Zuletzt angesehen: Taube, Emil Heinrich - Psalm 129.

Taube, Emil Heinrich - Psalm 129.

Taube, Emil Heinrich - Psalm 129.

Dieses Lied des bedrängten Gottesvolkes spricht auf dem Grunde der von Anfang an unter aller Drangsal erfahrenen Hilfe des Herrn (V. 1-4.) die Zuversicht auf den plötzlichen und schmählichen Untergang aller Feinde Zions aus. (V. 5-8.) Die Ähnlichkeit des Inhalts mit Ps. 124., 125., 137., sowie der weite Rückblick, den Israel hier auf seine ganze Vergangenheit bis zur Jugendzeit hin wirft, lassen auf eine späte Zeit der Volksgeschichte, also auch auf eine späte Abfassungszeit des Liedes wahrscheinlich die nachexilische schließen. Nach der strophischen Einteilung besteht es aus drei Sechszeilern. Die Ecclesia pressa1) aller Zeiten hat von jeher in diesem Psalm ihre Stammtafel und ihren Grundcharakter, ihr Los und ihren Trost, ihre Klage und ihren Reigen gefunden.

V. 1. Ein Wallfahrtslied. Sie haben mich viel bedrängt von meiner Jugend auf, so sage Israel; V. 2. Sie haben mich viel bedrängt von meiner Jugend auf, aber sie haben mich nicht überwältigt. V. 3. Auf meinem Rücken pflügten Pflüger, haben ihre Furchen lang gezogen. V. 4. Der Herr ist gerecht; Er hat der Gottlosen Strick zerhauen. V. 5. Zu Schanden müssen werden und zurückweichen alle Hasser Zions. V. 6. Sie müssen werden wie Dächergras, welches verdorrt, ehe man es ausrauft. V. 7. Von welchem der Schnitter seine Hand nicht füllt, noch seinen Arm der Garbenbinder, V. 8. Und die vorübergehen, nicht sprechen: Der Segen des Herrn sei über euch, wir segnen euch im Namen des Herrn.

