Taube, Emil Heinrich - Psalm 132.
Dieser Psalm hat zum innersten Kerne die Bitte um die an das Haus und den Samen Davids geknüpfte Bestätigung und Erhaltung des priesterlichen Königtums auf Zion, welche für die Gemeinde des Herrn so segens- und verheißungsreich ist. Die Bitte begründet sich in einem zwiefachen Schwur: in dem Schwur Davids, der auf das Haus des Herrn zielt und in dem Schwur des Herrn selbst, der auf das Haus Davids zielt. Der innige Zusammenhang des Psalms mit der in 2. Sam. Kap. 6 und 7 geschilderten Situation, die ausdrückliche Erwähnung der Bundeslade V. 6-8, sowie der besondere Akzent, der hier auf „dem Gesalbten des Herrn“ ruht, lassen vorwiegend an Salomo als den Verfasser des Liedes denken, nicht aber an spätere Zeit, auch nicht an David, der hier offenbar als das Objekt der Begründung in der Bitte erscheint. (Vergl. V. 10.) Der Psalm teilt sich in vier zehnzeilige Strophen. (V. 1-5; 6-10; 11-13; 14-18.) Die messianischen Zielpunkte sind im Psalm ganz unverkennbar.
V. 1. Ein Wallfahrtslied. Gedenke, Herr, dem David alle seine Mühsal, V. 2. Der dem Herrn schwur, gelobte dem Starken Jakobs: V. 3. „Ich will nicht in die Hütte meines Hauses gehen, nicht besteigen das Lager meines Bettes; V. 4. Ich will nicht Schlaf gönnen meinen Augen, und meinen Augenlidern Schlummer, V. 5. Bis ich finde eine Stätte für den Herrn, eine Wohnung für den Starken Jakobs.“ Schon die Anfangsbitte, welche die Person Davids in das Gedächtnis Gottes rückt, legt ein deutliches Zeugnis ab von der eminenten Stellung, welche David in der heilsgeschichtlichen Entwicklung des Reiches Gottes einnimmt. Nur die Erzväter noch, bei denen diese Entwicklung einsetzt, genießen die gleiche Prärogative1), und sie wurzelt beiderseits in der göttlichen Gnadenwahl, kraft deren sie zu Vertrauten Seines Rats, zu Stammvätern Seines Volks, zu Trägern Seiner Verheißungen erkoren waren. Darin ist's begründet, dass wir eine zwiefache Berufung auf sie in der Schrift finden: zunächst eine Berufung auf die Verheißung, deren Träger sie sind (Micha 7,20; Luk. 1,69.73), und sodann eine Berufung auf die Träger selbst, auf ihren Glaubensgehorsam, auf ihre Liebe zu dem Herrn. (2. Mos. 32,13; 5. Mos. 9,27.) Das Letztere ist hier der Fall, und es darf um so weniger befremden, als der Herr selbst bei der Erwählung Seiner Knechte darauf hinweist (1. Mos. 18,22; Apostg. 13,22), und Seine Gerechtigkeit solches erheischt; denn „Gott ist nicht ungerecht, dass Er vergesse eures Werks und Arbeit der Liebe, die ihr bewiesen habt in Seinem Namen.“ (Hebr. 6,10.) Diese Liebessorge für seinen Herrn wird in dem vorliegenden Psalm an David hervorgehoben und die Bitte des Dichters bewegt sich um den Grundgedanken: hat er Deiner so treu gedacht, so gedenke seiner wieder nach der Gnade, die Du ihm verheißen hast! Wenn der Herr hier zunächst an alle die Mühsal, welche David erduldet hat, erinnert wird, so wird bei der Allgemeinheit des Ausdrucks auch an seinen ganzen Leidensweg, der ihm ja um des verheißenen Königtums willen beschieden war, zu denken sein; doch empfängt dieser Ausdruck, wie das Folgende zeigt, sofort die spezielle Beziehung auf die Sorge und Mühe Davids um die Ausführung seines Lieblingswunsches, dem Herrn ein Haus zu bauen. Was einen Saul während seiner ganzen Regierung gar nicht gekümmert hatte, was selbst einem Samuel keine innere Not gemacht zu haben scheint, indem er die heilige Bundeslade nach ruheloser Wanderung in der Philister Land nicht wieder zur Stiftshütte brachte, sondern viele Jahre lang im Privathause Abinadabs zu Gibea (Kirjath Jearim) stehen ließ - das hat einem David schier das Herz abgedrückt. Wenn irgend Einer die Ruhe verdient hatte, so war es David nach einem so müde gehetzten Leben; und wenn irgend Einem dazu auch die Mittel wie die göttliche Erlaubnis gegönnt waren, so diesem Könige; denn er hatte einen herrlichen Palast und der Herr hatte ihm Ruhe gegeben von allen seinen Feinden. Aber mitten in dieser Ruhe hatte er doch keine Ruhe, weil die Lade seines Gottes, die Lade, auf der der Name des Herrn Zebaoth wohnt über den Cherubim, noch nicht den geziemenden Ruheplatz gefunden hat; ja gerade sein eignes Wohnen im Zedernhaus gibt ihm gegenüber dem Wohnen der Bundeslade unter den Teppichen einen heftigen Stich ins Herz, wie er dem Propheten Nathan verrät. (2. Sam. 7,1.2.)
