Spurgeon, Charles Haddon - Das Mittagsmahl im Erntefeld.

Spurgeon, Charles Haddon - Das Mittagsmahl im Erntefeld.

Boas sprach zu ihr: wenn des Essens Zeit ist, so mache dich hier herzu, und iss des Brote und tunke deinen Bissen in den Essig. Und sie setzte sich zur Seite der Schnitter. Er aber legte ihr Sangen vor; und sie aß und ward satt, und ließ übrig.
Ruth 2, 14.

Wir gehen ins Erntefeld, weniger um zu sammeln als vielmehr uns mit den Schnittern im Schatten einer breitästigen Eiche niederzulassen, um an ihrem Mahle Teil zu nehmen. Wir hoffen, manche blöde Ährenleser werden die Einladung zum Mahle annehmen, und sich herzunahen und ihren Bissen mit in den Essig tauchen. Möchten wir Alle mit rechter Freudigkeit uns laben an den reichen Gütern des Herrn und das „Übrige“ unseren hungrigen Freunden mit heim nehmen.

1.

Unser erster Punkt ist, dass die Schnitter Gottes ihre Mahlzeiten haben. Wer für Gott arbeitet findet an ihm einen guten Herrn. Er sorgt für die Ochsen, indem er Israel gebot: „Du sollst dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul verbinden,“ wie viel mehr wird er für seine Knechte sorgen, welche ihm dienen. Er gibt Brot Denen, die ihn fürchten, er gedenkt an seinen Bund ewiglich. Die Schnitter des Herrn sollen nicht nur am Ende ihrer Dienstzeit belohnt, sondern auch während der Arbeit reichlich erquickt werden. Es gefällt ihm, seine Knechte doppelt zu belohnen; zuerst durch die Arbeit und dann durch den herrlichen Erfolg. Er gibt ihnen solche herrlichen Erquickungsstunden, dass sie sprechen: „Deinen Willen, o Gott, tun wir gerne.“ Die Seligkeit des Himmels besteht im Dienste Gottes, und hier auf Erden hat man im treuen Dienste des Herrn schon einen Vorschmack des Himmels.

Gott hat für seine Schnitter besondere Mahlzeiten bestimmt, und eine derselben ist, wenn sie zusammen kommen, sein Wort zu hören. Wenn der Herr mit seinen Knechten ist, so geschieht es wie zu der Zeit seines Erdenlebens: er gibt den Jüngern das Brot und die Fische, und diese geben dieselben dem Volk. Wir können von uns selbst nicht eine einzige Seele speisen, viel weniger Tausende; aber wenn der Herr mit uns ist, so können wir einen Tisch setzen, wie Salomo, von Semmel und gemästetem Vieh. Wenn der Herr sein Haus segnet, so mögen auch noch so viele anwesend sein, Alle werden gesättigt mit Wohlgefallen. Ich hoffe, Geliebte, ihr wisst, was es heißt unter dem Schatten seines Wortes zu sitzen mit großer Freude und an seinen köstlichen Gaben euch zu erquicken. Wo die Gnade Gottes mit all den übrigen Heilswahrheiten euch verkündigt, wo der Gekreuzigte emporgehoben, wo das ganze Heil euch vorgestellt wird, da hat der himmlische Gastherr wahrlich eine reiche Tafel gedeckt.

