Schopf, Otto - Mit Jesus am Teiche Bethesda

Schopf, Otto - Mit Jesus am Teiche Bethesda

Darnach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Es war aber dort bei dem Schaftor ein Teich, der hieß Bethesda.

Joh. 5,1.2

Wenn wir hören: „Es war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem“, so dürfen wir nicht daran denken, daß der Apostel uns Zeit und Grund angeben will von Jesu Reise nach der Hauptstadt. Wenn Jesu auf ein Fest geht, dann tut er es gewiß, „um all Gerechtigkeit zu erfüllen“, um als ein wahrer Israelit, ja, als der wahre Israelit, den Gott Israels zu preisen. Dann „feiert er ein Fest“ wie keiner sonst, denn wer konnte wie er die Geschichte Israels, seines Volkes und die Natur verstehen und die tiefe Bedeutung der Ereignisse erfassen, zu denen die Feste Israels in Beziehung standen? Wer konnte mehr den Vater verherrlichen an einem solchen Feste als er, der allein in seiner fleckenlosen Heiligkeit, in seiner unvergleichlichen Erkenntnis, in seiner völligen Hingebung einzig ein Fest vollkommen mitfeiern konnte in der Weise, wie es demselben entsprach? Aber er feierte das Fest nicht mit im Taumel, er feierte es nicht nur durch Gebet und Ruhe, sondern wo er ging und stand, suchte er den Vater zu verherrlichen, suchte er das Fest auszunützen, indem er vor dem festlich gestimmten und festlich versammelten Volke, das in Menge in Jerusalem zusammengeströmt war, durch sein Wort zu allermeist, aber auch durch seine Werke den Vater zu verherrlichen suchte.

Wir feiern heute Sonntag, ohne daß ein neutestamentlicher Gesetzesbuchstabe dazu zwingt, wir freuen uns in der Gewißheit, daß Gottes Güte uns erlaubt, zu ruhen und andere ruhen zu lassen, zusammenzukommen, der Taten Gottes uns zu erinnern und des ewigen Sabbats, der noch vorhanden ist dem Volke Gottes- Aber wie feiern wir diesen Tag? Wie gebrauchen wir diese Gabe? Wollen wir nicht unserem Heiland dankbar sein für die Winke, die er uns gibt, wie man feiernd den Vater verherrlichen und einander dienen kann? Denn jeder möchte doch so viel wie möglich ihn benutzen und seinem Gott so viel Freude machen als er nur kann.

Es ist ein Ort des Elends und eine Stätte der Barmherzigkeit zugleich, wo es Jesum hinzieht an jenem Sabbat, an dem sich unsere Geschichte ereignete, an den Teich Bethesda. Es wird uns gesagt, daß, wer in dem Augenblick, wo das Wasser des Teiches bewegt wurde, hineinstieg, von seiner Krankheit geheilt wurde, und dieser Ruf des wunderbaren Teiches hatte die Kranken in Menge herbeigeführt. Es ist etwas der Schriftlehre durchaus entsprechendes, daß der Herr sich des Dienstes seiner Engel zum Wohl der Menschen bedient, und wir haben darum keine Schwierigkeit zu glauben, daß er es auch hier tat. Warum immer nur der erste, der in den Teich hineinstieg, geheilt wurde, ist uns nicht erzählt, und manche Frage, die hiermit zusammenhängt, können wir hier unten nicht lösen, aber wir wollen diese Worte nicht lesen, ohne uns im Vorübergehen zu erinnern, wie gewiß weit, weit mehr, als wir daran denken, die Engel denen dienen, die die Seligkeit ererben sollen, und wie so manches, was die menschliche Wissenschaft und die Unwissenheit wohl mit einem Namen bezeichnet, aber nicht erklären kann, auf der Engel Geschäfte zurückzuführen ist (Heb. 1,14; Apg. 7,53). Wir reden z.B. von Seuchen und Krankheit, aber die Schrift sagt uns, daß die Engel des Herrn mit Seuche und Krankheit schlagen. Von Wind und Wetter reden wir, und die Schrift erzählt uns, daß der Herr seine Engel zu Winden und Feuerflammen macht (Ps. 104,4), und daß sie es sind, die die Schalen des Zornes Gottes über die Welt ausgießen, daß aber auch sie es sind, die sich schützend lagern um die, die den Herrn fürchten (Ps. 34,8; 2.Kön. 6,17), und den Befehl bekommen, bewahrend und erquickend und in mannigfaltiger Weise an dem Geschicke von groß und klein (Mat. 18, 10), von Einzelnen und ganzen Völkern, ja, der ganzen Welt teilzunehmen ((Dan. 10,13.21; Luk. 15,10; Mat. 13,39; 1. Pet. 1,12).

Doch zurück nach Bethesda! So viel auch geheilt wurde, viele, viele lagen ungeheilt am Ufer des Sees, auf das Bewegtwerden des Wassers wartend und in der Hoffnung, daß, wenn sie auch lange warten mußten, doch endlich auch für sie der Tag der Hilfe und Heilung kommen werde. Wir bewundern dien Gnade unseres Gottes, die sich eben darin offenbart, daß er in Metallen, Blumen und Früchten der Erde, in Quellen und Sümpfen, in Sonnenschein und Luft Kräfte der Heilung und Hilfe für die gelegt hat, die doch direkt und indirekt durch ihre Sünde gegen ihn ein krankes Geschlecht geworden sind. Diesen Sommer wurde mir dies besonders lebendig in W., wo, wie an vielen anderen Orten, für die Undankbaren und Boshaftigen so gut wie für die Kinder Gottes der Heilquell täglich sprudelt (Luk. 6,35), und ich habe von Herzen mitbeten können, wenn im Gottesdienst im Gebet der Heilquelle gedacht wurde. Aber all diese Mittel und Quellen der Heilung leiblichen Elends und des damit verbundenen inneren Wehs, sie versagen oft ihren Dienst, sie sind mangelhaft (wie alles in der Welt) und nur Vorbilder und Abbilder, deren Urbilder in der unsichtbaren Welt zu Hause sind. Diese Heilmittel sind Vorbilder und Abbilder dessen, der als der Heiland Arznei, Pfleger und Arzt zugleich ist. Sie sollen, wenn sie helfen und wenn sie versagen, zu dem hinweisen, der niemals hinausstößt, ja der um der Kranken willen zu uns kam und bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende.

Und doch, der Heiland, von dem es so manches Mal heißt, daß er alle in Menge um ihn versammelten Kranken geheilt habe, er, der doch immer darauf aus war, den Vater zu verherrlichen, er scheint an diesem Sabbat, von dem uns heute erzählt wird, ein anderer zu sein. Er, der Engel, der Gesandte des Herrn im Vollsinn, der Mann mit dem barmherzigen Herzen, der es nicht ansehen kann, wenn das Volk hungert, das bei ihm ist, er geht heute untätig durch die Reihen, und doch lesen wir, daß eine Menge Kranker, Blinde3r, Lahmer und Dürrer da lag. Geheimnisvoller Heiland! Lehre uns Dich verstehen, wenn du zu uns kommst und wenn du vorübergehst, wenn du wirkst und wenn du ruhst!

Ein Wort aus der nachfolgenden Unterhaltung mit den Juden mag uns den Schlüssel geben zu Jesu Verhalten. Dort sagt er (Joh. 5,19): „Der Sohn kann nichts von sich selber tun, außer was er den Vater tun sieht, denn was irgend er tut, das tut der Sohn gleicherweise. Denn der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er selber tut.“ Also das ist der Grund? Kann Jesus wirklich nicht? Ihm ist doch alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden; sagt er doch selber nachher, daß der Vater dem Sohn das ganze Gericht übergeben habe, daß der4 Vater ihm gegeben habe, Leben zu haben in sich selber und daß er, der Sohn, lebendig macht, welche er will! Ja, er kann und kann doch nicht, er hat alle Gewalt, aber er benutzt seine Allgewalt nur so, wie der Vater will. Und er verherrlicht und ehrt den Vater, indem er nichts tut, was ihm der Vater nicht zeigt. Und darum geht er, der Mann mit dem Herzen voll brennender Liebe, ebenso voll demütigsten Gehorsams und tiefsten Vertrauens gegen den Vater durch die Reihen der Kranken und rührt keine Hand und spricht kein Wort, so lange er nicht erkennt, daß der Vater es will.

Wir, die wir arbeiten wollen für den Herrn, die da singen, reden, wirken für ihn zu seiner Ehre, was lernen wir von Jesu heute? Jene einfache, alte und doch uns so nahe liegende Wahrheit, daß Gehorsam besser ist als Opfer und Aufmerken besser, denn das Fett von Widdern (1. Sam. 15,22) Ist nicht gerade das das Leiden und der tägliche Kampf mancher von uns, die wir dem Herrn gehören, daß wir uns wohl begeistern können, Opfer zu bringen, zu beten, zu leiden für den Herrn, aber daß wir so Mühe haben nicht zu tun, was an sich gut ist oder doch „nichts böses“, wenn der Herr uns heißt, zu ruhn? Nicht bloß Gehorsam im Allgemeinen, sondern Aufmerken im Einzelnen will, kann und muß der Herr erwarten. Was für Schaden kann im Krieg ein voreiliger Angriff, ein vorzeitiger Schuß anrichten, was für Schaden aber erst ein nicht zu Gottes Stunde geredetes, an sich wahres Wort, eine gute, aber voreilige Tat! „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, sagt der Heiland in Kana, und (Joh. 7,6) seinen Brüdern gegenüber weist er darauf hin, daß eben dadurch sie sich von ihm unterscheiden, daß ihre Zeit allezeit sei, während seine Zeit noch nicht da sei. Und dieser Unterschied muß auch zwischen den Jüngern Jesu und der Welt sein. Aber Aufmerken gilt es nicht nur in Be3zug auf die Zeit, sondern auch auf die Art und Weise, wie der Herr etwas getan haben will. In beiden Beziehungen hat Saul sich verfehlt, wer von uns aber, ob bekehrt oder unbekehrt, möchte sein Schicksal :teilen?

