Schlatter, Adolf - Römerbrief, Kapitel 1-6

Schlatter, Adolf - Römerbrief, Kapitel 1-6

Den Text gibt es als kostenloses eBook in der Lesekammer

Vorwort zur ersten Auflage

Den Anlaß zu diesem Büchlein boten mir Reden, die ich im Winter 1885/86 vor einem Kreise von Männern über den Römerbrief zu halten hatte. Die Schrift auslegen, das ist große Freude. Da stehen wir sofort in einem Reichtum von Licht und Wahrheit, der das Herz jubeln macht, und zwar ist es Licht des Lebens, das zugleich erleuchtet und belebt. Drum lasse ich gerne, was ich damals einem kleinen Kreise bieten konnte, auch anderen dienen.

Wie kann die Gemeinde gegenwärtig eine feste christliche Stellung erlangen außer durch eigenen Einblick in die Schrift? Im Gewoge der Gedanken und Lehren unter uns, bei den Gegensätzen innerhalb des kirchlichen Lehrstandes ist ein jeder, der nach Gott begehrt, selbst auf die Schrift gewiesen, dass er selbst das Zeugnis der Apostel vernehme und selbst sich auf dasselbe gründen lerne. Wer den Römerbrief im Verlangen nach der Wahrheit und Gerechtigkeit, die vor Gott allein gelten, liest, wird ihn freilich in der Hauptsache auch ohne Ausleger und Hilfsmittel verstehen. Immerhin können wir von einander zum Verständnis der Schrift wesentliche Unterstützung und Förderung empfangen, und mich dünkt, unsere theologischen Fakultäten sind in dieser Hinsicht, um mit Paulus zu reden, die Schuldner der Kirche; sie haben unbeschadet ihres speziell wissenschaftlichen Berufs auch eine Aufgabe für die Gemeinde, und zwar vor allem die, ihr den Weg zu öffnen in die Schrift.

Eben darum, weil dieses Büchlein lediglich dem Wort des Apostels nachzudenken strebt, wünsche ich demselben ohne Furcht und Scheu viele Leser, allerdings nur solche, welche nicht nur die Auslegung, sondern zuerst und zugleich den Brief des Apostels selber lesen.

Zur zweiten Auflage

Mag auch das erste Vorwort ein etwas jugendliches Gepräge haben: nach seinem Kerne spricht es die Überzeugungen aus, um deren willen ich dieses Büchlein gern zum zweiten Male bearbeitet habe. Es hat überall da eine veränderte Gestalt erhalten, wo ich fürchten musste, dass die Auslegung wegen ihrer nur andeutenden Eile oder wegen einer gewissen abstrakten Blässe dem Texte wenig werde gedient haben.

Zur dritten Auflage

Es ist mir ein Grund zu großer Dankbarkeit, dass dieser Versuch, zum Gebrauch des Neuen Testamentes anzuleiten, zahlreiche Leser gefunden hat. Es hat sich auch bei diesem Anlaß gezeigt, dass Gottes Güte unserem Volk immer noch eine Gemeinde erhalten hat, die das apostolische Wort zu hören begehrt.

Kap. 1,1-17 - Warum Paulus wünscht, nach Rom zu gehen.

Als Paulus in Kleinasien und Griechenland einen Kreis von christlichen Gemeinden gegründet hatte, die das Evangelium bei sich erhalten und in ihrer Umgebung verbreiten konnten, hatte er den dringenden Wunsch, Rom zu besuchen. Die Weltstadt, wo aus allen Völkern eine Menge von Menschen sich sammelte, war für den Heidenapostel der rechte Ort. Zudem war Rom die Kaiserstadt, die das ganze Reich beherrschte. Wie es dem Evangelium in Rom erging, war für die Kirche allerorts von großer Wichtigkeit. Endlich konnte er von Rom aus auch die westlichen Vöker erreichen, und er hätte es sich zur Freude gemacht, wenn er das Evangelium bis an das Ende der ihm bekannten Welt, bis nach Spanien, hätte bringen können. Weil er aber den römischen Christen persönlich noch unbekannt war, benützte er seinen letzten Aufenthalt in Korinth, um ihnen seinen Besuch vorher anzuzeigen und ihn dadurch vorzubereiten, dass er ihnen jetzt schon das Verständnis gab für die Regel, nach welcher er Christentum predigte und die Gemeinden zum Glauben an ihn berief.

Sein erstes Wort giebt es eine Beschreibung seines apostolischen Amts, V.1-6. Er hält sein Amt in Ehren und will von der Gemeinde von Anfang an gehört sein als der, den Gott mit einer besonderen Sendung beauftragt hat. Darum betont er, dass Gott ihm seinen Beruf gegeben hat. Er erreicht damit beides, dass uns das Gewicht seines Wortes deutlich wird, und zugleich, dass jeder ehrgeizige, herrische Schein seinem Briefe fern bleibt. Er ist Christi Knecht, dem er mit Leib und Leben angehört, wie ein Knecht seinem Herrn. Darum kann er nicht selbst bestimmen, was er thun und sagen will, kann auch bei seinem Amt nichts für sich selber suchen, sondern in Christus liegt allein der Grund und das Ziel seiner ganzen Wirksamkeit. Das Auge des Knechts schaut auf den Willen und den Vorteil seines Herrn. Ein göttlicher Ruf hat ihn zum Apostel gemacht, nicht eigne Wahl, und dadurch ist er aus der Reihe der übrigen Menschen ausgesondert, aber nicht, damit er sich selber predige und seine eigne Meinung verbreite, sondern damit er Gottes Evangelium verkündige. Von der Herrlichkeit des Evangeliums hängt deshalb die Größe seines Amtes und segensreiche Frucht seines Werkes ab.

Die Größe des Evangeliums besteht darin, dass es Gottes Zusage zur Erfüllung bringt, die er früher durch seine Propheten gegeben und durch das geschriebene Gotteswort allen bekannt gemacht hat, V.2. Dadurch verbindet Paulus sein Amt mit der älteren Offenbarung Gottes. Er ist der Nachfolger der Propheten; was Gott durch sie begonnen hat, kommt durch des Apostels Werk zu seinem Ziel. Er hat nun den Beruf, der Welt zu sagen, dass Gott sein Versprechen erfüllt hat und dass die Hilfe erschienen ist, von der die Propheten verheißend redeten.

Dass Paulus den Propheten an die Seite tritt, ja noch höher steht als sie, das hängt daran, dass er den Sohn Gottes zu verkündigen hat, V.3. Das ist der einzige, unerschöpflich reiche Gegenstand seines Evangeliums. Der Sohn Gottes ist die Erfüllung der göttlichen Versprechungen und die Vollendung dessen, was Israel durch die alttestamentliche Schrift verkündigt war. Wollen wir Paulus verstehen, so müssen wir das fest im Gedächtnis behalten: sein Evangelium faßt sich in das eine Wort zusammen: der Sohn Gottes ist gekommen. Alle lehrhaften Erörterungen seines Briefes wollen uns nur das eine faßlich machen, was dadurch für uns geschehen ist.

Am Sohne Gottes hebt er zwei Dinge hervor, die zusammen das Evangelium ausmachen, einmal, dass derselbe in unsrer Art zu uns gekommen ist als ein Glied des menschlichen Geschlechts, und sodann, dass er von uns weg an den Ort gesetzt ist, der ihm als dem Sohne Gottes gebührt, V.3 u. 4. Er ist aus Davids Geschlecht hervorgegangen, wie es in der Schrift verheißen war und wie Israel ihn erwartete. Dadurch hat er an unsrer natürlichen Eigenschaft, am Fleische, teilgehabt. Sohn Davids ist er geworden, weil er nicht in Gottes Gestalt unter uns trat, sondern uns gleich geworden ist und sich zu uns herab erniedrigt hat. Dadurch war er aber noch nicht als Gottes Sohn offenbar. Vielmehr verbirgt seine irdische Lebensgestalt keine Abkunft von oben und dient seiner Einigkeit mit dem Vater zur Verhüllung. Er hat aber nicht nur am Fleisch, sondern zugleich am Geist der Heiligkeit Anteil gehabt. Heiligkeit ist das Wort, mit dem wir die Erhabenheit und Reinheit Gottes anbetend ehren, wenn unser Blick von ferne die göttliche Lebens- und Herrlichkeitsfülle ahnt. Der Geist trägt sie in sich und giebt sie dem, in dem er wohnt. Durch ihn war Jesus eingeschlossen in Gottes Heiligkeit. Schon damals, als er noch im Fleische war, war der Geist das innere Lebensband zwischen ihm und Gott, aber damals noch unter der Hülle des Fleisches, verborgen in dessen Schwachheit und Niedrigkeit. Dass Gottes Herrlichkeit sein eigen ist, das war damals noch nicht an ihm zu sehen. Als er aber auferweckt ward, da erschien die Macht des Geistes an ihm und seine Heiligkeit ward offenbar. Da ward er durch den Geist erhoben über das, was dem Fleische zugehört, und ins himmlische Wesen versetzt. Dadurch ist er mit Macht in die Stellung eingesetzt, die dem Sohne Gottes eigen ist, und steht nun vor uns nicht nur als eines Menschen, sondern als Gottes Sohn.

Dabei eilt der Blick des Apostels sofort von Jesu eigener Auferstehung zum Ende seiner Werke hin, zur Spendung des ewigen Lebens an die Welt, weshalb er sagt: durch die Auferstehung der Totensei er zum Sohne Gottes gesetzt. Aus der Auferstehung Christi schöpft er die Gewißheit, dass wir ihm aus dem Tode ins Leben folgen werden. Und dadurch, dass Jesus ewiges Leben giebt und uns mit ihm aus der Fleischgestalt emporhebt in die vom Geist voll Heiligkeit geschaffene Gestalt, dadurch wird er erst recht als der Sohn Gottes offenbar. Dann zeigt es sich in vollkommener Weise, dass er an allem teil hat, was Gottes ist, als der Sohn, der durch den Geist mit dem Vater in vollkommener Einheit steht.

Der Blick auf Jesus erklärt uns den besonderen Auftrag, den Paulus empfangen hat. Er hat ihn durch seine Gnade zu seinem Boten gemacht, damit unter allen Völkern, nicht nur unter Israel, sondern auch unter den Heiden Glaube entstehe. Denn durch den Glauben werden wir Gott gehorsam. Dadurch, dass wir unser Vertrauen auf Christus stellen und ihn als unseren Herrn erkennen, werden wir dem Willen Gottes unterthan. Dass aber jedermann, auch die Heiden, durch Glaube Gott sich untergebe, das dient dem Namen Christi zur Verherrlichung. Dadurch tritt ans Licht, wie reich und mächtig seine Gnade ist, V.5.

Der Dienst, den Paulus auszurichten hat, setzt ihn auch mit den römischen Christen in Verbindung. Es ist ein doppeltes Band, dass zwischen ihnen besteht. Sie gehören auch zu jenen Völkern, für die ihm Christus Gnade und Apostelamt verliehen hat, und sie gehören auch schon Christo an, infolge des göttlichen Rufs, durch welchen sie zu ihm hingeleitet worden sind. Daher werden sie das Wort des Apostels mit Freuden aufnehmen und an seiner Arbeit sich mit lebendigem Interesse beteiligen, wie er selbst ihnen, als den zu Christo berufenen, gern alle Gabe darreicht, die er selbst empfangen hat, V.6. Er hebt auch ihnen, wie er das segnende Wort über sie spricht, die Ehre und Würde ihres Christenstandes hervor. Wem das Evangelium gegeben ist, dem ist Gottes Liebe geschenkt, und Gottes Ruf hat ihn zu einem Heiligen gemacht. Wie der Priester durch seine göttliche Berufung heilig wird, oder wie Gott zum Propheten sagt: ich habe dich geheiligt, weil er ihn in seinen Dienst berufen hat, so sagt Paulus auch von denen, an die der Ruf Gottes im Evangelium gekommen ist, dass solcher Ruf ihnen Heiligkeit verliehen hat. Wer durch Gottes Wort und Einladung ihm verbunden ist, auf den legt sich etwas von der Ehre Gottes und er hat Anteil an der Heiligkeit, die von Gott her allen zufällt, was Gottes ist. Uns liegt nun ob, die empfangene Gabe nicht zu verderben durch unsre Gott widerwärtige Art.

Paulus war damals in der Christenheit bereits ein bekannter Mann geworden, auch in Rom schon vor seinem Brief. Darum enthält derselbe keinerlei Angaben aus einer Lebensgeschichte. „Paulus, ein Knecht Jesu, zum Apostel berufen“: wer das war, das wußte man in Rom, und er musste ihnen nicht erst erzählen, wie ihm Christus erschienen war und ihn zu seinem Boten berufen hatte, wie er nun schon seit Jahren Missionsarbeit that und Gemeinden sammelte. Aber mit dem Ruf seiner besonderen Sendung und Arbeit war auch der Anstoß weithin gedrungen, den man an ihm nahm, und die Bedenken und Besorgnisse, die er wider sich erregte. Als er wenig später, nachdem er den Römerbrief geschrieben hatte, in Jerusalem war und mit den dortigen Ältesten verkehrte, sagten sie ihm: die gläubigen Juden, deren es viele Tausende giebt, sind alle über dich berichtet, dass du den Abfall lehrst von Mose und dem Gesetz, vgl. Ap. 21, 20f. So war sein Ruf, den ihm die Kraft und Freiheit seinen Glaubens zugezogen hatte. Der Gedanke an solche Befürchtungen wird ihn auch begleitet haben, als er zum ersten Mal mit den Römern redete. Er betont deshalb in der Beschreibung seines Apostelamts die Einheit seines Evangeliums mit der Schrift und mit der Hoffnung Israels. Er wehrt den Gedanken ab, als hätte er ein eigenes „Paulinisches“ Evangelium erfunden. Was er verkündigt, ist die von Gott ihm gegebene Botschaft, die schon in der Schrift als Gottes gnädige Zusage enthalten ist. Er dient dem Sohne Davids, wie ihn Israel erwartete, und dem auferweckten Sohne Gottes, wie ihn die ganze Christenheit von Anfang an in Jesus fand. Zugleich aber hebt er die besondere Gabe und Aufgabe hervor, die er im Unterschied von allen andern empfangen hat, seine Sendung zu den Heiden im Glauben an den Auferstandenen, um deswillen ihm alles, was nur unserer natürlichen menschlichen Art, „dem Fleische“, eigen ist, wertlos und nicht geworden ist, so dass er im Blick auf seine Auferstehung niemand, auch Israel nicht, ja auch Jesum nicht mehr nach dem Fleische kennt, sondern nach dem Geist wandelt und nach jenem Leben trachtet, das im Auferstandenen erschienen ist.

Obgleich Paulus die Römer noch nicht kannte, so stand er doch schon in einer kräftigen und lebendigen Gemeinschaft mit ihnen. Sie hatten schon damals Anteil an seinem unablässigen Gebet, V. 8-12. Er dient Gott am Evangelium nicht nur mit dem Mund im Verkehr mit den Menschen, sondern auch inwendig in seinem Geist. Ununterbrochen steigt sein Danken und Bitten zu Gott empor; in diesen seinen verborgenen priesterlichen Dienst sind auch die Römer eingeschlossen. Er dankt für ihren Glauben, er bittet um seine baldige Ankunft in ihrem Kreis. Durch Christus dankt er seinem Gott, weil Paulus sein ganzes geistiges Leben, zumal sein Gebetsleben, aus Christus schöpft. Wenn ihn der Glaube der Römer freudig bewegt und als ein Gnadengeschenk Gottes ihn zum Danken treibt, so rührt dies daher, dass Christus seinem Herzen nahe ist und dasselbe mit seinem Geist bewegt. Deshalb ist er auch gewiß, dass sein Danken und Bitten Gott zum Wohlgefallen vor seinen Thron gelangt. Was durch Christus gewirkt ist, kommt vor Gott.

Nicht Furcht für die Römer macht, dass er so dringend um seine Reise nach Rom bittet. Er schätzt den Glauben, den sie haben, nicht gering. Aber sein Besuch würde sie fördern und ihnen neue Gabe und Stärke bringen, und er erwartet auch für sich selbst von seinem Aufenthalt unter ihnen Ermunterung und Aufrichtung. Wir werden mit einander ermutigt werden durch unseren gemeinsamen Glauben, V.12. Er wird sich an ihrem Glauben erfrischen, wie sie sich an dem seinigen. Das ist nicht nur eine feine, freundliche Form der Bescheidenheit, obwohl ihm allerdings daran liegt, jeden bösen Schein zu meiden, als wollte er gebieterisch und gewaltsam in ihr inneres Leben eingreifen, als käme er als Zuchtmeister, der sie in seine eigene Glaubensweise hineintreiben wollte. Darum hebt er die freie Gemeinsamkeit und den innerlichen Austausch hervor, den sein Besuch ihnen bringen wird. Er hat sich aber auch für sich selbst auf denselben gefreut. Er hatte im Kampf mit ungläubigen Juden, in der Arbeit an zerrütteten Heiden und an verdrehten, unlautern Christen so manchen schweren Tag. Er erwartet für sich freudige, ermutigende Tage, wenn er die junge Gemeinde Roms um sich versammelt sieht. Weil der Apostel mit freudiger Hoffnung auf die Gemeinde in Rom blickte und nicht besondere Störungen in derselben ihn zu seinem Briefe nötigten, hatte er die Freiheit, denselben zu einem großen Lehrbau zu gestalten, der in Ruhe und wohlgeordnetem Fortgang der Gedanken die ganze Stellung der Christenheit vor Gott überschaut, von unserer tiefsten Verderbnis an empor zum jubelnden Triumph der Hoffnung, die in Christo im seligen Genuß der Liebe Gottes steht.

Schon aus dem, was der Apostel über sein Beten mitgeteilt hat, konnten die römischen Christen sehen, dass Paulus ernstlich an eine römische Reise dachte. Nun betont er diesen Punkt noch besonders, V.13-15. Es liegt ihm daran, dass sie darauf vorbereitet seien, dass er vielleicht schon bald bei ihnen eintreffen wird. Allerdings sollen sie auch das bedenken, dass er in solchen Dingen niemals ein bestimmtes Versprechen geben kann, sondern im Drang und Kampf seiner Arbeit vielfältiger Verhinderung ausgesetzt ist. Aber auch daran erinnert er sie schon jetzt, dass er nicht zu einem müßigen Besuche kommt, sondern um Frucht zu ernten bei ihnen durch thatkräftige Missionsarbeit. Er wünscht deswegen, dass die Römer seinen rastlosen apostolischen Eifer verstehen. Was treibt ihn nach Rom? Was läßt ihn auch dort nicht ruhen? Warum kennt er keine Ermüdung und erschreckt ihn keine Gefahr? Warum kann er´s nicht lassen, sich mit jedem Menschen abzugeben, einerlei welchem Volk er angehöre, ohne zu fragen, ob er ein Grieche sei oder ein Fremdling, wie roh oder gebildet er sei, ob er weise oder unverständig sei? Wenn die Römer den Arbeitsdrang des Apostels nicht verstanden, so konnten sie sich leicht an seiner Weise stoßen und allerlei Bedenken Raum geben: Paulus bringe Störung in ihr Gemeindeleben und setze sie unnötigen Gefahren aus. Drum will Paulus jetzt schon ein völliges Einverständnis herstellen zwischen sich und ihnen. Sie sollen begreifen, warum er der unermüdliche Apostel ist, für den es die größte Freude ist, wenn er mit dem Evangelium auch nach Rom gelangen kann.

Er ist der Heiden Schuldner. Durch seine Arbeit erstattet er den Heiden eine Schuld, die er ihnen abzuzahlen hat. Gott hat sie an ihn gewiesen, dass er ihnen das Evangelium bringe. Dadurch haben sie einen Anspruch an ihn, ein Anrecht darauf, dass er ihnen den Weg zu Christo zeige, und er will nicht als untreuer Schuldner an ihnen handeln, der das ihm gegebene Gut unterschlägt. Solcher Art ist seine Willigkeit, auch in Rom das Evangelium zu predigen.

Er bringt den Heiden nichts als das Evangelium. Dessen Herrlichkeit macht ihn so reich, dass er allen Heiden zu verschaffen vermag, was ihnen not thut. Wollte er sich zurückziehen und schweigen, so könnte dies nur daher rühren, dass er sich des Evangeliums schämte, V.16. Aber er weiß, das dasselbe Gottes Kraft ist. Wo sich Gottes Kraft wirksam macht, da giebt´s keinen Raum für die Furcht und das Verzagen. Rom war damals die Beherrscherin der Erde; aber solche Macht ist in den Augen des Apostels nichts. Paulus ist reicher als die Herren der Welt. Denn er bringt den Menschen Gottes Kraft.

Und zwar ist das Ziel, zu welchem Gott seine Kraft hervortreten läßt, unsere Rettung vor dem, was uns verdirbt. Wenn Paulus von Errettung spricht, so hat das einen sehr ernsten Sinn, weil er dabei auf Gottes Gericht blickt, dem wir alle entgegengehen. Gott leiht uns im Evangelium seine Kraft dazu, damit sie uns aus seinem Gericht heraushelfe in sein Reich hinein. Darum ist Paulus der Schuldner der Heiden und kann nicht rasten und schweigen. Sie bedürfen aller solcher Hilfe, und diese kann ihnen nur Gottes Kraft gewähren, und Paulus kann sie ihnen bringen durch das Evangelium.

Jeder Glaubende empfängt dieselbe. Evangelium heißt Paulus das, was er uns von Jesus zu sagen hat. Dasselbe ist deshalb die seligmachende Kraft Gottes, weil Jesus der Heiland ist in Gottes Kraft. Das erlebt ein jeder, welcher ihm glaubt. Fehlt uns der Glaube, so bleibt uns das Evangelium ein bloßes Wort, leer und ohne Kraft, weil wir uns durch unseren Unglauben von Jesus scheiden. Wo aber am Evangelium Glaube entsteht, da wird derselbe von Christus nicht beschämt. Jesus läßt keine Zuversicht, die aus seinem Wort entsteht und sich zu ihm hinwendet, unerhört und unerfüllt. Dem Glaubenden wendet er sich mit seiner Vergebung und mit seinen Gaben zu, und dadurch wird aus dem geglaubten Evangelium Gottes Kraft. Das macht des Apostels Werk so herrlich, dass er allen sagen darf: glaube nur! So steht Gottes Kraft dir zur Seite und wehrt das Verderben von dir ab.

So verhält es sich für den Juden wie den Heiden in derselben Weise. Zuerst sind die Gaben des Himmelreichs für den Juden bestimmt, weil Gott sie ihm zuerst zugesagt hat. Allein der Jude mißversteht diesen Vorzug, wenn er meint, er dürfe deshalb ungläubig sein, statt sich darum für berufen zu betrachten, als der erste vor den Heiden gläubig zu sein. Auch der Jude wird Gottes errettende Kraft nur dadurch empfangen, dass er ihm glaubt. Wiederum fährt Christus auch mit dem Heiden nach seiner gnadenvollen Regel: nach deinem Glaube geschehe dir. Auch der heidnische Glaube wird von Christus erhört, weshalb auch der Heide im Glauben an der errettenden Kraft Gottes Anteil erlangt.

Wenn Paulus nach Rom ging, so trat er in die Mitte der heidnischen Welt hinein. Zwischen Jerusalem und Rom bestand für den Juden eine unüberbrückbare Kluft. Jerusalem war die Stadt Gottes, Rom die Stadt der heidnischen Weltherrscher. Beide lagen miteinander in hartem Streit. Der Sieg der einen war der Untergang der andern. Wenn jetzt Paulus seinen Blick nach Rom richtete mit dem Wunsch, das Evangelium dorthin zu bringen, so lag ihm die Wichtigkeit dieses Schrittes klar vor Augen. Eben darum schaut er zurück auf den Gang Gottes in der Führung der Völker, wie er zuerst Israel seine Gnade erwiesen hat, und wie er ihm seinen Vorzug auch erhält in unwandelbarer Treue, und wie er dennoch über den Heiden seine mächtige Hilfe aufgehen ließ und beide in eins zusammenbrachte, dadurch, dass er beiden denselben Heilsweg bereitete im Glauben an das Evangelium.

Gottes mächtige Hilfe ist uns im Evangelium erschienen, weil Gottes Gerechtigkeit sich in demselben offenbart, V.17. (Luthers Umschreibung: „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“, hebt ein wesentliches Stück aus dem Wort des Apostels hervor, giebt aber dasselbe nicht ganz wieder.) Wie erleben wir durch das Evangelium, dass Gott uns mächtig hilft? Dadurch, dass wir durch dasselbe erfahren, dass Gott gerecht ist. Das mag uns zunächst befremden; es steht auch in der That hier das größte Wunder Gottes vor unsern Augen. Gott ist gerecht; das ist uns zunächst ein erschreckendes Wort. Verwandelt sich das Evangelium nicht in sein Gegenteil, wenn sich in demselben die Gerechtigkeit Gottes offenbart?

Und doch müssten wir uns sofort sagen: wie sollte sich denn Gott offenbaren ohne seine Gerechtigkeit? Wie könnten wir je die Kraft und Hilfe Gottes empfangen, ohne dass damit zugleich aufs hellste deutlich würde, wie gerecht Gott ist? Wir können doch keine ungerechte Hilfe von ihm hoffen. Wir begehren Gnade, aber Gottes Gnade, und Gottes Gnade ist zugleich Gerechtigkeit. Ist uns der Blick auf Gottes Gerechtigkeit schreckend, dann müssen wir uns vor Gott flüchten und verbergen. Wo er sich offenbart, da offenbart sich sicherlich auch seine Gerechtigkeit. Wo seine Hilfe uns aufgeht, da wird es nur so geschehen, dass wir ihm den Preis geben müssen: du bist gerecht. Kann es denn etwas wünschenswerteres und seligeres für uns geben, als den Anblick der göttlichen Gerechtigkeit? Und ist nicht eben dies die Offenbarung und Vollendung der Gnade, dass uns Gott nicht durch Gesetz und Gericht, sondern mittelst des Evangeliums seine Gerechtigkeit erweist? Sieh! Sagt Paulus, im Evangelium wird es dir gezeigt, wie Gott seine Gerechtigkeit an den Tag bringt für dich, nicht gegen dich.

Die Gerechtigkeit thut jedes Unrecht ab. Das thut Gott durch das Evangelium. Er hat dadurch unsere Ungerechtigkeit begraben und angethan. Die Gerechtigkeit hebt alle Ungleichheit auf. So tritt Gott durch das Evangelium als derselbe für alle ohne Ansehen der Person ans Licht. Die Gerechtigkeit ruht nicht, bis sie alles zurechtbringt und mit Gerechtigkeit erfüllt. Das hat Gott durch das Evangelium gethan und uns durch dasselbe zur Gerechtigkeit gebracht. Der, für den Gottes Gerechtigkeit einsteht, der ist gerecht. Gottes, nicht der Menschen Gerechtigkeit wird im Evangelium offenbar. An uns kann nur offenbar werden, dass wir unrecht haben. Und doch ist die Frage, wie uns Menschen zu helfen sei, völlig mit der andern Frage eins, wie uns Gerechtigkeit zu eigen wird. Wir sterben an unsrem Unrecht, wir leben durch Gerechtigkeit. Wir machen uns aber nimmermehr selbst gerecht. Wir können, nachdem wir durch uns selbst im Unrecht sind, nur durch Gott Gerechtigkeit erhalten. Nichts als ein Wunder der göttlichen Gerechtigkeitkann uns in die Gerechtigkeit versetzen. Das ist Gottes Gabe für uns in Christo und wird uns verliehen im Evangelium, und deshalb ist dasselbe die ewige Hilfe für uns.

Die Hilfe kommt für den Glaubenden, weil die Gerechtigkeit Gottes sich aus Glauben offenbart. Durch den Glauben haben wir Gottes Gerechtigkeit für uns. Um des Glaubens willen ist unser Unrecht erledigt und auf unsern Glauben hin wird uns von Gott Gerechtigkeit zuerkannt. Diesen Zugang zu Gott haben wir alle in derselben Weise. Von jedem Glaubenden wird sich Gott in seiner gnadenvollen Art als gerecht erfinden lassen, darum weil er glaubt.

Gott offenbart seine Gerechtigkeit nicht bloß aus Glauben, sondern auch zum Glauben, dazu, damit wir glauben, zum Glauben erweckt und im Glauben erhalten seien. Dass Gottes Gerechtigkeit für uns ist, das treibt die ungläubigen Gedanken aus unsrem Herzen aus und macht, dass wir ihn mit ganzer Zuversicht preisen. Weil uns Gott zum Glauben erwecken will, dazu sendet er uns sein Evangelium und zeigt uns durch dasselbe seine Gerechtigkeit, uns zum Heil. Eben dazu, damit ich mich zum Glauben bewegen lasse, ist sie für mich da. So ist sie ganz und gar ein Glaubensgut, sowohl nach ihrer Wurzel als nach ihrer Frucht. Um seinetwillen wird sie für uns offenbar. Ihn erhört und krönt sie, ihn sucht und wirkt sie in uns. Sowie wir vom Glauben abtreten, haben wir Gottes Gerechtigkeit wider uns. Soll sie unsere Hilfe sein, so müssen wir glauben, nichts als glauben. Sie ist für uns da, weil wir glauben und damit wir glauben.

Darum ist das Evangelium die Erfüllung für das Wort Habakuks: Der Gerechte wird des Glaubens wegen leben. Verderben wird kein Gerechter. Gottes Kraft errettet ihn; darum wird er leben. Gerechtigkeit und Leben fügt Gott zusammen und niemand wird sie trennen, wie auch niemand Sünde und Tod voneinander scheiden kann. Seinen Grund hat aber das Leben für den Gerechten im Glauben. Tod und Gericht sind ihm verschlungen in den Sieg und das Leben ist sein Teil, deshalb, weil er glaubt. Wir können nicht dem Glauben unser Leben verdanken, wenn nicht unser Glaube vor Gott als Gerechtigkeit gälte. Aus dem Wort des Propheten folgt, dass unser Glaube macht, dass Gottes Gerechtigkeit nicht wider, sondern für uns steht.

Paulus wollte der Gemeinde zunächst zeigen, woher sein Verlangen rühre, nach Rom zu kommen. Wollen wir aber seinen Eifer verstehen, so müssen wir im selben Glauben mit ihm eins werden. Um zu begreifen, was des Apostels Beweggrund bildet und was seine Kraft ausmacht, müssen wir die Herrlichkeit der göttlichen Gabe erfassen, die uns selber widerfahren ist. Uns ist geholfen durch Gottes Kraft; wir sind gerecht, weil Gottes Gerechtigkeit für uns ist; wir werden leben, wir, die Glaubenden. Wie uns das Evangelium das bringt, das will uns Paulus nun zeigen. Dem, was die Verse 16 und 17 in Kürze zusammenfassen, dient der übrige Brief zur Begründung und Erläuterung.

Dabei hat Paulus die großen Aufgaben im Auge, welche die erste Christenheit zu lösen hatte. Die Judenschaft verabscheute Jesus und verwarf das Evangelium. Das legte auf die Christenheit einen schweren Druck. Wie war dies auch nur möglich, da Israel och die Verheißung Gottes empfangen hatte und zum Volk und Erbe Christi berufen war? Und nun war das Reich Gottes gekommen, aber nicht für die Kinder des Reichs. Das war ein Glaubenshindernis, von dem viel Erschütterung, Schmerz und Zweifel in die Christenheit hinüberging und das nur mit starkem Glauben überwunden werden konnte.

Noch zarter und tiefer war die andere Frage und noch innerlicher die Kämpfe, welche sie verursachte: ob sich die Christenheit wirklich von Gottes Gesetz lösen dürfe, wie es Israel gegeben war. Die Frömmigkeit Israels war auf das Gesetz gestellt. Sie war ganz und gar dem Gesetz geleisteter Dienst. Das Gesetz galt ihm als Mittler mit Gott, als Weg zur Gerechtigkeit, als Quell des ewigen Lebens. Um des Gesetzes willen galt den Juden das Evangelium nichts. Ihr Gesetzesdienst ließ sie nicht zum Glauben kommen. Das wirkte auch tief in die Christenheit hinein. Es brauchte für alle, für Juden und Heiden, eine große Kraft des Glaubens, um ohne Schwankung in der Freiheit von Gesetz zu stehen und dabei zu bleiben, dass uns im Glauben an Christus alles, was wir zur Gemeinschaft mit Gott und zur Teilnahme an seinem Reich bedürfen, gegeben ist. Deshalb macht Paulus das zu seinem Hauptgedanken, dass durch das Evangelium der Glaube unsre Gerechtigkeit sei.

Dies waren zugleich die Punkte, welche den Haß der Judenschaft gegen Paulus erregten und auch in der Christenheit manchen Mann gegen ihn mißtrauisch machten. Die Freiheit seines Glaubens gab zu jenen Einreden Anlaß, über die man überall, wo sein Name genannt wurde, verhandelte. Darum enthüllt er den Römern sofort in seinem ersten Brief, was Glauben heißt, den Grund, auf dem er steht, und das Ziel, zu dem er führt, seine Freiheit und Kraft. Sie sollen ihn von Anfang als den kennen lernen, der den Glauben für seine und ihre Gerechtigkeit hält, und wissen, warum er nicht anders vor Gott stehen kann; sie sollen ihn weiter kennen lernen als den, den das Murren Israels nicht erschreckt, weil er von keinem Anrecht an Gottes Reich etwas weiß als von dem, welches die freie berufende Gnade Gottes selber giebt, den aber auch die Feindschaft Israels nicht erbittert, weil ihn der Reichtum der Gnade, die allen, Juden und Heiden, in derselben Weise gilt, in den Frieden setzt. Dadurch will er auch die römische Gemeinde mit sich in die Gewißheit und Fülle des Glaubens emporleiten, der sich nicht halb zu Christo und halb zum Gesetz bekehrt, sondern sich ganz an Christus hält, der auch die Verstockung und Feindschaft der Judenschaft, so traurig sie ist, zu tragen vermag, weil auch sie der Erfüllung der Schrift und dem Kommen des göttlichen Reiches dient. Wenn ihn die Römer hierin verstehen, dann wird sein Besuch bei ihnen für beide Teile lauter Freude und Erquickung sein; dann sind sie in Christo eins.

Paulus hat hiebei schwerlich außer acht gelassen, dass gerade den Römern unter allen Heiden das Verständnis des Glaubens in seinem Unterschied vom Dienst des Gesetzes besonders schwer werden musste. Auch in Rom spielte das Gesetz eine große Rolle. Es war freilich ein andres Gesetz als in Jerusalem, nicht das göttlich Gesetz, sondern ein menschliches Recht. Aber auch Rom war durch Recht und Gesetz groß geworden und übte seine Macht dadurch aus, dass es allen Völkern die Gesetze gab. Es ist schwerlich zufällig, dass Paulus gerade den Römern so eingehend die Gerechtigkeit Gottes, wie sie an den Glaubenden sich offenbart, gepriesen hat. Jedenfalls hat dadurch der Geist, der Paulus hiebei leitete, seinen hellen prophetischen Blick bewährt. Rom hat später in der Kirche unsäglichen Schaden angerichtet und sie unter seine Satzungen geknechtet und vom Glauben ferngehalten. Dieser schlimme Einfluß der römischen Art machte sich schon bald nach der Zeit der Apostel mächtig spürbar, wie wir auch heute noch unter dieser Verwirrungen leiden. Aber dies alles ist nicht geschehen, ohne daß der römischen Kirche und der ganzen Christenheit im Römerbrief von Anfang an ein gewaltiges apostolisches Zeugnis gegeben war gegen die Verkehrung des Evangeliums durch römischen Gesetzesdienst.

Kap. 1,18-32 - Wie uns die Sünde verdirbt.

