Tauler, Johannes - Auf den ersten Sonntag im Advent.

Tauler, Johannes - Auf den ersten Sonntag im Advent.

Dass wir sollen aufwachen aus unsern Sünden, unsere Feinde überwinden und die gnadenreiche Zukunft unseres Herrn in unserer Seele wahrnehmen. Hora est nos jam de somno surgere. 1)

Heute begeht man den Anfang des Advents, das ist, der Zukunft unsers Herrn, und fängt eine gar wonnigliche Zeit nun an, davon gar freudige und andächtige Worte gelesen und gesungen werden in der heiligen Kirche; denn wie der Mai alle andere Zeit mit Lust und Freude übertrifft, so ist diese Zeit besonders innig und heilig vor andern Festen. Dies ist die Zeit, nach welcher alle Propheten und Heiligen des alten Testaments, bei fünf tausend Jahren, mit großer Begierde und Seufzen, verlangt und gerufen haben: Herr, zerreiß den Himmel und komm herab, zu erleuchten, die da sitzen in Finsternis und in dem Schatten des Todes. Auch sind alle Geschichten und Symbole des alten Testaments gerichtet, um zu bezeichnen die Größe desjenigen, der da sollte kommen, und nun gekommen ist. Ach, darum lasst uns Gott ohne Unterlass danken und loben, dass er uns in der Zeit der Gnaden geschaffen hat und uns alle seine Gnaden und Reichtümer mittheilen will, wenn wir nur selbst wollen.

Nun ermahnt uns der heilige Apostel, dass wir vom Schlaf der Sünden aufstehen, denn die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbei gekommen; darum sollen wir im Tag ehrlich leben. Nun sollen wir mit Fleiß anmerken, wie wir gefallen sind, und wie wir aufstehen sollen aus allen Sünden und Gebrechen, in unsre erste Unschuld. Unser Herr hat die Menschen dazu geschaffen, dass die ledigen Stätten im Himmelreich mit ihnen erfüllt sollten werden, von denen Luzifer mit seiner Gesellschaft ist ausgestoßen worden. Derselbige Luzifer, aus seinem grimmen Hass, hat auch den Menschen verraten, dass er Gott ungehorsam ward und verlor alle Gnade und Tugend, womit er Gott und den Engeln sollte gleich sein, und vergiftete seine lautere Natur, dass sie unrein ward; und der Mensch hat sich damit selbst zum Tod verwundet mit Blindheit in seiner Vernunft, mit Verkehrtheit oder Bosheit in seinem Willen, mit bösen Begierden im Begehren, und mit Krankheit in zorniglicher Kraft. Er war in Ehren und hats nicht verstanden; er ist den unweisen Tieren gleich worden.

Hieraus folgt, dass drei Feinde wider uns aufgestanden sind, die nun leider allenthalben überhand nehmen und regieren in der Leute Herzen: die Welt, der Feind und das Fleisch. Wenn diese drei ihren Willen haben, so wird die edle Seele verloren, die Gott so freundlich hat erkoren; denn an welchen sie überhand nehmen, die fahren ohne Zweifel in den ewigen Tod. Wie grausam und sorglich diese drei Feinde jetzt regieren und besitzen Gottes Stätte in manchen Menschen, geistlich und weltlich (wie es wohl scheint), das beweinen die Freunde Gottes, die Gott lieben und meinen, mit bitteren Tränen; denn der ewige Schade ihrer Nächsten ist ihnen ein großes Leiden, dass ihre Herzen in ihrem Leibe möchten verdorren von dem großen Wehe, dass die Eigenliebe so gar eingewurzelt ist, dass wenige Menschen fürder Gott lauter lieb haben und meinen wollen.

Die Welt regiert mit Hoffart, es sei auswendig oder inwendig. Wie viele Menschen gehören in diesen Teufels-Orden; sie wollen etwas scheinen und sein, ihre Sünden und Gebrechen waren nicht zu zählen.

Des Feindes Reich führt sie zu Bitterkeit, zu Hass und Zorn, zu Argwohn, zum Urteilen, zum Rächen, zu Unwillen, zu Zwiespalt. Alle seine Jünger sind zwieträchtig, lieblos und schwermütig auf ihren Nächsten.