Manchmal auch bereitet uns der Herr eine Mahlzeit bei unseren stillen Betrachtungen im Verborgenen. Nichts kann einer gläubigen Seele heilsamer sein, als sich an stiller Betrachtung des Wortes zu nähren. Kein Wunder, dass Manche so langsam wachsen, weil sie so wenig nachdenken. Nicht was das Vieh mit den Zähnen abbeißt, sondern was es wiederkäut und verdaut nährt dasselbe. Auch wir müssen die Wahrheit annehmen und sie im Inneren unseres Geistes über und über betrachten, um Nahrung daraus zu ziehen. Die köstlichsten Stunden bietet das verborgene Gebet. Privatbetrachtungen sind ein Land, worinnen Milch und Honig fließt, ein Paradies voll der reichsten Früchte. Ahasverus mag ein großes Mahl machen, aber seine 120 Provinzen waren nicht im Stande, solche Genüsse zu bieten, als der Christ von den Betrachtungen im Verborgenen empfängt. Der Schäfer von Salisbury Plain pflegte zu sagen, wenn er einsam fühlte und seine Börse leer war, dass das Wort Gottes ihm Essen, Trinken und Gesellschaft ersetze; und er ist nicht der Einzige, der im Worte Gottes eine Fülle findet, wenn alles andere leer ist. Während der Schlacht von Waterloo wurde ein frommer Soldat verwundet. Als man ihn aus dem Getümmel hinausgetragen und mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt hatte, ersuchte er seinen Freund, die Bibel, welche er in seinem Tornister trug, hervorzuholen. „Lies mir einen Vers, ehe ich sterbe,“ bat er. Sein Kamerad las ihm das Wort: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt; euer Herz erschrecke nicht.“ Aus dem Getöse der Schlacht herausgerissen, erfreute sich dieses sterbende Herz an dem teuren Gottesworte. Ehe sein Auge im Tode brach, sagte er: „Ja, ich habe einen Frieden, welcher alle Vernunft übersteigt, der mich in Christo Jesu glücklich macht.“ Wahrlich es ist ein köstliches Fest, wenn sich die gläubige Seele allein mit ihrem Heilande erfreut.

Lasst uns nicht vergessen, dass der Herr uns ein Mahl besonders bereitet hat. Ich meine das Gedächtnismahl des Herrn. Da habt ihr ein Mahl in buchstäblicher und geistlicher Beziehung. Die Tafel ist besetzt mit Brot und Wein, und wenn wir bedenken, was uns diese Symbole vorstellen, so ist es eine reichere Tafel als des Königs Fest. Da finden wir das Fleisch und Blut unseres Herrn, wer davon genießet, der hat das ewige Leben. O, welche herrliche Zeiten haben wir schon gefeiert beim heiligen Abendmahl. Wenn manche von euch wüssten, wie herrlich der Genuss des Herrn ist, ihr würdet euch die bittersten Vorwürfe machen, dass ihr euch nicht der Gemeinschaft der Heiligen angeschlossen habt. Die Gebote des Herrn zu halten hat großen Lohn; folglich zieht die Übertretung derselben große Strafe nach sich. Dieses Mahl aber hat uns der Herr geboten. „Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote,“ das ist ein führendes Wort. An dieser Tafel hat sich unsere Seele oft vom Bilde zur Wirklichkeit emporgeschwungen, wir haben das Brot gegessen im Reiche Gottes und an des Herrn Brust gelegen. „Er führt mich in den Weinkeller, und die Liebe ist sein Panier über mir.“

Neben diesen regelmäßigen Mahlzeiten hat uns der Herr oft erquickt, wenn wir vielleicht am wenigsten daran dachten. Vielleicht als wir eines Tages über die Straße gingen oder mitten in unseren Geschäften waren, durchblitzte uns plötzlich ein Strahl himmlischer Freude, dass wir hätten hüpfen mögen wie der rauschende Bach, welchen der milde Frühlingshauch vom starrenden Eise des Winters befreit hat. Ihr fühltet euch trocken und belastet, aber die Liebe Christi hob euch von der Erde empor, ein heiliges Feuer durchglühte euer Herz, dass ihr mit Harfen und Psalter den Herrn lobtet in seliger Lust. Ich habe besonders während der Predigt Zeiten gehabt, in denen ich gerne weit über die bestimmte Zeit fortgeredet hätte, denn meine Seele war wie ein überfließendes Gefäß. Auch auf dem Krankenlager haben wir solche Erquickungsstunden genossen, in welchen wir beinahe gewünscht hätten, immer krank zu sein, wenn die Gnade und Güte des Herrn unser Lager immer so lieblich und unser Kissen so weich machte.