Ja, nicht umsonst sagt der Heiland: „Wer mir nachfolgen will, der folge mir nach“ (Mat. 16,24) Nicht das Kreuz einfach nehmen und selbsterwählte Wege damit gehen, dürfen wir, sondern es gilt, mit dem Kreuz genau in seine Fußtapfen zu treten. Wollen wir Gott verherrlichen, so gilt es, nicht unseren Gefühlen zu folgen, nicht dem Drange unseres Herzens immer nachzugehen, nicht von Sympathien und Antipathien sich leiten zu lassen, nicht Freundschaften zu pflegen und unangenehmen Leuten aus dem Wege zu gehen, nicht Vorwürfe zu machen, wie und wann sie einem in den Sinn kommen, nicht zu erzählen, was einem durch den Kopf schießt, nicht Pläne zu machen und auszusprechen, ehe wir die Genehmigung des Herrn haben, nicht wie es uns paßt, unsere Sonntage und Werktage zuzubringen. In Reden und Schweigen, Tun und Lassen, selbst im Wollen und frömmsten Tun nichts selber tun zu können, es sei denn, daß es unser Herr uns zeige, das ist die Schule des Glaubensgehorsams, bei der für uns und andere am meisten herauskommt, und dem Herrn, dem allein die Ehre gebührt, allein gedient ist.

Wo aber kämen wir hin, wenn unserem Lehrer, der uns das Vorbild gibt, nicht auch die Kraft zu Gebote stände, uns das Vollbringen durch seinen Geist zu schenken? Dadurch aber, daß er das will, und daß er das kann und daß er das tut, wird er unser Erlöser, wird unsere Aufgabe kleiner, aber auch unser Verantwortung wird größer, falls wir weiter in selbsterwähltem Gottesdienst oder gedankenloser Ungebundenheit unser Leben führen.

Doch nicht nur in die Schule des ruhenden Glaubensgehorsams will der Heiland uns führen. Wie er selber an jenem Sabbat nicht nur im Lassen den Vater verherrlichte, sondern auch im Tun, so will er auch uns ein Gleiches lehren. Wohl war er an der ganzen Menge der Kranken vorübergegangen, da fällt sein Blick auf einen, einen einzigen unter allen! Da heißt es: „Auf! Dieser ist's!“ Auch wenn in Glaubenszucht alles recht steht, darf doch das Auge der Liebe stets wach sein und forschen, ob es nichts zu tun gibt. Und so schaute auch der Herr sich die Kranken an, denn er konnte nicht annehmen, daß er hierhergeführt sei, um das Elend zu sehen und doch keinem einzigen zu helfen; ebensowenig wie Samuel in das Haus Isais gesandt wurde, um am Ende doch niemanden zum König zu salben. Wie dort Samuel schloß, ja wenn es von den sieben keiner ist, so muß noch ein Sohn fehlen, denn mein Gott irrt nicht und lügt nicht, so konnte der Heiland an all den vielen vorübergehen, denn der Vater mußte und würde ja sicher noch offenbaren, was es für ihn hier zu tun gab. Nein, wir sind das Licht der Welt und das Salz der Erde, und wenn der Herr uns lange nicht verwendet, umsonst hat er uns nicht Licht und Salzkraft verliehen, keinem von uns.

Es stellte sich nun auch bald heraus, daß es wohl der Elendeste, Verlassenste und Hilfloseste war, dem der Besuch Jesu gelten sollte. Indem der Vater sich durch Jesum seiner annahm, wollte er zu allen weniger Kranken und zu den äußerlich Gesunden reden, denn die Heilung dieses Mannes, wie die Heilung der Blindgeborenen und die Auferweckung des Lazarus sollte die Aufmerksamkeit vieler erregen, sie vorwärtstreiben in ihrer Stellungnahme für oder wider Jesum, sollte vieler Herzen Gedanken offenbar machen, indem sie zugleich eine neue dringende Einladung war, sich Jesu Heilandskraft anzuvertrauen.

Wenn ein Meister der Bildhauerkunst durch einen Steinbruch geht, da mag er wohl Stein um Stein betrachten, bis er den richtigen Block gefunden, aus dem er sein herrliches Bildwerk herausmeißeln will. Groß und köstlich muß der Stein sein, aus dem er die Statue herausschält. Umgekehrt ist es bei Jesu, er sucht sich das häßlichste, hoffnungsloseste und schwierigste Material, um seine Meisterschaft daran zu zeigen. Er gleicht jenem berühmten Geiger, der über einen Holzschuh ein paar Saiten spannte und dem mangelhaften Instrument kraft seiner Meisterschaft Töne entlockte, die ein anderer mit der besten Violine nicht hervorzubringen vermochte.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1923

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