Schlatter, Adolf - Andachten - Oktober

Schlatter, Adolf - Andachten - Oktober

1. Oktober

Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und alles sein Heer durch den Geist seines Mundes. Denn so er spricht, so geschieht es; so er gebietet, so steht es da.
Psalm 33,6+9

Es ist nicht müßiges Spiel, wenn wir fragen, woher die Dinge kommen. Wir sollen in der Welt hei-misch werden; sie bliebe uns aber fremd, wenn uns ihr Ursprung nur ein Rätsel wäre. Bliebe uns die Herkunft der Welt dunkel, so wüssten wir auch nicht, woher wir kommen; denn wir sind ein Teil der Natur. Ungefährlich ist aber die Bahn nicht, auf der wir unsere Gedanken dann wandeln lassen, wenn sie uns den Anfang der Dinge deuten sollen. Wie oft war das Ergebnis dieser Wanderung ein phantastisches Gebilde, ein Weltbild, das Gott verbirgt! Es kann nichts anderes entstehen, wenn unser Denken unserer Eigensucht dient, die nach der Macht über die Welt begehrt. Da wir die Din-ge dann beherrschen, wenn wir sie begreifen und ihre Entstehung kennen, stellt es sich dem selbsti-schen Willen als ein lockendes Ziel dar, in den Ursprung der Dinge einzudringen. Ist es nicht der höchste Erweis der menschlichen Größe, wenn wir imstande sind, die Welt von oben herab zu be-trachten als die, die wissen, was sie ist und wie sie ward? Ist nicht das das Mittel, durch das wir uns ihrem Druck entziehen? Allein die Welt entstand durch das göttliche Schaffen und dieses ist etwas völlig anderes als das, was wir Menschen können, und bleibt darum unserem Begreifen gänzlich verschlossen. Der Anfang der Welt ist, weil sie Schöpfung ist, ein Wunder und dieses verlangt von uns die Beugung, die uns still macht und unser Denken zügelt. Wird uns deshalb die Welt zum Rät-sel, das uns plagt, zur Fremde, in der es uns nicht wohl sein kann? Nein, sagt der Psalmist mit froh-lockendem Jubel. Auch er fragt die Welt, woher sie komme, und er fragt nicht umsonst, sondern hat eine Antwort, die einzige, die sich hier geben lässt, die ganz gewisse. Denn er kennt Gott und kennt sein Wort, die unerschöpfliche Fülle der Gedanken, die nicht nur Gedanken bleiben, sondern mit der wirksamen Macht geeinigt sind. Daher weiß er, woher die Dinge kommen, auch die, die in er-habener Höhe über dem Menschen stehen wie das leuchtende Himmelsheer. Nun endet die Furcht und Flucht vor der Natur. Weil sie das Werk des göttlichen Wortes ist, sind wir in ihr daheim; denn jede Berührung mit ihr bringt uns eine Begegnung mit Gott und seinem schaffenden Wort.

Nicht dazu bist Du, mein Schöpfer und Vater, der Wirker Deiner Werke, damit sie Dich mir verber-gen, sondern damit ich sehe, wie wunderbar Du bist, und die schaffenden Macht Deines Wortes inne werde. Dasselbe Wort, das so spricht, dass es geschieht, gab mir mein Leben und gibt mir den zu dir emporgerichteten Blick, der Deine Gnade schaut. Ich will meiner Kleinheit bewusst werden im Blick auf Deine Größe und an Deiner Größe messen, was Dein gnädiges Wort mir schenkt. A-men.

2. Oktober

Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und ver-söhne dich mit deinem Bruder und alsdann komm und opfere deine Gabe.
Matthäus 5,23+24

Jesus sagt dem, der mit seinem Opfertier vor dem Altar steht: dort tritt das Unrecht in deine Erinne-rung hinein, das du am Bruder tatest. Am Altar erwachen die Erinnerungen. Das ist ein wichtiger Teil des Segens, den uns unser Gottesdienst zuträgt, und auch ein wirksamer Grund, weshalb wir die Kirchen meiden und den Gottesdienst nicht nur als Freude und Erquickung erleben. Es verbin-den sich mit ihm zu viel Erinnerungen an Dinge, von denen wir wünschen, dass sie endgültig ver-gessen seien. Sei aber nicht weichlich. Dass du an das gedenkst, was du tatest, das ist eine dir ver-liehene Gabe. Wird dir die Erinnerung gegeben, so ist die eine Wohltat erzeigt. Aber nun nütze die Gabe und schlage die Wohltat Gottes nicht aus. Wie nütze ich sie? Lass, sagt Jesus, deine Gabe vor dem Altar; lass dein Opfer unvollendet. Zuerst bringe dein Verhältnis zum Bruder in Ordnung und mache dem Unrecht, soweit es noch möglich ist, ein Ende. Ich kann im Stand der Ungerechtigkeit Gott nicht dienen. Wie sollte ich imstande sein, ihm eine Gabe darzubringen, wenn ich den Bruder schädige? Es ist ein sinnloses Unternehmen, Gott zu beschenken und den Menschen zu berauben, Gott zu ehren und den Menschen zu entehren, Gottesdienst zu üben und Menschen zu verderben. Nun brauche ich nicht weiter zu fragen, warum für so viele unser Predigen leer bleibt und keine Wirkung hat. Hier mochte ein jüdischer Hörer ängstlich erwogen haben, ob er nicht etwa Gott be-leidige, wenn er vom Altar weglaufe und das, was er dem Bruder schulde, höher schätze als die Gott darzubringende Gabe. Du beleidigst Gott nicht, sagt ihm Jesus, und darfst wiederkommen und darfst ihm mit deiner Gabe danken, darfst ihm auch dafür danken, dass er dich an dein Unrecht er-innert und die verstattet hat, es abzutun. Das ist die Gottesdienstordnung Jesu und kein liturgischer Künstler hat Recht und Macht, sie umzustoßen.

Herr Gott, Du bist der Menschenfreund. Wir tun einander weh und schädigen uns. Du aber wider-stehst jedem Unrecht und gestattest uns, dass wir zu Deinem Altar kommen dürfen, weil Du uns verzeihst. Mache mich durch Deine Stärke stark, das Unrecht zu meiden, und durch Deine Gnade gläubig, dass ich Dir meine Gaben bringe und bei Dir die Vergebung empfange. Amen.

3. Oktober

Mir ist Barmherzigkeit widerfahren; denn ich habe es unwissend getan im Unglauben.
1. Timotheus 1,13

Damals, als Paulus den Kampf gegen die Christenheit führte, hieß das, was er dachte, seine völlig gewisse Erkenntnis und meinte, seine Überzeugungen seien unangreifbar, da die klaren Aussagen der Schrift sie begründeten. Jetzt aber nennt er alles, was er damals dachte, Unwissenheit. Von al-lem machte er sich ein völlig falsches Bild, von dem, was die Judenschaft war und mit ihrem Got-tesdienst erreichte, von dem, was Jesus war und an seinem Kreuz geschaffen hat, von dem, was die Jünger Jesu waren und in ihrer neuen Gemeinde taten. Alles stellte er sich anders vor, als es war, alles so, wie es zu seinem eigenen Willen passte. Aus der Unwissenheit können aber nur verkehrte Schritte entstehen; sie führt zur Verdammung der Gerechten, zum wahnsinnigen Wagen, das Gottes Werk stören will. Paulus hat aber im Rückblick auf das, was er einst getan hat, nicht nur von seiner Unwissenheit gesprochen, sondern sich auch ungläubig genannt. Hätte er nur in Unwissenheit ge-handelt, so diente ihm das zur Entschuldigung. Dann bedurfte er nur das, dass ihm zur Erkenntnis geholfen wurde. In der Tat war er dessen bedürftig, der den Nebel seiner blinden Gedanken ver-scheuchte und ihm die Wahrheit enthüllte. Er brauchte aber eine noch größere Gabe als Unterricht, nämlich Vergebung, weil er nicht nur aus Unwissenheit, sondern aus Unglauben gehandelt hat. Es gab auch in der Zeit, da er Verfolger war, Stunden, in denen die Decke riss, die seine wirren Ge-danken über die Dinge bereiteten, in denen die Schrift so zu ihm sprach, dass sie das Wort Jesu bes-tätigte, und er der herrlichen Heiligkeit Jesu nicht widersprechen konnte und das Bekenntnis der Jünger an ihm seine Wahrheitsmacht bewährte. Solche Stunden, in denen ein Lichtstrahl zwischen unsere eigenen dunklen Gedanken hineinfällt und uns die Dinge anders zeigt, als wir meinen, tragen den Ernst der Entscheidung in sich. Dann ringen Wahrheit und Unwissenheit in uns miteinander und es kommt ans Licht, wohin unser Wille strebt, woran wir unsere Liebe hängen. Unsere Unwis-senheit und unser Unglaube stützen sich gegenseitig. Unsere verkehrten Gedanken widersetzen sich dem Glauben, den wir der Wahrheit schulden, und unser Unglaube, der ihr nicht gehorchen mag, macht unsere törichten Gedanken in uns fest. Wir durchschauen das, was in uns geschieht, nie ganz und können darum uns und die anderen weder entschuldigen noch beschuldigen. Aber keiner von uns urteilt redlich, wenn er nur seine Unwissenheit sich zum Schutze geltend macht. Sie hat immer ihren Bundesgenossen in unserem Unglauben, und deshalb gibt es keinen, der nicht das bedurfte, was Paulus als Jesu große Gabe preist, die Barmherzigkeit, die uns vergibt.

Nicht aus dem, was mir fehlt, entsteht, mein Herr und Gott, meine schwere Not, sondern aus dem, was Du mir gabst und ich nicht schätzte und wegstieß. Ich fühle freilich beständig die dunkle Be-schattung und enge Begrenzung meines Blicks; aber die Klage, vor der es keine Rechtfertigung gibt, entsteht aus dem, was ich vergeblich weiß, aus der Erkenntnis, die unfruchtbar bleibt, weil ich in-wendig ihr Gegner bleibe. Darum ist das Wort vom Kreuz in seiner Torheit mein Heil, weil ich für meinen Unglauben Dein Vergeben brauche und es empfange am Kreuz Deines Sohnes, unseres Herrn. Amen.

4. Oktober

Weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus.
2. Timotheus 3,15

Mit großem Vertrauen hat Paulus Timotheus in seine Arbeit hineingeführt und sein Vertrauen hat sich darauf gestützt, dass Timotheus das Alte Testament kannte, nicht als Neuling, der sich erst mühsam in der Schrift zurechtfinden muss, sondern so, dass er von Jugend an beständig mit ihr leb-te. Indem er ihm an seiner Arbeit teilgibt, verlangt er von ihm, dass er handeln könne. Wie schwer ist es aber, richtig zu handeln! Dazu ist uns Weisheit unentbehrlich. Weisheit ist diejenige Erkennt-nis, die uns zum richtigen Handeln tüchtig macht. Gibt es etwas, was uns weise macht? Paulus sagt: Das tut dir die Schrift. Das ist ihr großes Thema, von dem sie überall redet, was Gerechtigkeit und Sünde sei, was Gottes Weg sei und wohin uns unsere eigenen Wege führen, wie wir gehorchen und wie wir fallen. Die Weisheit, die die Schrift uns gibt, bringt uns die Rettung. Die Gefahr, die aus unserem Handeln, auch aus unserem christlichen Handeln entsteht, ist die, dass wir uns verfehlen und verderben. Wir bedürfen daher diejenige Weisheit, die unseren Willen unter Gottes Willen stellt und unser Werk auf Gottes Werk gründet und uns dadurch vor dem Fall behütet und die Wege uns verschließt, auf denen wir uns verderben. Das schenkt uns die Schrift dadurch, dass sie uns in den Glauben führt. Ob sie von Gottes Werken erzählt oder Israels Irrwege beschreibt, ob sie mir das Gesetz vorhält oder von der kommenden Gnade weissagt, immer ist das ihr Ziel, dass ich mich glaubend zu Gott wende und an ihn mich halte. Der Grund zum Glauben und die Kraft zum Glau-ben werden mir dadurch gegeben, dass ich Jesus kenne. Wenn ich das, was das alttestamentliche Wort uns gibt, besitze und ihm gehorsam bin, dann wende ich mich nicht zwangsläufig von Jesus weg, sondern bin für die Begegnung mit ihm vorbereitet und fähig gemacht, in seinem Ruf die Stimme des guten Hirten zu hören, so dass sein Wort in mich eingeht und mein Eigentum wird. Hat mich die Schrift zum gläubigen Anschluss an Jesus gerüstet, so hat sie ihr Ziel in mir erreicht und ist für mich zur Spenderin der Weisheit geworden. Wenn mein Wirken in demjenigen Glauben ge-schieht, der in Christus seinen Grund und Inhalt hat, ist es Gott wohlgefällig, während alles, was nicht aus dem Glauben kommt, sündhaft bleibt.