Wollen wir wissen, wie das Evangelium dem Glaubenden Gerechtigkeit bringt, so müssen wir zuerst hinunter sehen in das, was die Sünde ist. Gott hilft jedem Glaubenden durch Gerechtigkeit; denn Gottes Zorn offenbart sich vom Himmel her über jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, V.18. Das ist ein gewaltiges „denn“; es drückt das Wunder der göttlichen Gnade aus. Das Evangelium beschreibt uns Gott als den mächtigen Helfer, als den Gerechten, der uns zurecht bringt. Damit wir das verstehen, zeigt uns Paulus, wie vom Himmel her mit unwiderstehlicher Gewalt Gottes Zorn uns Menschen faßt. Derselbe ist vollkommen rechtmäßig und hat mit blinder Leidenschaft und Willkür nichts gemein. Er ist Gottes Widerwille und Widerstand gegen die Bosheit. Nichts als die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen wird von ihm getroffen; er trifft aber auch jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit. Hier giebt´s keine Ausnahmen. Mit fehlloser Sicherheit haben wir darauf zu zählen, dass alles, was gottlos und ungerecht an uns ist, uns dem Zorne Gottes unterwirft.

Gerade weil der Römerbrief dazu geschrieben ist, um die Gnade Gottes zu preisen, gehört er zu denjenigen Teilen des Neuen Testaments, die uns den Zorn Gottes aufs gewaltigste bezeugen. Der Preis der Gnade würde unwahr und verdorben, wäre er nicht begleitet von der Erkenntnis und Beherzigung des göttlichen Zorns. Wir verstehen gar nicht, was Gnade ist, wenn wir nicht etwas von der Tiefe des göttlichen Unwillens spüren, mit dem Gott allem Bösen widersteht. An der Wahrheit und am Ernst des göttlichen Zorns ermessen wir die Wahrheit und Größe der göttlichen Gnade. Es ist leeres Geschwätz, wenn man sagt: durch den Blick auf Gottes Zorn werde der Glaube schwer. Umgekehrt, niemand vermöchte Gott gläubig zu trauen, wenn wir nicht alle ganz bestimmt wüßten, dass Gott unerbittlich gegen unsre Bosheit ist. Wer keinen Unwillen für das Böse hat, den verachten wir. Ich, der Mensch, soll meine Sünde mit starkem Unwillen von mir thun und sollte mich nicht darauf stützen dürfen, dass Gott in seiner göttlichen Majestät ebenfalls seinen Unwillen meiner Sünde entgegensetzt? Wie Glaube aus dem Blick auf Gottes Zorn entsteht, das hebt ja Paulus eben hier mit seinem gewaltigen „denn“ hervor: Gott hilft jedem Glaubenden durch Gerechtigkeit, denn sein Zorn offenbart sich über jede Ungerechtigkeit. Weil Gott mit seinem Zorn alle Ungerechtigkeit uns zum Verderben macht, darum hilft er uns, darum überläßt er uns nicht uns selbst, darum machen sich auch seine Gotteskraft und seine Gottesgerechtigkeit auf, uns zu erretten, darum steht er bereit für jede glaubende Bitte und bringt sie zur Erfüllung, darum ist´s freilich auch nur der Glaube allein, der uns zur Errettung und Gerechtigkeit verhilft. Gegen Gottes Zorn, der keine Ungerechtigkeit erträgt, hilft sich der Mensch nicht selbst. Gegen ihn giebt´s nur eine einzige Hilfe: Gottes Gnade. Zorn und Gnade stehen in Gott nicht wider einander, sondern sind in ihm einträchtig. Weil der Zorn mächtig und heilig sein richtendes Werk vollführt, darum bietet uns auch die Gnade ebenso mächtig und heilig ihre Hilfe dar. Wir zwar sind unwissend über das Elend, das die Sünde bei sich hat. Gott aber ermißt, was Sünde und Zorn bedeuten: darum hilft er uns durch Gerechtigkeit.

Die menschliche Sünde richtig und scharf wahrzunehmen, ist freilich eine schmerzliche Erkenntnis. Aber sie wird uns vom Apostel nicht dazu gegeben, damit sie uns bedrücke, sondern alle Ausführungen über die menschliche Sünde und Verlorenheit stehen im Römerbrief dazu da, damit wir begreifen, warum uns Gott hilft, warum er uns durch Glauben zur Gerechtigkeit verhilft.

Paulus bezeichnet scharf den Punkt in unsrem Verhalten, der den Zorn Gottes wider uns erregt. Wir Menschen halten die Wahrheit in Ungerechtigkeit darnieder. Das ist´s, was uns schuldig macht, deswegen sind wir verantwortlich. Unsre ganze Existenz gehört unter das Regiment der Wahrheit. Sie will nicht nur einen Teil unsres Wesens, etwa nur unsern Kopf und unsere Gedanken, regieren, sondern alles in uns bedarf der Wahrheit. Unser Denken bedarf ihrer, damit wir erleuchtete Gedanken hervorbringen; unser Wollen bedarf ihrer, damit es sich nach der Regel Gottes bewege; unser Wirken bedarf ihrer, damit es nicht tote, sondern fruchtbare Werke schaffe von unvergänglichem Wert. Darum will die Wahrheit in unser ganzes Wesen einziehen, auch in unser Wollen und Wirken dringen und sich unterthan halten mit regierender Macht. Das kann aber nicht auf dem bloßen Naturweg geschehen, etwa wie das Sonnenlicht in seiner natürlichen Kraft in alle Thäler und Furchen der Erde dringt. In unsrem erkennen liegt zwar viel Wahrheit, um die wir uns nicht mühten. Sie leuchtet in uns, wir wissen nicht wie, weil sie die Ausrüstung ist, die uns Gottes Güte mitgegeben hat ins Leben. Aber wie soll die Wahrheit in unsren Willen kommen anders als durch unser Wollen? Und das ist die Stelle, wo wir uns selbst verderben können. Wir drücken die Wahrheit, die in uns hervorbrechen will, nieder, wehren ihren Einfluß ab und führen inwendig einen Krieg gegen sie, der sie ohnmächtig macht. Wir machen aus ihr ein bloßes Wissen, so dass sie in unsern Gedanken eingesperrt bleibt, ohne das wir sie thun. Wir winden und drehen uns um sie herum, werfen ihr allerlei Einreden entgegen und decken sie mit unsern Lügen zu. So bleibt sie als ein totes Gut unwirksam in uns liegen. Unser ganzes Bemühen, die Wahrheit los zu werden, rührt aber nur daher, weil sie uns in die Gerechtigkeit leitet. Uns aber ist die Gerechtigkeit widerwärtig, und das Unrecht lieb. Darum muß die Wahrheit in den Winkel stehen und redet umsonst zu uns. Hieran werden wir schuldig. Unsrem Streit gegen die Wahrheit kann Gott nicht anders zusehen, als mit Zorn. Ständen wir völlig in der Finsternis, so hätten wir ein gewisses Anrecht an sein Erbarmen. Aber dass uns sein Licht leuchtet und wir dasselbe soweit möglich löschen, das stellt uns unter seinen Zorn.

Das Wort des Apostels zeigt uns, wie wir die Sünden zu messen haben. Ihre Größe und Schwere hängt nicht von dem äußeren Resultat derselben ab. Die Frage ist stets die, wie viel Wahrheit in unserm Herzen scheint. Wo viel Wahrheit ist, da entstehen die großen Sünden. Daher wird jeder aufrichtige Mensch, je mehr Erkenntnis ihm zuwächst, um so mehr zur Demut und zur Furcht Gottes geleitet. Er sieht, je reicher sein Anteil an der Wahrheit wird, um so deutlicher sein vielfältiges Widerstreben gegen sie, und ist dadurch um so mehr genötigt, glaubend Gottes Macht zu suchen, die uns statt des Zorns im Glauben zur Gerechtigkeit verhilft.

Kern und Stern der Wahrheit ist die Kenntnis Gottes, V.19.20. Es läßt sich kein andres Wissen mit ihr vergleichen. Sie tritt, sowie sie in uns aufgegangen ist, an die Spitze aller unsrer Gedanken als die Wahrheit aller Wahrheiten. Sind wir Menschen unwissend über Gott? Was von Gott der menschlichen Erkenntnis zugänglich ist, das ist unter den Menschen eine offenkundige Sache. Gottes Name ist kein Geheimnis in der Welt. Er ist der allerbekannteste Name, der jedem zu Gehör kommt. Die Kunde von Gott durchdringt die Menschenwelt. Gott selbst hat dafür gesorgt, dass er uns kein unbekanntes Geheimnis ist. Er hat das, was wir von ihm wissen können und sollen, an die helle Öffentlichkeit gesetzt. Er ist freilich unsichtbar. Aber seine Werke machen ihn sichtbar von der Weltschöpfung an durch den ganzen Weltlauf herab, sowie wir dieselben aufmerksam mit Nachdenken erwägen. Diese Werke Gottes, die den unsichtbaren Reichtum der Kraft und Herrlichkeit Gottes uns teilweise sichtbar machen, finden sich nicht nur im Bau der Natur, sondern treten noch nachdrücklicher und bedeutsamer durch Gottes Weltregierung hervor. Da machen bald Thaten des Gerichts, bald Thaten der Gnade seinen Namen jeweilen wieder offenbar.

Die Erkenntnis, die wir Gott verdanken, ladet uns ein, daß wir Gott preisen als Gott, V.21. Wir dürfen nicht ein totes Wissen aus ihr machen, von dem unser Herz und Wille sich nicht bewegen und binden läßt. Zeigt uns Gott etwas von seiner Majestät, so fordert er uns auf, dass wir uns vor ihm beugen in Anbetung. Zum Preise Gottes gehört der Dank, denn Gott zeigt uns nicht nur seine Erhabenheit, sondern sendet uns seine guten und vollkommenen Gaben, und diese werben wieder um unser Herz und suchen unsern Dank. Die Gabe will uns empor zum Geber leiten. Sie kommt von ihm zu uns herab, damit sie uns erhebe zu ihm, und unser Aufblick zum Gebenden, wodurch seine Gabe ihr rechtes Ziel erreicht, geschieht im Dank.

Aber der Mensch preist Gott nicht als Gott, noch dankt er ihm. Das ist die innerlichste Gestalt unsrer Sünde und die Wurzel aller Verdorbenheit. Das heißt, die Wahrheit darniederhalten in Ungerechtigkeit. Ist es recht, wenn wir den Genuß der Gabe an uns reißen und den Geber mißachten, nur die Gabe suchen und den Geber nicht? Ist es recht, wenn die Größe Gottes uns sichtbar wird und wir uns nicht beugen vor ihm? Darf der Herrlichkeit Gottes die Anbetung von uns verweigert werden? Wenn wir die Erkenntnis Gottes in uns tragen ohne Anbetung und Dank, so ist das Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit, welcher Gott mit Zorn antworten wird.

Wo sind nun die Gerechten? Wo sind die, welche ihre Kenntnis Gottes nicht unfruchtbar machen? Sind wir die Anbeter Gottes, die seine ewige Kraft und Gottheit nicht vergebens sehen, sondern durch ihre Erkenntnis zu Gottes Lob getrieben sind? Sind wir die Dankbaren, deren Blick nicht nur begierig an der Gabe haftet, sondern aufwärts zum Geber schaut? Der Vater sucht Anbeter und findet sie nicht; so sind wir allzumal Sünder. Wollen wir unser Unrecht ermessen, so haben wir auf unser Gebet zu sehen, wie gebetslos wir sind, und auf unsern Dank, wie undankbar wir sind.

Wir haben keine Entschuldigung, V,20, eben weil Gott uns seine Größe und Güte sichtbar macht. Dadurch wird aus der Wahrheit und Erkenntnis, die uns gegeben ist, eine uns richtende Macht. Wenn uns Gott seine ewige Kraft und Gottheit dennoch nicht verbirgt, sondern seine Werke beständig von derselben zeugen läßt, so thut er´s gerade dazu, damit wir keine Entschuldigung haben. Es soll uns jede Ausflucht und Decke genommen sein und uns keine Zuflucht bleiben, als die, welche der Glaube sucht, der die göttliche Gnade im Evangelium ergreift. Alle Entschuldigungen, zu denen wir greifen mögen, sind trügliche Hilfsmittel. Wir werden auf die Frage: hast du mich nicht gekannt? antworten müssen: ja, ich kannte dich! Du hast mir deinen Namen offenbar gemacht, und eben hiezu ist Gottes Wahrheit eine offenkundige Sache in der Welt. Sie soll die Sünde überaus sündig machen, wie Paulus später vom Gesetz sagt, 7,13, und sie dient auch hiedurch dem Werk der Gnade. Denn das ist die Bedingung aller Hilfe, dass wir aufhören uns gegen Gott zu verteidigen, vielmehr uns seinem Recht völlig untergeben. Wer sich selbst entschuldigt, weiß noch nicht, was Glauben heißt.

Mit der Entehrung Gottes und dem Undank gegen ihn beginnt im Menschen ein unsäglich tiefer Fall. Wie erbärmlich ist´s nun mit seinen Gedanken bestellt, nachdem sie von der erleuchtenden und weisenden Wahrheit verlassen sind! Alles wird nichtig und leer, Traum, Schaum und Geschwätz. Das Herz ist finster geworden und die Narrheit entsteht gerade durch die Einbildung, Weisheit zu besitzen. Und wie tief sinkt jetzt sein Gottesdienst! Das Menschen- und Tierbild tritt an die Stelle der Herrlichkeit und Wahrheit Gottes, und der Mensch, der Gott die Anbetung verweigert hat, gießt, weil er das Beten doch nicht lassen kann, seine Andacht vor dem Bilde eines Wurmes aus, V.21-23 vgl. 25.

Die Strafe folgt solcher Gottlosigkeit auf dem Fuße nach. Die Unfrömmigkeit setzt sich um in Unsittlichkeit. Mit der Geringschätzung Gottes weicht die natürliche Ordnung aus den sinnlichen Trieben und dieselben entzünden sich zu bösem Brand. Die Unfrömmigkeit macht dem Menschen nicht viel Sorge, weil sie den natürlichen Bestand seines Wesens noch nicht antastet. Darum hat ihr Gott einen Begleiter geordnet, vor dem es dem Menschen graut, die Zerrüttung seiner Naturtriebe. Wenn Mann mit Mann, Weib mit Weib treibt, woran niemand denken und was niemand sagen darf, so ist die Offenbarung des göttlichen Zorns nicht mehr eine bloße Drohung, die erst mit dem künftigen Gericht zur Erfüllung käme, sondern da erlebt der Mensch, dass er Gott wider sich hat, und von ihm dahingegeben ist. Gottes Zorn, hat Paulus gesagt, bleibt nicht verborgen, sondern offenbart sich vom Himmel her. Wo denn? fragt der trotzige Mensch. Paulus erinnert ihn an seine Lasterhaftigkeit. Sie zeigt ihm, dass er von Gott verlassen ist, weil er Gott verlassen hat.

Wär´s nicht besser gewesen, Paulus hätte nicht so offen von der Schamlosigkeit der Menschen geredet? Das gehört mit zu seinem Beruf und er hat das nicht vermeiden können. Die Verkehrung der geschlechtlichen Triebe war das Unglück der Völker, unter denen er das Evangelium predigte, der Orientalen, wie der Griechen. Und zwar stand dieselbe in enger Verbindung mit ihrer Religion. Heillose Unzucht begleitete die Feste und wohnte in den Tempeln. Wie er im persönlichen Verkehr mit den Gemeinden immer wieder von solchen Dingen reden musste, so hat er´s auch in seinen Briefen gethan. Darin steht gerade die Kraft des Evangeliums, dass es volle, helle Wahrheit in unser Leben bringt. Da müssen auch diese Dinge heraus ans Licht. Dadurch sterben sie ab. Nicht zur Beschimpfung der Heiden redet Paulus so. Er spricht deutlich und ernst, aber nicht roh. An der Unnatur dieser Dinge kommt sodann das Schreckliche an der Sünde besonders sichtbar an den Tag. Durch diese Laster entehrt der Mensch sich selbst und schändet seinen Leib. Er untergräbt mit eigener Hand die Grundlagen seiner natürlichen Existenz selbstmörderisch. Seine verirrten Triebe reißen ihn mit tyrannischer Macht fort, obgleich er weiß, dass sie ihm nichts als elend bereiten. Er hat in der Sünde einen Zwingherrn gefunden und seinen Willen an sie verloren. Solchen Brand entzündet der Mensch durch seine Verachtung Gottes in sich selbst, und Gott löscht ihn nicht. Nun kommt aber zur sinnlichen Verderbnis noch ein ganzes Heer von allerlei Bosheit, die den Verkehr der Menschen unter einander durchzieht und in alles ihren giftigen Stachel senkt. Der Mensch wird ein unbrauchbares, nichtsnutziges Geschöpf, das die andern nur quälen kann. Das ist die Strafe, von der seine Sünde begleitet ist, V.28-31.

Es liegt Paulus daran, dass wir die Gerechtigkeit der göttlichen Vergeltung auch im Fall des Menschen sehen. Das erste, was der Mensch von Gott erfährt, ist nicht der Zorn, sondern die Güte, welche uns Gottes Herrlichkeit sichtbar macht und seine Gaben verleiht, damit wir ihn ehren und ihm danken. Weil aber diese Güte verschmäht und mißbraucht wird, tritt der Zorn zu ihr. Er folgt auf die entweihte Güte. Der Mensch muß nun seine eigene Bosheit leiden. Er hat das Licht der Wahrheit verschmäht, so muß er im Finstern sein und die Lüge haben. Er mag Gott nicht anbeten, so muß er Menschen und Tiere anbeten. Er mag Gott nicht ehren, so muß er sich selber schänden. Er hat Gott verworfen, so hat nun selbst ein verwerfliches verkommenes Herz. Die Gerechtigkeit der göttlichen Vergeltung besteht darin, dass sie dem Menschen nichts anthut, was dieser nicht zuerst Gott angethan hat. Sie beugt des Menschen eigenes Handeln auf ihn selbst zurück und läßt den Pfeil, den er gegen Gott richtete, auf sein eigenes Haupt zurückfallen. Gott giebt den Menschen dann preis, wenn dieser zuerst Gott preisgegeben hat. Und der dunkelste Punkt bei aller Sünde ist der, dass wir bei alledem nicht blind und unwissend sind, sondern die göttliche Rechtsordnung kennen, dass die des Todes würdig sind, die solches thun, V.32. Das ist´s, was uns schuldig macht. Wir richten alle das Böse unwillkürlich und unbedingt, weil wir alle wissen, daß es kein Existenzrecht hat und nicht geschehen darf, dass der Böse sein Recht ans Leben hat, dass das Leben uns nur dann gehört, wenn wir in der Bahn des Guten bleiben. Dass es immer und überall unter den Menschen Rechtspflege giebt, ist hiefür der handgreifliche Beweis. Und dennoch thut der Mensch nicht nur dergleichen und zwar mit Lust, sondern er hat auch seine Freude daran, wenn es andere thun. Er giebt Beifall, lacht, lobt und ermuntert zur Schlechtigkeit. So geht ein tiefer Riß durch unser Leben. Es ist ein unheilbarer Widerspruch in uns. Jetzt hören wir den Menschen eifern für Recht und Gerechtigkeit und schelten über die Bosheit; entrüstet mißt er ihr die Vergeltung zu. Und derselbe Mensch lacht in andrer Stunde mit Vergnügen über einen schlechten Streich und hat für den Übelthäter Bewunderung und für die Nichtswürdigkeit ein lobendes Wort, und doch ist ihm die Todeswürdigkeit dieser dinge innerlich gewiß. So ist der Mensch mit sich selbst zerfallen; er hat die Zügel aus der Hand verloren; es fehlt ihm die Gerechtigkeit.

Nun verstehen wir den apostolischen Eifer in der Predigt des Evangeliums schon um vieles besser. Mit so tiefen Ernst betrachtet Paulus die Heidenwelt. Ihr Zustand ist in seinen Augen ein unsägliches Elend. Sie ist von Gott verlassen und gerichtet. Und das bitterste an ihrer Lage ist, dass sie ihr Elend fort und fort selbst verschuldet. Der Heide ist für seinen finsteren Gottesdienst, für seine Lasten und Bosheiten verantwortlich. Dies alles liegt als Schuld auf ihm. Darum zieht Paulus mit dem Evangelium von Land zu Land. Es gilt die Menschen aufzurichten aus so tiefen Fall sie zu entlasten von so schwerer Schuld, sie zu befreien von so bittrer Not. Und wenn man ihm zu bedenken gäbe, dass Rom eine Ansammlung aller heidnischen Sünden und Laster in besonderer Weise sei, so kennen wir nun seine Antwort. Das bedenkt er wohl; eben deshalb strebt er mit dem Evangelium dorthin.

Und wenn die Römer von den Bedenken hörten, welche die Predigt des Paulus hervorgerufen hat, als gebe er mit der Freiheit vom Gesetz und der Gerechtigkeit des Glaubens der heidnischen Sünde Raum, so wissen sie nun, wie er von der Sünde der Heiden denkt. Sie sehen, dass er sie in ihrer ganzen Furchtbarkeit und Macht vor Augen hat und den Zorn Gottes wohl bedenkt, der über ihnen steht. Sie wissen dadurch gleich von Anfang an, und wir wissen es auch, dass es mit seiner Predigt von der Gnade und vom Glauben nicht auf eine leichtfertige Bemäntelung der Sünde abgesehen ist, sondern eine gründliche Erlösung von derselben.

Was Paulus hier beschreibt, das war für die meisten seiner Leser das Abbild ihrer eigenen Vergangenheit. Sie hatten auch die Herrlichkeit Gottes verleugnet und waren vor den elenden Bildern niedergekniet, und waren auch berührt von dem Strom der Unreinheit, der durchs heidnische Leben ging, und hatten ebenfalls links und rechts den Menschen allerlei Bosheit angethan.

Warum spricht er mit ihnen über ihre dunkle Vergangenheit? Er hat bereits von der Herrlichkeit des Evangeliums gesprochen, dass wir im Glauben die Kraft Gottes für uns haben, uns zur Errettung, weil uns Gott die Gerechtigkeit und mit ihr das Leben durch den Glauben schenkt. Warum führt er uns nicht gleich zu Christo hin und heißt uns statt dessen das Schlimmste bedenken, was unter den Menschen von Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit vorhanden ist? Darum, weil uns Paulus zeigen will, wie man gläubig wird, weil er nicht bloß über den Glauben reden, sondern uns zum Glauben bewegen will. Unsre Willigkeit zum Glauben entsteht daraus, dass wir die Bosheit und Gefährlichkeit unseres Verhalten sehen.

Es gab auch einen heidnischen stolz, der das Herz ebenso sehr von Glauben abkehrte, als es der Stolz der Juden that. Ja gerade weil der Heide seine Sünde nicht kannte und durch das göttliche Gesetz in seiner Hoffart nicht gestört ward, richtete er sich hoch auf im Blick auf das, was an ihm und an seinem Volke tüchtig, schön und edel war. Es ist auch in der That viel Herrliches und Großes auf heidnischem Boden erwachsen, z.B. die bürgerliche Ordnung, Wahrhaftigkeit und Hingebung der Römer oder der drang der Griechen nach Weisheit. Und wir brauchen nicht bloß an solche hervorstechende Erscheinungen zu denken. Es verlief auch in der Stille mancher Lebenslauf unter den heidnischen Völkern sittsam, keusch und gerecht. Das hat Paulus nicht übersehen. Er wird uns bald von den Heiden sprechen, die thun, was das Gesetz fordert, und die Ordnungen Gottes bewahren, 2,14.26. Nicht das sagt der Apostel, dass irgendein Menschenleben aus lauter Schlechtigkeit und Bosheit sich zusammensetzte; noch weniger gilt dies vom Leben ganzer Völker. Alles Große und Gute, was auf religionslosem Grunde in alter oder neuer Zeit hervorgetreten ist, wird durch unser Kapitel nicht geleugnet. Paulus beschreibt uns ja den Heiden nicht als ein blindes stumpfes Geschöpf, das ohne Begabung von oben wäre. Vielmehr weiß derselbe, was Gott ist, und kennt sein Recht. Und der Stufengang und Fortschritt des Fallens, den er beschreibt, ist nicht so aufzufassen, als ob er sich nur einmal zutrüge, so dass auf ein Geschlecht, das Gott kennt und nicht ehrt, nun ein anderes folgte, vieles in blindem Wahn falschen Gottesdienst aufrichtet, und sodann ein drittes, das im Laster verfault, sondern diese Geschichte wiederholt sich immer neu in allen ihren Stufen. Ihr Ausgangspunkt ist stets vorhanden, weil Gottes Wahrheit und Güte unablässig und unermüdlich um unsre Ehrfurcht und Dankbarkeit werben. Diese göttliche Grundlage unsres Lebens, die wir uns nicht selbst verschafften, sondern die Gott uns gegeben hat, ist unzerstörbar. Aus ihr kann fort und fort mancherlei Gutes erwachsen, und Gegenwirkungen gegen jenes Versinken in der Sünde gehen von ihr aus, die dasselbe in den einzelnen oder in ganzen Geschlechtern aufhalten. Aber neben dem Guten, das aus Gottes Wahrheit und Recht erwächst, steht auch das Böse, und zwar in solcher Macht und Furchtbarkeit, wie sie Paulus hier beschreibt. Da giebt´s für Stolz und Hoffart keinen raum. Paulus verlangt vom Heiden, dass er nicht bloß eitel und selbstgefällig auf seine Vorzüge blicke, sondern dass er auch seine Sünde sehe in ihrer verdammlichen und zerstörenden Art; dann wendet er sich dem Glauben zu.

Viel Mißverständnis des Römerbriefs kommt daher, dass wir mit dem Apostel in seiner sehr einfachen, aber tiefdringenden Frage nicht einverstanden sind. Wir sagen: wenn ich auch nur etwas Gutes an mir finde, so genügt mir das; du mußt mir beweisen, dass gar nichts Gutes an mir ist, sonst glaube ich nicht! Paulus sagt: Gutes ist durch Gottes Güte vieles in dir; aber hast du nicht daneben Böses in deinem Leben? Wenn du irgendetwas Böses hast, was willst du machen? Gottes Zorn offenbart sich über jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit. Sieh, dann hilft dir nur eins, dass du dich glaubend hältst an Gottes errettende Macht.

Paulus fordert zuerst von den Römern ein aufrichtiges Geständnis ihrer Sünde. Ohne das giebt es keinen Glauben. Ein Heide, der diesen ersten Abschnitt des Briefes hörte, und sich unter denselben beugte mit dem Wort: es ist wahr, so habe ich gehandelt und so stehe ich vor Gott! Der hat das erlebt, was wir in der Kirche „Buße“ nennen. Paulus macht dieselbe zur Pforte und zur Wurzel des Glaubens. Warum? Weil Gott unsre Sünde nicht übersieht. Würde Gott sie übersehen, so dürften auch wir sie übersehen. Aber unsre Sünde steht vor Gott. Sie ist deshalb das wichtigste Ereignis in unserem Leben, weil sie unsere Stellung vor Gott verändert. Sie bewirkt nicht, dass Gottes Liebe aufhört; dieselbe wird aber unsrer Sünde wegen anders. Sie wird Gnade. Gnade ist diejenige Liebe, welche das Hindernis überwunden hat, welches unsere Bosheit und Verdammlichkeit der göttlichen Liebe entgegensetzt. Gnade ist die Liebe zu dem, der nicht liebenswürdig ist, sondern hassenswürdig und fluchwürdig. Gnade ist die Liebe, welche ihren Grund im Vergeben hat, diejenige Liebe, die über Gottes heiligem Zürnen schwebt. Die Gnade hat Christus zu uns gesandt, ihr dienst sein Werk. Deshalb ist der Glaube der Anblick der Gnade, wie sie in Christus uns erwiesen ist. Aber die Gnade sieht man niemals, wenn man die Sünde nicht sieht.

Die Gnade ist die errettende Liebe, die für uns eintritt und uns bereitet, was uns fehlt. Darum ruht der Glaube auf der Einsicht, dass wir unser Gut und unsere Kraft nicht bei uns selber finden.

Wir suchen nicht bei Gott, was wir in uns selbst besitzen. Wie sollten wir nach dem verlangen, was wir schon haben? Wie die Hand erheben nach dem, was die Gnade schenkt, wenn wir reich sind durch uns selbst? Und wenn wir auch wollten, wir können es nicht, weil wir nicht erwarten können, dass Gott für uns thue, was wir selbst vermögen, und an unsre Stelle trete in dem, was wir selbst zu thun im Stande sind. Wir müssen uns deshalb, wenn Glaube in uns entstehen soll, darüber klar werden, ob wir uns selbst genügen und uns auf unser eigenes Handeln verlassen können, oder ob wir zu Christus hinzutreten und unser Vertrauen auf ihn gründen wollen. Darum fragt es sich zuerst: was haben wir selbst? Und wenn wir einsehen, dass wir nicht nach dem Willen Gottes handeln, sondern ein böses Lebenswerk vollbracht haben, ist Raum in uns vorhanden zum wahrhaftigen Glauben, der in die Gnade Gottes greift. Zu dieser inneren Entscheidung hilft uns Paulus dadurch, dass er unsren Blick auf die Zerrüttung lenkt, in welcher der Mensch steht. Wie können wir an uns selber Wohlgefallen haben, da wir mit schlimmem scharfen Widerspruch in uns selbst zerfallen sind und loben, was wir selbst verurteilen müssen, und uns belustigen mit dem, was wir als den Weg zum Tod erkennen? Wie können wir die Hilfe bei uns selber suchen, da wir durch den gerechten Zorn Gottes in die Sünde hineingebunden sind als in den Kerker, der uns gefangen hält? Unsre Ungerechtigkeit wird nur dadurch zurecht gebracht, dass Gott uns Gerechtigkeit bereitet. Nachdem wir von Gott dahingegeben sind, wird dies nur dadurch geändert, dass wir durch denselben Gott herbeigerufen und aufgenommen werden. Gegen den Zorn Gottes hilft nur Gnade Gottes, und die Antwort, mit der wir der Gnade entsprechen, besteht darin, dass ihr Anblick unser Herz ergreift, und das heißt: glauben.

Mit der Erkenntnis, dass uns irgend welche Hilfe wünschbar und nöthig ist, ist´s noch nicht gethan, sondern es gilt einzusehen, wozu wir Hilfe bedürfen. Der Mensch erwartet gern allerlei Gaben von Gott, aber deshalb schließt er sich noch nicht gläubig an Christum an. Vielmehr wenn das, was ich von Gott begehre, nicht in Einklang steht mit dem, was mir Christus geben will, so entsteht der Glaube nicht in mir. Dieser erwächst daraus, dass ich das bei Christo finde, wonach ich mich mit allen Kräften meiner Seele strecke, weil ich erkenne, dass ich es bedarf. Nun offenbart sich im Evangelium für uns Gottes Gerechtigkeit. Darum kommt der Mensch dadurch zum Glauben, dass sein Verlangen auf die Gerechtigkeit gerichtet wird. Zu diesem Zweck, um uns die Ungerechtigkeit unleidlich und die Gerechtigkeit zum Ziel unsres Sehnens und Verlangens zu machen, hält uns Paulus die Zerrüttung des Menschen vor. Wir sollen fragen lernen: wer bringt die Wahrheit zum Siege in mir? Wer macht mir Gott so groß, dass ich ihn anbete, und seine Güte so herrlich, dass ich ihm danke? Wer löscht jene Lust an Schlechtigkeit in mir, durch die mir die Bosheit ergötzlich ist? Wer einigt mich mit Gottes Recht, mit dem ich in Zwiespalt bin? Ja, wer kann das Rätsel lösen, das kein Mensch zu lösen vermag, wie ich eins werde mit Gottes Recht, das der Sünde den Tod zuspricht, und doch bewahrt werde vor dem Tod, der mich zerstört? Solches Fragen und Begehren muß in uns wach geworden sein; das findet bei Christo die Antwort, und daraus kommt der Glaube an ihn.

Endlich zeigt uns schon der Verlauf der Sünde, dass uns in der That der Glaube zur Gerechtigkeit wird. Der Weg in die Verdorbenheit hebt damit an, dass wir Gott nicht achten und seine Gaben mit Undank an uns ziehen. Nun erscheint in Christo über dem Zorn wiederum die Freundlichkeit Gottes und ruft uns zu sich. So stehen wir aufs neue vor der Frage, ob wir Gott ehren und danken wollen. Wenden wir uns ungläubig ab, so verweigern wir Gott wiederum die Anerkennung und den Preis und danken ihm wiederum für seine Gabe nicht. Der Glaube dagegen preist Gott in der Herrlichkeit seiner Erbarmung, nimmt seine Gabe willig hin und sagt ihm Dank. Darum ist er unsere Heilung und Wiederherstellung; denn er ist die Aufhebung und der Abbruch jener heidnischen Wurzel aller Sündigkeit. Und gleichwie der Zorn aus dem Undank alle Bosheit und Verlorenheit erwachsen ließ, also läßt nun die Gnade mit lebendiger Macht aus dem Glauben Gerechtigkeit und Leben für uns erstehen.

Kap. 2,1-11 - Warum uns das Richten nicht entschuldigt.

Wir können auch beim Anblick der Sünde anderer unbußfertig bleiben und hart. Diese Gefahr hat uns Jesus am Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner gezeigt, nicht nur dadurch, dass der Pharisäer, so wie er des Zöllners ansichtig wird, aus seiner frommen Höhe sich wohlgefällig beschaut, sondern noch mehr dadurch, dass wir, so oft wir jenes Gleichnis hören, den Pharisäer schleunig nachahmen und in unserem Herzen sprechen: ich danke dir, dass ich nicht wie dieser Pharisäer bin. Der Anblick fremder Sünde verleitet uns, den Sitz des Richters einzunehmen, und damit ist jede heilsame Frucht, die derselbe für uns haben könnte, zerstört. Nun beugt uns die Sünde nicht mehr. Wir fühlen uns als die Richtenden erhoben und geschmeichelt. Wir erhöhen uns selbst dadurch, dass wir die andren unter uns stellen in ihrer Niederträchtigkeit, und machen uns aus ihrer Verdammung ein Lob und eine Rechtfertigung. Paulus weiß, was in den Herzen geschieht, wenn man von den Sünden der Menschen spricht, wie sich da die Rede anhebt: „Ja, so sind die Menschen, so schlecht, so nichtswürdig, so verdammlich! Gottes Gericht über sie ist gerecht!“ Dazu war besonders der Jude geneigt. Die heidnischen Sünden erfüllten ihn mit lebhafter Befriedigung. Er dachte an seinen großen Unterschied von den Heiden und freute sich, dass ihm das Gesetz gegeben sei und ihn vor Götzendienst und Lasterhaftigkeit bewahrt habe. Darum hatte er für den Heiden nichts als ein verdammendes Wort. Nun wohl! Sagt Paulus, damit nimmst du dir selbst jede Rechtfertigung. Das Urteil, das du gegen den andren aussprichst, verdammt dich selbst.

Darum, o Mensch, weil du zwar wohl Gottes Recht kennst und somit nach demselben andere richten kannst und dennoch an seiner Übertretung deine Lust hast, so dass die Verdammlichkeit deiner Sünde gerade darin besteht, dass du die Wahrheit hast und kennst, aber sie in die niederdrückst, darum kannst du dich nicht entschuldigen, du, der du richtest, V.1. Wir protestieren, wenn wir richten gegen die Sünde, scheiden uns von den Sündern, einigen uns mit Gottes Gesetz und kehren dasselbe gegen seine Übertreter. Deshalb scheinen wir uns im Richten überaus tugendhaft. Aber diese Einigung mit Gottes Gebot geht nur in unsern Gedanken vor sich, nicht auch in unserm Thun, nur wenn es andere trifft, nicht auch, wenn wir selbst von demselben getroffen werden. Du, der du richtest, treibst dasselbe!

So fallen wir wieder unter das Wort: die die Wahrheit in Ungerechtigkeit darniederhalten. Wir kennen die heilige Unverletzlichkeit des göttlichen Gebots und machen es gegen die andern geltend, binden uns selbst aber von demselben los und machen es ungültig für uns selbst. Darum scheidet uns unser Richten von den Sündern nicht, sondern es stellt uns unter sie, weil es beweist, dass wir uns mit Wissen und Willen an Gottes Recht vergreifen. Unser eigener Mund zeugt gegen uns und nötigt uns, vor Gott zu verstummen und uns seinem Urteil zu ergeben ohne Widerspruch.

Mit großer Zuversicht sagt Paulus jedem Richtenden: du thust dasselbe! Er ist ähnlich verfahren wie Nathan in seiner Bußpredigt an David. Wie dieser zuerst das Bild jenes rohen Reichen hinstellte und dann den Vorhand wegzog, damit David in demselben sein eigenes Bild erkenne, so hat Paulus zuerst die Macht und Schuld der menschlichen Verderbnis am Heiden dargestellt, wo sie jederman erkennbar ist. An ihm tritt die Sünde ohne Scheu ans Licht und wird in ihrem bösen Wesen und ihren bittern Folgen ohne Hindernis und Riegel offenbar. Wo das Gesetz regiert, da muß sie sich verbergen. Der Jude gab Gott mit dem Munde die Ehre und betete keine Tier- und Menschenbilder an. Auch hütete er sich vor Schande und Missethat. Solche Unterschiede zwischen den Menschen schätzt Paulus nicht gering; aber er hält uns an, nicht bloß den Unterschied zu sehen, der uns von den andern Menschen trennt, sondern auch die Gleichheit, in der wir mit ihnen stehen. Und in jedem Menschenleben giebt es dunkle Stellen. Keiner entrinnt der Sünde; jeder erlebt in seinem Maß und in besonderer Weise einen ähnlichen Fall, wie er uns hier beschrieben ist. Die moralische Bildung, die wir uns mittelst des Gesetzes verschaffen, legt sich doch nur als verbergende Hülle um unsre Sünde herum. Diesen Vorhang zieht nun Paulus weg und hält uns die durch unseren eigenen Spruch gerichtete Sünde als unser eigenes Bild entgegen und beugt uns dadurch ohne Ausrede unter Gottes Recht. Und gerade wenn wir uns auf das Richten der andern verlegen, beweisen wir, dass wir am Gesetz Gottes unredlich handeln. Hätten wir uns wahrhaft unter dasselbe gestellt und es ernstlich versucht, dasselbe für unsre eigene Person gelten zu lassen, so wäre uns das Gesetz eine schwere Sache geworden. Dann wüßten wir, dass sein Urteil sich gegen uns selber kehrt, und würden es nicht auf andre werfen. Dann hätten wir zugleich erkannt, dass der Kern und die Vollendung des Gesetzes die Barmherzigkeit ist.

Es giebt einen Verzicht auf das Richten, der selbst sündig ist, weil er nicht nur das Gericht, sondern auch das Gebot zur Erde fallen läßt und sich, so gut es geht, in alles findet, auch in das Schlechte und Verwerfliche. So wird die Heiligkeit des Gesetzes verleugnet. Der Richtende will im Gegensatz hiezu das Gesetz ehren und es gegen die verteidigen, die es brechen. Aber er ehrt es nicht in der rechten Weise, weil er es nicht thut, sondern bloß die andern richtet und sich selber nicht. Paulus kennt noch einen dritten Weg, und dieser ist allein rein und gerecht. Das Gesetz bleibt heilig; das Gebot bindet; das Gute wird geehrt in seiner unverletzlichen Majestät; das Böse wird in seiner Verwerflichkeit gekannt. Aber das Gericht reißt der Mensch nicht an sich selbst; er kann es nicht, weil er selber unter jenem steht. Er läßt darum das Gericht in Gottes Hand, der allein die Gnade und das Recht in Eintracht und Wahrheit verwalten kann.

Wie vollständig hat Paulus den Pharisäismus ausgezogen! Dieser konnte sich gar keine Heiligkeit denken ohne Gericht über die Heiden, Zöllner und Sünder. Darum war ihm auch Jesu Frömmigkeit verdächtig, weil er ein Freund der Zöllner war. Je mehr er sich bemühte, heilig zu sein, um so ängstlicher mied er die, die ihm als Sünder galten, und um so eifriger verdammte er sie. Nun beweist ihm Paulus gerade dadurch, dass seine Heiligkeit null und nichtig sei. Seit Paulus wahrhaft dem Gesetz Gottes unterthan geworden ist, tritt er nicht mehr von den Sündern weg, sondern zu ihnen hinzu als einer, der dasselbe that. Das ist der Unterschied zwischen ihm und seinen einstigen Genossen im Judentum: jene richten die Heiden; er richtet nicht mehr. Er kennt deren Sünde besser als jene. Aber soll er vergessen, dass er sich selbst nicht weniger versündigt hat? Aus dem Blick auf die gemeinsame Sünde giebt es für ihn nur eine richtige Folge: dass er sich mit ihnen unter das Urteil Gottes beugt und mit ihnen an den glaubt, bei dem für alle Gerechtigkeit zu finden ist.

Diese Wandlung hat große Wichtigkeit, denn dadurch gab es in der Welt Raum für die Wahrhaftigkeit. Vorher war das ganze Leben durchsetzt von Lügen ohne Zahl. Keiner wollte Unrecht haben, keiner schuldig sein. Jeder war fromm, gut und gerecht. Paulus bricht der Wahrheit bahn und leitet den Sünder aus dem Lügen hinaus zum Geständnis, dass er gesündigt hat. Und mit der Wahrheit kann sich nun auch die Liebe regen. Als die Richtenden treiben wir die Menschen von uns weg; Paulus hat dagegen den Weg zu den Sündern gefunden und vermag sich ihnen beizugesellen als der, der desselben Urteils und derselben Gnade teilhaft ist wie sie. Und das alles geschieht, ohne das die Schärfe des göttlichen Urteils irgendwelchen Schaden leidet. Es kommt keine Konfusion von Gut und Böse zu stand. Im Gegenteil, Paulus tritt gerade darum auf diesen Weg, weil er das Gebot und Gericht ganz bejaht, ganz, also auch für sich selbst.

Paulus hat uns gezeigt, dass ihn die Sünde der Heiden bewegt, ihnen ohne Ermüdung und Furcht das Evangelium zu bringen. Das verstehen wir niemals, solange der Anblick der Sünde nur den Erfolg in uns hat, dass wir die Menschen richten. Aber wir verstehen so nicht bloß den Eifer des Apostels, sondern überhaupt das Evangelium nicht. Gottes Eifer verstehen wir nicht, uns zu helfen. Wir wissen noch nicht, was Gnade ist, und darum auch noch nicht, was Glaube ist. Paulus hat uns aber die Macht der Sünde dazu beschrieben, damit wir gläubig werden. Dieses Ziel wird nur dann erreicht, wenn der Einblick in die Sünde unsere Hoffnung von uns selber wegtreibt, so dass wir erkennen, dass wir allein auf Gott geworfen sind. Der Richtende schaut dagegen mit Wohlgefallen auf sich selbst und dünkt sich gerechtfertigt, weil er ja das Böse verdammt. Darum ist das Richten des Glaubens Gegenteil und Verhinderung, ebenso wie es das Gegenteil und die Verhinderung der Buße ist.

Dem Richten des Menschen setzt Paulus Gottes Urteil entgegen: wir wissen, dass Gottes Urteil nach der Wahrheit ergeht über die, die solches thun, V.2. So wie uns der Name Gottes irgendwie ergriffen hat und seine Kenntnis in unsrer Seele lebt, so wissen wir, dass Gottes Urteil mit der Wahrheit völlig einig ist. Darum steht es als das eine und selbe über allen und fragt lediglich nach dem, was wir thun. Gott hat keine Günstlinge, denen zu Liebe er das Auge schlösse. Es giebt kein Mittel, durch welchem man ihm böses Treiben angenehm oder auch nur erträglich machen könnte. Kein Wissen, kein Reden, kein Selbstlob, kein Richten anderer, nichts was der Mensch als Schein und Hülle um sein böses Handeln legt, nichts kann dasselbe vor Gottes Urteil schützen. Gottes Gesetz fordert das Werk und sein Urteil trifft die That.

Die Ausflüchte und Windungen, mit denen wir um Gottes Gericht herumzukommen und unseren Ruhm zu erhalten suchen, sind unsäglich leichtsinnig. Wir rechnen darauf: wir werden dem Gericht Gottes entrinnen, V.3; es wird sich schon ein Ausweg für uns finden; andere mag Gottes Urteil treffen; uns wird es nicht so schlimm ergehen. Und so mag sich ein Mensch trösten im selben Augenblick, da er gegen andere hart und zornig als Vertreter des göttlichen Rechts den Richter spielt! Als stände dem Gericht Gottes nicht dessen Allmacht zu Gebot, der keiner entrinnt; als gälte hier nicht das Psalmwort: wo soll ich hinfliehen vor deinem Geist! Das wir im stillen die Hoffnung hegen, Gott werde sich ungerecht erfinden lassen uns zum Vorteil, er werde für unsre Bosheit blind werden und uns zu Liebe Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit vergessen, das ist der schlimme Hintergrund bei solch scheinbarem Eifer für Gottes Recht. Damit entehren wir Gott.

Einer Widerlegung bedarf die Hoffnung: „mir wird es gelingen, zu entrinnen!“ nicht; sie ist sofort in ihrer Thorheit offenbar. Aber wir haben noch eine andere Ausflucht zur Hand. Wir berufen uns auf den Reichtum der Güte Gottes, die uns trotz unserer Bosheit viel Gelingen und Gedeihen giebt, und seiner Geduld, die viel Böses mit ansieht, ohne uns zu wehren, und seiner Langmut, welche die Vergeltung hinausschiebt und uns immer wieder Frist gewährt. Das menschliche Leben ist nicht bloß von Gottes Zorn durchwaltet, sondern Gottes Weltregierung wird zugleich, ja überwiegend durch seine Güte und Geduld bestimmt. Aber das Ziel und Werk derselben ist, dass sie uns erweichen und unser Herz vom Bösen ab zu Gott hin wenden will. Kein Mensch kann sich im Ernst eine Güte denken, die ihn in der Schlechtigkeit bleiben ließe, die nicht darauf hinarbeitete, ihn vom Bösen los und gut zu machen. Wenn wir darum die Güte Gottes als Erlaubnis zur Sünde deuten und bei der Geduld und Langmut Gottes Pflege und Schutz für unsre Bosheit suchen, so wandelt sich unser Vertrauen auf Gottes Güte in Verachtung derselben um. Wir verschmähen ja das, was uns die Güte Gottes geben will. Dazu braucht es einen harten Sinn und ein Herz, das seine böse Art zäh festhält und nicht fahren lassen will. Und dem haben wir es zu verdanken, dass wir Gott noch anders erleben werden als nur nach seiner Güte und Geduld. Gottes gerechtes Richten wird sich offenbaren. Jetzt ist dasselbe unter der göttlichen Güte und Geduld verborgen. Wir erfahren es noch nicht handgreiflich in unsrem Geschick, dass Gott das richterliche Amt in fehlloser Gerechtigkeit an allen übt und mit seinem Urteil jedem zumißt, was ihm gebührt. Aber es wird sich zeigen, dass Gott das Recht verwaltet und dabei von der Wahrheit allein geleitet ist, und dann werden wir finden, dass aus der entweihten und mißbrauchten Güte Zorn geworden ist, ein Schatz des Zorns, den wir selbst uns dadurch ansammelten dass wir den Reichtum seiner Güte mit unserem harten Sinn vergebens empfingen und zur Mehrung unserer Sünde ausnützen. Denn über allen Selbsttäuschungen und blinden Einbildungen der Menschen steht Gottes gerechte Regel in heiliger Unwandelbarkeit: er wird jedem vergelten nach seinen Werken; Preis allen denen, die das Gute thun. V.6-11.

Der Apostel hat dieselbe zweimal hingestellt, das erstemal deutlich im Hinblick auf die, welche sich des Gesetzes rühmen. Gott hat uns herrliche Güter als Lohn unseres Fleißes in Aussicht gestellt: Preis und Ehre und Unvergänglichkeit. Darum war Israel so eifrig in seinem Gesetzesdienst. Es fragte wie der reiche Jüngling: was muß ich thun, dass ich das ewige Leben ererbe? Und streckte sich aus nach der Ehre und Herrlichkeit bei Gott. Solches Streben ist richtig und gut, wenn es nur den Weg nicht verfehlt, der uns zu diesem Ziele bringt. Der Weg dazu ist: Geduld im guten Werk, im Werk, so dass wir nicht nur mit Worten vor Gott prunken und uns genügen lassen an leerem Schein, im guten Werk, das wirklich in der Regel Gottes bleibt, nicht in selbsterwähltem Gottesdienst, in geduldiger Beharrung bei demselben, die sich nicht bloß mit einem Anlauf und Vorsatz zufrieden giebt und dazwischen wieder der Sünde dient. Wer so die Ehre und Herrlichkeit bei Gott sucht, der wird sie finden; dem giebt Gott ewiges Leben. Was soll er aber mit den „zänkischen“ Leuten machen, die fort und fort die Lust am guten Werk verlieren, weil ihnen Gott dasselbe nicht alsbald lohnt, die ungeduldig, herrisch und aufgeblasen nach seinen Gütern greifen, ihre Person vor ihm groß und wichtig machen, nichts als Ansprüche an ihn stellen und ungerechte Gunst für sich verlangen? Mit denen, für die die Wahrheit umsonst vorhanden ist, weil sie ihr mit ihren Lügen und Einbildungen beständig widersprechen? Und doch sind sie bei anderer Gelegenheit so weich, nachgiebig und willfährig und verstehen es so gut, sich zu fügen und zu gehorchen, dann nämlich, wenn sie ein Unrecht lockt. Wer ein verschlossenes Ohr hat für die Wahrheit, wohl aber ein offenes, folgsames Ohr für jeden ungerechten Wunsch, der findet bei allem Pochen auf das Gesetz nicht Preis und Ehre bei Gott, sondern Ungnade und Zorn. Darauf spricht der Apostel das göttliche Grundgesetz noch einmal in seiner einfachsten Gestalt aus: ob wir das Böse vollbringen oder das Gute wirken, darauf kommt es vor Gott an, für alle, für Juden wie Griechen, V.9 u. 10.

Der Vorrang des Juden bezieht sich nicht bloß auf Gottes Gabe, sondern genau ebenso auf Gottes Gericht. Zorn und Gnade suchen gleicherweise den Juden zuerst, weil ihm das göttliche Wort mit seinem Gebot und seiner Verheißung zuerst gegeben ist. Darum werden dem Juden seine bösen Werke zuerst und zumeist Elend und Jammer bringen, wie er wiederum dessen zuerst und zumeist gewiß sein darf, dass Gott sein redliches, geduldiges Werk mit Herrlichkeit und Frieden lohnen wird. Dieselbe göttliche Gerechtigkeit umfaßt aber auch den Heiden, und die Regel Gottes gilt auch ihm.

Denn es giebt vor Gott kein Ansehen der Person. Er ist derselbe gegen alle in vollkommener Unparteilichkeit. Vor ihm stehen keine willkürlichen Unterschiede, die nicht im Wesen des Menschen liegen. Mag es uns noch so schwer werden, gelten zu lassen, dass dasselbe Urteil Gottes, das wir gegen die anderen kehren, auch auf uns selber liegt, und dass dieselbe Gnade Gottes, die wir für uns selber hoffen, auch den anderen gilt: wir müssen es uns sagen, dass alle Rechnungen auf Gottes Parteilichkeit fehl schlagen und jede Hoffnung, dass die göttliche Regel Ausnahmen leide und sich biegen lasse, trüglich ist. Weil Gott sich selbst nicht verleugnet, werden wir vor ihm alle einander gleich.

Das ist kein Widerspruch zur Glaubenspredigt; im Gegenteil: hier zeigt uns Paulus, wie man gläubig wird. Weil diese Worte zur Buße leiten, legen sie den Grund zum Glauben. Wir müssen anerkennen, dass Gott uns zum guten Werk berufen hat, dass es nichts in der weiten Welt giebt, was uns als Ersatz für das Thun des Guten dienen kann, dass wir keine Ansprüche an Gott haben bei bösen Werken, dass wir Gottes Gunst und Gnade auf keine Weise und durch kein Mittel erhalten, wenn wir das Böse thun. So lange wir denken: „Gutes thun mag ich nicht, ich will sündigen,“ so lange ist kein Glaube in uns, und die Zuversicht, die wir uns dennoch einbilden, ist lügenhaft. Wozu wenden wir uns denn glaubend an Gott? Weil wir gerne Gutes und nur Gutes thäten unser Leben lang und darob Leid tragen, dass wir es nicht können. Zwischen denen, die dem Gesetze dienen, und denen, die im Glauben stehen, macht nicht das den Unterschied, dass jene rechtschaffen handeln wollen, diese aber nicht. Der Glaubende begeht das gute Werk mit ganzem herzen. Aber er sucht es nicht bei sich selbst, sondern sucht und findet es bei Gott.

Es wäre sehr töricht, wenn es uns scheinen wollte: der Apostel rede ja hier wie ein Jude. Der Jude sage, Gott werde jedem nach seinen Werken vergelten, und denen, die das Gute wirken, ewiges Leben geben. Nein! Kein Jude und kein Heide, niemand als allein der an Christus glaubende Apostel hat gesagt, dass Gott keine Spur von ungerechter Gunst abzulocken sei. Vor einem solchen Wort erschrak jeder Pharisäer damals und heute noch; sie haben dagegen alle mit vollem Munde protestiert. Der Pharisäer sprach freilich viel vom Werk. Das hatte er aus Gottes Gesetz gelernt. Aber er war nicht willens, auf Gottes Parteilichkeit zu seinen Gunsten zu verzichten. Wozu war er denn Abrahams Same? Worin sollte denn der Vorzug des Juden bestehen? Wozu fastete er denn und hielt den Sabbath in aller Pünktlichkeit, wenn er sich damit nicht Gottes Gunst erwarb trotz seiner Bosheit? Um die heilige Reinheit der göttlichen Gerechtigkeit unverdreht im Herzen zu tragen, muß man einen anderen Stützpunkt haben als das fromme Wollen und Bemühen unseres eigenen Herzens. Das vermag nur der, der durch Christus mit Gott Frieden hat. Durch Gottes Gnade, wie wir sie in Christo haben, lernen wir auf alle schlechten Mittel verzichten, durch die wir Gott für uns gewinnen möchten, und zu seiner fleckenlosen Gerechtigkeit aufzusehen, von Hoffart wie von Verzagtheit frei. Es verhält sich auch nicht so, dass der Glaube dadurch schwer würde. Wer könnte in Wahrheit Gott sein Herz ergeben, wenn es nicht die gewisseste aller Gewißheiten wäre, dass mit Lüge und Trug niemand sich Gottes Gnade erlisten wird? Die unwandelbare, gegen alle gleiche Gerechtigkeit Gottes ist das Fundament aller Furcht, Ehre und Liebe Gottes. Wer sie leugnet, schneidet dem Glauben die Wurzel ab.

Es giebt so manche durch eine unreine Glaubenspredigt Geärgerte unter uns. Wenn sie doch den Apostel selber hören wollten! Er bietet ihnen den Anstoß nicht, den ihnen ein träger Glaube bereiten mag. Allerdings ist die Lehre weit verbreitet, dass Gott an die Stelle der guten Werke den Glauben gesetzt habe als den leichteren, bequemeren Weg zur Rechtfertigung. Diese Lehre ist aus der Lust am Sündigen geboren und hat mit Paulus nichts gemein. Paulus sagt uns hier unzweifelhaft, dass nichts an die Stelle der rechtschaffenen That zu treten vermag. Der Glaube ist nicht dazu da, um uns vom Handeln zu entbinden. Der Glaube selbst ist freilich kein Werk, am wenigsten ein Menschenwerk, sondern im Glauben sehen und fassen wir Gottes Werk. Gottes Werk aber hat mit unserem trägen, bösen Willen nichts gemein, sondern treibt ihn aus. An diesen Worten des Apostels mag sich unser Glaube prüfen, ob er lauter ist, ob er den wahrhaftigen Gott vor Augen hat oder ein Götzenbild. Wer innerlich gegen diese Worte des Apostels protestieren muß, der sehe zu, ob sein Glaube nicht tot sei und Selbstbetrug.

Kap. 2,12-16 - Worin die Juden und Heiden einander gleich sind.

Gott macht keinen bösen Unterschied zwischen den Menschen. Nun hat aber doch Gott den Unterschied zwischen den Juden und Heiden gemacht. Kann dennoch dieselbe Regel Gottes beiden gelten? Der Unterschied kam daher, dass nur dem Juden das Gesetz gegeben war. Dem Juden schien diese Verschiedenheit unendlich wichtig. Die Frömmigkeit, die er sich durch seinen Fleiß und Eifer am Gesetz erwarb, schien ihm ein herrlicher Reichtum und seine Krone und Ehre vor Gott. Das alles fehlte dem Heiden. Paulus besieht nun diesen Unterschied, was er wohl vor Gott bedeuten mag.

Die einen sündigen ohne Gesetz, die anderen sündigen im Gesetz: das ist der ganze Unterschied, V.12. Allerdings besitzen die Heiden das Gesetz nicht, und die Juden besitzen es. Das wäre aber nur dann ein heilsamer Unterschied, wenn sich der Jude durch das Gesetz am Sündigen hindern ließe. Hast du, Jude, dich nicht versündigt? Das ist die Frage, auf die Paulus alles stellt. Die Sünde zieht uns in das Verderben hinab, gleichviel ob der Mensch das Gesetz besaß oder nicht. War ihm dasselbe nicht gegeben, so dass er ohne Gesetz gesündigt hat, so wird er seiner Sünde wegen auch verloren gehen ohne das Gesetz. Der Mangel des Gesetzes macht seine Sünde nicht unschuldig, so dass sie für ihn erlaubt wäre und straflos bliebe, vielmehr wird er gerade daran scheitern, dass er den Weg zu Gottes Gebot nicht fand, sondern los vom Gesetz seinen eigenen Willen that. Dieses Wort des Apostels hat jeder Jude eifrig bestätigt: ein Mensch, der über Gott nicht unterrichtet ist, sondern selbstherrlich dahinlebt und allen bösen Trieben seiner Seele folgt, muß untergehen, weil er Gott nicht gefallen kann. Aber wie wird es dem gehen, der im Gesetze stand und sich an demselben versündigt hat? Der Besitz des Gesetzes macht doch seine Sünde nicht unschuldig, als würden wir dazu über Gottes guten Willen unterrichtet, damit wir unbekümmert sündigen könnten; vielmehr wird der Sünde durch das Gesetz das Urteil gesprochen werden. Also führt sie uns alle immer und notwendig zum selben schlimmen Ziel.

Ja, wenn es genug wäre, das Gesetz nur zu hören! Dann hätte der Jude allerdings vor dem Heiden einen wesentlichen Gewinn voraus und könnte sich selig preisen. Denn Hörer des Gesetzes waren die Juden alle mit großem Eifer. Aber ist denn das Gesetz nur zum Hören und Studieren da? Das Gesetz will Thäter haben; nur diesen giebt es den Preis der Gerechtigkeit, V.13. Es gilt auch hier dieselbe göttliche Regel für den Heiden und den Juden. Auch am Heiden kann der Jude sehen, dass nur der Thäter der rechte Diener des Gesetzes ist und das Gesetz so behandelt, wie es behandelt werden muß. Denn dann, wenn die Heiden das, was das Gesetz verlangt, thun, dann sind sie sich selber das Gesetz, V.14. Der Mensch kann sich selbst das Gesetz sein, weil er sich selbst vorhalten kann, was das Gesetz Israel vorgehalten hat. Er kann sich den guten Willen Gottes einschärfen, das Böse sich verbieten, seine Fluchwürdigkeit sich klarmachen. Den Unterricht, den das Gesetz Israel erteilt hat, kann ein Mensch teilweise sich selber geben. Daher kommt es, dass auch der Heide, ohne das Gesetz empfangen zu haben, von Natur, aus der im innerlich gegenwärtigen Wahrheit Gottes heraus, thun kann, was das Gesetz verlangt. Wie könnte er es thun, wenn er nicht im Stande wäre, sich das Gute zur Pflicht zu machen und sich das Böse zu verbieten mit innerlich bindender Macht? Dass auch der Heide bei sich selbst im inneren Zwiegespräch der Seele das Amt des Gesetzes verwalten kann, darauf beruht seine Verantwortlichkeit. Deshalb gilt es auch von seiner Sünde, dass sie ins Verderben führt. Aber nur dann, wenn er das Gesetz thut, ist er für sich selbst zum Gesetz geworden. Sündigt er, so hat er es unterlassen, das Amt des Gesetzes an sich zu üben. Dann hat er sich selbst den Zügel frei gelassen und sich das Gute nicht auferlegt und das Böse nicht von sich abgewehrt. Niemand wird sagen, wenn der Heide das Gute und Gott Wohlgefällige bloß kennt und bespricht, er sei sich selber zum Gesetz geworden. So läßt er ja seinen schlechten Willen ungebunden und stößt die Grenze zwischen dem Guten und dem Bösen um. Genau ebenso ist es aber auch unter den Juden nicht schon der Hörer, sondern erst der Thäter des Gesetzes der Gerechtfertigte. Gott verhält sich gegen beide gleich und hat beide derselben Regel unterstellt.

Thut der Heide das Gesetz, dann erweist er das Werk des Gesetzes als in sein Herz geschrieben, und dort im Herzen muß es auch der Jude haben und nicht nur im Ohr und im Mund. Der Heide vermag das Werk des Gesetzes in seinem Herzen zu haben, weil er ein Gewissen hat. Auch er hat ein gewisses Maß von Er kenntnis empfangen, weil sein Gewissen in Einstimmigkeit mit Gottes Gesetz redet. Es ist der Mitwisser bei allem, was der Mensch denkt und thut. Es begleitet ihn hiebei stets ein innerliches Urteil und stellt den Wert seines Handelns vor Gott fest. Zum Gewissen kommen weiter die Gedanken, die, wenn wir unter einander sind, hervortreten. Auch diese Gedanken zeigen, dass jeder Mensch Anteil an der Erkenntnis des göttlichen Willens hat. Denn er kann den andern nicht zusehen, ohne in seinen Gedanken sofort ein Urteil über sie zu fällen, sei es, dass er sie innerlich verklagt, sei es, dass er sie verteidigt. So ist er inwendig mit der Erkenntnis ausgestattet, die in gewissem Maße dem entspricht, was der Jude aus dem Gesetz lernt. Aber nun muß er seiner Erkenntnis gehorchen und thun, was ihm sein Gewissen gebietet; dann ist er sich selbst das Gesetz und geht mit der Weisung Gottes richtig um. Es nützt nichts, ein Gewissen zu haben, wenn man doch gewissenlos handelt; es nützt ebensowenig, das Gesetz zu haben, wenn man es bloß hört.

Wie ein Mensch mit seinem Gewissen handelt, ob er gewissenhaft ist oder gewissenlos, ob er das Werk des Gesetzes in seinem Herzen trägt oder nicht, das gehört freilich jetzt dem verborgenen Leben der Geister an, worüber kein Mensch urteilen kann. Wir können darum nicht berechnen, was die Schuld oder die Gerechtigkeit der Menschen ist, weil wir nicht wissen, was inwendig in ihrem Herzen vor sich ging. Aber es wird der Tag kommen, wo Gott eben dieses Verborgene an den Menschen richten wird. Dann wird es sich zeigen, wer das Werk des Gesetzes in seinem Herzen trug und sich selber zum Gesetz geworden ist, oder wer das Zeugnis des Gewissens umsonst gehört und verworfen hat, und dann wird das Zeugnis des Gewissens und der Gedanken jeden nötigen, das göttliche Urteil als gerecht zu ehren. Dann wird es sich auch zeigen, dass nur die Thäter des Gesetzes den Preis der Gerechtigkeit empfangen, während der Ruhm der bloßen Hörer sich in Schande verkehrt. Das wird geschehen nach meinem Evangelium, V.16. Paulus verkündigt das Evangelium von der freien Gnade und der Gerechtigkeit aus Glauben allein. Aber dies sein Evangelium lobt die Sünde nicht, sondern sagt jedem Sünder, sei er Jude oder Heide, sei er´s im Verborgenen oder offenbar, dass Gott ihm seine Sünde zum Verderben machen wird und dass er dieses als ein gerechtes Urteil bestätigen muß.

Nicht das lehrt Paulus an dieser Stelle, dass Gott alle Heiden und jeden Juden der Verdammnis preisgebe. Denn er spricht nur von dem, was der Mensch durch sich selbst erreicht, und nicht vom Werk Christi und nicht von der Gnade Gottes, nicht davon, wie weit Christi Erlösung auch über Heiden und Juden sich erstreckt.

Aber so reich und mächtig Gottes Gnade auch über der Welt aufgegangen ist: was der Apostel hier sagt, bleibt unumstößliche Wahrheit und verlangt Anerkennung von jedermann. Dass wir durch unser Sündigen verloren sind, das gestehen wir entweder freiwillig ein in der Buße, dadurch, dass wir uns selber richten, oder dann werden wir es unfreiwillig eingestehen, dann, wenn wir Gottes Gericht erleiden und die Verlorenheit kosten werden, die uns unsere Sünde bereitet hat.

Kap. 2,17-29 - Warum der Besitz des Gesetzes kein Vorzug ist.

Was der Apostel bisher sagte, enthielt die Frage an den Juden: hast du nicht gesündigt? Nun geht er vorwärts von der Frage zur Anklage. Er beschreibt uns den Juden mit seiner ganzen reichen Ausstattung. Gott ist sein Ruhm und seine Freude. Er betrachtet sich als Gottes Eigentum und hofft auf Gottes Hilfe für Israel. Diese Zuversicht zieht er aus dem Gesetz. Weil Israel das Gesetz gegeben ist, darum ist es Gott verbunden als sein heiliges Volk. Deshalb tauscht er seinen Namen mit keinem anderen Volk der Welt. Er gilt ihm als Ehre und Krone. Mit Eifer läßt er sich aus der Bibel unterweisen und gewinnt dadurch einen hellen Blick für das, was recht und rein ist vor Gott. Er kennt Gottes Willen. Darum gilt ihm das Heidentum als eine traurige Blindheit und er macht sich mit Eifer an die Mission. Überall sammelten die Synagogen aus den Heiden zahlreiche Proselyten. Sie verheimlichten ihr Judentum nicht, sondern traten mit Eifer für dasselbe ein, priesen es den Heiden an und nahmen sie in ihre Lehre und Zucht. Es könnte ja scheinen, der Dienst des Paulus sei völlig überflüssig. Längst vor ihm waren zahlreiche und eifrige Lehrer für die Heiden aufgetreten und auch nach Rom gekommen und hatten ihnen das göttliche Gesetz vorgelegt. Zu solchem Unterricht der Heiden ist der Jude darum befähigt, weil Gott ihm die Erkenntnis der Wahrheit in einer deutlich faßlichen Form vorgelegt hat. Er muß dieselbe nicht wie der Heide aus den verborgenen inwendigen Regungen des Geistes lernen; er hat sie vor sich ausgeprägt in sichtbarer Gestalt in seiner Bibel.

Aber diesen Vorzug macht der Jude selbst vollständig zu nichte. Mit dem Munde heiligt er das Gesetz, mit der That reißt er es nieder. Häßlich und verderblich geht der Widerspruch durch sein Wesen, zwischen dem, was er lehrt, und dem, was er lebt, zwischen dem, was er in seiner Erkenntnis hat, und dem, was seine That ausdrückt. Was als Schande und Verurteilung auf den Richtenden fiel, dass er wohl die anderen richte, aber sich selber nicht, das trifft auch den lehrenden und predigenden Juden: er lehrt die andern, aber sich selber nicht. Es ist derselbe Schaden und innere Zwiespalt, wie im Heiden, nur noch greller und bösartiger, weil der Jude seine Kenntnis des Gesetzes als seinen Vorzug preist, während der Heide das recht Gottes als schwere Last heimlich in seinem Gewissen trägt.

Gerade an den einfachsten Geboten des Gesetzes kommt der Jude zum Straucheln. Er kann sich doch nicht überwinden, fremdes Eigentum unverletzt zu lassen, sondern wird bei allem Ruhm Gottes doch zum Dieb. Und der Brand der sinnlichen Begierden entzündet sich auch in ihm und macht ihn zum Ehebrecher. Und bei allem Abscheu vor den Götzen zieht er doch bei guter Gelegenheit die Kostbarkeiten eines heidnischen Heiligtums an sich. Daher bringt seine Predigt an die Heiden dieselben nicht zu Gott. Seine Thaten reden mächtiger als seine Worte. Verachtung Gottes ist das Ende seines Missionseifers. Paulus erinnert Israel daran, wie viel Schande es Gott bei den Heiden bereitet hat. Der Ärger der Heiden über die Bosheiten der Juden fiel natürlich auch auf deren Gott.

Paulus führt seinen Streit mit den Juden rein und heilig. Sie riefen in der Synagoge eifrig: Werk, Werk! Paulus stimmt bei und verlacht diesen Eifer, der Gott im guten Werke dienen will, nicht. O nein! Auch er sagt: Werk und nur Werk ist Erfüllung des Gesetzes; du darfst in nichts anderes deine eigene Gerechtigkeit als ins Werk allein. All dein Wissen und Reden taugt für sich allein nichts, macht dich nur sündiger, je besser du weißt, was gut ist vor Gott. Aber was er fordert, das ist nun wirklich: Werk, nicht bloß Geschwätz und Gerühme von Werken, die man doch nicht thut. Er fordert Wahrhaftigkeit, die das eigne Wirken ohne Selbstbetrug prüfend ins Auge faßt, ob es dem Gesetz Gottes entspricht. Wenn der Jude nur die Wahrheit, auf die er sich stützt, gelten läßt, führt sie in zum Glauben hin. Der Zwiespalt, in dem er steht, treibt ihn über sich hinaus und läßt ihm keine Ruhe in sich selbst. Das Gesetz heißt ihn wirken, aber das Werk mangelt ihm. So muß er sich vom Wirken zurückziehen auf sein Wissen, auf seine Kenntnis des Gebots. Aber dabei kann er sich nicht beruhigen, denn er weiß, dass er das Gebot Gottes nicht bloß wissen, sondern halten soll. Da bleibt ihm nichts übrig, als dass er emporschaue über sich selbst hinauf zu dem Gott, der in seiner eigenen Gnade ihm mit seiner Vergebung und Kraft entgegenkommt.

Warum ist jener Ruhm und jene Zuversicht zu Gott, die den Juden erfüllt, nicht auch schon Glaube? Weil sie ihren Grund im Gesetz hat. Das Gesetz verweist aber den Menschen auf sich selbst, auf sein eigenes Vermögen und seine eigenen Kräfte; So stützt sich seine Zuversicht auf den Menschen, auf das, was der Mensch thut, und auch wenn sie sich Gottes rühmt, so geht der Ruhm darauf, dass der Mensch ihn kenne, der Mensch ihm diene und Gott dem Menschen verpflichtet sei. Darum ist jene Zuversicht, so ähnlich sie äußerlich dem Glauben ist, innerlich dessen gänzliches Gegenteil. Denn im Glauben schaut der Mensch von sich weg und giebt sich selber preis, und schaut empor zu Gott, auf Gottes Gabe und Gottes Werk. Spricht jene Zuversicht: ich bin gerecht, so spricht der Glaube: Gott ist gerecht. Deshalb entsteht nur dann Glaube in uns, wenn wir unsere Zuversicht völlig vom Gesetz abziehen, so gewiß der Mensch sein Vertrauen nicht zugleich auf sich selbst und auf Christum stellen kann.

