Schmitz, Richard - Fleisch und Geist - Kapitel 3
Den Schlüssel zum Verständnis von Römer 7,14-25 hat uns der Apostel selbst in die Hand gegeben; im letzten Verse ist er vorhanden. Alle Ausleger sind sich darüber einig, daß es sich hier um eine Wiederholung des Gesagten handelt, die zugleich eine Zusammenfassung desselben ist, eingeleitet mit den Worten „ára oun“ = nun also, folglich, somit: „Nun also diene ich mit dem Gemüte (nous) dem Gesetze Gottes; aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.“ Der Satzgegenstand, nämlich „ich“, besteht aber in der Grundsprache aus zwei Worten, was in der Uebersetzung von Luther nicht erkennbar ist, nämlich „autós egò“ die im Deutschen wiedergegeben werden können mit: „ich von mir selbst“, d.h. ich für meine eigene Person, in meiner Beschränkung auf mich selbst. Damit hat der Apostel eine Unterscheidung, einen Gegensatz aussprechen wollen, der in dem Zusammenhang auch deutlich hervortritt, indem er unmittelbar vorher im selben Verse gesagt hatte: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn“. In Verbindung mit dieser Lobpreisung unterscheidet er sein Ich, und zwar mit der vollen Beschränkung auf dasselbe, von der Person Jesu Christi, und er weist damit so stark wie möglich darauf hin, daß er gegenüber dem Fleisch - wovon er in dem ganzen Abschnitt vorher geredet - nicht auf sich selbst angewiesen sei, nicht auf Mittel und Kräfte, die er etwa in seiner Person besitze, sondern daß er in Christus diejenigen Kräfte besitze, welche ihm gegenüber diesem Fleisch mit Erfolg zu Gebote stehen. Dieser Erfolg gilt ihm selber, und doch ist er ihm nun sichergestellt gegen etwas, das mit ihm selber, seinem Ich, naturhaft verwachsen ist, nämlich dem Fleisch, das ihm diesen Erfolg streitig zu machen sucht. Das ist es gerade, was der Apostel hier zusammenfassend sagen will, nämlich daß er innerhalb seines Ichs so wenig eine Hilfe finden könne, als er gerade hier seinen Gegner habe, nämlich im Fleisch, ferner daß ihm außerhalb seiner Person, und zwar in Christus, diese Hilfe zuteil werde. Gerade durch den Ausruf des Dankes gewinnt diese Unterscheidung ihre volle Kraft.
Wir haben hier eine Antithese (Gegenstellung) vor uns, die durch die Kürze des Ausdrucks um so lebhafter wird, aber auch in ihrer Klarheit so vielsagend. in Christus ist alle Hilfe; nicht ist sie in unserer Natur! Nicht steht Natur gegen Natur, weil dann der Wiedergeborene des Glaubens nicht mehr bedürfen würde; um nicht zu erliegen, ist er ganz außerhalb der Natur des eigenen Ichs gestellt. Mit dem Zugeständnis dieser eigenen Hilflosigkeit wird die Hilfe in Christus nicht nur nicht abgeschwächt, sondern in ihrer einzigen Größe ausgewiesen. Nicht zur Entmutigung ist Römer 7,14-25 geschrieben, sondern zur Aufrichtung derer, die an sich selbst verzweifeln und zur Preisgabe dieses eigenen Ichs kommen müssen, damit der Sprung in Christus getan werde, der nicht ein Sprung ins Leere ist, sondern in ein volles Heil.
Die Fragestellung ist nun nicht mehr im besonderen: Von welchem Abschnitt seines Lebens redet der Apostel? Die Frage lautet vielmehr allgemein: Was ist zu halten von dem eigenen Ich, abgesehen von Christus und angewiesen auf sich selbst? in dem wiedergeborenen Menschen ist hienieden eine Doppelexistenz, ein doppeltes Sein: das eine in Christus und daneben das andere noch von Adam her. Es ist jene Duplizität (Doppelseitigkeit), die in dem wiedergeborenen Menschen nach Gottes Rat in diesem Leibesleben noch unaufgehoben bleibt, ein Gegensatz, den der unwiedergeborene Mensch nicht kennt, da dieser ganz in seinem sündigen Triebleben befangen ist.
Es ist dies jene Doppelseitigkeit, welcher der Apostel in Galater 5,17 mit den Worten Ausdruck gibt: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch; dieselben sind widereinander, daß ihr nicht tut, was ihr wollt.“ Nichts mehr und nichts weniger ist damit ausgesagt, als ein Verhältnis, in dem Fleisch und Geist zueinander stehen, nicht wie es durch die Schöpfung gesetzt, sondern durch den Fall geworden ist. Dieser unversöhnliche und unaufhebbare Widerstreit, der den wiedergeborenen Menschen zwischen zwei Mächte stellt, die sein Leben zu bestimmen trachten, ist in diesem Zwecksatz, den der Apostel mit einem „denn“ einleitet, so dargestellt, daß nicht von seinem bestimmten Willen, ob gut oder böse, die Rede sein kann, sondern daß all sein Tun die Verwirklichung einer in ihm wohnenden Macht ist, sei es des Geistes oder sei es des Fleisches. Bei dieser Anschauung wird die Verantwortung des Menschen auf eine Höhe gehoben, die keine Entschuldigung aufkommen läßt, weil der Apostel gerade dartun will, daß ein Bestimmtwerden nach den Regungen des Fleisches anormal, d.h. regelwidrig ist. Der Apostel tut dies auch, indem er dies verstärkt in doppelter Aussage, einmal: „Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches (im Grundtext findet sich hier eine verstärkte Doppelverneinung: gewiß nicht) vollbringen“ (Vers 16), und sodann unmittelbar auf die obige Stelle folgend: „Regieret euch aber der Geist, so seid ihr nicht mehr unter dem Gesetz“ (Vers 18); d.h. nicht das ohnmächtige Gesetz vom Sinai ist über euch, sondern in euch wohnt das lebendige Gesetz des Geistes als göttlicher Trieb und göttliche Kraft, und zwar in einer Wirkungsweise, die aller sogenannten Kasuistik, d.h. der Anwendung auf Einzelfälle, entraten kann, da die Früchte des Geistes offenbar sind und da, wo er wirkt, erkennbar zutage treten.
Wir sehen also, daß auch diese verwandte Galaterstelle in dem wiedergeborenen Menschen ebenfalls eine Doppelseitigkeit, d.h. das Vorhandensein zweier Naturen nebeneinander, und zwar von Fleisch und Geist feststellt, und dabei auch dem Fleische bestimmte Regungen oder noch stärker ausgedrückt: Lüste, Begierden, also bestimmte und kräftige Lebensäußerungen beimißt. Damit läßt aber der Apostel die Neuheit des Lebens und die Macht des Geistes gerade umso herrlicher hervortreten (wie der Diamant auf dunklem Grunde erst seine Schönheit und seinen Glanz zu zeigen vermag), indem er im selben Atem triumphierend verkündet, daß der Geist dem Fleisch überlegen ist und dasselbe mattzusetzen imstande und berufen ist. Es zeigt sich also auch hier, daß der Apostel, bei aller Betonung eines untilgbaren Fleischeshanges, dennoch sein Absehen darauf hat, nicht zu entmutigen, sondern zu ermuntern. Was also der Apostel sowohl hier, wie in Römer 7,14 zum Ausdruck bringen will, ist dies, daß alle Heiligung nicht Erzeugnis unserer Natur ist und nicht sein kann, sondern Wirkung des Geistes Gottes, der unter dem Widerstreit der Natur als eine überlegene freitätige Kraft diese Heiligung erzeugt und unter allen Umständen die Führung zu übernehmen bestimmt ist. -
Noch eine Bemerkung sei hier gestattet. In beiden Schriftaussagen fällt auf, daß als der Gegner des Geistes nicht der Teufel genannt ist, sondern das Fleisch, in dem das satansverwandte Wesen eingenistet ist. Gerade dadurch gewinnt aber jener Widerstreit seine ganze Tragik, indem der Mensch selbst durch sein eigen Fleisch in ein Spiel verwickelt ist, das ihn zugrunde zu richten sucht und zugrunde richtet, wenn ihm nicht die Hilfe von außen kommt. Der Mensch selbst ist die dramatische (handelnde) Person, die auf offener Bühne die Szenerie gestaltet und durch die Verwicklungen hindurch seinem Schicksal entgegengeführt wird, - doch so, daß dasselbe immer in seine eigenen Hände gelegt ist. Nicht der Teufel - obwohl er der Urheber alles Bösen ist und hinter allem Bösen steht - ist es daher, der als der Gegner des Menschen erscheint, weil er sein Urteil bereits hinter sich hat; es ist der Mensch allein, dem die Retterarme Jesu sich entgegenstrecken. Ist ihm, auf sich selbst angewiesen, auch jede Aussicht auf Hilfe verbaut, so winkt ihm in Christus das leuchtende Morgenrot der Gnade, die ihm ein Neues bis hin zur Vollendung gewiß macht. -
Nachdem wir in dem letzten Verse in Römer 7 wie von einer Höhe aus die Orientierung erlangt und den Schlüssel für das Verständnis dieses Kapitels von Vers 14 ab gefunden, und gesehen haben, daß der Apostel hier denjenigen Zustand beschreibt, in dem sich ein Mensch befindet, wie er von Adam her „in ihm selbst“, d.h. in völliger Beschränkung auf sich selbst, in gänzlichem Absehen von Christus, besteht und bestehen bleibt, wollen wir uns jetzt, soweit es der Rahmen dieser Arbeit gestattet, der näheren Darlegung dieses Zustandes selbst zuwenden, wie sie uns der Apostel hier von Vers 14 ab in einer Weise gibt, die an Deutlichkeit nichts übrig läßt.
