Spurgeon, Charles Haddon - 18. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 18

Spurgeon, Charles Haddon - 18. Das Evangelium des Reiches - Kapitel 18

(Der König ordnet den Rang in seinem Reiche an. V. 1-5.)

1.Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu Jesu, und sprachen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?

Er sprach von seiner Erniedrigung, sie dachten an ihre eigne Erhöhung, und das “zu derselbigen Stunde.“ Wie verschieden in demselben Augenblick der Lehrer und die Jünger! Die Vorstellung von Größe, und von mehr oder minder davon für einen jeden, war mit ihrer Vorstellung von einem Reich verwerbt, selbst wenn es “das Himmelreich“ war. Sie traten zu Jesu, aber wie konnten sie die Kühnheit haben, ihrem demütigen Herrn eine Frage zu thun, die so offenbar seinem Denken und Geiste fremd war? Es zeigte ihr Vertrauen, aber es bewies auch ihre Thorheit.

2. Jesus rief ein Kind zu sich, und stellte das mitten unter sie.

Er antwortete ihnen nicht bloß mit Worten, sondern machte seine Lehre eindringlicher durch eine Handlung. “Er rief ein Kind zu sich.“ Das Kind kam sogleich, und Jesus “stellte es mitten unter sie.“ Daß das Kind auf seinen Ruf kam und sich willig hinstellen ließ, wo Jesus es wünschte, ist ein Zeugnis für die freundliche Weise unsres Herrn. Gewiß war ein Lächeln auf seinem Antlitz, als Er den Kleinen zu sich kommen hieß, und es muß eine liebliche Milde in der Art gewesen sein, in der Er das Kind mitten unter die Zwölfe als sein kleines Muster stellte. Laßt uns Jesum und das kleine Kind sehen und die zwölf Apostel um die zwei Hauptfiguren herum gruppiert. So möge die ganze Gemeinde sich versammeln, um Jesum und den kindlichen Charakter zu studieren.

3. Und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, daß ihr euch umkehret, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Die Apostel waren bekehrt in einem Sinne, aber sogar sie hatten eine weitere Bekehrung nötig. Sie mußten von Selbstsucht zur Demut und Zufriedenheit bekehrt werden. Ein Kind hat keine ehrgeizigen Träume und ist mit kleinen Dingen zufrieden; es strebt nicht nach Größe, sondern es vertraut und gibt dem Befehl nach. Wir können nicht ins Himmelreich kommen, wenn wir nicht von eingebildeter Größe zu wirklicher Demut herabsteigen und wie die Kinder werden. Um zur Größe der Gnade emporzusteigen, müssen wir hinabgehen zur Kleinheit, Einfalt und zum Vertrauen der Kindheit. Da dies die Regel für Apostel war, so mögen wir uns darauf verlassen, daß wir nicht in das Reich kommen können in einer weniger demütigenden Weise. Diese Wahrheit wird bestätigt durch unsres Herrn feierlich bezeugendes Wort: “Wahrlich, ich sage euch.“

4. Wer nun sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.

Im Himmelreich ist der Kleinste der Größte. Der Demütigste ist der Höchste. Wer die niedrigsten Dienste für die Brüder verrichten will, soll der Höchste in ihrer Achtung sein. Wir haben es nötig, uns Mühe zu geben, um uns wahrhaft demütigen Sinnes zu machen, und wenn es uns durch die allmächtige Gnade gelingt, so werden wir einen hohen Grad in der Schule der Liebe erlangen. Welch ein Reich ist dies, in dem jeder aufsteigt dadurch, daß er freiwillig herabsteigt!

Es ist weise, wenn ein Mensch sich demütigt, denn dadurch wird er der Notwendigkeit entgehen, gedemütigt zu werden. Kinder suchen nicht demütig zu sein, sondern sie sind es, und das Gleiche ist der Fall mit solchen Menschen, in denen wirklich Gottes Gnade ist. Nachgeäffte Demut ist widerlich; die wirkliche ist anziehend. Möge die Gnade sie in uns wirken!

5. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.

Es ist nichts Geringes, fähig zu sein, demütige und sanftmütige Charaktere zu würdigen. Einen kindlichen Gläubigen in Christi Namen aufnehmen, heißt Christum aufnehmen. Freude haben an einem demütigen, vertrauensvollen Charakter, heißt, Freude an Christo haben. Wenn wir es für Freude halten, solchen Menschen Dienste zu thun, so mögen wir gewiß sein, daß wir darin unsrem Herrn dienen. Die, welche Kleine in Christi Namen aufnehmen, werden ihnen gleich werden und so auf eine andre Weise in ihrer eignen Seele Christum aufnehmen.

(Unsres Königs Warnung vor Ärgernissen, besonders vor denen, welche den Kleinen Schaden thun. V. 6-14.)

6. Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt, und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist.

Einem Kleinen wohlthun, heißt den Heiland selbst aufnehmen. Sich darauf legen, die Einfältigen zu verderben oder die Demütigen zu beunruhigen, wird der sichere Weg zu einem furchtbaren Geschick sein.

Kleine, die an Jesum glauben, sind ganz besonders unter seiner Obhut, und nur die ganz Boshaften greifen sie an, oder versuchen sie zum Straucheln zu bringen. Ein solch böser Mensch wird nichts gewinnen, selbst wenn er den leichten Sieg erlangt, den er erwartet; er wird sich im Gegenteil eine schreckliche Vergeltung bereiten: Es wäre ihm besser, daß der größte Mühlstein, so wie er in einer von einem Esel gedrehten Mühle gebraucht wird, an seinen Hals gehängt würde, und daß er selbst dann über Bord geworfen würde und ersäuft im Meer, wo es am tiefsten ist. Er wird sicherlich sinken, schimpflich sinken, sinken, um nie mehr aufzustehen. Die, welche die Demütigen hassen, gehören zu den schlimmsten Menschen, denn ihre Feindschaft ist durch nichts herausgefordert. Sie mögen hoffen, dadurch zu steigen, daß sie die, welche einfältigen Herzens sind, bedrücken oder bethören, aber ein solches Verhalten wird früher oder später ihr Verderben sein. Es ist der demütige Herr der Demütigen, der diese Verurteilung ausspricht, und Er wird bald der Richter der Lebendigen und der Toten sein.

7. Wehe der Welt der Ärgernis halben! Es muß ja Ärgernis kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!

Es ist eine traurige Welt wegen der Steine des Anstoßes. Dies ist der große Jammer jedes Zeitalters. Der Gelegenheiten zum Sündigen sind schrecklich viele, und es scheint, wenn man die Gestaltung der Gesellschaft betrachtet, als müsse es so sein. “Es muß ja Ärgernis kommen.“ So lange der Mensch Mensch ist, wird seine Umgebung eine Prüfung für ihn sein, und seine Mitmenschen werden zu oft Anlaß zum Bösen für ihn werden. Dies bringt der Welt Wehe, aber das schlimmste Wehe trifft die, welche dieses Straucheln verschuldet haben. Die, welche suchen groß zu sein, geben großen Anlaß zu Ärgernissen. Von den Demütigen ist es am wenigsten wahrscheinlich, daß sie andren Anlaß zum Straucheln geben. Wehe ist deshalb das sichere Erbteil des Stolzen, denn er ist der “Mensch, durch welchen Ärgernis kommt.“

8.9. So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab, und wirf ihn von dir. Es ist dir besser, daß du zum Leben lahm oder ein Krüppel eingehest, denn daß du zwei Hände oder zwei Füße habest, und werdest in das ewige Feuer geworfen. Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus, und wirf’s von dir. Es ist dir besser, daß du einäugig zum Leben eingehest, denn daß du zwei Augen habest, und werdest in das höllische Feuer geworfen.

Hier wiederholt unser Herr eine Stelle aus der Bergpredigt. (Kap. 5,29.30.) Warum sollte Er es nicht? Große Lehren müssen häufig gelehrt werden, besonders Lehren, die schmerzliche Selbstverleugnung einschärfen. Es ist gut, wenn ein Mann am Schluß seines Predigtamtes dieselbe Predigt halten kann, wie am Beginn. Manche ändern sich fortwährend in unsren Tagen, aber Jesus ist derselbige gestern und heute und in Ewigkeit.

Versuchungen und Anreizungen zur Sünde sind so gefährlich, daß wir, wenn wir sie in uns finden, um jeden Preis uns von den Ursachen derselben frei machen müssen. Wenn das Fliehen vor diesen Versuchungen uns den Menschen gleich macht, die lahm oder Krüppel sind, oder einäugig, so wird der Verlust von geringer Bedeutung sein, wenn wir nur zum Leben eingehen. Besser, durch strengen Puritanismus die Bildung zu versäumen, als allen Schliff und alle Kenntnisse der Zeit auf Kosten unsrer geistlichen Gesundheit zu gewinnen. Ob es auch bei unsrem Eingang in das göttliche Leben geschienen hat, als wenn wir viel verlören durch das Aufgeben von Gewohnheiten oder Besitzungen, das uns als Pflicht erschien, so werden wir in Wirklichkeit doch gewinnen. Unser Hauptanliegen sollte sein, ins Leben einzugehen, und wenn dies uns Geschicklichkeit der Hand, Behendigkeit des Fußes und Verfeinerung des Auges kosten sollte, wie es das mag, so müssen wir uns fröhlich verleugnen, um das ewige Leben zu besitzen. In der Sünde verharren und all unsre Vorteile und Fähigkeiten behalten, wird ein furchtbarer Verlust sein, wenn wir in das höllische Feuer geworfen werden, was der sichere Teil aller ist, die im Sündigen verharren. Ein lahmer, verkrüppelter, halb blinder Heiliger ist selbst auf Erden besser, als ein Sünder, bei dem jede Fähigkeit völlig entwickelt ist. Es ist nicht notwendig, daß Hand, Fuß oder Auge uns straucheln machen, aber wenn sie es thun, so ist der chirurgische Prozeß kurz, scharf, entschieden: “Haue sie ab, und wirf sie von dir,“ oder. “Reiß es aus, und wirf es von dir.“ Der halbgebildete, schüchterne, einfältige Gläubige, der, um den Schlingen der falschen Wissenschaft, der weltlichen Schlauheit, des höfischen Stolzes zu entgehen, das aufgibt, was die Menschen „Vorteile“ nennen, wird sich schließlich als weiser bewähren, als die, welche ihre Seelen riskierten für das, was Weltlinge für notwendig zur menschlichen Vervollkommnung halten. Der Mann, der Gott glaubt und deshalb als einer verzeichnet wird, der sein kritisches Auge verloren, ist weiser als der, welcher sich durch doppelte Scharfsicht in die Hölle zweifelt. Zwei Hände, zwei Füße und zwei Augen werden wenig Vorteil gewähren, wenn sie in das ewige Feuer geworfen werden. Möge der Leser beachten, daß die schrecklichen, hier gebrauchten Ausdrücke nicht die Schöpfung finsterer Träume des Mittelalters sind, sondern die Worte des liebevollen Jesus.