Unser Heiland begegnet uns des Morgens und legt heilige Gedanken in unser Herz; wir wissen kaum, woher sie kommen, sie sind wie der Tau des Morgens, welcher die Blumen küsst. Und des Abends, wenn wir uns zur Ruhe legen, so ist der Herr uns nahe und ist unser Lied und unseres Herzens Lust.

Harte Arbeit finden die Schnitter des Herrn; aber sie haben auch Zeiten der Erquickung, wenn sie sich zu heiligen Genüssen an der Tafel ihres Herrn niedersetzen; dann stehen sie wieder auf mit erneuter Kraft, und mit geschärfter Sichel schneiden sie weiter unter der glühenden Mittagssonne. Und lasst mich bemerken, dass während wir nicht gerade wissen, wann diese Zeiten göttlicher Genüsse kommen, so gibt es doch bestimmte Zeiten, zu welchen wir sie erwarten können. Die Schnitter im Morgenlande setzten sich gewöhnlich im Schatten eines Baumes nieder, um ihre Mahlzeiten einzunehmen. Und ich bin überzeugt, dass gerade dann, wenn Kummer, Anfechtung, Verfolgung und Verluste uns am empfindlichsten treffen, der Herr uns die süßesten Früchte des Trostes mitteilt. Wir müssen arbeiten, bis die heiße Sonne den Schweiß auf die Stirn treibt, dann dürfen wir auf Ruhe hoffen; wir müssen des Tages Last und Hitze tragen, ehe wir die Einladung zum Mahle der treuen Arbeiter erwarten dürfen. Wenn dein Tag der Prüfung am heißesten ist, dann wird die Liebe Jesu dir am köstlichsten sein.

Und wieder: diese Zeiten der Erquickung kommen oft vor einer Prüfung. Elias musste unter dem Wachholder gespeist werden, denn er sollte in Kraft dieser Speise eine vierzigtägige Reise machen. Ihr möget Prüfungsstunden erwarten, wenn eure Freude überfließt. Wenn ihr seht ein Schiff viele Lebensmittel einladen, so hat es meistens einen weiten Weg vor sich; und wenn der Herr euch außerordentliche Genüsse gewährt in seinem Umgang, so will er euch in seiner versorgenden Liebe vielleicht auf eine Zeit der Stürme und Proben vorbereiten.

Zeiten der Erquickung kommen meist auch nach den Kämpfen. Christus wurde vom Teufel versucht, und nachher traten die Engel zu ihm und dienten ihm. Jakob kämpfte mit dem Herrn, und danach begegneten ihm die Engelbeere. Abraham kehrt heim aus der Schlacht, da tritt ihm Melchisedek entgegen und erquickt ihn mit Brot und Wein. Nach dem Krieg der Frieden, nach der Schlacht die Festlichkeiten. Lasst die Weltmenschen von der Last des Christentums reden, wir finden es nicht schwer. Gibt es auch heiße Arbeit, so gibt es aber auch herrliche Stunden der Freude und der Erquickung vor dem Angesichte des Herrn.

2.