Der Apostel wendet für diese Darlegung das von ihm beliebte synthetische Verfahren an, d.h. er stellt den Grundgedanken voran, um dann denselben im einzelnen näher auseinanderzulegen. Dieser Hauptgedanke ist in Vers 14 enthalten, weshalb er hier das, was er sagen will, gleich zusammenfaßt und in seinem Gipfelpunkt erscheinen läßt: Wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich und unter die Sünde verkauft.
Von dem mosaischen Gesetz hatte er - wie wir früher gesehen haben - vordem geredet, und von ihm geht er nun aus. Noch einmal zeigt er dessen Charakter, nun aber in einer Wesensart, welche sofort die tiefe Kluft offenbart, die zwischen dem Gesetze Gottes und ihn selber sich auftut: das Gesetz geistlich - ich fleischlich! Im Gesetz sucht Gott sein eigen Bild in uns, ein geistliches Wesen; aber was wird im Menschen gefunden? Ein Wesen, das des Geistes bar ist und zum Fleisch entartet. In denkbar stärkster Weise drückt der Apostel dies mit dem Worte „sarkinós“ aus, das mit „fleischern“ übersetzt werden kann. Bedeutet in der Schriftsprache „Fleisch“ alles dasjenige, „was den Naturzusammenhang des Menschen vermittelt und zur Erscheinung bringt, so daß ihm alles anhaftet, was des Menschen natürliche Art kennzeichnet“ (Crener), so besagt das Wort „fleischern“, daß diese Fleischesgesinnung den Menschen durch und durch beherrscht und dessen Wesen ausmacht, also in ihm naturhaft geworden ist.
An und für sich ist diese Fleischesgesinnung nicht nur sinnlicher, sondern vor allem geistiger Art, woher es kommt, daß sündige Regungen aus dem Grunde des unbewußten Seelenlebens aufsteigen, die schon als Sünde empfunden werden, bevor noch der bewußte Wille darauf eingegangen ist. Sofern diese Fleischesgesinnung der ganzen Menschheit als Gattung eignet, wird sie auch als Erbsünde bezeichnet, ein Wort, das die Schrift zwar nicht braucht, das aber in Römer 5,12 begründet ist; sie ist das urgrundsmäßige Böse im Menschen, das wohl eingedämmt, aber nicht zerstört werden kann, auch in dem wiedergeborenen Menschen als Naturhang bleibt mit dem Bestreben, sich zu äußern und emporzukommen.
Es sei gestattet, hier einen Augenblick Halt zu machen. Man hat versucht, dem Selbstbekenntnis des Apostels „ich bin fleischern“ einen Sinn zu geben, der nicht beabsichtigt sein kann. Wir begegnen allerdings hier einer Tiefe eigenen Erkennens, die mit allen Erwartungen aufräumt, welche in der eigenen oder anderen Form so gerne gehegt werden. Was der Apostel sagt, verlegt er nicht etwa in einen zurückliegenden Abschnitt seines Lebens: „ich war fleischern“, sondern er weiß sich rückhaltslos veranlaßt zu dem Zugeständnis, daß er jetzt, wo er dies schreibt, dies noch ist: „Ich bin fleischern“. Er weiß aber, was er sagt, und er nimmt davon nichts zurück; vielmehr werden wir finden, daß er in den folgenden Ausführungen diese Aussage nur vertieft und bis in ihre letzten Folgerungen bewußt durchführt. Nur eine Flachheit der Erkenntnis menschlicher Naturheit, die in deren Tiefen nicht geschaut, wie andererseits die Umbiegung eines biblischen Zeugnisses, das unmißverständlich ist, konnten zu einer Lehre führen, die sich als verhängnisvoll auswirken muß. Wir wollen derselben nach zwei Seiten hin in Kürze nachgehen.