Aus dieser innern Situation ist der heilige Eid geboren, den er nach dieses Liedes Worten dem Herrn schwur: nicht eher ruhen und rasten zu wollen bei Tag und bei Nacht, bis er für den Herrn eine Stätte gefunden habe zur Wohnung dem Mächtigen. Jakobs d. i. dem in Seiner hehren Majestät erkannten Jakobsgott. Welch' eine exemplarische Liebe zu dem Herrn und Seinem Hause befundet das, und in der Liebe welch' eine heilige Eifersglut! Hier ist etwas von dem in David, was wir im Vollmaße bei dem Davidssohne finden: „Der Eifer um Dein Haus hat mich verzehrt.“ (Joh. 2,17.) Wo der Herr eine Stätte im Herzen gefunden hat, da hat man auch lieb die Stätte Seines Hauses (Ps. 26,8; 27,4); wo aber das Erstere nicht zutrifft, da steht es auch mit der Liebe zu dem Letzteren sehr lau und flau. Das bewies Israel nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit seiner faulen Rede: „Die Zeit ist noch nicht da, dass man des Herrn Haus baue;“ worauf es das Wort voll heiliger Ironie empfing: „Aber eure Zeit ist da, dass ihr in getäfelten Häusern wohnt? Und dies Haus muss wüste stehn?“ (Hagg. 1,2-4.) Welch' ein Kontrast zu jenem Bekenntnis Davids; wie not tat dies Stufenlied der heimgekehrten Gemeinde, wie not tut es der Christenheit!
V. 6. Siehe, wir hörten sie (sie sei) in Ephrata, wir fanden sie im Waldgefilde. V. 7. Lasst uns eingehen in Seine Wohnung, anbeten vor Seinem Fußschemel. V. 8. Erhebe Dich, Herr, zu Deiner Ruhe, Du und die Lade Deiner Macht. V. 9. Deine Priester mögen sich kleiden in Gerechtigkeit und Deine Frommen jubeln. V. 10. Um Deines Knechtes Davids willen weise nicht ab das Antlitz Deines Gesalbten! Die Auslegung von V. 6 unterliegt, weil sie die Auffassung der ganzen Stelle bedingt, großen Schwierigkeiten, welche sich hauptsächlich um die Bedeutung des Ortsnamens „Ephrata“ bewegen, und die verschiedenartigsten Meinungen hervorgerufen haben. Soviel scheint festzustehen, dass von der Bundeslade die Rede ist und dass der Psalmist im Namen der Gemeinde redet. Versetzt man sich nun, da das „Waldgefild“ offenbar der Ausdruck von Kirjath Jearim ist, wo die heilige Lade 20 Jahre lang in der Verborgenheit ruhte, in die historische Situation von 2. Sam. 6 u. 7, auf welche schon V. 1-5 deutlich hinweist, so kann „Ephrata“ nicht wohl für das Land „Ephraim“ stehen, worin Silo, der wohlbekannte Ort der Bundeslade in früherer Zeit, lag, sondern es dürfte vielmehr „Bethlehem Ephrata“ bezeichnen, in dessen Territorium eben jenes Kirjath Jearim lag, aus welchem die Bundeslade von David in die Zelthütte auf Zion, und danach von Salomo in den Tempel gebracht wurde. Die Gemeinde des Herrn erscheint hier demnach als eine solche, welche die Sehnsucht und die Freude Davids, die heilige Lade aus der Verborgenheit und Vergessenheit wieder an eine ihr geziemende Feierstätte gebracht zu sehen, geteilt hat; daher V. 7 der heilige Entschluss zu ihrer gottesdienstlichen Feier, und V. 8-10 das herrliche Gebet, das diesen Entschluss in seiner geistlichen Tiefe verklärt, und das wir 2. Chron. 6,41.42 bei der Einweihung des Tempels in dem Munde des Königs Salomo wiederfinden. Der Gebetsausruf V. 8: „Erhebe Dich, Herr, zu Deiner Ruhe, Du und die Lade Deiner Macht“ steht offenbar in naher Beziehung zu jenem uralten Rufe des Knechtes Gottes, Moses, beim Ziehen oder Ruhen der Lade Gottes während der Wüstenwanderung (4. Mos. 10,35.36), und deutet hier wie da die Unentbehrlichkeit der sichtbaren Gnadengegenwart des Herrn aus dem Herzen Seines Volkes an, nur mit dem Unterschiede, dass dort der Wechsel, hier die Ruhe des Wohnsitzes dem Zwecke und der Sachlage entspricht. Immer aber ist sie die „Lade der Macht“, die in der spürbaren lebendigen Nähe der allerheiligsten Majestät Gottes ein tremendum mysterium ist, wie das h. Sakrament des Abendmahls im neuen Bunde. Das will nicht zurückschrecken, sondern herbeilocken, nicht Furcht, die da Pein hat, sondern Freude mit Zittern erwecken; denn es erscheint die Majestät der höchsten Gnade, welche das hochzeitliche Kleid der Gerechtigkeit selbst darbietet. Darum heißt es weiter: „Deine Priester mögen sich kleiden in Gerechtigkeit und Deine Frommen jubeln.