Jetzt folgt mir nun zu einem anderen Punkte: Zu diesen Mahlzeiten werden die Sammler zärtlich eingeladen. Der arme zitternde Fremdling, der keine Kraft zum Schneiden besitzt, der kein Recht im Felde hat, als nur das Recht der Duldung durch Liebe - der arme, betrübte. hoffnungslose Sünder wird zu dem Mahle der Liebe eingeladen. „Wenn des Essens Zeit ist, so mache dich hier herzu.“ Ich hoffe, Niemand lässt sich wegen seiner schlechten Kleidung oder seines persönlichen Charakters oder Armut oder sonst etwas von diesen heiligen Festzeiten zurückhalten. Zur Essenszeit macht euch hier herzu! Ich kannte eine taube Frau, welche nicht im Stande war, ein Wort zu hören, und doch fehlte sie nie im Hause Gottes. Sie sagte, dass ein Freund ihr den Text suche, und dann gefiel es dem Herrn, ihr manches Köstliche aus demselben mitzuteilen, während sie bei seinen Kindern sitze; zudem fühlte sie, als eine gläubige Seele, die Pflicht, den Herrn in seinen Vorhöfen anzubeten und ihre Gemeinschaft mit dem Volk Gottes zu bekennen; aber besonders befände sie sich gern in der besten Gesellschaft, und da hier der liebe Gott und die heiligen Engel samt den Heiligen Gottes anwesend seien, so möchte sie nicht fehlen, wenn sie auch nicht hören könne. Wenn solche Leute sich im Hause Gottes freuen, so sollten wir, die wir hören können, niemals fehlen. Obschon wir unsere Unwürdigkeit fühlen, so sollten wir doch ein Sehnen nach dem Gotteshause haben, wie der Kranke nach dem Teiche Bethesda, hoffend, dass wenn der Engel des Herrn das Wasser bewegt, dass wir hineinsteigen können und geheilt werden. Verzagte Seele, lass dich den Versucher niemals von den Versammlungen der Gläubigen zurückhalten. „Wenn des Essens Zeit ist, so mache dich hier herzu.“

Aber Ruth wurde nicht nur eingeladen zu kommen, sondern zu Essen. Was nur Herrliches und Tröstliches im Worte Gottes zu finden ist, dazu seid ihr, die ihr eines zerschlagenen und gedemütigten Geistes leid, eingeladen. Jesus Christus ist in diese Welt gekommen, Sünder selig zu machen Sünder, so wie ihr. Christus ist für die Gottlosen gestorben, Gottlose, so wie ihr euch zu sein fühlt. Ihr verlangt Christo anzugehören. Ihr könnt sein Eigentum werden. Ihr sprecht in eurem Herzen: „Ach, dass ich der Kinder Brot essen dürfte.“ Ihr dürft es essen. Ihr sagt: „Ich habe kein Recht dazu.“ Aber der Herr selbst ladet euch ein. Kommt getrost auf das Recht dieser Einladung hin. Nehmt sein Wort und glaubt dasselbe.

Nicht nur wurde die Ährensammlerin eingeladen, das Brot zu essen, sondern auch ihren Bissen in den Essig zu tauchen. Nun müssen wir uns nicht einbilden, dass dies eine saure Brühe gewesen wäre. Es gibt ohne Zweifel Leute in der Kirche, welche ihren Bissen beständig in die möglichst sauerste Brühe tunken und dann Andere einladen, an ihrem Jammer Teil zu nehmen; aber der Essig in unserem Texte ist eine ganz andere Sache. Es war entweder der Saft von verschiedenem Obst oder schwacher, mit Wasser vermischter Wein, wie er ja vielfach jetzt noch im Erntefeld in Italien und den wärmeren Gegenden gebraucht wird. So wie wir Butter und die Israeliten sonst Öl mit dem Brote genießen, aßen sie im Erntefeld, was hier Essig genannt wird, weil es kühlende Eigenschaften besitzen sollte. Meine Lieben, die Schnitter des Herrn haben Erfrischung zum Brote; da gibt es nicht nur trockene Lehren, sondern auch die Heilige Salbung, welche die Essenz und der Saft der Lehren ist; sie haben nicht nur die Wahrheit, sondern göttliche Freude, welche dieselbe durchdringt. Es ist ein herrlicher Genuss, wenn man singen kann:

„Teures Wort aus Gottes Munde,
Das mir lauter Segen trägt;
Dich allein hab' ich zum Grunde,
Meiner Seligkeit gelegt.
In dir treff' ich Alles an,
Was zu Gott mich führen kann.“

