Schmieder, Heinrich Eduard - Die unschuldigen Kinder.

Schmieder, Heinrich Eduard - Die unschuldigen Kinder.

Herodes, von Geburt ein Edomiter, war durch die Gunst des römischen Kaisers Augustus zur Herrschaft über Palästina gelangt, und, um sich auf dem unrechtlich erworbenen Throne zu befestigen, hatte er alle Sprößlinge aus dem Geschlecht der Maccabäer, welche einst die Juden von dem tyrannischen Joche des gottlosen Königs Antiochus Epiphanes durch heldenmuthige Glaubensthaten erlöst hatten, ermordet, unter diesen auch seiner eigenen Gattin Mariamne, und seiner von dieser Mutter gebornen Söhne, Alexander und Aristobulus, nicht verschont. Als er im 37sten Jahre seiner Regierung und im 70sten Jahre seines Alters stand, ward unser Herr Jesus Christus zu Bethlehem geboren, wie der Prophet Micha geweissagt hatte: Herodes aber hatte ein böses Gewissen und war mit den Jahren immer argwöhnischer und grausamer geworden. Als nun Weise aus dem Morgenlande nach Jerusalem kamen und verkündigten, der verheißene König der Juden sei geboren, sie hätten im fernen Lande seinen Stern am Himmel gesehen, und als sie nach Bethlehem gingen, um den neugebornen König des Reiches Gottes anzubeten, da erschrak Herodes und fürchtete für seine Krone, die er wie ein Räuber gewonnen. Er verstellte sich aber gegen die Weisen und sprach zu ihnen: „Ziehet bin und forschet fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr es findet, so saget mir's wieder, daß ich auch komme und es anbete.“ (Matth. 2, 8.). Die Weisen aber kamen nicht wieder gen Jerusalem, sondern zogen auf einem andern Wege in ihr Land: denn Gott der Herr hatte ihnen dies im Traume geboten. Als Herodes lange vergeblich gewartet hatte, da wurde er sehr zornig und machte einen bösen Anschlag, wie er doch sicherlich das Christuskind in Bethlehem tödten wollte, dessen Alter er freilich nicht genau wissen konnte. Er ließ alle Kinder in Bethlehem und der Umgegend, die zweijährig und drunter waren, erwürgen: denn er dachte, so könnte das heilige Christuskind ihm nicht entgehen. Das ist der bethlehemitische Kindermord, dessen Andenken die christliche Kirche am 28. December feiert, und dieser Tag heißt dann der Tag der unschuldigen Kindlein. Das Jesuskind aber war zuvor der Verfolgung entrückt: denn der Engel des Herrn war seinem Pflegevater Joseph im Traume erschienen und hatte gesagt: „Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter zu dir und fliehe in Egyptenland, und bleibe allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, daß Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen.“ Und Joseph hatte gethan, wie ihm der Engel im Traum geboten (Matth. 2, 13-15.).

So zeigte Gott an Herodes, wie alle Macht und List der Gottesfeinde doch ohnmächtig ist, das Gnadenwerk des Herrn zu hindern, und wie die, so Christum hassen, mit ihren bösen Thaten nur ihre heimliche Bosheit offenbaren müssen, damit es aller Welt klar werde, daß Gottes schreckliches Gericht über sie gerecht ist und der allmächtige Gott sie mit großer Langmuth getragen hat. Bald nach dem grausamen Kindermorde starb Herodes und nahm ein schreckliches Ende. Eine böse Krankheit verzehrte ihn: seine Eingeweide waren entzündet, die Füße schmerzhaft geschwollen, in den aufgebrochnen Wunden erzeugten sich Würmer, ängstliche Zuckungen erschütterten seine Glieder und ein unerträglicher Geruch ging von seinem Munde aus. In diesem elenden Zustande wurde er von den Aerzten in einen Badeort am todten Meere geschickt: dort starb er unter Qualen der Seele, die noch schlimmer waren, als alle Leibesqualen, voll Verdruß und Ingrimm, nachdem er noch vier Tage vorher seinen Sohn Antipater hatte hinrichten lassen. Die Welt nannte ihn den Großen, der Herr hat anders über den Feind Christi und den Mörder der unschuldigen Kinder gerichtet. Der Kaiser Augustus, der ihm sonst gewogen war, mochte von diesem Kindermord eine etwas verfälschte Kunde erhalten haben, als ob Herodes den neugebornen König der Juden wirklich getödtet habe, und dieser ein eigener Sohn des Tyrannen gewesen, und soll darüber das bittere Wort ausgesprochen haben: „Es sei besser, ein Schwein des Herodes zu sein, als sein Sohn.“ Denn als ein Jude ließ er doch die Schweine ungeschlachtet.