Traten dem Juden seine Sünden vor Augen, So zog er sich auf seine Beschneidung und auf den Bund Gottes mit Israel zurück, wie sie schon dem Täufer antworteten, als er sie zur Buße rief: wir haben Abraham zum Vater. Die Beschneidung hilft allerdings und es ist Anteil am Himmelreich und ewigen Leben ein Jude zu sein, wenn du das Gesetz thust, V.25-29. Du darfst die Bundesgnade und ihr Sakrament und die Schrift, die von ihr zeugt, nicht ablösen von ihrem Zweck, dass sie dich zum Thun des göttlichen Willens leiten wollen. Hat der Besitz der Beschneidung und der Schrift nicht diesen Erfolg, so ist er leer und nichtig. Dann steht der Heide höher, der zwar das Zeichen der Bundesgnade nicht an seinem Leib trägt, wohl aber die Ordnungen des Gesetzes hält, V.26.

Paulus hat schon V.14 daran erinnert, dass auch der Heide das, was das Gesetz verlangt, thun könne. Auch dessen Leben ist nicht immer nur Sünde und Verworfenheit. Paulus hat an den Heiden, unter denen er das Evangelium predigte, manche That gesehen, durch die das Gesetz zur Erfüllung kam, Gehorsam und Ehrerbietung der Kinder gegen die Eltern, Treue der Gatten, Redlichkeit, die an fremdem Gut sich nicht vergriff, u.s.s. Und er heißt das Gute am Heiden nicht schlecht, deswegen weil es ein Heide thut. Gleichwie er dem Juden willig zugesteht, dass er Werke des Gesetzes habe und oftmals thue, was das Gesetz verlangt, so ist er auch dem Heiden gegenüber gerecht und anerkennt, dass auch dieser die Ordnung des Gesetzes oft bewahrt. Mit dem rechtschaffenen Heiden beschämt er nun den sündigen Juden, der die Bibel in der Hand und das Zeichen seiner Berufung an seinem Leibe trägt, und durch all das bloß ein Übertreter des Gesetzes wird. Da kommt die Ungerechtigkeit des Juden grell ans Licht. Seine eigene Sünde gilt ihm nichts; an ihm sieht Gott nur das gute Werk. Am Heiden gilt umgekehrt das gute Werk nichts; da sieht Gott nur die Sünde. Die Beschneidung des Juden giebt ihm Anteil am Himmelreich, trotzdem er das Gesetz übertritt. Die Vorhaut des Heiden schließt ihn aus dem Himmelreich, auch wenn er das Gesetz hält. Das heißt Gott zum Diener der eigenen Ungerechtigkeit erniedrigen und auf seine Parteilichkeit die Hoffnung bauen.

Paulus hat das Gute nirgends verkannt, wo immer es sich finden mag, ob am Juden oder am Heiden. Er hat aber auch das Böse nirgends entschuldigt, weder am Juden noch am Heiden. Kein Gutes, das ich thue, kann meine Sünde zur Entschuldigung dienen. Sünde wird nur bedeckt durch Gottes Vergebung. Ist´s aber Vergebung, dann ist´s Gnade und wir sind auf den Glauben gewiesen, dass er unsere Gerechtigkeit sei.

Wenn Gott dem Juden die Schrift und die Beschneidung gab, so ging seine Absicht nicht dahin, dass sich der Mensch auswendig in einen frommen Schein einhülle und dabei inwendig im verborgenen Grund seines Wesens verdorben bleibe. Jenen frommen Schein mit seinen gottesdienstlichen Formen loben wohl die Menschen, aber nicht Gott. Nur der wäre ein wahrhaftiger Jude, welcher in seinem inwendigen verborgenen Wesen nach Gottes Gesetz gestaltet wäre durch eine Beschneidung, die sein Herz abtrennen würde von aller Unreinigkeit und Gottlosigkeit. Da zeigt sich bereits, worin die Hilfe für uns bestehen muß. Kein Sakrament, keine Schrift, kein Gesetz kann unser Herz reinigen; das thut der Geist allein. Er ist Licht und Leben zugleich, Erkennen und Kraft in Einigkeit. Er vermag jenen Zwiespalt zu heilen, welcher unser Wissen und Handeln, unser Bewußtsein und unser Wesen aus einander reißt. Er allein erneuert den verdorbenen Grund unserer Person nach Gottes Bild. Unsere Hilfe und Gerechtigkeit ist darum Jesus, welcher uns den Geist aus Gott verleiht.

Mit diesen Worten war den Römern wieder ein wichtiges Stück an der Missionsarbeit des Paulus verständlich gemacht. Er wird in Rom mit Juden und Heiden in derselben Weise verkehren. Das thut er deshalb, weil er die jüdische Sünde nicht leichter nehmen kann, als die heidnische, sondern beide ihm in derselben Weise verdammlich sind, so dass beide derselben Erlösung bedürftig sind. Nun wissen wir auch, warum er nur mit dem Evangelium nach Rom kommen wird und sich in keiner Weise mit der Predigt des Gesetzes mehr befaßt. Das Gesetz errettet niemand, weil es niemand vor der Sünde zu bewahren vermag, vielmehr den Fall in die Sünde dem Menschen offen läßt. Wie es sich mit dem Unterschied zwischen den Juden und den Heiden verhalte, und was man mit dem Gesetz gewinnen könne, das waren Hauptfragen, die tief ins ganze Missionswerk und in die Einrichtung der christlichen Gemeinden eingriffen. Paulus hat darum den Römern seine Stellung in diesen Fragen klar bestimmt. Dieselben Fragen greifen auch heute noch ebenso tief in jedes Christenleben ein.

Es ist für unser Verständnis des Römerbriefs von großer Bedeutung, dass wir uns dieses Kapitel innerlich aneignen. Sind wir hier mit dem Apostel eins geworden, dann ist unser Glaube vor zwei Gefahren bewahrt, denen die Kirche nicht immer entgangen ist:

einmal vor der Trägheit, die sich des Werks entschlagen will. Paulus hat uns hier von allem leeren Gewissen und bloßen Reden weggewiesen ins Verlangen nach dem Werk und uns gezeigt, dass wir Gottes Gnade darum glaubend suchen müssen, damit wir vom Sündigen erlöst und statt dessen zu jedem guten Werk aufgerichtet werden;

ferner davor, dass wir an unsern Glauben glauben, statt an Christum. Dies thun wir dann, wenn wir den Glauben als eine Art Werk behandeln, welches uns Gottes Lob verdient, als wäre der Glaube ein Ruhm vor Gott. Ruhm hat der, der das Gesetz thut, und niemand sonst. Wer aber gesündigt hat, der kann kein Wohlgefallen an sich selber haben. Ihm hilft nichts, was er bei sich finden und besitzen mag. Wohl aber hilft uns der, dem wir glauben. Nur Christus macht, dass unser Glaube eine Kraft ist, weil er demselben seine Gnade schenkt.

Kap. 3,1-8 - Vom Vorzug des Juden und vom Mißbrauch desselben

Paulus hat den Juden wie den Heiden unter dieselbe Regel Gottes gestellt, beiden die Sünde mit demselben Ernste vorgehalten und ein und dasselbe Urteil Gottes beiden angekündigt. Ein Jude müßte kein menschliches Herz haben, wenn er sich nicht hiegegen sträuben sollte. Er klammert sich an den Vorzug Israels und den Segen der Beschneidung an. Gott sagte er, hat Israel berufen und durch die Beschneidung von den Heiden abgesondert. Das kann nicht dahinfallen. Niemand darf Israels Vorzug leugnen und niemand sagen, dass der Heide und der Jude vor Gott gleich seien. So will der Jude der Gerechtigkeit Gottes entrinnen, und die jüdische Sünde soll nicht ebenso schlecht und verdammlich sein, wie die heidnische.

Paulus hatte die Absicht, noch ausführlich davon zu sprechen, wie es sich mit Israels Berufung verhalte, Kap. 9-11. Allein er muß schon hier einige Worte darüber sagen, weil er die trüglichen Entschuldigungen zerstören will, durch die sich ein Mensch über seine Sünde beruhigt. Nun steift sich ein Jude, wenn ihn sein Gewissen mahnt, auf den Vorzug Israels und den Segen der Beschneidung, als bestände derselbe darin, dass er ohne Schaden sündigen dürfe, nicht allzuviel, aber doch ein wenig, so dass seine böse Begier dabei zu ihrer Rechnung kommt. Ein bischen Sünde, denkt der Jude, muß dem Juden freigegeben sein. Wo bliebe sonst der Vorzug Israels? Wenn er gar nicht sündigen dürfte, wenn auch seine Sünde von Gottes Gericht getroffen würde, da könnte er ja ebenso gut ein Heide sein! So lange der Jude seine Sünde mit seinem Vorzug decken will, so lange findet er den Weg zum Glauben an Christus nicht.

Für die Christen aus den Heiden war es genau ebenso wichtig, einzusehen, dass der Vorzug Israels keine Decke für die Sünde sei. Wäre der Jude wirklich ausgenommen von Gottes Gericht, da könnte auch der Heide sich einreden: ich werde entrinnen; was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Besteht der Nutzen der Beschneidung darin, dass ein Jude ungestraft sündigen kann, warum soll es nicht noch andere Dinge geben, die denselben Vorteil bringen, etwa z. B. die Taufe? Warum sollte ich nicht sagen: worin besteht der Vorzug der Christenheit und der Segen der Taufe anders als darin, dass ich in gewissen Grenzen ungestraft sündigen kann? Diese gottlose Denkweise ist ja bis heute in der Kirche eine Macht. Gott hat offenkundig Israel sonderliche Gunst und Gnade erwiesen. Es ist von großer Wichtigkeit, dass wir einsehen, dass solche Gunst nicht ungerechte Gunst ist und solche Gnade kein Ansehen der Person in sich hat, dass Gott vielmehr in vollkommener Gerechtigkeit derselbe gegen alle Sünder ist.

Schon mit seiner Frage: worin besteht also der Vorzug des Juden oder worin liegt der Nutzen der Beschneidung? Spricht Paulus aus, dass dieser Vorzug und Nutzen von niemand bestritten werden kann. Er fragt nicht, ob der Jude einen Vorzug habe, sondern worin derselbe bestehe. Gott hat den Juden berufen und ihm die Beschneidung gegeben. Da kann niemand fragen, ob dies für ihn segensreich gewesen sei. So hat er denn auch im Vorangehenden wiederholt gesagt, dass der Jude zuerst vor dem Heiden der Empfänger der göttlichen Gabe sei, vgl. 1,16. 2,9.10. Demgemäß lautet auch hier die Antwort des Apostels: der Vorzug Israels ist groß auf alle Weise, wie wir die Sache ansehen mögen oder was geschehen mag, V.2. Dadurch fällt von dem, was Paulus bisher gesagt hat, kein Wort dahin. Er wiederholt dasselbe auch sofort wieder: haben wir den Vorrang? Nein! Wir sind alle in derselben Lage, V.9.

Der Jude sucht seinen Vorzug an der unrichtigen Stelle, wenn er ihn sich selber sucht, als wäre er ein Mensch höherer Art und seine Sünde weniger schwarz und häßlich als die des Heiden oder gar Gott lieb und angenehm! Wenn der Jude von seinem Vorzug und vom Segen der Beschneidung spricht, so hat er ausschließlich an die Gabe Gottes zu denken, die er empfangen hat. Was er in sich selber trägt, sieht heidnisch aus und gilt bei Gott nicht mehr als die heidnischen Dinge. Aber er hat eine Gabe Gottes empfangen und diese hat er hoch zu schätzen und in Ehren zu halten. Um ihretwillen ist die Beschneidung nicht wertlos, sondern ein großer Segen für die, welchen sie nach Gottes Ordnung gegeben war.

Das Nein und Ja, das Paulus hier für den Juden neben einander stellt, muß genau in derselben Weise in unseren eigenen Herzen leben. Haben wir einen Vorzug vor denen, die Christum nicht kennen? Wie wollen wir hierauf anders antworten als Nein und Ja? Nein, nein! Wir sind ihnen völlig gleich; dieselben Triebe und Kräfte sind in uns wie in jenen, dasselbe Fleisch und Blut, dieselbe Sünde und Verlorenheit. Aber bei diesem Nein können wir´s nicht lassen, sonst würden wir Christi Gabe verleugnen. Es besteht zwischen dem, der Christum kennt, und dem, der ihn nicht kennt, ein absoluter Unterschied, den wir allerdings nur mit Furcht und Zittern bejahen, aber nimmermehr verleugnen dürfen, der uns von einander scheidet wie Licht und Finsternis, Leben und Tod, Geist und Fleisch. Dieser Unterschied liegt nicht an dem, was wir in und durch uns selber sind, sondern an dem, was Gott uns gab und in unser Erkennen, Lieben und Leben hineingeboren hat.

Die erste Gabe Gottes an Israel besteht darin, dass ihnen seine Worte anvertraut worden sind, V.2. Ein Jude kann sich nicht lange besinnen, was er denn Besonderes habe: er besitzt ja die göttlichen Worte. Der Segen, den die Beschneidung ihm gebracht hat, besteht darin, dass er zu den Empfängern des göttlichen Wortes gehört, denen dasselbe als das kostbarste Gut anvertraut ist, das bei ihnen Wohnung nahm. Damit sind sie hoch bevorzugt vor den Heiden, welche Gott nicht reden hörten und sein Wort nicht vernommen haben, und in eine Würde unvergleichlicher Art gesetzt.

Sieht man, wie Paulus Juden und Heiden mit unbestechlicher Wahrheit in ihrer Unsauberkeit und Lügenhaftigkeit durchschaut, so könnte man denken, Paulus müßte alle Freude an den Menschen verloren haben. Unsere Stelle zeigt uns, warum Paulus kein Verächter der Menschen werden konnte. So vollkommen er den Juden kennt nach seinen schlimmen Seiten und seinem kranken Wesen, er bleibt ihm doch eine ehrwürdige Gestalt. Denn Gottes Worte sind bei ihm. Das ist die Art des Glaubens. Er preist allerdings Gott allein, doch nicht so, dass ihm darob der Mensch gleichgültig und verächtlich würde; vielmehr wird er ihm groß und der Bewunderung wert um deswillen, was Gott ihm giebt. Denn Gott wirft seine Gaben nicht unter die Menschen etwa, wie einer Geldstücke in ein Volksgewimmel werfen mag, einerlei wer sie faßt. Sein Geben ist von Güte erfüllt, und die Güte sucht den Empfangenden, damit er durch die Gabe erhoben, bereichert und verherrlicht sei. Darum achtet Paulus nicht nur auf die Herablassung Gottes, durch welche es zustande kam, dass Israel Gottes Wort besitzt, sondern auch auf die Erhebung, die dadurch Israel widerfahren ist. Steigt Gott herab, um mit ihm zu reden, so hebt er es eben dadurch empor, und Paulus hat ein offenes Auge für diese Erhöhung des Menschen, welche die Herablassung Gottes zu ihm mit sich führt.

Aber sie glauben nicht! Soll es denn vom ungläubigen und widerspenstigen Israel der apostolischen Zeit gelten, sein Vorzug sei groß? Unsere Antwort auf diese Frage wäre zweifellos: glauben sie nicht, dann freilich ist ihr Vorzug dahin gefallen; was hilft dem Menschen Gottes Wort, wenn er ihm nicht glaubt? Und wir würden meinen, damit recht im Sinn des Glaubens zu reden, aus dem Kern des Römerbriefs heraus. Paulus hat das Gegenteil gesagt: wenn sie nicht glauben, was liegt daran? Das löscht ihren Vorzug nicht aus, denn er beruht in Gott. Das Vertrauen, welches Gott ihnen erwiesen hat, als er ihnen sein Wort gab, zieht sich vor ihrem Widerstreben nicht zurück, sondern setzt sich in einer Treue fort, die nicht bricht. Deshalb wird der Ausgang der göttlichen Wege darin bestehen, dass Gott als der Wahrhaftige, alle Menschen dagegen als Lügner dastehen, V.4. Wahrhaftig wird Gott dadurch, dass er mit unerschöpflicher Gerechtigkeit und unermüdlicher Treue sein Wort erfüllt, und zu Lügnern werden die Menschen deshalb, weil sie gegen Gott klagen und murren, Vorwürfe und Lästerungen gegen Christus erheben und mannigfaltige Gedanken des Unglaubens in sich tragen. Das alles wird durch Gottes Treue als Lüge dargethan. Und weil es keinen giebt, der Gott nichts schlechtes zutraute, und jeder von Gottes Treue unendlich kleinmütig zu reden pflegt, darum wird auch jeder sich widerlegt finden und beschämt gestehen müssen, dass seine bösen Worte über Gott Lügen gewesen sind. Dieses Ende wünscht Paulus mit lebendigem Verlangen herbei. So soll es werden! Ruft er aus; Gott werde der Wahrhaftige und alle Menschen Lügner. Das ist der herrlichste und für uns selber segensreichste Ausgang unseres Lebens, wenn Gott Recht behält und wir mit all unserem schwarzen und argwöhnischen Gedanken zu Schanden geworden sind.

Was aus dem Unglauben Israels sich schließlich ergeben wird, das zeigt ihm Paulus an davids Sturz. David hat in seinem Bußpsalm, Ps.51,6, bekannt, dass er dazu gefallen sei, damit Gott gerechtfertigt werde in seinen Worten und den Sieg gewinne, wenn mit ihm gerechtet wird. Gerade durch Davids Fall stand Gott erst recht als der reine und gerechte vor ihm, dessen Worte eine unerschütterliche Wahrheit haben, so dass kein Vorwurf sich gegen ihn erheben kann. Wie David ist auch Israel gestürzt aus seiner Höhe und es muß den Bußpsalm Davids sich selbst aneignen, aber das Ergebnis wird auch hier dasselbe sein. Israel wird gerade im Blick auf seinen Unglauben Gottes Größe und Güte vollends bekennen und ehren müssen. Es wird ihm aus seinem Fall dies als Gewinn erwachsen, dass an Gottes ewiger Treue alle Anklagen dahinfallen, weil er als der Sieger vor ihm stehen wird, über den Israels Widerstreben nicht Meister wird, der vielmehr das Böse mit Gutem zu überwinden weiß. So steigt auch aus der reuigen Vertiefung in unsere Schuld, Gottes Lob und Anbetung empor.

Das heißt glauben! Hier ist der Glaube nicht nur in Worten beschrieben, hier steht er vor uns in seiner lebendigen Bethätigung, in der Unbegrenztheit seiner Zuversicht, in seiner Abkehr von allem menschlichen Verhalten, heiße es Glaube oder Werk, in seinem Griff nach Gott, in seinem Schöpfen aus Gottes Fülle, aus Gottes unerschöpflicher Gnadenmacht. Bedenken wir, was alles in Israel geschehen war, wie Paulus hineinschaute in die Tiefe seiner Sünde, und ihm nun dennoch zu sagen: wehre dich gegen Gott! Schlage aus, protestiere, schilt und eifere gegen ihn, thu´ was du willst! Du hast dennoch Gottes Wort empfangen und nicht als ein leeres Wort, sondern in ihm steht Gottes Treue und Wahrhaftigkeit – das ist die Glaubensthat.

Kommt uns jene Antwort des Paulus unerwartet, so liegt dies daran, dass wir immer wieder sogar mit der Glaubenspredigt in die gesetzliche Stellung hinuntersinken, als müßten wir Gott mit unserm Glauben zur Güte bewegen, ihn durch unsern Glauben zur Gnade locken, so dass er erst in unserm Glauben den Anstoß zur Barmherzigkeit empfinge. Nein, seine Gnade strömt in ihrem eigenen Trieb. Für mich liegt freilich alles daran, dass ich glaube, sonst stopfe ich mich mit Lügen voll und zerstöre mich in Ungerechtigkeit. Doch Gottes Gnade steht durch sich selbst und hängt nicht von meinem Glauben ab, sondern mein Glaube hängt von seiner Gnade ab. Darum kann Paulus sagen: ob sie nicht glauben, was liegt daran?

Wer Gott im Auge hat, wenn er den Vorzug Israels preist, mit dem ist Paulus somit völlig eins. Wer meinte, der Apostel lösche die Berufung Israels aus und habe kein Auge für Gottes Werk in seiner Mitte, der hat nun die Antwort empfangen. Er ist auf die unüberwindliche Wahrheit und Treue Gottes hingewiesen, an der alle Bedenken hinfallen. Freilich bleibt der Weg der Judenschaft vorerst noch dunkel, und wie Gottes Wahrheit und Treue den Sieg behalten wird, ist noch nicht gezeigt; unser Brief wird später nochmals davon sprechen. Solche Dunkelheiten muß der Glaube tragen können. Vorerst hat Paulus etwas Wichtigeres zu thun. Es gilt zu verhüten, dass die Güte und Treue Gottes nicht zur Entschuldigung des Unglaubens gemacht werden.

Unsre Ungerechtigkeit bewährt Gottes Gerechtigkeit, V.5. Sie reißt Gott nicht mit sich fort, so dass auch er untreu und ungerecht würde, sondern er hält seine Gerechtigkeit fest, läßt sie noch höher steigen, noch kräftiger und heller sich offenbaren, bis er unsre Ungerechtigkeit überwunden hat. Das läßt sich aber in einem zwiefachen und sehr verschiedenen Sinne sagen. Der Blick auf die unerschütterliche Treue und Obmacht der Gnade stellt uns inwendig vor einen doppelten Weg. Ein aufrichtiges und ein krummes Herz zieht nicht denselben Schluß aus ihr. Meine Ungerechtigkeit bewährt Gottes Gerechtigkeit, ich sage dies in reinem Sinn, wenn es mir leid ist, dass sich Gottes Gerechtigkeit an meiner Ungerechtigkeit erproben und Gottes Wahrheit an meinen Lügen sich bewähren muß, wenn ich´s im Blick auf meine Ungerechtigkeit mit reuigem Sinn sage, und mit glaubendem, dankbarem, anbetendem Herzen im Blick auf die Unerschütterlichkeit der göttlichen Gerechtigkeit. Ich kann aber aus demselben Wort eine ruchlose Rede machen: „Es ist mir ganz recht, dass Gott durch meine Ungerechtigkeit sich nicht stören läßt in seinem heilsamen und gerechten Werk; da habe ich ja freie Hand und lasse mich auch in meiner Ungerechtigkeit nicht stören; ich sündige und lasse Gott gut sein und alles zurecht bringen.“ Israel ging den letzteren Weg. Der Vorzug des Juden, sagten sie, steht fest und unser Anteil am Himmelreich ist gesichert; denn Gott ist treu und gerecht. Dies gab ihnen das unbußfertige und darum auch ungläubige Herz. Warum sollten sie sich ihrer Sünde wegen fürchten?

So wird die Größe und Festigkeit der Gnade, die das Herz in seinem innersten Grund zum Glauben entzünden soll, zur Wurzel und Stütze des Unglaubens und der Gottlosigkeit.

Wie unser Herz zu Gottes Treue und Gerechtigkeit sich stellt, ob es den geraden oder krummen Weg geht, das kommt zum Vorschein, wenn wir auf den Zorn Gottes blicken. Der krumme Sinn will Unrecht thun; aber er will es straflos thun. Er will der Sünde wegen nicht leiden. Gottes Treue soll sich ja verherrlichen trotz unserer Ungerechtigkeit; also darf der Zorn Gottes sich ja nicht zeigen, ob wir auch noch so trotzig uns Gott entgegenstemmen. Das wäre ja ungerecht! Gott kann und muß alles zum guten Ende und Ausgang bringen; er darf seinem Zorne nicht Raum geben. So reden die Menschen. Gottes Treue und Güte soll unendlich sein, aber dass sie sich dadurch nur in ihrer Bosheit verhärten, das hindert sie nicht, Gott den Zorn zu verbieten als ungerecht.

Gott aber holt den Zorn herbei über die, die mit ihrer Ungerechtigkeit seine Gerechtigkeit auf die Probe stellen. Setzen wir mit sorglosem und hartem Sinn unsere Bosheit ihm entgegen, so setzt er an dieselbe die verheerende Flamme seines Unwillens.

Wer mit reinem und reuigem Sinn gesprochen hat: unsere Ungerechtigkeit bewährt Gottes Gerechtigkeit, der stimmt in jenes Jammern: ach wie ungerecht ist Gott! Nicht ein, sondern spricht: „Wir sind deines Zornes wert; je größer deine Gerechtigkeit vor uns aufsteigt und je herrlicher deine Treue sich offenbart, um so bösartiger und verdammlicher ist unser Widerstreben gegen dich; du lässest deinen Zorn hervorbrechen, weil wir deine Gnade entweihen, darum bist du in deinem Zorn gerecht.“

Denen, die zwar Gottes Gnade mißbrauchen, seinen Zorn ihm jedoch verbieten wollen, sagt Paulus kurz und bündig: hast du vergessen, daß Gott der Weltrichter ist? Das steht in deiner Gotteserkenntnis nicht minder klar geschrieben, als die unerschütterliche Macht seiner Gnade. Du wußtest, dass Gott an der Gottlosigkeit sein Recht vollzieht in scharfem Gericht, warum benützest du die Macht seiner Gnade nur zur Mehrung deines gottlosen Widerstandes? V.6

Und nun läßt er jene krumme Schlußfolgerung noch einmal vor uns auftreten, V.7 und 8, um uns den Punkt zu zeigen, wo sie faul ist: ich lüge darauf los, Gott wird seines Wortes nicht müde, sondern macht es dennoch wahr; also kann ich nicht gerichtet werden, also können wir das Böse thun und das Gute kommt uns doch. Sieh, da kommt der Schalk heraus! Und nachdem Paulus diese Verteidigung des Unglaubens bis dahin beleuchtet hat, wo sie als die nackte Lust am Bösen offenbar geworden ist, bricht er ab und verschwendet weiter keine Worte: solcher Verdammnis ist gerecht. Wer sagt: ich will das Böse thun, den trifft Gottes Gericht mit vollem Recht.

Es mischt sich zugleich ein trauriger Blick auf die Weise ein, wie sie gegen ihn kämpfen. Weil er die Gemeinden im Glauben über das Gesetz empor leitete, sagen sie von ihm: er lehre Böses thun, damit das Gute komme; er lasse die Sünde frei der Gnade wegen und breche das Gesetz Christo zu Ehren u. dgl. mehr, V.8. Sie sagen seinem Glaubensstande nach, was ihre freche Zuversicht, ihr Pochen auf Gottes Bund und Wahl selbst verbricht. Sie achten, weil sie Gottes sicher zu sein meinen, die Sünde ihres Unglaubens nicht; er aber fürchtet Gott.

Neben die Zuversicht zu Gott, die aus dem Blick auf seine Gnade und Treue entspringt, V.1-4, stellen die Verse 5-8 die Furcht Gottes, die seinen richtenden und rächenden Zorn vor Augen hat. Keines von beiden darf das andere austreiben oder auch nur schwächen. Nur darin, dass der Glaube die Furcht Gottes in sich hat, liegt die Schutzwehr, die ihn von der frechen Sicherheit trennt. Wiederum ist die Furcht Gottes nur dadurch, dass sie Glauben in sich hat, davor geschützt, dass sie uns nicht von Gott scheidet. Der Apostel zeigt uns, wie Furcht und Glaube einander unterstützen. Greife ich glaubend nach Gottes Gabe, nun so weiß ich, dass ich zu dem hinzutrete, der da recht richtet, und wenn mir Gottes Gericht in seiner heiligen Majestät vor Augen steht in der Furcht vor ihm, nun so kann mich das nicht anders wohin treiben als zur Gnade dessen, der das Wollen und Vollbringen in uns schafft.

Wenn Paulus nach Rom strebte und noch über Rom hinaus nach Spanien, so macht er recht sichtbar und öffentlich, dass er der Heiden Apostel sei. Er wandte Jerusalem und der Judenschaft den Rücken zu und ging zu den Heiden. Die Römer wissen nun, in welchem Sinne er dies thut, dass er die Juden nicht verachtet, sondern es um des göttlichen Worts willen für eine große Ehre hält, Israel anzugehören, dass er sich aber auch nicht verwundert, wenn sich Gottes Gericht an Israel schwer offenbart. Paulus heißt es nicht ein dunkles, unverständliches Rätsel, wenn Israel vorerst vom Evangelium ausgeschlossen ist und keinen Anteil an Christo hat. Dieses göttliche Urteil ehrt er als gerecht und warnt jeden Juden, Gottes Treue und Gnade zum Vorwand für seinen Unglauben zu machen und um seines Vorzugs willen sich in der Ungerechtigkeit und Lügenhaftigkeit zu verhärten. Ein solcher Mißbrauch der Wahrheit Gottes hebt zwar die göttliche Treue nicht auf, macht aber, dass der Mensch zunächst Gottes Zorn an sich erfährt.

Kap. 3,9-20 - Das Gesetz verurteilt

Paulus hat Gott gepriesen, als den, der sich treu und gerecht zu seinen Worten hält; den Juden aber hat er nicht gerühmt, weil er sich an der Wahrheit Gottes in Ungerechtigkeit vergreift. Darum liegt es hell am Tage, wie man antworten muß, wenn einer fragt: haben wir für uns den Vorrang? Ragen wir über die anderen empor? Bilden wir eine Ausnahme von dem, was die andern sind? Da läßt sich darauf nur sagen: Keineswegs! Alle sind unter der Sünde, V.9. Keiner kann sie von sich abwälzen. Niemand kann sündigen, ohne das er unter die Sünde zu stehen kommt, unter ihre Macht, Schuld und Strafe. Das vermag weder ein Jude noch ein Heide und natürlich auch kein Christ. Jedermann muß seine Sünde tragen, sich zu ihr bekennen und für sie Rechenschaft geben.

Darum hält auch die Schrift jedermann seine Sünde vor. Sie klagt alle an. Bisher hat Paulus die Leser an das verwiesen, was sie bei sich selbst und andern wahrnehmen. „Du thust dasselbe,“ 2,1, „du Jude stiehlst, brichst die Ehe, entehrst Gott, bist ein Übertreter des Gesetzes“, 2,21.27. Diese Worte wenden sich ans eigene Gewissen des Hörers und suchen im innerlichen Urteil seines Herzens die Bestätigung. Aber Paulus hat noch einen Zeugen an seiner Seite, der seine Anklagen bekräftigt. Das ist die Schrift. Sie beschreibt den Menschen und speziell den Juden nicht als ein unschuldiges reines Wesen, sondern gießt helles Licht auf seine Sündigkeit, und sie freut sich an derselben nicht und lobt sie nicht, sondern sie klagt über die Größe und Macht unsrer Ungerechtigkeit und behaftet uns bei derselben und mißt uns unser Urteil zu. Durch den Psalmisten klagt Gott, dass er nicht einen kenne, der ihm sich untergebe, Ps.14. Und wie klagen die Psalmisten und Propheten über den Abgrund von Bosheit, der sich in der Rede des Menschen offenbart. Ihre Kehle ist ein offenes Grab, weil das Grab für den schon so gut wie offen steht und der Tod seine Hand ausstreckt nach dem, gegen den sie ihre Worte kehren. Sie verderben sich gegenseitig; ein mörderischer Sinn treibt sie gegen einander. Den Weg des Friedens kannten sie nicht, weil sie ihn nie suchten und betraten. Die Furcht Gottes ist vor ihren Augen nicht; sie bedenken nicht, wie sehr Gott zu fürchten ist, sondern verachten seine Majestät mit frechem Trotz, V.10-18. So beschreibt die Bibel die Menschheit und speziell Israel. Hiefür gab die Bibel Paulus reichen Stoff an die Hand. Es ist ja höchst merkwürdig, mit welcher Schärfe das Alte Testament die Sünde Israels zeigt und verwirft.

Aber der Jude liest die Bibel, als ob sie nicht zu ihm redete, als ginge ihn das alles nichts an, als würde die Schrift nur von anderen Menschen handeln, aber nicht von ihm. Paulus legt den Finger immer wieder auf dieselbe Stelle: du darfst die Wahrheit nicht von die weghalten, als ob sie dich nicht berühre und dir nichts zu sagen habe. Dich, ruft er dem Juden zu, meint das Gesetz; dir gilt seine Klage und sein Urteil; du hast in der Schrift dein Bild vor dir. Zu wem soll denn das Gesetz sprechen, wenn nicht zu denen, die ihm unterstellt sind, die es auf sich haben als das sie bindende Gebot? V.19.

Wer also hört, was das Gesetz ihm sagt, der kann sich nicht mehr stellen, als wäre er gerecht oder als könnte er es wenigstens noch werden. Er kann sich nicht einbilden, das Urteil Gottes über ihn sei ungewiß, er könne vielleicht doch Rechtfertigung bei ihm finden. Der Spruch, den das Gesetz über den Menschen fällt, ist diesem nicht unbekannt: er ist schon längst in der Bibel verzeichnet und lautet: Du hast Gottes gebot verworfen. Wenn ich also mit dem Gesetz Ruhm und Gerechtigkeit gewinnen will, so widerspreche ich nicht nur meinem Gewissen, das mich an manche Sünde erinnert, sondern ich verleugne auch, was das Gesetz mir sagt, und vergesse, was die Bibel mir auf allen ihren Blättern zeigt. Mit der Einbildung, dass ich am Gesetz Gerechtigkeit gewinnen kann, verwerfe ich im selben Augenblick, da ich meine Hoffnung auf das Gesetz stelle, das was mir das Gesetz bezeugt. So durchkreuzen sich meine Gedanken wiederum in thörichter Verblendung selbst.

Was ist statt solcher Winkelzüge der gerade Weg in unsrer Lage? Unser Mund muß sich vor Gott schließen und unsere Verteidigung und Entschuldigungen müssen verstummen. Mit unsern Ansprüchen an Gott ist es aus. Wir lernen Schweigen, und geben Gott wider uns selber Recht und legen uns in seine Hände, dass sein Spruch über uns entscheide, dass er an uns handle, wie er will, und aus uns mache ein Gefäß des Zorns oder der Gnade nach seinem Wohlgefallen. Wir blicken nicht eitel nach unsern Werken, sondern schieben sie auf die Seite und halten es fest, dass wir auch nicht eine unsrer Übertretungen rechtfertigen können, was immer wir vollbringen mögen. Eben hiezu will uns das Gesetz verhelfen. Es redet zu uns, damit wir vor Gott schweigen lernen. Der Dienst, den es uns thun will, besteht darin, dass es uns in die Ergebung leitet und uns bewegt, uns selbst mit allem, was wir thun, als ungerecht fahren zu lassen.

Das ist ein großer Verzicht, der tief ins Herz greift. Wie viel Freude haben wir an uns selbst und unsrer Wirksamkeit! Wie viele Hoffnungen stellen wir auf das, was wir thun! Ja auch Gottes Wohlgefallen scheint uns zu erblühen aus unserm edeln, wackern Handeln. Nun gilt´s, solche Freude und Hoffnung zu begraben und den Mund zu schließen, der uns übergehen möchte von unserm Lob. Je kräftiger, mutiger, beharrlicher wir das Gebot ergriffen haben, um unsere ganze Person an dasselbe zu setzen und ihm zu leben und rechtschaffenen Eifer, um so schwerer fällt uns dieser Verzicht; um so segensreicher ist er aber auch für uns.