Ich meine die Ährenleserin zu sehen, wie sie halb willig ist zu kommen, denn sie ist sehr hungrig und hat nichts bei sich; aber sie sagt: „Ich habe kein Recht zu kommen, denn ich bin kein Schnitter; ich wirke nichts für den Herrn, ich bin eine selbstsüchtige Ährenleserin und kein Schnitter.“ Ja, aber du bist eingeladen zu kommen; mache deshalb keine Fragen. Boas ladet dich, nimm die Einladung an und komme sogleich. Aber du sagst: „Ich bin so arm; obschon meine Arbeit alle für mich selbst ist, so gewinne ich doch nur wenig dabei; ich sammle ein paar Gedanken während der Predigt, aber kaum bin ich daheim, so ist schon wieder alles fort.“ Ich weiß das, arme schwache Seele. Aber dennoch ladet Jesus dich ein. Komm nur! Ergreife die Verheißung, welche er dir gibt, und lass dich deine Blödigkeit nicht zurückhalten. „Aber,“ sagst du, „ich bin hier fremd, du kennst meine Sünden und die Verdorbenheit meines Herzens nicht.“ Aber Jesus kennt dieselben, und dennoch ladet er dich ein. Er weiß, dass du eine Moabitin, eine Fremde in Israel bist, aber er ladet dich ein, zu kommen. Ist das nicht genug? „Aber,“ sagst du wieder, „ich schulde ihm bereits so viel: ihm verdanke ich die Erhaltung meines Lebens, er ist so gnädig, dass er mich lässt sein Wort hören; ich darf es nicht wagen, mich zu den Schnittern zu setzen.“ Aber er fordert dich dazu auf. Es ist deshalb anmaßender zu zweifeln, als zu glauben. Er fordert dich auf. Willst du dich weigern? Willst du Nein sagen, wenn Jesus dich einladet? Komme doch jetzt! Bedenke, dass das Wenige, was Ruth aß, den Boas nicht ärmer machte, und Alles, was du bedarfst, macht den Herrn nicht weniger herrlich und reich. Sind deine Bedürfnisse groß? Sein Vorrat ist viel größer. Bedarfst du viel Gnade? Er ist ein großer Erlöser. Seine Gnade kann so wenig erschöpft werden als das Meer. Komm ohne Verzug. Zudem lass mich dir ein Geheimnis mitteilen: Jesus liebt dich, darum sähe er dich gerne an seinem Tische. Wenn du jetzt ein heilsverlangender Sünder bist, aber überzeugt, dass du die Gnade nicht verdient hast, Jesus liebt dich, und es gewährt ihm größere Freude, sich die Gaben genießen zu sehen, als dir der Genuss gewährt. Lass dich seine Liebe zu ihm ziehen. Und was mehr ist - er will sich mit dir vermählen, und wenn diese Vermählung geschehen, so ist das ganze Feld dein, denn als seine Braut bist du seine Erbin. Ist dies nicht der Fall? Hat die Gattin nicht Teil mit dem Manne? Alle die Verheißungen, welche Ja und Amen sind in ihm, gehören dein - nein, sie sind jetzt dein, denn der Mann gehört uns zu und will sich mit dir vermählen in Treue und Wahrheit und Gerechtigkeit und dich zu sich nehmen. Willst du nicht von deinem Eigenen nehmen? „Ei,“ sagt Jemand, „wie kann das sein, ich bin ein Fremdling.“ Ja, aber Jesus liebt den Fremdling. „Ein Zöllner und Sünder;“ ja, aber der Herr ist der Zöllner und Sünder Geselle.“ „Ein Verlorener;“ wohl, aber der Herr sammelt die Verlorenen von Israel. Er ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. „Ein verlorenes Schaf;“ ja, aber der Hirte lässt die neunundneunzig allein und sucht Das verlorene. „Ein verlorener Groschen;“ ja, aber er kehrt das Haus, um dich zu finden. „Ein verlorener Sohn;“ jawohl, aber er lässt alle Freudenglocken läuten, wenn er weiß, dass du heimkehrst. Komm, Ruth! Komm, zitternde Ährenleserin! Jesus ladet dich ein, nimm die Einladung an! „Wenn des Essens Zeit ist, so mache dich hier herzu, und iss des Brots und tunke deinen Bissen in den Essig.“

3.

