, für dich voll Angst und Noth sei, auf daß er dein Elend zerbreche, und deine Noth und deinen Jammer in Freude verwandele. Laßt uns frohlocken und sagen: „Was ich in Adam und Eva durch Sterben verloren, hast Du mir, Jesu, durch Leben und Leiden erkoren. Gütiger Gott! all' mein Jammer und Noth endet sich, da Du geboren.“

Wir gedenken an unsre großen und mannigfaltigen Sünden. Unser Gewissen verklagt uns, Gottes Gesetz verflucht uns. Wir sagen: „Wo soll ich fliehen hin, weil ich beschweret bin mit vielen großen Sünden! Wo soll ich Rettung finden? wenn alle Welt herkäme, mein' Angst sie nicht wegnähme.“ Wir sehen die große Gewalt des Satans, wie oft er unser Herz berückt und verführt, wie er uns den Glauben verdreht und das Herz mit Sorgen und Zweifeln erfüllt. Da ist fürwahr kein Scherzen, denn die Hölle wird nicht satt, zu verschlingen, und mit unsrer Macht ist Nichts gethan, wir sind gar bald verloren. Aber siehe, Gott ist Mensch geworden, und an ihm ist Satans Macht und List zu Schanden geworden. „Wie die Kinder Fleisch und Blut haben, so ist auch Christus desselben theilhaftig geworden, auf daß er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, daß ist dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. - Er ist Mensch geworden, auf daß er der Menschen Sünden trage. So konnte, so wollte er für uns leiden, und sein Leben geben zur Bezahlung für Viele. Als Mensch hat er den Zorn gebüßt, den Willen Gottes erfüllet, und „wie durch Einen Menschen Viele Sünder geworden sind, also werden nun durch Einen Menschen Viele Gerechte.“

Nun können wir es recht begreifen, und uns dessen freuen, wie nahe unser Heil uns gekommen ist. „Er ist nicht ferne von einem Jeglichen unter uns,“ so heißt es jetzt nicht allein darum, weil er Alles im Allem erfüllt, sondern auch darum, weil er in unser Fleisch und Blut gekommen ist, und uns eine ewige Erlösung bereitet hat. Er ist unser Bruder geworden, ein Mitmensch hat er unter uns gewohnt, daß wir ihm vertrauen und mit aller Zuversicht zu ihm nahen sollten. „Der Herr ist nahe!“ predigt uns Paulus. „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ bezeuget der Herr. Es war der Zeit nach nahe; es war aber auch darum nahe, weil die armen Sünder nicht weit suchen durften nach Heil und Erlösung, Und siehe, so ist es noch. Nicht zum Himmel dürfen wir erst aufsteigen, nicht in die Tiefe hinabfahren, der Herr ist zu uns gekommen, und hat uns eine Bahn eröffnet, worauf auch die Thörichten nicht irren dürfen, hat uns eine Weisheit gebracht, dadurch Kinder und Greise, Hohe und Niedrige, Unmündige und Verständige zum Himmelreich weise werden können. Gott ist Mensch geworden, daher wissen wir, daß unsre Hülfe nahe ist. „Hätte vor der Menschen Orden unser Heil einen Greu'l, wär' er nicht Mensch worden. Hätt' er Lust zu unserm Schaden, ei so würd' unsre Bürd' er nicht auf sich laden.“ Wie ein Knecht zu seinem frommen, liebevollen Herrn in Freude und Leid sich kehrt, ihn um Hülfe und Rath anspricht, ihn um Verzeihung bittet, ohne Furcht und Schrecken, wo er etwas gefehlt; so dürfen wir zu unserm Herrn und Heilande treten, denn er ist Mensch geworden, gleich wie wir. Wie ein Mann seinem treuen Freunde, wie ein Bruder zu seinem Bruder nahet in Freude und Leid, wie er Rath und Trost bei ihm sucht in der Anfechtung, wie er sein Herz vor ihm ausschüttet, mit vollem Vertrauen Hülfe von ihm begehrt in der Noth und nicht beschämt zurückgehen darf; so dürfen wir zu unserm Herrn und Heilande nahen, denn er ist Mensch geworden, gleichwie wir. Wie ein Kind zu seinem Vater sich nahet, fest gebunden mit Banden der Liebe, wie es nichts verhehlt vor seinem Vater, in aller Noth, in allem Elend zu ihm hinblickt, zu ihm eilet, und umkehrt, wenn es gefehlt hat; wie es mit ganzer Zuversicht weiß, daß seine Noth auch seines Vaters Noth ist, daß seines Vaters Herz von ihm nicht lassen, daß seines Vaters Liebe nicht aufhören kann; so dürfen wir uns zu dem Hort unsers Heiles nahen, denn Gott ist Mensch geworden, hat ein unauflösliches Band zwischen sich und uns geknüpft, und hat uns die Kindschaft gegen ihn selbst aus Gnaden gegeben.