Einmal ist man so weit gegangen, zu behaupten, daß es möglich sei, jede sündige Regung in jedem Augenblick, wo sie sich geltend mache, so zu unterdrücken, daß man nicht nur von „aktiven Sünden“ freibleibe, sondern auch von inneren, die nur dem einzelnen selbst zum Bewußtsein kommen. Bei dieser Anschauung hält sich, die Sündennatur zugegeben, diese mit der Freiheit von der Sünde so die Waage, daß der Sündenhang in „Latenz“ /Gebundenheit) gehalten und der Sieg über die Sünde zu einem dauernden gemacht wird. Verträgt sich diese Theorie aber mit der Schrift? Freimacht von der Herrschaft der Sünde darf nicht verwechselt werden mit Freiheit vom Sündenhang. Ein Hang, der latent bleibt, ist kein Hang; ein Hang aber, und zwar ein so starker Hang, wie der Hang zur Sünde, der sich nicht äußert, zugleich aber beständig überwunden werden muß, ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Spannkraft einer Feder bleibt dieselbe, auch wenn sie unter Druck gehalten und ihre Wirkung gehemmt wird. - Wenn aber weiter von dauerndem Sieg geredet wird, muß auch ein fortwährender Kampf sein, und wo dieser ist, muß ein Gegner vorhanden sein und sich zeigen, der besiegt wird. Nun sind aber auch schon die sündlichen Regungen an sich Sünde, denn es heißt: „Laß dich nicht gelüsten!“ - Die ganze Theorie läuft hinaus auf eine Umwertung des Sündenbegriffes, die bedenklich ist, und die Erfahrung zeigt, daß Ueberspannung des Heiligungsbegriffes entweder zur Heuchelei oder zur Laxheit im Leben führt. -
Sodann hat man seine Hilfe in der sogenannten Stufentheorie gesucht. Es mag hier vorweg zugestanden werden, daß alles Leben seine Gesetze hat, die auf Entfaltung desselben gehen. Fortgesetzte Bewährung gegenüber der Versuchung kann nicht anders, als die Kraft der Sünde eindämmen, wie es auch möglich ist, Fehler des Temperaments so zu überwinden, daß ihre versuchliche Macht sich verliert, - und in allem diesem besteht der christliche Charakter. Etwas anderes ist aber die erwähnte Stufenlehre. Es mag davon abgesehen werden, ob man zwei, drei oder mehr Stufen annimmt. Der Sinn dabei ist immer, daß eine neue Stufe beginnt, wo die vorige endet, wie in der Schule der Klassenschüler hinaufrückt, wenn er ein festgesetztes Lehrziel mit Erfolg erreicht hat, um zuletzt am Ende eines bestimmten Lehrganges anzukommen, was bei jener Stufenlehre das Einssein mit Gott ist. Wie sieht es aber damit aus? Genau besehen handelt es sich bei jeder Stufe um dasselbe, nämlich „um den völligen Sieg über die Sünde“, so daß diese ganze Heiligungsstufenlehre im Grunde hinausläuft auf die Anerkennung der Macht des vorhandenen Sündenhanges, dem der Apostel ergreifenden Ausdruck gibt in dem Bekenntnis: „Ich bin fleischern.“ Schlatter sagt einmal sehr richtig: „Gott heiligt uns auch dadurch, daß er uns unsere ungläubige Art zeigt, uns von allem Vollkommenheitsdünkel befreit und uns enthüllt, was an Lust und Kraft der Sünde in uns wohnt.“
Es ist paulinische Art, bei allem gründlich zu sein und die einzelnen Dinge klar herauszustellen. So auch hier. Der ersteren Aussage: „Ich bin fleischern“ fügt er eine zweite hinzu, die jene unter einen neuen Gesichtspunkt stellt und gesteigert erscheinen läßt: „und unter die Sünde verkauft.“ Es ist hier angespielt auf einen alten Kriegsbrauch, wonach die gemachten Gefangenen als Sklaven verkauft wurden. Es ist ein Bild, das der Apostel mit Vorliebe benutzt und schon Kapitel 6,15 verwendet.