Wie einst Pharao die neugebornen Söhne in Israel tödten ließ, so wollte Herodes den König des Volkes Gottes tödten: in Folge dessen führte der Herr den König seines Volks nach Egypten, wie in frühern Zeiten das ganze Volk. Wie er aber zu seiner Zeit das Volk aus Egypten gerufen und zu Pharao gesprochen: „Israel ist mein erstgeborner Sohn, und ich gebiete dir, daß du meinen Sohn ziehen lassest, daß er mir diene: wirst du dich des weigern, siehe! so will ich deinen erstgebornen Sohn erwürgen!“ (2 Mos. 4, 22. 23.), so wurde nun der, welcher in voller Wahrheit allein der erstgeborne Sohn Gottes ist, nach kurzer Frist aus Egypten nach Canaan zurückgeführt und so das Wort des Herrn, das durch den Propheten Hosea (Cap. 11, 1.) geschrieben ist, vollkommen erfüllt: „Aus Egypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ (Matth. 2, 15.). Der Feind Herodes mußte also ohne sein Wissen und Willen dazu mitwirken, daß die Kindheit Jesu, des Königs von Israel, der Kindheit seines Volkes darin glich, daß auch er als Kind ein Fremdling in Egypten ward. Mag man immerhin mit Recht sagen, auch ohne diese Uebereinstimmung in solchen äußerlichen Zeichen sei es doch unzweifelhaft, daß Christus der Heilige in Israel von jeher gewesen, es liegt doch in dem scheinbar zufälligen Zusammentreffen der Schicksale des vorbildlichen Volks und des urbildlichen Königs ein mächtiges Zeugnis der allumfassenden Vorsehung Gottes, und auch die heiligen Evangelisten und Apostel haben darauf einen Werth gelegt.

Eine große Menge der Menschen stirbt schon in der frühen Kindheit: viele unschuldige Kinder sind auch in grausamen Kriegen gewaltsam getödtet worden, und man hat sich daran gewöhnt, in der Weltgeschichte dieses so hinzunehmen, ohne zu fragen: Warum läßt Gott dies geschehen? Mag dies nun daher kommen, daß man die Weltgeschichte oft auch nur mit weltlichem Auge ansieht und gar nicht an den allwaltenden Gott denkt, oder daher, daß man sich bescheiden gewöhnt hat, auf die Einsicht in Gottes Wege dabei zu verzichten, in der heiligen Geschichte ist es doch anders und bei der Erzählung von dem Mord der unschuldigen Kindlein in Bethlehem tritt uns der Versucher recht nahe mit der Frage: „Aber konnte denn Gott seinen Sohn nicht auf andre Weise retten, als daß er dieses vergebliche Blutbad geschehen ließ? und wenn er es konnte, warum wollte er's nicht? warum mußten so viele Mütter bitterlich weinen, damit die Mutter des Herrn nicht weinte?“ Auf diese Fragen gibt es allerdings keine befriedigende Antwort, als diese: In dieser Welt der Sünde und des Todes sollten wir uns nicht darüber wundern, daß einmal etwa zehn bis zwölf unschuldige Kinder sündhafter Aeltern erwürgt worden sind, sondern darüber, daß so viele Kinder, die in Sünden empfangen und geboren sind und später Gottes heiligen Namen fänden, am Leben bleiben. Das Grab der Mutter der Stämme Ephraim, Manasse und Benjamin, nahe bei Bethlehem, erinnerte an viel mehr Mutterthränen, als jetzt in den Grenzen Bethlehems vergossen wurden. Hier war Rahel über der Geburt ihres Schmerzenssohns gestorben: hier hatte so manche Rahel in der Zeit, wo Israel in die Gefangenschaft nach Babel geführt wurde, über ihre Kinder geweint. Der Prophet Jeremia hatte damals weissagend gesprochen: Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens, Weinens und Heulens: Rahel beweinete ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen; denn es war aus mit ihnen. (Jerem. 31, 15.). Dies ging nun wörtlich in Erfüllung (Matth. 2, 17. 18.), und sollte ein Zeichen seyn für alle Zeiten, daß Trauer und Tod in der sündhaften Welt bleiben muß bis an das Ende der Tage, und daß Beides durch Christum nicht weggenommen, sondern überwunden werden soll. Ja, wie Jesus selbst erhalten wurde, um später für die Sünde der Welt am Kreuze zu sterben, so sollen wir an der Erwürgung jener unschuldigen Kinder erkennen, daß um Christi willen auch Viele, die ihm angehören, Leib und Leben aufopfern müssen. Aber für diese Trübsale haben wir den überschwenglichen Trost, daß die, so dadurch bewährt sind, durch Christum Auferstehung und ewiges Leben hoffen dürfen.