Finden wir hier einen sehr schönen Punkt: Boas legte ihr Sangen1) vor. Ruth kam also und aß. Wo saß sie? „Und sie setzte sich zur Seite der Schnitter.“ Sie fühlte nicht, dass sie zu ihnen gehörte. Gerade wie manche von euch fühlen, welche nicht zum heiligen Abendmahl kommen, sondern da sitzen und zuschauen. Ihr sitzt neben den Schnittern. Ihr fürchtet, ihr seiet keine Kinder Gottes, und doch liebt ihr dieselben und sitzt bei ihnen. Wenn es gute Sachen gibt, und ihr könnt dieselben selbst nicht haben, so setzt ihr euch so nahe als möglich zu denen, welche sie bekommen. „Sie setzte sich zur Seite der Schnitter.“

Und was geschah während sie da saß? Streckte sie ihre Sand aus und nahm sich von dem Mahl? Nein, es stehet geschrieben: „Er legte ihr Sangen vor.“ So war es also. Niemand als der Herr selbst kann diese geistlichen Erfrischungen austeilen. Ich kann euch im Namen meines Heilandes einladen, und ich tue es ernstlich, gefühlvoll und von Herzen; aber ich weiß wohl, dass Niemand von euch meiner armen Einladung folgen wird, bis der Geist euch ruft. Kein zagendes Herz wird durch meine Hand erquickt werden, es sei denn der Herr legt seinen lieben Gästen selbst die Sangen vor. Und wie geschieht das? Durch seinen Heiligen Geist, welcher zunächst den Glauben in euch entflammt. Ihr stellt euch vor, dass es gar nicht zu denken sei, dass ein solcher Sünder, wie ihr seid, „angenehm könnte gemacht werden in dem Geliebten.“ Er aber haucht euch an mit seinem Geist, und eure entfernte Hoffnung wird Erwartung, die Erwartung aber keimt und blüht zum ergreifenden Glauben heran, welcher spricht: „Ja, mein Geliebter ist mein, und er hat Lust an mir.“

Aber der Heiland tut noch mehr. Er gießt aus seine Liebe in unser Herz durch den Heiligen Geist. Die Liebe Christi ist wie eine köstliche Salbe in einem Gefäß. Derjenige, welcher die Salbe in das Gefäß getan hat, weiß allein den Deckel von demselben abzunehmen. Er mit seiner Heilandshand öffnet die geheimen Segnungen und gießt seine Liebe aus in unsere Herzen.

Aber der Herr tut noch mehr: Er legt uns Sangen vor, indem er uns in seine innige Lebens- und Liebesgemeinschaft aufnimmt. Denkt nicht, dass dies ein Traum sei; ich versichere euch, dass es heute noch sowohl möglich ist, mit dem Heilande zu reden, als zur Zeit seines Erdenlebens. So wie ich mit meinem besten Freunde rede und in Gesellschaft meiner teuren Gattin mich erfreue, so kann ich mit Jesus reden und mich in Gemeinschaft unseres Immanuels erquicken. Dies ist keine Einbildung. Wir verehren keinen entfernten Heiland, er ist ein Gott, der nahe ist. Sein Wort ist in unserem Munde und in unserem Herzen, und wir wandeln heute mit ihm, wie die Heiligen vor Alters, und pflegen Gemeinschaft mit ihm, wie einst die Apostel auf Erden; nicht nach dem Fleische, wie sich von selbst versteht, sondern im Geist und in der Wahrheit.

