Spurgeon, Charles Haddon - Frühling im Herzen.
„Du tränkest seine Furchen und feuchtest setzt Gepflügtes; mit Regen machst du es weich und segnest sein Gewächs.„
Psalm 65, 11.
Obschon sich die anderen Jahreszeiten durch Reichthum auszeichnen mögen, so trägt doch der Frühling immer die Palme der Schönheit und Frische. Wir danken Gott, wenn die Ernte naht und der goldene Weizen des Schnitters Sichel harrt, aber wir sollten ihm auch für die Tage des Frühlings danken, denn diese bereiten die Ernte. Die Aprilstürme sind die Mütter der duftenden Maiblumen, und auf den kalten Winter folgt die Herrlichkeit des Sommers. Gott macht es weich und segnet das Gewächs, daß es keimt und treibt, sonst könnte man nicht sagen: „Du krönest das Jahr mit deinem Gut.“
Der geistliche Frühling ist eine sehr gesegnete Zeit für die Kirche. Dann sieht man jugendliche Frömmigkeit sich entwickeln, und auf allen Seiten hört man Freudenrufe: „Ich habe den Herrn gefunden.“ Unsere Söhne wachsen empor wie die Weiden an den Wasserbächen. Wir schlagen unsere Hände zusammen in freudigem Erstaunen und jauchzen: „Wer sind die, die da fliegen, wie die Wolken, und wie die Tauben zu ihren Fenstern!“ In den Tagen der Erweckung, wenn Gott die Kirche mit vielen Bekehrungen segnet, dann hat man große Ursache, zu singen: „Du segnest sein Gewächs.“
Ich beabsichtige, den Text mit Rücksicht auf persönliche Fälle zu betrachten. Es gibt eine Zeit für das Knospen der Gnade, wenn die Keime eben durch die kalte Erde der unbekehrten Natur durchbrechen. Darüber, und wie denn der Herr die neuen Halme der Gottseligkeit an Denen segnet, welche angefangen haben, ihre Hoffnung auf den Herrn zu setzen, werde ich Einiges reden.
1.
Zuerst betrachten wir den Zustand vor dem Keimen der Knospen.
Es gibt Arbeit für uns zu thun. Ehe der Same zu keimen anfängt, muß gepflügt, geeggt und gesäet werden. Und wir erwarten natürlich nicht, daß gleich nach dem Pflügen auch schon geerntet werden kann. Gelobet sei Gott! in manchen Fällen überholt der Schnitter den Ackermann; jedoch das kann man nicht immer erwarten. Bei Manchen muß die Saat lange vorbereitet werden. Das Gesetz mit seinen zehn schwarzen Pferden zieht seine Pflugschar der Ueberzeugung auf und ab durchs Herz, bis kein Plätzchen in demselben mehr ungelockert ist. Tief hinein, bis in das Innerste der Seele dringt diese Ueberzeugung. Die Pflüger ziehen tiefe Furchen, wenn Gott seine Hand an den Pflug legt, in der Gegenwart des Allerhöchsten wird das Herz zerbrochen und zerknirscht.
Dann kommt das Säen. Ehe ein Knospen stattfinden kann, muß natürlich gesäet werden, und nachdem der Prediger den Pflug des Gesetzes hinreichend gebraucht hat, bittet er seinen Herrn um den Samenkorb des Evangeliums. Gnadenverheißungen, Gnadenlehren, besonders eine klare Darstellung der freien Gnade in der Versöhnung, dies sind die Hände voll Samen, die wir hinausstreuen. Manche der Körner fallen auf den Weg und gehen verloren, anderes fällt auf gutes Land und wächst.
Nun folgt das Eggen. Es ist nicht genug, den Samen hinzuwerfen und dann liegen zu lassen; das Wort Gottes muß mit Gebet gepflegt werden. Die Gebete des Predigers und der Gemeinde sind sozusagen die Egge, womit der Same eingeeggt wird, damit er in die Erde kommt und in den Herzen der Zuhörer geborgen liegt.