Der vorliegende Psalm hat eine sehr nahe Verwandtschaft mit dem 124. Psalm. In beiden wird mit dem Aufruf: „so sage Israel“ dem Volke Gottes das Bekenntnis in den Mund gelegt, das es dem Herrn Angesichts Seiner rettenden Durchhilfe aus der fortgehenden Bedrängung von Seiten der Feinde schuldig ist; sie unterscheiden sich wesentlich nur dadurch, dass im 124. Psalm vorwiegend der Lobgesang für die erfahrne Errettung, hier dagegen der zuversichtliche Glaube an den Untergang der Feinde zum Ausdrucke kommt. In unserm Psalm ruht auch ein besondrer Akzent auf dem Überblick des ganzen Weges, den Israel hat gehen sollen und der jederzeitigen gemeinsamen Grunderfahrung, die es auf diesem Wege gemacht hat. Die darunterliegende Absicht zielt nicht bloß darauf, dass Israel seinen Netter und Erhalter dankbar erkenne und bekenne, sondern sie will auf dieser Folie eine weittragende prophetische Perspektive in das Los der wahren Kirche zu allen Zeiten eröffnen, sie will die wahre Kirche Gottes als die Kirche des Kreuzes kennzeichnen, die das Siegel trägt: „Sie haben mich viel bedrängt von meiner Jugend auf, aber sie haben mich nicht übermocht.“ Es sind nicht einmal die Namen derer, die es drängten, genannt, zum Zeichen, dass das Volk des Herrn von allen Seiten her den Druck erfährt, dass es die Elende ist, über die alle Wetter gehen“ (Jes. 54,11.), „der bunte Vogel, um welchen alle andern Vögel versammelt sind, um ihn zu rupfen.“ (Jer. 11,9.) Das zeigt zunächst Israel und zwar „von seiner Jugend auf.“ Die Wiege des Volkes Gottes stand in Ägypten; Seufzen und Wehklagen über den unbarmherzigen Zwangsdienst in schwerer Arbeit war sein Wiegenlied; unter dem Stecken des Treibers, unter Pharaos eiserner Rute trug es das Joch seiner Jugend. Der Wüstenzug ein schwerer, saurer Erziehungsweg! und an seinem Ende welch ein Anfang neuen Druckes von den Feinden jenseits des Jordans und am Libanon, auf den Gebirgen, in den Gründen und an den Anfurten des Meers, von den Moabitern und Amoritern, den Kanaanitern, Jebusitern, Pheresitern, den Syrern und Philistern! Wie hat es unter den Tagen der Richter eine so heiße Sturm- und Drangzeit gehabt und das harte Joch feindseliger Bedrückung so lange tragen müssen, dass selbst ein Gideon ans Zagen kam und sprach: „Ist der Herr mit uns, warum begegnet uns denn solches?“ Ja, je älter es wurde, desto schwerer das Joch man denke an der Könige und der Propheten Zeit! Und welche Geißeln waren in späterer Zeit die Ägypter, Assyrer und Babylonier für Israel; was hat ein Sanherib, ein Nebukadnezar, was ein Haman dem auserwählten Volke für gebranntes Herzeleid bereitet; wie sauer haben ihm nach der Rückkehr aus dem Exil die Feinde den Wiederaufbau des Tempels gemacht; was hat endlich ein Alexander, ein Antiochus Epiphanes, was der Römer schweres Joch dem armen Israel Gottes zugesetzt - am Ende seiner Laufbahn steht das verwüstete Vaterland, der zerstörte Tempel, die Zerfleischung seiner Kinder - fürwahr auf seinem Rücken pflügten Pflüger und haben ihre Furchen lang gezogen!“ Und was das geistliche Israel des Neuen Bundes für ein Los gehabt? In Wahrheit mit der vermehrten Gnade auch vermehrte Drangsal, Verfolgungen der grausamsten Art, Von Stephanus Märtyrertode an durch der Apostel Zeiten hindurch drei Jahrhunderte lang lauter Fußstapfen von Blut und Tränen, von unsäglichen Martern und Qualen der raffiniertesten Art. Was hat in späterer Zeit der Prophet des Halbmonds, was die Wut der Normannen und Vandalen für entsetzliche Bedrängnis gebracht, was haben im 12. Jahrhundert die armen Waldenser leiden müssen; ihrer 70.000 haben am Anfang des 13. Jahrhunderts ihr treues Bekenntnis mit dem Blute besiegeln müssen! Und die Kirche der Reformation zieht diese Marterstraße in gerader Linie weiter, ein Johannes Hus eröffnet, wie dort Stephanus, wieder den Reigen und die furchtbaren Christenverfolgungen in England, Frankreich, Spanien, Polen, Ungarn, Böhmen, während derer allein im Zeitraum von 30 Jahren über 800.000 Christen getötet worden sind, ein lautredendes Zeugnis von den lang und tiefgezogenen Furchen auf dem zerpflügten Rücken der evangelischen Kirche, aber damit auch von ihrer Ebenbürtigkeit mit dem wahren Israel Gottes.

Die Kreuz- und Knechtsgestalt ist Beider Signatur, wie sie die Signatur des in der Mitte der Reichsgeschichte stehenden, gemeinsamen Hauptes ist. Von Ihm steht geschrieben: „Ich hielt meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“ (Jes. 50,6.7.) So widerfährt einem herzfrommen Christen in der Hitze der Anfechtung nichts „Seltsames“; „dieselbigen Leiden gehen über alle Brüder in der Welt“, „Alle, die in Christo Jesu gottselig leben wollen, müssen Verfolgung leiden,“ ein Paulus trägt die Malzeichen des Herrn Jesu an seinem Leibe. (1. Petr. 4,12; 5,9; 2. Tim. 3,12.; Gal. 6,17.) Doch dem Bekenntnis des Druckes steht das Bekenntnis hohen Trostes zur Seite: „sie haben mich nicht übermocht,“ „der Herr ist gerecht, Er hat der Gottlosen Strick zerhauen.“ (V. 2 und 4.) Diese gnadenreiche Durchhilfe des gerechten Gottes hat Israel vom Durchzug durchs rote Meer an bis zum Lobgesang der drei Männer im feurigen Ofen hinaus allezeit und aufs allerreichlichste erfahren, und die Erhaltung der apostolischen, wie der evangelischen Kirche, welche bei einer solchen Menge von Feinden, bei so vielen Todesstößen ein wahres Wunder Gottes ist, fordert zu demselbigen Bekenntnis auf. Das kommt von dem Herrn, dem gerechten Gott. Wie es Seine Gerechtigkeit erheischt, dass Er Böses vergilt denen, die den Seinen Böses tun und Rache zu üben an denen, die weder Seine Gnade und Wahrheit, noch den Arm Seiner Macht erkennen wollen, so ist es Recht vor Ihm, die zu beschützen und zu erhalten, die ihr Vertrauen setzen auf den, der da hilft und vom Tode errettet.