Unser eigen Fleisch will alle Zeitlust und es bestens gemacht haben und sinnliches Vergnügen und Wohltage in allen Dingen. Wie großer Schade hiervon kommt, wissen die Leute nicht, besonders die damit verblendet sind.

Durch diese drei Feinde werden meistens alle Menschen verführt in die ewige Verdammnis.

Wer nun wiederkommen will zu seiner ersten Ehre und Würdigkeit, die Adam zuvor, und wir nach ihm, mit Sünden verloren haben, und der Zukunft unsers Herrn in seiner Seele Stätte geben will, der muss die Welt fliehen, die Feinde überwinden, sein Fleisch mit Bescheidenheit bezwingen und sich fleißig üben in diesen sechs Stücken. Der Mensch fiel im Paradies durch zwei Dinge: Wollust und Hoffart; also müssen wir auch mit zweien Dingen wiederkommen, auf dass die Natur ihre Kraft wieder gewinne. Wir müssen aller unordentlichen Wollust widerstehen und sterben, männlich und bescheiden. Das andere, wir müssen unsere Natur versenken und niederdrücken unter Gott und alle Menschen, mit tiefer Demut, gegen die sie sich erhoben hatte mit Hoffart. Setze dich allezeit in die niederste Stätte, so magst du aufsteigen zur höchsten Staffel. Mit diesen zweien gewinnt die Natur ihre erste Kraft wieder.

Der Mensch muss weiter den Engeln gleich werden an zweien Dingen. Er muss verzeihen und erlassen allen, die ihm Leid tun, und seiner Feinde lauterer Freund sein, wie die Engel tun, wann wir sie mit unsern Sünden oftmals erzürnen. Das andere, er soll seinem Nächsten willig dienen, wie die lieben Engel uns allezeit dienen durch Gott.

Der Mensch muss endlich Gott gleich werden an zweien Dingen. Das erste ist rechter Gehorsam, den unser Herr seinem himmlischen Vater geleistet hat, bis in den Tod; das andere, dass er in Gehorsam und in allen Tugenden soll zunehmen und verharren bis zum Ende seines Lebens.

Hiermit werden die Menschen lautere, himmlische Herzen und werden ein Geist mit Gott in gründlicher Demut, williger Gelassenheit, sanftmütiger Geduld, bloßer Armut des Geistes und feuriger Liebe Gottes. Und alle, die diesem Reich nachgehen (deren leider wenig ist), die überwinden ihre Feinde und Gott erlöst sie von ihren schweren Bürden und hilft ihre Leiden tragen; denn Gott verhängt über sie viel mannigfaltiges Leiden, und das tut der getreue Gott darum, dass vier Dinge in dem Menschen geboren werden. Das erste, dass der Mensch zu sich selber komme, und sehe woher das Leiden kommt, und gehe in sich selber durch das Leiden, und bleibe bei sich selber. Das andere, dass er probiere, warum Gott die Bürde des Leidens ihm aufgelegt hat. Wohin er mit dem Leiden in ihm wolle, dahin folge er Gott und ergebe sich in seinen göttlichen Willen. Das dritte, dass der Mensch seiner selbst zumal ausgehe und aller Kreaturen. Das vierte, dass der Mensch lerne wahre Geduld in mannigfaltigen Leiden. Was ist nun die wahre Geduld in Leiden? Ist sie das, dass der Mensch unbewegt bleibe von außen? Nein. Aber wahre Geduld ist, dass der Mensch befinde in seinem Grund und in der Wahrheit dafür halte, dass ihm Niemand könnte oder möge Unrecht tun, und dass ihn alleweg dünke, man tue ihm recht und man solle ihm billig mehr Leids tun und ihn mehr reinigen, und habe barmherziges Mitleiden über alle, die ihm Leiden antun. Diese sinds, die dem demütigen Christus nachfolgen, in denen er regiert, zu denen er sprach: Bleibt ihr in meinen Reden, so werdet ihr wahrlich meine Jünger und ihr sollt die Wahrheit erkennen und die soll euch frei machen.

Nun sind zweierlei Leute, die dem Wort Christi nachgeben. Die einen hörens mit Freuden, und gehen dem nach, so wahr es ihnen werden mag, und empfangen das mit der Vernunft, wo sie sich zu den Sinnen hält, und alles mit ihrem natürlichen Licht, und was sie nicht schmecken noch fühlen, davon halten sie nichts und mit diesen Sinnen laufen sie immer aus und suchen, dass sie etwas Neues hören und verstehen. Sie prüfen nicht, dass sie diesem Auslaufen sterben müssen; sollen sie besser werden, sie müssen einen andern Weg.

