Steinhäuser, Hermann - Wodurch wird es uns möglich, die Gebote Gottes zu erfüllen?

Steinhäuser, Hermann - Wodurch wird es uns möglich, die Gebote Gottes zu erfüllen?

Am zweiten Advent 1852.

Deinen Willen, mein Gott, thue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen. Amen.

Ein schöneres Bekenntniß, als dies, den Willen Gottes gern zu thun, und sein Gebot in unserm Herzen zu haben, könnten wir von uns nicht ablegen. Aber vermögen wir es auch? Ist es wahr, daß wir den Willen Gottes gern thun? überall und zu jeder Zeit? da auch, wo er von uns verlangt, daß wir uns selbst verleugnen sollen? da auch, wo unsere Pflicht in Widerstreit kommt mit unserm Vortheil? Ist es wahr, daß du das Gebot Gottes in deinem Herzen hast? Was hast du in deinem Herzen? den Himmel, oder die Erde? das Unsichtbare und Ewige, oder das, was flüchtig und vergänglich ist? sehnt es sich nach der Herrlichkeit, die Gott uns verheißen hat, oder ist sein Verlangen auf das gerichtet, was die Welt bietet, auf Glück, Reichthum und Wohlleben? Nicht wahr, du leugnest es nicht, wie schwach dein Wille, wie wandelbar dein Herz, wie sündhaft dein Thun noch ist. Das ist unsere Klage, daß die Sünde noch so mächtig ist, nicht bloß in denen, die der Welt sich hingegeben haben und nach ihrem eigenen Gutdünken leben, sondern auch in uns selbst. Das ist unsere Klage, daß die Sünde so viel Großes und Edles verhindert; so vieles, was einen schönen Anfang nahm und einen herrlichen Fortgang versprach, zu einem traurigen Ende führt; daß sie den Brand der Zwietracht und des Hasses unter den Menschen entzündet, und auch uns so oft nicht zu dem Frieden der Seele gelangen läßt.

Woran aber liegt die Schuld, daß es so ist? Fehlt es uns an der rechten Erkenntniß? wissen wir nicht, was heilig und gut ist, und was der Herr, unser Gott, von uns fordert? Ach, das wissen wir wohl, und auch der weiß es, der in seinen Sünden sich verstockt, und dessen hartes Herz durch den Ruf zur Buße nicht erschüttert wird. Aber die Einsicht in das, was gut ist, befähigt uns noch nicht, es zu thun. Die Einsicht ist uns kein Antrieb zum Handeln; sie steht unter dem Einflusse der Gesinnung. Die klugen Menschen thun des Bösen mehr, als die beschränkten, und die mit scharfem Verstand Begabten haben größere Schandthaten verübt, als die Einfältigen. So fehlt es dem Menschen also an Kraft, den Willen Gottes zu thun, da ihm die Erkenntniß nicht mangelt? So vermag er es also nicht, zu thun, was Gott von ihm verlangt? Du schauest um dich unter den Menschen, und da findest du freilich keinen, der ohne Sünde wäre, als nur den einen, der unser aller Meister ist. Aber viele findest du doch, die du als Vorbilder betrachtest, die Edles, Göttliches auf Erden gewirkt haben und noch wirken. Du vermagst auch deine eigenen Handlungen nicht alle als sündhaft zu verwerfen. Du hast das Gute geliebt, du hast Versuchungen überwunden. So mußte doch in dir und in ihnen eine Kraft vorhanden sein, die das gewirkt hat, eine Kraft, durch die wir die Macht der Sünde brechen und thun können, was göttlich ist. Und wenn dir das ein Mal möglich war, warum hätte es dir das andere Mal nicht auch möglich sein sollen? Die Kraft ist ohne Werth, wenn sie nicht angewendet wird. Sie muß erst selbst in Bewegung gesetzt werden. Die Kraft zum Guten hilft dir nichts, wenn du den Willen nicht hast, sie dazu anzuwenden, wozu sie dir gegeben ist. So fehlt es uns also an dem rechten Willen, das Gute zu thun? Wenn Wollen gleichbedeutend ist mit Wünschen, dann wird niemandem der Wille dazu fehlen. Gut und fromm zu sein, vollkommene Herrschaft über sich selbst und seine Begierden zu haben, nichts anderes zu thun, als das, was vortrefflich ist und Segen bringt, wer sollte das nicht wünschen? So ist es des Lehrlings Wunsch, die Meisterschaft in seiner Kunst zu besitzen, die doch nur die Frucht unermüdeter Anstrengung ist. Aber solch ein Wünschen ist noch nicht Wollen. Solch ein Wunsch ist auch in denen vorhanden, die nichts thun, ihn zu verwirklichen. Das ist noch nicht der Wille, der entschlossen ist zur That, der die Kraft belebt und stärkt, der den Eifer entzündet zu thun, was wir als Gottes Gebot erkennen. Wenn wir diesen allezeit hätten, so würde es auch mit unserm Thun anders beschaffen sein. Dazu aber, daß wir ihn erhalten, dazu, daß er frei werde von allen hemmenden Einwirkungen, und durch ihn unsere Kraft stark genug, das Werk auszurichten, das uns übertragen ist, dazu bedürfen wir eines höhern Beistandes. Daß dieser Beistand uns nicht fehlen möge, das ist das Gebet, zu dem wir uns vereinigen.