Sogar im Leiden und in Versuchungen ist er uns gleich geworden, auf daß wir Zuversicht gewinnen möchten zu seiner Barmherzigkeit. Davon steht geschrieben, Ebr. 2,17-18: „Daher mußte er allerdinge seinen Brüdern gleich werden, auf daß er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünde seines Volks; denn darinnen er gelitten hat, und versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.“ Schreibe es doch in dein Herz, o Christ, auf daß du es habest zur Zeit der Noth. „Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleid haben mit unsrer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben, gleichwie wir, doch ohne Sünde.“ Als Mensch, wie wir, hat er gelitten, ist versucht worden allenthalben, hat durch's Leiden Mitleiden und Barmherzigkeit gelernet. Da versteht er nun alle unsre Noth, da kann er helfen denen, die versucht werden. Dringet Satans Macht und List auf dich ein, so siehe auf Jesum; er ist dein Freund und dein Helfer, er ist auch versucht worden von dem Feinde der Seelen und hat ihn überwunden. Ist dein Herz voll Betrübniß und Sorgen, siehe auf Jesum; er ist dein Freund und Bruder geworden, seine Seele ist auch betrübt gewesen bis in den Tod. Ist dir bange, so rufe Jesum an, er ist dein Mitmensch geworden, er ist dir nahe, ihm ist auch bange gewesen, da er sprach (Luc. 12,50): „Ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde.“ - Ist deine Seele voll Zittern und Zagen, so rufe Jesum an, er ist dein Freund und Bruder geworden, er hat dasselbe auch empfunden, da er anfing zu zittern und zu zagen, da sein Schweiß wie Blutstropfen war, die auf die Erde fielen. So laßt uns nun Buße thun, und uns bekehren, daß unsre Sünden vertilget werden. So laßt uns nun zu Jesu Christo nahen mit Freudigkeit, laßt uns bei ihm bleiben mit Beständigkeit, auf daß, wenn unser Stündlein kommt, er uns ein seliges Ende beschere, und mit Gnaden aus diesem Jammerthal zu sich nehme in den Himmel. Amen! -

Dir, Herr Jesu, Du Mensch gewordener Gottessohn! sagen wir von Herzen Preis und Dank, daß Du es nicht hast für einen Raub gehalten, Gott gleich sein, sondern aus Liebe zu uns Sündern hast Knechtsgestalt angenommen, uns mit Gott zu versöhnen. Ja Herr, Du thust ein Werk, das Dir kein Mann und auch kein Engel danken kann! nun wissen wir, wo wir eine Zuflucht haben vor dem zukünftigen Zorn, wohin wir fliehen dürfen mit aller unsrer Noth und Trübsal, wo wir Rettung finden, wenn Menschenhülfe kein Nütze. Bei Dir, Herr Jesu, bei Dir, Du mitleidiger Hoherpriester! So richte denn zu Dir all' unsere Begierde; so laß Herz, Sinne und Gedanken allein in deiner Gnade ruhen, und uns in Freude und Schmerz, im Lieben und Leiden, ja selbst im Tode einzig und allein auf Dich sehen, daß wir durch Dich eingehen in die ewigen Hütten. Amen!

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