“ Die Priester stehen voran, weil sie dem Allerheiligsten am nächsten sind, aber die Frommen folgen gleich hinterdrein, und wie die Priester mit den Frommen die Freude teilen sollen, so diese mit jenen die Gerechtigkeit (Jes. 61,10); priesterliche Frömmigkeit, demütiges und gläubiges Nehmen dessen, was die Gnade gibt, ist das Wohlverhalten, das Beiden ziemt. Denselbigen Ton hält auch die Bitte für den Gesalbten des Herrn selbst ein: Um Deines Knechtes David willen weise nicht ab das Antlitz Deines Gesalbten.“ Wie schön steht diese Bitte dem Salomo an, der unverkennbar nach der geschichtlichen Unterlage hier zu verstehen ist und diese Fürbitte auch bei der Tempelweihe für sich selbst vor Gott bringt! Der am höchsten Stehende bittet am demütigsten, weiß am besten, dass er die Krone „von Gottes Gnaden“ trägt. Und dass er solches um seines Vaters willen bittet, das ehrt den Sohn eben so sehr wie den Vater, und verschlingt Beider Kronen in jenen göttlichen Heilszusammenhang, der seinen letzten Ausläufer in dem hat, der hinter der Lade wie hinter der Krone der Kern des Gnadengeheimnisses ist. Welch' ein überraschendes Licht fällt übrigens von dieser Strophe auf die Geschichte der Reformation!
V. 11. Der Herr hat David Wahrheit geschworen, davon wird er sich nicht wenden: „Ich will dir auf deinen Stuhl setzen die Frucht deines Leibes. V. 12. Wenn deine Kinder meinen Bund halten werden, und meine Zeugnisse, die ich sie lehren werde, so sollen auch ihre Kinder auf deinem Stuhle sitzen ewig.“ V. 13. Denn der Herr hat Zion erwählt, hat es begehrt zu Seiner Wohnung. V. 14. Dies ist meine Ruhe ewig, hier will ich wohnen, denn ich begehre nach ihr. V. 15. Ihre Speise will ich reichlich segnen, ihre Armen sättigen mit Brot. V. 16. Ihre Priester will ich mit Heil kleiden und ihre Frommen sollen jubeln. V. 17. Daselbst lass ich dem David ein Horn sprossen, richte zu eine Leuchte meinem Gesalbten. V. 18. Seine Feinde werde ich mit Schande kleiden, aber über ihm soll blühen seine Krone.“ In überaus zutreffender Weise entspricht diese zweite Hälfte des Psalms der ersten: dem Schwur Davids der Schwur des Herrn, der Sorge Davids für das Haus des Herrn die Verheißung des Herrn für das Haus Davids, der Hinaufbringung der Bundeslade nach Zion die Erwählung und das innige Begehren Zions zu Seinem Wohnsitz, der Bitte Israels und seines Königs die göttliche Antwort für Beide. Wenn ein Menschenkind die Wahrheit seines Worts mit einem Eide bekräftigt und erhärtet, so hat das seinen Grund in der auf mangelnder Glaubwürdigkeit beruhenden Unzureichendheit bloßer menschlicher Versicherung; wenn aber der Herr, dessen Worte allzumal um Seiner Heiligkeit willen an und für sich selbst schon Eideskraft haben, noch obendrein Sein wahrhaftiges Wort mit einem Schwure besiegelt, so muss dies als ein besonderes Zeichen göttlicher Herablassung zu unsrer Glaubensschwäche und Zweifelsnot angesehen werden, wie der Hebräerbrief Kap. 6,17.18. klar mit den Worten bezeugt: „Aber Gott, da er wollte den Erben der Verheißung überschwänglich beweisen, dass Sein Rat nicht wankte, hat er einen Eid dazu getan, auf dass wir durch zwei Stücke, die nicht wanken, (denn es ist unmöglich, dass Gott lüge) einen starken Trost haben, die wir Zuflucht haben und halten an der angebotenen Hoffnung.