Die Ursache, warum ich diesen Gegenstand berühre, ist, meine Brüder, welche ohne scheinbaren Erfolg gearbeitet haben, zu ermuntern, die Hoffnung nicht aufzugeben, sondern nachdem sie nun gepflügt, gesäet und geeggt haben, die Ernte zu erwarten. Und noch aus einem andern Grunde erwähne ich dies, nämlich zur Warnung für die, welche eine Ernte erwarten, ohne vorher die Saatarbeit gethan zu haben. Ida glaube nicht, daß von den plötzlichen Auflebungsversammlungen, welche nicht mit Gebet und Flehen vorbereitet sind, viel Gutes kommen kann. Der Diener Gottes muß das Evangelium predigen, ob die Leute darauf vorbereitet sind oder nicht; aber um große, außerordentliche Erfolge zu erzielen, dazu ist eine gehörige Vorbereitung unter den Zuhörern erforderlich. Auf manche Herzen fällt die warme, ernste Predigt als etwas Neues, es überrascht, aber überzeugt nicht; während in andern Versammlungen, wo gute Predigten gehalten werden und viel gebetet wird, das Wort in die Herzen fällt und oft schnelle Frucht bringt. Eine Gemeinde wartet umsonst auf eine ausgedehnte, nachhaltige Auflebung, es sei denn, man habe es vorher mit viel gläubigem Gebet ernstlich gesucht und voll gläubiger Hoffnung darauf gewartet.
Aber es ist hier auch ein Werk zu schaffen, welches über unsere Kräfte geht. Auf Pflügen, Säen und Eggen muß das Gedeihen von Oben kommen. „Du suchest das Land heim und wässerst es,“ sagt der Psalmist. Alle unsere Anstrengungen sind umsonst, wenn Gott nicht die Ströme seiner Segnungen darauf herabgießt. O Heiliger Geist, du und nur du kannst Wunder wirken in den Herzen der Menschen; du gehst aus vom Vater und vom Sohne, um des Vaters Werke zu wirken, und den Sohn Gottes zu verherrlichen.
„Du tränkest seine Furchen.“ So wie die Furchen getränkt werden vom Regen, so muß das ganze Herz von dem Einfluß des Heiligen Geistes ganz durchdrungen werden. Der Verstand wird erleuchtet, das Gewissen geschärft, der Wille gezähmt und das Gemüth begeistert, alles wird von den göttlichen Wirkungen beeinflußt. Es ist unsere Sache, als Menschen mit den Menschen zu verhandeln, ihnen die Wahrheit vorzustellen, und ihnen Gründe, wodurch vernünftige Menschen bewegt werden können, vorzuhalten; aber nach Allem ist es doch der Thau von Oben, welcher das Land wässert. Ohne daß das Herz durch die Kraft des Heiligen Geistes bearbeitet wird, ist auf keine Rettung zu hoffen. Nun aber wird das Herz gebrochen. Die Keime der Selbsterkenntniß entwickeln sich und tragen die schönen Blüthen wahrer Demuth. Da, wo früher Stolz und Eitelkeit wohnten, kehren nun Ergebung und Bescheidenheit ein.
„Mit Regen machst du es weich.“ Das Herz des Menschen ist von Natur hart gegen die Wahrheit; wie das Land im Orient ist es hart wie Eisen, wenn kein Regen darauf fällt. Wie schön und gründlich erweicht der Geist Gottes das Herz des Menschen durch und durch. Er ist dann ganz anders gegen Gottes Wort gestimmt. Früher fühlte er nichts, nun fühlt er Alles. Der Felsen fließt mit Wasser; das Herz zerfließt in Zärtlichkeit, die Augen schwimmen in Thränen.