Man kann erstaunt sein, daß Paulus hier in derselben Gegenwartsform wie vorher sich einer Ausdrucksweise bedient, die zumeist in der Schrift nur auf Unbekehrte angewendet ist und dort auch verständlich ist. Auch bringt sie ihn auf den ersten Blick selbst in Widerspruch zu dem, was er erst vorhin in Kapitel 6,18 selbst gesagt hatte: „Denn nun ihr seid frei geworden von der Sünde, seid ihr Sklaven geworden der Gerechtigkeit.“ Unmöglich kann er nun das behaupten wollen, was er dort abgelehnt hat. Der scheinbare Widerspruch wird sofort beseitigt, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die jetzige Aussage auf einer anderen Linie liegt als jene, wo er tatsächlich von einer früheren, abgeschlossenen Zeit seines Lebens redete; denn - wie wir oben gesehen haben - er will jetzt nichts mehr und nichts weniger dartun, als was der Mensch, gestellt auf sich selbst, ist, - gleichviel ob er bekehrt oder unbekehrt ist. „Er weiß,“ daß er selbst in sich weder durch die Bekehrung noch durch ein anderes Erlebnis aufgehört hat, ein Abkömmling Adams zu sein und daß seine natürliche Beschaffenheit keine andere geworden ist. Nur dies ist es, was er hier herausstellen will, und wenn man dies beachtet hätte, so hätte keine Verirrung aufkommen können, und der Segen, den gerade diese Ausführungen in sich bergen, wäre nicht verlorengegangen. Diese waren aber um so notwendiger, als die Aussage in Kapitel 6,18 zu der Vorstellung hätte Raum geben können, daß mit der Bekehrung neben der Vergebung der Sündenschuld auch der angeborene Sündenhang sein Ende gefunden habe. Diese Meinung dem Apostel anzudichten, ist angesichts von Römer 7,14 nunmehr unmöglich; zu dieser Abwehr war er umsomehr genötigt, als erfahrungsgemäß eine Entmutigung oder gar Erschlaffung im Glaubensleben eintreten muß, wenn jemand sich zu einem Kampfe genötigt sieht, den er sich nicht vorgestellt hat, also hier einem Gegner gegenüber, der als überwunden anzusehen gewesen wäre.
Allerdings ist die Ausdrucksweise „unter die Sünde verkauft“ wenig schmeichelhaft; aber die Schrift redet immer, fern von jeder Beschönigung, bestimmt und genau. Es ist klar, daß auch der wiedergeborene Mensch, wenn er in derselben Art von der Sünde frei wäre, wie er von Natur ihr versklavt ist, Christus fernerhin nicht mehr bedürfen und zu einem Leben des Glaubens nicht mehr benötigt sein würde. Andererseits wird durch die Erfahrung der Befreiung in Christus, die der Glaube macht, die Erfahrung der eigenen Ohnmacht so wenig aufgehoben, als gerade die erstere Erfahrung, die Freiheit von der Herrschaftsmacht der Sünde, die auf Christus gestellt ist, immer durch die Erfahrung der eigenen Ohnmacht hindurchgeht. Hierdurch findet der scheinbare Widerspruch von Kapitel 6,18 mit Kapitel 7,14 seine volle Lösung, wie überhaupt im Christentum alles paradox, d.h. widersprechend erscheint; man ist gebunden und doch frei, arm und doch reich, man hat nichts und doch alles. Diese Paradoxie, die auf dem Glauben beruht, hätte man bei Römer 7,14 nicht aus den Augen verlieren sollen.