Die unschuldigen Kindlein in Bethlehem sind die ersten Knospen an dem großen Baume der Kirche, die um Christi willen mit ihrem eigenen Blute geröthet sind, gleichsam noch unreife Märtyrer, Blutzeugen Christi, weil sie für ihn gestorben sind, aber doch nicht Zeugen Christi, weil sie ohne Wissen und Willen für ihn gelitten. Dies ist der Punkt, den die Kirchenväter seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts besonders hervorgehoben haben. Diese rührenden Erstlinge, die als bewußtlose Kinder nicht mit Wasser, sondern mit ihrem eigenen Blute auf Christum getauft sind, sollen die reifen Christen erwecken, ihren Glauben durch das Bekenntnis, ihr Bekenntnis durch die Bluttaufe zu bewahren. „Jene Schar des Königs“ sagt der Bischof von Ravenna, Petrus Chrysologus (+ um 450) in einer Predigt über den bethlehemitischen Kindermord „sie will lieber vor ihm als mit ihm sterben: die Christo geweihten Streiter beginnen eher zu streiten als zu leben, eher zu kämpfen, als zu spielen, eher ihr Blut zu vergießen, als die Milch aus der Mutterbrust zu trinken: sie empfangen eher Wunden als Küsse: sie bewohnen den Himmel eher als die Erde, erlangen den Lohn des Geistes eher als die Reife des Leibes“. „ In der That, meine Brüder,“ - so fährt er fort - sie sind die wahren Blutzeugen der Gnade (ohne alles eigne Verdienst): sie zeugen schweigend, kämpfen unbewußt, siegen bewußtlos, sterben, ohne es zu wissen, schwingen die Siegespalme, ohne sie zu kennen, ergreifen die Krone, ohne es zu ahnden.„ Ja, es ist etwas Geheimnisvolles in einer solchen Opferung des Lebens für Christum, die doch nur Verhängnis, nicht eigne That ist. Sollte dem Menschen das belohnt werden, fragst du - was nicht seine That ist? Sollte aber Gott nicht eine Aufopferung von unschuldigem Blute vergelten, - fragt ein Andrer - die ganz für ihn geschehen ist? und ist nicht auch in denen, die willig für Christum ihr Blut vergießen, die Kraft und Gnade Gottes das, was sie dazu tüchtig macht? Belohnt nicht auch in ihnen Gott nur das, was Er durch sie und in ihnen gewirkt hat? wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß ihm werde wiedervergolten? Sind alle Märtyrer nur aus Gnaden geworden, was sie sind, so kann diesen Kindern, die um Christi willen starben, die geheimnisvolle Ehre eines unbewußten Märtyrerthums nicht mit Unrecht zugesprochen werden. Der christliche Dichter Prudentius singt von jenen unschuldigen Kindlein:

Willkommen, ihr Märtyrerknospen,
Die gleich an der Schwelle des Lebens
Der Christusfeind hat erwürget,
Wie der Sturm die knospenden Rosen!
Ihr Erstlingsopfer Christi,
Eine zarte Lämmerherde,
Spielet unter dem Altar
Unschuldig mit Palmen und Kronen.

Heinrich Eduard Schmieder in Wittenberg.

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