“ Dem Ernste dieses Schwurs entspricht die Größe seines Gegenstandes, nämlich die überschwängliche, weit über Davids höchstes Wünschen und Sehnen hinausgehende Verheißung des ewigen Bestehens seines Thrones und Königreichs durch den Samen seines Hauses. Dass hiermit ein direkter Fingerzeig auf Christum als den Davidssohn und ewigen König gegeben und von David auch verstanden ward, sagt Petrus unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Stelle (V. 11) in seiner Rede Apostg. 2,30 aufs deutlichste; dass aber bis zu diesem Zielpunkt der Verheißung das Königtum bei Davids Hause bleibe, das ist an die Bundestreue und an den Gehorsam gegen Gottes Zeugnisse von Seiten der Kinder Davids geknüpft. Leider fing der Abfall nur zu bald an; schon nach Salomos Tode fielen unter Rehabeams Regiment mit den acht Stämmen acht prächtige Diamanten aus der Davids-Krone, später folgte die Aufhebung des ganzen Reichs und nach der Rückkehr aus Babel wurde es nicht Davids Nachfolgern, sondern den Asmonäern aus dem Stamm Levi auf eine Zeitlang gegeben. Aber die Nichterfüllung dieser Bedingung hebt deswegen noch nicht die Verheißung auf, sie führt nur den Ausfall der Zwischenglieder herbei, die Verheißung selbst geht seiner Zeit (und das war die Zeit, wo Davids Nachkommen von der königlichen Würde keinen Schatten mehr hatten) so gewisslich in Erfüllung, als Er nicht zum Lügner an Seiner Treue und an Seinem Eidschwur werden kann. (Ps. 89,29-37; 2. Sam. 7,14.15; Röm. 3,3; 11,29; 2. Tim. 2,3.) Das empfängt hier seine Begründung in der Erwählung Zions und in der göttlichen Bezeugung Seiner ewigen Ruhe daselbst. (V. 13. 14.) Wer fasst das Geheimnis dieser Gottmenschlichen Rede von Seiner Vorliebe für diesen kleinen Zionsberg, der die Stätte ewiger Gottesruhe ist? Verliert es sich nicht ganz in die heiligen Tiefen Seines ewigen Wohlgefallens? Der Sohn des Wohlgefallens, welcher der Gegenstand Seiner ewigen Liebe und die Ursache unsrer ewigen Erlösung ist, löst es. Wir hören von der Ruhe Gottes nach und in Seinem vollendeten Schöpfungswerk (1. Mos. 2,2), und wir hören wieder von der Ruhe Gottes da, wo er er das das Werk der Erlösung zuvor und zubereitet hat. Gerade die Wahl des kleinen Zionsberges vor allen andern Bergen der Welt, welche darum neidisch lauern und scheel sehen auf ihn (Ps. 68,17), kennzeichnet schon das Herz und den Weg des Gottes der Erlösung (Ps. 113,5.6; 1. Kor. 1,28), und findet seine Erfüllung und Vollendung in des Sohnes Menschengebärden (Joh. 1,14) und in Seiner Einkehr bei denen, die zerschlagenen Herzens und demütigen Geistes sind. (Jes. 57,15; Luk. 7,36-50.) Wo aber die Herberge des ewigen Bundes, der gewissen Gnaden Davids (Jes. 55,3) ist, da ist auch die Quelle alles Segens für Alle. Sehr bezeichnend begegnet deshalb die göttliche Antwort nicht nur der Bitte für die Priester und Frommen, sowie für den König mit liebreicher und weitgehender Erhörung, sondern sie hebt ihre Segensproklamation bei den Armen und bei dem Segen des täglichen Brots für sie an. Wenn dieser Gott segnet, so kargt Er nicht, sondern Er gibt über Bitten und Verstehen überschwänglich, das soll man am Tische, im Herzen und auf dem Throne spüren, am Tische mit Brots die Fülle, im Herzen mit freudenreichem Heil, auf dem Throne mit weltüberwindender Macht (Horn) und weithin leuchtender Herrlichkeit (Leuchte). Wie aber der ganze Psalm vom Geiste der Weissagung auf den Davidssohn getragen ist, so sind die letzten beiden Verse hehr und lieblich umsäumt von dem Glanze dieses Gesalbten, des Aufgangs aus der Höhe, den ein Zacharias und Simeon an der Schwelle des neuen Bundes lobsingend begrüßen. (Luk. 1,68-79; 2,29-32.)