Und nun lasst mich noch hinzusetzen, dass der Herr uns in Gnaden den Genuss gewährt, dass sein Geist unserem Geist das untrügliche Zeugnis mitteilt, dass wir aus Gott geboren sind. Es kann Jemand über allen Zweifel überzeugt werden, dass er ein wahrer Christ ist. Philipp de Morny pflegte zu sagen, dass der Heilige Geist ihm seine Seligkeit so klar bezeuge, als er von der Richtigkeit irgend einer mathematischen Aufgabe überzeugt sei. Ihr wisst, mit welcher mathematischer Genauigkeit ein Lehrer der Geometrie irgend eine in sein Fach schlagende Aufgabe zu lösen im Stande ist. Und mit eben solcher Gewissheit, als wir wissen, dass zwei mal zwei vier ist, können wir wissen, dass wir vom Tode zum Leben gekommen sind. Der fromme Woltersdorf sagt:

„Ich weiß es, ich weiß es, und will es behalten,
So wahr Gottes Hände das Reich noch verwalten,
So wahr als die Sonne am Himmel noch pranget,
So wahr hab ich Sünder Vergebung erlanget.“

Nun lasst die zitternde Ruth, die heilsuchende Seele dort, beten: „Herr, lege auch mir Sangen vor! Zeige mir ein Zeichen deiner Liebe. Breite aus deine Gnade über mich, Deine Magd. Zieh mich dir nach, so laufe ich.“ Sende, Berr, deine Liebe in mein Herz.

„Komm, Geist des Lebens, komm
Voll Licht und Herrlichkeit,
Scheuch alle Sorgen vom Gemüt,
Vertreib die Dunkelheit.
Fach unseren Glauben an,
Lass Furcht und Zweifel fliehn,
Und in dem Herzen immerfort
Der Liebe Feuer glühn.“

Wir können nicht zu Christo kommen, es sei denn, dass er sich offenbare in unseren Herzen.

4.

Und nun zum letzten Punkte. Nachdem ihr Boas die Sangen vorgelegt, lesen wir, dass sie aß, und ward satt, und ließ übrig. So wird es mit jeder Ruth sein. Früher oder später wird jeder aufrichtig Heilsuchender ein Gläubiger. Es gibt wohl Zeiten tiefer Bußnot, Tage des Zauderns, aber es kommt auch die Zeit, wann die Seele sich entschieden auf die Seite des Herrn stellt und spricht: Komme ich um, so komme ich um. Ich will, wie ich bin, zu Jesu gehen. Ich will mich nicht länger mit meinen „Wenn“ und „Aber“ plagen, sondern weil er mir sagt, dass ich glauben soll, er sei für mich gestorben, so will ich es glauben und im Kreuz Christi meine Seligkeit hoffen. Sobald ihr diesen Glauben fassen könnt, werdet ihr satt werden.“ „Sie aß und wurde satt.“ Euer Verstand wird satt werden über der herrlichen Wahrheit, welche Christus euch offenbart; euer Herz wird satt werden in Christo, dem Teuren und Geliebten; eure Hoffnung wird gesättigt, denn die Herrlichkeit des Himmels ist Christus. Auch euer Verlangen wird gestillt, denn was mehr könnt ihr verlangen als Jesus, den ihr gefunden habt? Euer Gewissen wird erfüllt mit Frieden, Er wird euch seine Wege lehren und eure Erinnerung mit dem erfüllen, was er für euch getan hat, sowie eure Einbildung mit den herrlichen Erwartungen, die für euch noch in Erfüllung gehen sollen.