Text: Matthäus 5, 17-19.
„Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch: Wahrlich, bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Titel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe. Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöset, und lehret die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber thut und lehret, der wird groß heißen im Himmelreich.“

Unser Herr spricht in unserm Texte von dem Verhältnisse, in welchem sein Werk zu dem mosaischen Gesetze stehe. Er sei nicht gekommen, es aufzulösen, sondern zu erfüllen. Was er unter Erfüllen verstehe, das zeigt er in dem weitern Verlaufe der Rede, welche sich unmittelbar an unfern Text anschließt. Er führt dort einzelne Gebote des Gesetzes an, und sagt, wie er wolle, daß die Seinen dieselben erfüllen sollten. Er fordert da noch mehr, als von den Juden im Gesetz gefordert war. Er fordert nicht bloß die äußere That, er fordert auch eine heilige Gesinnung. So ist in einem gewissen Sinne durch Christum das Gebot Gottes schwerer für uns geworden. Aber wenn wir es recht fassen und seiner Leitung folgen, so ist es uns durch ihn leichter geworden. Wodurch aber ist das geschehen? wie wird es uns möglich, die Gebote Gottes, wie sie Christus vor uns hinstellt, zu erfüllen, da das jüdische Gesetz als eine Last betrachtet wird, welche nicht getragen werden könne? Das lasset uns jetzt noch weiter in Andacht erwägen.

Wodurch wird es uns möglich, die Gebote Gottes zu erfüllen?

Als Antwort auf diese Frage bieten sich uns drei Sprüche der heiligen Schrift dar. Der erste ist ein Ausspruch des Apostel Johannes: „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer.“ Der zweite ist ein Ausspruch des Apostel Paulus: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig machet, Christus.“ Der dritte ist ein Ausspruch unsers Herrn selbst: „So jemand will deß Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede.“

1.