Aber die andern kehren sich zu sich selbst, und bleiben bei sich selbst in ihrem inwendigen Grund und nehmen einfältiglich wahr der Ordnungen Gottes, in vernünftiger Einleuchtung und warten von innen ihrer Ladung und ihres Rufs, wohin sie Gott will. Und nehmen das sonder2) alle Mittel von Gott; denn was mit Mittel, wie durch sterbliche Kreaturen wird gegeben, das ist abschmeckend, das wird auch verhüllt und vermannigfaltigt und hat in ihm den Angel einer Bitterkeit; ihm sauret je etwas Kreatürliches nach, dessen es vonnöten entkleidet und entblößt muss werden, soll es dem Geist in der Wahrheit schmecken und soll es in den wahren Grund kommen. Denn die der Gaben und Gottes Ordnungen von innen wahrnehmen, es sei mit Mittel oder sonder Mittel, die nehmen es aus dem Grund und tragen es wieder in den Grund der göttlichen Güte. Das sind die, die in dem rechten Brunnen schöpfen und schmecken; aber die ersten, von denen wir sprachen, die suchen das Ihre; in allen Weisen und Dingen wollen sie immer in dem Ihren stehen. In der Wahrheit finden sie doch das Ihre nimmer so lauter und so gewiss, als in dem inwendigen Grunde ohne Mittel.

Nun möchtet ihr fragen, wie man diese unvermittelte Ordnung Gottes gewahr sollte werden? Das soll man befinden mit einem fleißigen Innewohnen und Innebleiben bei sich selbst. Darum sei der Mensch ein Inwohner seiner selbst und lasse sein Ausjagen und Aussuchen sein. Ist er daheim zeitlich, so wird er sicherlich gewahr, was daheim zu tun ist, was ihm Gott verordnet inwendig ohne Mittel und auch auswendig mit Mittel, und dann lasse er sich und folge Gott, in welchen Weg ihn der liebliche Gott ziehen will; es sei in eine schauende, oder wirkende, oder gebrauchende, oder genießende Weise; dem allem folge er, es sei leidend oder in Freude. Und gibt ihm Gott dies alles nicht, so lasse er sich in seiner Einfältigkeit und entbehre dessen durch Gott, aus Liebe, dringe sich ins Innere und setze vor sich das liebliche Bild unsers lieben Herrn Jesu Christi. Der wirkte alle seine Werke um drei Dinge.

Das eine: er meinte, noch suchte in allen seinen Werken nichts denn die Glorie seines himmlischen Vaters und des Seinen nichts in einigen Dingen, weder groß, noch klein; dann trug er ihm alle Dinge wieder auf.

Das andere: er suchte und meinte von ganzem Grunde das Heil und die Seligkeit der Menschen, dass er alle Menschen behielte und sie brächte zur Bekenntnis seines Namens, nach den Worten St. Pauli: Gott will, dass alle Menschen selig werden und kommen zur Erkenntnis seines Namens.

Das dritte, das er meinte in allen seinen Worten, Werken und Leben, ist: dass er uns gab ein wahres Exempel und Bild eines ganz vollkommenen Lebens, auf das Allerhöchste.

Die Menschen, die in diesem stehen, in der Wahrheit, werden die alleredelsten, lieblichsten Menschen; die hierin werden geboren, diese sind die großen reichen Schätze der heiligen Christenheit und sie wirken in allen Zeiten das Beste und sehen nicht auf kleine oder auf große Werke, auf mehr oder auf minder; sie sehen allein auf Gottes Willen in allen Dingen; und aus diesem Grunde sind alle ihre Werke die allerbesten. Sie sehen auch nicht darauf, ob sie Gott hoch oder niedrig sehen will, denn ihnen schmeckt nichts, als der göttliche Wille in allen Dingen, gleich.

Dass uns allen dies geschehe, dessen gönne uns Gott. Amen.

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Ad Romanos XIII. V. 11. Es ist Zeit, dass wir von dem Schlaf aufstehen.
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ohne
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