„Sie ward satt und ließ noch übrig.“ Manche von uns haben herrliche Genüsse in Christo empfunden, dass wir fast meinten, wir hätten die ganze Fülle genossen; aber wir mussten immer wieder wahrnehmen, dass die Menge seiner Segnungen unerschöpflich sei. Wir haben uns mit Heißhunger an des Herrn Tafel niedergelassen und gesprochen: „Nur das Ewige kann unser Verlangen stillen,“ und dies Ewige ist uns geworden. Ich habe mich als solchen großen Sünder gefühlt, dass ich wusste, nichts als unendliche Gnade könne meine Sünden hinwegnehmen, und ohne Zweifel habt ihr ähnliche Gefühle gehabt; aber unsere Sünden sind verschwunden, und die Gnade in Christo ist nicht erschöpft worden; unser Hunger ist gestillt, und für Andere in ähnlicher Lage ist des Heils die Fülle übrig geblieben. Es gibt herrliche Dinge in Gottes Wort, welche ihr und ich noch nicht genossen haben und noch nicht genießen können. Diese müssen wir noch für eine Zeit lang übrig lassen, bis wir besser darauf vorbereitet sind. Sagte unser Heiland nicht: „ich habe euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnet es jetzt noch nicht tragen“? Es gibt besondere Erkenntnistiefen, die wir noch nicht erreicht, Orte besonderer Gemeinschaft mit Christo, an welchen wir uns noch nicht erfreut haben. Es gibt Tiefen und Höhen im Heiligtume des Herrn, die kein Sterblicher erreicht, es gibt noch ein „Drüben“ und wird es geben in Ewigkeit.

Einige Verse weiter hin wird uns gesagt, was Ruth mit der übrigen Speise tat. Sie nahm das Übrige heim zu ihrer Schwieger Naemi. So wird es ebenfalls mit dir auch sein, arme, verzagte Seele, die du meinst, du habest kein Anrecht an einen einzigen Bissen. Du wirst zum Mahle eingeladen, der Herr wird dir Sangen vorlegen, du wirst satt werden, und das Übrige deinen Freunden, welche daheim danach hungern, mitnehmen. Ich freue mich immer, wenn ich sehe, wie sich junge Christen Manches für Andere einstecken. „Meine arme Mutter kann heute nicht ausgehen. Ach, wie wünsche ich, dass sie hier sein möchte, denn durch diese Bemerkung würde sie getröstet werden. Ich will mir es aber merken und ihr mitteilen.“ So ists recht. Übt euch in der Selbstlosigkeit. Liebt Andere, wie ihr seid geliebt worden. Bedenkt, dass darin die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten liegt, wenn ihr Gott über Alles liebt und euren Nächsten wie euch selbst. Wie kann man aber seinen Nächsten lieben, wie sich selbst, wenn man dessen Seele nicht liebt? Ihr habt eure eigene Seele geliebt, und durch Gottes Gnade habt ihr den Heiland erfasst; liebt die Seele eures Nächsten und gebt euch nicht zufrieden, bis auch er Frieden und Freude gefunden hat in Christo Jesu. Nehmt euer Übriges heim für Diejenigen, welche nicht ausgehen können, um für sich selbst zu sammeln.

Ich weiß nicht, wie ich euch eine freundlichere Einladung geben könnte, zu Jesu zu kommen; aber mit meinem ganzen Herzen möchte ich rufen: „Kommt, nehmt den lieben Heiland auf!“ Ich bitte meinen Herrn, euch eine Handvoll Sangen vorzulegen, um euch, ihr zagenden Sünder, damit zu trösten, und ich flehe zugleich, dass er euch möge zum Essen veranlassen, bis ihr satt seid und übrig lasst.

1)
Sangen, die: Handvoll, Büschel, Bündel, namentlich Büschel zusammengelesener Ähren, auch von Hanf und Flachs gebräuchlich (oberdeutsch). Luther gebraucht dies Wort für am Feuer gesengte Getreidekörner oder Ähren, wie sie für geringe Leute zur Speise oder zum Opfer bringen. An anderen Worten nutzte Luther für dasselbe Wort den Begriff „Grütze“. Das hebräische Wort (kalih) bedeutet geröstetes Getreide oder Hülsenfrüchte, eine Art Graupen, deren man sich zur Speise bediente.
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