Wenn wir klagen, es sei schwer, überall das zu thun, was Gott will, so ist das ein Bekenntniß, daß die Liebe zu Gott in unserm Herzen nicht lebendig ist. Ohne die Liebe zu Gott sind wir nichts, vermögen wir nichts. Die Kraft, die das Größte vollbringt, die vor dem Beschwerlichsten nicht zurückweicht, die Hingebung, die nach dem Lohne nicht fragt, die sich aufopfert, und der das Opfer kein Opfer, sondern eine Freude ist, das ist die Liebe. Was treibt den Vater, unermüdet bei seiner Arbeit zu bleiben, die Last neuer Beschwerden auf sich zu nehmen, das Seine sparsam zusammenzuhalten, und Entbehrungen zu tragen, ohne daß es ihm Ueberwindung kostet? Was treibt die Mutter, zu sorgen und zu schaffen, zu pflegen und zu warten, am Krankenlager des Kindes zu wachen und seinen Schlummer zu behüten, von der Welt sich zurückzuziehen und auf des Hauses stillen Kreis sich zu beschränken? Ist es nicht die Liebe, die sie dazu treibt, die Liebe, die nicht an sich denkt, sondern nur an den andern, die nicht seufzt, daß eine so schwere Last ihr zugefallen fei, sondern die alles, was sie thut, gern und mit Freuden vollbringt? Wen die Liebe treibt, der überwindet alles, und kann nicht überwunden werden. Wen die Liebe treibt, der kommt auch zu dem beschwerlichen Werke mit immer freudigem Geiste, und bei dem ermüdenden bleibt er in frischer Kraft, denn die Liebe ermüdet nicht, sie hört nimmer auf. Wen die Liebe treibt, der sucht nicht das Seine, denn er gehört nicht mehr sich selbst. Liebe Gott, so hast du ihm alles gegeben, dich selbst und dein Herz, und wirst nimmer von ihm weichen wollen. Alles andere kann dich nicht wieder von ihm trennen, und ohne sie wird alles andere dich nicht in seiner Gemeinschaft erhalten. Denke an seinen heiligen Willen, höre sein Gebot: „ich bin heilig und ihr sollt heilig sein,“ und du wirst verzagen, es ist dir zu groß und zu viel. Denke an seine Gewalt und an sein allsehendes Auge; du wirst erzittern, aber dein Gehorsam wird nicht freudiger und vollkommener werden. Demüthige dich unter seine Hand, wenn seine Führung anders ist, als deine Hoffnung; du wirst dich beugen, und doch ferne von ihm bleiben.

„Gib mir, mein Sohn, dein Herz,“ so ruft er dir zu; es ist schon mein, denn ich habe es dir gegeben. Wolltest du ihm nicht geben, was sein ist? Ist nicht alles sein? liebet er uns nicht in allem, was er uns gibt? Wolltest du ihn nicht wieder lieben? Wenn du dich freuest, daß du zum Leben erwacht bist, daß das Licht vom Himmel dir leuchtet, ist es nicht sein Werk? Wenn du hinausblickst in die Wunder seiner Schöpfung, wie er alles so herrlich geschmückt und so weise geordnet hat; und hinauf zu des Himmels Höhe, da zahllose Welten noch größere Wunder seines Wirkens dich ahnen lassen; und um dich her auf die Menschen, die schon in ihrer Gestalt die Spuren des Göttlichen an sich tragen, da ein denkender, liebender, hoffender Geist aus freundlichen Augen dich anschaut: mußt du nicht ausrufen, wie groß und wie gütig ist Gott! wie herrlich erweiset er uns seine Liebe! Und wenn dein Werk einen glücklichen Fortgang hat; wenn du den Segen verspürst, der von oben kommt, und der sich nicht erzwingen läßt, das Gedeihen, mit dem er deine Arbeit und dein Haus reichlich segnet: ist es nicht sein Geschenk, das Geschenk seiner freien Gnade? Und wenn deine Kinder fröhlich gedeihen, in Zucht und Ehren heranwachsen, und du nicht zu fürchten hast, du werdest einmal unbeweint aus der Welt scheiden, sondern du werdest zurücklassen, die dein Werk ausnehmen und fortsetzen, wenn für dich die Ruhe des Abends gekommen ist, auf denen dein Segen bleibet, wenn du selbst nicht mehr bei ihnen bist: wirft du das ihm nicht danken, der dir das alles gegeben, der so liebend dich geführt hat, und nun auch aus der Fremde in die Heimath dich rufet, nun auch von aller Erdensorge und Roth dich befreit, damit du ihm dort in Freuden dienest, wo nichts Irdisches dich mehr beschweren und bekümmern wird?

„Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und laß deinen Augen meine Wege wohlgefallen.“ Zu seinem Kinde hat er dich erhoben, an sein Herz hat er dich gezogen. Du kannst zu ihm aufblicken und beten: Abba, lieber Vater. Du bist bei ihm, er ist bei dir. Was soll dich scheiden von seiner Liebe? Wirst du dann noch seufzen, es sei so schwer, zu thun, was er gebietet? Wird er noch nöthig haben, dir etwas zu gebieten? Was soll zur Sünde dich reizen? dein irdischer Sinn? du denkst nicht was irdisch, sondern was himmlisch ist. Die Macht deiner Begierden? Das Höchste, wonach du dich sehnst, ist deines Vaters Liebe. Dein Geld und Gut? Du achtest es gering gegen die Schätze, die dir im Himmel bereitet sind. Deine Sorge und Noth? Du bist reich in Gott und leidest keinen Mangel. Es wird dir nicht schwer, so zu denken und zu handeln, sondern leicht wird es dir sein, du findest dein höchstes Glück darin. „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer.“ Die Liebe ist es, die aus dir spricht und betet:

O Vater, du mein Licht und Leben.
Du aller guten Gaben Quell,
Dir bin ich einmal übergeben,
Dir, dir gehöret meine Seel'.
Ich will mich nicht mehr selber fuhren,
Der Vater soll das Kind regieren.
So führe du mich aus und ein;
Ich geh' nicht einen Schritt allein.

2.

Aber das ist vielleicht deine Klage, daß du sprichst, es gelingt mir nicht immer, Gott so zu lieben. Wenn ich immer mit meinem Geiste so bei ihm wäre, wie in den gehobensten Stunden meines Lebens, dann würde es mir auch nicht schwer, sondern eine Freude sein, das zu thun, was er gebietet. Gott ist mir wohl nahe, aber er ist mir doch auch so fern; nirgends sehe ich ihn selbst; überall sind es seine Werke, die zwischen ihn und mich treten, hinter denen er vor mir verborgen ist. Ich will mit meinem Geiste eindringen in sein Wesen; aber es ist mir zu tief und unbegreiflich. Ich will ihn lieben um seiner Wohlthaten willen; aber es ist eine unsichtbare Hand, die sie mir reicht. Ich kann so oft die Schwäche meiner irdischen Natur nicht überwinden, die mich zum Sichtbaren niederziehet, daß ich da gern schauen möchte, wo ich glauben soll. Da erkenne von Neuem die Liebe deines himmlischen Vaters, der auch auf diese Schwachheit unserer Natur Rücksicht genommen, der uns den Zugang zu ihm leichter gemacht hat durch die Sendung seines Sohnes. Halte dich zu Christo, so wirst du den Vater finden und des Vaters Willen thun, der auch sein Wille ist, wie er spricht: „ich bin nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Halte dich zu ihm, so hast du den Vater. Auch zu dir spricht er, wie zu dem Philippus, wenn du mit diesem verlangst: „Herr, zeige uns den Vater,“ da er antwortete und sprach: „wer mich siehet, der siehet den Vater. Wie sprichst du denn, zeige uns den Vater? Glaubest du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist?“ Und ist es nicht so, wie er saget? O, werde nur recht vertraut mit ihm; kehre nur immer wieder zu ihm zurück, wenn dein irdischer Beruf dich in die Sorgen dieser Welt hineinführt; suche ihn immer wieder auf, wenn du ihn im Gedränge der Welt verloren hast; wandle mit ihm, schaue seine Herrlichkeit an, höre auf sein Wort, höre auf seine Verheißung, und werde derselben immer gewisser, so wird es dir nicht länger ein unverstandenes Wort sein, das er spricht, „wer mich siehet, der siehet den Vater.“ Du wirst wachsen an Kraft und an Muth, und dem Apostel nicht bloß nachsprechen, sondern wie aus seinem eigenen Herzen heraus mitsprechen: „ich vermag alles durch den, der mich mächtig machet, Christus.“ Sein Wort dringt immer tiefer in uns ein, je aufmerksamer wir es hören und findet eine Wohnung in uns. Seine Lehre macht uns frei von dem blendenden Scheine, der uns umgibt und läßt uns immer tiefer hineinschauen in die göttliche Offenbarung. Seine Verheißungen erheben uns immer höher über die Unbeständigkeit dieser Zeit und lassen uns das Ewige mit immer größerer Sehnsucht ergreifen. Die Kraft Gottes, die von ihm ausgeht auf die Menschen, wohnt immer reicher und wirkt immer kräftiger in unseren Herzen, daß wir durch ihn neugeboren werden zu einem neuen Leben, daß wir das Alte und Ungöttliche von uns abthun, und in das Neue, das Göttliche uns immer mehr hineinleben, daß es zu uns mitgesagt ist: „siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“

Was er wirket in dem Menschen, das schaue zunächst an dem Apostel, der in jenen Worten ein so schönes Bekenntniß von der Kraft und Wirksamkeit Christi in sich abgelegt hat. Bon seinem Geist ergriffen wurde ihm leicht, was ihm vorher unmöglich gewesen war, den alten falschen jüdischen Zorn und Eifer abzuwerfen und demüthig die Liebe Gottes zu suchen; von all seinen früheren Hoffnungen und Verbindungen, von aller Aussicht auf schnelles Emporsteigen zu Ehre und Wohlleben sich loszumachen und Christo zu dienen; ihm zu dienen in Gefahr, in Verfolgung, in Noth, in Mühen und Beschwerden, und doch nicht zu ermüden. Sein Leben ist die Erläuterung zu dem, was er selbst von sich sagt: „ich habe gelernt, bei welchen ich bin, mir genügen zu lassen, ich kann niedrig sein und kann hoch sein, ich bin in allen Dingen und bei allen Dingen geschickt, beides satt sein und hungern, beides übrig haben und Mangel leiden;“ und zu dem, was er als des Christen Beruf und Kraft schildert, daß sie wären als die Traurigen, aber allezeit fröhlich, als die Armen, aber die doch viele reich machen, als die nichts inne haben, und doch alles haben. Und das vermögen auch wir in dem Herrn und durch ihn. Die Welt lockt dich nicht mehr; Christus ist deine Welt und Gott deine Sehnsucht. Dein bescheidener Beruf, der dir nur wenig Ehre vor den Menschen bringt, deine beschrankte Lage, die dir eben nicht mehr gewährt, als du nothdürftig brauchst, macht dir keine Sorge und keinen Kummer; du hast höhere Schätze, die dich glücklich machen. Der Spott der andern kümmert dich nicht; was sie verspotten, ist dein Ehrenkleid, mit dem du vor Gott bestehen willst. Die Lieblosigkeit der andern erzürnt dich nicht; du hast gelernt, denen zu vergeben, die nicht wissen, was sie thun. Und auch der Tod schreckt dich nicht; denn er ist dir ein Eingang zum Vater. Du sprichst, „ich vermag alles durch den, der mich mächtig machet, Christus.“

3.

Wenn du nun dem Willen Gottes treu gewesen bist, hat dir diese Treue nicht auch eine köstliche Frucht gebracht? Wenn derjenige, der eines von diesen kleinsten Geboten auflöset, der Kleinste im Himmelreich heißen wird, wirst du, wenn du es lehrest und thust, nicht groß heißen im Himmelreich? Und wenn du so heißest, nicht auch glücklich sein? Es ist auch die Erfahrung, daß der Gehorsam gegen Gottes Gebot uns glücklich macht, was uns in der Treue gegen dasselbe befestigt, und unsere Kraft, dasselbe zu vollbringen, noch erhöhet. Das ist es, worauf unser Herr selbst uns verweist, wenn er sagt: „so jemand will deß Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede.“ Unser Heiland, der uns auf die Bahn leitet, die zu Gott führt und für sein heiliges Gebot unser Herz zu gewinnen sucht, will uns nicht blenden durch irdische Verheißungen, daß wir um irdischen Lohnes willen ihm dienen sollten, da doch unser Herz noch irdisch gesinnt bleiben und nach dem Himmlischen kein Verlangen tragen würde. Er will unseren Eifer nicht einschläfern dadurch, daß er einen Glauben forderte ohne Werke, der doch todt ist an ihm selber, und da er das Gesetz aufheben würde, das doch nicht aufgelöst, sondern erfüllt werden soll. Er will auch nicht in jene Aufregung uns versetzen und jene falsche, verderbliche Begeisterung in uns entzünden, da wir um der Lehre willen uns veruneinigten und haßten und verdächtigten, und dahinten ließen die Werke der Liebe und der Gerechtigkeit und des Glaubens. Sondern er verweiset uns auf die einfache Thatsache, daß wir die göttliche Kraft seines Werkes, wenn wir es thun, an uns selbst wahrnehmen durch den Frieden, den es in unser Herz gibt. Er will uns überzeugen, nicht durch künstliche Mittel, sondern durch die einfache Gewalt und Macht der Wahrheit. Und was du an dir selbst erfahren hast, das braucht dir niemand erst künstlich zu beweisen, das vermag dir auch niemand durch listige Rede wieder wankend zu machen und durch Hervorrufen von Zweifeln zu entreißen. Mögen die Versuchungen sich nahen, mögen die Weltkinder ihren eigenen Weg wandeln, möge der Unglaube dich verspotten wegen deiner Beschränktheit, daß du nicht einmal von solchen Vorurtheilen dich losmachen könnest: du bleibst fest und getrost bei der einfachen Thatsache stehen, daß die Nachfolge Christi dich selig macht. So oft du bei ihm bliebest und nicht bei der Welt, so warest du glücklich. So oft du dich selbst überwunden und gethan hast, was Gott gebietet, so oft bist du auch voll freudiger Zuversicht gewesen; denn „so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott.“ Das ist dir so gewiß, das ist dir eine so unumstößliche Wahrheit, daß dich nichts darin irre machen kann.

Warum solltest du denn nicht bleiben bei dem, was dich glücklich macht, und nicht bloß bleiben, sondern vielmehr wachsen und zunehmen darin? Oder wäre es anders? Du bist einem Betrübten begegnet auf deinem Wege, und du gingst nicht vorüber, sondern du redetest freundlich mit ihm und hast ihn aufgerichtet durch Worte des Trostes und durch Stärkung seines Glaubens. Hat dich das nicht selbst gestärkt und getröstet? Du hast einem, der ohne seine Schuld Mangel leiden mußte, helfend die Hand gereicht, in sein verdunkeltes Gemüth ein helles Freudenlicht scheinen lassen. Hat das nicht auch in dir selbst der Freude Licht heller aufleuchten lassen? Du hast einem, der dir Wehe gethan hat, nicht Böses mit Bösem vergolten. Als er später deines Fürwortes, deiner Theilnahme bedurfte, dachtest du nicht mehr des Unrechts, das er dir zugefügt, noch der Bosheit, mit welcher er dich gekränkt hat. Mancher freuet sich, wenn er seinem Feinde wieder eine Kränkung bereiten kann, du freuest dich, wenn du es vermagst, ihm Gutes zu erzeigen. Welche Freude wird seliger sein? Du hast deine Hände von unrechtem Gute rein erhalten, du hast dich nicht überreden lassen, der Betrug an denen verübt, die mehr haben, als du, sei nicht Betrug, sondern Nothwehr gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals, das jenen viel, dir aber wenig gegeben habe. Daß du dich nicht zur Untreue verleiten ließest, hat dich das später gereut, oder dankst du nicht vielmehr Gott, daß er dich dem Versucher hat Widerstand leisten lassen? Wirst du später anders handeln? Wirst du nicht vielmehr immer fester in deiner Rechtschaffenheit und lehrest deine Kinder auch also? Du beginnest dein Tagewerk mit dem Gedanken an Gott und beschließest es mit ihm; du dankest ihm für die Speise, die er dir gibt, und für alle Gaben, die dich erfreuen; du trauest auf ihn in bedrängter Zeit und weichest nicht von ihm, wenn du überflüssig hast, was du brauchst. Sprich, bist du nicht selig in deiner Liebe zu Gott und deinem Vertrauen auf ihn? Wolltest du ihn verlassen und der Sünde dienen?

Nein, du überhebest dich nicht, als wärest du schon vollkommen; aber du strebest darnach, daß du es immer mehr werdest. Du meinest nicht, der göttlichen Gnade und Vergebung nicht zu bedürfen; aber deine Sehnsucht und dein Streben ist es, einem Zustande näher zu kommen, wo wir weder des Gesetzes noch der Vergebung mehr bedürfen. Die Liebe Gottes führt dich zur Liebe seiner Gebote; der Glaube an Christum stärkt dich, sie zu vollbringen; die eigene Erfahrung, daß ein göttliches Leben auch ein seliges ist, läßt dich nicht wieder wankend und unschlüssig werden. Und so erfüllt sich an dir, was der Apostel sagt: „Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darinnen beharrt; und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter, derselbige wird selig sein in seiner That.“ Amen.

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