10.11. Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, selig zu machen, das verloren ist.

Die, welche demütigen Herzens sind, dürfen, wenn sie auch von den Gottlosen für Thoren gehalten werden, doch nicht von uns so beurteilt werden. “Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet.“ Wir müssen zusehen, daß wir niemals auf sie mit dem Mitleid, das der Verachtung verwandt ist, herabblicken. Sie sind Gott sehr teuer; sie werden von Engeln behütet, ja, von den Engeln, die nahe dem ewigen Thron stehen. Ihre Engel sind nicht in den Hinterreihen, sondern sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. Die höchsten Hofbeamten der Herrlichkeit halten es für ihre Ehre, über die zu wachen, die demütigen Herzens sind. Diejenigen, welche Diener der armen Heiligen und der Kinder sind, haben freien Eintritt beim Könige. Wie muß Er selber von seinen Kleinen denken?

Nein, dies ist nicht alles. Jesus selber sorgt für die Ärmsten und Dürftigsten. Ja, Er kam, das selig zu machen, das verloren ist. Wie können wir denn wagen, stolz zu sein und ein Kind wegen seiner Jugend zu verachten oder einen Mann wegen seiner Armut oder wegen seines Mangels an Verstand. Die Engel und der Herr der Engel sorgen für die Verachtetsten unsres Geschlechts; sollen wir es nicht?

12. Was dünket euch? Wenn irgend ein Mensch hundert Schafe hätte, und eins unter denselbigen sich verirrte: läßt er nicht die neun und neunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte?

Wir dürfen nicht einmal hart von den Irrenden denken. Der, welcher nicht will, daß wir die Kleinen verachten, will nicht, daß wir die Verlornen vernachlässigen. Nein, die Verlornen sollen besondere Beachtung haben. Ist nicht der Eigentümer einer Herde für den Augenblick mehr bekümmert um das eine verirrte Schaf, als um die neun und neunzig, die in Sicherheit sind? Das verlorne ist nicht besser, als eins der andren, aber es wird vorangestellt um seines Zustandes willen. Es ist für den Hirten kein Gegenstand verdienten Tadels, viel weniger der Verachtung, sondern sein Hauptgedanke ist Teilnahme für die Gefahr desselben und die Furcht, daß es umkomme, ehe er es findet. Um es zu retten, geht er selber über die Berge und vernachlässigt die große Herde im Vergleich mit diesem einen. Dies ist guter Grund, keinen zu verachten, weder von den Geringsten, noch von denen, die am schwersten irren. Was dünket euch? Ihr, die ihr selber einst verirrt waret und durch den Hirten und Bischof zurückgebracht seid, was dünket euch?

13. Und so sich’s begingt, daß er’s findet, wahrlich sage ich euch: Er freut sich darüber mehr denn über die neun und neunzig, die nicht verirrt sind.

Von dem Hirten lesen wir: “So sich’s begibt, daß er’s findet;“ aber unser großer Hirte kennt kein Fehlschlagen und ist nicht entmutigt. Er bringt alle Schafe zurück, die der Vater Ihm gegeben.

Dieses Schaf, das nach dem Irregehen gefunden worden ist, macht dem Hirten augenblicklich mehr Freude, als alle übrigen, gerade weil es ihm mehr Bekümmernis gemacht. Es nimmt durch seine Rettung den ersten Platz in den Gedanken des Hirten ein. Er war gezwungen, mehr für dasselbe zu thun, als für die neun und neunzig, und darum, da er seinen Wert schätzt nach dem, was es ihm gekostet hat, freut er sich darüber mehr denn über die neun und neunzig, die nicht verirrt sind. Er ist nicht ärgerlich über seinen Verlust an Zeit, noch zornig über seine Extra-Arbeit; seine Freude ist überfließend. Augenscheinlich verachtet der gute Hirte nicht das Kleine wegen seines Irregehens, denn nachdem er es wiedergebracht, gewährt er ihm den Hauptplatz in seinen Gedanken, ja, er hat mehr Freude daran, ob es auch nur eins ist, als an neun und neunzig andren der besten seiner Herde.

14. Als auch ist’s vor eurem Vater im Himmel nicht der Wille, daß jemand von diesen Kleinen verloren werde.

Wir können selber den Vergleich mit dem Hirten der Seelen vervollständigen; er ist zu klar, als daß der Heiland ihn auszuführen brauchte.

In den vorliegenden Worten versichert unser Herr ferner, daß unser Vater im Himmel nicht will, daß jemand von diesen Kleinen verloren werde. Daher dürfen wir keinen von ihnen verachten und auch keinen verachten, weil er geringen und niederen Standes ist. Demütig in ihrer Selbstschätzung und gering geachtet unter den Menschen, wie die Kinder Gottes es oft sind, und umringt von grausamen Feinden, wie es häufig der Fall, will der himmlische Vater nicht, daß sie umkommen, und sie können auch nicht umkommen. Wir müssen nicht die Armen, die Geringen, die wenig Begabten behandeln, als hielten wir es für besser, wenn sie uns aus dem Wege wären, oder als wenn sie gar keine Bedeutung hätten und gern ganz übersehen werden könnten. Dies ist in einem gewissen Sinne, sie verloren gehen lassen; denn die, welche wir als nichts betrachten, werden für uns, als wären sie nichts. Der, welcher in den höchsten Himmeln sitzet, sucht diejenigen aus, welche demütigen Herzens sind und zerschlagenen Geistes wegen ihrer Verirrungen, und Er legt großen Wert auf sie. Unser Vater im Himmel will nicht, daß wir die verachten, die vor seinen Augen wert sind.

(Des Königs Gesetz betreffs der Ärgernisse. V. 15-35.)

15. Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin, und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Weit entfernt, jemand zu verachten, sollen wir sein Bestes suchen, selbst wenn er uns Unrecht gethan hat. Hier ist ein Fall von persönlicher Beleidigung. Wir sollen versuchen, Frieden zu schließen mit unsrem Bruder, der an uns gesündigt hat. Der Beleidigte soll den Beleidigenden aufsuchen. Wir müssen nicht die Beleidigung in unser Herz hinein fressen lassen, indem wir ein mürrisches Stillschweigen beobachten, und wir dürfen auch nicht hingehen und die Sache an die Öffentlichkeit bringen. Wir müssen den Beleidiger aufsuchen und ihm seinen Fehler sagen, als wenn er ihn nicht wüßte, wie es vielleicht auch ist. Laß die Ermahnung zwischen dir und ihm allein sein. Es mag sein, daß er sofort das Unrecht wieder gut macht, und dann haben wir gewonnen, nicht unsren Prozeß, sondern etwas, was viel mehr wert ist, unsren Bruder. Wir hätten ihn verlieren können, aber ein offenes Wort hat ihn gewonnen. Gott sei gelobt!

16. Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf daß alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Munde.

Wenn der Bruder sehr schwer gesündigt hat, wird er wahrscheinlich mürrisch oder verwegen sein, und er wird dich nicht hören. Gib ihn darum nicht auf, sondern fahre fort, Frieden zu finden. Laß deine Vorstellungen von andren unterstützen: “nimm noch einen oder zwei zu dir.“ Vielleicht wird der Beleidiger beachten, was von den andren Brüdern gesagt wird, ob er auch gegen dich ein Vorurteil hat; oder er mag einer vereinten Ermahnung ein Gewicht beilegen, was er nicht fühlen würde, wenn die Klage nur von einem käme. Indem du würdige Schiedsrichter herbei rufst, gibst du dem Beleidiger eine bessere Gelegenheit, alles wieder zurecht zu bringen. Diesmal, laßt uns hoffen, wird der Bruder gewonnen werden. Aber wenn nicht, so hast du dich gegen Mißdeutung sicher gestellt: “auf daß alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Munde.“ Die Verdrehung von Worten ist es, wodurch Streitigkeiten erzeugt werden; es ist etwas Gutes, die Mittel zu haben, irrige Angaben zu berichtigen. Obwohl es etwas sehr Unweises ist, sich in Streitigkeiten zu mischen, so ist es doch nach diesem Spruch klar, daß wir willig sein sollen, einer der Zwei oder Drei zu sein, die da helfen, einen Streit zu schlichten.

17. Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Heiden und Zöllner.

Menschen, die fähig sind, ihren Mitmenschen zu schaden, sind oft so verhärtet, daß sie die freundlichste Ermahnung zurückweisen. Wenn ein Bruder auf diese Weise handelt, sollen wir ihn dann aufgeben? Nein, wir müssen noch einen letzten Versuch machen: “ Sage es der Gemeinde.“ Die ganze Versammlung der Gläubigen muß zuletzt den Fall hören und muß ihn ermahnen. Er soll eine Gelegenheit haben, das Urteil und den Rat der ganzen Brüderschaft zu hören. Sollte dieser letzte Versuch fehlschlagen, “hört er die Gemeinde nicht,“ so muß er für unverbesserlich gehalten werden. Keine Strafen und Bußen werden damit verbunden. Der Bruder wird sich selber überlassen und als einer, welcher der ungläubigen Welt gleicht, betrachtet. Dies ist der äußerste Grad, den unsre Strenge erreicht. Er ist einer, welcher der Bekehrung bedarf, wie die Heiden draußen. Aber selbst für einen Heiden und Zöllner haben wir freundliche Gefühle, denn wir suchen seine Errettung, und wir suchen die des ausgeschlossenen Bruders auf gleiche Weise. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der hartnäckige Freund die Handlung der Gemeinde verspotten, und doch ist die Möglichkeit da, daß sie Eindruck auf ihn macht und ihn zu besseren Gedanken bringt. Jedenfalls ist von dem ersten Besuch des beleidigten Bruders bis zu der letzten That des Ausschlusses nichts in rachsüchtiger Weise gethan, sondern alles liebevoll mit der Absicht, den Bruder zurechtzubringen. Der Beleidiger, der sich nicht versöhnen will, ladet dadurch viel Schuld auf sich, daß er den Versuchen der Liebe widersteht, die im Gehorsam gegen das große Haupt der Gemeinde gemacht werden.

18. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.

Unser Herr hatte die Gemeinde gestiftet, indem Er ihre Schlüssel dem Petrus als Vertreter der ganzen Brüderschaft eingehändigt, und jetzt erkennt Er bestimmt an, daß diese Schlüssel sich in den Händen der ganzen Gemeinde befinden. “Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet.“ Die, welche binden, sind alle Jünger oder die ganze Gemeinde, die herbeigerufen ist, Friede zwischen zwei Brüdern zu machen. Jede Gemeinde hat die Schlüssel zu ihrer eignen Thür. Wenn diese Schlüssel von der Versammlung hienieden richtig gedreht werden, so wird die That droben bestätigt, denn das, was sie auf Erden binden, soll auch im Himmel gebunden sein. Wenn durch Gottes Gnade irrende Brüder Buße thun und von dem Tadel der Versammlung befreit werden, so bekräftigt der Herr droben die That nach seinem Worte: “Was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.“ Dies ist mit der Beschränkung zu verstehen, daß es wirklich eine Gemeinde Christi ist, welche handelt, daß sie in seinem Namen handelt und daß sie seine Gesetze richtig anwendet. Eine tiefe Feierlichkeit umgibt das Binden und Lösen wahrhaft christlicher Versammlungen. Es ist nichts Leichtes, als eine Gemeinde zu handeln, und nichts Kleines, aus ihr ausgeschlossen oder wieder in ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Unser Herr machte dies klar, indem Er mit seiner (Autorität ankündigenden) Worten begann: “Wahrlich, ich sage euch.“

19. Weiter sage ich euch: Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, warum es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.

So setzt der Heiland sein Siegel auf die Versammlungen der Gläubigen, sogar die der kleinsten Zahl, nicht nur in ihren Handlungen der Gemeindezucht, sondern in ihren Fürbitten. Beachtet, wie freundlich Jesus von seinen Nachfolgern spricht: “Wo zwei unter euch.“ Arm, wie ihr seid, wenn zwei unter euch eins werden im Gebet auf Erden, so wird mein Vater im Himmel auf eure Bitten hören. Das Gebet sollte vorher erwogen werden, und Personen, die sich zum Gebet vereinen, sollten eins werden, warum es ist, das sie bitten wollen. Dann konnten sie zu einem verständigen Zweck zusammen, suchen einen bestimmten Segen und verbinden ihre Wünsche und ihren Glauben in Hinsicht auf den einen erwählten Gegenstand. Zwei Gläubige, die in heiligem Verlangen und ernsten Gebet vereint sind, haben große Macht bei Gott. Statt das Urteil einer so kleinen Versammlung zu verachten, sollten wir es achten, weil der Vater dies thut.

Bemerkt die Macht des vereinigten Gebets. Es ist keine Entschuldigung für das Aufgeben der Betstunden, so lange zwei betende Menschen anwesend sind, denn zwei können obsiegen bei Gott. Natürlich ist mehr nötig, als eine kalte Vereinbarung, daß gewisse Dinge wünschenswert sind; es muß dringendes Bitten und Glaube da sein.

20. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Die Gegenwart Christi ist der feste Mittelpunkt der Versammlung, die Gewähr für ihre Zusammenkunft und die macht, mit der sie handelt. Die Gemeinde, wie klein auch, ist in seinem Namen versammelt. Jesus ist zuerst da: “Ich bin mitten unter ihnen.“ Wir sind zusammen gekommen durch den heiligen Antrieb christlicher Brüderschaft, und unsre Versammlung ist im Namen Jesu, und darum ist Er da. Er ist nicht nur dem Leitenden oder dem Prediger nahe, sondern mitten unter ihnen, und deshalb jedem Beter nahe. Wir kommen zusammen, Ihm Ehre zu geben, sein Wort zu hören, einander anzuregen, seinem Willen zu gehorchen, und Er ist da, uns zu helfen. Wie klein auch unsre Zahl ist, wir bilden eine Gemeinde; und was den Gesetzen Christi gemäß gethan wird, das wir mit seiner Autorität gethan. Daher kommt es, daß große Macht im vereinten Gebet ist, weil es Jesus ist, der in seinen Heiligen bittet. Dies sollte Christen daran hindern, ein Ärgernis zu geben oder zu nehmen, denn wenn Jesus mitten unter uns ist, so muß unser Friede nicht durch Streit unterbrochen werden.

21. Da trat Petrus zu Ihm, und sprach: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal?

Die Frage des Petrus kam gelegen und gab unsrem Herrn ferneren Anlaß, über die Hinwegnahme der Ärgernisse zu reden. Petrus setzt voraus, daß er vergeben will, und er wünschte nur zu wissen, wie lange er dies Vergeben fortzusetzen hätte. Ohne Zweifel dachte er sehr weit gegangen zu sein, wenn er siebenmal nannte. Wahrscheinlich fühlte er, daß er sehr viel Gnade brauchen würde, um es in der geduldigen Ertragung, wenn sein Bruder gegen ihn sündigte, so weit zu bringen. Es ist wahr, daß Petrus nicht weit genug ging, aber gehen wir so weit? Haben nicht einige, die sich Christen nennen, ein sehr gutes Gedächtnis für kleine Kränkungen? Haben viele von uns Gnade genug auch nur für eine siebenfache Vergebung?

22. Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.

Unser Herr will uns lehren, daß wir immer und ohne Ende vergeben sollen. Er setzt keine Grenze. “Ich sage dir, nicht siebenmal.“ Abgemessene Barmherzigkeit ist nicht dem Gebot gemäß. Wir können die Worte unsres Herrn in diesem Verse lesen: sieben und siebzigmal oder siebzigmal siebenmal. Es ist kein Anlaß da, sehr bestimmt in der Angabe von Zahlen zu sein, wo eine unbestimmte Anzahl gemeint ist. Wir sollten zu wenig Gewicht auf Beleidigungen legen, um Zeit mit dem zählen derselben hinzubringen oder mit der Berechnung, wie viele Male wir sie übersehen haben.

23. Darum ist das Himmelreich gleich einem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte.

Das Himmelreich wird wieder dargestellt. Wir müssen nicht vergessen, daß dies der Schlüssel zu dem Evangelium des Matthäus ist. In allen Königreichen muß ein König sein, ein Gericht und eine Zeit zum Richten derer, die unter seiner Herrschaft sind. Die persönlichen Diener eines Königs müssen erwarten, daß eine besondere Rechenschaft von ihnen darüber gefordert werden wird, wie sie ihres Herrn Güter gebraucht haben. Unser Herr ist der “König, der mit seinen Knechten rechnen wollte.“ Selbst wenn Er niemand anders zur Rechenschaft zöge, würde Er doch von seinen eignen Knechten eine solche verlangen.

24. Und als er anfing zu rechnen, kam ihm einer vor, der war ihm zehn tausend Pfund schuldig.

Zehn tausend Pfund war eine unermeßliche Schuld für einen Knecht des Königs. Einige halten dafür, daß es gleich vierzig Millionen Mark gewesen. Es war eine Schuld, die nicht bezahlt werden konnte, überwältigend und fast unberechenbar. Diese Schuld kam zum Vorschein, sobald der König anfing zu rechnen; es war eine offenkundige Sache, zu groß, um verhehlt zu werden. Der Schuldner ward gebunden vor seinen Herrn gebracht, aber seine ungeheure Schuld war das stärkste Band. Zehntausend Pfund! Doch, was ist dieser Betrag gegen die Bürde unsrer Verpflichtungen gegen Gott?

O, meine Seele, demütige dich, wenn du die Frage beantwortest: „Wieviel bist du schuldig?“*

25. Da er’s nun nicht hatte, zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn und sein Weib und seine Kinder und alles, was er hatte, und bezahlen.

Der Schuldner war pfenniglos; er hatte es nicht zu bezahlen. Der Gläubiger nimmt den Mann in Besitz: sein Herr hieß ihn verkaufen. Sein Weib, seine Kinder und alles, was er hatte, sollte auch verkauft werden, aber alles zusammen belief sich, wenn Zahlung sein sollte, auf nichts im Vergleich mit der ungeheuren Schuld. Der Verkauf des Mannes und seiner Familie war der morgenländischen Gerechtigkeit gemäß. Der großmütige, hier beschriebene Herr, zauderte nicht, es zu verlangen, und der Schuldner selbst erhob keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Unser Herr rechtfertigt nicht die Handlung des Herrn in der Geschichte; Er gebraucht einfach die Sitte als einen Teil der Darstellung in seinem Gleichnis. Wir mögen dankbar sein, daß der Geist des Christentums ein Gesetz gänzlich abgeschafft hat, das schuldlose Kinder durch den Verlust ihrer Freiheit für ihres Vaters Fehler leiden ließ. Der Knecht war in der That in einer traurigen Lage, wenn nichts sein eigen blieb und selbst seine eigne Persönlichkeit ihm genommen und verkauft wurde. Er hatte nicht zu bezahlen, doch auf königlichen Befehl sollte Zahlung geleistet werden, und er war wirklich elend daran.

26. Da fiel der Knecht nieder, und betete ihn an und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, ich will dir’s alles bezahlen.

Er konnte nicht bezahlen, aber er konnte sich vor seinem Herrn demütigen. Er fiel nieder, und betete ihn an. Er erkannte die Schuld an und bat um Frist. “Habe Geduld mit mir.“ Überdies gab er das Versprechen, seine Verpflichtungen zu erfüllen: “Ich will dir alles bezahlen.“ Das Versprechen war nicht den Atem wert, mit dem es ausgesprochen ward. Es ist etwas sehr Gewöhnliches bei Menschen, die ungeheure Schulden machen können, es mit der Bezahlung leicht zu nehmen und sich einzubilden, daß ein Wechsel auf drei Monate ebenso gut sei wie Gold. Sie träumen, daß Zeit Gold sei und ein Versprechen Bezahlung. Mancher arme Sünder ist sehr reich an Entschlüssen. Der Knecht meinte, er brauche nur Geduld, aber in Wahrheit braucht er Vergebung! Es scheint seltsam, daß er dies nicht sah, da die Schuld so groß war und er nichts hatte, um zu bezahlen, sondern ganz bankrott war; doch ist es eine wohlbekannte Thatsache, daß Menschen ihren wahren Zustand vor Gott, dem Herrn, nicht einsehen, selbst wenn sie wahrnehmen, daß sie in vielen Dingen zu kurz kommen.

27. Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts, und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch.

Demut und Gebet siegten, denn der Herr dieses Knechtes war ein König, mit dem das ganze Weltall an Mitleid und Gnade nicht wetteifern kann. Der Schuldner empfing viel mehr, als er zu bitten gewagt, denn die gnädige That ward nicht nach seinem eignen Gefühl der Bedürftigkeit, nicht einmal nach seinen Gebeten bemessen, sondern nach dem Erbarmen seines Herrn. Das Herz des großen Gläubigers ward gerührt und sein ganzes Wesen von Mitleid bewegt. Der pfenniglose Schuldner ward losgebunden und seine Schuld ward ihm erlassen; sein Herr ließ ihn los, und erließ ihm die Schuld. Wir wissen, was dies bedeutet. Dies war in der That Freundlichkeit! Es konnte nichts Größeres für den Schuldner gethan werden. Alles war so freigebig, so edel, so vollkommen, daß es eine große Wirkung auf ihn hätte hervorbringen sollen und ihn dahin führen, in seinem Maße das königliche Beispiel nachzuahmen. Hart war das Herz, welches ein solches Feuer der Liebe nicht erweichen konnte.

28. Da ging derselbe Knecht hinaus, und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig; und er griff ihn an, und würgte ihn, und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist!

Derselbe Knecht, aber wie verschieden sein Betragen! Eben war er ein demütig Flehender, aber jetzt ist er ein herrischer Tyrann. Er ging hinaus, hinweg von seinem gnadenvollen Herrn, und wartete kaum, um ihm seine Dankbarkeit zu bezeugen. Er fand einen seiner Mitknechte; nicht seinen Knecht, noch seinen Untergebenen, sondern einen, der seinesgleichen war und sein Gefährte im Dienst. Dieser war ihm hundert Groschen schuldig: eine bloße Kleinigkeit, verglichen mit der ungeheuren Schuld, die erlassen war. Wir erwarten, daß er sofort diese kleine Rechnung ausstreichen werde, aber nein, er griff ihn an, mit Heftigkeit, aus Furcht, daß er sich auf eine Zeitlang losmachen würde. Er würgte ihn, und plagte ihn mit seiner drohenden Forderung. Er wollte keine Geduld mit seinem Schuldner haben; er wollte ihn nicht atmen lassen, wenn er nicht bezahlte. Die Schuld war sehr klein, aber die Forderung ward mit großem Grimm gestellt. Unsre kleinen Forderungen an unsre Mitmenschen werden nur zu leicht mit schonungsloser Strenge erhoben. Der Fordernde hatte nicht einmal eine Stunde Geduld, sondern würgte seinen Mitknecht mit der rauhen Forderung: “Bezahle mir, was du mir schuldig bist.“ Welches Recht hatte er, den Diener seines Herrn bei der Gurgel zu fassen? Er verletzte einen, der seinem eignen König angehörte. Unser Mitknecht ist unsres Herrn Knecht und nicht unser, den wir bedrücken und bedrohen könnten, wie es uns beliebt.

29. Da fiel sein Mitknecht nieder, und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir, ich will dir’s alles bezahlen.

Es hätte den Tyrannen stutzig machen sollen, als er seine eigne Bitte an sich selber gerichtet hörte. Es war Wort für Wort, was er selber gesagt hatte; auch des Bittenden Stellung war gerade die, welche er vor seinem Herrn eingenommen hatte: er fiel nieder. Das armselige Versprechen: “Ich will dir’s alles bezahlen,“ ward auch vor seinem Ohre wiederholt und mit viel mehr Wahrscheinlichkeit der Erfüllung. Gewiß, er wird dieselbe Antwort geben, die sein Herr ihm gewährt hatte! Er nicht. Sein Herr handelte königlich, aber er war knechtisch und bösen Sinnes.

30. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis daß er bezahlte, was er schuldig war.

Nicht, er konnte nicht, sondern er wollte nicht. Er gab keine Zeit, schlug keinen Vergleich vor, versprach keine Barmherzigkeit. Er brauchte das Gesetz seines eignen großmütigen Königs als Mittel, seinen armen Mitknecht niederzutreten. Er besorgte selbst die Verhaftung des Schuldners: er “ging hin und warf ihn ins Gefängnis.“ Er sieht ihn zum Schuldgefängnis verurteilt, ohne Hoffnung, wieder herauszukommen, wenn nicht durch Bezahlung. Es war seines Herrn Gefängnis; er gebrauchte seines großmütigen Herrschers Kerker, um seinen Zorn zu befriedigen. Er gelobte, daß sein Mitknecht dort liegen sollte, “bis daß er bezahlte, was er schuldig war.“ Ein niedriges Verhalten! Aber es ist so häufig, wie es niedrig ist!

31. Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt, und kamen, und brachten vor ihren Herrn alles, das sich begeben hatte.

Andre konnten das Böse seines Betragens sehen, wenn er es nicht konnte. Seine Mitknechte sahen, was gethan wurde. Er war wohlbekannt, und was er that, ward sicherlich beobachtet. Viel war ihm vergeben und viel wurde von ihm erwartet. Seine Mitknechte waren sehr betrübt über den eingekerkerten Schuldner, und betrübt, daß einer ihrer Mitknechte sich erniedrigte, indem er in einer Weise handelte, die so ganz der Behandlung entgegengesetzt war, die er von seinem Herrn empfangen hatte. Sie thaten recht, die Handlung dem Herrn zu melden, denn eine so niedrige Sünde mußte da bekannt werden, wo Gerechtigkeit gehandhabt werden konnte. Anstatt nach dem Lynchgesetz zu handeln, brachten sie vor ihren Herrn alles, was sich begeben hatte, Dies war sehr verständig von ihnen. Laßt uns nach dieser Weise handeln, wenn wir je in ähnlichen Umständen sind, statt uns thörichtes Geschwätz und zornige Anklagen zu erlauben.

32. 33. Da forderte ihn sein Herr vor sich, und sprach zu ihm: Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest. Solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?

Der Elende wurde nicht ungehört verurteilt, sein Herr richtete ihn erst, nachdem er ihn vor sich gefordert hatte. Sein Herr und König legte ihn die Sache sehr klar vor und berief sich auf sein eignes Urteil über den Fall. Er erinnerte ihn an das, was er vergessen zu haben schien; wenigstens hatte er gehandelt, als wenn es nie geschehen wäre. Sein Herr redete ihn in Worten voll brennenden Unwillens an: „Du Schalksknecht.“ Es war abscheuliche Bosheit des Herzens, die ihn zu einem so unwürdigen Betragen veranlaßt hatte. “Alle diese Schuld habe ich dir erlassen.“ Welche große Schuld war das! Wie freigebig war die Schuld getilgt: „Ich habe dir erlassen.“ Der angegebene Grund war: “dieweil du mich batest.“ Nicht, weil du solche Milde verdient hattest oder deine Schuld je hättest bezahlen können. Der Schluß, der von dieser ungemeinen Großmut hergeleitet wurde, war klar, stark, unabweislich. Die letzten Worte sind im höchsten Grade nachdrücklich: “Solltest du dich denn nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht?“ Wie bereitwillig sollten wir die kleinen Beleidigungen vergeben, unter denen wir leiden, da unser Herr uns unsre schweren Übertretungen verziehen hat! Keine Beleidigung eines Mitknechts kann verglichen werden mit unsren Sünden gegen unsren Herrn. Welch ein Vorbild für unsre Barmherzigkeit wird uns in den Worten gegeben: “wie ich mich über dich erbarmt habe!“

Der Schuldige verteidigt sich nicht. Was konnte er sagen? Er war sogar unfähig, sich zum zweitenmal an die Barmherzigkeit zu wenden. Er hatte Barmherzigkeit verweigert, und nun ward sie ihm verweigert.

34. Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis daß er bezahlte alles, was er ihm schuldig war.

Sein Herr ward zornig. Er, der so barmherzig sein konnte, war notwendig ein Mann von warmem Gefühl, und deshalb konnte er zornig werden. Natürlich hatte er Mitleid mit dem armen Schuldner im Gefängnis, und dies machte ihn unwillig über den Elenden, der ihn eingekerkert. Es war gerechter Zorn, der den unversöhnlichen Knecht der furchtbaren Strafe übergab: “überantwortete ihn den Peinigern, den Vollstreckern der Gerechtigkeit. Seine Strafe war ohne Ende, denn sie sollte dauern, “bis daß er bezahlte alles, was er ihm schuldig war;“ und der Schuldner konnte niemals zehn tausend Pfund zahlen. Die Dinge müssen ihren Lauf haben bei boshaften geistern. Sie haben sich aus dem Bereich der Barmherzigkeit heraus versetzt. Gerade die Größe der Liebe macht großen Unwillen notwendig über die Bosheit, welche darauf besteht, kleines Unrecht zu rächen. Die unumschränkte Herrschaft Gottes ist niemals ungerecht; sie übergibt nur den Peinigern die, welche das Gesetz des Weltalls mit Notwendigkeit verdammt.

35. Also wird euch mein himmlischer Vater auch thun, so ihr nicht vergebt von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.

Dies ist die große Lehre. Wir ziehen uns größeren Zorn zu, wenn wir uns weigern zu vergeben, als durch all unsre übrigen Schulden. Wir können der Verdammung nicht entrinnen, wenn wir uns weigern, andren zu vergeben. Wenn wir nur mit Worten vergeben, aber nicht von Herzen, so bleiben wir unter der gleichen Verdammnis. Fortgesetzter Zorn gegen unsren Bruder schließt die Himmelspforte vor uns zu. Der himmlische Vater des Herrn Jesu wird gerechterweise zornig über uns sein, und wird uns den Peinigern überantworten, wenn wir nicht von Herzen vergeben, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.

Herr, mache mich sanften, versöhnlichen Sinnes! Möge mein Herz ebenso bereit sein, Beleidigungen zu vergeben, wie es bereit ist, zu schlagen!

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