Versklavt unter die Sünde, - welch ein Geständnis! Als Leibeigener unter einem Gebieter zu stehen, der der überkommenen neuen Wesensart fremd gegenüber steht, den man haßt! Man merkt es dem Apostel an, wie er selbst diesem Tatbestande gegenüber aufs tiefste sich gedemütigt fühlt, - daneben freilich auch zugleich gehoben, da er dem „Ich kann nicht!“ zugleich - wie wir später sehen werden - ein „Ich kann“ entgegenzusetzen vermag, so jedoch, daß aller Ruhm nicht ihm, sondern einem anderen, Christus, zufällt. Und das ist letztlich der Zweck seiner Ausführungen in Römer 7,14, die Erlösung in Christus um so herrlicher hervortreten zu lassen. Mit dem ganzen Aufgebot aller Beweisführung will Paulus dartun, daß der Kampf aus den Kräften unserer Natur nicht geführt werden kann, und er tut dies mit einer Offenheit und Ausführlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt. Das Trugbild von der gepriesenen menschlichen Willensfreiheit wird dabei unbarmherzig zerstört. Man hat freilich das Schuldbewussten des Menschen immer bestehen lassen; mit demselben Ernst sollte man sich aber auch bereit finden, das Sündenmachtbewußtsein des Menschen zuzugestehen, das dem ersteren untrennbar zur Seite steht und in Wirklichkeit ebenso kräftig und energisch sich zu äußern weiß, weshalb wir dem Apostel danken, daß er ihm mit starken Worten Ausdruck gegeben hat. Der geistlichen Schwächlichkeit will er damit so wenig einen Freibrief ausstellen, als er hier im Punkte der Heiligung ebenso nur den Wahn der Selbsthilfe zerstören will, wie er dies Kapitel 3 und 4 im Punkte der Rechtfertigung getan hat. Aber gerade so, wie er dort die vergebende Gnade in Christus nur um so glanzvoller herauszustellen und zu preisen verstand, will er nun der überwindenden Freimacht dieser Gnade zu einer Anerkennung verhelfen, wie dies im folgenden Kapitel frohgemut geschieht. Beide Male liegen seine Ausführungen auf gleicher Linie; wer dabei stolpern will, mag die Ursache nicht suchen bei Paulus, sondern bei sich selbst.
Mit Kapitel 7,15 geht der Apostel dazu über, das in Vers 14 Gesagte näher zu begründen; die äußeren Umrisse erhalten durch Auftragung hervortretender Farben lebensvolle Frische. Es ist eigentlich ein schwerer Widerstreit, ein Zwiespalt, der seine Seele durchwühlt, den er nun schildert. Es geschieht dies zunächst in sechs ganzen Versen, die wieder in zwei Redepaaren von je drei Versen sich auseinanderlegen und doch bei genauem Zusehen einen Gedankenfortschritt erkennen lassen.
Gewisse Ausleger haben gemeint, daß es sich bei diesen sechs Versen um Wiederholungen handele und die Rede hier ungewohnt nachlässig sei. Man tut hier dem Apostel unrecht. Bei einem für das christliche Leben so wichtigen Gegenstand mußte er dankbar klar und unmißverständlich bleiben, das Letzte hervorholen und nichts unberührt lassen, was der Deutlichkeit Eintrag tun konnte. - Andere haben gesagt, daß der Apostel hier übertreibe. Wer aber mit aller Wärme der Rede so spricht, wie Paulus es hier tut, hat nicht übertrieben, sondern etwas gesagt, das im eigenen persönlichen Bewußtsein der Wahrheit entspricht. Wer aber in den Aussagen des Apostels nicht sein eigenes Erleben dargestellt findet, dem ist nicht zu helfen.
Treten wir diesen Aussagen nun näher und sehen wir, wie er sie begründet.
Vers 15: „Denn was ich tue, erkenne ich nicht; nicht was ich will, tue ich, sondern was ich hasse, tue ich.“ Wer so redet, befindet sich in einem Gegensatz, den der unwiedergeborene Mensch nicht kennt. Dieser Gegensatz wird hier in doppelter Hinsicht ausgesprochen: einmal ist es der Zwiespalt zwischen „erkennen“ und „tun“, sodann zwischen „wollen“ und „tun“.
Zunächst bekennt Paulus einen Widerspruch, der bei ihm bestehe zwischen „erkennen“ (ginósko) und „tun“ (katergádsomai = vollbringen, bewirken, ins Werk setzen). Aehnlich ist es bei einem Sklaven, der eben als Werkzeug seines Herrn handelt, ohne sich dessen Absichten bewußt zu sein. Das Fleisch in uns befindet sich in finsterer Umhüllung, so daß aus ihm die Sünde als Sünde nicht zu erkennen ist; wir sind in uns so arm daran, daß dies uns erst durch die Erleuchtung des Geistes Gottes zum Bewußtsein gebracht werden kann. Schlatter bemerkt zu dieser Stelle treffend: „Unzähliges von dem, was wir verrichten, bleibt uns völlig verborgen, so daß wir nachher erstaunt fragen: Soll ich das gemacht haben? Ist das mein Werk?“ Das Fleisch selber ist blind und bleibt blind, und es würde uns ohne Dazwischentreten des Geistes von oben ins Verderben reißen und zugrunderichten, weil es zugleich unser schlimmster Feind ist. Dem Sündenhange wohnt eine trügende Zaubergewalt inne, verbunden mit einer Betäubung, die es nicht zur klaren Besinnung kommen läßt. Deutlich tritt hier der Gegensatz von Fleisch und Geist zutage. - Andere (Steinhofer, Lohmann u.a.) nehmen das Wort „erkennen“ im Sinne von „verstehen“: „Ich bin mir selbst ein Rätsel.“ Ja, in der Sünde lebt ein Fleischeshang, dessen letztes Geheimnis uns verborgen ist. -
Sodann ist es der Widerstreit zwischen „wollen“ und „tun“. Hier ist das erkennende Wollen vorhanden, und die Situation ist eine andere. Der Sklave vollbringt auch nicht das, was er tun möchte, sondern oft das, was er verabscheut; sein Wille ist gehemmt und gebunden an den Willen des Gebieters. Steinhofer bemerkt: „Auf dem Kampfplatz der Sünde und Gnade geht es oft wunderlich her. Wenn Petrus oft meint, er wolle eher das Leben lassen, als Jesus verleugnen, so ist er am nächsten beim Fall. Wenn ich oft meine, ich sei guten Willens, so kommt es in der Behendigkeit der Versuchung oft anders und so heraus, daß ich das tue, was ich hasse, und wenn ich mich hintennach tausendmal anspeien möchte, so finde ich eben, daß ich mit Tränen wieder in den Gnadenweg hinein muß und der reichlichen und täglichen Vergebungsgnade den Ruhm lassen muß. Soviel aber beweist mein doppelter im Streit liegender Wille, daß, indem ich mich von dem, was im äußeren Tun herauskommt, mit meinem inneren Willen abziehe, so trete ich eben damit auf Gottes Seite hinüber und willige ein, daß sein Gesetz gut sei; die innewohnende Sünde ist meine mir zur Last gewordene Lust.“
Vers 16: „Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so stimme ich dem Gesetz bei, daß es gut sei.“ Diese Bemerkung ist besonders beachtenswert. Schon früher (Vers 12 und 14) hatte der Apostel dem Gesetze Gottes ein Loblied gesunden: es ist heilig, recht und gut, und es ist geistlich, - an sich tragend die Wesensart Gottes selbst. Nun ruft er, - und das ist ein echt paulinischer Zug seiner scharfsinnigen Darlegungskunst, - selbst das Fleisch zum Verteidiger und Befürworter des Gesetzes auf. In dem Widerspruch zwischen dem erkennenden Wollen und dem, was das Fleisch ins Werk setzt, findet er eine Bestätigung der Güte und Vortrefflichkeit des Gesetzes Gottes. Gott muß Recht behalten, wenn das Streben des Fleisches darauf geht, den Menschen zugrunde zu richten. Es ist der erste lichte Zug in dem düsteren Gemälde, das der Apostel entwirft. Es kommt aber noch besser.
Vers 17: „Nun aber tue ich nicht dasselbe, sondern die Sünde, die in mir wohnt.“ Es ist ein wahres Aufatmen, zu dem uns dieser Vers kommen läßt. Bisher konnte man fragen: Ist es wirklich so, daß der Apostel von seiner Person redet als einer Einheit seines Wesens. Denn in diesem Falle hätte die Anschauung vieler Ausleger und Artikelschreiber christlicher Zeitschriften nicht bestimmt abgewiesen werden können, daß das, was der Apostel in Römer 7,14 sagt, sich auf eine abgeschlossene Zeit seines Lebens beziehe. Jetzt aber vollzieht er innerhalb seiner Person die Scheidung einer Zweiheit, bei der eins das andere ausschließt: das Ich und die Sünde. Nun ist das Ich seiner Person von der Anklage entlastet, und es ist diese auf etwas gelegt, was von seinem Ich nicht nur unterschieden ist, sondern im Gegensatz zu demselben steht: die Sünde, welche er verpersönlicht und als eine außerhalb den Ich und für sich bestehende Größe hinstellt. Damit ist bejaht und klargestellt, daß er von jemanden redet, in dem diese Scheidung durchgeführt ist, nämlich von dem wiedergeborenen Menschen, da der natürliche Mensch diese nicht kennt. Nun wissen wir, wer der ist, der ihm die bewegliche Klage auf seine Lippen legt, nachdem er ihn mit Namen nennt: die Sünde, die innewohnende Sünde.