Damit tritt uns nun die Bedeutung des Gesetzes erst wahrhaft ins Licht. Wir sehen, dass der Werke des Gesetzes wegen kein Mensch bei Gott Rechtfertigung erlangen wird, V.20. Ein Werk des Gesetzes ist das, was wir im Gehorsam gegen Gottes Gesetz vollziehen, um ihm zu genügen. Das ist das höchste und beste in unsrem Leben, ehe wir Christum kennen. Es giebt nichts heiligeres, als die göttlichen Gebote, und das beste, was wir thun können, ist, dass wir die Gebote in die Mitte unsres Herzens stellen und mit ganzem Fleiß ihnen nachstreben, gleichwie Paulus dereinst dem Gesetz diente, nicht nur mit Worten, sondern mit wahrem Fleiß im Werk. Und nun hilft uns dieses allerbeste, was wir haben, nichts. Warum? Weil daneben unsere Sünden stehen. Wo aber Sünde ist, da ist Verdammlichkeit, so gewiß, als das Gesetz gilt und Gesetz bleibt. Weil das Gesetz die Sünde verdammt und uns doch nicht vor der Sünde bewahrt, darum läßt es uns ohne Hilfe, und alle Hoffnungen, die wir auf dasselbe gründen möchten, sind in nichts zergangen, sowie wir sündigen.

Wir müssen den Gedanken gänzlich beseitigen, dass Paulus seine Freiheit vom Gesetz dadurch gewinne, dass er dem Gesetz die Heiligkeit nehme und es seiner göttlichen Würde entkleide. Das kam nie in des Apostels Sinn. Das Gesetz ist und bleibt Gottes Gesetz. Aber die Frage ist die: bringt uns das Gesetz die Hilfe, die wir bedürfen? Werden wir durch Gebote vom Bösen frei? Paulus hat gesagt: Nein! Und wenn wir seinem Brief bisher gefolgt sind und uns von ihm haben sagen lassen, wie ein Mensch aufrichtig ohne Lügen und Heuchelei auf seine Sünde sehen soll, so sagen wir mit ihm: das Gesetz läßt uns rat- und hilflos, sowie die Sünde in unserem Leben sich zeigt.

Der Irrweg des Juden bestand nicht darin, dass er sich vom Gesetz zum Dienst Gottes in allerlei guten Werken treiben ließ, sondern das war sein Fehler, dass er um seiner Werke willen seine Sünde übersah und sich über seine Bosheit mit dem tröstete, was er des Gesetzes wegen that. Seine Sünde erschien ihm neben seinen vielen Werken unbedeutend, und er forderte von Gott, dass auch er nur seine guten Werke sehe, seine Übertretungen dagegen nicht. Das heißt aber das Gesetz und seine Werke übel brauchen, wenn man bei ihnen Entschuldigung für die Übertretung des Gesetzes sucht. Dann werden sie allerdings zum Hindernis für den Glauben, weil dann der Mensch sich selbst in seinen Werken reich und gerecht erscheint.

Gatt hat uns das Gesetz nicht dazu gegeben, damit wir mit demselben unsere Sünde beschönigen, sondern damit wir sie erkennen, V.20. Hierin besteht der Dienst, den uns das Gesetz thun soll, während es kein Mittel ist, durch welches wir der Sünde Meister werden und zur Gerechtigkeit gelangen. Auch dieses Amt des Gesetzes ist heilig und heilsam, obwohl es uns zunächst nicht erhöht, sondern beugt, nicht erfreut, sondern betrübt, nicht gerecht, sondern schuldig macht. Das Gesetz hilft uns zur Erkenntnis der Sünde in dem durchdringendem Sinn, dass es uns dieselbe erst recht zur Erfahrung bringt. Die Verwerflichkeit der Sünde wird uns durch das Gesetz kund gemacht, weil es uns Gottes Urteil über unser böses Thun ansagt. Dadurch zeigt es uns zugleich die Macht, welche sie über uns hat. Weil das Gesetz sie nicht verhüten kann, sondern sie trotz seiner Gebote und Drohungen dennoch vorhanden ist, sehen wir, wie sie ihre Wurzeln in unser ganzes Wesen hineingesenkt hat. Unsre Bosheit wird durch dasselbe nur bösartiger, unsre Sünde sündiger, weil wir durch das Gesetz wissen, wie sehr wir uns an Gott vergreifen, so dass Tod und Leben auf dem Spiele stehen, und dennoch nicht vermögen, unsre Begier zu zügeln und in Gottes Maß und Weg zu halten. Endlich lernen wir durch das Gesetz auch die Folgen der Sünde kennen, da dasselbe scheidend zwischen uns und Gott tritt und uns von Gott wegweist und damit vom Leben ausschließt und in den Kerker des Todes führt.

Brauchen wir das Gesetz zu dem Zweck, zu dem es uns Gott gegeben hat und in uns wach erhält, so ist es nicht wider den Glauben, vielmehr dient es ihm. Jenes Verstummen vor Gott, zu dem es uns anleitet, ist allerdings noch nicht Glaube, sondern Ergebung, und beides ist nicht einerlei. Wohl aber ist die Ergebung die Vorbereitung des Glaubens, die Beseitigung der Glaubenshindernisse. Durch sie wird unsere Unfähigkeit und Unwilligkeit zum Glauben zerbrochen. Wir sind damit unmittelbar bis an die Schwelle des Glaubens geführt, und derselbe wird sich sofort in uns erheben, sowie die Gabe Gottes uns vor die Augen tritt, nämlich die Gnade Christi, durch die wir zum Glauben berufen sind.

Kap. 3,21-31 - Gott hat für uns Gerechtigkeit

Mit einem freudigen „nun aber,“ das unsere Lage gänzlich verändert, richtet Paulus unser Auge empor zur Gerechtigkeit, die Gott für uns bereitet hat. Bisher war der höchste Punkt, den unser Auge erreichte, das Gesetz in seiner Heiligkeit und Majestät. Nun leitet Paulus unsern Blick über das Gesetz empor. Was giebt es denn noch über dem Gesetz? Wir Menschen sind freilich dem göttlichen Gesetz unterstellt, können von seiner Forderung nichts wegthun und an seinem Urteil nichts ändern. Gott aber hat noch etwas, was höher und größer ist, als das Gesetz, da er nicht im Gesetz sein letztes Wort geredet und mit seinem Urteil noch nicht alles vollführt hat, was er für uns thut. Er handelt im Evangelium mit uns ohne Zuthun des Gesetzes, ohne da´das Gesetz mitregiert, so dass etwas neues zu stande kommt, was höher und größer ist, als das Gesetz, und nicht an dasselbe gebunden ist. Abgesondert und geschieden vom Gesetz hat die Gnade ihr Werk vollführt. Das Gesetz fordert, die Gnade giebt. Das Gesetz heißt uns wirken, die Gnade handelt selbst für uns an unsrer Statt. Das Gesetz antwortet auf unser Werk und vergilt uns nach unserm Verdienst; die Gnade giebt, weil sie uns helfen will, weil wir ihre Gaben bedürfen und ohne sie verloren sind. Darum kann die Gnade ihre Gabe nicht an das Gesetz binden als an ihre Bedingung, sonst wäre sie nicht mehr Gnade. Darum macht sie uns Gott auch durch einen höheren Boten und Mittler offenbar, nicht durch das Gesetz, sondern durch seinen Sohn, welcher in Geist und Kraft aus der Gnade Gottes schöpft und uns das einzuhändigen vermag, was Gottes ist.

Auf dem neuen Wege der Gnade und darum abgesondert vom Gesetze ist Gottes Gerechtigkeit offenbar worden. Bisher verschwand die Gerechtigkeit immer vollständiger vor unserem Blick. An uns wurde die Sünde offenbar, und alle unsre Entschuldigungen zergingen als Lügen. Zuletzt standen wir stumm vor Gott, unter sein Urteil gebeugt, und von Gerechtigkeit war nichts mehr zu sehen in der weiten Menschenwelt. Aber ob sie auch der Mensch nicht hat, Gott hat sie und nimmt sich ihrer Sache an, und dies uns zu gut, weil die Gnade ihn erfüllt, so dass unser Unrecht verschwindet und Gerechtigkeit uns gegeben wird. Nachdem wir, soviel an uns liegt, die Gerechtigkeit vertrieben haben, ist sie nun dennoch uns nicht fern, so dass wir sagen müßten: wo ist sie? Sie ist dennoch eine offenkundige Sache, steht vor unser aller Augen, ist uns sichtbar und zugänglich, dies aber allein durch Gott, dadurch, dass Gott Christum sandte, damit dieser die Sache der Gerechtigkeit führe, dem Unrecht das Ende bereite und breit in die Welt hineinredet und jedem nach seiner Gnade und Macht erkennbar ist, darum ist die Gerechtigkeit eine offenkundige Sache geworden. Wer ihn kennt, weiß, dass sie für ihn vorhanden ist. Bezeugt war sie schon längst. Von ihr zu reden und sie zu preisen, war schon das Amt des Gesetzes und der Propheten. Dieselben haben nicht bloß von der Sünde der Menschen geredet, sondern auch von Gottes Gerechtigkeit, und haben verkündigt, dass ob auch der Mensch Unrecht habe, Gott gerecht bleibe ohne Fehl und Makel und den Menschen erlöse aus seiner Ungerechtigkeit. Aber es blieb vorerst beim Zeugnis in Worten. Nun aber trat durch Jesu Sendung, Tod und Auferstehung zu solchem zeugnis die vollbrachte That.

Wie erreicht uns denn Gottes zurechtbringende Gerechtigkeit? Wie wird sie unser Eigentum? Gottes Gerechtigkeit kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen Glaubenden, V.22.

Christus ist zu uns gekommen; jetzt geht uns der Glaube auf. So lange unser Blick auf uns selbst gerichtet ist, einerlei, ob wir uns selbst wohlgefällig oder widerwärtig sind, so lange wir uns mit uns selbst beschäftigen, mit unserer Tugend und unserem Glück oder mit unserer Sünde und unserem Elend, so hat der Glaube keinen Raum in uns. Nun aber steht Christus vor unserem Blick; jetzt sehen wir, dass wir glauben dürfen, glauben sollen. Da wir sehen, was Christus will und kann, so legen wir unser Los in seine Hand und stimmen seinem gnädigen Werke bei und lassen es für uns gelten und stellen unsre Zuversicht auf ihn, dass er uns die Gerechtigkeit und alle Güter Gottes zuwende. Setzen wir aber unser Ja und Amen zu dem, was Christus uns sein will, dann ist die göttliche Gerechtigkeit auf unserer Seite und uns gegeben. Christus sagt nicht nein, wenn wir ja zu seiner Gnade sagen; er zieht sich nicht von uns zurück, wenn wir zu ihm hinzutreten. Er ist dazu gekommen, um Glauben in uns zu erwecken, und wo derselbe erwacht und nach ihm begehrt, da erhört er ihn.

So ist der Glaube kein Werk, kein Verdienst, kein Ruhm, und vermag doch, was unser Werk, Verdienst und Ruhm nie vermag. Wie geschieht dies? Wer wissen will, was der Glaube wirkt, der erkenne, was Christus wirkt. Unser Glaube ist genau so viel wert, als Christus wert ist, nicht mehr, denn er vermag durch sich selber nichts und ist leer und nichtig ohne den, dem wir glauben; nicht weniger, weil Christus kein Vertrauen dahin fallen läßt, das ihm erwiesen wird. Der Glaube hat es, das bedeutet: Christus giebt es. Christus giebt es, das besagt: der Glaube hat es. Der Glaube wird uns zur Gerechtigkeit, das will sagen: Christus stellt uns in die Gerechtigkeit.

Die Gerechtigkeit ist für alle Glaubenden offenbar. Gott macht in der Aufnahme der Glaubenden so wenig als in der Beurteilung der Sünder irgend einen bösen Unterschied. Wie es nur einerlei Sünde vor ihm giebt, nämlich verdammliche, und nicht zweierlei, solche, die man ungestraft thun kann, und solche, die man nicht thun darf, so giebt es vor ihm auch nicht zweierlei Glauben, solchen, auf den er achtet und den er erhört, und solchen, den er abweist und zu Schanden macht, sondern Gott nimmt den Glauben bei allen in derselben Weise an und macht ihn für alle zur Gerechtigkeit. Darum machte Paulus uns alle in unserer Sündigkeit einander gleich und setzte die heidnische und die jüdische Sünde neben einander als zu gleichem Verderben führend, weil wir einander auch im Glauben gleich sind, und keiner, der zu Christo Glauben faßt, hintangesetzt ist. Auch hier finden sich Juden und Heiden wieder zusammen am selben Ort als die Empfänger derselben Gerechtigkeit, derjenigen nämlich, die wir bei Gott durch den Glauben haben. Damit werden die strafenden Worte des Briefs alle zum Verständnis des Evangeliums fruchtbar. Läßt Paulus uns nicht zu, dass wir uns von Gottes Zorn ausnehmen, so thut er´s deshalb, damit sich keiner von Gottes Gnade ausschließen kann. Ich darf nicht sagen: ich bin zu gut für Gottes Zorn; ich darf aber ebensowenig sagen: ich bin zu schlecht für Gottes Gnade. Gott war derselbe gegen aller Sünde und hat uns alle unter dasselbe Gericht gestellt; deshalb ist er auch derselbe gegen aller Glaube und hat uns alle in dieselbe Gerechtigkeit gesetzt.

Es liegt Paulus daran, dass wir begreifen, dass die Gerechtigkeit, von der er spricht, solchen gegeben wird, die gesündigt haben. Das ist der Unterschied von der Gerechtigkeit des Gesetzes, und deshalb fällt sie uns nur durch Glauben zu. Darum erinnert er uns an den offenkundigen Verlust, den uns unser Sündigen eintrug: Wir gelangen nicht zu Gottes Herrlichkeit, V.23. Gott hat den Menschen zu seiner Herrlichkeit geschaffen. Er ist die Ehre und Krone für alle, die ihm verbunden sind, und wird ihnen Verklärung geben ins ewige Leben. Allein von der göttlichen Herrlichkeit ist am Menschen nichts mehr zu sehen. Wir bedecken uns mit der Schande unseres Falls und kommen nicht zu dem uns vorgehaltenen Ziel. Und wenn uns nun Gott zu Hilfe kommt und uns erspart, dass wir um eine verlorene Herrlichkeit trauern müssen, so rechtfertigt er uns umsosnt durch seine Gnade. Wir geben ihm dazu keinen Grund. Unser Eigendünkel darf sich hier nicht einmischen. Gott giebt uns Recht, nicht weil wir recht haben, und stellt uns zu den Gerechten, nicht weil wir gerecht sind, sondern trotzdem wir kein Anrecht hieran haben und trotzdem wir Sünder sind. Hiedurch ist dem Glauben Raum gemacht und dies für alle. Was sehen wir auf uns? Gott sieht nicht auf uns bei dem, was er uns thut. Wir sehen bei uns niemals Gerechtigkeit, wie auch Gott sie an uns nicht sieht. Auf Christum schaue! Es gilt zu verstehen, was uns Gott in Christus giebt.

Gott rechtfertigt uns. Vordem versuchten wir selbst, uns zu entschuldigen, und gaben uns Mühe, etwas zu finden, was wir hervorstellen dürften, damit es Gott wohlgefalle, wodurch wir Anteil hätten an Gottes Gaben. Das war ein eitles Bemühen. Alle unsre Entschuldigungen waren Lügen, und es fand sich nichts, was unsre Sünde bedecken konnte. Nun aber giebt uns Gott selbst die vollkommene Entschuldigung. Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden. Was las Klage wider uns steht, hat Gott nicht bestätigt, sondern abgethan. Sein Wohlgefallen ist über uns. Er stellt uns dahin, wo die Gerechten vor ihm stehen. Nichts scheidet uns von ihm. Er erkennt uns alles zu, was die Gerechtigkeit mit sich bringt.

Das geschieht durch seine eigene Gnade. Nur Gnade hat kein Ohr für Klagen, die wider uns stehen, und kein Auge für die Sünde, die an uns ist. Nur Gnade kann Menschen, wie wir sind, für gerecht achten. Werden wir gerechtfertigt, so thut die Gnade ihre Macht und Größe an uns kund.

Christi Werk erklärt uns, warum alle Beschuldigungen gegen uns erledigt sind. Gottes Gerechtigkeit ward für uns offenbar, als Christus starb. Wir werden gerechtfertigt durch die Erlösung, die in Christo ist, V.24. Nachdem wir wissen, was es heißt „unter der Sünde sein“, „vor Gott schweigen müssen“, „Gottes Recht wider uns haben“, „ Gottes Zorn sich an uns offenbaren sehen“, wissen wir auch, was „Erlösung“ bedeutet. Wir liegen in einer Gefangenschaft, in welche uns unsre Sünde versetzt hat und über der Gottes Recht und Gericht die Wache hält.

Aus dieser Gefangenschaft hat uns Jesus herausgeholt, und hat gemacht, dass Schuld und Zorn und Gericht nichts mehr mit uns zu schaffen haben. Weil er uns das gethan hat, dadurch sind wir gerechtfertigt. Gott hat Jesus als Gnadenthron hervorgestellt, V.25. In der Bundeslade waren die Gesetzestafeln durch den Deckel mit den Cherubim bedeckt, die im Allerheiligsten als das zeichen der gnädigen Gegenwart Gottes standen, einer Gegenwart, in welcher der Sünder leben darf, weil Gesetz und Sünde durch die Gnade bedeckt sind. Durch die Lade des alten Heiligtums lehrt uns Paulus Christi Mittlerwerk zwischen Gott und den Menschen verstehen. Gott hat uns Jesum dazu gegeben, damit Gemeinschaft zwischen ihm und uns vorhanden sei, trotz unsrer Sünde, dadurch, dass dieselbe bedeckt und begraben wird, so dass wir teilnehmen dürfen an Gottes guten Gaben und sein Geist, sein Licht, sein Leben, seine Liebe in uns ist. Was bei Israel durch ein Zeichen und Bild angedeutet war, das giebt uns hier die lebendige Person, der Sohn Gottes, der das Vermögen in sich hat, ins Leben zu führen, was im Tempel Israels nur Bild und Verheißung blieb. Darum war auch der Gnadenthron dort in die Verborgenheit gesetzt; Christum aber hat Gott offen hingestellt vor den Augen aller Welt.

Wie ward Jesus für uns zum Gnadenthron? Durch Glauben in seinem Blut. Wir finden bei Christus Gott mit einer vollkommenen Gnade, vor der wir kein Unrecht haben, weil wir ihm glauben. Weil wir uns ihm glaubend anschließen, ist unsre Scheidung von Gott aufgehoben, unsre Sünde bedeckt, Gottes Angesicht uns zugewandt in Erbarmung und Freundlichkeit, die Fülle seiner Gaben uns geöffnet, das Reich Gottes uns aufgethan. Ich muß mir nicht erst Vergebung meiner Sünden erwirken, das kann kein Mensch; muß nicht Gott mir gnädig machen, dass kann kein Mensch; erst versuchen, ob ich es dahin bringe, dass er mir sein Reich und Leben giebt, ein unmögliches Beginnen. Was muß ich denn? Glauben! Weil dies alles in Christo für uns vorhanden ist und durch Gott in ihm uns bereitet ist. Daher wird dies alles durch Glauben mein, und Christus ist durch Glauben der, der mich in die gnadenvolle Nähe Gottes bringt.

Aber Gott hat Jesum in seinem Blut als Gnadenthron vor uns gestellt. Gott hieß ihn sein Leben opfern und sein Blut dargeben, und in seiner Todesgestalt, als der, der sein Blut vergossen hat, ist er uns zum Heiland gegeben. So ist in Christo zur kräftigen Wahrheit geworden, was im alttestamentlichen Heiligtum nur angedeutet war, wenn der Gnadenthron mit dem Blut des Opfers zu besprengen war. Das macht Jesu Werk für uns zu einer vollständigen, wirklichen Rechtfertigung. Hier geschieht kein Bruch des göttlichen Rechts, sondern eine gerechte Erledigung aller Klagen, die wider uns stehen. Unsre Sünde ist darum erloschen, weil sie gebüßt ist. Die Büßung derselben sehen wir vor uns in Jesu Kreuzesbild. Im früheren Weltlauf hat Gottes Geduld die Sünde der Menschen vielfältig verziehen und sie ungestraft gelassen nach dem Reichtum seiner Güte, die uns zur Umkehr führen will. Dabei fehlt aber noch etwas wesentliches zur völligen Offenbarung Gottes, nämlich eben die Gerechtigkeit. Weil Gott die früher geschehenen Sünden verziehen hat in seiner Geduld, hat er in der jetzigen Zeit seine Gerechtigkeit erzeigt, V.25 u. 26. Weil Christus sich uns in herzlichem erbarmen verbunden hat, darum hieß ihn Gott den Zorn tragen, der auf uns liegt, und sich unter das Urteil beugen, das wider uns steht. Er hat den Sold, mit dem uns die Sünde lohnt, mit uns gelitten und die tödliche Frucht unseres Falls mit uns gekostet. So wurde sein Blut der Preis, mit dem er uns für sich erkauft. Das war der Weg, den die Gnade sich gebahnt hat, hin zu uns, das der Schlüssel, mit dem sie ihre Schätze uns geöffnet hat.

Damit ist offenbar geworden, wie vollständig es gilt: Gott ist gerecht. Auch Gottes Widerwille gegen unsre Ungerechtigkeit erscheint in Jesu Kreuz. Hier wird die Bosheit nicht gelobt, sondern in ihrer Todeswürdigkeit hervorgestellt dadurch, dass sie dem den Tod brachte, der uns die Hilfe bringt. Zugleich erscheint aber auch Gottes Geduld und Erbarmung hier in ihrer höchsten Kraft. Die Sünde wird hier nicht dazu gerichtet, damit der Sünder verderbe, sondern er erhält Vergebung, Erlösung, Einführung in die Gerechtigkeit. Darum ist hier mehr als Zorn, der den Sünder verfolgt und seine Bosheit ihm zum Verderben macht, und auch mehr als Geduld, wie sie Gott von jeher auch in den früheren Zeiten den Sündern erwies, welche dieselben schont, ihre Bosheit übersieht und deren Ahndung hinausschiebt. Hier erscheint Gottes ganze Vollkommenheit, und Zorn und Geduld sind in ein Werk zusammengefaßt und Gericht und Erbarmung uns miteinander erwiesen. Hier waltet das Recht so, dass es dem Begehren der Gnade dient, und die Gnade so, dass sie das Recht zum Siege bringt, und die ganze Fülle der göttlichen Gerechtigkeit wird offenbar.

Darum werden wir durch Jesu Tod gerechtfertigt, V.26. Hier hat Gott sein Urteil über uns kundgethan, und was ist hievon für uns das Resultat? Sind wir verurteilt, verdammt, unter den Fluch gestellt, wie Kain unstät und flüchtig weggetrieben von Gott in die Finsternis hinaus? Oder wird und zwar verziehen, doch so, dass Gott uns seine Gaben entzöge, sein Haus verschlösse, und wir beschämt und traurig in der Ferne stehen müßten? Nein! Durch Christi Sterben ist uns unsre Sünde völlig vergeben und Gottes ganzes Wohlgefallen zu uns gewandt. Der Gerichtsthron ward durch Christi Blut für uns zum Gnadenthron. Wir sind von ihm herzugerufen, gesucht, zum Glauben aufgerichtet, in seine Gemeinschaft gezogen und ihm verbunden, und dies darum, weil Jesus für uns starb.

Jesus hat nach des Vaters Willen das Rätsel gelöst, wie zugleich Gottes Recht in Kraft und der Sünder am Leben bleiben könnten, und die Lösung lautet in göttlicher Einfachheit: auferstehn! Sterben zuerst um der Sünde willen, damit die Sünde gerichtet sei, aber auferstehen um der Gnade willen, damit wir Sünder leben durch ihn. Darum ging Jesus mit uns und für uns den Todesweg, und ward nicht anders als in seinem Blute unser Gnadenthron. Er heiligte Gottes Recht an sich selbst bis in den Tod, und auf diesem gerechten Grunde erbaut er die Gnade für uns. So verschafft uns Gott eine volle Rechtfertigung. Aller Zwiespalt, den Gottes Gesetz zwischen uns und Gott aufrichtet, ist beseitigt. Um deswillen, was Christus für uns that, weil er für uns starb, steht Gottes Urteil nicht gegen uns, sondern für uns. Um deswillen behandelt er uns als die Gerechten, welchen er alles giebt, was irgend ein Gerechter empfangen kann. So führt Jesu Tod zu einem wunderbaren Ausgang: wir Sünder sind begnadigt, und Gott bricht doch seine Gerechtigkeit nicht, dadurch, dass er die Bosheit unsrer Sünde mißachtete. Wiederum: Gott ist gerecht und doch nicht wider uns, sondern für uns, und unserer Sünde wird nicht gedacht.

Gott steht da als gerecht und wir stehen auch da als gerecht, weil Christus für uns starb. Das gilt dem, der aus dem Glauben an Jesus ist, dem, der sein Geschick an Jesus bindet und kein anderes Gut kennt, als was ihm Jesus giebt. Ein solcher hängt am Glauben, hat im Glauben die Wurzel seines Lebens, und erlangt alles, was ihm zu teil wird, aus dem Glauben heraus.

Denken wir an die Zeit, da wir unter dem Gesetz nach der Gerechtigkeit strebten, wie ganz anders ging es damals her. Damals wollten wir uns selber die Gerechtigkeit bereiten und erst hernach vor Gott treten, damit er nun unsre Gerechtigkeit lobe und kröne nach seiner göttlichen Gerechtigkeit. Da geht der Mensch auf dem Wege der Gerechtigkeit voran und Gott folgt erst nach. Das Ende war Ungerechtigkeit. Wir beschönigten und verleugneten unsre Sünde und bestritten und verklagten Gottes Gerechtigkeit. Weil er uns Geduld erwies, so verlangten wir ungerechte Gunst von ihm; weil er uns demütigte, so murrten wir über ungerechte Härte. Das alles hat aufgehört. Der Glaubende verurteilt seine Sünde, ehrt Gottes Gericht als gerecht, sieht aber hin auf Christus und sein Blut, wie dort die Gnade als Gerechtigkeit erscheint, und indem er glaubt, fällt die Gerechtigkeit ihm zu als sein Besitz. Jetzt geht Gott auf dem Wege der Gerechtigkeit voran und führt uns selbst zu ihr empor.

Wie wissen wir´s denn, dass wir gerechtfertigt sind? Ist nicht die Rechtfertigung die Sache des himmlischen Richters, so gut wie die Verurteilung? Aber Gott trägt seinen Spruch nicht nur bei sich selbst in der stillen Heimlichkeit seines Herzens; auch wird er nicht nur im künftigen Gericht Christi laut. Was er bei sich feststellte, ist schon That geworden in der Dahingabe seines Sohnes, im Opfer Jesu. Jesu Blut ist uns zur Rechtfertigung vergossen und daraus nehmen wir sie in unser Herz hinein dadurch, dass wir glauben. Ob wir aber glauben oder nicht, das wissen wir.

Können wir noch fragen, ob es wirklich mit rechten Dingen zugehe, wenn Gott uns Sündern erklärt: ihr seid gerecht? Es ist eine reine und herrliche Sache, dass Gott uns hilft seines Erbarmens wegen im Reichtum seiner Gnade. Auch ist´s eine reine und heilige That, dass Jesus die Welt mit solcher Liebe umfaßt hat, dass er für sie starb. Rein und recht ist´s, dass er unsere Sünde für verdammlich achtet, Gottes Zorn und Gericht als gerecht und heilig ehrt und darum durch Sterben unser Heiland wird. Rein und recht ist´s auch, dass wir ihm glauben, und Unglaube ist böse Versündigung und tiefer Fall. Es ist gerecht, dass wir uns selbst als ungerecht verwerfen und kein Vertrauen zu uns selber haben, dagegen Gottes Gerechtigkeit preisen und Christo danken und unser Vertrauen auf ihn stellen. Aber bei all dem bleibt es doch dabei, dass Gott in uns, den Glaubenden, Sünder gerechtfertigt hat und uns dadurch vor ihm einen Namen gegeben hat, der unserm Werk und Wesen nicht gebührt. Worin steht schließlich die Wahrheit dieses göttlichen Urteils? Darin, dass der Gott so geurteilt hat, der thut, was er spricht, und vollendet, was er anfängt. Heißt er uns gerecht, so thut er´s in einer Gnade, welche uns wesenhaft in alle Gerechtigkeit hineinstellen wird. Das sehen wir freilich noch nicht an uns selbst, wohl aber sehen wir´s an Christo. In ihm sind die Wege und Mittel für uns bereitet, damit uns alles zufalle, was Gottes Urteil in sich schließt. Ihm glauben heißt: es Christo zutrauen trotz allem, was wir an uns selbst erleben, daß er unsre Bosheit vollständig überwinden und uns ohne Fehl und Makel vor Gottes Thron stellen wird. Dass uns Gottes Urteil mehr gilt als das, was wir durch uns selber sind, dass wir seinem Spruch die wirksame Kraft und siegreiche Macht zuerkennen, das eben ist die Glaubensthat.

Nun ist mit dem Rühmen aus, V.27, und das betrachtet Paulus als einen Großen Gewinn. Was richtet nicht alles das hoffärtige Großthun der Menschen mit sich selber an! Wie viel Streit, Neid, Lügen, Heuchelei, Undankbarkeit und Verachtung Gottes verbinden sich damit! Mit Freuden sieht Paulus das Rühmen abziehen und zwar so, dass es nicht mehr wiederkehren darf, sondern hinausgeschlossen ist. Nun erst ist eine vor Gott einträchtige Gemeinde möglich. So lange jeder sich selbst erhöht und die andern eben deshalb erniedrigt, wenn der Jude sich selber rühmt und den Heiden verachtet und der Heide ihm Gleiches mit Gleichem vergilt, oder sich durch seinen Ehrgeiz fortreißen läßt, es ihm gleichzuthun, statt dass er bei seinem Berufe bleibt, wie soll es da unter den Menschen eine Gemeinde geben, die in Eintracht verbunden ist? Und wie wollen wir Gott geben, was Gottes ist, und ihm danken, wie sich´s gebührt so lange wir darauf bedacht sind, uns zu rühmen? Darum muß das Rühmen weg, und es ist weg durch das Gesetz des Glaubens. Es kommt auch in Christo eine unzerbrechliche göttliche Ordnung ans Licht, ein Gesetz, das uns den Weg vorzeichnet, das wir nicht umgehen können. Nun aber lautet Gottes Weisung nicht: „wirke“, sondern „glaube“, und „durch Glauben bist du vor mir gerecht“. Da bleibt uns kein anderer Schluß und Gedanke übrig, als dass wir durch Glauben und nicht durch unser Werk bei Gott Rechtfertigung finden. An solcher Gnade stirbt die Eitelkeit, und die leere, hoffärtige Ruhm ist endlich aus.

Wir können ihn nun mit freudigem Herzen begraben. Es ist nicht mehr so wie damals, als wir die Verurteilung vor uns sahen und verstummen mußten. Das war ein schmerzliches Schweigen, weil der Mensch nicht ohne Ruhm, Lob und Würde bestehen kann. Das Verstummen des Sünders hat Verwandtschaft mit der Stille des Gefängnisses und dem Schweigen des Todes. Darum wehren wir uns gegen das Urteil des Gesetzes und richten einen unwahren Selbstruhm auf. Jetzt aber ist uns Gottes Gabe gezeigt und der Glaube hat in uns sein Danken und Frohlocken begonnen. So ist uns das Herz erwärmt mit einer anderen Freude und der Mund gefüllt mit einem anderen Ruhm – mit dem Ruhm dessen, der uns geliebt und in die Gerechtigkeit erhöht hat. Wir erheben den, der uns erhoben hat, nicht mehr uns selbst.

Kann man sich nicht auch mit dem Glauben selber zieren als mit dem Verdienst? Es geschieht oft genug, ist aber jedesmal ein tiefer Fall. Wenn wir von der Gnade leben und nichts haben, als was sie uns giebt, sollen wir denn ihre Gaben auf unsre Verherrlichung ziehen und die Gnade dazu mißbrauchen, um uns selbst zu erhöhen, und nicht den, durch den wir alles haben, was jetzt unser eigen ist? Dadurch schlüge unser Glaube in Undank um und wäre in seiner Wurzel zerstört. So würde sich unser Blick wieder zu uns selber kehren und in uns die Größe, Kraft und Gerechtigkeit suchen; wir würden nicht an Jesus, sondern an uns selber glauben. Der Glaube besteht darin, dass wir wegsehen von uns selbst und mit allen Kräften unsers Wesens nach dem greifen, was Christus uns erworben hat. Darum hört mit ihm das Rühmen auf.

Dafür kommt Gottes Größe und Einheit zur Offenbarung, dass er der eine und selbe für alle ist, V.29 und 30. Wäre die Gerechtigkeit an Bedingungen gebunden, so wäre Gott nur für die da, welche dieselben erfüllen können. Wäre das Gesetz der Weg in die Gerechtigkeit, so hätte nur der Jude teil an Gott. Aber im Glauben – da gilt in der That: Gott sieht nicht Person an. Das können wir alle, Heilige und Sünder, Thoren und Weise, Juden, Griechen und Barbaren. Indem Gott uns durch Glauben zu sich ruft, offenbart er sich als unser aller Gott.

Gott wird groß durch die den Glaubenden gegebene Rechtfertigung. Was geschieht aber mit dem Gesetz? Ist es entkräftet und ungültig gemacht? Nein! Aufgerichtet wird es durch den Glauben. Haben wir den Apostel aufmerksam auf seinem Gang begleitet, so kann uns dieses Wort nicht befremden. Wie ernst und eifrig hat er für das Gesetz und seine Heiligkeit gesprochen und uns eingeschärft, dass wir dasselbe thun und nicht bloß wissen müssen, dass nur der Thäter des Gesetzes vor Gott als gerecht gelte, dass wir das Gesetz nicht mißbrauchen dürfen, um unsre Sünde zu entschuldigen, dass es uns zur Erkenntnis der Sünde helfen wolle und dieselbe richte und uns vor Gott schuldig mache. So giebt Paulus dem Gesetz, was ihm gebührt, und dies deshalb, weil er im Glauben auf Christus blickt und darum das Gesetz nicht mehr wider sich hat, sondern oberhalb des Gesetzes in Christo fest gegründet ist und an der Gerechtigkeit Anteil hat. Wer noch ohne Glauben unter dem Gesetze steht, der wird mit ihm streiten, seinem Urteil widersprechen und trotz des Gesetzes sich selbst rechtfertigen. Erst im Glauben treten wir dem Spruch des Gesetzes bei und nehmen ihn als gültige und heilige Wahrheit auf. Nun hat uns Paulus freilich Christum gezeigt, der höher ist als das Gesetz und nicht dasselbe thut, wie das Gesetz, weil ihn die Gnade sandte. Aber was wollte das Gesetz? Gerechtigkeit! Und was schafft die Gnade? Gerechtigkeit! Christus hat dem Urteil des Gesetzes gegen die Sünde nicht widersprochen, sondern an sich selbst getragen und mit seinem Blut besiegelt. Dem treten wir im Glauben bei als für uns geschehen. Nun ist freilich das Gesetz nicht mehr unser Mittler mit Gott, sondern Christus ist´s, und die Glaubenden sehen allein auf ihn. Christus befindet sich aber mit dem göttlichen Gesetz in völliger Eintracht. Sein Urteil gegen die Sünde trägt er an sich selbst; die Gerechtigkeit, die es vom gerechten fordert, schafft er in den Glaubenden. So kommt das Gesetz in ihm zur Kraft und zum Leben und steht aufgerichtet da, nicht mehr nur als Gebt, das auf unser Werk wartete, sondern zu Erfüllung gelangt in Christi Werk, in das wir im Glauben eingeschlossen sind.

So hat sich die Armut, in die uns Paulus in den ersten Kapiteln hinabführte, in Reichtum verwandelt. Wir beugten uns unter die Verurteilung des Gesetzes, und die Verurteilung des Gesetzes, und die Verurteilung ward uns zur Rechtfertigung. Wir gaben uns selber preis als dem Recht Gottes verfallen, und finden uns wieder als die Empfänger einer Gnade, die uns Gerechtigkeit verleiht. Wir mußten bekennen, dass wir das Gesetz nicht erfüllen konnten, und es steht in Christo vor uns erfüllt und ins Leben gesetzt. Wir gaben unsere Werke hin und wandten uns dem Glauben zu; wir werden auch das Wirken wiederfinden, einen Dienst für Gott, der Leib und Leben ihm dargiebt als Waffe der Gerechtigkeit.

