Spener, Philipp Jakob - Das Verderben in der sichtbaren Kirche.

Spener, Philipp Jakob - Das Verderben in der sichtbaren Kirche.

Die Klage über das allgemeine Verderben ist leider allzu genug gegründet, ja ich sorge, wir, die wir es ziemlich einsehen, sehen dennoch den ganzen Grund desselben nicht tief genug. Daher es hart lautet, aber ich nicht wohl widersprechen kann, daß das Christenthum bei uns Evangelischen nicht sowohl gefallen, als niemals genugsam aufgerichtet seie. Freilich sind wir leider, nachdem die Hauptirrthümer der Lehre waren abgeschafft und dieser Reinigkeit erlangt worden, zu frühe still gestanden, da man hätte fortfahren und darauf bedacht sein sollen, wie alles in der Kirche nach allen Ständen so eingerichtet würde, daß die Wahrheiten, die nach dem Buchstaben von den vorigen Irrthümern waren gerettet worden, auch durch des heiligen Geistes Kraft in die Herzen gebracht, und diese dazu geschickt zu sein bereitet würden. Dieser Ursach wegen sorge ich, habe uns bis daher an dem Segen gemangelt, den wir von Gott bedürfen, weil man sich insgemein mit den Buchstaben begnüget hat und Gott selbst damit hat abspeisen wollen, ohne daß man ihn lerne im Geist und in der Wahrheit anbeten, ja insgemein wenig davon weiß, was solches seie, oder wohl gar für Schwärmerei hält und ausgibt, was über dasjenige gehet, was unsere Kräfte für Vorstellungen sich in dem Hirn machen können, die gewiß so weit von göttlichen Wirkungen, als das wahre Licht von dem Schimmern eines faulen Holzes entfernet und unterschieden sind.

Jemehr auch unsere Theologie wiederum von der biblischen Einfalt, dazu sie der liebe Luther zu bringen sich bemühet, hat anfangen von lüsternden Köpfen auf die alte Schulweisheit geführt zu werden; so hat alles, was aus der Schrift und nach deren Anleitung aus der Erfahrung von einigen Gottseligen von dem innern Wesen und dem Werk des heiligen Geistes in den Glaubigen bezeuget worden, mit so viel heftigerem Eifer vor Schwärmerei müssen ausgerufen werden, so viel weniger solche Leute zu diesen seligen Wirkungen tüchtig sind und daher gemeiniglich lästern, was sie nicht wissen. Daher findet sich freilich, wie ganz wohl bemerket worden, auch bei unserm Stande das Verderben nicht weniger, sondern so groß las es bei andern ist; kann auch nicht wohl anders sein, denn welche unter uns keine wahren Christen sind (ach daß doch die Zahl derselben nicht allzu groß wäre!), können alsdann die ihnen Anbefohlenen gar schwerlich den Weg führen, den sie selbst nie recht eingesehen haben. Wann sie dann unter ihren Amtsbrüdern andere sehen, durch deren Exempel sie sorgen beschämet zu werden, und sie doch ihrem fleischlichen Leben noch nicht Abschied zu geben gedenken, neiden und hassen sie dieselben und trachten sie in Verdacht der Heuchelei, Sonderlichkeit oder gar heimlicher Ketzerei zu bringen, damit ihnen derselben Exempel darnach nicht weiter möge vergerücket werden; ja sie suchen sich wohl gar mit einander zu verbinden, um die anderen zu unterdrücken und der verdrießlichen Leute also abzukommen. Dieses ärgert die Schwachen, hält, welche einen guten Trieb zur Gottseligkeit bekommen haben, mächtig zurücke, besteifet die Boshaftigen in ihrer Bosheit, sonderlich aber bekräftiget die Atheisten in ihrer Gottlosigkeit, daß sie mit einander auf alles Christenthum nichts, sondern es für erdichtet Pfaffengeschwätz halten, da die so dazu sich bekenneten, selbst nicht thäten (und also auch nicht glauben müßten) was sie sagten, diejenigen aber, die es thäten, vor einfältige Tropfen oder gefährliche Heuchler von den Amtsbrüdern ausgeschrieen würden. Hieran liegt gewiß der größte Fall alles unseres Wesens, und ich sorge, es sei der letzte Stoß, den wir unserem baufälligen Hause selbst geben, das besorglich zum meisten Theil bald vollends liegen, der Herr aber aus den übergebliebenen und aufgehobenen Steinen dasselbe besser ausführen wird.

So stehen wir jetzt: wir müssen aber nicht darüber müde werden oder die Hände sinken lassen, sondern fortfahren, den Willen unseres Gottes vorzutragen, sie hörens oder lassens, und es werde ihnen ein Geruch des Todes zum Tode, oder des Lebens zum Leben: auch willig sein, darüber zu leiden, so viel der himmlische Vater über uns zur Probe unsere Glaubens und Geduld verhängen will: denn die Sache, warum es zu thun ist, ist ja werth, und derjenige, um dessen Ehre willen wir leiden sollen, alles Leiden mit Freuden für ihn zu erdulden unendlich würdig. Wir thun aber wohl, so viel unser den herzlichen Vorsatz haben, uns nicht von dem Strom der Aergernissen mit hinreißen zu lassen, in welchem äußerlichen Stand wir auch leben möchten, daß wir mit denjenigen zwar, so sich widersetzen, herzliches Erbarmen tragen, und ihnen die Bekehrung von Gott in Liebe zu erbitten trachten, unter uns aber so viel herzlicher zusammenhalten aus inniglicher Liebe, unsern Kummer bei und gegen einander vertraulich ausschütten, sodann mit und vor einander unablässig beten, daß der Herr drein sehen und seiner Elenden sich erbarmen wolle. Ich weiß, wir werden siegen, oder vielmehr der Herr wird selbst in uns siegen, ob wir auch in der Welt den Namen der Ueberwundenen tragen müssen; aber unsere Palmen und Triumph soll uns gewiß weder der Teufel noch seine Braut nehmen.

Gelobet sei Gott, der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, ja der uns freudigen Muth gibet, daß wir uns, ob noch nicht vollkommen freuen, dennoch nicht mehr viel betrüben über die Malzeichen seines Sohnes, indessen auch immer nach jenem Grad der Freude in seiner Kraft streben, daran ers auch seinen Kindern nicht wird mangeln lassen, wo er das Leiden auch auf einen höheren Grad sollte kommen lassen, nachdem uns insgesammt bis daher noch keine andere als menschliche Versuchungen und gleichsam Kinderproben (weil er uns nämlich nur noch als Kinder ansiehet und also behandelt) getroffen haben, da uns aber die Versicherung von seiner Treue gewiß ist, daß zu schwereren Proben ein kräftiger Geist gegeben werden sollte. Nun er wird und wolle alles wohl machen!

Quelle: Klaiber, Karl Friedrich - Evangelische Volksbibliothek, Band 3

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