Dieser Vers sagt aber auch noch etwas anderes. mit erfrischender Deutlichkeit ist hier ausgesprochen, was es nun mit der Sünde auf sich hat. Indem der Apostel von seinem verantwortlichen Ich, von dem alle Entscheidungen ausgehen, diese Sünde unterscheidet, gibt er zu erkennen, daß sie in die innerste Citadelle seines Wesens rechtmäßig nicht mehr hineingehört und daß sie dort, wo sie vordem das ausschließliche Kommando und Bestimmungsrecht besessen, hinausgedrängt ist in die Peripherie, womit es auch zusammenhängt, daß später Vers 23 von den Gliedern als dem Sitz der Sünde die Rede ist. Weil sie eben bleibt, was sie ist und ihr Wesen nicht ändern kann, sagt sie wie ein verärgerter Rebell von dort aus ihre Fehden an, um bei jeder Gelegenheit ihre Truppen zu mobilisieren. Dieser geschworene Feind weiß, daß er einmal ganz räumen muß, und darum liegt er mit verdoppelter Spannung allezeit auf der Lauer, jede sich ihm zeigende schwache Stelle zu einem Durchbruch zu benutzen und Verwirrung und Unheil anzurichten. Die volle Verantwortung des Ich bleibt hierbei immerhin bestehen, und es ist bequem, aber unzulässig, etwaige Niederlagen auf das Fleisch abzuwälzen und diesem die Schuld beizulegen.
Wenn der Apostel von der Sünde sagt, daß sie in uns „wohnt“, so ist damit allerdings ausgesprochen, daß sie in uns seßhaft ist, - doch auf Kündigung, die ihr verbrieft ist und worauf wir noch kommen werden. Als Adamssöhnen müssen wir ihr dermalen noch dieses Wohnrecht gestatten, und es ist dabei unvorstellbar, daß sie, wie sie einmal in uns haust, ihre Verstörungen ohne unsere Beteiligung ins Werk setzen kann. Wir sind mit ihr verkoppelt dermaßen, daß ihre Wirkungen für uns schuldhaft sich vollziehen, und zwar so lange, bis die Räumung durchgeführt sein wird.
Mit Vers 18 - 20 ist nun ein Vorstellungskreis in die Erörterungen des Apostels eingeschoben, der genau den Ausführungen in Vers 15 - 17 entspricht, und es könnte die Frage auftauchen, weshalb der Apostel das, was er schon einmal gesagt hat, hier wiederholt. Wenn wir aber näher zusehen, wird diese Wiederholung klar; denn nun ist die in Vers 17 ausgesprochene Scheidung innerhalb seiner Person, nämlich seines Ich einerseits und der Sünde andererseits, auf die gleichen Aussagen angewendet, die wir in Vers 15 - 17 vor uns hatten. Wir bewundern die Genauigkeit und Sorgfalt, die der Apostel anwendet, um jedem Mißverständnis darüber, was er sagen will, vorzubeugen. Gleichzeitig mutet uns diese Wiederholung an, als ob er das abgelegte traurige Geständnis noch schmerzlicher empfände als vordem. Der Gegensatz tritt nun noch schärfer hervor, indem klar ausgesprochen ist, daß die innewohnende Sünde, das Fleisch, etwas ihm Wesensfremdes ist und seinem erneuerten Ich nicht mehr angehört, womit ein neuer hoffnungsvoller Ton in der Rede durchklingt.
Angesichts der unzweideutigen Klarheit, welche mit dieser Wiederholung in den ganzen Abschnitt gebracht ist, ist es fast unverständlich, wie man demselben eine Deutung geben konnte, die der Apostel mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln abzulehnen bemüht ist. man wird ihm schon zutrauen müssen, daß er das Zeug besitzt, das, was er sagen will, klar auszudrücken, und es verstößt gegen alle Regeln der Auslegung, anzunehmen, daß er etwas anderes gedacht und gemeint habe, als was er mit deutlichen Worten, geradezu mit einer Umständlichkeit sagt. Es ist an uns, an die Schrift immer keusch heranzugehen und nicht sie zu meistern. Das Bestreben aber das, was der Apostel in Römer 7,14 f. vorträgt, auf eine Erfahrung seines Lebens zu beziehen, die er gegenwärtig nicht mehr mache, kann nur darauf bestehen, daß man es mit dem Sündenbegriff nicht genau nimmt oder in dem Kampfe wider die Sünde sich noch nie in Tränen gebadet hat.
Die Worte Vers 18 - 20 wolle der Leser selbst in seiner Bibel nachschlagen.