Alles dies ist das Werk Gottes. Ich habe schon bemerkt, daß Gott durch uns wirkt, aber es ist Gottes direkte Wirkung, den Regen seiner Gnade von Oben zu senden. Vielleicht wirkt er eben jetzt bei Manchen von Euch, obgleich sich noch keine Spur von geistlichem Leben zeigt. Ob auch euer Zustand jetzt noch traurig ist, so wollen wir doch hoffen, daß sich bald die Spuren geistlichen Wachsthums zeigen, daß bald die grünen Halme emporschießen und Früchte tragen.
2.
Zum andern laßt uns die Entwickelung des Gewächses betrachten. Nachdem die Wirkungen des heiligen Geistes nach dem Wohlgefallen des großen Weingärtners einige Zeit am Herzen wirksam waren, so offenbaren sich die Zeichen der Gnade. Bedenkt, die Schrift sagt: „Zum ersten das Gras (halm), darnach die Aehren, darnach den vollen Weizen in den Aehren.“ Manche Freunde bekümmern sich gewaltig, weil sie noch nicht den vollen Weizen in den Aehren bei sich wahrnehmen. Sie meinen, wenn sie Kinder Gottes wären, so müßten sie gerade sein, wie dieser oder jener gereifte Christ, mit welchem sie das Vorrecht haben zu verkehren, oder von welchem sie in Biographien gelesen haben. Meine Lieben, das ist ein großer Irrthum. Wenn die Gnade zuerst in euren Herzen einkehrt, so ist es nicht ein großer Baum, dessen Schatten eine große Fläche bedeckt, sondern es ist der kleinste von allen Samen, wie ein Senfkorn. Wenn die Gnade zuerst ins Herz scheint, so geschieht es nicht vom hohen Mittagshimmel, sondern es ist der erste Strahl der Morgendämmerung. Seid ihr so thöricht, daß ihr die Ernte erwartet, ehe die Frucht sich entwickelt hat? Gewiß nicht.
Die Frömmigkeit des Herzens beginnt zunächst mit einem innigen Verlangen nach dem Heil in Christo. Man hat nicht die Meinung, daß man erlöst sei, aber man sehnt sich darnach. Dasjenige, was uns einst eine gleichgültige Sache war, ist uns nun von der größten Wichtigkeit. Einst verachtete man die Christen und hielt ihren Ernst für übertrieben; man hielt die Religion für eine Nebensache und betrachtete die Dinge der Erde und Zeit als Hauptsachen; aber wie hat sich nun Alles geändert! Man beneidet den geringsten Christen und möchte mit dem ärmsten Gläubigen tauschen, wenn man nur damit die Gewißheit des Heils erlangte. Die Dinge der Welt haben ihre Herrschaft über uns verloren, und die geistlichen Dinge stehen vorne an. Einst sagte man mit der gleichgültigen Menge: „Was kann von Nazareth Gutes kommen?“ Nun betet man: „Herr, laß leuchten, dein Antlitz, so genesen wir!“ Einst schaute man nur nach Brod und Fischen, nun aber ist dem Herrn allein unser Auge zugewandt. Fels und Burg der Seele ist nun der Herr allein, denn man findet sonst keine Zuflucht. Das heilige Sehnen der Seele war sonst wie ein hinfliegender Rauch, nun aber ist es beständig, wiewohl der Besitz hinter der Sehnsucht weit zurück bleibt. Oft steigert sich dies Sehnen zu einem Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, und doch ist sie nicht zufrieden; man wünscht ein noch innigeres Verlangen nach den Dingen des Reiches Gottes zu haben. Dieses Sehnen ist einer der ersten Keime des geistlichen Lebens.
Ein anderer ist das Gebet. Jetzt ist es Beten. Einst war's ein Plappern mit Worten, wovon das Herz kaum Etwas wußte; jetzt aber, obgleich man von keinem Menschen wünscht gehört zu werden, ist es Gott gefällig, denn es ist ein Sprechen der Seele mit Gott und nicht ein Lippenwerk vor dem Altar eines unbekannten Gottes. Die Gebete sind vielleicht nur kurz, kaum mehr als: „Ach Gott!“ „Gott, hilf mir!“ „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ und dergleichen Stoßseufzer, aber nun sind es Gebete. „Siehe, er betet,“ das bezieht sich nicht auf ein langes Gebet, nein, wenn es nur ein Seufzer oder eine Thräne ist, aber von Herzen kommt, so ist es Gott angenehm. Dies „unaussprechliche Seufzen“ gehört zu den ersten Keimen der Gottseligkeit.
So wird sich auch eine herzliche Liebe zum Hause Gottes und allen Gnadenmitteln im Herzen offenbaren. Die Heilige Schrift, seither vernachlässigt, und behandelt wie ein alter Kalender, wird nun fleißig gelesen; trotzdem der Leser gerade jetzt wenig darin findet, das ihn tröstet, aber vieles das ihn beunruhigt, so fühlt er doch, daß dies das Buch für ihn ist, und voller Hoffnung durchforscht er dessen Inhalt. Wenn er zum Hause Gottes geht, so ist er ganz Ohr, indem er hofft, der Mann Gottes habe eine Botschaft an ihn. Früher betrachtete er den Kirchenbesuch als eine Art fromme Nothwendigkeit, welche zur Pflicht ordentlicher Leute gehöre, nun aber geht er, um den Heiland zu finden. Früher hatte er nicht mehr Christenthum als die Thür, welche sich in ihrer Angel dreht, nun betritt er das Haus Gottes betend: „O Herr, erbarme dich meiner Seele!“ und wenn er ohne besonderen Segen nach Hause geht: „Ach, daß ich den Herrn zu finden wüßte, daß ich könnte zu ihm kommen.“ Das ist ein sicheres Zeichen des aufkeimenden Seelenlebens.
Ein anderes Zeichen ist noch erfreulicher: Die Seele hat wenigstens einen gewissen Grad von Glauben an Jesum. Es ist noch nicht der Glaube, der große Freude und Frieden bringt, aber es ist der Glaube, welcher das Herz vom Rande der Verzweiflung zurück hält und die Seele bewahrt, daß sie unter der Last der Sünde nicht zusammenbricht. Ich weiß die Zeit, daß Niemand an mir Glauben wahrnehmen konnte, und ich selbst wußte kaum Etwas davon, und doch konnte ich mit Petrus sagen: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe.“ Was Menschen nicht sehen können, sieht der Herr. Manche Leute haben Glauben an Christum, aber sie geben sich so viel Mühe darnach zu schauen, daß sie ihn nicht sehen. Würden sie nach Jesum schauen statt nach ihrem Glauben, so würden sie nicht nur den Herrn, sondern auch ihren Glauben sehen; aber sie messen ihren Glauben und finden denselben im Vergleich mit dem Glauben gereifter Christen so klein, daß sie meinen, es sei gar kein Glaube. O mein Kind, wenn du Glauben genug hast, Jesum aufzunehmen, so bedenke die Verheißung: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden.“ Armes, schwaches, betrübtes Herz, schaue auf Jesum und antworte: Kann ein solcher Heiland umsonst leiden? Kann solch ein Opfer umsonst gebracht sein? Kannst du ihm vertrauen und doch verstoßen werden? Das kann nicht sein. Es war nie die Art des Herrn, den zurückzustoßen, der seine Hand erfaßt. Wenn der Glaube auch noch so schwach emporkeimt, er segnet ihn. Die Schwierigkeit liegt zum Theil in Mißverständniß und zum Theil im Mangel an Gottvertrauen. Ich sage Mißverständniß. Wenn ihr, wie manche Leute in London, noch niemals grünes Getreide gesehen hättet, so würdet ihr sagen: Was, das grüne Kraut soll Weizen sein?“ „Ja,“ sagt der Landmann, „das ist Weizen.“ Ihr betrachtet es wieder und sprecht: „Was in aller Welt, Mann, das ist ja nichts als Gras. Sie werden mir doch nicht sagen wollen, daß man von diesem Gras jemals einen Laib Brod bereiten kann, wie man es in dem Bäckerladen findet; das könnte ich nicht begreifen.“ Nein, du kannst es nicht begreifen, aber wenn du einmal mit dem Hergang vertraut wirst, so kommt es dir gar nicht außerordentlich vor: erst das Gras, dann die Aehren, dann den vollen Weizen in den Aehren. Manche von euch haben niemals den Wachsthum der Gnade beobachtet und wissen folglich nichts davon. Wenn ihr neubekehrten Seelen mit gereiften Christen zusammen kommt und findet sie wie die reifen goldenen. Aehren, so sagt ihr: „Ich bin nicht wie diese.“ Freilich das ist wahr. Ihr gleicht mehr den grünen Halmen, aber ihr sollt auch wachsen, euch entwickeln und werden wie jene. Ihr müßt durch all die Stadien gehen, und wenn ihr einmal zu Aehren geworden seid, so zweifelt ihr vielleicht, ob es je zum vollen Weizen kommt; aber wenn ihr anhaltet, so werdet ihr auch zur Vollkommenheit fahren. Danket dem Herrn, daß ihr überhaupt in Christo seid. Ob ich großen oder kleinen Glauben habe, ob ich viel für Jesum wirken kann oder wenig, ist nicht die erste Frage; ich bin errettet nicht um deß willen, das ich bin, sondern um deß willen, was Jesus ist, und wenn ich nur an ihn glaube, wie klein ich auch immer sein mag in Israel, so bin ich doch so sicher wie der größte Heilige.
Ich habe bemerkt, daß auch viel Zweifel mit diesem Mißverständniß verbunden ist. Ich kann es nicht als verzeihliche Unwissenheit ansehen, denn es gibt sündliche Zweifel. O Sünder, warum glaubst du nicht an Jesum? Armes, geängstetes Gewissen, Gott gibt dir sein Wort, daß wer an Christum glaubt, wird nicht verdammet werden. Willst du Gott zum Lügner machen? Schäme dich, daß du jemals an Gottes Wahrhaftigkeit solltest gezweifelt haben. Alle deine anderen Sünden sind nicht so verwerflich in den Augen des Herrn als die, daß du denkst, er sei nicht bereit, dir deine Sünden zu vergeben, daß er dich sollte verstoßen, wenn du zu ihm kommst. Schmähe nicht seinen heiligen Charakter. Wirf keinen Schatten auf das Wohlwollen seines liebenden Herzens. Er sagt: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus stoßen.“ Komme im Glauben an seine Verheißung, und er wird dich jetzt annehmen.
3.
Es ist Einer, der die Entwickelung des Saatkorns sieht. „Du segnest sein Gewächs.“ Ich wünschte, daß manche von uns bessere Augen hätten, um den Anfang des Gnadenwerks in den Herzen wahrzunehmen; denn wegen Mangels an diesem, geht uns manche Gelegenheit verloren, den Schwachen beizustehen. Wenn eine Mutter eine Anzahl fremder Kinder in Pflege hätte, so würde sie vielleicht kaum die aufkeimende Krankheit so bald merken; aber bei ihren eigenen Kindern entgeht es ihr nicht, wenn sich das geringste Zeichen von einer herannahenden Unpäßlichkeit auf den Wangen oder im Auge des Kleinen zeigt. Ich wünschte wir hätten auch so wackere Augen und zärtliche Herzen gegen die Seelen. Ich glaube, daß manche junge Leute Wochen ja Monate lang sich quälen, was nicht nöthig wäre, wenn ihr, die ihr den Herrn kennt, ein wenig aufmerksamer wäret und würdet ihnen in ihrem Kummer zur Seite stehen. Die Schäfer wachen zu Zeiten die ganze Nacht, um die neugebornen Lämmer zu pflegen, und wir, die wir Pfleger der Herde Gottes sein sollen, sollten uns auch der Lämmer annehmen, besonders zu Seiten, wenn dem Herrn viele Kinder geboren werden, denn zarte Pflege ist nöthig, wenn die neugebornen Seelen gedeihen sollen.
Für euch, ihr blöden Seelen, welche sich scheuen, zu Vater oder Mutter, Bruder oder Schwester etwas von ihrem Seelenzustand zu sagen, dieser Gedanke sollte euch besonders köstlich sein. „Du segnest sein Gewächs.“ Das zeigt euch, daß der Herr euren Zustand sieht und kennt. Der Herr bemerkt das erste Zeichen eurer Buße. Sobald ihr sagt: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen,“ hört euch der Vater. Und ist es nur ein inniges Verlangen, der Herr weiß es. Eure Seufzer und Thränen sind in sein Buch geschrieben. Er beobachtet eure Rückkehr, er läuft euch entgegen, fällt euch um den Hals und küsset euch mit dem Kusse der versöhnenden Liebe. O Seele, laß dich das Bewußtsein ermuthigen, daß, ob du in deiner Kammer oder auf dem Felde oder in der Einsamkeit bist, der Herr auch dort ist. Denke nach über das Wort: „Du, Gott, siehest mich.“ Das ist ein tröstliches Wort: „Alle meine Gedanken sind vor dir,“ und das andere: „Der Herr hat Gefallen an Denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen.“ Er sieht euch, wenn ihr nur auf seine Güte hofft und hat Gefallen an euch, wenn ihr anfangt, auf seine Güte zu hoffen. Es stehet geschrieben: „Das zerstoßene Rohr will ich nicht zerbrechen, und das glimmende Docht will ich nicht auslöschen.“ Und ob ihr jetzt auch erst dem glimmenden Dochte gleicht, welches nicht leuchtet, oder dem zerbrochenen Rohr, das keine Musik gibt, so sollt ihr doch zu Kraft und Sieg hinangeführet werden.
4.
Wie schlimm wäre es, wenn es eine solche Möglichkeit gäbe, daß die Entwicklung des Samens ohne Gottes Segnung vor sich ginge. Der Text sagt: „Du segnest sein Gewächs.“ Angenommen, wir beobachteten eine Erweckung unter uns ohne den Segen Gottes. Es ist meine Ueberzeugung, daß es Auflebungen gibt, welche nicht Gottes Werk, sondern nur menschliche Aufregung sind. Aber ohne den Segen Gottes ist Alles Täuschung, eine Seifenblase, welche in der Luft zerfliegt, und dann ist Alles vorbei. Wir sehen dann nur die Leute aufgeregt, um nachher desto träger und kälter zu werden, und dies gereicht der Kirche zu großem Nachtheil.
Und wenn in dem einzelnen Herzen eine Entwickelung ohne den Segen Gottes vor sich ginge, es würde umsonst sein. Angenommen ihr habt ein gutes Sehnen, aber der Segen Gottes fehlt euch, so wird euch dies nur Kummer und Unruhe machen, und nach einiger Zeit ist dieses Verlangen fort, und ihr werdet mehr Abneigung gegen religiöse Sachen fühlen, als vorher; denn wenn eine geistliche Unruhe durch Aufregung und nicht durch den Geist Gottes erzeugt wurde, so mag das Jemand abhalten, in Zukunft dem Ruf des Herrn ernstes Gehör zu verleiben. Wenn Erweckungen nicht erweichen, so verhärten sie. In welche Gefahren sind manche Leute gerathen, welche innere Anregungen fühlten, die sie aber nicht zu Jesu führten. Welche sind in Verzweiflung gerathen. Man sagt uns, daß die Religion wahnsinnig mache; dies ist nicht wahr; aber es unterliegt keinem Zweifel, daß ein gewisser religiöser Wahn schon manche Leute zum Wahnsinn getrieben hat. Die armen Seelen haben ihre Wunden gefühlt, aber den Balsam nicht gekannt. Jesus blieb ihnen fremd. Sie fühlten die Last ihrer Sünden und weiter nichts. Lasset es euch nicht wundern, daß Leute in Verzweiflung gerathen, wenn sie den Heiland verwerfen. Ich glaube, bei Manchen geht es so, sie müssen zu Jesu fliehen, oder ihre Last wird schwerer und schwerer, bis sie es nicht mehr ertragen können. Die Religion trägt nicht die Schuld hievon, sondern die Ursache ist, daß man das Heilmittel, welches die Religion bietet, verschmäht. Eine innere Entwickelung ohne Gottes Segen wäre schrecklich; aber wir danken dem Herrn, daß er den Redlichen seinen Segen nicht versagt.
5.
Und nun wenden wir uns dem tröstlichen Gedanken zu, daß Gott die Entwickelung des Samens im Herzen segnet. Mit euch zarten und blöden Seelen möchte ich jetzt gerne reden und euch zeigen, wie der Herr auf mancherlei Weise seinen Segen gibt. Manchmal geschieht es durch den Trost, welchen er in euch wirkt. Ihr könnt noch nicht sagen, daß ihr ihm angehört, aber die Glocken eurer Herzen läuten in heller Freude, wenn der Name Jesu genannt wird. Die Gnadenmittel sind euch so köstlich. Wenn ihr euch im Hause Gottes einfindet, so erfüllt ein stiller Friede euer Herz, und ihr geht heim mit dem Wunsche, daß die Woche sieben Sonntage statt einen haben möchte. Durch Gottes Gnade paßt das Wort gerade für euch, als habe der Herr seinen Diener gerade euretwegen gesandt. Ihr werft eure Krücken weg und fangt an zu laufen. Obschon diese Gefühle vorübergehend sind, so sind sie aber dennoch ein gutes Zeichen.
Auf der andern Seite, wenn ihr zu Zeiten keine oder wenige dieser wohlthuenden Gefühle hattet, so möchte ich euch ermahnen, dies als einen Segen zu betrachten. Es mag euch zum Heil gedeihen, wenn Gott all diesen Trost wegnimmt, um euch zur Verdoppelung eurer Schritte zu veranlassen, das mit ihr umso schneller zum Ziele kommt. Wenn ein Mann nach der Freistadt läuft, um sich vor dem Bluträcher zu bergen, so mag es als eine schöne That gelten, ihn einen Augenblick anzuhalten, damit er einen Labetrunk zu sich nehme, um nachher desto schneller voranzukommen; aber in Fällen äußerster Gefahr, wenn ihm der Verfolger auf den Fersen ist, so mag es das Beste sein, ihm weder zu essen, noch zu trinken zu geben, ihn auch nicht einzuladen, einen Augenblick zu ruhen, sondern ihn mit der größten Eile dahinlaufen zu lassen, bis er in Sicherheit ist. Der Herr mag euch in der Unruhe, welche ihr fühlt, einen Segen mittheilen. Indem ihr noch nicht sagen könnt, daß ihr Christenthum habt, so mag es das Beste für euch sein, das euch auf Erden widerfahren kann, verlassen und verloren zu fühlen, bis ihr in Jesu Trost und Ruhe findet. Ihr habt vielleicht noch einen Theil eurer Selbstgerechtigkeit, und so lange das der Fall ist, werdet ihr keinen Trost und Frieden finden. Das hochzeitliche Kleid, welches Jesus uns mittheilt, wird niemals helle an uns glänzen, so lange noch ein Fetzen unserer eigenen Gerechtigkeit vorhanden ist. Vielleicht ist euer Herz nicht leer, und der Herr wird euch nie mit seiner Gnade füllen, so lange ihr nicht den Hunger fühlt. Die Furcht treibt die Leute oft zum Glauben. Habt ihr niemals gehört, daß ein vom Habicht gescheuchter Vogel in dem Busen eines Mannes Zuflucht gesucht hat? Das arme, geängstete Thierchen hätte dies nie gethan, hätte die große Furcht es nicht dazu getrieben. So mag es auch mit euch geben; die Furcht mag dazu da sein, um euch desto schneller und entschiedener zu Jesu zu treiben, wenn so, so sehe ich darin ein Zeichen, daß der Herr „das Gewächs segnet.“
Wenn ich auf meine eigene Bekehrungszeit zurückschaue, so will es mir scheinen, Gott segnete mich damals herrlicher als jetzt. Obgleich ich nicht zu diesen Anfängen meines geistlichen Lebens zurückkehren möchte, so waren doch viele Freuden das mit verbunden. Ein Apfelbaum, wenn er mit Früchten schwer beladen ist, bietet einen schönen Anblick; aber an Schönheit wird er von dem Baum in seiner Blüthenpracht übertroffen. Die ganze Welt hat nichts schöneres als eine Apfelblüthe. So bietet auch der gereifte Christ in seiner Fruchtbarkeit einen herrlichen Anblick; aber eine besondere Liebenswürdigkeit zeichnet den jungen Christen aus. Laßt mich euch erinnern: Ihr habt vielleicht jetzt einen größeren Abscheu vor der Sünde, als ältere Christen, welche den Herrn schon seit Jahren kennen; sie möchten sich die Zartheit eures Gewissens wünschen. Ihr habt ein ernsteres Pflichtgefühl und eine ängstlichere Besorgniß, eure Pflicht zu versäumen, als manche vorangeschrittene Bekenner. Ihr habt auch größeren Eifer als Viele; ihr thut jetzt eure ersten Werke und brennt in der ersten Liebe, nichts ist euch zu hart und zu schwer. Ich bete, daß ihr darin niemals müde werdet, sondern allezeit voranschreitet.
Und nun zum Schluß. Ich denke, es bieten sich uns hier drei Lehren, die wir beobachten sollten. Erstens sollten ältere Christen gegenüber den Neubekehrten freundlich und hülfreich sein. Gott segnet den Entwickelungsgang des geistlichen Lebens; thut ihr deßgleichen. Schüttet nicht kaltes Wasser auf junge Knospen und erdrückt sie nicht mit dunklen Fragen. Während sie Kinder sind und der Milch des Wortes bedürfen, erstickt sie nicht mit eurer starken Speise; sie werden schon bald starke Speise vertragen können, aber jetzt ist es noch zu früh. Bedenkt, daß Jakob die Lämmer nicht stark treiben wollte.
Seid ebenso vorsichtig und weise. Lehret und ermahnet sie, aber mit Vorsicht und Zärtlichkeit, nicht als ihre Aufseher, sondern als ihre pflegenden Väter, um Christi willen.
Zum andern möchte ich euch zur Dankbarkeit ermahnen. Meine Lieben, wenn Gott das Gewächs segnet, so sollten wir für die kleinste Gabe der Gnade dankbar sein. Wenn ihr nur den geringsten Keim sich emporarbeiten seht, seid dankbar, bald wird der grüne Halm sich im Winde bewegen; seid dankbar für die wogenden Halme, bald werden sie sich zu Aehren entwickeln, Blüthen treiben und endlich den vollen Weizen geben. Dann folgt die Freude der Ernte.
Die letzte Lehre ist eine Aufmunterung. Wenn Gott die ersten Anfänge der Saat segnet, ihr lieben Anfänger in Gottes Wegen, was wird er dann in Zukunft noch für euch thun. Wenn er euch am Morgen solche Genüsse bietet, was wird's dann werden, wenn er zu euch sagen wird: „Setzet euch her zum Mittagsmahl,“ und gar dann erst, wenn ihr das Abendmahl des Lammes genießet. O ihr Bekümmerten, vergeßt die heulenden Stürme, den wirbelnden Schnee und Winterfrost bei dem tröstlichen Gedanken, daß Gott euer Wachsthum segnet, und wen der Herr segnet, dem kann Niemand fluchen. Ueber eurem Haupte, ihr theuren harrenden, suchenden Seelen, spricht der Herr selbst seinen Segen, und der Sohn und der Heilige Geist werden bei euch wohnen. Nehmt den Segen und freuet euch desselben je mehr und mehr. Amen.