Aus dieser Gerechtigkeit Gottes schöpft sein Volk nun die gewisse Zuversicht auf den Untergang aller seiner Feinde, welche die zweite Hälfte des Liedes so energisch ausspricht. (V. 5-8.) Hier finden wir zunächst den tiefsten, den eigentlichen und letzten Grund der Feindschaft in den Herzen aller dieser Dränger aufgedeckt: sie sind „Hasser Zions“. Hasser Zions, des Bergs des Herrn, der Wohnung des Allerhöchsten, des Herzblatts aller Seiner Gnadenoffenbarungen, der Herberge des Geheimnisses Christi? Kaum glaublich, dass die höchste Wohltat Gottes, weil die tiefste Herablassung Gottes, der gottabtrünnigen Welt zum größten Ärgernis gereicht! Und doch ist es wahr und dasselbige Rätsel, welches sich im Vollmaße am Kreuze des Welterlösers offenbart. Warum ist es den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit? Die Erlösung dünkt ihnen eine Beraubung des Liebsten zu sein, das sie haben und um jeden Preis festhalten wollen, ihrer selbst und der Welt. Und sie ist es auch, nur dass sie hinter dem Tode das Leben, hinter der vergehenden Nacht den aufgehenden Morgenstern nicht sehen. Wen aber die höchste Wohltat Gottes nicht beschämt und überwältigt, den macht sie ergrimmt und rebellisch wider sie; daher die Hasser Zions, die Feinde des Kreuzes (Phil. 3,18.), die in der Konsequenz ihrer Gedanken so weit gehen müssen, dass sie überhaupt in der Welt keine Religion und keine Kirche mehr wollen, sondern mit den Kindern Edoms sagen: „Rein ab, rein ab bis auf ihren Boden!“ (Ps. 137,7.) Der Lügner von Anfang ist auch der Mörder von Anfang (Joh. 8,44.) und der Hasser Gottes auch der Hasser seines Volkes. (Joh. 15,18.19.) kann aber das Ende aller dieser Feinde noch zweifelhaft sein? Zwar scheint es oft gerade umgekehrt sich anzulassen, wenn man der Feinde Prahlen hört, wenn die Rottengeister hoch daherfahren und Rom seine Machtbefehle gibt, ja es ereignet sich wieder und wieder die alte Tatsache, dass ein Sanherib mit großer Macht vor Jerusalems Toren liegt und Hiskias drinnen seufzen und weinen muss; aber Israel ist nicht auf den Augenschein, sondern auf den Glauben gestellt, nicht auf den Anfang, sondern auf den Ausgang der Dinge gewiesen, und da schaut man ein anderes Bild, das Bild, das hier Israels Glaube so kühn von allen Hassern Zions entwirft: sie gleichen dem Grase auf den flachen Dächern des Morgenlands, das, weil so gar wurzelschwach und bodenlos, gar nicht einmal erst ausgerauft zu werden braucht, sondern in sich selbst verdorrt; hier wird kein gesundes, fruchthaltiges Korn ausgestreut, über dem man sich in Hoffnung der Erntefreude Segensgrüße zuruft (Ruth 2,4.), sondern ihr Tun ist eine in sich faule, verdorbene Aussaat, über der es Lästerung wäre auszurufen: „der Segen des Herrn sei über euch!“

Aber den Liebhabern Zions winkt hinter dem Kreuz die Krone und hinter ihrer Tränensaat die Freudenernte. (Ps. 126,5.6.) Darum leide dich, leide dich, Zion! leide ohne Scheu Trübsal, Angst mit Spott und Hohne; sei bis in den Tod getreu, siehe auf die Lebenskrone. Zion! fühlst du der Schlangen Stich, leide dich, leide dich!

1)
unterdrückte Kirche
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/taube/psalter/taube-psalmen-psalm_129.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain