Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - Oktober

Spieker, Christian Wilhelm - Christliche Morgenandachten auf alle Tage des Jahres - Oktober

Am 1. Oktober.

Alles Fleisch ist Heu und seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde, Das Heu verdorret, die Blume verwelket.“ Jes. 40, 6 u. 7.

Der Herbst ist eine ernste Jahreszeit. Dies ist er darum, weil er uns an einen der beiden wichtigen und anziehenden Wendepunkte stellt, die für jedes zeitliche Ding einmal eintreten, Kommen und Scheiden. Der Frühling stellt uns das Kommen dar, der Herbst das Scheiden. Scheiden thut weh. Darum ist die eigentliche Herbststimmung Wehmuth. Zumal, da das frische, lachende Leben der Natur uns de n Sommer über so lieb geworden ist, welches uns im Herbst verläßt, wenn der Sturm an unsern Lieblingsplätzen das Laub herunter reißt, wenn die blühenden Anger welk werden und öde, wenn die Vögel abziehen und eine tiefe Stille über die leeren Stoppelfelder sich niedersenkt. Da werden wir wehmüthig und denken: So scheidet denn doch auch Alles! und Nichts hat Bestand! Du hast Recht, mein Herz! Aber merke dir die Lehre, die dir darin, eben in diesem Gefühl gegeben wird: Nichts Irdisches, Zeitliches hat Dauer und Bestand. Die. Blume verdorrt und alles Fleisch ist wie Heu. Die Schönheit muß zuerst daran, wie . der Herbst zuerst die Blumen tödtet; dann folgt die Kraft und Stärke, sie mag lange trotzen, aber sie steht vor den Winterstürmen der Krankheit und des Alters nicht; Geld und Gut hält oft der Mensch am längsten, umklammert es noch mit sterbenden Händen, aber endlich dringt doch die Vergänglichkeit auch in den verschlossenen Geldkasten hinein. Jacobus sagt: „Euer Reichthum ist verfaulet, euer Gold und Silber verrostet und der Rost wird euch zum Zeugniß sein.“ (5, 2, 3.) Das Leben flicht zuletzt, aber gewiß. Nach ein paar Monden wird voller Tod auf den Feldern sein: nach ein paar Jahren wie dann mit uns? Auch der Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde; aber wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nicht mehr da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. (Ps. 103.)

Wie wird es also nach ein paar Jahren mit uns stehen? Das überlege dir selbst und antworte dann auf die zwei Fragen: Bedenkst du das? Denkst du an das, was bleibt, dir bleiben kann und muß, wenn alles Andre flieht? Wenn du jetzt die Thorheiten deiner Jugend betrachtest, so wirst du bei dir selbst bedenken, du wollest deine verflossenen. Jahre ganz anders zubringen, wenn du wieder jung werden könntest. Du schämst dich jetzt der Kindereien, die du dazumal vorgenommen hast; aber bringst du deine jetzigen Jahre klüger und vorsichtiger zu? Ach, alles Thun und Wesen der irdischgesinnten Menschen ist weit eitler und thörichter, als die einfältigsten Kinderspiele! Wie die Flüsse so lange süßes Wasser haben, bis sie sich in das salzige Meer ergießen und ihre Süßigkeit darin verlieren: so ist den Kindern dieser Welt das zeitliche Leben süß, bis es sich in das Meer des Todes ergießt, und es ihnen dann salzig und bitter genug schmeckt. Laß dich denn nicht länger durch den falschen Glanz der Weltgüter und Weltfreuden blenden. Du griffest nach Rauch und Schatten und ließest darüber das himmlische Kleinod aus deinen Augen und Händen fahren. Wenn ein Wanderer schon noch so durstig ist, so wird er sich doch nicht entschließen können, aus einer Pfütze zu trinken, in welcher Schlangen und andere giftige Thiere herumkriechen. Die eitle Welt aber ist ein solcher Pfuhl, der nicht nur den Leib, sondern auch die Seele verdirbt. O Jesu, gib mir zu erkennen, daß außer dir und deiner Liebe Alles eitel ist, damit ich dich allein suche, dich allein verlange und dich über Alles liebe. Amen.

Am 2. Oktober.

Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug.“ Röm. 12, 16 und 17.

Erhebet euch in Stolz und Vermessenheit nicht über euch selbst; trauet euch nicht zu viel Einsicht, Verstand, Fähigkeit und' Geisteskräfte zu, sondern bleibet auf dem schlichten Wege der Einfalt und Demuth. Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedrigt werden. Wer nach eitler Ehre geizet und in den Versammlungen obenan zu sitzen sucht; wer sich zu den Reichen und Hochgestellten hinaufdrängt, der Armen und Niedrigen aber sich schämt; wer den geraden, schlichten Menschenverstand verachtet und mit glänzender Gelehrtheit und hoher Weisheit sich brüstet; wer die nächsten Geschäfte und Pflichten verabsäumt und nur große Dinge unternimmt, die Ruhm erwerben und Aufsehen erregen: der höre, der beherzige des Apostels ernste Mahnung: ,Halte dich nicht selbst für klug und trachte nicht nach hohen Dingen! Den Demüthigen giebt Gott Gnade.„

Stellte dich Gott höher als viele deiner Brüder, schmückte er dich mit Einsicht, Verstand und seltenen Gaben, so blicke in Demuth und Dankbarkeit zu dem Geber aller guten Gaben. Was hast du, o Mensch, das du nicht empfangen hättest? So du es aber empfangen hast, was rühmest du dich dessen, als hättest du es dir selbst erworben? Und wie hoch kommst du denn mit deiner Weisheit? wie viel vermagst du mit deiner Kraft? All dein Wissen ist Stückwerk, und gegen den Ewigen bist du wie der Wurm im Staube. Wenn dich das Gefühl der Demuth verläßt, so weicht der Geist Christi von dir. Der Sinn Christi ist der Sinn der Demuth. Er, vor dem die Engel sich beugen, war zum Dienst der Menschen auf die Erde gekommen. Ich suche nicht meine Ehre, sondern die Ehre Dessen, der mich gesandt hat - spricht der Herr der Herrlichkeit. Wie frei ist er von aller Anmaßung, Ehrsucht und Selbstgefälligkeit! Um seine Jünger Demuth und Dienstbarkeit zu lehren, wusch er ihnen die Füße und erklärte frei, des Menschen Sohn sei nicht gekommen, daß er ihm dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für Viele. Cm stiller, unterwürfiger Geist, der jeden Andern höher achtet als sich selbst, nicht das Seine sucht und nicht nach hohen Dingen trachtet - o möchte dieser Geist nie von mir weichen! Immer soll mir. die Lehre des weisen Sir ach (3, 19 und 20) gegenwärtig sein: „Liebes Kind, bleibe gern im niedrigen Stande, das ist besser denn Alles, wonach die Welt trachtet. Je höher du bist, je mehr dich demüthige, so wird dir der Herr hold sein.“ Amen.

Am 3. Oktober.

Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Veste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt's dem andern und eine Nacht thut's kund der andern. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre.“ Ps. 19, 2.

Du bist groß, mein Gott, und gehest in großer Majestät durch deine Welten. Du setzest die Berge fest in deiner Kraft und bist gerüstet mit Macht. Du stillest das Brausen des Meeres, das Toben seiner Wellen. Du suchest das Land heim und wässerst es, und machest es sehr reich. Gottes Brunnlein hat Wassers die Fülle. Du lässest das Getreide wohlgerathen, denn also bauest du das Land. Du tränkest seine Furchen und seuchtest sein Gepflügtes; mit Regen machst du es weich und segnest sein Gewächs. Du krönest das Jahr mit deinem Gut und füllest die Erde mit deinem Segen. Aller Augen warten auf dich, daß du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit, und wenn du gibst, so sammeln wir; wenn du deine Hand aufthust, so werden wir mit Gute gesättigt. Du lässest aus deinen Odem, so entstehen Welten und es erneuert sich die Gestalt der Erde. Die Ehre des Herrn ist ewig; er hat Wohlgefallen an seinen Werken. Er schauet die Erde an, so bebet sie; er rührt die Berge an, so rauchen sie. Ich will dem Herrn singen mein Lebelang, und meinen Gott loben, so lange ich bin. Es ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Allerhöchster. Du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen haben sie ihr Wesen. Dich kennen ist die rechte Weisheit und dich lieben die Fülle der Seligkeit. Meine Seele dürstet nach dir und in der Frühe schauen meine Augen zu deiner Höhe. Ich hebe meine Hände in deinem Namen auf und meine Lippen preisen deine große Barmherzigkeit. Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich, und wenn ich erwache, so rede ich von dir; denn du bist mein Helfer und unter dem Schalten deiner Flügel ruhe ich in Frieden. Das ist meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich dich loben kann mit fröhlichem Munde und meine Hände aufheben kann in deinem Heiligthum. Darum lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat. Amen.

Am 4. Oktober.

Herr, dein Name währet ewiglich, dein Gedächtniß, Herr, währet für und für.“ Ps. 135, 13.

Wohlan, die goldne Sonne
Ruft mit erneutem Licht,
O Schöpfer, meine Wonne,
Mich vor dein Angesicht!
Du, Herr, hast mich behütet
In dieser finstern Nacht,
Daß nicht auf mich gewüthet
Der Feinde Grimm und Macht.

Dein Lob ist auszubreiten,
So weit die Sonne geht,
So weit von Mittags Seiten
Der ferne Nord erhöht.
Du bist der Herr der Ehren,
Vor dem, sobald er winkt,
Was wir nur nennen hören,
Mit Zittern niedersinkt.

Wem sollt' ich Dank bezahlen,
Mein König, mehr als dir?
Seh' ich die Sonne strahlen,
Merk' ich der Erde Zier,
So ruf' ich: deine Gnade
Reicht weiter, als man sieht!
Voll Ruhm's sind ihre Pfade,
Die Himmel ihr Gebiet!

Sie heißt das Licht aufgehen,
Macht fruchtbar Land und See,
Und schafft, daß wir bestehen,
Luft, Regen, Thau und Schnee.
Der Berge Grund entdecket
Den Schatz, der drinnen, liegt,
Den deine Güt' erwecket,
Die Alles überwiegt.

O Herr, du Brunn der Güte,
Bleib auch den Tag bei mir!
Hilf, fördre, führ' und hüte,
Sonst weich' ich leicht von dir.
Dein helles Licht erleuchte
Den Irrgang dieser Welt;
Dein Lebensthau mich feuchte,
Wenn Trübsal auf mich fällt.

Ach, fördre durch dein Segnen
Der schwachen Arme Werk,
Und laß mir nichts begegnen,
Was über meine Stärk'!
Ich werf' auf dich mein Sorgen,
Und zweifle nicht, mein Gott,
Du wirst, so heut' als morgen
Bescheeren, was mir Noth.

Halt' mich in deinen Zügeln,
Beschirme mich als Kind
Mit deinen Gnadenflügeln
Vor'm Gift und Fluch der Sünd';
Wenn Alles will verschwinden,
Wenn Hülf' und Rath gebricht,
Laß mich den Trost empfinden,
Den uns dein Geist verspricht.

Mein Leib, Gut, Ehr' und Leben,
Weib, Kind, Beruf und Stand
Sei, Herr, dir übergeben
In deine starke Hand.
Laß uns den Tag verbringen
In heil'ger Sicherheit,
Und endlich fröhlich dringen
In's Reich der Herrlichkeit!
Amen!

Am 5. Oktober.

Jauchzet dem Herrn alle Welt; dienet dem Herrn mit Freuden; kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken! Denn der Herr ist freundlich, seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für.“ Ps. 98, 4.

So mögen Alle in hoher Freude sprechen bei dem reichen Erntesegen, den uns Gott wiederum bescheert hat. Der Herr hat die Sorge des Lebens von uns genommen und unsere Scheuren und Keller gefüllt mit seinem Segen. Wir dürfen nun nicht ängstlich für den andern Morgen sorgen und fragen: „was werden wir essen, was werden wir trinken; womit werden wir uns kleiden?“ Ach, wenn Sorgen der Nahrung unser Herz beschweren, fehlt es unserem Geiste an Freudigkeit und Kraft zu jeder Art von Thätigkeit; unsere Arbeiten ermüden uns, ehe wir sie vollendet haben, und selbst die leichtesten Geschäfte mißlingen; über Alles hat sich der dunkle Schleier der Traurigkeit gelegt, besonders wenn Weib und Kinder und des Hauses Genossen von uns ihr täglich Brod begehren. Wie lebhaft wir auch die Vorzüge des Geistes empfinden, durch welche wir über die vernunftlose Kreatur erhoben werden; wie deutlich wir uns auch unserer Verwandtschaft mit dem Unendlichen, mit dem Vater der Geister selbst bewußt werden; wie glückliche Fortschritte wir auch auf dem Wege der Weisheit und der Erkenntniß gemacht haben: es wird uns doch täglich fühlbar, daß wir dem Staube, angehören, daß die Thätigkeit unserer Seele zum Theil von dem Zustande unseres Leibes abhängt, daß wir irdischen Bedürfnissen unterthan sind. So lange wir in dieser Hütte wohnen, müssen wir die Gebrechlichkeit derselben empfinden. Darum dem Vater im Himmel, der uns Alle ernährt und versorgt, Preis und Dank, daß er seine milde Hand aufgethan und uns Nahrung die Fülle gegeben hat. Mit Danksagung will auch ich mein täglich Brod empfangen, des Herrn Gabe mit Mäßigkeit genießen, meinem ärmeren Bruder davon freundlich mittheilen und dabei nie vergessen, daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt. Meine Speise ist die, sprach Christus, daß ich thue den Willen Deß, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk. So mach' mich denn reich, du Gnadenreicher, durch den Geist des Glaubens und durch das Wort des Lebens, das ewiglich bleibet. Gib, daß ich am Tage jener großen Ernte mit Freuden komme und meine Garben bringe, aus deiner Hand aber die unverwelkliche Krone der Ehren empfange um Jesu Christi willen. Amen.

Am 6. Oktober.

Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird's erhalten zum ewigen Leben.“ Joh. 12, 25.

An nichts erkennet man so sehr die allgemeine sittliche Krankheit, an der das Menschengeschlecht darniederliegt, als an der Eigenliebe. Wir sind alle verliebt in uns selbst. Das ist die schwache Seite, die Keiner, der nur einigermaßen auf sich selbst gesinnt, ableugnen kann. Luther sagt: „Kein Löchlein ist gebohrt so sein, daß nicht die Eigenlieb' schlüpf' ein.“ Wie außerordentlich ungern und schwer vertragen wir Alle, daß man unsere Schäden uns aufdeckt I Wie sucht man da immer von vorn herein sogleich Alles der Art abzuwehren, was ein liebender Freund uns nahe legt! Wer hält mit Bereitwilligkeit und Freude still, wenn man ihm sagen will, was ihm fehle? Kann es ein unzweifelhafteres Zeichen geben, daß wir Alle von Natur an einer schweren Krankheit danieder liegen? Darum sagt der Herr so oft und nachdrucksvoll: „Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren!“ Wer von sich selbst nicht ausgeht, der wird zu Gott, der über ihm ist, nicht eingehen. Und Augustinus sagt: „Wenn Gott lieben des Menschen höchstes Gut ist, so muß des Menschen höchstes Verderben sein, sich selbst lieben!“

Solche falsche Selbstliebe, die sich vergöttert, die Wohlgefallen an sich selbst hat, die hoffärtig, ehrsüchtig, eigenwillig ist, ihren Willen nicht tödtet, und an ihren Sünden kein Mißfallen hat, ist nicht nur im höchsten Grade thöricht und unbesonnen, und der ärgste Selbstbetrug, sondern auch schädlich, weil sie die abgöttische Mutter der Habsucht, des Ehrgeizes und der Wollust ist.

Ja, solche Selbstliebe ist eigentlich Selbsthaß. Der Mensch thut sich dadurch selbst den größten Schaden, er könnte reich sein und will sich nicht genügen lassen, auch keine Schätze im Himmel sammeln, er könnte hoch und herrlich sein und will seine Neigungen nicht bezwingen, und verachtet die Herrlichkeit, die er hat in Christo; er könnte immer fröhlich sein, und macht sich selbst traurig ohne Ursach; er könnte lange leben, und wird durch die Sünde sein Selbstmörder, und tödtet sich vor der Zeit; er könnte selig werden, und bringt sich selbst durch Sicherheit um sein Erbe. So ist der Mensch sein eigner ärgster Feind, indem er will sein eigner Freund sein. Daß er sich als einen Menschen in seiner Natur liebt, ist allerdings natürlich; denn wer hat je sein eigen Fleisch gehasset? - daß er sich aber liebt als einen fleischlichen Menschen in seiner Unart, ist sündlich und verderblich. Wahrlich, mich zu lieben habe ich keine Ursach, weil nichts Gutes an mir ist; mich zu hassen habe ich aber große Ursach, weil all' mein Dichten und Trachten nur böse ist und immerdar zum Bösen geneigt. Amen.

Am 7. Oktober.

Hilf uns, Gott, daß wir danken deinem heiligen Namen und rühmen dein Lob.“ Ps. 106, 47.

Es ist keine Frage, eins der niedrigsten Laster ist der Undank. Ein Vers sagt: „Ein dürrer Acker, der nicht tragt, eine stumme Glocke, die nicht schlägt, ein Dornenstrauch ohne Frucht, ganz wild, das ist der Undankbaren Los.“ Ein Mensch, der für genossene Wohlthat kein Bedürfniß des Dankes fühlt, ist einer der ärmsten, der hoffnungslosesten Menschen. Den strafbaren Knecht, der je in seinem Leben den Wohlthäter vergessen konnte, welcher in seinen Kerker herabstieg, keine Schmach, keine verpestete Luft sich schrecken ließ, um seine Ketten zu brechen und ihn heraus zu führen an das milde, helle Tageslicht, - wir verachten ihn von Herzen. Der strafbare Knecht aber ist der Mensch, und der Gottessohn ist Der, welcher in unsern Kerker herabstieg, mit unserem Aussatz und mit unserer Krankheit die Gemeinschaft nicht scheute, nur darum, daß er unsere Ketten bräche und uns herausführte an das reine Leben im Lichte Gottes. Wie oft haben wir wohl Gott gedankt für die Sendung seines Sohnes in die Welt! Wie oft haben wir ihm gedankt für unsere Gesundheit, die doch goldner ist als Gold, und für unsere Aufnahme in sein Gnadenreich durch das Sakrament der Taufe! - Wir hätten Gott gedankt für seine Gaben? Ach, wir denken nicht einmal daran! Keine Tugend ist seltener in der Welt, als die Dankbarkeit, kein Laster ist allgemeiner, als der Undank, so schwarz er auch ist. Und wir wollten noch zürnen, wenn wir die Geschichte von den zehn Aussätzigen lesen, daß aus zehn nur einer wieder gekommen, der Dank gesagt? wollten auf Andere zürnen, wenn sie undankbar gegen uns sind? Nimmermehr! Christlich ist's, der zugefügten Beleidigung bald, der Wohlthaten aber nimmer vergessen. Erlebst du es selbst, daß Undank der Welt Lohn ist, werde nicht müde im Lieben, wie Gott nicht müde wird im Lieben gegen dein undankbares Herz. Wolle kein besseres Loos in der Welt haben, als dein Jesus gehabt.

Wie du um Dankes willen nicht ansängst, so sollst du auch um Undanks willen nicht aufhören Gutes zu thun. Die Liebe wird nicht müde, sie ist wie ein guter Baum, der Frucht über Frucht giebt, auch Dem, der ihn rüttelt und schüttelt. Was die Erde nicht erkennt, das belohnt der Himmel. - Werde du nur selbst recht dankbar gegen deinen Herrn, und vergiß bei keiner Sünde, was es ihm kostet, deine Sündenschuld zu tilgen, vergiß nie, daß Umkehr der beste Dank ist. Preise Gott mit Mund und Herzen, im Leben und im Leiden. Alles, was in dir ist, lobe den Herrn. Und stehe Ihn täglich an: Hilf uns, Gott, daß wir danken deinem heiligen Namen und rühmen dein Lob, damit du mit jenem Frommen sprechen lernst: „Was ich habe, dafür danke ich Gott; und was ich nicht habe, - da danke ich Gott, daß ich es nicht bedarf.“ Amen.

Am 8. Oktober.

Lieber himmlischer Vater, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. So müsse denn auch heute gesegnet sein all mein Thun. In deinem Namen fange ich es an; sei mit mir und laß es wohl gerathen zu deiner Ehre, meines Nächsten Nutzen und meiner Seligkeit. Auf dich, Herr, verlasse ich mich. Laß mich in meinem Amt und Beruf treulich wandeln und über Alles dich suchen.

Mehre in mir deine Erkenntniß und erhalte mein Herz bei dem Einigen, daß ich deinen Namen fürchte. Segne auch, nach deiner Zusage, den irdischen Vorrath, den du mir gegeben hast, auf daß ich für mich und die Meinigen die tägliche Nothdurft haben möge, und laß meinen Samen nicht nach Brot gehen. Willst du, nach deiner Liebe, hellte oder sonst Kreuz, Drangsal, Verfolgung oder eine andere Noth über mich verhängen', so reiche mir nur deine Hand, daß ich nicht erliege, und lehre mich in Geduld auf dich hoffen.

Erbarme dich nach deiner unendlichen Güte aller Menschen, die dich suchen und lieben. Schütze deine bedrängte Kirche und erhalte dir zu dieser letzten bösen Zeit ein Häuflein wahrer Gläubigen, die dich anbeten und ehren. Laß bei dir erhörlich sein das Schreien der Verlassenen und Elenden, und schaffe ihnen Rath und Trost. Gib dem Lande, darinnen ich dein Pilger bin, den Frieden, welchen die Welt nicht geben kann, und laß Alle darin die Gaben deiner Güte mit Danksagung empfangen und mäßig gebrauchen. Insonderheit gib mir, deinem Knecht, ein Herz, das dich ehret und fliehet und dir vertraut. Verlaß mich nicht, mein Gott; denn ich hoffe auf dich. Meinen Leib und Seele, meine Angehörigen, meine äußern Güter, meine Ehre, Stand und Gut, ja alles das Meine befehle ich jetzt und allezeit in deine Hände. Sichre du es vor aller Fährlichlichkeit, und laß mich diesen Tag und immerdar in deiner Gnade bleiben, daß ich mich bis an mein Ende unverruckt deiner Huld und deines göttlichen Beistandes getrösten und zu erfreuen habe. Erhöre mich, mein Vater, um Jesu Christi deines lieben Sohnes willen. Amen.

Am 9. Oktober.

Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen.“ 1. Kor. 13, 13.

Kein Wort so hoch und herrlich klingt,
Keins so durch Herz und Seele dringt,
Als Klang und Wörtlein Liebe;
Es giebt dem Herzen zu versteh'n:
Er, den kein Auge je geseh'n,
Er ist und heißt die Liebe.

Von oben kommt das stille Licht,
Es kommt von seinem Angesicht,
Ein Abglanz seiner Liebe.
Gestirne glänzen, Blumen blüh'n,
Der Morgenröthe Flügel glüh'n
Im Hauche seiner Liebe.

Verhüllet stand ihr ew'ger Thron,
Da kam herab das Wort, der Sohn,
In ihm des Vaters Liebe.
Aus Gott geboren und gesandt,
Erschien im menschlichen Gewand
Auf Erden sie, die Liebe.

Sie trug der Erde Leid und Noth,
Sie brach dem Hungrigen das Brod,
Das Himmelsbrod der Liebe.
Sie gab sich selbst zum Opferlamm,
Sie stiftete am Kreuzesstamm
Den ew'gen Bund der Liebe.

Wen sie vermählet diesem Bund,
Dem thut sie ihr Geheimniß kund,
Das Lebenswort der Liebe.
Und über Erdennoth und Schmerz
Erhebet sie sein freudig Herz,
Sein Herz voll sel'ger Liebe.

Sie segnet, tröstet, heilet, weint
Mit Weinenden, erquickt den Freund
Allüberall die Liebe.
Des Eingebornen Ebenbild,
Gleich ihm, vom Erdenleib umhüllt,
Glaubt, duldet, hofft die Liebe.

Und wenn sie irdisch sich bewährt,
Schwebt sie hinauf mit ihm verklärt,
In's ew'ge Reich der Liebe.
Da preist der Engel Harfenklang
Und aller Himmel Lobgesang
Den Kampf und Sieg der Liebe.
Amen!

Am 10. Oktober.

Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eines aber ist Noth. Maria hat das gute Theil erwählet, das soll nicht von ihr genommen werden.“ Luc. 10, 41 und 42.

Der Glaube und die Liebe sind so wenig zu trennen, wie Maria und Martha. Maria sitzt und ist stille, Martha geht und ist geschäftig. Maria ist ohne Sorgen, Martha voll Sorgen. Maria läßt sich speisen und bedienen, Martha dient und speiset. Maria nimmt, Martha giebt. Maria ist eine Hörerin, Martha ein Thäterin. So sind Glaube und Liebe Schwestern; darum trenne sie nicht. Doch haben sie nicht einerlei Sinn und thun nicht einerlei Werke; darum verwechsele sie nicht. Der Glaube ist die Maria, die Erhöhte in der Betrachtung und im Gebet, die Bittere in Selbst-, Welt- und Sünden-Haß, auch in der Buße; er sitzt in stiller Andacht zu Jesu Füßen, in tiefster Demuth, und höret seiner Rede zu, nimmt das Wort an und betrachtet es in einem seinen guten Herzen. Die Liebe ist die Martha, die Hauswirthin, die Jesum mit seinen Jüngern aufnimmt und beherbergt, diese macht sich viel zu schaffen, Jesu zu dienen, ihm in seinen Dienern mit allerlei Noth- und Ehrendiensten an die Hand zu gehen. Jesus ist der Schiedmann, der Beide auseinander setzt, indem er Beide an ihrer Stelle anerkennt, doch der Maria den Vorzug giebt.

Erst hören, dann thun; erst empfangen, dann geben! Erst der Baum, dann die Früchte! Erst muß das Herz mit der Liebe Jesu im Glauben durchströmt sein, danach giebt es dem Nächsten zu empfinden, was es selber empfunden hat. Jesus hat uns gespeiset, getränkt, gekleidet in unserer Seele; wiederum speisen, tränken.

kleiden wir ihn an seinen Gliedern. Jesus ist der Magnet, der Mariam an sich zieht mit seinen holdseligen Worten; Maria ist der Magnet, der Jesum an sich zieht mit liebreicher Hand und Herzen. Mit einem Worte: Kein wahrer Glaube kommt ohne gute Werke; aber auch keine guten Werke können ohne Glauben sein. Diese drei Dinge hängen zusammen, wie Glieder einer Kette: Wort, Glaube, Werke. Das Wort ist ein Same des Glaubens, der Glaube ist ein Same der Werke. Aber Glaube und Werke sind und thun nicht einerlei; jener giebt das Leben, diese offenbaren es; jener handelt mit Gott, diese mit dem Nächsten. Um beide bemühe dich, um den Glauben, daß du selig werdest, um die Werke, daß du dich selbst und Andere deiner Seligkeit versicherst. Amen.

Am 11. Oktober.

So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die Krone der Ehren empfangen.“ 2 Petr. 5, 4.

Wie sauer lassen es sich die Kinder dieser Welt doch werden, eine Lust zu stillen, die mit Ueberdruß endet, eine Ehre zu gewinnen, die wie ein Dampf dahinfähret, einen Schatz sich zu sammeln, welchen die Motten und der Rost fressen, und nach welchem die Diebe graben und ihn stehlen! Wie ist ihr Dichten und Trachten auf das Sammeln und Genießen, auf das Steigen und Glänzen gerichtet! Sie sorgen nur um das, was man von den Feldern erntet und auf dem Markte erwirbt, oder was die Welt von Ehre und Genuß verheißt, von Schönheit und Macht vorspiegelt. Der Eine fährt über das stürmische Meer, wandert vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, scheidet von dem Vaterland und verläßt die Seinen, um Schätze zu sammeln, die er bald verliert und beklagt. Der Andere erduldet alle Mühen und Gefahren des Krieges, um einen dürftigen Sold zu verdienen, und stürzt sich selbst in des Todes offnen Rachen, um ein armseliges Ehrenzeichen zu erbeuten. Der Eine arbeitet Tag und Nacht, Sonntag und Werktag und vergißt über seiner Arbeitslast auch die allernöthigste Sorge für seine Seele, um dem Leibe überflüssige Speise und die Kleidung zu erlangen, die doch bald mottenfräßig geworden ist, und wie setzt der Andere Ehre und Gewissen und Alles, was heilig ist, auf's Spiel, um in schändlichem Handwerk noch schändlicheren Gewinn zu erjagen, der doch auch so schnell zerronnen, wie gewonnen ist. Was macht nicht jeder Mensch, der Eine auf diese, der Andere auf jene Weise für Anstrengungen, seine irdischen Begierden zu füllen, die immer unersättlicher werden, je mehr man ihnen vorwirft; und endlich kommt der Tod und verschlingt alle Herrlichkeit, um die man sich während des ganzen Erdenlebens gesorgt und gemühet hat.

Sieh, die Welt kann dir nicht bieten
Das, wonach du heiß verlangst,
Denn die Welt hat keinen Frieden,
Hat nur Streit Und Noth und Angst.

Ewig wechselnd ist ihr Streben,
Ewig wechselnd ist ihr Ziel:
Was ihr heute Rast gegeben,
Morgen ist's der Winde Spiel.

Und der Preis, der einem Christen vorgehalten wird? Es ist eine unvergängliche Krone, die uns der Erzhirte geben wird, wenn er erscheinen und uns treu wird erfunden haben bis in den Tod. O mein Gott, laß mich täglich wachen und beten, kämpfen und dulden, daß ich den Ehrenpreis, das ewige Leben, erlange. Amen.

Am 12. Oktober.

Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“ 1. Joh. 5, 12.

O Jesu, meine Sonne,
Vor der die Nacht entfleucht, -
O Jesu, meine Wonne,
Die alle Noth verscheucht!
Im Herzen klingt mir täglich
Der eine helle Ton:
Wie hast du so unsäglich
Geliebt, o Gottes Sohn!

Es faßt mich so ein tiefes,
Ein himmlisches Gefühl;
Es ist mir stets, als rief' es:
Hier ist dein einzig Ziel! -
Ja, wenn mir gar nichts bliebe,
Ich gäb' mit frohem Sinn
Um Jesu Christi Liebe
Auch noch das Letzte hin!

Um diese Perle wäre
Mir alles Andre feil.
Selbst Hab' und Gut und Ehre,
Mein ganzes Erdentheil.
Wie gerne will ich meiden
Das Alles froh und still,
Wenn's von dem Herrn mich scheiden
Und ihn mir rauben will!

Ich kenn' auch gar kein Leben,
Von dir, mein Herr, getrennt;
Du bist mein einzig Leben
Und Lebenselement;
Ich kenne gar kein Sterben,
Seitdem ich leb' in dir;
Denn was mich konnt' verderben,
Die Sünde, nahmst du mir.

Ich weiß nichts mehr von Leiden,
Denn alles Kreuz und Leid
Kann mich von dir nicht scheiden,
Du Born der Seligkeit!
Ja, wenn ich dich nur habe,
Dann gilt mir Alles gleich;
Ich bin am Bettelstabe
Noch wie ein König reich.

Ich bin schon hier auf Erden
So selig und so leicht;
Und was wird dort erst werden,
Wo alle Schwachheit weicht!
Das macht ein selig Sterben,
Daß ich als Gnadenlohn
Ein Königreich soll erben
Und eine ew'ge Kron'!

O lieber Herr, so präg' es
Recht meinen Sinnen ein!
O lieber Herr, so leg' es
Mir tief in's Herz hinein:
Daß ohne deine Liebe
Ich ganz verloren wär',
Und ohne Hoffnung triebe
Auf wüstem Meer umher; -

Doch daß du mich allmählig
Zum Hafen hast gebracht,
Und mich so überselig
Aus Gnaden hast gemacht,
Daß ich vor Nichts erschrecke.
Was Andern schrecklich ist,
Weil ich es seh' und schmecke.
Wie dir mein Heiland bist!

Amen!

Am 13. Oktober

Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ 2. Cor. 3,17.

Die Liebe zur Freiheit ist eine der gefährlichsten Neigungen des menschlichen Herzens, und es geht bei ihr, wie bei den übrigen allen, sie täuscht Diejenigen, welche sich ihr ergeben, und macht, daß sie, statt einer wahrhaften Freiheit, die härteste und schimpflichste Knechtschaft finden. Was muss der Weltmensch nicht erdulden, um sich die Achtung von Leuten zu erhalten, die er eigentlich verachtet? Was kostet ihn die Zügelung jener Leidenschaften, welche zu weit geben, die Befriedigung jener andern, denen er nachgeben will? O da herrscht überall nichts als Zwang, unwürdige und niedrige Dienstbarkeit, und eine bejammernswerthe Nothwendigkeit, sich zu verstellen. Wir weigern, uns, uns Gott zu ergeben, der unser nur begehrt, um uns zu retten, und wir ergeben uns der Welt, die uns nur haben will, um uns zu beherrschen und zu verderben! - Man glaubt frei zu sein, wenn man nur von sich selbst abhängt. Thörichter Wahn! Giebt es einen Stand, wo man nicht von eben so vielen Herren abhängt, als es Personen giebt, mit denen man in Beziehung steht? Giebt es eine Lage, wo man nicht noch mehr von fremden Launen, als von den eignen leiden muß? Der ganze Weltverkehr ist nichts als Zwang durch die Fesseln des Wohlstand des, und die Nothwendigkeit, Andern zu Gefallen zu leben. Ueberdies sind unsere Neigungen und Leidenschaften noch ärger als die ärgsten Tyrannen. Folgt man ihnen zum Theil, so hat man beständig mit ihnen zu kämpfen, und keinen Augenblick Ruhe; sie verrathen sich, sie zerreißen das Herz, sie treten die Gesetze der Ehre und der Vernunft mit Füßen, und haben nie ein Genüge. Ueberläßt man sich ihnen ohne Rückhalt, wohin kann dieser Strom führen? Mich schaudert es, daran zu denken. O mein Gott, bewahre mich vor dieser traurigen Sclaverei, welche die Thorheit der Menschen sich nicht schämt. Freiheit zu nennen! Nur in dir kann man frei sein. Deine Wahrheit allein kann mich frei machen, und der Welt beweisen, daß dir dienen, herrschen sei, daß dir in Liebe dienen, die wahre Freiheit sei. Der Mensch, wie er jetzt ist, wird nicht mit freiem Willen, sondern zu freiem Willen geboren; er tritt in's Leben nicht unabhängig von seiner Sinnlichkeit und von der äußern Nothwendigkeit, allein er soll frei werden davon, sowohl in seinen Entschließungen, als auch, wo möglich, in seinen Empfindungen und Stimmungen.

Frei sind wir von Natur! So riefen viele Thoren.
Zur Freiheit sind wir wohl, doch nicht mit ihr geboren.

Frei ist allein Derjenige, der nicht nur von der Abhängigkeit der Welt und der Sinnlichkeit, sondern auch von seinem eigenen Selbst frei geworden ist in Gott, der sich vom Geiste des Herrn allein bestimmen und leiten läßt in allen seinen Handlungen. Solche Freiheit und solche über alles Irdische und Sündhafte erhabene Kraft giebt aber allein der Geist des Herrn. Herr, gieb mir denn deinen Geist, daß er in mir des Fleisches Geschäfte tödte und Christum verkläre in meinem Herzen; geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Amen.

Am 14. Oktober.

Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.“ Gal. 2, 20.

In diesem einfachen, aber tiefen Worte liegt das ganze Christenthum. Nach vier Seiten muß es sich offen baren: im Glauben, Leben, Leiden und Sterben. Der Glaube macht, das Leben beweiset, das Leiden bewährt, das Sterben krönt den Christen. Der Glaube legt den Grund, das Leben baut auf den Grund, das Leiden befestigt, das Sterben vollendet das Gebäude. Der Glaube umfaßt Jesum und spricht: „Du bist mein; was du bist, das bist du mir, was du hast, ist Alles mein. Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch alle zeit, Gott, meines Herzens Trost und mein Theil.“

Im Leben thut sich sonderlich hervor die Liebe, wie Paulus ermahnt: „Wandelt in der Liebe.“ Diese wirft sich in die Arme Jesu und spricht: „Ich bin dein; was ich bin, das bin ich dir, und was ich habe, ist Alles dein; dir lebe ich, dir sterbe ich, dein bin ich todt und lebendig.“

Im Leiden verherrlicht sich die Geduld, nach Pauli Erinnerung: „Seid geduldig in Trübsal!“ Diese legt sich zu Jesu Füßen nieder, und spricht: „Ich will d/s Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt. Lege mir auf, mein Jesu, was du willst, wenn du willst, wie viel du willst: ich will es gern tragen. Legest du Kreuz auf, so legest du auch Kraft auf, Kraft zu tragen, Kraft zu überwinden. Du bist getreu, und lässest Niemanden versuchen über sein Vermögen; wirst auch schaffen, daß meine Versuchung solch ein Ende gewinne, daß ich es könne ertragen.“

Im Sterben behält die Freudigkeit den Ruhm, die hängt sich an Christum und spricht: „Wo du bleibest, mein Jesu, da bleibe ich auch, und bin gewiß, daß weder Tod noch Leben mich scheiden soll von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu, meinem Herrn.“

Ich bin ein Glied an deinem Leib',
Deß tröst' ich mich von Herzen;
Von dir ich ungeschieden bleib'
In Todesnoth und Schmerzen.
Wenn ich gleich sterb', so sterb' ich dir,
Ein ew'ges Leben hast du mir
Mit deinem Tod erworben.
Amen!

Am 15. Oktober.

Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ Ps. 104, 24.

Lobet den Herrn in seiner großen Herrlichkeit.“ Ps. 150, 2.

Welcher Verstand begreift die Macht, die dazu gehört, auch nur Eins, und wäre es auch das Kleinste, aus Nichts zu schaffen! Wie unendlich groß muß also die Macht sein, die so unendlich Vieles schuf! Zähle die Sterne des Himmels, den Sand am Meere, den Staub der Erde, die Tropfen des Regens, das Gras des Feldes, die Blätter und Früchte der Bäume!

Wie unendlich groß muß aber auch die Macht sein, die so unendlich Großes schuf! Messe Einer die Masse der Berge, den Lauf der Ströme, die Weite der Ebenen, die Höhe des Himmels, die Tiefe der Meeresgründe!

Und welche Weisheit zeigt sich in der Zusammenstellung und Anordnung der einzelnen Dinge! Nicht nur das Aehnliche steht in Eintracht bei einander, sondern auch das Verschiedene und Widersprechende trifft gleichsam in einem Freundschaftsbunde zusammen. Was ist sich mehr entgegengesetzt, als Feuer und Wasser? Und doch hat die Vorsehung beide im Naturganzen so gestellt, daß sie nicht nur das gemeinsame Band desselben nicht zerreißen, sondern selbst Allem, was entsteht und wächst, Lebenskraft und Nahrung geben.

Siehe ferner, wie die sämmtlichen Glieder des menschlichen Leibes so miteinander verbunden sind, daß keines gefunden wird, das nicht dem andern zu helfen schiene. Ja, Alles greift in der ganzen Welt zweckmäßig und ohne Verwirrung in einander. Blicke hinauf gen Himmel, herab auf die Erde. Dort oben hat Gott das Licht geschaffen, das herunterleuchtet. In der Luft hat er Winden und Wolken den Weg bereitet, damit sie in ihrer Unruhe den Regen über die Länder ausschütten. In die Tiefe der Erde barg er Wassermassen, die sich auf seinen Wink durch die Abgründe hin und her wälzen sollten, wie es das Gleichgewicht des Ganzen forderte. Von der Luft läßt er die Vögel getragen werden, die Fische taucht er in's Meer, das Land erfüllt er mit allerlei Thieren und Gewürmen. Einigen Gegenden gab er reiche Baumfrüchte, andern viele Weinberge, noch andern heilsame und nahrhafte Kräuter, Künste und Gewerbe, also daß es keine Gegend giebt, die nicht vor andern Besonderes und Eigenthümliches besäße, aber auch keine, die nicht etwas Neues von der andern erhalten könnte. Dazu hat die weise Vorsehung das, was der Mensch nothwendig bedarf, offen und allgemein zugänglich gemacht, was hingegen nur dem Glanze dient, tief in den Schooß der Erde verborgen.

Siehe, o Seele, in allen diesen Dingen kannst du deines Gottes Macht, Weisheit, Güte und Vollkommenheit erkennen. Und er, dein Freund, hat dich über alle Dinge gesetzt und das ganze Weltgebäude dir zum Dienst geordnet. So bezahle ihm nun den gebührenden Dank und schaue über die Gaben hinweg auf den gnadenreichen Geber, daß alle Dinge sind, der sie und dich gemacht hat. Amen.

Am 16. Oktober.

In deiner Hand ist Kraft und Macht, und ist Niemand, der wider dich stehen möge.“ 2. Chr. 20, 6.

Ich steh' in meines Herren Hand,
Und will drin stehen bleiben;
Nicht Erdennoth, nicht Erdentand
Soll mich daraus vertreiben;
Und wenn zerfällt
Die ganze Welt:
Wer sich an ihm, und wen er hält,
Wird wohlbehalten bleiben.

Er ist ein Fels, ein sich‘rer Hort,
Und Wunder sollen schauen,
Die sich auf sein wahrhaftig Wort
Verlassen und ihm trauen.
Er hat's gesagt,
Und darauf wagt
Mein Herz es froh und unverzagt,
Und läßt sich gar nicht grauen.

Und was er mit mir machen will,
Ist Alles mir gelegen;
Ich halte ihm im Glauben still,
Und hoff auf seinen Segen;
Denn was er thut,
Ist immer gut,
Und wer von ihm behütet ruht,
Ist sicher allerwegen.

Ja, wenn's am schlimmsten mit mir steht,
Freu' ich mich seiner Pflege;
Ich weiß, die Wege, die er geht,
Sind lauter Wunderwege.
Was böse scheint,
Ist gut gemeint,
Er ist doch nimmermehr mein Feind,
Und giebt nur Liebesschläge.

Und meines Glaubens Unterpfand
Ist, was er selbst verheißen:
Daß nichts mich seiner starken Hand
Soll je und je entreißen.
Was er verspricht,
Das bricht er nicht.
Er bleibet meine Zuversicht,
Ich will ihn ewig preisen.
Amen!

Am 17. Oktober.

Wir sollen nicht verloren werden;
Gott, will, uns soll geholfen sein:
Deßwegen kam der Sohn auf Erden
Und nahm hernach den Himmel ein:
Deßwegen klopft er für und für
So stark an unsers Herzens Thür.

Nöthige sie, herein zu kommen, auf daß mein Haus voll werde.“ Luc. 14, 23.

So befiehlt der Mensch im Evangelio seinem Knechte, der manchen vergeblichen Versuch gemacht hatte, die Tische, auf denen das Abendmahl bereit war, mit Gästen zu füllen. Die herablassende, herzliche Liebe des Herrn ist so beflissen, zu vergeben und zu geben, zu trösten und selig zu machen, daß er die Sünder nicht nur einladen läßt, sondern auch mit Bitten und Vorstellungen in sie dringet, daß sie doch kommen, das Haus zu füllen, die Speisen zu verzehren und die Freude zu vermehren. Für ihr irriges, wüstes Leben wird den Elenden, die hinter den Zäunen und auf den Landstraßen liegen, volle Verzeihung zugesagt, wenn sie sich nur ganz auf das Wort verlassen, welches ihnen die Knechte in des Herrn Namen überbringen.

Und dieser Gnadenruf Gottes wird so lange noch in die Welt ausgeben, bis Gottes Haus, in welchem viele Wohnungen sind, ganz voll ist. O mein Gott! wie eiferst du um meine und meiner Brüder Seligkeit! Wenn der Tag unseres Lebens und die Tage der Welt abgelaufen sind, und der Abend hereinbricht, so wird in dem Reiche deiner Herrlichkeit ein Mahl aufgetragen werden in goldenen Schüsseln, und das Beste, das du reichen kannst, den Gästen vorgesetzt, und allen Herzen in Freude und Jubel ohne Ende zu Theil werden. Dich sollten wohl Alle bitten, ob sie kommen dürften zu solchem Mahle; aber du hast deine Knechte von Anbeginn ausgesandt, zu rufen und zu bitten, Einen nach dem Andern, und haben doch nicht kommen wollen, und sich entschuldigt! Was bin ich, Herr, vor dir, daß du dich nun zu mir wendest! Ich armer, sündiger Mensch, bin ich Mehr vor dir, als Jene, die an den Zäunen lagen! Und da ich doch auch nicht so kommen wollte, hast du mich genöthiget und nöthigst mich immerfort! Herr, hilf, daß ich nicht wider strebe, hilf, daß dein Haus voll werde, daß Viele flüchten unter deine Flügel und geborgen seien. Es ist noch Raum da für mich und für Viele.

Es ist noch Raum bei deinen Kindern,
Der Tisch ist auch für mich gedeckt; .
Es fehlt dir, nicht an armen Sündern,
Doch noch an mir, der ich befleckt.
Du rufst auch mich, du nimmst mich an,
Ich komme, wie ich kommen kann. Amen!

Am 18. Oktober.

Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Todten, so wird dich Christus erleuchten! - O du barmherziger Gott, dessen Güte und Treue alle Morgen neu ist: ich sage dir mit Herz und Mund Lob und Dank, daß du mich diesen Morgen wiederum gesund hast lassen von meinem Lager aufstehen und meinen Leib vor Schaden und meine Seele vor Sünden bewahret hast. Wie groß ist deine Güte, Herr, daß Menschen unter den Schatten deiner Güte trauen, und unter demselben so mächtig bewahret werden. Ich schaue nach der Finsterniß wiederum das Sonnenlicht.

Gieb mir Gnade, daß ich diesen ganzen Tag in deinem Lichte wandle und alle Werke der Finsterniß fliehe. Ich achte den Tag für verloren, an welchem ich der Welt gedient und mich nach der Welt Gewohnheiten und Thorheiten gerichtet habe, wofür ich einst vor deinem Gericht eine schwere Rechenschaft geben muß. Ich opfere mich hingegen dir ganz zu deinem Dienst mit Leib und Seele. Laß mich nichts wollen, nichts vornehmen und gedenken, als was dir gefällt, auf daß der ganze Tag dir möge geheiligt sein.

Ja, laß mich allezeit so leben, reden und thun, als ob ich heute noch sterben müßte. Und da ich nach der finstern Nacht, darin ich als dein Kind in deinen Armen gelegen, nun wiederum von neuem lebe, so weiß ich nirgends hin, als zu dir. Ich klopfe an deine Gnadenthür, ich wende mich wieder zu der Segensquelle, aus welcher ich nehme einen Segen nach dem andern, eine Hülfe nach der andern; denn was du, Herr, segnest, daß ist gesegnet ewiglich; wenn du deine Hand aufthust, so wird Alles gesättigt mit Wohlgefallen.

Gieb mir guten Rath, wenn ich Raths bedarf; richte meine Anschläge und Vornehmen nach deinem Willen. Entzünde in mir die Flamme deiner göttlichen Liebe, daß ich diesen Tag meinen Glauben in Werken zeige und in wahrer Liebe gegen dich und den Nächsten verharre, auf daß ich ohne Gewissenswunden den Abend erreiche. Wenn ich zu dir rufe, Herr mein Gott, so schweige mir nicht, höre die Stimme meines Flehens, wenn ich die Hände aufhebe zu deinem heiligen Chor. Laß das Gebet der Elenden, Traurigen, Kranken und auch das Gebet der Meinigen und aller Frommen vor deinem Stuhl Erhörung finden. Amen.

Am 19. Oktober.

Das Loos ist mir gefallen auf das Liebliche, mir ist ein schönes Erbtheil geworden.“ Ps. 16, 6.

Ein lieblich Loos ist uns gefallen,
Ein schönes Erbtheil uns bescheert;
Laßt Lob und Preis dem Herrn erschallen,
Er ist es werth, daß man ihn ehrt!
Aus Gnaden hat er uns erwählt,
Und uns zu seinem Volk gezählt.

Er hat sich unser angenommen,
Ihn jammert' unser gar zu sehr;
Weil wir zu ihm nicht konnten kommen,
Kam er zu uns von oben her;
Es war die wundervollste Lieb',
Die ihn zu uns in's Elend trieb.

Er sah an uns nichts Ehrenwerthes,
Nicht Tugend und nicht Würdigkeit,
Nein, nur Entstelltes und Verkehrtes,
Nur Sünde, Krankheit, Schmach und Leid,
Und Keinen, der in solcher Noth
Uns Hülfe und Erlösung bot.

Da nahm der beiden unsers Falles
Er selbst, der Herr, sich hülfreich an,
Gab selbst sich uns, und damit Alles,
Was sich sein Herz nur wünschen kann:
Die Kindschaft und das Kindestheil,
Im ew'gen Leben ew'ges Heil.

O Herr, wir sind viel zu geringe
Der Güte, die du uns gethan!
Wir steh'n und schauen solche Dinge
Beschämt und mit Erstaunen an;
Die Liebe, die mit Gnade krönt,
Hat ewig uns mit Gott versöhnt.

Wir hoffen nichts, als lauter Gutes
Aus deiner reichen Liebeshand,
Und gehen nun getrosten Muthes
Durch dieses trübe Nebelland,
Als Kinder hier, als Erben einst
Dort, wo du uns mit dir vereinst.

Solch lieblich Loos ist uns gefallen,
Solch schönes Erbtheil uns bescheert!
Gern theilten mit den Menschen allen
Wir, was uns deine Huld gewährt.
Wir preisen's Allen herzlich an,
Weil Jedermann es haben kann.

Es thut uns weh, wenn sie's nicht haben,
Viel weher noch, wenn sie's verschmäh'n,
Und ohne solche reiche Gaben
Durch dieses arme Leben geh'n.
O komme doch, wer Mangel hat,
Und werd' aus Christi Fülle satt!
Amen!

Am 20. Oktober.

Es hatte Einer einen Feigenbaum, der war gepflanzet in seinem Weinberge; und kam und suchte Frucht darauf und fand sie nicht. Da sprach er zu dem Weingärtner: siehe, ich bin nun drei Jahre lang alle Jahre kommen und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum und finde sie nicht; haue ihn ab! was hindert er das Land! Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis daß ich um ihn grabe und bedünge ihn, ob er wollte Frucht bringen; wo nicht, so haue ihn darnach ab.“ Luc. 13, 6-9.

Welche Langmuth und Geduld hat der Ewige mit uns! Er rufet uns durch sein Wort zur Wahrheit, zur Liebesthat und zur Gerechtigkeit; er zeigt uns in seinem Sohne den Weg zum Heil und das Leben im Lichte; er bittet, warnet, ermahnet und drohet durch Wort und Lehre, durch Heimsuchung und Lebenserfahrung; er kommt zu uns in guten und bösen Tagen, in Freud' und Leid, in Glück und Mißgeschick; und wir schlagen die Einladung aus, überhören den Ruf des Herrn, verachten seine Bitte und Drohung, ja greisen seine Diener an und verhöhnen sie. Christus, aus inniger Liebe für das arme Menschengeschlecht, dessen Pilgerkleid er getragen und zu dessen Erlösung er Alles gethan und geduldet hat, Christus hört nicht auf, den Sünder vom Bösen abzumahnen und zu Gott zu rufen. Wie während seines Wandels auf Erden, kommt er zu den Verirrten, Erkrankten und Verlorenen, sucht sie zur Einsicht ihrer Sündhaftigkeit, zum Gefühl der Reue, zur Buße und Bekehrung zu bringen. Er will sie heilen, stärken, trösten und erquicken; er will sie führen auf grüne Auen und ihnen Nahrung die Fülle geben. Aber immer noch ist sein Evangelium' dem Einen eine Thorheit, dem Andern ein Aergerniß; immer noch wird ihm die Thür ins Haus und der Eingang in das Herz verschlossen; immer noch hören wir die spöttische Frage: „was will aus Nazareth Gutes kommen?“ Ach daß sie hörten auf die Stimme des treuen Hirten! Sie würden Gnade finden und zum ewigen Leben kommen. Denn Gott will lieber schonen, als strafen, weil er ein Gott der Liebe ist. „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte und Langmuth zur Buße leiten soll? Wir ermahnen dich als Mithelfer, daß du die Gnade Gottes nicht vergebens empfangest. Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils!“ 2 Cor. 6, 2. Zuletzt wird der Baum doch abgehauen. Der beharrliche Sünder, der gegen Gottes Gebot und seine heilige Ordnung frevelt, entgehet dem Verderben nicht. „Irret euch nicht; Gott läßt sich nicht verspotten, und was der Mensch säet, das wird er ernten. Wer auf das Fleisch säet, der wird vom Fleisch das Verderben ernten.“ Gal. 6, 7. Ach, Herr, das lehre mich doch recht erkennen, damit ich allezeit wache und bete und das Heil meiner Seele wohl bedenke.. Du bist der allwissende Zeuge meiner Gedanken, der gerechte Richter meiner Handlungen, der Helfer und Erretter aller Bekümmerten. Gieb, daß ich täglich erfüllet werde mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesum Christum kommen, zu deinem Lobe und zu meiner Seligkeit. Amen.

Am 21. Oktober.

Wenn ich erwache, bin ich bei dir, mein Gott! Du lässest einen Tag meines Lebens nach dem andern erscheinen, daß ich mich zur Ewigkeit bereiten und meine Seele dir zum Eigenthum und zur Wohnung ergeben soll! O laß mich diesen Tag dazu anwenden, daß ich schaffe selig zu werden mit Furcht und Zittern. Negiere mir Herz, Sinn und Gedanken, Worte und Werke durch deinen werthen heiligen Geist, daß ich nichts Böses denke, rede oder thue. Leite mich auf rechter Bahn, gieb mir die Erkenntniß deiner Liebe je mehr und mehr zu genießen und laß mein Herz deinen Tempel sein.

Soll ich nach deinem Willen Glück haben, so verleihe mir deinen Beistand, daß ich dasselbe wohl gebrauche. Soll aber auch ein Unglück heute über mich kommen, so gieb mir Gnade, es zu ertragen. Leite mich auf dem Wege meines Berufes. Denn ich spreche mit völligem Glauben: Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Behüte mich vor allen Feinden und Anfechtungen von außen oder innen. Nimm von mir, was dir mißfällt und mir schädlich ist, gieb, daß ich dir in wahrem Glauben diene.

Stehe mir bei, wenn ich unter den Menschen wandle und weile, daß ich nur deinen heiligen Willen erfülle, und so ich aus Schwachheit fehle, so bitte ich dich, du wollest deine Barmherzigkeit nicht von mir nehmen, deine Gnade nicht von mir wenden und deine Hülfe mir nicht entziehen. Nun, ich befehle mich dir mit Leib und Seele und Allem, was ich habe, in deinen gnädigen Vaterschutz, wie auch alle frommen Christen. Wende auf uns alle die Augen deiner Barmherzigkeit und bringe uns an das Licht der ewigen Seligkeit um des theuren Verdienstes Jesu Christi, unsers Heilandes, willen. Amen.

Am 22. Oktober.

Nicht, daß ich's schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei: ich jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin.“ Philipper 3, 12.

Immer vorwärts, immer höher hinauf drängt und treibt die christliche Thätigkeit. Sie ruhet und rastet nicht; denn die Zeit ist kurz, die Aufgabe ist groß, das Vorbild erhaben und göttlich. Ich kann meinen Beruf mit Eifer verwalten, mein Feld mit Sorgfalt bauen, meinen Hausstand mit Luft und Liebe führen und im Dienste des Tages ohne leichtsinnige Versäumniß arbeiten, und gleichwohl in christlicher Thätigkeit fahrlässig und träge sein. Diese Thätigkeit ist ein planmäßiges, von Christi Geist eingegebenes und geleitetes Wirken für die höchsten Zwecke des Menschenlebens. Wir sollen nicht blos arbeiten, um zu leben, des Brodes oder der vergänglichen Ehre halber; unsere Bestrebungen müssen ein höheres Ziel haben. Nicht irdische Rücksichten und Triebfedern, sondern heilige und himmlische sollen uns bewegen und regieren; Alles, was wir thun, es sei mit Worten oder mit Werken, das sollen wir thun im Namen des Herrn Jesu. Von ihm ergriffen, durchdrungen und geheiligt sollen wir leben und wirken für das Reich Gottes, auf daß es zu uns komme und sich ausbreite auf Erden. Voll dieses Geistes sollen wir unsere Zeit eintheilen und unsere Geschäfte ordnen. Mit den Augen des Herrn sollen wir am Morgen den uns neugeschenkten Tag und seine Pflichten überblicken. Jeder Tag soll ein Wachsen sein an Gnade und Weisheit bei Gott und den Menschen; kein Abend soll hereinbrechen, an dem wir uns nicht das Zeugniß geben können, unsere Fehler bekämpft, unsere Einsichten vermehrt, unsere Denkungsart veredelt und uns in der Gemeinschaft mit Dem, der das Haupt ist, gestärkt und befestigt zu haben. O mehre du den Reichthum deiner Güte in mir, du gnadenreicher Gott; lehre mich wachen und beten; beschütze mich in der Anfechtung; stärke mich in der Versuchung; rette mich aus Gefahren und begleite mich den. ganzen Tag hindurch mit deinem Segen. Amen.

Am 23. Oktober.

Ich sage Euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und der Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Matth. 5, 20.

„Unser lieber Herr Christus will,“ wie Luther sagt, „seine Christen also lehren, wenn sie glauben und getauft sind, und haben nun den Namen und die Herrlichkeit, daß sie Christen heißen, und allerlei geistliche Güter und Gaben empfangen haben, daß sie denken auch ein rechtschaffen Leben unter einander zu führen, das nicht falsch noch heuchlerisch sei. Das war unrecht an den Pharisäern, daß sie sich um ihrer äußerlichen Werken Zucht und Ehrbarkeit willen brüsteten, fromm und gerecht vor Gott sein wollten, gingen sein sicher dahin, als hätte das Gesetz keine Anklage weiter wider sie, hätten es nun vollkömmlich erfüllet; so doch Gott nicht allein die Werke, sondern ein neu, rein Herz haben will.

Vor solcher Sicherheit will der Herr uns warnen. So ist nun die pharisäische Gerechtigkeit äußerlich fromm sein, obgleich das Herz inwendig voll Sünde und böser Lüste ist. Die bessere Gerechtigkeit ist diese, da Werk und Herz zugleich fromm und nach Gottes Wort gerichtet ist.

Weil aber die böse Lust im Herzen, auch der Heiligen, nah ist und sich sehr bald erreget, so sollen wir vor Gott uns demüthigen und sprechen: Lieber Herr, ich bin ein armer Sünder, sei du mir gnädig, und richte mich nicht nach meinen Werken, sondern nach deiner Gnade und Barmherzigkeit, die du in Christo uns verheißen und geleistet hast.

Also geht diese Lehre dahin, daß der Herr vor der geistlichen Hoffahrt uns warnen, zur Erkenntniß unsers unreinen, bösen Herzens und sündlicher Natur uns bringen, und also zur Hoffnung seiner Gnade uns leiten will, das ist alsdann die rechte Gerechtigkeit, die in den Himmel gehört, die stehet nicht in guten Werken, sondern in Vergebung der Sünden und auf Gottes Gnade.“

Liebster Vater, gieb den Segen,
Daß wir die Gerechtigkeit
Deines Sohn's im Herzen hegen
Und ihr'r ja zu keiner Zeit
Wiederum verlustig gehn.
Laß uns fest im Glauben stehn,
Und auf deinen Wegen allen
Wie rechtschaffne Christen wallen.
Amen!

Am 24. Oktober.

Unser Herr ist groß, und ist unbegreiflich, wie er regieret.“ Ps. 147, 5.

Wenn die ganze Welt mit Büchern erfüllt wäre, so wäre damit noch nicht dein unaussprechliches Wissen ausgesprochen, Herr unser Gott! Denn weil du unaussprechlich bist, so kannst du auf keine Weise beschrieben oder umfaßt werden. Du bist die Quelle des göttlichen Lichts und das Licht der eiligen Klarheit. Du bist groß ohne Maß und deßhalb unermeßlich; du bist gut ohne Vergleichung und deßhalb wahrhaftig und' im höchsten Maße gut, und Niemand ist gut, denn du allein. Dein Wille ist Werk, dein Wollen Vermögen; denn du hast Alles, was du aus Nichts geschaffen, allein durch deinen Willen gemacht. Du besitzest alle deine Geschöpfe ohne irgend welche Ungenügsamkeit, und regierst sie ohne Mühe und leitest sie ohne Ueberdruß, und nichts kann dir die Ordnung deines Reiches verwirren, es sei im Himmel oder auf Erden.

Wir haben dich aller Orten ohne Ort, und du umfassest Alles ohne sonderliches Mühen; du bist allenthalben gegenwärtig ohne Ruhe und Bewegung. Du bist weder der Urheber der Sünde, weil du nichts Böses thun kannst, noch hat dich, der du sonst Alles zu thun vermagst, je etwas gereut, was du gethan hast. Durch deine Güte sind wir geschaffen; durch deine Güte leiden wir; durch deine Gnade werden wir erlöset. Deine Allmacht regiert, leitet und erfüllt Alles, was sie geschaffen hat. Wir behaupten aber nicht, daß du deßhalb alle Dinge erfüllest, als ob sie dich umfassen oder zusammenhalten könnten, sondern sie werden vielmehr von dir zusammengehalten; auch erfüllest du nicht Alles etwa nur stückweise. Keineswegs dürfen wir dafür halten, als ob dich irgend ein Ding nach seiner ihm zugetheilten Größe fassen könnte; das hieße: es gäbe neben dem Größten noch ein Größeres, außer dem Kleinsten noch ein Kleineres. Vielmehr bist du selbst Alles in Allem und Alles ist in dir; deine Allmacht beschließt Alles, und Niemand kann keinen Ausweg finden, um deiner Gewalt zu entrinnen. Denn wer dich nicht zum Freunde hat, der wird dir als einem Schrecklichen nicht entrinnen. Amen.

Am 25. Oktober.

Singet dem Herrn ein neues Lied, singet dem Herrn, alle Welt!“ Ps. 96, 1.

Ein neues Lied singt Gott dem Herrn
Und rühret Zions Saiten!
Wohlauf, begrüßt den Morgenstern,
Da Tag und Nacht sich scheiden.
Er geht den frommen Herzen auf,
Er wandelt leuchtend seinen Lauf:
Begrüßet ihn mit Freuden.

Er ist das rechte Gotteswort,
Vom Himmel uns gegeben;
Ein Quell, der quillet fort und fort
Und fließt in's ew'ge Leben,
Und immer dürstet wer ihn trinkt,
Und wer ihn trank, viel Früchte bringt,
Gleich edlen Weinstocksreben.

Das Wort von Gott ist wahr und rein;
Kein Mensch hat es erfunden.
Frei zieht es in die Seelen ein;
Kein Mensch hat es gebunden.
Und. ob der Feind viel Unkraut sä't:
Der Wächter wachet früh und spät
Bis zu der Ernte Stunden.

Was wagst du, Welt der Finsterniß,
Dich wider Gott zu sträuben?
Die Männer Gottes stehn gewiß:
Das Reich muß uns doch bleiben.
Es bleibt und steht, wenn Alles wankt:
Dir, Herr der Herren, sei's gedankt
Von Allen, die da gläuben.

Führ' deine Heerd' auf rechter Bahn
Daß nimmer sie verderbe.
Zünd' Glauben, Lieb' und Hoffnung an,
Daß Christi Sinn nicht sterbe.
Wir folgen dir, wir trau'n auf dich;
Hilf deinem Volke väterlich
Und segne, Herr, dein Erbe!
Amen!

Am 26. Oktober.

So sehet nun zu, wie ihr vorsichtiglich wandelt, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen.“ Eph. 5, 15.

Damit will uns der Apostel nicht die gewöhnliche Klugheit des Lebens empfehlen, welche Gewinn und Verlust, Vortheil und Schaden bedächtig abwägt und berechnet, welche die Gesinnung und Gemüthsart der Menschen sorgsam erforscht, um daraus für sich selbst Nutzen zu ziehen, und die in der Wahl der Mittel zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke eben nicht sehr gewissenhaft ist. Wie könnte auch die Christuslehre aus der reinen, heiteren Himmelsluft hinabsteigen in den trüben Nebelkreis selbstsüchtiger Klugheit! Paulus lehrte im Vorhergehenden: „wandelt wie die Kinder des Lichts!“ wie es verständigen; von Gott erleuchteten Christen geziemt; habt nicht Gemeinschaft mit den verderblichen Werken der Finsterniß; strafet die Gebrechen und Laster der Gottlosen durch euren frommen, unbescholtenen Wandel. Damit beschreibt er die Vorsicht, die eine Tochter der Weisheit ist, die Schlangenklugheit mit Taubeneinfalt paaret, die sich zu dem Schwachen herabläßt, um ihn zu dem Höhern hinaufzuziehen, die von den vorhandenen Mitteln zur Erreichung guter Zwecke die passendsten und besten auswählt, die dem Kinde Milch und dem Manne kräftige Nahrung reicht, die nicht blos für den Augenblick gewinnen will, sondern für die Zukunft säet. Wie 'der Landmann den Boden prüft für seine Aussaat, nach dem Wetter schauet und die rechte Zeit erforschet; wie der Hausvater um sich blickt, die Umstände wohl erwäget, die Gelegenheit sorgsam benutzt, um seinen Wohlstand zu gründen und zu vermehren: so benutzt der vorsichtige Christ die angenehme Zeit des Heils, um in sich und um sich das Reich Gottes zu mehren, für das Heil seiner Seele Schaden und Nachtheil abzuwenden, rechtschaffen zu werden in der Liebe, und zu wachsen in allen Stücken an Dem, der das Haupt ist, Christus. Ach, möchte ich doch zu einem solchen Leben und Wandel immer vorsichtiger, bedächtiger und eifriger werden! „Lerne die Weisheit für deine Seele, ruft uns der Weise auf dem Throne zu. (Spr. 24, 14); wenn du sie findest, so wird es nachher wohlgehen und deine Hoffnung wird nicht umsonst sein.“ Amen.

Am 27. Oktober.

Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist.“ Röm. 3. 24.

Nichts Verschiedeneres als der Welt Reich und Gottes Reich. Die in diesem sind, trachten nach dem, was droben ist, die andern nach dem, was auf Erden. Was in der Welt groß ist, das ist klein im Himmelreich, und wer der Kleinste will sein unter Allen, der wird groß sein in Gottes Reich. Hier gewinnt man Alles, wenn man Alles verliert; dort gewinnt man Alles, wenn man Nichts verliert.

Also gilt auch nichts in der Welt als Werk und Verdienst. Gottes Wort aber spricht: „Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade.“ Wer in der Welt etwas will haben, muß sich's verdienen; und wen die Welt soll ehren, muß Verdienste aufweisen.

In Gottes Reich hat nur Einer verdient, und wer hier etwas will gelten, kann's nur durch fremdes Verdienst. Der Bürge für unsere Schuld hat für uns alle bezahlt, denn weder wir konnten uns selbst, noch ein Bruder den andern erlösen; all unser Werk ist, daß wir's glauben und annehmen, und also aus Gnaden selig werden durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist. Nichts ist leichter, als das. Verdienen ist schwer; daß man sich zueigne und genieße, was ein Andrer verdienet, dazu bedarf's sonst keiner Ueberredung. Aber die Seligkeit wollen Wenige umsonst. Hier will ein Jeder selbst erwerben und selbst verdienen. Jeder rühmt sich seiner Werke, und je schlimmer es mit ihm steht, je größer sein Stolz. Aber Gott wird Den, der durch Verdienst will bestehen, nach Verdienst auch richten, und Wehe dann! Herr, so du willst Sünde zurechnen, wer wird bestehen! Ich aber will mich demüthigen vor dir, damit ich allezeit Frieden habe durch Jesum Christum und offnen Zugang zu deiner Gnade und die Hoffnung der ewigen Herrlichkeit!

Aus Gnaden! Hier gilt kein Verdienen,
Die eignen Werke fallen hin.
Der Mittler, der im Fleisch erschienen,
Hat diese Ehre zum Gewinn,
Daß uns sein Tod das Heil gebracht
Und uns aus Gnaden selig macht.
Amen!

Am 28. Oktober.

Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben, und Miterben Christi.“ Röm. 8, 17.

Hier Gottes Kinder, und dort Erben
Als Jesu Christi Eigenthum! -
Um diesen Namen laßt uns werben,
Er ist der Gnade Werk und Ruhm!
Das sei das Theil, das wir erkoren,
Darnach das Herz sich sehnt und schlägt,
Bis es aus Gottes Geist geboren,
Der Kindschaft Zeugniß in sich trägt.

Dann ist uns wohl, und doch das Beste,
Das Herrlichste ist noch voraus. -
Hier sind wir Fremdlinge und Gäste,
Im Himmel heimisch und zu Haus.
Hier gilt's, zu kämpfen, leiden, sterben;
Doch nur getrost! es kommt die Zeit,
Da Gottes Kinder Alles erben
Im Stand der ew'gen Herrlichkeit!

Sie werden als ein heil'ger Same
In ihr verheiß'nes Erbe geh'n;
Es wird ein neuer Gottesname
An den verklärten Stirnen steh'n.
Was unter Glauben, Hoffen, Lieben
Der inn're Mensch geworden war,
Das ist, wenn Alles starb, geblieben,
Und wird als Wesen offenbar.

Drum freuet euch, wenn eure Namen
Im Himmel angeschrieben steh'n!
Die hier zu solcher Ehre kamen,
Die sind wahrhaftig angeseh'n.
Die treu hier glauben, hoffen, lieben,
Schreibt Gott in's Buch des Lebens ein,
Und dort im Himmel angeschrieben,
Das heißt gut angeschrieben sein!
Amen!

Am 29. Oktober.

Ein kluges Herz handelt bedächtiglich.“ Spr. 15, 14.

Ein rasches, entschlossenes Handeln ist viel werth; aber nur, wenn das Rechte vorher wohlerwogen ist, wenn ein günstiger Zeitpunkt schnell benutzt und eine gute, heilsame Sache gefördert werden soll. Vorgethan und nachbedacht, hat Manchen in groß Leid gebracht. Der Leichtsinn denkt nicht, erwäget nie den Ausgang, handelt nach augenblicklichen Einwirkungen, nach Stimmungen des Gemüths, nach Antrieben der aufgeregten Sinnlichkeit. Der gegenwärtige Gewinn und Genuß reizt ihn; welches Wehe morgen kommen wird, kümmert ihn nicht. Daher wie seine Ruchlosigkeit, so seine Muthlosigkeit; wie seine Verwegenheit, so seine Verzagtheit. Viele unternehmen ein Werk, das sie nicht vollenden, versprechen, was sie nicht halten können, übernehmen ein Amt und Geschäft, dem sie nicht gewachsen sind. Demüthigungen, harte Verluste und bittere Reue sind natürliche Folgen davon. Verwegenheit führt in Gefahren und Tollkühnheit in's Verderben. Der rechte Muth ist ruhig, bedächtig, ernsten Sinnes und beharrlich. Er gründet sich auf die Einsicht des Rechts, auf Erkenntniß der Wahrheit, auf Begeisterung für eine gute und heilige Sache. Das Mißgeschick beugt ihn nicht; der Feinde Trotz erschreckt ihn nicht; das Unglück macht ihn nicht verzagt und kleinmüthig. Aber der Muth muß immer von der Klugheit begleitet sein, muß nicht wild in die Zeit hineinstürmen, sondern auf Menschen, Umstände und Verhältnisse Rücksicht nehmen. „Prüfet Alles, und das Gute behaltet; seid klug wie die Schlangen, doch ohne Falsch wie die Tauben; schicket euch in die Zeit, denn es ist böse Zeit.“ Und Paulus ermahnt seine Philipper (2, 8): „Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach.“ Den Galatern (6, 4) schreibt er: „Ein Jeglicher sehe auf sein selbst Werk; und alsdann wird er an ihm selber Ruhm haben.“ Darum will ich nichts anfangen, ich hätte denn vorher Alles wohlbedacht und sorgsam geprüft, ob das Werk im Herrn geschehe, nach Gottes Wort und zu Gottes Ehre. Was im Namen des Herrn geschieht, geräth wohl. Nicht der eigenen Klugheit, nicht der Macht meiner Freunde, nicht der Gunst des Augenblicks, dem Herrn will ich vertrauen und seiner untrüglichen Weisheit. „Verlaß dich nicht auf deinen Verstand; verlaß dich aber auf den Herrn von ganzem Herzen!“ Amen.

Am 30. Oktober.

Herr, laß dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, du Hort deiner Kirche und Erlöser deines Volkes! Dein Wort weiset allein den sichern Weg durch's Leben; deine Befehle sind lauter und erleuchten die Augen; dein Evangelium ist süßer, als Honig, und erquicket die Seelen; unsere Taufe aber ist der Bund deines Friedens und dein Abendmahl unser Labsal auf Erden!

Erhalte deine Kirche bei der reinen Lehre und den heiligen Sacramenten und mache zunichte alle Anschläge der Feinde deines Wortes. Sei mit uns, wie du mit deinem Knecht Luther warst und mit den andern Zeugen der Wahrheit!

Dein Wort ist köstlicher als Gold, und besser, denn Alles, da die Welt nachtrachtet. Mache es auch mir über Alles werth, daß ich täglich suche in der Schrift, die uns nun wieder eröffnet ist, und daß ich darin finde, was zu meinem Frieden dient!

Du hast deinen Namen groß gemacht an so viel tausend Seelen, daß sie der Schande nicht achteten, noch die Marter fürchteten um des Evangeliums willen. Sie gingen fröhlich zum Feuer und priesen dich im Tode, daß sie würdig waren, um deines Namens willen zu leiden.

Ach Herr, wie schwach ist noch mein Glaube gegen den Glauben deiner evangelischen Blutzeugen! Hilf mir hinan zu einem Glauben, der, wenn er nur dich hat, nichts fragt nach Himmel und Erde! Gieb durch den Glauben die Liebe in mich, die Alles thut und Alles duldet!

Lehre mich, wie die Märtyrer, die Feinde lieben und für sie beten! Sie stehen nun gekrönt mit Ehre und Preis vor dir, Herr Jesu, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, und schauen deine Herrlichkeit; mache auch mich treu bis zum Tode, daß ich davon bringe die Krone des ewigen Lebens!

Du, Herr, bist unsere feste Burg, unsere Stärke und unser Schild! Hilf deinem Volke und segne dein Erbe und weide sie und erhöhe sie ewiglich! Amen.

Am 31. Oktober.

Lieber Gott und Vater, weil du in Luthers Tagen die Kirche deines Sohnes auf's Neue mit deinem Evangelio in seiner ungetrübten Klarheit begnadigt und mich durch einen heiligen Beruf zur Gemeinschaft seiner Auserwählten, Heiligen und Geliebten in deiner Kirche auf Erden gebracht hast, also daß sie mit mir und ich mit ihnen im Glauben,. Liebe und Hoffnung zu dir durch deinen Geist vereinigt sind; so sage ich dir von Herzen demüthigen Dank für alle Gnade und Wohlthat, die du mir bisher in der Kirche des reinen Wortes und der unverkürzten Sacramente hast angedeihen lassen, und bitten dich, daß du alle meine lieben Mitbrüder und Mitschwestern, die du errettet hast aus der Obrigkeit der Finsterniß und versetzt in das Reich deines lieben Sohnes, wollest segnen, heiligen, erneuern, schützen, versorgen, trösten und sie durch deine Macht zur Seligkeit erhalten.

Herr, du allwissender Gott dir ist aller Zustand, Anliegen, Noth und Gefahr nicht unbekannt, hilf ihnen allen und jeden, wie, wo und wann sie deiner Hülfe bedürftig und begierig sind. Tröste alle Betrübten, stärke die Schwachen, hilf ,den Gefallenen wieder auf, bringe die Irrigen und Verführten zurecht, und heilige sie in deiner Wahrheit. Erquicke die Kranken und sei ihr Labsal, Trost, Arzt und Pfleger. Ernähre die Armen und Dürftigen; versorge und schütze die Wittwen und Waisen; sei eine Zuflucht aller Flüchtigen und Verjagten, die um deines Namens willen und der Wahrheit Verfolgung gelitten haben und noch leiden, die in harter Bedrängniß und Gefängniß leben. Bekehre auch die Sünder und Gottlosen; errette ihre Seelen aus den Stricken des Satans; eröffne ihnen die Augen, daß sie ihr Elend erkennen und sich von ganzem Herzen zu dir bekehren mögen.

Segne und erhalte deine evangelische Kirche, die kleine Heerde, das arme Häuflein, welches jetzt allenthalben bedrängt wird, bei der himmlischen Wahrheit deines Wortes und dem Gebrauch deiner heiligen Sacramente; schütze sie wider des Teufels Macht und List und aller Welt Bosheit, und erhalte sie bis ans Ende der Welt; erhebe und erweitere sie, und steure denen, die deinem Worte seinen Lauf durch Macht und List zu wehren sich unterstehen; mache ihre verderblichen Anschläge zu nichte, brich ihren Hochmuth, mache ihre Macht zur Ohnmacht, laß ihre Weisheit zur Thorheit und ihren Rath vereitelt werden. Gieb ihnen einen Meister, daß sie erkennen müssen, daß sie Menschen sind, und wider dein Volk, daß du dir erwählet hast und das sich auf dich allein verlässet, nichts vermögen.

Versorge auch uns und alle Gemeinen jederzeit mit gottseligen, erleuchteten und treuen Hirten, Lehrern und Predigern; rüste sie mit Gaben und Kraft vom Himmel aus, segne ihre Arbeit und laß sie den ihnen anvertrauten Seelen zum gründlichen Unterricht, zum lebendigen Glauben, zu kräftigem Trost und seliger Erbauung gedeihen. Gieb ihnen Muth und Freudigkeit, und schütze sie wider Teufel und Welt; erhalte sie in deiner Wahrheit und gieb, daß sie ihr heiliges Amt mit einem heiligen und unsträflichen Wandel allezeit zieren, und sich selbst und die sie hören, durch dein Wort und deinen Geist selig machen.

Gieb uns auch aller Orten fromme und friedfertige, väterlich gesinnte, gewissenhafte, gerechte Regenten; gieb ihnen den Geist der Weisheit und des Verstandes, des Raths und der Stärke und deiner heiligen Furcht. Segne du ihre Regierung und richte dieselbe zu deines allerheiligsten Namens Ehre, deiner Kirche Schutz und Trost, und aller frommen und treuen Unterthanen zeitlichem, geistlichem und ewigen Wohlergehen. Erhalte bei uns und in unserem geliebten Vaterlande, ja in der ganzen Christenheit den edlen Frieden, und laß uns unsere Lebenszeit in Friede und Ruhe und in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit hinbringen.

Erhalte auch mich und die lieben Meinigen in Glauben, Liebe und Hoffnung. Bewahre uns, daß wir in das gottlose Wesen der letzten Zeit nicht eingeflochten werden, auch in seelenverderblichen Irrthum nicht verfallen. Verleihe uns in Gnaden, daß wir unter Denen seien, die deine letzte Zukunft zum Gericht, nach deinem Wort, von Herzen glauben, deine Erscheinung lieb haben und sich täglich dazu bereiten. Bereite du uns, Herr Jesu, so sind wir bereit. Mache bald aller Sünden und Schanden und alles Elendes auf Erden ein Ende. Erlöse uns und alle deine Auserwählten aus allem Uebel, und hilf uns aus zu deinem himmlischen Reich, daß wir dich sehen und in alle Ewigkeit preisen mögen.

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