Mit der ganzen Christenheit danke ich Dir, Vater, auch für das Wort, das Du einst den Alten gege-ben hast. Viele Stimmen reden zu mir vom Menschen, seiner Lust und seinem Leib, seiner Helden-haftigkeit und seiner Eitelkeit. Dein Wort spricht zu mir von Dir und Deiner uns selig machenden Gnade, die uns in Christus zum Glauben führt. Amen.

5. Oktober

Da trat Petrus zu Jesus und sprach: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist es genug siebenmal?“
Matthäus 18,21

Petrus rechnete auch im Kreis der Brüder auf hartnäckige Bosheit, die dem Vergeben unbeugsam widersteht. Er kannte die harte Festigkeit unseres boshaften Willens, der auch die brüderliche Ge-meinschaft zerreißt. Vielleicht dürfen wir aber auch daran denken, dass Petrus nicht nur die, die mit ihm Jesus begleiteten, sondern jeden Juden seinen Bruder hieß. Er sah aber deutlich, dass er von diesen Brüdern bittere Feindschaft zu erwarten hatte, weil er ein Jünger Jesu war. Die Erfahrung hat den Jüngern rasch das Auge dafür geöffnet, dass die jüdischen Brüder ihnen den Anschluss an Jesus mit unversöhnlichem Hass vergalten, der sie immer wieder zu schändlichen Werken und boshaftem Handeln trieb, und Jesus selbst hat sie von Anfang an mit starken Worten über ihre Lage aufgeklärt und sie für ihren Kampf gerüstet. Wenn aber der Hass kein Ende nimmt und die Bosheit sich be-ständig wieder erneuert, kann dann das Vergeben endlos sein? Muss es nicht eine Grenze geben, die uns von dieser Pflicht befreit? Siebenmal war Petrus bereit, Unrecht freundlich zu dulden, sieben-mal willig, sich verhöhnen zu lassen und still den Schaden zu tragen, mit dem der Feind ihn plagt. Ist es nun nicht deutlich, dass der Widersacher die Versöhnung nicht will und die Gemeinschaft mit ihm unmöglich ist? Und doch empfand Petrus, dass dieser Gedanke, mochte er ihm noch so richtig scheinen, gegen den Willen Jesu stritt, weshalb er mit der Frage vor ihn trat, und was er ahnte, wur-de ihm durch das bestätigt, was ihm Jesus zur Antwort gab. Jede Zählung des Vergebens tat Jesus weg und nahm von ihm jede Schranke fort. Es hat kein Maß und kein Ende, sondern ist immer vor-handen und unerschöpflich. Wir bleiben mit unserem rechnenden Vergeben immer noch an die an-deren gekettet und ihr Hassen behält Gewalt über uns. Erst die ganze Liebe macht uns von allem Hader frei, die, die die Vergeltung nicht nur aufschiebt, sondern unterlässt, die, die sich nicht auf das Wohltun anderer stützt, sondern selber gütig ist und sich die Gemeinschaft nicht von den ande-ren geben lässt, sondern sie selbst herstellt. Mit diesem Vergeben ist Petrus unverwundbar gemacht, auch wenn er den Hass seiner Brüder nicht überwinden kann. Er steht nun über dem wilden Ge-tümmel der Verleumdung und Befehdung als ein freier Mann. Dies ist er, weil ihm Jesus die Liebe gab.

Dein Vergeben, gnädiger Gott, ist ganze Liebe. Du wägst nicht unser Fallen, zählst nicht unsere falschen Worte und bewahrst nicht unsere gottlosen Gedanken. Sie sind eine unendliche Reihe ohne Zahl. Du aber vergibst und bleibst, der Du bist, in der Herrlichkeit Deiner Güte. Nun schaffe, Herr, Dein Bild in mir und gib mir an Deiner Liebe teil, die vergeben kann. Amen.

6. Oktober

Ich (Paulus) bin der Geringste unter den Aposteln, weil ich nicht wert bin, dass ich ein A-postel heiße, darum, dass ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle, nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
1. Korinther 15,9+10

An der Weise, wie Paulus sein Leben betrachtet, will ich lernen, wozu ich die Vergebung der Sün-den empfangen habe und was sie als ihre Frucht in uns wirken soll. Paulus konnte jene Stunde, in der sich ihm Jesus zeigte, nur mit einem einzigen Vorgang vergleichen, nur in der Weise, wie der Auferstandene in den Ostertagen seine Gemeinschaft mit seinen ersten Jüngern erneuert hat. Er sagt darum von dem, was Jesus ihm damals gab, es habe ihn in die Reihe der Apostel gestellt. Aber nun prägt er seinen Gemeinden ein, er sei nicht etwa nur der letzte, sondern auch der geringste unter den Aposteln und denke nicht daran, sich neben oder gar über Jakobus und Petrus und Johannes zu stel-len. Er wäre nicht Apostel, sähe er nicht in der Weise, wie Jesus an ihm handelte, die Herrlichkeit des völligen Vergebens, durch das das Alte vergangen ist. Das ermächtigt ihn aber nicht, seinen Fall zu vergessen. Dieser bleibt ihm gegenwärtig und zeigt ihm beständig, wie groß die ihm erwiesene Gnade war. Er hat aber auch erfahren, wie Gottes Gnade unsere Sünde in ihr Wirken aufnimmt und aus ihr einen Segen macht. Wie Jesus gesagt hat, dass der viel liebe, dem viel vergeben sei, so hat auch Paulus durch seinen Fall die große Liebe empfangen, die stets zur Arbeit bereit war, vor keiner Entbehrung zurückwich und jeden Dienst freudig übernahm. Nicht seinen Erfolg verglich er mit dem, was die anderen erreichten; denn der Erfolg ist nicht allein von unserem Verhalten abhängig; dagegen heißt er die Anstrengung und Belastung, die er auf sich nahm, größer als die, die die ande-ren anfassten. Aber alle Eitelkeit und Selbsterhöhung bleibt ihm fern und er löscht jeden derartigen Gedanken sofort aus. Denn seine Liebe, die keine Arbeit scheut, ist Gottes gnädiges Geschenk. So spricht und handelt ein Mensch dann, wenn er Gottes Vergebung hat.

Du, großer Gott, verwandelst in Deiner Gnade unseren Fall in Heil und unsere Not in Kraft. Schenke mir den klaren Blick in unsere Not, in meine eigene und in die unseres Volks, damit aus der Erkenntnis unserer Sünden die Liebe hervorwachse, die wache, sehende, unermüdliche, die gerne dient. Amen.

7. Oktober

Wer die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.
Johannes 3,21

Was Jesus Nikodemus zuerst gesagt hat, behielt für ihn erschreckende Dunkelheit. Mit der herr-lichsten aller Verheißungen hatte Jesus begonnen, damit, dass Gottes Geist uns einen neuen Anfang des Lebens, eine neue Geburt beschert. Das blieb aber für Nikodemus ein Geheimnis, das ihn er-schreckte, weil es den Grund zerbrach, auf den er seine Zuversicht gestellt hatte. Was blieb ihm noch, wenn alles, was wir mit unserem natürlichen Vermögen leisten, zum Eingang in Gottes Reich nicht ausreichte? Dann hatte ihm Jesus seine Sendung gepriesen, die ihm die Liebe des Vaters er-teilt hat, durch die er, wie einst in der Wüste die Schlange, erhöht werden wird, damit er vom Kreu-ze aus in uns den Glauben schaffe. Aber dieser Blick auf den Ausgang Jesu war für Nikodemus wieder ein dunkles Geheimnis. Was das nicht ein schreckliches Wort? Konnte das der Weg Gottes mit Israel sein , dass Israel den von Gott gekommenen Lehrer kreuzigte? Nun aber gab ihm Jesus zuletzt noch ein Wort, das eine strahlende Freude in seine Seele gießen konnte: Deine Werke sind in Gott getan, wenn du die Wahrheit tust. Die Wahrheit, das ist nichts Verhülltes und Unzugängli-ches, nicht ein erst in der Ferne sich zeigendes göttliches Geschenk. Das ist Gottes gegenwärtige Gabe, dir geschenkt, weil du sein Wort hast, und in dir mächtig, weil die Wahrheit dich an sie bin-det. Du kannst sie tun, und das ist wiederum Gottes dir verliehene Gabe. Denn du wirst zum Täter der Wahrheit in der Verbundenheit mit Gott. Damit ist Nikodemus vor die Pforte gestellt, die ihn zum Glauben führt. Was hinter dieser Pforte liegt, sieht er noch nicht. Die Pforte selbst aber steht in deutlicher Sichtbarkeit und offener Zugänglichkeit vor ihm. Er weiß nun, wie er den Zugang zu Jesus findet und was ihn zum Empfang des vom Geist gewirkten Lebens bringt. Blieb auch alles, wovon Jesus mit ihm sprach, noch Zukunft und rätselhaft, von Gott ihm gezeigte Wahrheit hat er empfangen. Nun greife zu und tue sie. Das ist der Weg ins Licht.

Licht, Vater, ist das Zeichen Seiner Gegenwart. Wenn Deine Hand uns bewegt, vergehen Schein und Lügen. Dein wissender Blick führt uns in die Wahrhaftigkeit und nun dürfen wir die Wahrheit lieb haben und so handeln, dass sie in uns bleibt. Darum bitte ich Dich und danke Dir für Deine Verheißung, die uns das Tun der Wahrheit zur Pforte für den Reichtum Deiner Gnade macht. Amen.

8. Oktober

Ob ich geopfert werde über dem Opfer und Gottesdienst eures Glaubens, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Desselben sollt ihr euch auch freuen und sollt euch mit mir freuen.
Philipper 2,17+18

Der Tag, an dem der römische Soldat Paulus vor die Mauer Roms hinausführen und dort enthaupten wird, war für Paulus ein Tag voll von Freude, und er freute sich an ihm nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinde. Er gratuliert ihr dazu, dass sein Wirken dieses Ende finden wird. Darum erwartet er auch von ihr, dass sie an seinen Tod nicht bekümmert denke, sondern an ihm einen Grund zur Freude habe, wieder nicht nur um seinet-, sondern auch um ihretwillen. Woran hat er sich gefreut? Daran, dass nun die Not des irdischen Lebens und die Mühsal seines Amts zu Ende sei? Nein; denn er hat im selben Brief der Gemeinde gesagt, er wisse nicht, was er mit stärkerem Verlangen begehren solle, den Tod, der ihn zu Christus führt, oder das Leben, das ihn in der Arbeit erhält und wieder zur Gemeinde bringt. Sie weiß also, dass er des Lebens und der Arbeit nicht müde ist. Oder sonnt er sich in der Herrlichkeit, die er gewinnen werde, wenn er als der Zeuge Jesu getö-tet wird? Soll ihm die Gemeinde dazu gratulieren, dass er die sonderlich glänzende Krone des Mär-tyrers erwerben wird? Freilich könnte er sich an seinem Tod nicht freuen, wenn er nicht die gewisse Hoffnung hätte und wüsste, dass ihm der Herr den Kranz der Gerechtigkeit nicht versagen wird, weil er den Glauben bewahrt hat. Paulus hält aber seinen Gedanken bei dem fest, was jetzt an ihm geschehen wird, und freut sich nicht nur an dem, was ihm drüben zuteil werden wird, sondern an seiner Hinrichtung. Denn diese ist sein Opfer. Er hat sein Blut, das der ihn tötende Soldat verschüt-tet, sein Trankopfer genannt. Wenn ein Israelit auf den Altar in Jerusalem ein Tier als sein Opfer legte, so wurde gleichzeitig Wein am Fundament des Altars als Trankopfer ausgegossen. Ebenso begleitet das Opfer, das Paulus mit seinem Tod Gott darbringt, das Opfer der Gemeinde. Dieses ihr Opfer ist ihr Glaube. Damit preist sie Gottes herrliche Gnade und gibt ihm, was wir Menschen ihm geben können. Was können denn wir ihm geben, was ihn zu ehren vermöchte? Dies, dass wir ihm glauben. Ohne den Glauben gibt es keine Gabe und keinen Gottesdienst, der ihn ehren könnte. Zum Glauben der Gemeinde fügt nun Paulus seinen Tod, den er um Jesu willen erleidet, hinzu ihrem Glauben zur Stärkung und Bestätigung, und deshalb weil er glaubend in den Tod geht, wird ihm sein Todestag zum Festtag, zum heilsamen Tag auch für die Christenheit, an dem sie sich freuen soll. Damit hat uns Paulus nochmals gesagt, wie Großes uns damit gegeben ist, dass unser Leben im Glauben an Gottgebunden ist.

Nun, Herr, will ich Dir wieder für den hellen Glanz danken, den Dein Wort auf alles legt, was uns begegnet. Es wäre eine harte Not, wenn Dein Wort nicht auch unser Sterben verklärte. Es bringt uns Schwachheit und bittere Pein, aber auch den Anlass, Dir zu glauben, ohne zu sehen, um Deines Wortes willen, Deiner Gnade gewiss, der ganzen und ewigen. Wo aber der Glaube ist, da ist auch Freude; denn da wirst Du erkannt und gepriesen. Amen.

9. Oktober

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Philipper 4,7

Kein Schwung meiner Denkkraft hebt mich zu einer Höhe empor, auf der ich begreifen und ermes-sen könnte, was der Friede Gottes ist. In staunender Ehrfurcht neigt sich unser Denkvermögen vor der Tatsache, dass Gott für uns ist und alles wegtut, was uns von ihm trennt. Dass sich gegen unser Verhalten Gottes Grimm und Abscheu richtet, das begreifen wir. Dass aus dem, was wir sind und tun, Verlassenheit von Gott entsteht, das ist ein vernünftiges Urteil, das als Maßstab das Gesetz handhabt, das mit heller Deutlichkeit unser ganzes inneres Leben beherrscht. Dass aber zwischen Gott und mir kein Zwist besteht, dass ich nicht fürchten muss, ich stoße auf seinen Widerstand, dass ich vielmehr weiß, dass er aus meiner Schuld und meiner Not den Grund seiner Hilfe macht, das begreift niemand; denn das ist die schöpferische Tat dessen, der sich erbarmt, weil er sich erbarmen will. Damit ist uns der Wächter gegeben, der unser Herz und die aus ihm sprudelnde Menge von Gedanken in seine sichere Hut nimmt. Wer kann es hüten, das schwankende Herz, das so leicht einem Stoß erliegt, und die wirbelnden Gedanken, die von unserer Leidenschaft gepeitscht finster werden? Der Hüter ist zur Stelle und schläft und schlummert nicht. Dass Gott Frieden mit uns hält, das ist unseres Herzens Schutz.

Hüter, wir fragen oft: will die Nacht nicht schwinden? Ich bitte Dich, halte allen Unglauben von mir fern, der mir verbirgt, dass Dein Friede die Hut über mich hat. Weil Dein Werk größer ist als unser Wissen und Verstehen, murren unsere Gedanken und haben Lust, sich aufzulehnen. Aber Dein Friede ist unerschütterlich. Zu ihm flüchte ich mich und berge mich in seine mich bewachende Hut. Amen.

10. Oktober

In Damaskus der Landpfleger des Königs Aretas verwahrte die Stadt der Damasker und wollte mich greifen und ich ward in einem Korbe zum Fenster aus durch die Mauer niederge-lassen und entrann aus seinen Händen.
2. Korinther 11,32+33

Nach menschlichem Ermessen war es mit Paulus aus, als die Tore von Damaskus bewacht wurden, damit er ja nicht entwische, und der mächtige Araber seine Mannschaft aufbot, damit es diesmal ganz sicher gelinge, Paulus zu töten. Dennoch entkam er. Freilich verließ er sein erstes Arbeitsfeld, auf das er gleich nach seiner Bekehrung mit der Schwungkraft der ersten Liebe getreten war, nicht öffentlich am hellen Tag wie ein Sieger, begleitet mit einer großen, ihm dankenden Schar, sondern in größter Heimlichkeit vom Dunkel der Nacht geschützt in einem Korb über die Hauer hinab. Den-noch verließ er die Stadt ungebrochen, ganz eins mit der Führung seines Herrn, ohne Murren, und fähig, sich daran zu freuen, dass seine Arbeit in Damaskus in dieser Weise ihr Ende gefunden hatte. Unvergänglich bewahrte er diese Erinnerung in seiner Seele und hatte an ihr den Grund zu einem nie verklingenden Ruhm. Suchen wir Menschen nicht immer den Erfolg? Reden wir nicht von schweren Schicksalen und dunklen Führungen, wenn sich unüberwindliche Hindernisse vor uns auftürmen? Stell dich, Herz, in Gottes Licht. Dann siehst du seine gnädige Hand auch da, wo du bereit bist, von Zusammenbruch, Niederlagen und Ruinen zu reden. Dadurch wird dir Gott sichtbar, dass er auch dann Mittel und Wege hat, wenn die Tore verschlossen sind, und sein Werk vorwärts führt, auch wenn ein starker Araber gegen ihn seine Fäuste ballt.

Vieles, was unseren Stolz stärkte, fiel, Herr, in Trümmer und deine Schar musste schon manche Hoffnungen begraben. Um eines bitte ich Dich; bewahre mich davor, dass ich murre. Deine Gnade ist jeden Morgen neu. An Deiner Hand führt mich mein Weg zum Ziel, nicht zu meinem Ziel, das mir am Herzen liegt, aber zu Deinem, an dem sich Deine Gnade offenbart. Amen.

11. Oktober

Mir ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst; aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt. Der Herr ist es aber, der mich richtet.
1. Korinther 4,3+4

Tief beschämt sehe ich zu Paulus auf. Ein Wirken, das keinen Flecken in das Gewissen legt, eine Arbeit, die durch ein langes Leben hindurch fortgesetzt wird und nicht bloß dem menschlichen Ur-teil ohne Furcht gezeigt werden kann, sondern sich auch im Urteil des eigenen Gewissens als rein erweist, das hat einzigartige Größe und ist so schön, dass es uns fast unglaublich scheint. Aber diese Schönheit zerränne und verwandelte sich in ein hässliches Bild, wenn Paulus mit Bewunderung sich selbst beschaute und mit dem Freispruch, den sein Gewissen ihm gewährt, zufrieden wäre. Er fährt aber fort und erklärt, dass er damit nicht gerechtfertigt sei. Dass wir versuchen, uns selbst zu recht-fertigen, das hieß Paulus Sünde und an dieser Sünde beteiligt er sich nicht. Sein eigenes Urteil gilt nichts; denn das des Christus allein entscheidet. Er steht ja in Dienst Jesu und arbeitet nicht für sich, sondern für ihn. So hat auch einzig Christus die Macht und das Recht, über ihn zu urteilen und zu erklären, dass er seinen Knecht lobe und sein Werk heilige als in Treue getan, wie sie von dem ge-fordert wird, der das Gut seines Herrn zu verwalten hat. Dächte er anders, machte er aus seinem guten Gewissen seine Gerechtigkeit, wie könnte er noch mit Freude auf sein Wirken sehen? Dann hätte er den Standort des Glaubens verlassen und sich auf sich selbst zurückgebeugt, um sich in sich den Stützpunkt zu bereiten, der ihm den festen Stand gewähren soll. Dann hätte er, während er doch den anderen Jesus als ihren Herrn verkündigte, sich selbst dem Herrn entzogen, für sich gearbeitet und sich an die Stelle Jesu gesetzt. Hätte ich Recht, wenn ich sagen würde, es sei schwer, in dieser Stellung zu verharren, und es sei kaum begreiflich, dass Paulus das ausgehalten habe, ohne wund zu werden? Würde ich es hart heißen, dass wir uns nicht die Rechtfertigung bereiten können, weder aus dem Zeugnis des Menschen noch aus dem Lob unseres eigenen Gewissens, so hätte ich wieder vergessen, was der Glaube ist und wo er uns den Ort vor Gott anweist. Wie könnte Paulus deshalb wund, schwach und geängstigt sein, weil einzig Jesus ihn rechtfertigen kann? Er glaubt ja an seinen Herrn und kennt seine Gnade. Dadurch erweist er sich als gläubig, dass er nichts als gültig ehrt als allein das Urteil Jesu. Indem er sich nicht nur über das Urteil der anderen, sondern auch über sein eigenes Gewissen erhebt, bleibt er bei dem Satz, dass es keine Gerechtigkeit für uns gebe als den Glauben allein, und diesen Satz hieß Paulus den köstlichen Kernsatz des seligmachenden Evangeli-ums.

Mache mich frei, Herr, dass ich nicht auf das Urteil der Menschen lausche. Wende mich zu Dir, damit ich nicht selber den Wert meines Lebens messe und die Frucht meiner Arbeit festzustellen suche. Auf Dein Urteil zu warten, ist Freude und Friede; denn ich weiß ja, dass Du gnädig bist. Amen.

12. Oktober

Du lehrst andere und lehrst dich selber nicht.
Römer 2,21

Als Paulus der römischen Christenheit sagte, warum er nicht mehr Jude sei, schalt er nicht einzelne Vorgänge und besondere Gruppen in der Judenschaft. Er hielt ihr nicht vor, dass sie die Herodier frönten, oder dass sie den Pharisäismus mit seiner frommen Schauspielkunst bewundere, oder dass sie den jüdischen Freisinn bei sich pflege, der das Leben mit all dem füllte, wonach das Fleisch Lust hat, und von Gott nicht viel mehr begehrte, als dass er ihn dabei nicht störe. Er kämpfte nicht gegen einzelne Juden, sondern sagte der Christenheit, warum das Judentum ihr die Hilfe nicht bringe und nicht das Bleibende sei, was Gott uns gibt. Darum deckt er die tiefste Not auf, die immer an der Kirchlichkeit entsteht. Sie breitet eine gemeinsame Überzeugung über alle aus und gestaltet das Verhalten aller durch die geheiligte Sitte. Aber dieser gemeinsame Besitz wird nicht zum Eigentum des Einzelnen. Sie werden nur von außen bewegt, nicht von innen. Die Lehre wird nicht Wille; das Wissen wird nicht Kraft. In der Öffentlichkeit gilt die Lehre und wird vor den anderen vertreten; aber dich selber lehrst du nicht. Fürchtete Paulus die Einrede nicht: in deinen Gemeinden sieht es ebenso aus? Die Kirche zeigt in der Tat dieselben Zustände wie die Judenschaft. Aber Paulus ver-glich nicht die Juden und die Christen miteinander, nicht die Judenschaft und die christliche Ge-meinschaft, nicht den Menschen und den Menschen. Er wusste nichts von besseren Menschen, de-ren Frömmigkeit mehr wert sei als die der anderen, und war nicht deshalb nicht mehr Jude, weil er ein besserer Mensch etwa als Gamaliel geworden sei. Was vergleicht er? Das Judentum und Chris-tus. Diese Vergleichung ergibt für ihn den Beweis, dass er nicht Jude bleiben kann. Denn Christus bringt etwas Neues zustande, nicht nur den sichtbaren Juden, der es durch seine Erziehung gelernt hat, sein wahres Wesen zu verstecken, sondern den verborgenen Juden, der es nicht durch die Schrift ist, sondern durch den Geist. Indem Paulus den Schaden des Judentums enthüllte, leitete er seine Gemeinden zum Glauben an. Zum selben, heilsamen Zweck wird uns immer aufs neue die religiöse Not der Kirche sichtbar gemacht, alle diese peinlichen Zwiespältigkeiten, der Streit zwi-schen unserem Bekenntnis und unseren tatsächlichen Zuständen, der Riss zwischen unserem Wort und unserem Verhalten, Gerechtfertigte, die über die Rechtfertigungslehre zanken, an das Kreuz Christi Glaubende, die nicht vergeben können, all die bitteren Widersprüche, die uns schänden. Was soll daraus werden? Daran soll ich glauben lernen und soll ohne Schwanken dabei bleiben: nicht der Mensch, sondern Gott, nicht die Kirche, sondern der Christus, nicht das Fleisch, sondern der Geist sind die rettende Macht.

Aus der Tiefe, Herr, rufen wir zu Dir; noch ist es bei uns Nacht. Wenn wir aber aufsehen zu Dir, so steht Deine Sonne über uns und in ihrem Licht verschwinden Schuld und Ohnmacht und das klagen darf nicht zum Murren werden, sondern erweckt die Danksagung, die Deine Gnade preist. Amen.

13. Oktober

Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Lukas 17,10

Was mir befohlen war, habe ich nicht getan, klagt die Reue und dieser Schmerz sitzt so tief in uns, dass wir uns fürchten, das zu sagen, was Jesus seine Jünger sagen hieß: ich habe getan, was ich zu tun schuldig war. Im Dienst, den der Mensch dem Menschen leistet, geschieht es freilich, dass der Knecht nach dem Gleichnis Jesu jeden Befehl seines Herrn ausführt und unverdrossen vom Morgen bis zum Abend seinen Dienst vollzieht. Wie soll aber der Knecht Gottes je dazu gelangen, sagen zu dürfen: ich tat alles, was mir befohlen war? Nimmt nicht der Dienst Gottes unser ganzes Vermögen in Anspruch und wer legt sein ganzes Herz und seine ganze Kraft in seinen Dienst? Und wenn wir diesen Stand erklommen hätten, zu dem wir wie zu einer unerreichbaren Höhe emporsehen, wäre uns dann nicht das Frohlocken des Gerechten beschieden, der jubeln darf, weil er den Fall vermied? Statt dessen legt Jesus in seine Jünger den tiefen Schmerz: wir sind unnütze Knechte, obwohl wir taten, was unser Herr uns befahl; Verschuldung ist nicht entstanden, aber auch kein Dienst, der sei-ne Sache förderte und seine Ehre mehrte. Ist es nach unserer Meinung schon seltsam, dass Jesus von seinen Jüngern verlangt, dass sie ein gutes Gewissen haben, so ist es für uns erst noch ein besonders rätselhafter Anstoß, dass er ihr gutes Gewissen mit der Klage verband, sie seien unbrauchbar. Wenn ich aber das Wort Jesu rätselhaft heiße, so rührt das nur daher, dass ich die Liebe nicht kenne. Dar-um halten wir es für nötig, beständig unsere Sünden zu bedenken, weil wir uns nur so vor dem Stolz bewahren. Wir müssen das böse Gewissen in uns wach halten, damit uns nicht die Eitelkeit verblende und der Übermut verderbe. Jesus hat dagegen der Liebe zugetraut, dass sie uns jede Ü-berhebung verbiete und alle Selbstgefälligkeit ersticke. Gibt sie uns denn nicht das wache Auge, das sieht, wie weit unser Dienst von dem entfernt bleibt, was geschehen könnte? Was ist unser Wort? Wir sagen es, wie wir es können, und können es nicht anders sagen. Hat es aber die Leuchtkraft, die Jesus offenbart? Wir helfen und stellen zwischen uns die Gemeinschaft her, wie wir es vermögen. Ist aber unser Helfen mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein? Wie ärmlich ist alles, was die Christenheit tut. Sie kann nicht mehr und tut, was sie kann. So ist es in der Tat; dann spreche sie aber, wie Jesus es ihr sagt: unnütze, unbrauchbare Knechte sind wir.

Den Schmerz, den die Liebe mir bereitet, will ich, o mein Herr, nicht fürchten. Du schenkst mir ihn dazu, damit er mich wach erhalte, wenn ich müde werde, und mich beweglich mache, wenn mir Deine Gnade die neue Gelegenheit zum Dienen gibt. Hilf mir, dass ich vergesse, was hinter mir liegt, und nicht bei dem verweile, was vollbracht ist, sondern immer wieder mit neuer Willigkeit bereit sei für Dich. Amen.

14. Oktober

Da nun herbeikam die Zeit der Früchte, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, dass sie seine Früchte empfingen. Da nahmen die Weingärtner seine Knechte; einen stäupten sie, den anderen töteten sie, den dritten steinigten sie. Abermals sandte er andere Knechte, mehr als die ersten waren, und sie taten ihnen gleich also. Darnach sandte er seinen Sohn zu ihnen und sprach: „Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.“
Matthäus 21,34–37

Die Knechte gingen voran, ehe der Sohn seinen Gang zu den Weingärtnern antrat. Das Schicksal der Knechte war ihm wohl bekannt. Jesus hat dabei nicht nur an das gedacht, was zur Zeit Elias, Jesajas und Jeremias geschehen ist. Denn die Weingärtner, von denen er redet, lebten nicht nur da-mals, sondern sind jetzt vorhanden und betreiben ihren Aufruhr gegen Gott jetzt. So sind auch die Knechte Gottes am Werk und mahnen die Weingärtner an ihre Pflicht. Mose bezeugt der Gemeinde auch heute, dass Gott sie als seinen Weinberg für sich geschaffen hat, und die Rede der Propheten ist nicht verstummt, sondern mahnt Israel unaufhörlich: gebt Gott seine Frucht. Sie mahnt aber um-sonst, und deshalb, weil die Knechte umsonst zu den Empörern reden, tritt nun der Sohn unter sie. Jesus zeigt hier den starken Zusammenhang, in dem sein Ende mit der alttestamentlichen Schrift steht. Die Schrift, sagte er, muss erfüllt werden. Der Sohn muss tun, was bisher die Knechte taten, und es muss dem Sohn ebenso ergehen wie den Knechten. Es muss ans Licht kommen, dass die Weingärtner Räuber sind, und sie müssen ihren Aufruhr dadurch vollenden, dass sie den Sohn um-bringen. Dadurch gab sich Jesus im tiefsten, herrlichsten Sinn die Gestalt des Knechts. Er trug sie nicht nur dadurch, dass er willig der Natur gehorchte, auch nicht nur in der Dienstbereitschaft, durch die er sich für die zum Knecht machte, die seine Hilfe begehrten. Er tat auch das, was die alten Knechte Gottes taten, und trat in den Weinberg zu den Empörern, damit sie an ihm ihren bö-sen Willen ausüben. Er tat es, weil er Gottes Recht an den Weinberg vertritt und Gottes Barmher-zigkeit den Schuldigen zeigt, ehe ihre Schuld sie begräbt. Er kommt zu ihnen, um sie zu retten; weil er aber vergebens kommt, wird aus seiner Sendung das große Ärgernis, an dem Jerusalem zerbre-chen muss.

Durch Deinen Gang in den Tod hast Du, Herr Jesus, uns erkauft und erworben, dass wir, Deine Christenheit, Gottes Weinberg seien und seine Frucht ihm bringen. Du trugst die Knechtsgestalt, damit wir aus Empörern Knechte Gottes würden, die ihm dienen, und hast Dich zum Wort der Schrift bekannt und es zu Deinem Wort gemacht, damit wir aus ihren Verächtern ihre Täter wür-den. Das ist die große Gnade, die Du uns in Deinem Sterben erwiesen hast. Amen.

15. Oktober

Die Weingärtner nahmen seine Knechte; einen stäupten sie, den anderen töteten sie, den dritten steinigten sie.
Matthäus 21,35

Es ist eine ernste Pflicht und ein heiliges Anliegen der gesamten Christenheit, für diejenigen Män-ner zu sorgen, denen sie das für sie unentbehrliche Amt übergibt. Sie muss es bitter büßen, wenn sie die Träger ihres Amts auf eine Bahn drängt, die sie neben die von Jesus beschriebenen Weingärtner stellt. Diese Weingärtner zeigen uns nicht, was man Unglauben nennt. Dann ließen sie den Wein-berg im Stich, begehrten seine Früchte nicht und machten nicht den Versuch, ihn als ihr Eigentum in ihren Besitz zu bringen. Sie wissen wohl, was der Weinberg wert ist und dass er kostbare Früchte trägt. Weder die Gemeinde noch ihre Führer zweifelten am Verzug Israels vor allen Völkern und keiner verbarg sich, dass dieser Vorzug aus der Gemeinschaft Gottes mit ihnen entstand. „Der Herr unser Gott“, das war das mit Kraft ergriffene und mit Glut verteidigte Bekenntnis aller, und daraus entstand ihre Schuld. Was sie tun, ist Raub an dem, was Gottes ist. Für sich zur eigenen Erhöhung und Beglückung ist Israel Gottes Volk. Unsere studierende Jugend geht dieselbe Bahn, wenn sie das kirchliche Amt wegen des Vorteils begehrt, das für sie aus ihm entsteht. Diese Gefahr liegt nahe. Es ist lockend, Theologie zu studieren. Hebt das nicht über die „Laien“ empor? Tritt man nicht so in die Reihe de „Akademiker“ und gehört zu einem privilegierten Stand? Aber die Versuchung ist noch feiner, noch mächtiger. Ist nicht das ein wirksames Mittel, das uns die Selbstbefriedigung ver-schafft, dass wir vom Gelderwerb befreit in gesammelter Stille das christliche Wort verwalten? Gibt das nicht den gehobenen, geweihten Christenstand des „Geistlichen“? Mit all dem sind wir in die Gemeinschaft der Weingärtner geraten, die den Raub an Gott begehen. Was schützt unsere Kirche und die Träger ihres Amtes vor diesem Verderben? Das Gleichnis Jesu zeigt uns das Einzige, was uns schützt. Jesus stellt neben die Weingärtner den Sohn, er den Weg zum Kreuz geht. Das ist unser Schutz. Haben wir unseren Standort beim Kreuz Jesu, dann endet aller eigensüchtiger Machtmiss-brauch des Christentums und auch alle eigensüchtige Entstellung des kirchlichen Amts.

Richte uns, Herr Gott, nach Deiner barmherzigen Gerechtigkeit und führe uns zum Kreuz Deines lieben Sohnes. Er trug es auch für unseren Pfarrstand und für die, die ihn unterweisen. Amen.

16. Oktober

Ich aber, weil ich die Wahrheit sage, so glaubt ihr mir nicht.
Johannes 8,45

Sei nicht feige, sondern sieh hinab in die Tiefe der menschlichen Unart, auch wenn dich ihr Anblick erschüttert. Ein Mensch, der deshalb nicht glaubt, weil ihm die Wahrheit gesagt ist, ist ein schreck-licher Anblick. An was glaubt er dann? Was bewegt ihn, wenn er das, was sich ihm als Wahrheit erkennbar macht, von sich stößt? Hat er sich nicht in die Luft hinaufgestellt ohne Halt und ohne Standort? Ist er nicht von der Wirklichkeit gänzlich geschieden, damit aber auch von Gott gelöst? Der Wahrheit nicht glauben, das ist Selbstverneinung, Selbstverstümmelung, Selbstmord in der schwersten Form. Dieser Dolchstoß verletzt das Innerste in uns. Damit ist die Grenze zwischen Unwissenheit und dem Glauben überschritten. Für die Unwissenheit ist die Wahrheit verhüllt, dem Unglauben ist sie gezeigt. Auch unsre Unwissenheit verführt uns zum Streit gegen die Wahrheit und darum ist sie eine Gefahr. Sind wir gewohnt, ihr zu widersprechen, weil sie uns verhüllt war, so ist die Gefahr ernst, dass wir uns auch dann gegen sie wenden, wenn die Hölle von der Wahrheit fällt und ihr Strahl in unser Inneres dringt. Können wir aber der Wahrheit glauben? Ist sie nicht schrecklich? Müssen wir sie nicht fürchten und hassen? Wer wagt es, sich selbst anzusehen? Wer hält es aus, die Menschen zu sehen, wie sie sind? Stirbt nicht die Freude und stirbt nicht die Liebe da, wo die Wahrheit erscheint? Ich sage euch die Wahrheit, sagt uns Jesus, und ich sage euch nicht im Dienst des Zorns, der das Verborgene enthüllt, um euch zu schänden, und das Versteckte ans Licht zieht, um euch zu richten. Ich sage euch die Wahrheit im Dienst der Gnade, die nicht ernied-rigt, sondern erhöht. Ich zeuge euch die Wahrheit nicht, damit ihr an ihr sterbet, sondern damit ihr durch sie lebt. Denn die Wahrheit, die Jesus uns sagt, zeigt uns nicht nur, was im Menschen ist, sondern zeigt uns auch Gott in seiner wahrhaften Gerechtigkeit und seiner wahrhaften Gnade, und darum ist die Wahrheit, die Er uns sagt, die uns belebende Macht.

Licht des Lebens, Herr Jesus, ist Dein Name, rettende Wahrheit Dein Geschenk. Die menschlichen Künste, die die Wahrheit verhüllen, kenne ich wohl; ich sehe sie nicht nur an den anderen, sondern finde sie auch bei mir. Wenn ich mich aber zu Dir halte, fallen sie ab. Ich stelle mich ohne Vorbe-halt und Ausflucht unter Dein Urteil und empfange ohne Widerrede Deine Gabe und bitte: Gib mir Teil am Geist der Wahrheit, durch den Du die Deinen regierst. Amen.

17. Oktober

Das Gesetz des Herrn erquickt die Seele. Die Gebote des Herrn erfreuen das Herz.
Psalm 19,8+9

Aus Gottes Hand kommt nichts, was uns quält und lähmt. Spricht sein Gesetz zu mir, dann will ich es mit frohem Jubel begrüßen. Gottes Willen kennen, – ich wäre ja ein gottloser Narr, wenn ich Ihm dafür nicht mit ganzer Seele dankte. Gottes Willen tun, – ich müsste meine eigensüchtige Begeh-rung zu meinem Willen machen, wenn ich das eine Last hieße, die mich bedrückt. Oder habe ich mich jetzt von Paulus getrennt und seine Warnung vergessen, die mir nicht zulässt, dass ich mich auf das Gesetz stütze und im Gesetz meinen Heiland suche, der mich in Gottes Wohlgefallen brin-gen soll? Die Übertretung, sagt mir Paulus, entsteht am Gesetz, und ich weiß, dass es so ist. Aber die Sünde entsteht deshalb am Gesetz, weil es Gottes gute Gabe ist. Weil das Gesetz heilig ist und das Gebot heilig und gerecht und gütig ist, darum ist mein Widerspruch gegen das Gebot Schuld. Versündigung entsteht aber nicht nur am Gesetz, sondern an jeder Gabe Gottes, an den natürlichen wie an den geistlichen. Weil Gott mir meinen Leib gegeben hat, kann ich ihn missbrauchen. Weil er mir die Lebensmittel reicht, kann ich mich an meinen Besitz verkaufen. Weil mir die Vergebung geschenkt ist, kann ich Gottes Gnade zuchtlos verderben. Weil wir das Evangelium haben, kann ich aus ihm einen eigensüchtigen Ruhm und boshaften Zank machen. Sind deshalb Gottes Gaben nicht die Erquickung meiner Seele und die Freude meines Herzens? Wie ich das Evangelium nicht schel-ten darf, weil ich mich an ihm versündige, so darf ich Gottes Gesetz nicht missachten, weil ich ihm widerstrebe. Mich habe ich zu schelten, nicht das Gesetz, mich zu hassen, nicht meine Pflicht. Das tiefe, mich reinigende Leid, das das Gesetz mir bringt, wird mir gerade dann zuteil werden, wenn ich mich auch an ihm freuen kann und es im tiefsten Inneren verspüre: Dein Gesetz erquickt die Seele.

Schmerzen und Bitterkeit entstehen, wenn ich auf mich selber sehe. Erquickung und Freude ent-springen an dem, was Du uns gibst. In Deinem Gebot, Herr, Gott, das uns kundtut, wie wir Dir ge-horchen, leuchtet Deine göttlich große Gnade. Ich bitte Dich, mache es in mir zum Gesetz des Geis-tes, das mich mit Kraft dir folgsam macht. Amen.

18. Oktober

Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend.
Psalm 25,7

Die Sünden der Jugendzeit, die ersten Erfahrungen des Zwiespalts zwischen unserer Neigung und unserer Pflicht, zwischen der Begehrung und dem göttlichen Gebot, bringen dem Gewissen tiefe Wunden bei. Auch Paulus hat von der Stunde, in der das Gebot seinen Wünschen entgegentrat und er sein Begehren gegen das Gebot festhielt, gesagt, dass er damals gestorben sei, weil damals die Sünde lebendig wurde und es unmöglich ist, dass der Mensch und die Sünde zusammenleben. Spä-ter stumpft die Gewöhnung unser Empfinden ab und wir lernen es nur zu gut, das Sündigenmüssen als die unabwendbare Notwendigkeit zu ertragen, in die wir uns zu fügen haben. Die peinliche Not, die die jugendlichen Sünden uns bereiten, hat deshalb starken Grund, weil sie mit folgenreicher Macht den Gang unseres Lebens bestimmen. Diese Zusammenhänge treten bei der rückwärts bli-ckenden Betrachtung unseres Lebens deutlich hervor und nötigen uns immer wieder auch im gereif-ten Leben zu der Bitte, die für die Sünden der Jugend die Vergebung erfleht. Wenn unsere ganze Geschichte durch sie bestimmt wird, machen sie es uns schwer, an die Vergebung zu glauben. Wie ein Widerspruch stellt es sich uns dar, Vergebung und fortwirkende Macht der Verfehlung. Besteht nicht die Vergebung darin, dass die Folgen des Sündigens getilgt werden und unserem Fall die Macht genommen wird, uns zu verderben? Und doch gibt es manchen, der zeitlebens unter seinen jugendlichen Sünden leiden muss. In der Tat beendet Gottes Vergebung die uns verderbende Macht des Bösen und seine Gnade wandelt unseren Fall in Segen. Dazu benützt seine Gnade aber auch das Leid, das wir uns mit unserem Sündigen bereiten. An ihm zeigt sie uns die Verwerflichkeit unseres verkehrten Handelns und bringt uns dazu, dass wir mit Ernst nach Gott verlangen. Dabei darf uns die Erwägung den Mut stärken, dass sich im jugendlichen Handeln Unwissenheit und Sünde innig durchdringen. Der jugendliche Sünder versteht sich selber nicht; sein Bewusstsein ist noch nicht so hell, dass er es erfasste, was geschieht. Darum dürfen wir in der Erinnerung an das, was in unserer Jugend geschah, an das Wort Jesu denken: „Vergib ihnen; sie wissen nicht, was sie tun.“ Weil sich der Psalmist aber mit redlichem Herzen vor Gott stellt, lehnt er es ab, sich damit zu entschuldigen, dass er damals noch jung gewesen sei. War ihm damals noch verhüllt, was er tat, jetzt weiß er, dass es Sünde war, und er weiß auch, dass es auch für jene Sünden keine andere Heilung gibt als die, die uns Gott dadurch gewährt, dass er uns gnädig verzeiht.

Vor Dir, Herr, Gott, will ich nichts verbergen, nichts entschuldigen. Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so bist Du treu und gerecht, dass Du sie uns vergibst. Muss ich unter ihren Folgen lei-den, so erkenne ich auch darin Deine Gnade; so ziehst Du mich zu Dir. Amen.

19. Oktober

Ich betäube meinen Leib und bezähme ihn, dass ich nicht den anderen predige und selbst verwerflich werde.
1. Korinther 9,27

Die anderen wachsen uns ans Herz, wenn uns die Liebe Jesu treibt. Unablässig beschäftigen sie unsere Gedanken. Wir sorgen für die, leiden mit ihnen, arbeiten für sie, beten für sie. Das ist Chris-tenrecht und Christenpflicht. Habe ich nicht auch für mich zu sorgen? O ja, sagt Paulus; das ist nicht Gottes Meinung, dass du anderen das Heil Gottes zeigst und es selbst verlierst, anderen Men-schen Gottes Willen in die Seele legst und ihn selbst übertrittst und andere in die Gemeinde der Erlösten führst und selbst draußen bleibst. So entstände aus meiner Arbeit ein hässlicher Wider-spruch. Ich kann die selbstlose Art der Liebe nicht dadurch herstellen, dass ich mich selbst zerstöre. Wie kann ich anderen helfen, wenn ich selbst hilflos bin? Um zu geben, brauche ich eigenen Besitz; um zu lehren, ist mir Erkenntnis unentbehrlich. Soll ich anderen das Wort Gottes sagen, muss es zuerst zu mir selber reden. Unser Verkehr miteinander bleibt nur dann in der Ordnung Gottes, wenn wir alle dabei gedeihen, der Lehrende und der Lernende, der Gebende und der Empfangende, der, der ein Amt hat, und die, für die er es hat. Das zeigte Paulus den Korinthern auch an der Unentgelt-lichkeit seines Wirkens. Freilich war es die Liebe, die ihn zu diesem Verfahren trieb. Den bösen Verdacht trieb er dadurch weg, als zöge er seines Gewinns wegen von Stadt zu Stadt, und brachte in den Gemeinden die Arbeit zu Ehren, damit sich keiner an die Gemeinde hänge, um ihre Liebe zu missbrauchen. Was er aber für die anderen tat, das tat er zugleich für sich. Weil er keine Gaben an-nahm, kam er oft in peinliche Lagen und es gab manchen Tag, an dem er darben musste. Er will aber nicht, dass die Korinther ihn deshalb bedauern. Die harte Zucht, in die er seinen Leib nimmt, ist heilsam für ihn selbst. Dadurch blieb er der Freie, den kein leibliches Bedürfnis knechten und hemmen kann. So einigt er die Sorge für sich selbst mit dem, was er den anderen tut, auch jetzt, da er in besonderem Maß der Gebende ist, der keine Gegengabe begehrt.

Herr, Gott, unser aller Vater! Du hast die anderen neben mich gestellt, damit ich für sie lebe, und hast mir selbst dein Wort geschenkt, damit es mir Dich offenbare und mich ins Leben führe. Ich begehre Deine Gaben für die, die Du mit mir verbunden hast, und ich begehre sie für mich von Dir, der Du reich bist für uns alle. Behüte uns alle vor dem, was uns verdirbt. Amen.

20. Oktober

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt. Geduld aber bringt Bewährung. Bewährung aber bringt Hoff-nung.
Römer 5,3+4

Paulus hat das Rühmen hinausgesperrt und seine verächtliche Hässlichkeit gründlich erkannt. Gera-de deshalb war niemand des Rühmens so voll wie Paulus. Es gibt nichts, was ihn nicht stärkt. Über-all empfängt er die Mehrung des Glaubens, die Erhebung der Seele zum Lob Gottes, vertiefte Anbe-tung, erhöhte Freude. Das bereitet ihm sogar der Druck, den der Widerstand der Menschen auf ihn legt. Wie peinlich war er! Er verengt seine Arbeit und umringt ihn mit einer Mauer, die ihn zu den Menschen kommen lässt. Trübsale, das sind bei ihm Synagogen, vor deren wildem Geschrei er wei-chen muss, Städte, die ihm ihre Tore verschließen, Beamte, die ihn misshandeln, ganz Israel, das sich mit einmütigem Hass gegen ihn empört. Wir würden schon dann staunen, wenn er nichts weiter täte, als dass er die Klage unterdrückte und die ihm auferlegte Last in stiller Ergebung trüge nach der Weise des Psalmisten, der zu seiner Seele sagte: „Was bist du so unruhig in mir, harre des Herrn.“ Paulus bleibt aber nie auf halbem Weg stehen, sondern ist immer entschieden und gewinnt an dem, was ihm widerfährt, nicht nur die Ergebung, sondern den Ruhm. Den natürlichen Bestand des Lebens bewahrt er dabei unversehrt und bereitet sich den Ruhm nicht durch seine Künstelei. Nicht deshalb rühmt er sich der Bedrängnis, weil sie ihn nicht drückt; vielmehr deshalb, weil sie Bedrängnis ist und ihn beständig mit peinlichen Schmerzen belädt, wird sie sein Ruhm. Er erprobt an der Wucht des gegen ihn geführten Stoßes die Festigkeit dessen, was Gott in ihm geschaffen hat. Verschließt sich ihm die Welt, so sieht er, dass er von ihr frei geworden ist. Widerstehen ihm die Menschen, so erfährt er, dass er im Christus lebt und mit seiner Kraft seine Arbeit tut. Er dachte aber nicht nur daran, dass ihm selbst und mit ihm allen denen, die mit ihm leiden, die Standhaftig-keit und Bewährung zuteil wird; denn er vergisst nicht, dass die Bedrängnis seine Arbeit hemmt und seinen Dienst verhindert. Dennoch wird sie ihm zum Grund des Ruhms, weil aus ihr die Hoffnung entsteht. Für sich hofft er, dass er als im Leiden bewährt des Reiches teilhaft werde und den Kranz der Gerechtigkeit empfange, jedoch nicht nur für sich, so dass er nur auf seine eigene Vollendung hoffte, sondern er denkt an Gottes große Ziele. Indem ihm aus der Tiefe der Schmerzen das große Hoffen mit verstärkter Kraft aufsteht, leuchtet über allen Hemmungen seiner Arbeit die Gewissheit: der Herr vollendet sein Werk.

Mir wird bange, wenn ich betrachte, was die Welt mir zeigt. In ihr ist viel Schreckliches zu sehen, viel Zerstörung, viel quälender Jammer, viel Teufelei. Was soll mir dieser Jammer geben? Die Hoffnung, Herr, heiliger Gott, die sich Deiner Verheißung freut. Du bist der Herr über allem Tu-mult des Menschen und vollbringst Deinen Willen. Das ist unser Ruhm. Amen.

21. Oktober

Sie sprachen: „Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig.“
Apostelgeschichte 16,31

Was sich in jener Nacht im Gefängnis zu Philippi zutrug, das hat zunächst nur den Kerkermeister mit Paulus zusammengebracht. Seien Frau, seine Kinder, sein Gesinde, sein Haus waren durch das, was geschah, noch nicht berührt. Der Hausvater allein war erschüttert und zur Frage getrieben, was er tun solle, damit er selig werde. Lag denn irgendwelche Bürgschaft dafür vor, dass das, was er empfing, auch in sein Haus hinüberströme? Aber Paulus zweifelt nicht, sondern greift sofort nach dem ganzen Haus des Kerkermeisters. Er trennt den Mann nicht von denen, mit denen er zusam-menlebt. Indem er ihm die Verheißung gibt, gilt sie nicht ihm allein, sondern ihm und seinem Haus. Der Vorgang zeigt besonders deutlich, wie gläubig Paulus im natürlichen Geschehen Gottes Wirk-samkeit erfasst und geheiligt hat, nicht nur dann, wenn der natürliche Prozess ohne unsere Mitwir-kung vor sich geht, sondern auch dann, wenn unser eigener Wille mit seiner Blindheit und Bosheit an unserer natürlichen Lage beteiligt ist. Das Gefängnis von Philippi war kein sonniger Ort und die Familie, die dort heimisch war, lebte in tiefem Schatten. Grund zum Zweifeln und Fragen lag reich-lich vor; wie kam wohl diese Ehe zustande und wie sieht die Frau des Kerkermeisters aus und was haben sie aus ihren Kindern gemacht? Aber Paulus kennt kein Zaudern und kein Zweifeln. Sie sind verbunden, sind ein Haus; in ihrem Haus kehrt Gottes Gnade ein. Sie kehrt aber dazu bei ihnen ein, damit ihr geglaubt werde. Nicht so wird sie zum Besitz der Familie, dass sie nur ein Gemeingut bliebe, das sich dem Besitz und Gebrauch der Einzelnen entzieht. Vielmehr entsteht aus der Ge-genwart der göttlichen Gnade der persönliche Anspruch, der sich an alle Glieder des Hauses richtet und sie alle zum Glauben beruft. Glauben kann nicht das Haus, sondern die, die es bilden, und Pau-lus hat oft die Erfahrung gemacht, dass die natürliche Gemeinschaft durch das Evangelium zer-sprengt wurde. Er musste die Glaubenden von der ehelichen Pflicht entbinden, wenn ihre Gatten ungläubig blieben. Du weißt nicht, sagte er, ob du deinen Mann retten wirst. Doch dies war erst die zweite Möglichkeit, die dann eintrat, wenn der menschliche Widerstand das Ziel des Evangeliums vereitelte. Zunächst hat Paulus in der natürlichen Gemeinschaft ein Mittel gesehen, durch das die göttliche Gnade von einem zum anderen hinübergeht.

Ich stehe an meinem natürlichen Ort, lieber Gott, nicht in der Ferne von Dir, sondern da, wo Du mich hingestellt hast, und hier an meinem natürlichen Ort besucht mich Deine Gnade durch Dein Wort und durch die Gemeinschaft Deines Geistes. Nichts zerstört Deine Gnade, was Du geschaffen hast. Was Du durch die Natur mir verleihst, das heiligst Du durch Deinen Geist, füllst es mit Deiner Gnade und machst es Deinem Willen dienstbar. Darum schulde ich Dir, Herr, Dank für alles, was ich habe, für das, was die Natur mir gibt, und für das, was Dein Geist mir schenkt. Amen.

22. Oktober

Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst.
Matthäus 16,24

Bei jedem Schritt, den ich tue, berate ich mich mit mir selbst. Ich höre auf das, was ich als Glück empfinde und als Schmerz fürchte. Ich erwäge, wie weit meine Mittel reichen, und stelle fest, was meine Lage von mir verlangt. Ohne diese Beratung mit mir selbst kann ich nicht handeln und sie ist wichtiger als jede Beratung mit anderen Menschen; denn ihr Rat kann mir dazu helfen, dass ich mich selber richtig berate. Denn sie kennen mich nicht so, wie ich mich kenne. Nun trifft mich Jesu Wort wieder wie ein Blitz. Höre nicht auf dich, sagt er; tue nicht, was du dir rätst, folge nicht dei-nem eigenen Urteil, deinem eigenen Empfinden, deinem eigenen Begehren. Verleugne dich. Wenn du einen anderen verleugnest, sagst du: ich kenne ihn nicht und habe keine Gemeinschaft mit ihm. Sage dir selber die Gemeinschaft auf. Was soll denn, lieber Herr, mich leiten? Du willst ja, sagt er, mir nachfolgen. Nun sage dir nicht selber, was du tun willst, sondern lass mich es dir sagen, und miss die Dinge nicht nach deinem Maß, sondern empfange das Maß von mir, mit dem du deine Ent-schlüsse formst. Ob dein Weg dir gefällt, daran liegt nichts; deine Sorge kann nur sein, dass er mir gefällt. Wieder zeigt mir Jesu Gebot seine Herrlichkeit. Stände er neben mir in derselben Entfer-nung von Gott wie ich, dann brauchte ich nicht mich selbst verleugnen, um ihm zu gehorchen. Dann meinten wir dasselbe und handelten aus denselben Beweggründen. Nun denkt er aber an das, was Gottes ist, und ich an das, was des Menschen ist. Er will das, was Gott verherrlicht, und ich das, was mir nützt. Er handelt in der Liebe und ich in meiner natürlichen Eigensucht. Darum gibt es zwi-schen uns keinen gemeinsamen Rat, sondern für mich gibt es nur die Unterweisung unter den sei-nen, und damit ich das fertig bringe, ziehe ich mein Vertrauen von mir weg und bin nicht für mich selbst die Autorität, der ich folge, sondern höre auf ihn und glaube ihm.

Ich habe es oft erfahren, dass ich mir selbst nicht trauen kann, habe es aber auch reichlich erfah-ren, dass ich Deinem Wort trauen darf. Du bist das Licht der Welt. Das Licht leuchtet nicht in mir, gibt mir aber die beleuchteten Augen, wenn Dein Licht mich bescheint. Amen.

23. Oktober

Will mir jemand nachfolgen, so nehme er sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Matthäus 16,24

Jesus verpflichtete die Seinen zum Sterben. Als er ihnen den Ausgang zeigte, der in Jerusalem auf ihn wartete, sagte er ihnen: mein Kreuz zeigt euch, wohin ich euch führe. Als die Ausgestoßenen, Verfluchten, zum Tod Verurteilten geht ihr hinter mir her denen gleich, die ihre Kreuze zum Richt-platz tragen. Für solche ist die Welt vergangen und das Leben abgeschlossen; was sie noch vor sich haben, ist nur Schmach und Schmerz und Tod. Das sagte der Herr denen, die er zu Israel sandte, damit sie in heißem Ringen in Jerusalem ausharrten, bis die letzte Möglichkeit, das Wort Jesu zur Judenschaft zu bringen, erschöpft sei. Sagt dieses Wort auch mir etwas, was zum Evangelium Jesu gehört und für keine Zeit die Geltung verliert? Wie feierlich hat Jesus vom Sterben gesprochen, mit dem das Leben gewonnen sei, während es verloren gehe, wenn wir unser Leben erhalten wollen! Galt dies nur seinen ersten Boten oder steht es als Gottes heilige Ordnung über uns allen? Trete ich zu Jesus hinzu, so bedeutet das die Trennung von allem, was mich ohne ihn berührt und beherrscht. Das schneidet durch alle menschlichen Beziehungen durch und löst mich von allen natürlichen Zie-len ab. Wenn ich aber die natürlichen Güter hinter mir lasse, so trete ich auf jenen Weg, der zum Sterben führt, und wenn ich den Menschen nicht über mich Herr sein lasse, so mache ich ihn zu meinem Feind. Ich kann nicht auf die Freundschaft der Welt verzichten, ohne dass sie mir zur Fein-din wird. So kommt auch zu mir, was Jesus das Kreuztragen nannte. Er legt es uns deshalb auf, weil er selber es trug. Er ging in das Leben durch das Sterben; darum besteht auch der Christenstand in der entschlossenen Bereitschaft zum Sterben. Er war nicht von der Welt und ließ sich von ihr nicht führen und wurde nicht ihr Knecht. Darum besteht auch unser Christenstand in der Trennung von der Welt. Er hatte sein Ziel nicht im Bereich der Natur, sondern schritt ins ewige Leben hinüber. Darum zieht auch uns der Christenstand von allem weg, was unser Fleisch und Blut begehrt, und zeigt uns unser Ziel im ewigen Leben. In diesem Sinn wird auch für uns alle das Leben aus dem Tod geboren.

Dass wir dem Bösen entsagen, das, lieber Herr, ist ganz und gar Gnade und der Natur gemäß. Schwer wird es uns aber, auch auf das Gute zu verzichten, das die Natur uns bereitet, und das Schöne zu missen, das wir bei den Menschen finden. Vor dem Sterben bangt die Seele. Nun gilt es, Dir zu glauben, willig zu entsagen und den Blick auf Dich zu richten, der Du zum Heil der Welt das Kreuz getragen hast. Amen.

24. Oktober

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Psalm 121,1+2

Wenn der Blick des Psalmisten sich zu den Bergen wendet, so bewegt ihn eine Frage und er sagt uns, was ihn umtreibt. Er sucht die Hilfe. Darum sieht er hinaus in die weite Ferne und hinauf zu den höchsten Höhen, die seinem Blick erreichbar sind. Aber sein Blick bleibt nicht an den Gipfeln und Kämmen der Berge hängen, als könnte sich dort eine Heerschar zeigen, die Israels Schutz und Schirm wäre. Höher empor erhebt er das Auge und sucht nicht im irdischen Umkreis den Helfer. „Meine Hilfe kommt vom Herrn.“ Nur einer ist der Helfer, der, der den Himmel und die Erde ge-macht hat. Nun hat aber seine bange Frage die Antwort und sein spähender Blick sein Ziel gefunden und er weiß, woher die Hilfe kommt, nicht nur vielleicht, nicht nur hoffentlich, sondern sie kommt von Gott, und sie kommt deshalb von ihm, weil der Himmel und die Erde sein Werk sind. Deshalb gibt es keine Not, die ihn ohnmächtig machte, keinen Feind, der ihn hindern könnte, und keine Schranke, die seine Güte einengte. Aus der Schöpferherrlichkeit Gottes folgt die Fülle seiner ewi-gen Gnade.

Ich mache es, wie der Psalmist es mir sagt, und sende meinen Blick in die Höhe, über alles Irdische und Menschliche empor, empor auch über alles, was die Natur mir zeigt, empor zu Dir, mein Schöpfer und mein Vollender. Amen.

25. Oktober

Da sang Mose und die Kinder Israel dies Lied dem Herrn und sprachen: „Ich will dem Herrn singen; denn er hat eine herrliche Tat getan. Ross und Mann hat er ins Meer ge-stürzt.“
2. Mose 15,1

Dass Pharao samt seinen Kriegern und Rossen im Meer ertrank, das wurde für Mose und für die lange Reihe der folgenden Geschlechter zum Wahrzeichen Gottes. Für Mose legte nicht die Natur einen Schleier auf Gottes Antlitz und von den Göttern der Völker war er gänzlich los. Für das Göt-terbild, auch wenn es golden war, hatte er keine Verehrung; ein solcher Gott hat über sein Bild hin-aus keine Wirklichkeit. Aber der Mensch mit seiner Herrschermacht, mit seinen Tod wirkenden Waffen, mit seinem Anspruch, über Leben und Tod zu verfügen, stellte sich vor Mose und Israel an Gottes Stelle. Darum war es ein heiliger Tag, der lauten Jubel schuf, als er samt seinen Waffen im Meer verschwand. Auch dies ist am Sternenhimmel der Schrift ein hell leuchtendes Gestirn. Denn der Mensch wird für den Menschen das gefährlichste Hindernis, das ihm den Zugang zu Gott ver-sperrt. Wenn sich der Mensch zum Pharao macht, der auf die anderen ohne Erbarmen den harten Frondienst legt, dann wird es schwer, diesen sichtbaren Herrn und seine harte Faust zu vergessen und sich dem himmlischen Herrn zu ergeben. Wenn ein eigensüchtiger Bösewicht die Vaterpflicht mit Füßen tritt, dann ist der Vatername so entweiht, dass er für manchen für immer einen hässlichen Klang behält, auch dann, wenn er den himmlischen Vater anrufen soll. Mein Beruf, den ich als Mensch empfangen habe, ist der, Gottes Zeuge zu sein. Wenn ich ihn in sein Gegenteil verkehre und aus mir all das mache, was an einem Geschöpf Gottes nicht sichtbar sein soll, dann ist es ge-recht und vollständig begründet, dass diese angemaßte Größe in einem Sturz ende, und dieser Sturz schafft dann ein Loblied, das durch alle Zeiten klingt, nicht weil hier ein Mensch versank, sondern weil Gott ihn ins Meer warf und an dem, der ihn verdrängen wollte, seine Gottheit sichtbar macht.

Es ist kein Trotz so stark, dass Du ihn nicht zerbrichst, und kein Unglaube so fest, dass er Dich nicht fürchten lernt. Jedes Knie wird sich vor dir beugen. Deiner Christenheit hast Du es gegeben, dass sie Dich nicht erst in den Schrecken Deines Gerichts anbete, sondern in der Freiheit des Glaubens, der deine Gnade schaut. Amen.

26. Oktober

Er wird uns auch hinfort erlösen durch die Hilfe eurer Fürbitte.
2. Korinther 1,11

Bei manchem Schicksal fragen wir, wozu es zu uns komme. Diese Frage hat Paulus nie gequält; für sie hat er stets die Antwort bei der Hand gehabt. Warum kam er in eine Lage, in der er, wie er sagt, bereits auf das Leben verzichtete und meinte, er sei unrettbar dem Tod verfallen, worauf die Gefahr dennoch vorüberging? Solche Erlebnisse kommen nicht umsonst. Durch sie entsteht das, was Gottes Regierung uns geben will, Gebet, zuerst die Bitte, die die Hilfe sucht, dann der Dank, und dies so, dass beides nicht bloß die Sache des Einzelnen bleibt, sondern die Christenheit zum gemeinsamen Handeln vereint. Durch die Weise, wie Paulus die Gemeinde gesammelt hatte, war sie so mit ihm verbunden, dass seine Gefahr auch ihr Bitten und seine Rettung auch ihr Danken schuf, und in die-sem gemeinsamen Gebet, das alle durch dieselbe Bitte und denselben Dank verbindet, erkennt Pau-lus ein so großes Gut, dass er um seinetwillen zu jeder Gefahr bereit gewesen ist. Das ist der Sinn jeder Erfahrung, sei sie Glück oder Leid, dass sie unseren Blick auf Gott richtet, und dies ist der Sinn der Gemeinschaft, in die wir miteinander gebracht sind, dass wir gemeinsam mit einträchtigem Verlangen unsere Herzen zu Gott erheben.

O Herr, ich habe viel zu bitten und noch mehr Grund zum Danken. Ich kann es nicht, wie ich möch-te, tue es aber mit meiner geringen Kraft, nicht nur für das, was Du mir sendest, sondern auch für das, was Du uns allen gibst. Was sie hemmt und beschwert, bringe ich vor Dich, und für das, was Du ihnen als Segnung und Hilfe gibst, sei Dir Dank gesagt. Amen.

27. Oktober

Durch den Glauben merken wir, dass die Welt durch Gottes Wort hergestellt ist, damit das, was man sieht, nicht aus dem, was sichtbar ist, entstanden sei.
Hebräer 11,3

Wir erkennen und begreifen durch den Glauben; denn er bewegt unsere Gedanken. Er beschenkt uns nicht nur mit Staunen und Fragen, sondern mit Erkenntnis, weil die Gewissheit Gottes durch den Glauben so in unser Inneres hineingepflanzt ist, dass sie alle unsere Kräfte bewegt. Darum lässt es uns der Glaube nicht zu, dass wir nur beim Sichtbaren verweilen. Wie reizvoll ist die unermessli-che Fülle dessen, was für uns Sicherheit besitzt! Unsere Beobachtung kann sich auch ins Einzelne und scheinbar Kleine so vertiefen, dass sie sich ganz hineinversenkt, weil sie nie an ein Ende ge-langt, bei dem sie den ganzen Vorgang restlos erfasst hätte. Allein ich kann nicht mehr in die Natur versinken, wenn mein Denken unter der Leitung des Glaubens steht. Was mir die Sinne zeigen, kann ich nicht unverbunden für sich neben die Gewissheit Gottes Stellen, die mir im Glauben gege-ben ist. Nun geht mein Blick zu dem empor, aus dem und zu dem alle Dinge sind, und damit habe ich auf die Frage, woher die Dinge kommen, die Antwort und damit habe ich auf die Frage, woher die Dinge kommen, die Antwort erhalten: sie sind durch Gottes Wort entstanden. Das bedeutet nicht, dass ich Hypothesen mache, Theorien anstelle und Systeme bilde. Das ist nie das Geschäft des Glaubens. Mit ihm ist mir Gewissheit gegeben, nicht schwankendes Vermuten. Er entsteht durch das, was ich empfange, nicht durch das, was ich selbst bewirke. Das aber weiß ich als Glau-bender, dass über dem Sichtbaren Unsichtbares steht und die Vernünftigkeit des Geschehens durch Gottes Wort zustande kommt, mit einem Wort, dass die Welt einen Schöpfer hat. Dadurch wird mein ganzer Verkehr mit der Welt von Grund aus neu. Sie gilt mir nicht mehr als die einzige Wirk-lichkeit, als das Erste und das Letzte. Solange ich in meiner Erkenntnis und in meiner Begehrung nur nach dem Sichtbaren greife, bin ich abwärts gebeugt und suche unter mir für meinen Geist die Füllung und für mein Leben den Gehalt. Aus dieser nach unten gebeugten Haltung richtet mich der Gedanke auf. Das ist Gnade, die sich durch die Gewährung des Glaubens an uns offenbart.

Auf Dein Wort, unser Schöpfer und unser Vater, zeigt auch die Natur hin. Sie kann es mir nicht sa-gen, sagt mir aber das, dass Dein Wort die schaffende Macht ist und eine unendliche Fülle umfasst. Dieselbe Macht und Herrlichkeit hat Dein Wort auch dann, wenn es zu uns spricht und uns zu Dei-nen Kindern macht. Amen.

28. Oktober

In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: „Wir sind seines Geschlechts.“
Apostelgeschichte 17,28

Das Wort des Dichters: Wir sind Gottes Geschlecht, dem Paulus seine Zustimmung gibt, bedeutet nicht nur, dass unser Ursprung in Gottes Schaffen liegt. Denn Gott gleicht nicht einem Menschen, der, nachdem er der Ahnherr seines Geschlechts geworden ist, verschwindet. Sind wir sein Ge-schlecht, so besteht zwischen uns und ihm ein Zusammenhang, der uns mit ihm verwandt macht und uns etwas Gemeinsames mit ihm gibt. Es wird uns aber schwer, in der Menge der Menschen, wie sie sind, Gottes Geschlecht zu ehren. So wie wir sie nicht nur aus der Ferne betrachten, sondern in wirklichen Verkehr mit ihnen treten, vergeht uns rasch die Erinnerung an ihre Zugehörigkeit zu Gottes Geschlecht. Auch Paulus wendet den Blick von allem weg, was der Mensch eifrig zur Schau stellt und laut preist. Er spricht nicht von der menschlichen Sprache, Wirtschaft, Kunst und Religi-on; er nennt aber drei Dinge, Leben, Bewegung, Dasein als das, was der Mensch nur dadurch haben kann, dass er an Gott hängt. Schon das Dasein, unser erstes, einfachstes Merkmal, macht Paulus zum Zeichen unserer Verbundenheit mit Gott. Denn das Wirkliche entsteht durch den Wirker aller Wirklichkeiten. Auch der Mensch, von dem ich mich mit Abscheu wegwende, ist nicht vorhanden ohne Gott. Weiter, wir bewegen uns und haben nicht das gebundene, unbewegte Dasein der ruhen-den Natur. Wie peinlich ist uns oft die Weise, wie die Menschen sich bewegen! Hielten sie sich doch still, seufzen wir. Dass aber aus ihrem Dasein eine stetige Tätigkeit wird mit unablässiger Be-wegung, das haben sie von Gott. Die Formel „Bewegung“ reicht aber noch nicht aus, um auszu-sprechen, was den Menschen als Gottes Werk kennzeichnet; er lebt! Seine Bewegung kommt aus dem, was er inwendig ist. Dort hat er ein Bewusstsein, das ihm zeigt, was er ist und tut, und dort hat er den Willen, der aus seinen Bewegungen seine Taten macht. Wie könnte der Mensch lebendig sein ohne Gott? Ehre das Wirkliche, ehre die arbeitsame Beweglichkeit und gib ihr Raum, ehre das Leben. Das sind die Markenzeichen des Zusammenhanges, durch den der Mensch an Gott hängt, auch wenn du, was er tut, nicht lieben kannst und nicht lieben darfst.

Wohin mein Weg mich führt, überall bin ich bei dem, was Dir gehört, der Du unser Schöpfer und Vater bist. Welcher Mensch es sei, der mir begegnet, er gehört zu seinem Geschlecht. Wecke mir den Blick, dass ich nicht bloß die Bosheit und die Schande der Menschen sehe, sondern in der Wahrheit bleibe, die mir sagt, dass sie, solange sie sind und leben, Dir gehören. Amen.

29. Oktober

Gott machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen und reinigte ihre Herzen durch den Glauben.
Apostelgeschichte 15,9

Unrein sind sie, sagten die Juden von den anderen Völkern und schlossen ihnen damit die Türe zur Gemeinde zu. Aber das Urteil des Menschen hat hier keine Geltung. Petrus fragte: wie urteilt Gott? Und er antwortet: Er hat uns rein gemacht. Wieso kann dies Gott, da sein Gesetz sie unrein heißt? Gibt es denn in Gott einen zwiespältigen Willen, einen, der sie durch das Gesetz als unrein verwirft, und einen anderen, durch den sie jetzt rein werden? Gott, antwortet Petrus, sprach nicht nur zu den Alten, sondern spricht auch zu uns. Er ist der Voranschreitende und Neues Schaffende. Was einst geschah, setzt ihm keine Grenzen. Denn das, was er im Gesetz vorschrieb, ist nicht das Ziel und Ende seines Vermögens. Die einst Israel gewährte Gabe ist nicht sein ganzer Reichtum. Auf das haben wir, sagt Petrus, zu achten, was Gott jetzt tut, und jetzt macht er auch Heiden rein. Sprach der Jude von der Reinheit, so dachte er an seine körperlichen Zustände. Mit dem reinigenden Bade gab er seinem Leib diejenige Beschaffenheit, die ihm erlaubte, vor Gott zu treten. Petrus hatte aber von Jesus gelernt, woher die Unreinheit des Menschen kommt, die wirklich vor Gott entehrt. Sie ent-steht in unserem Herzen und dort hat Gott die Heiden gereinigt. Nur das rein gemachte Herz hat diejenige Reinheit, die uns den Zugang zu Gottes Heiligtum gewährt. Das gab ihnen Gott durch den Glauben. Der Glaube ist unsere Reinheit vor Gott; denn mit dem Glauben ist die Schuld gelöscht, der Wirrwarr des Herzens geheilt und der beständig sprudelnde Quell der inneren Unreinheit ver-stopft, weil wir uns mit dem Glauben empfangend und gehorchend in Gottes Hand legen. So trat die Gemeinde zusammen als die Genossenschaft der Reinen, die geheiligt sind, nicht auf Grund eines Urteils, das sie über sich selbst abgaben, sondern auf das göttliche Urteil gestützt, nicht im Besitz einer Reinheit, die sie sich selbst erwarben, sondern einer solchen, die Gott ihnen gab, die nicht ihr eigenes Verhalten erglänzen, sondern Gottes Gnade ans Licht treten ließ, die ihre Gaben den Glau-benden gibt.

Rein vor Dir zu stehen, dieses Dein Wunder, Herr, heiliger Gott, ist größer als dass ich es auszu-denken vermöchte. Ich kann nur eins, Dich anbeten mit Danksagung. Gib mir, dass ich es nicht nur für mich, sondern auch für die anderen festhalte, dass sie vor Deiner Gnade als die Reinen stehen, durch Glauben rein. Amen.

30. Oktober

Doch der Obersten glaubten viele an ihn; aber um der Pharisäer willen bekannten sie es nicht, dass sie nicht in den Bann getan würden. Denn sie hatten lieber die Ehre bei den Men-schen als die Ehre bei Gott.
Johannes 12,42+43

Je höher wir stehen, desto enger ist unsere Berührung mit dem Evangelium. Wenn eine große Ver-antwortlichkeit auf uns liegt, die das Schicksal vieler von unserem Verhalten abhängig macht, so wissen wir, was wir dem zu verdanken haben, der uns als sicherer Führer dient. Wächst die Pflicht, so wächst auch unsere Schuld und damit unsere Bedürftigkeit, die uns für die vergebende und hel-fende Gnade empfänglich macht. Mit der hoch gehobenen Stellung wird unser Sehfeld und der Ein-blick in das, was der Mensch ist und bedarf, deutlich. Mit der Klarheit des Blicks ist uns aber zugleich die Befähigung zum Glauben gegeben. Dies haben viele von denen gespürt, die Jerusalem damals regierten, als die Stadt über ihr Verhältnis zu Jesus und damit über ihr Schicksal die Ent-scheidung traf. Diese Vielen wussten, dass Jerusalems Heil oder Unheil an der Weise hing, wie sich Jerusalem zu Gott stellte, und das war das große Thema, über das Jesus mit ihnen sprach. Die Lage gab den Regierenden Grund zu bangen Sorgen, weil die Seele des Volks, umworben von verschie-denen Stimmen und nach entgegengesetzten Seiten gezerrt, in stürmischer Erregung war. Mit jedem Wort, das Jesus sprach, berührte er das Tiefste von dem, was die Regierenden bewegte, und brachte Licht in das, was sie quälte. Daher gab ihnen ihre Lage in besonderem Maß den Anlass zum Glau-ben. So wird auch heute jeder, der in hoher Stellung steht, durch einen besonders kräftigen Zug zu Jesus gezogen. Wenn er diesem Zug gehorcht, dient seine Macht ihm selbst und den anderen zum Heil; widersetzt er sich dagegen diesem Zug, so entsteht aus seiner Macht sein Fall und für die, die er führt, wird sie zur Not. An der hohen Stellung entsteht aber nicht nur die stark Berufung zum Glauben, sondern auch ein besonders schweres Hemmnis, das ihn unmöglich macht. Für niemand ist die Ehre unentbehrlicher als für die Regierenden. Ehrlos können sie nicht regieren. Trifft sie der Bann, der sie von der Gemeinde trennt, so sind sie in Ohnmacht versetzt. Die Menschen ehren sie aber nicht dafür, dass sie Jesus folgen und Gott untertan sind. Sie verlangen von ihren Regierenden die menschliche Größe, die Ehrung und Verherrlichung des eigenen Volks, die Darstellung dessen, was der Mensch zu leisten vermag. Weil mit der großen Macht die Gefahr groß wird, dass wir uns selbst bewundern und an uns selber glauben, darum macht der Besitz der Macht uns den Glauben an Jesus schwer. Als sich der Jüngling, der gehofft hatte, Jesus werde ihn ins ewige Leben führen, von Jesus trennte, nannte es Jesus unmöglich, dass ein Reicher ins Reich Gottes trete. Mit großer Macht verhält es sich nicht anders als mit großem Besitz. Als aber die Jünger erschraken, weil sie nur an das Vermögen des Menschen dachten, sagte er: Was bei den Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott.

Aus Deinen guten Gaben, großer Gott, bereiten wir uns den Fall, weil wir das, was Du uns gibst, unserer Eigensucht übergeben und unsere Begehrlichkeit damit sättigen, und doch ruft mich jede Deiner Gaben, auch die, die Du mir durch die Natur verleihst, zu Dir. Ist es mir unmöglich, Dir ist es möglich, mir Deine Gnade so zu zeigen, dass sie mich durch Deine Gaben zu Dir führt. Amen.

31. Oktober

Haltet nicht dafür, dass der Glaube an Jesus Christus, unseren Herrn der Herrlichkeit, An-sehen der Person leide.
Jakobus 2,1

Woher rührt der Streit zwischen der Christenheit und Jakobus? Denn hier besteht Streit, da die Christenheit beharrlich sagt, die Weise, wie sie Gunst und Ungunst, Bevorzugung und Zurückset-zung austeile, habe mit dem Glauben an Jesus nichts zu tun; sie halte das Evangelium im Glauben fest, auch wenn sie das macht, was Jakobus verwirft und den Reichen wegen seines Kleids ehrt, den Armen dagegen wegen seines Kleides missachtet. Dieser Streit entsteht daraus, dass Jakobus und die Christenheit nicht an denselben Vorgang denken, wenn sie vom Glauben sprechen. Die Chris-tenheit heißt sich gläubig, weil sie das Evangelium gehört hat und kennt. Wenn ich damit zufrieden bin, dass ich den christlichen Unterricht erhielt und durch ihn erfahren habe, wie die Geschichte Jesu sich zutrug und was seine Botschaft uns sagt, dann wird freilich mein Verkehr mit den Men-schen von meinem Glauben nicht berührt und ich kann ihnen meine Gunst und Ungunst zuwenden, wie es mir beliebt; dann werde ich den Maßstab, nach dem ich sie schätze, aus meiner natürlichen, somit eigensüchtigen Begehrung schöpfen. Dagegen hat Jakobus nicht nur sein Wissen, sondern sich selber durch den Glauben in den Willen Jesu ergeben und im Glauben nicht nur Erinnerungen an Jesus in sich aufgenommen, sondern sich mit allem, was er ist und tut, unter den Herrn der Herr-lichkeit gestellt. Ihm macht es daher der Glaube unmöglich, dass er den Menschen nach seinem Besitz beurteile, um die Gunst des Reichen werbe und jemand wegen seines mangelhaften Rocks verachte; denn Jesus, dem er glaubt, hat auf der Erde nicht das Geld, sondern den Menschen ge-sucht. Damit ist jene Härte für ihn vergangen und wird als Sünde von ihm gerichtet, mit der wir den Armen ehrlos machen und den Reichen durch unsere Verehrung in seiner Gottlosigkeit bestärken. Denn Jesus, an den er glaubt, ist barmherzig und offenbart Gottes gnädige Gerechtigkeit, die aller Gottlosigkeit widersteht und gütig in jeden Mangel ihre Gabe legt. Wenn mich der Glaube mit al-lem, was ich bin, mit meinem Denken, Wollen und Tun, unter die Herrschaft Jesu stellt, dann ist sonnenklar, dass das, was ich den Menschen gebe oder versage, meinen Glauben unmittelbar be-rührt und ihm entweder widerstreitet oder ihm gehorcht.

Du gibst mir, gnädiger Gott, den Glauben nicht, damit ich ihn einsperre und unfruchtbar mache, sondern damit ich im Glauben so handle, wie es Dein Wille mir zeigt und Deine Gnade mir gibt. Ich danke Dir, dass ich keinen Menschen verachten darf und Größeres an ihm ehren soll als seinen Besitz. Stelle mich ganz und in allen Dingen in den Dienst Deiner seligen Gerechtigkeit. Amen.

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