Kap. 4,1-12 - Wem die alttestamentliche Verheißung gehört.

Paulus hat uns die große Wandlung gezeigt, die mit der Erscheinung Christi angebrochen ist. Nun aber, hieß es 3,21, ist alles anders geworden als bisher, alles anders als unter dem Gesetz. Diese große Veränderung stellte der Erkenntnis der Christenheit eine wichtige Aufgabe. Sie musste nicht bloß den Unterschied sehen zwischen der bisherigen Offenbarung Gottes und dem Evangelium, sondern auch die Einheit und den inneren Zusammenhang. Wie sollte sie dem Evangelium glauben, wenn es ihr schien, es stoße alles um, was Gott bisher gesagt und geschaffen hat? Jetzt galt´s, hineinzusehen ins Alte Testament und Gottes Weg mit Israel zu erwägen, wie dieser sich mit dem Evangelium zu einem einigen Rat und Werk der göttlichen Gnade zusammenschließt.

Israels Berufung zum Volke Gottes geht zurück auf Gottes Verkehr mit Abraham. Abraham hat die Zusage Gottes empfangen, die seinen Söhnen Gottes Segen erteilt. Auf dieser Zusage steht das ganze Alte Testament. Sie wiederholt sich immer wieder neu dadurch, dass Gott als Israels Gott erscheint, der seine Gnade Israel im Unterschied von allen andern Völkern erfahren läßt. An der Wahrheit dieses göttlichen Versprechens zu zweifeln, kam nie in des Apostels Sinn. Es steht im durch die Schrift völlig sicher, dass Gott Abraham die Ehre gegeben hat, dass alle von ihm herkommen sollen, denen Gottes Segnungen zu teil werden. Nachdem aber Gott seine Gnade so wunderbar ausgedehnt und durch Christus auch zu den Heiden erwiesen hat, fällt neues Licht auf die Weise, wie er Abraham für alle zum Vater gemacht hat, die sein Reich ererben werden. Darum stellt Paulus die Frage auf: was sollen wir nun von Abraham unserm Vater nach dem Fleische sagen? V.1.

Der Jude redet von Abrahams Frömmigkeit, als hätte er seine Berufung sich selbst verdankt, und durch seine Werke sich Gott als gerecht erwiesen.

Ob seine Gerechtigkeit der Erfolg seiner Werke oder das Geschenk der Gnade war, das muß sich darin zeigen, ob er´s zum Ruhm gebracht hat, und zwar nicht bloß vor Menschen, wenn er mit andern Leuten verglichen wird, sondern vor Gott, wenn Gottes Auge auf ihm ruht. An diesem Punkt scheiden sich ja der Weg der Werke und derjenige des Glaubens. Wer durch sein Wirken nach dem Gesetz die Gerechtigkeit gewinnt, der hat vor Gott Ruhm; er steht als der Sieger vor ihm, dem Gott den Lorbeerkranz aufs Haupt legen kann, und Gott wäre der letzte, der ihm diesen Ruhm versage oder schmälerte. Wo aber der Glaube die Gnade anruft, da hört der Ruhm auf; denn dann habe nicht ich das Ziel erreicht, sondern Gott hat mich zum Ziel der Gerechtigkeit gebracht. Wie steht´s nun mit Abraham? Vor Gott hat er keinen Ruhm, V.2, denn die Schrift rühmt ihn nicht, sondern sagt, er habe Gott geglaubt, und die habe ihm Gott angerechnet als Gerechtigkeit. Diese beiden Aussagen der Schrift nehmen Abraham den Ruhm. Er glaubte, das will sagen: er sah ein, dass sein eignes Wirken ihm nichts helfe, weshalb er sich in Gottes Hand legte und Gottes Werk erwartete. Gott rechnete ihm die Gerechtigkeit zu, das heißt: er hatte keinen Anspruch an sie, so dass er seine Rechtfertigung hätte fordern können; nicht verpflichtete Gott zu seinem rechtfertigenden Urteil über ihn; nichts trieb ihn dabei als seine eigene Gütigkeit. In Gnaden ließ er sich den Glauben Abrahams wohlgefallen als Gerechtigkeit. Sein Glaube ward ihm zur Gerechtigkeit, das will schließlich sagen: Gott hat in ihm den Gottlosen gerecht gesprochen, und gottlos war er nicht nur einst, als er noch in Mesopotamien in heidnischer Umgebung war, sondern eben damals, als er sich glaubend an Gott wandte, da brauchte er den Gott, der den Gottlosen gerecht sprecht, weil er eine vergebende und heilende Gnade hat, und er fand ihn auch.

Paulus hat das viele Rühmliche, das die Schrift von Abraham erzählt, nicht übersehen. Er übersieht das Gute am allerwenigsten an den heiligen Männern Gottes in der Schrift. Er kennt den gehorsamen Abraham wohl, der auszog, ohne zu wissen wohin, den Mann des Friedens, der Lot das Beste des Landes überließ, den heldenmütigen Abraham, der seinen Sohn Gott zum Opfer bringen konnte. Aber dadurch wird es nur um so wichtiger, dass Abraham da, wo Gottes Verheißung an ihn ergeht, nichts anderes thun kann, als sie glaubend hinzunehmen, dass hier von Werk und Leistung keine Rede ist, sondern nur von dankbarem Aufblick zu der Gnade, die ihm gebend entgegenkommt, und dass eben dies sein Glauben vor Gott als Gerechtigkeit gilt.

Neben Abraham steht David, welchem derjenige als ein seliger Mann gilt, welchem Gott die Sünden vergeben hat. Sünde nicht anrechnen, heißt aber Gerechtigkeit anrechnen, V.6, weil es Gottes Gnade nicht dabei bewenden läßt, unsre Sünde zu decken, sondern wenn er sie vergiebt, so stellt er uns als die Gerechten vor sich und giebt uns allen Lohn und alle Güter der Gerechtigkeit. Zu dieser steht uns aber der Weg nach Davids Wort deshalb offen, weil Gott unsre Übertretungen bedeckt. Das will sagen, er rechnet uns Gerechtigkeit an ohne Werke, ohne dass seine Gnade von unserem Werk abhängt. Wenn unsre Übertretungen bedeckt werden, fährt Gott nicht mit uns nach unserem Werk.

Das sind zwei Worte aus dem Alten Testament, zu denen Paulus noch viele ähnliche hätte fügen können. Denn wie die Schrift die Sünde Israels mit durchdringendem Ernst bezeugt, so stellt sie nicht weniger gewaltig die Größe der göttlichen Vergebung ans Licht und zeigt die Regel der Gnade, nach der Gott die Menschen regiert. Und nun stellt Paulus die Frage: wem macht die Schrift diese Zusage? Sagt sie, dass Gott dem Juden die Sünde verzeiht, dem Heiden aber nicht? Reicht die göttliche Gnade nur so weit, als die Beschneidung reicht?

Die Beschneidung grenzt Israel ab von den Heiden, und diese Scheidewand war durch das Gesetz selbst errichtet, und nicht bloß durch den jüdischen Übermut. Das Gesetz machte einen Unterschied zwischen den Menschen und stellte auf die eine Seite die Beschnittenen, auf die andere die Unbeschnittenen. Ist nun die Meinung der Schrift, dass Gottes vergebende Gnade Halt mache an jener Grenze und nur die Beschnittenen umfasse und nicht zu den Unbeschnittenen hinüberreiche? An der Neigung, so was zu sagen, fehlte es dem Juden nicht, und er zeigte dabei hin auf Abraham, der ja als Empfänger der göttlichen Verheißung zugleich der Anfänger der Beschneidung war.

Ganz recht! Sagt Paulus, seht nur auf Abraham, wenn ihr wissen wollt, wie weit Gottes Gnade reicht, ob sie die Unbeschnittenen nicht umfaßt, sondern bloß die Beschnittenen. Als Abrahams Glaube Gottes Wohlgefallen fand und seinetwegen Gerechtigkeit ihm zugemessen ward, war er damals beschnitten oder unbeschnitten? Abraham selbst ist der erste Heide gewesen, der ohne Beschneidung durch den Glauben allein die Gerechtigkeit gefunden hat. An ihm hat Gott ein für alle mal gezeigt, dass seine Gnade nicht an die Beschneidung gebunden ist und nicht nur die Beschnittenen umfaßt. Denn Abraham hat die Beschneidung nicht empfangen, damit er durch sie gerecht werde, sondern weil er vor Gott gerecht war durch seinen Glauben, darum wurde er mit dem Zeichen der Beschneidung versehen. Sie bildete das göttliche Siegel auf die in seinem Glauben bestehende Gerechtigkeit. Zum Glauben aber hat er die Beschneidung nicht bedurft, noch hat Gott auf sie gewartet um seinen Glauben an- und aufzunehmen. Vielmehr war er bereits in Gottes Gnade und Gerechtigkeit eingeschlossen, ehe er nach dem Maße des Gesetzes ein Jude war.

Jetzt wissen wir, an wen Gott dachte, als er von Abrahams Kindern sprach, denen die Gnade Gottes zufallen wird. Seine Kinder erlangen sie genau auf demselben Wege, wie sie Abraham gefunden hat. Gottes Absicht schaute hinaus auf die Heiden. Weil Gott die Heiden zum Glauben berufen wollte und ihnen die Gerechtigkeit um des Glaubens willen zuzurechnen gedachte, darum hat Gott Abraham berufen, darum seinen Glauben sich wohlgefallen lassen, und darum ihn mit der Verheißung gekrönt, dass er der Vater des Geschlechts sei, das Gottes Eigentum werden wird. Das ist die kühne Spitze in der Predigt des Apostels, die er gegen das jüdische Großthun mit der natürlichen Abkunft von Abraham kehrt. Darum haben sich auch die Juden so heftig gegen ihn erbittert. Wenn er ihnen sagte: dazu ward Abraham erst, nachdem er Gott geglaubt hatte, die Beschneidung gegeben, weil die Heiden sein Same werden sollten, so griff das dem jüdischen Stolz tief ins Herz.

Aber Paulus sagt das nicht nur, um die Juden zu ärgern, sondern er schaut anbetend auf die Größe der göttlichen Gnade, die schon bei ihrem ersten Wort ihren die weite Welt umfassenden Reichtum so deutlich kund gemacht hat. Wie könnte Paulus Abraham höher ehren und preisen, als dadurch, dass er ihm einen so großen Samen zugestellt, der durch die Völkerwelt sich ausbreitet und aus allen Gerechten besteht, aus allen denen, welche die einzige echte und bleibende Gerechtigkeit besitzen, die, welche Gott den Glaubenden verleiht?

Nun aber fragt der Jude: wo bleiben denn wir? Und darum fährt Paulus fort: und auch ein Vater der Beschneidung, V.12. Abraham hat nicht nur unter den Heiden Kinder, sondern auch unter den Beschnittenen. Aber nach dem Vorangehenden bedarf dieses Wort noch einer Erläuterung. Die, welche nur aus der Beschneidung sind, gehören nicht zu seinem Samen. Ihre Beschneidung ist eine andere als die Abrahams, weil ihr das fehlt, was sie als Gottes Siegel dem Abraham bekräftigte. Ohne Glauben und ohne dessen Gerechtigkeit ist sie nichtig und leer, und der Jude ist somit nicht deshalb schon Abrahams Sohn, weil er beschnitten ist, sondern muß es erst werden und zwar dadurch, dass er sich von der Beschneidung innerlich löst, indem er sie nicht als seine Stütze braucht, worauf er seinen Ruhm vor Gott gründen will, sondern sich auch, ganz wie der Heide, zum Glauben kehrt, gleich wie es Abraham that.

Es geschieht somit dem Juden kein Unrecht, wenn es ihm Paulus verwehrt, sich auf seine Beschneidung zu verlassen. Er mutet ihm nicht mehr zu, als daß er sich Abraham beigeselle, der in seiner Vorhaut gläubig war. Wenn dem Juden die Beschneidung als das gilt, wozu sie Abraham gegeben war, wenn sie ihm das Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens ist, dann ist er sich zum Segen beschnitten; dann kommt an ihm das Wort des Apostels zur Erfüllung, dass der Nutzen der Beschneidung groß in jeder Hinsicht sei; dann sträubt er sich aber auch nicht mehr, in den glaubenden Heiden die Brüder zu erkennen, die zum Samen Abrahams gehören so gut wie er.

Paulus sagt nicht nur: Gott hat Abraham so geführt, damit die Heiden ihm nachfolgen und sein Beispiel nachahmen, sondern er heißt die Heiden Kinder Abrahams und Abraham ihren Vater. Nun soll das Kind freilich in den Fußstapfen des Vaters wandeln; es ist ja gleicher Art mit ihm und hat darum auch denselben Weg. Aber die Worte „Vater“ und „Kind“ zielen nicht bloß auf die Nachfolge, sondern sprechen von einem Lebenszusammenhang. Wer mich bloß lehrt, der ist noch nicht mein Vater, sondern der ist´s, der mich ins Dasein setzt und mir das Leben giebt. Paulus könnte nicht so sprechen, wäre ihm der Glaube ein Selbstgemächte des Menschen, ein Gebilde unsres eigenen Willens, das wir selbst hervorbringen. Allein der Glaube wird von uns empfangen und entspringt aus dem, dem wir glauben, aus Gott, der seine Gnade uns entgegenbringt. Und diese Gnade, die Glauben erzeugt und uns zu Gläubigen macht, hat Gott zuerst dem Abraham erzeigt. Abraham hat auch zuerst gegeben, was nun auch in unser Herz eingegangen ist und unser Leben vor Gott ausmacht. Von Abraham her gehen die Gnade und der Glaube aus in die Welt und breiten sich aus zu den Menschen und erfüllen ihr Herz und machen ihr Wesen und Leben neu. Aus Abrahams Glaube kam zuerst Israel, aus Israel Christus. Aus Christus der Glaube der Heiden. Da ist Fortpflanzung, nicht des Bluts, wohl aber dessen, was des Herzens Kraft und Saft ausmacht und in uns zum ewigen Leben wird. Und je heller der Blick des Apostels die große Veränderung ermißt, welche Christi Sendung in die Welt hervorgebracht hat, je mehr er erfaßt, dass das Alte vergangen und alles neu geworden ist, mit um so größerer Freude hebt er auch die Einheit der göttlichen Regierung in alten und neuen Bund hervor. Es liegt auch wahrhaftig etwas Großes in diesem durch den Wandel der zeit stetig fortschreitenden Gotteswerk, in diesem Stammbaum des Glaubens und der Erkenntnis Gottes, in der Zusammenfassung der Menschheit zu einer einigen Familie, in der dieselbe Gnade Gottes vom einen auf den andern übergeht.

Wir werden´s auch verstehen, dass der Apostel hiebei gerade jetzt verweilt, wo er nach Rom schreibt und daran denkt, dass er das Evangelium dorthin bringen will. Immer weiter entfernte er sich von Jerusalem und der Judenschaft; immer größer wurde die Zahl der Heidengemeinden. Wäre das ein Bruch der Zusage Gottes, die Abraham und sein Same empfangen hat, wie könnte er dann mit gutem Gewissen Apostel der Heiden sein und wie könnte die Christenheit sich dann an seiner Arbeit freuen? Aber es bleibt dabei, dass niemand als die Söhne Abrahams die Erben des Reiches sind. Nur haben sich Gottes Gedanken als unendlich größer erwiesen über das hinaus, was die Juden von ihm erwarteten. Sie wollten den Kreis der Söhne Abrahams einschränken auf die, die auch dem Leibe nach von ihm herkommen oder wenigstens innerhalb des Gesetzes stehen. Und nun hat Gott den Glauben Abrahams hinüber verpflanzt zu den Heiden und diese dadurch zu Kindern Abrahams gemacht. So dient gerade die Arbeit des Paulus, der das Evangelium in die weite Welt hinausträgt, der göttlichen Zusage zur Erfüllung, und die Römer lernen auch hier wieder etwas von dem Eifer verstehen, der Paulus bewegt. Jetzt ist die Zeit, wo Gottes Verheißung sich erfüllt und die zahlreiche Kinderschar Abrahams geboren und gesammelt wird. Da kann er nicht müßig sein.

Kap. 4,13-16 - Der Unterschied zwischen der Verheißung und dem Gesetz

Paulus hat den Glaubenden nur die Verheißung zugeeignet, nicht auch das Gesetz. Das wollten die Juden nicht zugeben. Das Gesetz, meinten sie, läßt sich von der Verheißung nicht trennen, und diese kann nur zu denen kommen, zu welchen auch das Gesetz gelangt, weil es das Mittel zum Empfang derselben ist. Aber die Verheißung und das Gesetz liegen weit auseinander, und ihr Amt ist von ganz verschiedener Art.

Beides ist Gottes Wort, beides also heilig, gültig, mächtig, unaufhebbar durch der Menschen Macht. Aber die Verheißung ist dasjenige Wort Gottes, welches sagt, was Gott thun will; das Gesetz dagegen ist dasjenige Wort Gottes, welches sagt, was der Mensch thun soll. Das macht den großen Unterschied. Darum stehen beide in ihrem Ausgang gegen einander wie Leben und Tod, wie Gnade und Zorn. Es kann nicht dasselbe Resultat entstehen, je nachdem Gott oder der Mensch die Hand ans Werk legt. Durch die Verheißung tritt Gott hervor und zeigt, was er für uns thut. Das Gesetz ruft den Menschen hervor, damit der Mensch zeige, was er für Gott leisten will. Da ist der Ausgang gänzlich different.

Deshalb hat Gott von Anfang an das Gesetz und die Verheißung geschieden und diese von jenem unabhängig gemacht. Weder für Abraham noch für seinen Samen kommt die Verheißung durch das Gesetz, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens, V.13. Abraham hat nicht zuerst ein gesetz erhalten und erfüllen müssen, ehe Gott ihm sein Versprechen gab, sondern dieses kam als Gottes freie Zusage zu ihm und lautete: ich will es thun. Und auf demselben Wege kommt Gottes Verheißung zu allen, denen sie mit Abraham als seinem Samen angehört. Gerechtigkeit müssen sie gefunden haben, ehe es für sie Anteil an Gottes Reich und Gütern geben kann. Für die Ungerechten giebt´s keine Verheißungen. Aber die Gerechtigkeit, die zur Verheißung führt, ist des Glaubens Besitz und Eigenschaft.

Gott sagt Abraham und seinem Samen zu, dass sie die Erben der Welt sein werden. So groß war die Hoffnung Israels. Es schaute auf die Welt als auf sein Eigentum und erwartete den Tag, wo alle Völker sich vor ihm beugen werden. Paulus stimmt bei. Gott führt seine Gemeinde zur Freiheit und Macht empor, so dass es in Wahrheit von ihr Gilt: alles ist unser, weil Gott sie vor der ganzen Welt verklären wird. Aber wie kommt uns das? Nicht durch das Gesetz, nicht durch unser Werk und unsre Kraft. Nicht wir erheben uns über die Welt durch die Größe unsrer eigenen That. Gott wird die vor der Welt verherrlichen, denen er Gerechtigkeit zuteilt ihres Glaubens wegen.

Wer sich auf das Gesetz stützt, so dass ihm das Gesetz das Erbe zuteilen soll, der hat auf dasselbe verzichtet. Er macht an seinem Teil den Glauben leer und die Verheißung nichtig. Behielte er mit seinen Ansprüchen Recht, so könnte kein auf Gott gestellter Glaube sich erwahren und kein von Gott gegebenes Versprechen sich erfüllen. Wenn der Glaube uns die Gaben Gottes bringt, so geschieht dies nicht nach dem Gesetz, sondern nach Gottes Güte, und wenn die Verheißung Gottes sich erfüllt, so geschieht dies wiederum nicht nach dem Gesetz, sondern weil Gott treu und gnädig thut, was er versprochen hat. Wenn Gott uns das Erbe nicht geben darf, sondern wenn es uns selbst obliegt, dasselbe zu erwerben, so werden wir ewig umsonst auf dasselbe warten müssen. Denn das Gesetz ist nicht die Himmelsleiter, auf der wir zum Leben emporsteigen, sondern das Gesetz bringt Zorn zu stand, V.15.

Paulus läßt uns immer tiefer hineinsehen in das heilige, ernste Geschäft des göttlichen Gesetzes. Er zeigte uns zuerst, wie es uns zur That beruft, weil es uns verpflichtet, zu thun, was Gott gefällig ist, 2,13, sodann, dass es uns deshalb zur Erkenntnis der Sünde führt, 3,20, und nun zeigt er uns, wie uns dasselbe von der Gnade Gottes scheidet, weil der Mensch an ihm den göttlichen Zorn gegen sich erweckt. Gott schirmt das Gesetz gegen die, die es übertreten. Wie Gott seine Wahrheit mit Zorn rächt an denen, die sie unterdrücken, so ist auch das Gesetz vom Zorne Gottes begleitet für die, die sich ihm nicht unterwerfen. Es läßt sich aber keiner mit dem Gesetze ein, ohne dass er´s übertritt. Darum verdirbt sich ein jeder, der sein Heil und Leben auf das Gesetz erbauen will. Er hat in thörichter Verblendung für den Bringer des Heils und Lebens gehalten, was Gott vielmehr als seine Waffe gegen uns Sünder braucht, damit wir uns an ihr den Tod holen.

Mit diesen Wort thut Paulus dem Gesetz die höchste Ehre an, eine viel größere Ehre, als ihm je ein Pharisäer angethan hat. Der Pharisäer hieß das Gesetz wohl heilig, aber zugleich sagte er: da darfst es auch übertreten; nur mache es nicht zu schlimm; etwas Übertretung schadet nicht. Paulus sagt ihm: du weißt nicht, was das heißt: Gesetz! Du meinst, es sei wie Wachs und du könnest es biegen und drücken. Wenn Gott spricht: du sollst! So bleibt das stehen in Gültigkeit und Kraft, du wirfst ein solches Wort nicht um. Streitest du dagegen, so fällt nicht das Gebot, wohl aber du. Das übertretenen „du sollst“, das kostet dir dein Leben: denn daraus bricht der Zorn hervor.

Nur da, wo das Gesetz nicht ist, giebt es keine Übertretung, V.15. Das Gesetz ist aber da nicht, wo Gottes Verheißung ist, ist da nicht, wo die Gnade ist, ist da nicht, wo der Glaube ist. Darum ist hier auch keine Übertretung und kein Zorn, vielmehr ein offener Weg zu Gottes Reich. Weil aber Gott uns nicht unter seinen Zorn will fallen lassen, sondern wirklich das Erbe uns geben will, weil seine Verheißung uns fest sein soll, darum hat er sie nicht an das Gesetz gebunden, sondern den Glauben zum Mittel ihrer Erfüllung gemacht. Nun steht die Verheißung auf Gottes Gnade und mein Erbe hängt nicht an dem, was ich thue, sondern Gott hält es in seiner eigenen Hand; deshalb ist es mir fest. Dadurch erhält auch der ganze Same Abrahams an seinem Erbe Anteil, alle, die mit ihm eines Glaubens sind, während das Gesetz den Unterschied zwischen den Menschen macht und den Heiden vom Juden absondert. Für die Gnade aber giebt es keinen Unterschied,

Kap. 4,17-25 - Welcher Art der Glaube Abrahams war.

Wie wir durch Christus zum Glauben berufen sind, so hat auch schon die alttestamentliche Verheißung im Menschen Glauben erweckt. Und zwar zeigt uns Paulus an dem, was in Abrahams Seele vor sich ging, wie sein Glaube unserem Glauben, mit dem wir Christus erfassen, ähnlich war. Diese Ähnlichkeit besteht darin, dass auch Abraham völlig absehen musste von dem, was er selber war, und sich an Gott halten musste, dass Gott vermöge, was Abraham unmöglich war, und Gott wirke, was Abraham fehlte. Sich zu halten am lebendigen Gott allein, das ist des Glaubens Art im Alten wie im Neuen Testament.

Gott sprach zu ihm: ich habe dich zum Vater vieler Heiden gesetzt, V.17. Das ist der göttlich gelegte Grund seines Glaubens, der ihm Wahrheit und Inhalt giebt. Aber so sprach Gott zu ihm, als er noch keinen Sohn hatte, noch auf dem Wege der Natur einen solchen erhalten konnte. Und doch sagt ihm Gott: du bist Vater; ich habe dich dazu gesetzt. So war er´s, aber nicht vor sich selbst oder vor den Menschen, wohl aber vor dem, der die Toten lebendig macht und auch aus dem toten Abraham Völker erstehen läßt, der von dem, was nicht besteht, spricht, als bestände es, weil er es mit seiner Schöpfermacht ins Dasein rufen kann, der darum von den künftigen Geschlechtern sprechen kann, als wären sie schon da. Auf diese Schöpfermacht Gottes ist Abrahams Vatername gestellt; auf sie fußt der Glaube und um ihretwillen ist er wahr.

Weil aber Abraham Vater ist nur vor Gott, nicht vor sich selbst, darum erhält seine Seele eine doppelte Bewegung. Sie wird in die Hoffnung versetzt; unermeßlich groß steigt sie vor seinem Auge auf, denn wie die Sterne des Himmels soll sein Same sein. Und doch steht er zugleich in der Hoffnungslosigkeit. Alle Hoffnung erstirbt, wenn er sich selbst ansieht. Denn Sich selbst und Sarah muß er für erstorben achten.

Er war zwischen die Hoffnung und die Hoffnungslosigkeit gestellt; was sollte er nun thun? Glauben! Er muß die von Gott ihm dargebotene Hoffnung ergreifen und festhalten gegen alles, was er an sich selber sieht. Das war seine Glaubensthat. Er zog den Blick ab von sich selbst und stimmte dem bei, was Gott über ihn gesagt hatte, und achtete sich für den Vater vieler Völker, weil ihn Gott dazu gesetzt hatte, ob dies auch himmelhoch über seinem Vermögen stand, und ließ sich durch seine Ohnmacht nicht schwach machen und sein Herz nicht in Schwankung bringen, und spaltete seine Gedanken nicht und ließ sie nicht wider einander streiten, so dass er neben Gottes Zusage sich doch durch seinen eigenen Zustand noch erschrecken ließ, sondern er ergriff mit kräftiger Überwindung seiner eigenen Gedanken Gottes Verheißung. Das heißt: er hat Gott geglaubt.

Was ihn dabei bewegte, war: er gab Gott die Ehre, V.20. Wie sollte er der Macht und Güte Gottes Schranken setzen? Er muß sich für das halten, wozu Gott ihn setzt, wenn er Gott als Gott behandeln und sich nicht an seiner Majestät vergreifen will. Darum war´s ihm auch gewiß, dass Gott thun kann, was er verspricht. Das kann er nicht leugnen, sowie er den Blick zu Gott erhebt, und nun hält er diese Wahrheit nicht in sich gefangen, sondern wird ihr unterthan, so dass sie als Gewißheit in ihm lebt.

Auch wir sind auf Gott allein geworfen und von allem, was wir von Natur und nach dem Fleische sind, abgelöst, da wir durch das Evangelium Gott als den kennen, der Christum auferweckt hat. Dadurch sind auch wir von Gott zu etwas gemacht, was wir in uns selbst nicht sind. Wir sind in die Gerechtigkeit gesetzt und haben sie doch nicht in uns; wir sind ins Leben erhöht und stehen doch im Tode drin. Es wird uns an Christus beides gezeigt, unser Fall und unsre Rechtfertigung, unser Tod und unser Leben. Wegen unseres Falls ward er dahingegeben; wegen unserer Rechtfertigung ward er auferweckt. Im Blick auf Christi Kreuz müssen wir uns als die Übertreter achten, denn unseretwegen geht er in den Tod. Im Blick auf Christi Auferstehung müssen wir uns für Gerechtfertigte betrachten, denn darum hat ihn Gott auferweckt als den Fürsten des Lebens, der uns in sein Reich erhöht, weil er uns in seinem Blut Rechtfertigung bereitet hat. Was bleibt uns anderes übrig als zu hoffen, wo nichts zu hoffen ist? Nichts hoffen läßt sich von uns selbst, da wegen unserer Übertretungen Christus sterben muß; hoffen sollen wir, weil Gott durch seinen Tod uns als die Gerechten vor ihn stellt. Da gilt´s auch für uns, dem beizustimmen, wozu Gott uns macht, und das mit einem ungeteilten festen Ja zu ergreifen und es festzuhalten ohne Schwankung und Zweifel mitten in der täglichen Erfahrung unserer Sündigkeit und Sterblichkeit. Heißt uns Gott gerecht, so sind wir´s auch; heißt uns Gott lebendig, so stehen wir im Leben. Er vermag zu thun, was er verspricht. Was wir bei uns selber sind, kann uns nicht mehr gelten, als was wir in Christo sind. Dadurch geben wir auch Gott seine Ehre, und darin steht des Glaubens Unerläßlichkeit. Wir ehren Gott dadurch, dass wir seine Gabe annehmen mit Dank und Anbetung.

Kap. 5,1-11 - Die Hoffnung des Glaubens

Immer heller, Strahl um Strahl läßt Paulus Licht fallen auf Gottes Gabe. Die Gnade ist von Anfang an eine vollkommene; darum finden wir, sowie wir uns ihr zuwenden, gleich das höchste Gut, die Gerechtigkeit. Daher besteht der Fortschritt im Christenleben darin, dass wir uns in zunehmender Kraft und Fülle das aneignen, was schon mit dem ersten Aufleuchten des Glaubens unser eigentum geworden ist. Daher rollt auch der Brief des Apostels Paulus mit zunehmender Klarheit vor unseren Augen auf, was Gottes Werk für uns in sich schließt. Das nächste hiebei ist, dass wir zur Gott emporschauen; wie gestaltet sich nun unsere Stellung vor Gott?

Weil wir in der Gnade unsre Rechtfertigung gefunden haben, so haben wir Frieden mit Gott. Wir hören ja in Christo nicht das Wort des Zorns und werden von Gott nicht zurückgestoßen, sind vielmehr an- und aufgenommen und gerecht gesprochen. Gottes Friede mit uns wird uns von Christo zugebracht und an ihm wird unser Herz zufrieden. Haben wir uns eingeschlossen in die Rechtfertigung, die uns bereitet ist, wie sollten wir nicht mit Gott zufrieden sein? Da ist´s mit dem Murren und Klagen wider ihn aus, und die Flucht von ihm weg und der stille und doch so giftige Ärger über ihn hat keinen Raum mehr in uns; wir lassen uns ihn und seine Wege wohlgefallen. Und wenn je wieder die Stimme der Unzufriedenheit in uns sich regen will, sie muß ersterben, wenn wir neu bedenken: Gott hat mir, dem Gottlosen, Gerechtigkeit bereitet aus Glauben heraus. Als das Ziel und Ende des Gesetzes hat uns Paulus Ergebung vor Gott gezeigt, dass wir vor ihm verstummen und uns in seinen Entscheid und seine Hand legen, 3,19.20. Nun stehen wir höher; nun ist nicht mehr nur Ergebung unser, sondern Friede. Wir müssen uns nicht bloß wohlgefallen lassen, was Gott thut, nein, es gefällt uns wohl. Diese Änderung kommt von Gott; sie rührt daher, dass Gott nicht wider uns ist, sondern sich väterlich in reicher Gnade zu uns hält. Gott hat den Zwist zwischen ihm und uns aufgehoben. Das hat uns in den Frieden gesetzt.

Darum ist unser Friede mit Gott ganz und gar Christi Gabe, durch welchen wir auch den zugang erlangt haben zu der Gnade, in der wir stehn, V.2. Mit der Sendung Christi in die Welt und seiner Erhöhung aus dem Tode in die Herrlichkeit ist noch nicht alles gethan, was zu unserer Rettung geschehen muss. Es müssen uns weiter die Wege geöffnet werden zu Christo hin, so dass wir die Gnade hören, merken und fassen können. Durch die Verkündigung des Evangeliums, durch den Dienst der Apostel, durch die Arbeit der Kirche, im Zusammenwirken innerer und äußerer Erlebnisse und Führungen werden wir hinzugeleitet zur Gnade, die uns in Christo bereitet ist. Auch diese Hinzuführung ist Christi Werk. Sie bildet die Fortsetzung seiner Arbeit auf Erden, die immer wiederholte Erneuerung seines Rufs; kommt her zu mir alle, den er nun als der Verherrlichte ins Werk setzt mit einer die Welt umfassenden Thätigkeit.

Nun geht uns der Mund auf zum freudigen Ruhm. Wir rühmen uns der Gerechtigkeit, aber eben darum auch der Herrlichkeit Gottes. Was die Lebensfülle Gottes bildet, das läßt Paulus unzerteilt. Wo Gerechtigkeit ist, da ist Herrlichkeit. Wird die Gerechtigkeit für uns wirksam, uns zur Rechtfertigung, so steigt auch die Herrlichkeit zu uns herab, uns zur Verherrlichung. So erlebt es schon der Sünder, dass er um seiner Ungerechtigkeit willen auch der Herrlichkeit verlustig geht, vgl. 3,23. So sehen wir´s an Christo, den die Gerechtigkeit Gottes in den Tod gegeben und darum die Herrlichkeit Gottes auferweckt hat, vgl. 6,4. Und so handelt Gott auch an uns, den Glaubenden, als der Einige und Unteilbare, der seine Herrlichkeit nicht vergißt, wenn er sich zu uns kehrt, sondern uns in dieselbe kleidet, dass wir ein Abglanz und Abbild werden seiner Herrlichkeit. Hat er seines eigenen Sohnes nicht verschonet, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Dass wir ungeteilt lassen, was Gottes ist, in der Gewißheit, dass wir Christi wegen den ganzen Gott für uns haben, das eben ist des Glaubens Art.

Dies ist Hoffnung, vorerst noch nicht mehr. Denn Christus kam zwar als der Diener der göttlichen Gerechtigkeit, aber noch nicht als der Bringer der göttlichen Herrlichkeit. Darauf warten wir. Aber schon dies ist ein großer Gewinn, dass wir nun hoffen lernen. Solange wir ferne von Gott sind, wissen wir gar nicht, was hoffen heißt. Wir hegen wohl beständig Bilder und Träume von Glück und Lust in uns, aber sie haben stets den inneren Zeugen wider sich, der sie als Traum kennzeichnet und unsere Erwartungen widerlegt. Und die wahrhaftigen Güter schauen uns, ehe der Glaube erwacht, leer und frostig an; sie erwecken unser Verlangen nicht. Erst glaube, dann wirst du sehen, was hoffen heißt, eine Hoffnung, deren man sich rühmt, weil sie eine lebendige und wahrhaftige Hoffnung ist.

Die Gegenwart unseres Lebens steht freilich oft genug zu unserer Hoffnung in hartem Widerstreit. Die Trübsale stellen sich ein, wobei wir nicht nur an die natürlichen Schmerzen unseres leiblichen Lebens denken dürfen, sondern auch an den Druck, welchen der Verkehr mit den Menschen auf uns legen kann, so dass sich das Leben zum aufreibenden Kampf gestaltet. Paulus kannte ja diese Trübsale aus besonders reichlicher Erfahrung; sein Christenleben war ein beständiger Leidenslauf. Aber auch das erschüttert unsre Hoffnung nicht, sondern befestigt sie vielmehr. Je mehr Druck, desto mehr Tragkraft; denn unter der Last erstarkt die Kraft. Je mehr ausharrende, tragende Geduld, desto mehr Bewährung; da erprobt sich unser Glaube, das er nicht Einbildung und Phantasterei ist, sondern ein reelles Halten und Hängen an Gott. Je mehr Erprobung, desto mehr Hoffnung; jene erst giebt das gute Gewissen zu Gott, das freudige Bewußtsein, das wir in Aufrichtigkeit mit geradem Herzen auf seinem Wege wandeln und seine Hilfe suchen dürfen. Und die Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Dass wir umsonst auf Gott hoffen, wenn wir nur wirklich auf ihn hoffen, das ist eine Unmöglichkeit; denn Gott verleugnet sich nicht und seine Güte bleibt ewig in ihm. So kommt Paulus zu dem Resultat: je mehr Leiden, desto mehr Hoffnung und desto mehr Erfüllung der Hoffnung. Die Trübsal kann allerdings auch die entgegengesetzte Wirkung haben, dass sie Ungeduld wirkt, und die Ungeduld führt nicht zur Bewährung, sondern zum Fall, und der Fall nicht zur Hoffnung, sondern zur Furcht, und die Hoffnungen, die wir uns dennoch einbilden, werden zu Schanden und die schlimme Ahnung unserer Furcht behält recht. Ob die Trübsal für uns zum Anfang der einen oder anderen Kette von Erlebnissen wird, hängt davon ab, ob wir im Glauben an Christum stehen oder nicht.

Für den Glaubenden aber tritt das Leiden unter die Mittel, die ihm seine Hoffnung kräftigen und dadurch deren Erfüllung herbeiführen. Und darum stellt der Apostel auch die Trübsal unter die Dinge, deren wir uns rühmen und freuen. Sie bleibt Leiden und thut weh, sonst wäre es keine Trübsal mehr, aber wir vermögen im Blick auf das Ende zu sprechen: ich will leiden, Herr, wenn du es willst. Und darin, dass wir auch zur Trübsal willig und freudig werden, bewährt es sich, dass wir Frieden haben mit Gott und mit ihm einverstanden sind.

Paulus stützt das Hoffen auf das Höchste, was unserem Auge erreichbar ist, auf Gottes Liebe. Warum sind wir plötzlich so reich geworden und haben die Herrlichkeit vor uns und alle Kränkungen der Menschen unter uns? Warum schwächt kein Leiden unser Hoffen, mehrt und kräftigt es vielmehr und macht, dass es die Gewißheit seiner Erfüllung bei sich hat? Gottes Liebe hat sich in unsre Herzen ergossen durch heiligen Geist, der uns gegeben ward, V.5. Nachdem Gottes Gerechtigkeit für uns offenbar geworden ist, wodurch der Friede Gottes zu uns gekommen und unser Zwiespalt mit Gott begraben ist, nun winkt uns nicht nur in der Zukunft die Herrlichkeit Gottes, sondern die Liebe Gottes sucht unser Herz, und damit ist das Innerste und Heiligste in Gott vor uns aufgethan.

Die Liebe verbirgt sich nicht; sie macht sich spürbar und giebt sich zu genießen. Sie strömt hinein in das Herz derer, die sieliebt. Sie will nicht bloß Hilfe leisten, Gaben bringen, Dienste erweisen, nützlich sein; sie will das Herz erfüllen, Einheit stiften, persönlich uns an Gott binden, dass wir mit ihm und für ihn leben dürfen. Das geschieht dadurch, dass Gott ins Menschenherz heiligen Geist einziehen läßt.

Heiliger Geist in einem Menschenherzen – dass hat Gottes Liebe erdacht und sie allein ins Werk gesetzt.

Hier kann unser Denken nur in tiefem Staunen stille stehen. Gott läßt seinen Heuch und Odem von sich ausgehen als den Boten seiner Liebe, dass er unser Herz bewegt, es erweckt aus seiner Erstarrung, Göttliches in unser eigenes Wesen senkt und uns durch ein lebendiges, wesenhaftes Band ihm verbunden hält!

Was ist heiliger Geist? Dass wir Gottes Liebe spüren, dass die Erkenntnis hell in uns aufbricht: welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt! Dass aus solcher Erkenntnis der Wille entbunden und gereinigt zur Liebe dessen sich erhebt, der uns zuerst geliebt hat, das ist nach unserer Stelle heiliger Geist.

Unsre Hoffnung hat noch eine andere Erprobung als die Trübsal zu bestehen. Dieselbe besteht im Blick auf das, was uns die Zukunft bringen wird. Nicht so läßt der Apostel die Sorge um unsre Zukunft zum Worte kommen, dass er fragen würde: werde ich wohl beharren und im Glauben bleiben? Diese Sorge kann leicht ungläubig sein und der Apostel würde antworten: statt zu zweifeln, ob du beharren wirst, glaube doch! Fasse nur die Hand Gottes, die dich ergriffen hat! Was er vor uns hinstellt, damit die Zuversicht und Hoffnung des Glaubens sich daran bewähre, das ist das kommende Gericht Gottes, die Offenbarung des göttlichen Zorns, der wir entgegen gehen. Wir werden Jesum als unseren Richter sehen. So gewiß wir auf Verklärung hoffen, so gewiß erwarten wir auch Gericht. Gottes Werk hat stets Werk und Gericht in sich, und je mächtiger sich das reich Gottes offenbart, um so ernster ist auch das damit verbundene Gericht. Wie nun? Erträgt unser Hoffen den Blick auf den Richter, vor dem unser Verborgenes offenbar ist?

Paulus hält uns zuerst vor, was für eine Liebe Christus uns erwiesen hat. Als er für uns starb, waren wir noch schwach und krank, noch gottlose Leute, V.6. Da war noch nichts Heiliges in uns. Es lebte noch nicht göttlicher Geist in unseren Herzen, und wir waren noch nicht aufgerichtet aus unserem Fall durch Gottes Liebe. Als Christus sich zum Sterben für die Menschheit anschickte, da war nichts um ihn her als eine gottlose Schar.

Der Apostel heißt uns die Größe der That Christi an dem ermessen, was unser eigenes Herz empfindet. Wir haben nicht Lust, für gottlose Leute zu sterben, auch dann nicht, wenn wir sie durch unser Sterben retten könnten. Gottlose Leute lassen wir dahinsinken. Warum sind sie gottlos gewesen? Warum haben sie sich ihren Fall selbst zugezogen? Es ist nichts ehr- und liebenswürdiges an ihnen; sollten wir uns selbst für sie aufopfern? Ja, auch wenn einer gerecht ist und im Kampf für das, was recht und gut ist, sein Leben einsetzt, da stirbt kaum jemand für ihn. Es kann ihm leicht widerfahren, dass er verlassen und verraten wird von allen, dass sie ihn alle nicht mehr kennen, wenn´s zu sterben gälte, dass seine Gerechtigkeit niemand herbeizieht, dass er mit ihm und für ihn sein Leben drangäbe. Es kommt ja freilich auch unter den Menschen vor, dass einer für den andern sein Leben giebt um seiner Gerechtigkeit und Gutthat willen. So sind schon Kinder für Eltern, ein Freund für den Freund, ein Mann für sein Volk gestorben um des Rechts und der Pflicht und der Gutthat willen. Aber stets erscheint uns dies als eine heldenhafte That und ein bewunderungswürdiger Mut.

Nun, sagt Paulus, seht Christus an. Wir Menschen hatten weder Gerechtigkeit noch Gutthat aufzuweisen. Es war nichts heiliges an uns, was ihn verpflichtet hätte, bei uns zu stehen bis in den Tod. Ließ er uns sterben, so geschah uns Sündern unser Recht. Aber trotz seines heiligen Widerwillens gegen die Sünder, trotz seines gänzlichen Unterschieds von allen Gottlosen starb er für sie. Dadurch hat er Gottes Liebe an den Tag gebracht, V.8.

Nachdem uns Gottes Sinn und Wille so kund geworden ist, nun wissen wir auch, wie unsere Zukunft ausfallen wird. Wir werden noch viel mehr durch ihn errettet werden vor dem Zorn, V.9. Diese Zuversicht ist nicht auf unser Werk gestellt, auch nicht auf das, was wir im Glauben thun Gott zur Ehre und in Christi Dienst, sondern sie steht auf der Gabe, die Christus uns bereits gegeben hat. Um dieser Gabe willen sagt der Apostel mit freudigem Triumph: dann werden wir noch viel mehr errettet werden! Was Christus während seines irdischen Lebens für uns that, das war die vollkommene Feindesliebe. Er musste uns in unserer Tiefe suchen, und dennoch hat er uns so wert gehalten, dass er für uns starb. Dann aber stehen wir vor ihm im Schmuck seiner Gaben als die in seinen Blut gerechtfertigten und durch seinen Tod versöhnten; wie sollten wir uns fürchten vor ihm? Als würde er seines Todes Frucht zerstören an uns! Aus der empfangenen Gnade strömt neue Gnade, und die suchende Liebe, die uns mitten in unserer Sünde fand, erwarb uns die vollendende Liebe, die uns auch am Tag des Zorns zu erhalten weiß. Hat uns, schließt der Apostel, schon sein Tod soviel gebracht, wie viel mehr wird uns sein Leben bringen, V.10. Was wir jetzt besitzen, das ist alles die Frucht des Todes Christi. In seiner Erscheinung in himmlischer Herrlichkeit kommt dagegen sein Leben zur Offenbarung; dann thut er kund, was er als der Lebendige uns geben kann. Sollten wir uns vor dem Leben dessen fürchten, der für uns gestorben ist? Da haben wir wieder unmittelbar den Glauben des Apostels vor uns in seiner Kraft, wie er von der Gabe zur Gabe aufwärts dringt: du bist für mich gestorben, so wirst du auch für mich leben; Gott hat mich in deinem Blut gerechtfertigt, er wird mich auch rechtfertigen in deiner himmlischen Herrlichkeit. So schließen, das heißt auf Jesum trauen, gläubig sein.

So wird uns Gott durch Christus zum Grund der Freude und des Ruhms, weil wir durch ihn die Versöhnung empfangen haben, V.11. Paulus hat bisher die Gabe, die uns Jesu Tod gewährt, Rechtfertigung genannt. Nun läßt er uns ihren Wert von einer neuen Seite sehen, indem er sie Versöhnung heißt. Unser Unrecht hat uns mit Gott in Zwiste gebracht. Wir sind wider ihn und er ist wider uns. Aber Gottes Liebe ist durch die Trennungen hindurchgebrochen, welche unser Abfall von ihm hervorgerufen hat, und hat uns zu ihm gezogen. Die Liebe, die Christus für uns in den Tod dahingegeben hat, hat mit unserer Ungerechtigkeit und Schuld auch alle Feindschaft abgethan. Und aus der Versöhnung haben wir nun den Gewinn, dass wir uns Gottes freuen und uns seiner rühmen lernen wie nie zuvor.

Wie reich sind wir schon bei diesem ersten Blick auf die Entfaltung des Christenlebens geworden! Der Glaube ist nicht mehr allein, sondern die Hoffnung steht neben ihm und die Liebe ist geboren. Und die Hoffnung pflanzt auch dem Leiden Freude und dem Blick auf das Gericht Zuversicht ein. So triebkräftig ist die Wurzel, die Gott im Glauben unserer Seele eingesenkt hat.

Kap. 5,12-21 - Christus ist mächtiger als Adam

Es ist uns alles hell geworden, wenn wir aufsehen zu Gott. Rechtfertigung und Versöhnung, Friede und Liebe ist bei Gott für uns. Aber wir können nicht nur aufwärts sehen zu Gottes Thron, sondern müssen auch das menschliche Wesen und Leben ins Auge fassen. Hält die Zuversicht unseres Glaubens diesen Anblick aus? Oder sinkt uns das Herz, wenn wir auf den Stand und Gang der Menschheit sehen?

Unser Geschlecht ist in allen seinen Gliedern in die Sündhaftigkeit und Sterblichkeit hineingestellt und ihnen untergeben als königlichen Mächten, denen sich niemand entziehen kann.

Das hat ein einziger Mensch zu stande gebracht. Die gottlose Art der Menschen hat nicht Gott gemacht; der Mensch ist der Schöpfer derselben. Aber nicht jeder einzelne der vielen Menschen bereitet sich selbst mit eigener Wahl durch seinen eigenen Entschluß die Sündhaftigkeit und das Todeslos. Die Paradiesfrage: willst du Gott unterthan sein und leben? Oder willst du fallen und sterben? Ist für uns alle entschieden und wird uns nicht mehr vorgelegt. Wenn wir zur eigenen Entscheidung und zum bewußten Handeln gelangen, ist für jeden unter uns jene Wahl bereits eine geschlossene. Dies ist die Folge der That jenes einzigen. Er hat unser aller Los bestimmt, hat uns alle mit sich selbst hinabgerissen in die Sünde und die Sterblichkeit. Was gab ihm hiezu die Macht? Das liegt an der Bösartigkeit und Fluchwürdigkeit der Sünde. Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt, V.12, und daraus brachen nun alsbald die gewaltigen Folgen hervor. Nachdem sie Sünde geschehen ist, erhält die Welt sofort eine veränderte Gestalt. Denn durch sie kam der Tod und so, weil der Mensch beider Einlaß verstattet hatte, ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, worauf sie alle sündigten. Zunächst ist´s der Tod, der vom ersten Menschen her auch sein ganzes Geschlecht umfaßt. Aber wir folgen ihm nicht bloß im Tode, sondern auch in der Sünde nach, und es kann nicht anders sein, nachdem das wahrhaftige Leben von uns gewichen ist und wir von der Gegenwart Gottes geschieden sind.

Für die Macht des Todes, die aus dem Fall des ersten Menschen hervorgebrochen ist, sind die Geschlechter, die ihm zunächst folgen, ein besonders deutlicher Beweis, weil sie noch vor der Erteilung des Gesetzes stehen. Sündig waren sie freilich, aber darin, dass Gott ihnen das Gesetz noch nicht gab, liegt das Zeichen, dass Gott nicht mit ihnen rechnen wollte nach seinem strengen Recht und ihre Sünde nicht verfolgte mit seiner richterlichen Heiligkeit. Sie standen unter Gottes Geduld. Und weil sie das Gesetz noch nicht hatten, sündigten sie auch nicht nach dem Bild der Übertretung Adams, der das bestimmte, ausdrückliche Gebot, das ihm zur Bewährung der Unschuld gegeben war, zerriß. Dennoch war der Tod auch über sie Herr und seiner Macht sind sie alle erlegen, und so dienen gerade jene Geschlechter zum besonders deutlichen Beweis, dass der Tod sein Anrecht an uns nicht erst auf unser eigenes Handeln gründet, sondern mit königlicher Ohnmacht vom ersten Menschen an unser ganzes Geschlecht umfaßt, V.13 und 14.

Hat nun Christus eine so mächtige Hilfe, dass er dieser uns alle beherrschenden Macht der Sünde und des Todes ein Ende macht? Paulus antwortet Freudig: ja! Adam ist ein Abbild Christi. Wie durch einen Menschen die Sünde und der Tod zu uns allem kam, so ist wiederum durch einen einzigen Menschen, durch Jesus, uns allen die Gerechtigkeit und das Leben gebracht worden. Dieselben stehen hinter jener Macht der Sünde und des Todes nicht zurück.

Auch sie entstehen nicht erst durch unsern Willen als unser Erwerb und unser Werk, sondern sind durch Jesus für unser ganzes Geschlecht in seinen vielen Gliedern hergestellt. Sie kommen uns als Gaben zu, die uns bereitet sind, ehe wir wollen und wirken konnten, als ein Erbe, das uns zugefallen ist durch den Willen dessen, der es uns zugedacht hat. Auch die Gerechtigkeit und das Leben sind durch Christus in der Menschheit königliche Mächte geworden, für alle fest gegründet, unzerstörbar, durchwirkend durch alle Geschlechter der Erde. Jeder Mensch, der geboren wird, hat an der Sünde und am Tode teil, jeder Mensch aber auch Anteil an der Gerechtigkeit und am Leben, weil Christus sie auch für ihn erworben hat. Im Gebiet der Sünde wie der Gerechtigkeit ist das Erbe das erste, unser eigenes Verhalten und Wirken das zweite, das erst aus jenem Erbe entsteht und nach demselben gestaltet ist. Wie wir freilich hernach mit unserem eigenen Wollen und Wirken in die Sünde eingehen und uns selbst den Tod bereiten, so haben wir uns auch mit unserem eigenen Glauben, Lieben und Dienen der Gerechtigkeit zuzukehren und unsere Seligkeit zu schaffen, aber wir wachsen damit in eine Gerechtigkeit hinein, die uns bereitet ist.

Auch die Gerechtigkeit hat ein einziger Mensch für uns alle zustande gebracht. Es geht hier wie dort nach derselben Ordnung Gottes, welche uns nicht von einander ablöst und isoliert, sondern uns zusammenfaßt, und uns ein Haupt setzt, auf das wir angewiesen sind und dem wir gleichgestaltet werden. Unser natürliches Haupt ist Adam, dessen Kinder wir alle sind. Das, was er sich von Gott erwarb, wurde unser aller Eigentum, und weil er durch Sünde und Fall Gericht auf sich herabzog, haben wir alle an demselben teil. Nun aber erschien der neue Mensch, Jesus, von dem Adam erst das irdische, natürliche Vorbild war, während Jesus das wahrhaftige, uns von oben gegebene Haupt unseres Geschlechtes ist, auf das wir alle gewiesen sind, dass wir ihm verbunden seien in Geist und Glaube, wie wir mit Adam verbunden sind durch Fleisch und Blut. Auch hier gilt, was der eine gethan hat, für alle, und die Folgen seiner Gerechtigkeit umspannen unser ganzes Geschlecht.

Was wir von Natur sind und was wir durch Christus sind, ist somit einander genau angepaßt. Von Natur stehen wir im Mangel, in der Sünde, im Tod; durch Christus dagegen entsteht die Gabe, die Gerechtigkeit, das Leben. Und zwar ist die Gabe so beschaffen, dass sie unsern Mangel völlig bedeckt. Der Sünde tritt die Gerechtigkeit in solcher Gestalt entgegen, dass sie ihr gewachsen ist, und dem Tode das Leben so, dass es denselben überwunden hat. Adam, von welchem der Naturcharakter unseres Lebens kommt, und Christus, durch welchen es neu gestaltet wird, stehen neben einander und jeder reicht mit seiner Wirkung durch die ganze Menschheit hindurch.

Allein Christi Werk und Adams Werk stehen nicht nur im Gleichgewicht. So kämen die Gerechtigkeit und das Leben noch nicht zum Sieg, wenn zwischen Adam und Christus bloß Gleichheit bestände. Es verhält sich aber mit der Gnadengabe nicht so, wie mit dem Fall, V.15. Christi Werk hat das Übergewicht und die Übermacht. Hat der Fall alle betroffen, so ist die Gnade noch viel mehr gegen alle groß geworden. Diese „noch viel mehr“ beruht darin, dass jesus der göttlichen Güte zum Werkzeug dient. Gottes Gnade, Jesu Gnade, erscheinen hier und erreichen noch viel sicherer alle als der Fall, weil sie das Höchste und das Heiligste sind, was Gott uns erzeigen kann. Ihnen dienen auch Gottes Recht und Gericht.

Der erste Grund, auf dem die Macht Jesu steht, ist die Gnade, deren Diener er ist. Nun kommt weiter dazu, dass die Gnade in ihm der Gerechtigkeit dient. Die Gerechtigkeit ist aber mächtiger als die Sünde. Dass der Tod alle ergriff, das beruht auf Gottes richterlichen Urteilsspruch. Die eine Sünde des ersten Menschen rief Gottes Gericht hervor und dieses legte Verurteilung auf den, der gesündigt hatte, mit seinem ganzen Geschlecht, V.16. Es sollte offenbar werden, was die Sünde vor Gottes Augen ist; drum versank die ganze Menschheit in den Tod. Hat aber Gott sein strafendes Urteil zum Weltgesetz gemacht, das alle bindet, so ist das Werk seiner Gnade noch mächtiger. Dasselbe hat es nicht nur, wie das Gericht Gottes im Paradies, mit einem einzigen Schuldigen zu thun, sondern jetzt ist der Fall ein vielfältiger geworden. Nun erweist sich die Macht der Gnade darin, dass sie diesen vielfältigen Fall dennoch nicht in Verurteilung enden läßt, sondern für ihn eine Rechtfertigung bewirkt. Das Urteil über diese Sündermenge lautet nun: ihr seid vor mir gerecht, V.16. Das ist der zweite Pfeiler, auf dem Christi Macht sich auferbaut. Durfte der Tod sich zu königlicher Macht erheben, so ist nun in Christo das Leben erschienen. Das ist das dritte, was ihn stärker macht. Das Leben ist stärker als der Tod und wird uns noch viel gewisser ins königliche Herrschen führen, um der Gnade und Gerechtigkeit willen, die uns gegeben sind, V.17. Gnade, Gerechtigkeit, Leben – diese drei heben Christus über Adam empor.

Paulus heißt uns achten auf den inwendigen Unterschied zwischen beiden. Adams That ist Fall; Jesu That ist Feststellung der Gerechtigkeit, V.18. Er hat, was recht ist vor Gott, nicht fallen lassen, sondern aufrecht gehalten und mit ganzem Willen und vollkommener That durchgeführt. Was Adam die Macht gab, unser aller Leben zu verderben, das lag darin, dass er der Sünde die Thüre öffnete in die Welt. Was Christus die Macht gab, unser aller Leben aufzurichten, das liegt darin, dass durch ihn Gerechtigkeit in die Welt gekommen ist. Wie nun ein einziger Bruch des göttlichen Rechts alle ins Verderben riß, so hat eine einzige Erfüllung desselben allen geholfen. Wie die Sünde in Gottes Augen so verdammlich ist, dass um der einen Sünde willen Gottes Urteil gegen alle stand, so ist auch die Gerechtigkeit in Gottes Augen so hoch und teuer geachtet, dass im Blick auf die Erfüllung der Gerechtigkeit sein Urteil für uns alle lautet auf Gerechtsprechung. Wo aber Rechtfertigung ist, da ist Leben, gleichwie da, wo Sünde ist, der Tod einkehrt.

Der Fall Adams bestand in seinem Ungehorsam, die Gerechtigkeit Christi besteht in seinem Gehorsam, V.19. Dort steht Adam, welcher die Schranken, die Gott ihm gesetzt hat, nicht ertragen mochte, sondern selber nach der Frucht der Erkenntnis griff, weil er sich nicht leiten lassen mochte von Gott, vielmehr selbst weise sein wollte und gleich zu werden begehrt wie Gott. Hier steht Jesus, welcher nicht nach der Gestalt Gottes griff, als nach seinem Besitz, sondern sich dem Vater untergab und die Knechtsgestalt sich wohlgefallen ließ, und sich beugte unter Gottes Hand bis in den Tod hinab, und nicht gleich sein wollte, wie Gott, sondern gleich ward wie wir in Selbsterniedrigung. So hat Christus wider den Ungehorsam den Gehorsam gestellt. Wie nun der Ungehorsam machte, dass wir als Sünder vor Gott stehen, so macht der Gehorsam Christi, dass wir als die Gerechten vor ihm stehen, weil sein Gehorsam der Grund und Quell der rechtfertigenden Gnade für uns ist.

Diese große Wandlung uns zur Hilfe, welche zur Sünde die Gerechtigkeit, zum Tod das Leben setzt, hat uns erst Christus und noch nicht das Gesetz gebracht. Denn nicht im Gebot, sondern erst in der Erfüllung desselben durch den vollkommenen Gehorsam Christi entspringt uns der Lebensquell. Darum ist das Gesetz nur eine vorläufige, zwischen den Fall und die Erlösung hineintretende Einrichtung Gottes und gehört noch der von Adams Fall ausgehenden Geschichte der Sünde und des Todes an, V.20. Es hat den Fall nicht aufgehoben, sondern schwerer gemacht, weil es mit seinem Licht die Sünde sündiger, den Widerspruch gegen Gott bösartiger und den Abfall von ihm tiefer macht. Aber nun läßt Paulus ein neues Licht auf den Beruf des Gesetzes fallen, indem er zeigt, wie es gerade dadurch ebenfalls dem Werk der Gnade dient, nicht weil es uns Hilfe brächte und schon halb oder ganz unser Erlöser wäre, sondern weil je tiefer der Fall wird, um so höher Gottes Erbarmen steigt. Je größer die Not ist, um so näher ist die Hilfe, um so näher ist Gott, der, ob auch der Mensch von ihm abfällt, ihn doch seinerseits nicht fallen läßt, sondern seiner mächtigen Sünde eine noch mächtigere Gnade entgegenstellt.

So öffnet sich uns ein großer Blick in Gottes Weltregierung und die dunkle Seite am Menschenleben wird uns hell. Läge nur Gottes Urteil über Adam und die Macht der Sünde und des Todes vor uns, so wäre uns Gottes Führung ein Rätsel, das niemand deuten könnte. Es läßt sich erst deuten, wenn wir auf Christus sehen und auf die Gerechtigkeit, die er uns bringt. Adam wäre uns nicht zum natürlichen Haupt gesetzt, wäre nicht Christus uns zum ewigen Herrn gegeben. Die Sünde wäre nicht mächtig geworden, wäre ihr nicht auch die Heilung in der Macht der Gnade bereitet. Das Gesetz, das unsern Fall noch tiefer macht, wäre uns nicht gegeben, wäre uns nicht in Christus die Aufrichtung bereitet aus jedem Fall. Durch den Rat der Gnade kommt in den Weg der Menschheit Licht, Einheit, Friede, und Gottes ganze vollkommene Größe wird an ihr offenbar, die Größe seines Gerichts in der weise, wie er die Sünde durch den Tod regieren läßt, die Größe seiner Gnade in der Weise, wie diese durch Christus ebenso mächtig Gerechtigkeit und ewiges Leben schafft.

Das sind nun freilich alles Glaubensworte, deren Wahrheit wir nicht mit den Sinnen messen und mit den Händen greifen können. Sünde und Tod haben sich in unsere Natur eingesenkt und pflanzen sich darum vor unseren Augen fort. Aber Gnade, Gerechtigkeit und Leben sind nicht Natur, sondern des Geistes Wesen und Frucht, und Geist ist in uns noch das Verborgene. Aber können wir im Blick auf Jesu Gehorsam, auf Jesu Auferstehung, auf die Gnade, die in ihm erscheint, ungläubig sein? Nein! Nichts anderes als Glaube ist der durch Gottes Weltregierung uns angewiesene Ort. Auf ihn zielt die Doppelwirkung hin, die von den beiden Häuptern der Menschheit auf uns übergeht. Da wir durch den Fall des einen Menschen in die Sündigkeit und Sterblichkeit hineingesetzt sind, ist uns jeder andere Weg verschlossen, als der des Glaubens; und eben dieser Glaubensweg ist uns durch den Gehorsam unseres neuen Herrn und Hauptes aufgethan.

Kap 6,1-14 - Los von der Sünde

Paulus hat uns den Sieg und die Obmacht der Gnade und Gerechtigkeit im großen Gang der Weltgeschichte gepriesen. Aber was hilft uns das, wenn nicht in unserm eigenen Leben der Sieg über die Sünde sichtbar wird? Sind wir wirklich im Glauben dem Bösen überlegen und von ihm getrennt? Das ist die große Hauptfrage, an der es sich bewähren muß, ob uns der Glaube zur Gerechtigkeit geworden ist.

Wollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade desto größer werde? Damit stellt Paulus die Versuchung ans Licht, die dem Glauben immer wieder kommt. Er hat soeben die Freiheit und Macht der Gnade aufs höchste erhoben. Er hat gesagt, dass wo die Sünde mächtig geworden ist, die Gnade nicht schwach wird und abnimmt, sondern mächtiger und größer wird. Sie folgt uns in alle Tiefen unseres Falls, und steigt je tiefer wir sinken, desto tiefer zu uns herab. Der verlorene Sohn steht dem Herzen Gottes nicht ferner, sondern näher, weil er der verlorene ist. Daraus kann die Lust an der Sünde den krummen Schluß ziehen, von dem der Apostel schon 3,5 geredet hat, als müßten wir der Gnade mit neuem Sündigen erst Grund und Stoff verschaffen und ihr dadurch zur Verherrlichung verhelfen, dass wir erst recht bei der Sünde bleiben. Dieser versuchliche Gedanke stellt uns mit blendendem Schein auch die Sünde als eine Glaubensthat dar, als einen Beweis unseres Vertrauens auf die Gnade. Warum sollten wir vor ihr erschrecken, warum uns um sie bekümmern? Das wäre ja Unglaube, Mißtrauen gegen die Gnade, die um so größer wird, je erbärmlicher ich bin. Darin besteht die heillose Bosheit solcher Gedanken, dass wir dadurch sogar aus unserem Glauben einen Antrieb zur Sünde machen.

Paulus geht damit zugleich auf die Bedenken ein, die sich gegen die Predigt vom Glauben immer wieder erheben. Man hat stets wieder gesagt: „das ist ein bequemer Heilsweg; wir rühmen uns, obgleich wir Sünder bleiben, dennoch der Gerechtigkeit; damit ist ja allen bösen Gelüsten, aller sittlicher Trägheit und Schlaffheit die Thüre aufgethan.“ Wären diese Vorwürfe wahr, wollten wir, die wir glaubend in Jesu Tod unsere Rechtfertigung ergriffen haben, bei der Sünde bleiben, dann wäre freilich alles, was wir von der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Hoffnung des Glaubens rühmen, eitel Selbstbetrug und eine gottlose Lüge. Die erste und wichtigste Probe, welche der Glaube zu bestehen hat, an welcher sich seine Kraft und Wirkung erweisen muß, ist die, das er den bösen Willen, jenen Willen, der sündigen will, in uns ersterben macht; wenn er das nicht vermag, sondern sich hier ohnmächtig und kraftlos zeigt, dann ist er nichts.

Wer um der Gnade willen bei der Sünde bleiben will, der redet aus der Sündenlust heraus, aus einem verdorbenen Willen, der gerne sündigte. Darum kann der Glaubende nicht so sprechen, weil er der Sünde abgestorben ist und deshalb nicht mehr das Leben in ihr suchen kann.

Gestorben für die Sünde! So entschieden ist die Scheidung vom Bösen, die mit dem Glauben an Christus in uns entsteht. Wir mögen ein totes Glied drücken, schütteln oder stechen, wie wir wollen, alle diese Reizungen erreichen es nicht und es antwortet nicht auf sie. Der Tod hebt alle Gemeinschaft auf und macht jeder Verbindung ein Ende. Sind wir der Sünde gestorben, so haben wir für sie ein rundes Nein. Wir sprechen: ich will nicht sündigen, ja mehr noch: ich kann nicht sündigen. Die gefährliche Versuchung, dass wir aus dem Glauben selbst einen Antrieb zur Sünde machen, ist abgewehrt, sowie und der Glaube in diese geschlossene Abkehr von allem Bösen stellt.

Sie wird durch ein Sterben erreicht. Und wenn wir auf den Weg zurücksehen, auf dem uns Paulus bis hieher geleitet hat: wie viel ist dahingesunken, was früher mit kräftiger Regsamkeit ein Stück unseres Lebens bildete. Er hat uns die echte Buße gezeigt, welcher uns der Glaube nicht enthebt, in welche er uns vielmehr setzt, und das ergiebt ein Entkleidetwerden von dem, was unsere Lust und Begierde war, ein Erlöschen unserer alten, verkehrten Triebe, ein Abbrechen und Aufheben unserer früheren Willensgestalt, wofür das Wort „Sterben“ keineswegs ein bildlicher Ausdruck ist, sondern sehr reale Bedeutung hat.

Paulus stellt jener versuchlichen Frage nicht ein gebot oder eine Drohung entgegen: stirb der Sünde, sonst tötet sie dich! Er antwortet auf dieselbe auch nicht mit einem Vorsatz, indem er etwa spräche: laßt uns der Sünde sterben! Sonder er zeigt uns die Gabe, die wir in Christo empfangen haben. Wir sind der Sünde gestorben; das ist unser innerer Besitz, die Stellung, in die wir hineingesetzt sind, das Werk Gottes in uns, welches durch den Glauben uns zu teil geworden ist. Könnte der Apostel auf jene Frage nur mit einem Gebot antworten, so würde er uns auf den Boden des Gesetzes zurücksetzen und es wäre nicht mehr wahr, dass uns ohne Zuthun des Gesetzes die Gerechtigkeit gegeben wird in Christo, so dass sie durch Glauben zu uns kommt. Wir bekämen dann zwei neben einander stehende Heilsursachen: Christus und das Gesetz, Christi Werk und unser Werk, der Glaube und die Heiligung, Religion und Moral. Nun aber, da Paulus den Glaubenden nicht nur sagen kann, ihr sollt der Sünde sterben, sondern ihr seit gestorben, ihr habt die Lösung vom Bösen empfangen als euer Eigentum, sie ist in Christo für euch vorhanden und wird im Glauben euer Besitz: nun bleibt es dabei, dass Gott uns Christum durch den Glauben an ihn zur Gerechtigkeit verordnet hat und zwar zu einer Gerechtigkeit, die ihre Wahrheit darin erweist, dass sie in uns zur Freiheit von der Sünde wird.

Damit wir erkennen, dass wir der Sünde gestorben sind, zeigt uns der Apostel den, an den wir glauben. Christum faßt der Glaubende ins Auge und sucht nicht in sich, sondern in dem, was Christus ist, die Freiheit von der Sünde. Dadurch, dass der Glaube sich an Jesus anschließt, wird er in uns zur Wurzel eines guten Willens, welcher nicht sündigen kann. Und zwar hält uns der Apostel auch hier Jesum als den Gekreuzigten vor in seiner Todesgestalt. Damit ist uns die Kampfesregel gegeben für jede Lage unseres Lebens, in der sich uns wieder die Frage stellt: sollen wir bei der Sünde bleiben? Dann schaue auf Christum und stelle dich zum Gekreuzigten; das giebt dem Urteil die Klarheit zu richtiger Entscheidung und dem Willen die Kraft festzustehen.

Wer sich noch nicht als tot für die Sünde achtet, der weiß noch nicht, was seine Taufe ist. Jeder, der auf Christum getauft wird, wird auf seinen Tod getauft, V.3. Um seines Todes willen wird Jesus uns als Heiland verkündigt; um seines Todes willen treten wir glaubend zu ihm hinzu; um seines Todes willen wird uns die Taufe angeboten, welche uns sagt, dass wir aus unserer Unreinheit erlöst sind, weil uns Reinheit und Gerechtigkeit vor Gott verliehen ist als seines Todes Frucht. Wer das bedenkt, der ist inwendig in Jesu Tod eingeschlossen und hat an demselben Anteil erlangt. Wir sind dadurch mit ihm begraben in den Tod, V.4.

Wenn Paulus auf die Taufe hinweist als auf die Stunde, in welcher die Gemeinde mit Christus begraben und der Sünde abgestorben ist, so thut er´s deshalb, weil die taufe unsre Verbindung mit Christus beginnt und uns in ihr die Gemeinschaft mit ihm angeboten wird, und dies dazu, damit wir die Frucht seines Todes und seines Lebens genießen. Zugleich hielt die Taufe nach der alten Weise ihrer Ausführung auch äußerlich dem Glaubenden ein anschauliches Bild seiner Teilnahme an Jesu Tod und Auferstehung vor. Der Mensch ward begraben im Wasser, damit er aus demselben gereinigt auferstehe zu einem neuen Wandel. Wir haben nur innerlich festzuhalten, was uns Jesus schon durch die Taufe sagt, so sind wir von der Sünde getrennt. Je mehr sodann unser Glaube wächst, um so mehr wachsen wir mit Christi Tod und Leben zusammen und um so fester, begründeter und mächtiger wird dadurch unsre Scheidung vom Bösen und unsre Verbindung mit Gott. Sie ist aber schon im ersten Anfang des Glaubens wesentlich und unverlierbar enthalten. Wir würden, wenn wir der Frage bei uns Raum geben wollten, ob wir nicht bei der Sünde bleiben können, sogar unsre Taufe widerrufen. Jene Frage fällt hinter die Taufe ins alte Heidentum zurück; im Christenleben hat sie keinen Raum.

Es liegt Paulus daran, dass wir uns innerlich nicht nur an den Tod Christi, sondern auch an seine Auferstehung anschließen. Dies dürfen wir dann, wenn wir beherzigt haben, was sein Sterben für uns bereitet hat, dass wir mit dem Abbild seines Todes verwachsen sind, nicht nur äußerlich im Taufzeichen, sondern auch innerlich und kräftig, dadurch, dass sein Tod uns ins Herz hinein gesprochen und dasselbe mit seiner heiligen Kraft durchdrungen hat. Dann dürfen wir gewiß sein, dass das Abbild seiner Auferstehung ebenfalls an uns erscheinen wird, V.5. Wie der Schluß gilt: ist Christus gestorben, so sind auch wir gestorben, so gilt der andere Schluß nicht minder: ist er auferstanden, so sind wir mit ihm auferstanden.

Sein Sterben und sein Leben umfassen uns beide in derselben Weise, da er uns zu sich ziehen und in sein Bild gestalten will. Unsre Gemeinschaft mit ihm so weit auszudehnen, dazu giebt uns seine Gnade das Recht. Hat er sein irdisches Leben für uns in den Tod gegeben, so ist es dazu geschehen, damit sein Leben in Herrlichkeit uns zu gute komme und wir dasselbe aus seiner Hand empfangen und bei ihm und mit ihm besitzen. Glauben wir an den Auferstandenen, so begehren wir nach der neuen Lebensgestalt, die an ihm für uns erschienen ist, und ergreifen sie als unseren Besitz. Und damit ist die Scheidung vom Bösen vollends in uns aufgerichtet und der reine und gute Wille in uns geboren. Wer es ergreift: ich bin auferstanden mit Christo, für den ist die Sünde dahin gesunken und sein Trachten hat sich nach oben gelenkt. Man kann nicht die Reinheit ewigen Lebens ergreifen als uns zu unserem ewigen Erbe verliehen, ohne dass das Herz sich löst von den falschen Gütern und der Wille sich scheidet von den bösen Zielen und sich Gott dargiebt, um ihm zu leben, gleich wie wir ewig mit Christus allein für Gott leben werden, von allem Bösen los.

So freudig und dankbar können wir nur dann auf Jesu Auferstehung sehen, wenn wir uns durch sein Kreuz haben sagen lassen, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt worden ist, V.6. Nachdem Jesus zu uns gekommen und für uns auferstanden ist, sind Menschen wie wir alt geworden, veraltet und überholt, da Christus an sich ein neues Menschenbild dargestellt hat, das aus Gott in heiligem Geiste gebildet ist. Freilich kommt dieser alte Mensch immer wieder in die Welt und wird in jedem neuen Glied der Menschheit neu geboren, so lange das Geschlecht Adams in seiner gegenwärtigen Natur weiter wächst. Aber auch diese Menschen allerjüngsten Datums sind doch von Anfang an alte Menschen; sie wiederholen wieder, was von Adam her immer in der Welt vorhanden war. Sie kleiden dasselbe in neue Formen und wandeln es nach dem Wechsel der Zeit; aber es sind die alten Begehrungen, die alten Künste, die alten Schäden, die immer wiederkehren. Einen Menschen, der etwas neues war, was vorher nirgends zu sehen war, hat es nur einmal gegeben: Jesus. Sein Gehorsam gegen Gott war neu; die Gerechtigkeit, die in ihm ist, war neu; die Einigung mit Gott, in der er steht, war neu; sein verklärter Leib und erhöhtes Leben, das war neu. Das alles war unter uns Menschen unerhört. Und wenn wir uns mit ihm im Glauben zusammenschließen, so giebt er uns an seiner Art Teil und macht uns ihm ähnlich, so dass sein Bild an uns erscheint. Dadurch haben wir statt unseres alten Menschen einen neuen Menschen erlangt.

Wir reden oft sehr verkehrt vom „alten Menschen“, als wäre derselbe nur ein Stück und Teil an uns, und nur dies oder das an uns schadhaft und der Verwandlung und Erneuerung bedürftig. Nein, der Mensch ist alt, und der Mensch das bin ich, ich selbst nach meinem ganzen Wesen. Zum Menschen gehören Seele wie Leib. Mein Leib ist alt und gleicht nicht dem Leibe, in dem Jesus lebt. Meine Seele ist alt und von ganz anderen Trieben und Gedanken erfüllt, als wie sie in Jesu Seele leben. Meine Gedanken fassen Gott nicht anders, als wie ihn der sündige Mensch in seiner Trennung von Gott von jeher zu erfassen vermochte. Jesus dagegen schaut in neuer Weise in Gottes Angesicht. Mein Herz empfindet und strebt, wie ein Sünderherz immer empfand und immer in vielerlei dunkle und kranke Begehrungen sich spaltete. Jesus dagegen lebt und webt im heiligen Geist. Mein Gottesdienst hat die alte Schwäche und Beflecktheit an sich. Jesus dagegen ist Gottes Diener in neuer und wahrhafter Art. Kurzum, der alte Mensch, das bin ich selbst mit allem, was ich denke und thue, bin und habe. Und neu ist an mir nur das, was von Christus kommt, was Christo gleicht, was mich zu seinem Bilde macht.

Und das ist ebenfalls nicht bloß ein Stück und Teil an uns, sondern ist ein Mensch mit allem, was zu ihm gehört, mit allen Teilen und Gliedmaßen seines Wesens nach Geist, Seele und Leib. Christus setzt nicht nur einen neuen Flick auf unser altes Wesen; er macht einen fertigen vollendeten Menschen aus uns mit erneuertem Leib und erneuerter Seele mit erneuertem Erkennen und erneuertem Lieben, mit neuen Gaben und neuen Aufgaben. Wir erhalten einen neuen Platz bei Gott und einen neuen Platz auch in Gottes Kreatur.

Nun hat uns Jesus den neuen Menschen dadurch gebracht, dass er am Kreuze starb. Daran sehen wir, was unserem alten Menschen gebührt und widerfährt. Unser altes Menschenwesen hat Jesu den Tod gebracht; seinetwegen hat ihm Gott das Kreuz auferlegt. Also wurde damals, als Jesus an den Kreuzespfahl gehängt wurde, unser alter Mensch mit ihm dorthin gehängt.

So löst uns das Kreuz Jesu von allem, was wir in uns selber sind. Wie sollten wir bezaubert hineinschauen in die Bilder, die unsere lüsterne Begier entwirft? Wie uns fangen lassen von den ehrgeizigen Regungen unseres Herzens? Wie unseren Fleiß darauf richten, zu hegen und zu pflegen, was von Natur in uns vorhanden ist? Das alles haben wir dem Kreuz anheimgegeben. Wem die Kreuzesgestalt Jesu zum Spiegel geworden ist, in welchem er sein eignes Bild erkannt hat, dem ist all das in die Vergangenheit und Ohnmacht hinabgesunken, was uns ohne Christus als höchst wichtig und unsäglich wertvoll reizt und betrügt.

Wenn man einen Menschen an ein Kreuz hängt, so thut man´s dazu, damit sein Leib zerstört werde. Eben dies ist Gottes Absicht bei der Kreuzigung unsres alten Menschen. Unser alter Mensch ist mit Christo ans Kreuz gehängt worden, damit der Leib der Sünde abgethan werde, damit wir nicht mehr der Sünde unterthänig seien, V.6.

Wollen wir uns wundern, dass Paulus hier vom Leibe spricht, hier, wo er uns zeigen will, wie wir vom Sündigen befreit werden? Unser Sündigen hat es beständig mit unsrem Leib zu thun, nicht bloß dann, wenn unsere sinnlichen Triebe krankhaft und unnatürlich entzündet sind, sondern noch vielmehr dadurch, dass unser Leib sich uns als das vorstellt, dem wir zuerst vor allem andern Dienst und Rücksicht schuldig sind. Unser Leib ist der Herr, dem wir dienen; in seine Lust setzen wir unser Glück; was ihm weh thut, das fliehen wir um jeden Preis. Und weil unser Trachten auf die Erhaltung unseres Leibes zielt, wird es ans Irdische gebunden und in seine selbstsüchtige und gottlose Bahn gebracht. Diese Kette fällt im Glauben von uns ab; sie schwindet dadurch, dass wir Jesu Kreuz zu Herzen fassen. Am gekreuzigten Christus sehen wir, was unser jetziger Leib wert ist, dass er abgebrochen werden muß, und wir lassen uns dies wohlgefallen, da wir ja nach dem begehren, was der Auferstandene hat. So hebt uns Jesu Kreuz, im Glauben erfaßt, aus der Gefangenschaft unter unsern Leib empor.

Wer im Glauben die Ähnlichkeit mit dem Auferstandenen begehrt, dessen Herz hat sich von der Erde gelöst und sein Trachten geht nach oben. Wer in den Tod Jesu seinen Glauben senkt, dessen Herz hat sich vom Leibe abgekehrt und sein Trachten fährt nicht mehr nach außen. Hier ist das eine ohne das andere völlig undenkbar. Wie kann ich mich über die Erde erheben, ohne von meinem irdischen Leibe frei zu sein? Und wie sollte ich meinen Leib hintansetzen können, wäre mir nicht im Ebenbild des Auferstandenen ein anderes Gut gezeigt, in das Herz und Wille sich senken kann?

Der Leib der Sünde heißt ihn Paulus, weil er das mächtige Mittel derselben ist, durch welches sie uns reizt und bindet. Die blinden Gedanken und verkehrten Triebe, die uns heimsuchen, stehen in engstem Zusammenhang mit unserem leiblichen Leben und haben in der natürlichen Einrichtung unseres Wesens tiefe Wurzeln. Daher rührt auch unsere Unabhängigkeit unter die Sünde, unser Sündigen ohne, ja gegen unsern Willen. Das leibliche Leben läuft ohne unsern Willen seine Bahn und wirft immer wieder die versuchlichen Reize in unsere Seele. Es trägt uns dieselben aus der Welt zu und erregt auch immer wieder das Böse, das in unserer eignen Seele liegt. Paulus begehrt nach einer gründlichen und gänzlichen Befreiung von der Sünde und streckt sich deshalb aus nach der Zeit, wo nicht mehr ein Leib, dem die Sünde ihr Gepräge gegeben hat, ihn umfängt, sondern eine neue geheiligte Natur zu ewigem Leben ihn umkleidet. Deshalb tritt er gläubig und freudig zu Christi Kreuz hinzu. Denn dass uns unser mit der Sünde verwachsener Leib nicht verderben kann, vielmehr uns abgenommen und durch ein neues heiliges Gebilde ersetzt wird, das hat uns Christus mit seinem Tod erworben; das ist eine Frucht von Christi Kreuz.

Schließen wir uns ein in Christi Tod, so sind wir rechtmäßig von allen Ansprüchen der Sünde frei. Wer gestorben ist, der ist der Sünde gegenüber gerechtfertigt, V.7. Am Toten hat sie nichts mehr zu fordern. Was ihr von Rechtwegen zukommt, ist geschehen. Und dass wir uns sagen dürfen, dass wir in keiner Weise mehr mit ihr verflochten oder verwickelt sind, sowie wir Jesu Tod im Glauben an uns ziehen, das giebt uns das fröhliche Gewissen in jeder einzelnen Entscheidung für oder wider die Sünde und den guten Mut in jedem Kampf. Ich darf in jeder versuchlichen Lage glaubend mit unzerspaltenem Herzen nach Gottes Bewahrung und Leitung greifen; denn meiner Sünde ist ihr Recht geschehen durch Christi Tod.

Je tiefer und völliger wir Jesu Sterben in uns nacherleben, um so freudiger erhebt sich eben dadurch der Glaube, dass wir mit ihm leben werden, V.8. Allerdings ist Christi Leben uns noch nicht zum sichtbaren Genuß und zur wirksamen Erfahrung verliehen. Wir glauben es und müssen so lange glauben, bis die Trennung von ihm ein Ende hat und er in seiner Herrlichkeit bei uns ist. Aber auch der Glaube ist schon ein Ergreifen, Haben und Besitzen, wenn auch noch nicht in Sichtbarkeit, so doch im Geist und deshalb im Kern unserer Person.

Paulus heißt uns die Herrlichkeit des Lebens Christi bedenken, das jetzt nicht mehr von Tod und Sünde berührt wird. Einmal ist er gestorben, als er in der Fleischesgestalt bei uns war. Er that es der Sünde wegen, um sie zu büßen, um Gottes Gericht über sie zu tragen und uns dadurch zu rechtfertigen. Nun aber hat er keine Berührung mehr mit ihr. Nun lebt er für Gott, V.10, ohne Hindernis, und ist völlig seines gnädigen willens Diener. Diese herrliche Freiheit Christi zu wahrhaftigem, völligem Gottesdienst ergreifen wir im Glauben als das uns beschiedene Teil.

Jetzt hat auch das Gebot seinen rechten Platz. Also auch ihr betrachtet auch euch für tot der Sünde und als lebend für Gott, V.11-14. Auf Gottes Gabe in Christi Tod und Auferstehung hat Paulus unser Herz mit seinem ganzen Trachten gestellt. Dieselbe ist uns aber dazu gegeben, damit wir sie mit unserem Wissen und Wollen ergreifen. Sie bewegt uns im personhaften Kern unseres Lebens und wird die Wurzel eines neuen und guten Willens in uns. Unser Wille entsteht jedoch nicht ein für allemal in unwiderruflicher Beharrung, sondern er ist ein lebendiges, und alles lebendige erhält sich nur dadurch, dass es stets neu entsteht. Und da die sündigen Reize nicht nur außer, sondern auch in uns selber sind, stehen wir stets wieder vor der Entscheidung, ab wir der bösen Lust Gehör geben wollen oder nicht, und haben uns deshalb immer neu in Jesu Tod und Auferstehen hinein zu stellen. Das ist der Christenkampf, den es durchzufechten gilt. Damit sinken wir jedoch nicht unter das Gesetz zurück. Denn hier ist nicht das Gebot das erste, sondern das erste ist die Gabe und aus der Gabe erwächst uns das gebot. Und darin, dass das Gebot und die Pflicht für uns auf dem beruhen, was in Christo uns bereitet ist, besteht die herrliche Freiheit des Evangeliums. Darum lautet das Gebot hier so: halte, was du hast! Du bist mit Christo der Sünde gestorben, so sei ihr nun auch tot! Du bist mit Christo auferstanden ins Leben für Gott, so lebe ihm nun! Du bist in die Freiheit gesetzt, so sei nun frei!

Hiebei sind gerade unser Leib und dessen Glieder das Feld, auf dem wir Gott Treue zu erzeigen, Wachsamkeit und Fleiß zu üben haben. Die Erkenntnis, dass er der Sünde zum Werkzeug dient, darf uns nicht bewegen, ihn zu verachten. Vielmehr haben wir ihn seinem heiligen Gebrauch und reinen Zweck, um deswillen ihn Gott geschaffen hat und dereinst nach Jesu Bild verklären wird, zurückgegeben. Durch unsern Leib sind wir der Welt verbunden; daher richten wir mit ihm unsern Beruf in derselben aus. Unsere Glieder können der Ungerechtigkeit oder der Gerechtigkeit als Waffe dienen, V.13. Wir können sie benützen, um Unordnung, Bosheit, Zerrüttung in uns selbst und den anderen zu erzeugen, oder wir können mit demselben der Gerechtigkeit dienen, bei ihrem Frieden stiftenden, Hilfe schaffenden, alles zurechtbringenden Werk. Je nachdem mehren oder fördern wir mit unserem Leib der Macht der Sünde oder Gottes Regiment. Das ist die Ehre unseres Leibes, dass er uns als Waffe in diesem edeln Streit gegeben ist. Darum ist auch alle Pflege und Sorge, die ihn zu diesem Dienste tauglich macht, rein und recht. Wir dürfen die Waffen nicht stumpf und brüchig machen, durch die wir unsern Gottesdienst auszurichten haben.

Wir treten in diesen Kampf mit der Gewißheit des Sieges. Die Sünde wird nicht Herr sein können über uns, V.14, und dies liegt daran, dass wir über uns nicht das Gesetz, sondern die Gnade haben. Wären wir unter das Gesetz gestellt, so gäbe es für uns keinen Sieg. Das Gesetz verwiese uns bloß an unsere Macht und würde jeden Fall unerbittlich richten und uns zum Verderben machen. Aber die Gnade trägt und hebt, richtet die Strauchelnden auf und giebt immer neue Erquickung und Kraft. Weil die Kraft Gottes jedem Glaubenden zur Seite steht, ihm zur Errettung, darum gewinnen wir den Sieg.

Es ist eine ernste und völlig nüchterne Lebensvorschrift, die uns der Apostel damit vorgehalten hat. Ernst ist sie weil sie kein Liebäugeln mit der Sünde zuläßt, sondern dieselbe total aus dem Christenleben entfernt. Nüchtern ist sie, weil sie unsere naturhafte Sündigkeit wohl im Auge behält und uns mitten in den beständigen sündigen Regungen und Reizungen unserer Seele heilig wandeln lehrt nach Christi Bild. Freiheit von der Sünde giebt es für den Glaubenden nicht in dem Sinne, als käme im natürlichen Verlaufe unseres Lebens nicht unsere Sündigkeit beständig zur Äußerung. Paulus beschreibt das als unsere Heiligkeit, dass wir uns selbst für tot achten, uns selbst verleugnen und uns abkehren von uns selbst als von alten Menschen und von unserem Leib als von einem sündlichen Leib. Freiheit von der Sünde haben wir auch nicht in dem Sinn, als müßte unsere Scheidung von derselben nicht beständig in uns erneuert werden, als wäre unser auf Christum gerichteter Glaubenswille nicht versuchlichem Reiz und Drucke ausgesetzt, als könnten wir nicht fallen. Wohl aber sind wir im Glauben von der Sünde frei in dem Sinne, dass wir, indem wir uns Christo verbunden haben, unserer eigenen Sünde abgesagt und Gott uns zugesagt haben. Wir haben uns dem zu eigen gegeben, der da wahrhaftig heilig ist, welcher uns einst ihm völlig gleichgestalten wird und uns auch jetzt schon im Glauben innerlich ihm nachbildet und sein Abbild in uns einsenkt, aus welchem uns Antrieb und Kraft zufließt zu einem neuen Wandel im Dienste der Gerechtigkeit. Sündigen wir, so zerreißen wir nicht nur das uns gegebene Gebot, sondern wir werfen auch die uns geschenkte Gabe weg, und verletzen nicht nur unsere Pflicht, sondern zerstören das, was wir in Christo durch Gottes Werk geworden sind. Unsere Aufgabe besteht somit darin, dass wir uns Christo glaubend zugekehrt halten und nach dem verlangen, was er hat und giebt. Darin liegt für uns Bewahrung und Sieg, weil uns Gott nicht allein läßt mit unserem eigenen Vermögen, sondern gebend und helfend sich selbst für uns zum Quell des Lichts und der Kraft macht. So ist´s dieselbe Gnade, welche uns zu Christo führt, die uns auch bei ihm erhält, dieselbe Gnade, welche uns gerecht gesprochen hat, die uns auch heiliget.

Kap 6,15-23 - Gebunden an die Gerechtigkeit

Paulus hieß uns der Überlegenheit über unsere Sünde gewiß sein, weil wir in Gott nicht bloß Gesetz, sondern Gnade finden. Aber hieran schließen sich wieder jene Bedenklichkeiten und Einwürfe, die uns doch nur deshalb kommen, weil unsre Lust noch mit dem Bösen verflochten ist. Wenn das Gesetz nicht über uns steht, sind wir nicht eben dadurch des Schutzes gegen die Sünde beraubt? Was soll die Sünde von uns abhalten, wenn nicht das Gesetz? Begleitet es uns nicht mehr mit seinem Gebot und Verbot, mit seiner Warnung und Drohung, da wir doch sicherlich sündigen! Nein, antwortet Paulus, das Gegenteil findet statt.

Er hat in einem wohl bedachten Lehrgang im folgenden drei Sätze vor uns hingestellt. Wir bedürfen des Gesetzes nicht, um vom Bösen geschieden zu sein. Die Gerechtigkeit macht uns innerlich zu ihrem Knecht. 6,15-23. Gott selbst hat uns gültig und kräftig vom Gesetz gelöst; wir werfen es nicht mit eigenmächtiger Willkür von uns weg, 7,1-6. Wir bedürfen der Erlösung vom Gesetz, weil dasselbe uns in der Sündigkeit festhält und nicht von ihr befreit, 7,7-25. So bahnt er sich wieder einen Weg zu einer neuen, noch reicheren Betrachtung der Gabe Christi hin.

Der reinen Lehre vom gesetz hat paulus große Sorgfalt gewidmet; denn das Gesetz kann auf zweifache Weise dem Evangelium hinderlich sein. Wir können uns mit ihm von Anfang an den Weg zum Glauben versperren. So brauchen es diejenigen Juden, die Jesum verwarfen. Sie stützten sich auf das Gesetz und achteten sich um deswillen vor Gott für reich und gerecht. Dasselbe wiederholte sich heute, wenn uns statt des Evangeliums irgendeine Tugendlehre empfohlen wird, welcher Art sie sei, wenn uns gesagt wird: „was sollen wir mit Christus machen? Sagt den Menschen, was sie thun sollen, was richtig und nötig ist zur guten Ordnung des menschlichen Lebens, das genügt.“ Da ist wiederum das Gesetz des Glaubens Verhinderung von Anfang an. Aber das Gesetz tritt dem Evangelium noch an einer zweiten Stelle in den Weg. Wenn wir das Evangelium gehört haben, nun müssen wir, scheint es uns, doch noch ein Gesetz hinzufügen, etwas was uns von der Sünde trennt und zum Guten treibt, eine Lebensvorschrift, Kirchenordnung, Heiligungsregel, oder wie man´s nennen mag, kurzum ein Gebot, das unseren weg bestimmt. So wird das Gesetz von denen aufgerichtet, die sich zu Christo bekennen, und dem Glauben beigefügt als dessen Ergänzung und Sicherung.

Paulus hat beidem ernstlich widersprochen. Dem, der sich des Gesetzes wegen von Evangelium abkehrt, hat er Kap.2 gesagt: dein Ruhm des Gesetzes ist eine Lüge; du thust, als ob du kein Sünder wärest. Und nun wendet er sich gegen die andere Aufrichtung des Gesetzes, die feiner und frömmer ist, und doch so schädlich, und zeigt dass wir im Glauben an Christus alles haben, was uns zur Gerechtigkeit nötig ist, dass wir mit dem Gesetz uns nur schwach machen und der Sünde ausliefern, während in Christo die Befreiung von derselben von uns gefunden werden kann.

Warum hat Paulus auf diesen Punkt so viel Gewicht gelegt? Christi wegen und unseretwegen. Christi wegen, weil wir uns dadurch stellen, als ob er uns doch nicht wirklich und gründlich helfe. Wenn er uns nicht vom Bösen frei macht, dann hilft er uns nichts. Das Evangelium ist völlig wertlos, wenn es nicht Erlösung von der Sünde ist. Ich habe dem Evangelium seine Wahrheit und Ehre genommen, wenn ich sage, dass es mich nicht bessert und vom Bösen löst, sondern dass ich mit einem anderen Mittel erst hintendrein noch mich selbst bessern, heiligen und vor der Sünde bewahren muß.

Eben darum spricht Paulus auch unserer selbst wegen so ernst über diesen Punkt, weil er überzeugt ist, dass von uns nichts gutes kommt, dass uns im Evangelium allein die Macht gegen ist, welche der Sünde ein Ende macht, dass wir mit dem Gesetz, und sei es noch so vollkommen, auch mit Gottes eigenem Gesetz, auch in der Sünde bleiben und deren Macht und Sieg an uns erleben. Er möchte uns gern vom Bösen wahrhaft trennen, darum ruft er uns weg von dem Gesetz.

Nicht das ist verkehrt, dass wir uns die Gebote Gottes in ihrer unverletzlichen Heiligkeit und ihrem drängenden Geheiß klar vorhalten. Das gehört im Gegenteil zu den Früchten des Glaubens in uns, und Paulus selbst hilft uns fleißig dazu durch die mannigfachen Gebote, durch welche er uns anweist, unser Leben einzurichten nach Gottes willen und Christi Sinn. Wenn wir aber gläubig auf das gebot Gottes sehen, so halten wir fest, dass in Christo das Gebot mit der Gabe vereinigt ist und all unser Wirken deshalb auf unserem Empfangen steht. Der Dienst, den Gott in Christo von uns fordert, besteht darin, dass wir seine Gabe nehmen, bewahren und in und durch uns schaffen lassen, was sie schaffen will. Stellen wir aber neben Christum ein Gesetz, so reißen wir das Gebot von der Gabe los und betreiben dessen Ausführung als unser eigenes Werk. So verlieren wir beides zugleich, den Glauben und das gute Werk. Dann hört uns Christi Werk und unser Empfangen und Schöpfen aus seiner Fülle gerade bei der Hauptsache auf, nämlich da, wo es sich um unseren Gottesdienst handelt, und wir trauen ihm nicht zu, dass er uns ausrüste zu einem rechtschaffenen Dienst Gottes in allem guten Werk, sondern helfen seinem Werk mit unserer Frömmigkeit nach. Dann ist unser Vertrauen auf den Herrn nicht mehr völlig, unser Glaube geknickt und gebrochen; wir haben der Macht und Gabe Christi ungläubig Schranken gesetzt. Mit dem Glauben geht aber auch das Wirken unter. Zum Wirken nach Gottes Sinn bringen wir es nur dann, wenn es aus seiner Gabe geschieht. Wir empfangen unsre Werke, finden sie aber nimmermehr, wenn wir sie bei uns selber suchen.

Zur Lösung vom Gesetz hat Paulus schon dadurch einen guten Grund gelegt, dass er uns im vorhergehenden Abschnitt, 6,1-14, das christliche Leben vorzeichnete, wie es wird, wenn wir uns aufrichtig an Jesus halten. Jene Anweisung zum christlichen Wandel hat uns nicht an das Gesetz, sondern ausschließlich und vollständig auf Christus verwiesen. Und doch führt sie uns unzweifelhaft in eine rechtschaffene Heiligung und einen redlichen Wandel vor Gott. Treten wir in die Ähnlichkeit mit Christo, begehren wir für uns das, was wir an ihm sehen, greifen wir nach seinem Tod und Leben, als für uns bestimmt, so sind wir auf die richtige Bahn gestellt. Der Tod Jesu tritt als Scheidewand zwischen uns und unsre Sünde und das verklärte Leben Jesu richtet unser Trachten auf das wahrhaftige Ziel und macht es zu einem Leben für Gott. So ist uns bereits gezeigt, dass wir des Gesetzes nicht bedürfen. Aber Paulus tritt nun ausdrücklich auf die Frage ein, ob nicht unsre Trennung von der Sünde und unser Widerstand gegen sie dadurch geschwächt sei, wenn kein Gesetz mit seinen Verboten und Drohungen auf uns liegt.

Er antwortet: wem du gehorchst, dessen Knecht wirst du, und dies gilt wie von der Sünde, so auch von der Gerechtigkeit. Es hebt sich die sündige Begehrung in mir empor und klopft bei mir an, ob ich sie aufnehme in meinen Willen; ich gehorche ihr und senke mein Wollen in diesen schlimmen Reiz hinein; bleibt das etwa ohne Nachwirkung? O nein! Damit findet eine Bindung an die Sünde in mir statt, die ich nicht nach meinem Belieben wieder aufheben und auslöschen kann, die vielmehr in mir fortwirkt und mein Trachten immer neu sündlich erregt und bestimmt. Der Sünde gehorchen, das heißt sich ihr zum Knecht hingeben und sie zum Herrn über uns setzen, dem wir nun dienen müssen, und zwar bis in den Tod hinein. Und gerade darin, dass uns die Sünde zum Tode führt, erweist sie sich als unseren Herrn, der uns sich unterworfen hält, da ich ja vor dem Tode innerlich erschrecke und keineswegs meine Lust an ihm habe, und nun doch mich selbst in ihn hineinarbeiten muß, nicht weil ich will, sondern weil ich muß als der Sünde Knecht.

Aber diese bindende Kraft in unserem Gehorchen wird nicht nur dann wirksam, wenn wir der Sünde gehorsam sind, sondern auch dann, wenn wir Gott gehorsam sind. Auch der Gehorsam, nicht bloß der Sünde, macht uns zu seinem Knecht, so dass Gerechtigkeit daraus entsteht, und wird in uns eine Macht, der wir dienen müssen, weil sie uns in unserer Lust und Begehrung an sich gekettet hält, so dass es heißt: ich kann nicht ohne die Gerechtigkeit sein und wenn es mich das Leben kostet, lieber das Leben verloren, als die Gerechtigkeit. Gleichwie die Sünde, wenn ich sie durch meinen Gehorsam ergreife, ihrerseits mich ergreift, so läßt mich auch die Gerechtigkeit, wenn ich meinen Gehorsam ihr ergebe, nicht los, sondern nimmt mich in ihren Dienst, der mich inwendig mit einem festen Bande an sie knüpft. Und wie ich kein Gesetz bedurfte, um zu sündigen, und es nicht nötig war, dass mir von außen zugerufen wurde: nun sündige dies und nun das! Wie vielmehr in meinem bösen Willen sich Lust an Lust erzeugte und Begier an Begier, so dass ich fortgetrieben wurde, sogar dahin, wohin ich nicht wollte, also bedarf ich zur Gerechtigkeit keines Gesetzes, das mich von außen immer wieder stieße: nun mach es so und nun thue das, sondern es führt auch hier Gehorsam zu Gehorsam und Lust zu Lust, und die Gerechtigkeit pflanzt sich meinem Willen ein, so dass derselbe in ihr lebt und webt.

Damit erweitert und ergänzt der Apostel den Blick, den uns der erste Teil des Kapitels eröffnet hat. Dort sahen wir, wie uns die Scheidung von der Sünde und die Aufrichtung zu Gott von Christo her als Gabe zugefallen ist, wie aber diese Gabe immer neu von uns ergriffen werden muß. Nun zeigt er uns, wie unser Griff nach dem, was Christus ist, uns nicht in einen losen, schwankenden und schwebenden Zustand versetzt, so dass wir uns immer wieder nach allen Seiten zur Sünde wie zur Gerechtigkeit bewegen könnten; nein, unser Griff nach der Gerechtigkeit führt ins Ergriffensein durch sie, und wir halten uns an das, was uns hält. Wir haschen nicht nach etwas, was sich unserem Griff entzieht, so dass es ein erfolgloses Beginnen wäre, das immer von neuem anfangen muß, sondern aus dem Gehorsam sammelt sich uns das Vermögen und aus der Entscheidung Entschiedenheit. Gehorche nur von Herzen, steh darauf, dass du der Sünde tot, aber für Gott lebendig bist, so wächst das, was Christi Tod und Leben uns bereitet hat, in dir aus zu einer festen Lebensgestalt, und die Scheidung von der Sünde und der Dienst Gottes schreiten vor von Kraft zu Kraft.

Nicht das sagt Paulus, dass wir deshalb des Gesetzes nicht bedürfen, weil wir nur von innen heraus geleitet würden, so dass wir bloß unserem inneren Trieb zu folgen hätten. Nein, das was uns leitet, steht über uns und darum zunächst außer uns. Wir bedürfen der Lehre, der wir übergeben sind, V.17. Sie ist der Weg, der uns zu Christus leitet, das Mittel, durch welches er uns nahe kommt. Der Apostel sagt mit Absicht hier nicht, dass die Lehre uns übergeben sei, sondern umgekehrt, dass wir ihr übergeben sind. Sie ist nicht in unsere Macht gelegt, so dass wir sie bilden könnten nach unserem Gutfinden, sondern sie muß bleiben, wie sie aus Gottes Wort und Werk hervorgegangen ist, und wir sind unter ihre Macht gethan. Das ist die Leitung von außen, ohne die unser Leben verkümmert und irre geht. Aber werden wir der Lehre von Herzen gehorsam, so zieht sie in uns ein und wird Regent in uns. Das Band wird uns nicht nur auswendig angelegt, so dass inwendig ein Widerstreben gegen dasselbe bliebe, die Lehre Gottes macht uns vielmehr sich herzlich und völlig unterthan in der Macht ihrer Wahrheit und Gerechtigkeit. Das giebt jene selige Harmonie, wo die Stimme, die von außen zu uns redet, und die Stimme, die in uns selber spricht, einstimmig sind. Diese Harmonie schafft nur Gottes Wort.

Es sind also in unserem Leben Freiheit und Gebundenheit beisammen, und die eine besteht nur zugleich mit der anderen, V.18-20. Wir werden von der Sünde frei und sind zugleich an die Gerechtigkeit gebunden, oder wir werden von der Gerechtigkeit frei und sind nun an die Sünde gebunden. Wir können nicht nach allen Seiten zugleich losgebunden, aber auch nicht nach allen Seiten hin zugleich festgebunden sein. Jeder dienst hat seine Freiheit, jede Zuneigung ihre Abneigung, jeder Glaube seinen Unglauben neben sich. Sage mir, wem du glaubst, so will ich dir sagen, wem du nicht glaubst; was du ergreifst, zeigt, was du fahren läßt; indem du dir deinen Herrn wählst, bestimmst du auch, von wem du los und ledig bist. Nun hat uns Christus die Gerechtigkeit zum Bande gemacht, in das wir eingefaßt sind, so sind wir damit der Sünde gegenüber in die Freiheit versetzt.

Wäre es anders, wären wir nicht an die Gerechtigkeit gebunden mit einem Band, das uns zur Sünde keinerlei Freiheit läßt, so hätten wir uns noch nicht von Herzen dem Evangelium ergeben und wüßten noch nicht, was Christo gehorchen heißt. Jener halbe Gehorsam, der sich zugleich die Freiheit vorbehält, auch nicht zu gehorchen, ist kein Gehorsam. Der rechte und echte Gehorsam ist eine ganze Ergebung an Christus, der die Thüre des Herzens ihm öffnet und damit allem anderen verschließt. Nun kennt der Apostel ja die Schwachheit des Fleisches wohl und läßt sich mit seinem Wort zur menschlichen Art herab, V.19. Dieselbe stellt unserem Gehorsam immer wieder Schwierigkeiten entgegen und macht deshalb stets wieder die Mahnung nötig: gebt eure Glieder der Gerechtigkeit als ihre Diener hin. Aber wenn wir auf den Ausgang sehen, den die beiden verschiedenen Dienstverhältnisse uns eintragen, so muß unsere Wahl entschieden sein und unser Wille fest werden. Bei der Knechtschaft unter der Sünde ist das Ergebnis für uns so, dass wir uns schämen müssen, und das Ende ist der Tod. Die Sünde giebt niemand einen anderen Sold und Lohn. Wer sich in ihren Dienst ergiebt, dem lohnt sie seine Treue und Beharrlichkeit damit, dass sie ihn in den Tod begräbt. Aus dem Dienst der Gerechtigkeit kommt dagegen Heiligung. Wer sich ihr untergeben hat, hat sich Gott ergeben und wird darum auch von ihm als sein Eigentum anerkannt, so dass die Weihe dessen, der Gott gehört, ihm zugefallen ist. Gottes Heiligkeit legt ihren Glanz auf ihn und sein herrliches Bild leuchtet wieder auf in uns, und das Ende ist ewiges Leben. Denn ewiges Leben schenkt uns Gott als seine Gnadengabe in Christo. Wie sollten wir nun noch schwanken, wem wir dienen sollen? Schauen wir auf Gottes Gnadengabe. Da wird das Herz im Gehorsam fest!

Quelle: Schlatter, D. A. - Erläuterungen zum Neuen Testament, Teil 1

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/schlatter_a/schlatter-roemerbrief_kap._1-6.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain