Schlatter, Adolf - 04. Die biblische Darstellung der Schöpfung
Keiner der in Jerusalem lebenden Männer, die mit kräftigem Bewußtsein und starkem Willen erfaßten, daß sie zum Volk des Herrn gehörten, richtete seinen Blick nur auf die Gegenwart. Alle sahen immer wieder auf den Anfang ihres Volkes zurück und hielten sich vor, wie es zu der von Gott geheiligten Gemeinde geworden sei. Ebenso eifrig schauten sie nach vorn zu dem hin, was kommen werde, weil die göttliche Verheißung es ihnen verbürgte. Daß sie nicht nur für die Gegenwart lebten, so fest sie mit ihr verbunden waren, und auch nicht nur an die Herrlichkeit der kommenden Tage dachten, sondern daß Geschichte zu ihrer Religion gehörte und der Anfang ihres Volkes ihnen beständig zeigte, wie sich Gott zu ihnen stelle, das ergab sich aus der hellen und starken Gewißheit Gottes, die ihnen gegeben war. Sie erkannten im Dasein des Volkes und in allem, was es besaß, Gottes Werk und Gabe. Gott ist aber der, der da war und ist und kommt. Gottes Wille umspannt alle Zeiten, und sein Wirken füllt unseren heutigen Tag deshalb, weil es uns auch den vergangenen Tag bereitet hat und den kommenden Tag bereiten wird. Indem die Israel führenden Männer im Anfang ihres Volkes Gottes Hand wahrnahmen, waren sie auch dazu gerüstet, in ihrer gegenwärtigen Lage Gottes Willen zu erkennen und zu tun.
Das nächste Ereignis, das sie als den Anfang des Volkes in unvergeßlicher Erinnerung bewahrten, war Moses Werk. „Der Herr hat uns aus Ägypten ausgeführt.„ Zu diesen Ereignissen kehrte ihr Blick immer wieder zurück, wenn sie sich deutlichmachen wollten, wie aus ihnen Gottes Eigentum und Reich geworden sei. Die Sendung Moses war aber nicht ein erster Anfang, als hätte Gottes Wort und Gnade vorher noch keinen Menschen erreicht. Vor Mose standen die Väter, und Abraham empfing das göttliche Wort. Aber auch bei Abraham kam der zu Gott emporschauende Blick noch nicht zur Ruhe, sondern sah auf den allerersten Anfang zurück, auf das schöpferische Wirken Gottes, das dem ersten Menschen das Leben gab, und sah auch über diesen Anfang noch einmal hinaus, zum Anfang der Welt, zu jenem Wirken Gottes, durch das die Natur entstand.
In den Büchern Moses, die in der israelitischen Gemeinde die Erinnerung an ihre Anfänge befestigten, reden in den ersten Büchern in der Hauptsache zwei Männer zu uns. Ihre Namen kennen wir zwar nicht; aber ihr geistiger Besitz, den ihr Umgang mit Gott ihnen zutrug und den sie zum unverlierbaren Eigentum der Gemeinde machten, hat klar erkennbare Deutlichkeit. Der eine der beiden Erzähler, der große geistliche Kraft besaß, gehörte zum prophetischen Kreis; der andere zeigt uns, wie die mit dem Dienst am Altar beschäftigte Priesterschaft die Erinnerung an die Anfänge des Volks in sich trug. Beide Erzähler begannen beim ersten Anfang, bei den Schöpfungstagen, und zeigen uns den Schöpfer. Sie tun es in verschiedener Weise, beide aber mit unvergänglicher Kraft.
Der prophetische Erzähler führt uns zu Gott als dem Schöpfer des Menschen. Auf der Erde bereitet er ihm die paradiesische Heimat, führt ihm die Tiere zu und seine Gehülfin, das Weib, und stellt ihn unter das Gebot, daß er nicht selbst nach der Erkenntnis dessen greife, was für ihn gut und böse sei, sondern der Leitung Gottes untergeben bleibe. Doch der Mensch begehrte, Gott gleich zu sein, und wurde nach diesem Fall der Not des Lebens und dem Tod unterworfen, 1. Mose 2, 5—3, 24.
Die Welt, sagte der Priester, der in der Gemeinde die Erinnerung an ihren von Gott gewirkten Anfang befestigte, wurde durch Gottes allmächtiges Wort geschaffen und bekam durch eine aufsteigende Reihe göttlicher Schöpferworte ihre Vollendung. Das Ziel des göttlichen Schaffens ist der Mensch, den Gott zu seinem Abbild und zum Eigentümer der Erde macht. In der Sechszahl der göttlichen Tagewerke und der darauf folgenden Ruhe wird dem Israeliten das göttliche Urbild für die Ordnung seines Lebens gezeigt, da er sechs Tage mit seinen Werken zu füllen, dagegen den siebten Tag Gott zu weihen hat, indem er ihn zum Tag der Ruhe macht, 1. Mose l, l—2, 4.
Beide Erzähler leisteten jeder in seiner Weise mit ihrer Darstellung des Anfangs der Menschen der Gemeinde einen unschätzbaren Dienst. Sie war dadurch vor der Verwirrung und Verfinsterung geschützt, die unsere Gedanken von zwei Seiten her bedrohen. Einmal fesselt die Natur unseren Blick durch ihre Unermeßlichkeit und die Fülle ihrer Wesen, in denen sich eine unendliche Kraft und zugleich eine vollkommene Regelmäßigkeit offenbart. Auch der Mensch ist ihr einverleibt und bekommt durch sie in allem, was er inwendig und auswendig hat, seine Gestalt. Deshalb führt sie uns leicht von Gott ab zu der Meinung, daß wir unser Dasein, Leben und Geschick nur durch sie empfangen, so daß wir sie an Gottes Statt setzen und unsere Bewunderung und Verehrung an sie hängen. Alles, was Israels Nachbarn an Gewißheit Gottes und an Gottesdienst besaßen, war dadurch verdorben, daß sie ihre Gottheiten in die Natur hinabzogen und sie so behandelten, als wären sie ein Stück oder eine Kraft der Natur, womit sie auch sich selbst an die Natur verloren und unter das Tier hinabsanken. Und wenn dieses Versinken in die Natur als ein verwerflicher Zustand und eine unerträgliche Not empfunden wurde, dann begannen sie den Kampf gegen die natürliche Grundlage unseres Lebens und suchten sie mit vergeblicher Bemühung zu zerstören. Gegen diese Verderbnis war Israel durch das erste Wort der Schrift geschützt, das ihm den Schöpfer zeigt. Es war ihm dadurch die Anweisung gegeben, wie es die Welt zu betrachten und zu gebrauchen hat, nicht, als wäre sie Gott selbst, auch nicht, als wäre sie etwas Ungöttliches, Gott Widerwärtiges, sondern als Gottes Werk, über das seine Güte uns Macht verliehen hat.
Die andere Schwierigkeit und Anfechtung kommt unseren Gedanken aus der Mühsal und dem Jammer des Lebens und seinem schweren Ende, dem Tod. Auch hieran verdunkelt sich leicht unser Blick zu Gott, so daß wir ihn nicht in seiner väterlichen Gnade über uns festhalten- Gegen diese Anfechtungen gab der prophetische Erzähler Israel die kräftige Hilfe. Er hat ihm erklärt, woher die Last komme, die wir zu tragen haben, nicht daher, daß es Gott an der väterlichen Güte fehlte, die vielmehr den Menschen bei seinem Eintritt in die Welt mit allen guten Gaben umgeben hat, sondern daher, daß der Mensch in seiner Überhebung Gott seine Ehre raubte, den Gehorsam von sich warf und der verführenden Stimme offen war und deshalb von Gott gebeugt und gedemütigt ward. Bei allen Nachbarn Israels war das, was man ihre Religion heißen kann, dadurch völlig zerrüttet, daß sie in den Göttern übeltätige Mächte fürchteten und zugleich ihrem eigenen bösen Begehren sogar im Gottesdienst jegliche Freiheit verstatteten. Von solcher Gottesverehrung war Israel durch den Unterricht, den es hier empfing, erlöst; ihm war alles Murren über Gottes Härte, Neid und Druck verwehrt und zugleich klar gezeigt, wo an den Menschen die wirkliche Not und Gefahr herantritt, warum und wann er Gott wider sich hat.
Von dem, was sonst die Religionsgeschichte hervorgebracht hat, sind diese Erzählungen verschieden wie der Tag von der Nacht, wie ein wacher Blick von der wilden Träumerei. Aber der geschichtliche Zusammenhang, in dem Israel mit den übrigen Völkern Asiens stand, ist auch an dieser Stelle nicht zerschnitten. Wie die Ordnungen, die das Gesetz aufstellt, sich an die Gewohnheiten und Lebensformen anschließen, die sich in der Geschichte Asiens herausgebildet haben, so steht auch seine Schöpfungsgeschichte mit den Überlieferungen der anderen Asiaten, namentlich der Babylonier und Phönizier, in deutlicher Verwandtschaft. Der Unterschied zwischen ihnen entsteht dadurch, daß hier an der Stelle des ins Götzentum verkehrten Gottesbildes der Gott der allmächtigen Güte steht. Dadurch verschwand aus der Auffassung der Natur und des Menschen die mythologische Phantasterei.
Was in diesen Abschnitten über die Natur gesagt ist, gibt freilich nur den unmittelbaren Eindruck wieder, den sie auf den Menschen macht. Die Tiere werden nach ihrem Wohnort in Wasser-, Luft- und Landtiere eingeteilt, die Pflanzen in Gras, Kraut und Bäume, die Gestirne in Sonne, Mond und Sterne. Dieses schlichte Naturbild wird durch ein mit der dichterischen Gestaltungskraft verwandtes Vermögen ergänzt, die aus demselben ein geschlossenes, eindrückliches Ganzes formt. Dahin gehört im ersten Bericht die Einfassung des göttlichen Schaffens in die Woche von sieben Tagen, im zweiten die Beschreibung des Paradieses und die Weise, wie die Versuchung des Menschen durch das Tier entsteht. Unsere Beobachtung der Natur hat sich gemehrt und bereichert, so daß unser Naturbild sich beträchtlich von dem dieser Texte entfernt hat. Daß sie aber auch für uns eine unschätzbare Gabe Gottes und eine unvergängliche Lehre sind, die ihr Licht in unser ganzes Leben strahlt, das liegt an der Weise, wie hier der natürliche Beobachtungsstoff und das dichterische Vermögen von der Erkenntnis Gottes geleitet und durchleuchtet sind. Deshalb zeigen uns diese Kapitel, wie wir auch unsere Kenntnis der Natur in das Licht der Erkenntnis Gottes stellen1).
Adam und Christus
„Sie erschüttern unsere ganze Theologie, da Adam in Ihrer Theologie nicht mehr vorhanden ist.“
Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir über die Anfänge der Menschheit nichts wissen. Wir kennen die Stelle nicht, an der der Mensch aus dem Stammbaum der tierischen Formen herausgewachsen ist, und haben keine Ahnung, unter welchen Bedingungen dies geschah und in welcher Gestalt menschliches Leben zuerst erschien. Ich kann Ihnen dafür auch keine Zeit angeben, nur das eine, daß dieses Wunder neben den Maßen unseres Lebens in einer weit hinter uns liegenden Vergangenheit geschah. Steht Ihnen dies nicht fest?
„Dem widerspreche ich nicht. Das ist Beobachtung.„
So wissen Sie, was Sie zu tun haben. Niemals ist es einem Christen erlaubt, das zu verleugnen, was er sieht. Wer mit einem Mythus gegen die Wirklichkeit kämpft, hat eine andere Religion als die der Schrift.
„Aber unsere ganze Theologie fällt dadurch zusammen; denn sie ist vollständig auf den Satz gebaut, daß Jesus wieder gutgemacht hat, was Adams Sünde zerstörte.“
Was fällt denn aus dem Wort Jesu weg?
„Wenn ich mich recht erinnere, sprach Jesus von Adam nur da, wo er die natürliche Ordnung unseres Lebens geheiligt und den Mann mit seiner Frau zu einem Leib verbunden hat.„
Sie haben recht. Der lüsternen Willkür der jüdischen Sitte hat Jesus 1. Mose 2 und 3 vorgehalten. Seine eigene Sendung hat er nie mit Adams Fall in Verbindung gebracht. Sie sehen also, Ihre Klage, die Theologie breche zusammen, stammt aus einer grundlosen Angst. Unsere Theologie wird von der Botschaft Jesu getragen, und diese wird von der Frage nach dem Anfang der Menschheit nicht berührt.
„Womit hat denn Jesus seine Sendung begründet, wenn nicht wegen Adams Fall?“
Er empfing seine Sendung aus Gottes königlichem Werk, aus Gottes Reich. Darum sprach er in der Einheit mit dem gegenwärtigen Gott nicht über das, was im Anfang gewesen war, sondern er sprach zum Volke Gottes, mit dem er zur Gemeinsamkeit des Lebens verbunden war, über das, was es Gott schuldig blieb, und über das, was es jetzt durch ihn empfing, durch ihn, den Bringer der alles vollendenden Gnade Gottes, die ihn zum Herrn der zu Gott berufenen Menschheit macht.
„Aber Paulus hat doch aus Adams Fall den Grund seines Evangeliums gemacht.„
Als Paulus mit der Botschaft Jesu zu den Völkern ging, bekam die Einheit des Menschengeschlechts für ihn Wichtigkeit. „Aus Einem hat Gott jedem Volk der Menschen seinen Wohnsitz auf der Erde angewiesen“, Apg. 17, 26. Und nun hat er den Griechen durch den Rückblick auf den Einen, aus dem alle wuchsen, erläutert, was der Christus sei, der eine Herr aller, der die geeinte Menschheit schafft. Daraus entstand das mächtige Wort, Rom. 5, 12—19, das die beiden, die das Verhältnis aller zu Gott bestimmen, zueinander in den mächtig leuchtenden Gegensatz stellt, da der eine aus allen die Sündigenden und die Sterbenden machte und der andere für alle die Gerechtigkeit und das Leben erworben hat.
„Was sagt das aber noch uns, die wir wissen, was wir heute über die Anfänge der Menschheit wissen und nicht wissen?„
Unerschüttert ist die Einheit des menschlichen Typus. Selbst wenn wir Lust hätten, von räumlich und zeitlich getrennten Anfängen der Menschheit zu reden, steht die Abgrenzung des Menschen gegen jede andere Gestaltung des Lebens fest. Das haben auch die größten Unterschiede der Rasse immer neu bestätigt. Unser erweiterter Blick in die Natur hat dem Satz: „Ihr stammt aus einer Wurzel“, die mächtige Verdeutlichung gegeben, wenn wir auch nicht wissen, von welcher Art diese Wurzel war.
„Aber der Fall?„
Was kommt denn aus dieser einen Wurzel? Unvergängliches Leben? Niemals, sondern Sterblichkeit. Ein für Gott fruchtbares Leben? Niemals, sondern Ichsucht, die alles Verwerfliche und Verderbliche erzeugt, das die menschliche Geschichte verwüstet. Zeigt uns der Blick auf den Anfang des Menschen, wie er uns jetzt gegeben ist, „ursprüngliche Gerechtigkeit“? „Ursprüngliche Sünde„ zeigt er uns. Wenn Paulus Rom. 5, 12 sagt: Ihr findet die Gerechtigkeit und das Leben im Bereich der Menschheit nirgends; geht, wohin ihr wollt, ihr findet überall dasselbe gegen euch stehende Urteil Gottes, so hat der heutige Mensch mit seinem heutigen Wissen dazu ohne Schranken ja zu sagen. Nirgends gibt es Gerechtigkeit, nirgends ewiges Leben als in dem Einen, der uns sagt: Ich bin deine Gerechtigkeit, und ich bin dein Leben.
„Aber der Eingriff in die Theologie bleibt doch tief, da sie völlig auf den Gedanken ,Wiedergutmachung, Wiederherstellung' eingestellt ist.“
Das tat das sterbende Altertum, Augustin und nach ihm Anselm. Sie sahen nur nach rückwärts, und ihre logische Schulung verlangte nach einem festgefügten System. Es ergab ja wirklich ein System, dieser Abstieg und Aufstieg, der sich nun genau entsprach. Aber die Alten haben Paulus damit verlassen. Paulus war nicht zum Anfang, sondern zum Ziel hin gewandt; er sah nicht auf Adam, sondern auf Christus, Sie dürfen, wenn Sie die Bedeutung Adams für Paulus erkennen wollen, 1. Kor. 15, 45—49 nicht übersehen.
„Stimmt denn, was Paulus dort sagt, nicht zu Augustin?„
Paulus hat sich nicht das Bild einer herrlichen Gerechtigkeit ausgemalt, aus der der Mensch gefallen sei. Neben den Irdenen, der aus der Erde gebildet wurde und von Gott nicht mehr als eine lebendige Seele empfangen hat, stellte er den, der der Erde entnommen ist und sich als den Himmlischen offenbaren wird, der die Vollmacht hat, Leben zu schaffen, weil er Geist ist, nicht nur eine Seele, und Geist gibt, nicht nur seelisches Leben in einem aus irdischen Stoffen gebildeten Leib. Beim Verlorenen verweilte Paulus nicht. Er sah auf den ersten Fall zurück, weil aus ihm in nicht endender Reihe Fall auf Fall in der Menschheit entsteht, und sprach vom Ungehorsam, mit dem die menschliche Geschichte beginnt, weil er sich im Widerspruch fortsetzt, mit dem der mit seinen Wünschen gefüllte Mensch das Gebot, das ihn zum Dienst Gottes verpflichtet, von sich stößt. Daß wir Sünder seien als Menschen durch unsere Geburt, nicht durch ein zufällig uns treffendes Schicksal oder durch eine sonderliche Verwicklung und Verderbnis unseres Begehrens, Sünder durch das, was Gottes Urteil für alle festgestellt hat und unser Fleisch aus uns allen macht, das hat Paulus gesagt, und für dieses Geheimnis hat er die Lösung in Christus gefunden, darin, daß auf die erste Schöpfung eine neue folgt, Menschen, die nicht nur eine Seele haben und einen ihr angepaßten Leib, der sterben muß, sondern das Bild dessen empfangen, dem Gott seinen lebendigmachenden Geist für uns gegeben hat.
„Müssen wir also die Erzählung von dem, was im Paradies geschah, vergessen?“
Vergessen? Auf diesen sonderlich erleuchteten Empfänger des göttlichen Worts sollen Sie bleibend mit gespannter Aufmerksamkeit hören. Er empfing, wie alle, durch die Gott gesprochen hat, das göttliche Wort in sein von seinem Standort bestimmtes Sehfeld hinein, und es war ihm manches verborgen, was uns seither gezeigt worden ist. Er hat noch eine engumgrenzte Welt, und seine Menschheit war noch nicht Jahrtausende alt, und ihr genetischer Zusammenhang mit der übrigen Natur war ihm verhüllt.
„Was kann er mir noch sagen?„
Daß Sie Gottes Geschöpf sind und über die natürlichen Vorgänge Macht haben, daß Ihnen aber auch Schranken gesetzt sind, an denen Sie nicht rütteln dürfen, als wären Sie Gott; daß Sie das Leben dazu empfangen haben, damit Sie gehorchen, und daß kein natürliches Begehren, auch nicht das stärkste, das nach dem Weibe, Sie zum Ungehorsam ermächtigt; daß Sie durch die Übertretung des Ihnen gegebenen Gebots schuldig werden und Gott gegen sich haben und daß Schuld und Tod beisammen sind. Aber auch das hat Ihnen der alte Meister mit leuchtendem Auge gesagt, daß über den sündigenden und sterbenden Menschen nicht nur die göttliche Verurteilung, sondern auch die göttliche Verheißung steht. Neben den zum Sündigen und Sterben verurteilten Menschen hat Gott den Baum des Lebens gepflanzt. Hören Sie auf den alten Meister, dann bricht Ihnen Ihre Theologie nicht zusammen. Wenn Sie aber das, was er Ihnen sagt, durch einen Mythus ersetzen, dann zerbricht freilich nicht nur Ihre Theologie, dann zerbrechen Sie. Denn wenn Sie die Wahrhaftigkeit preisgeben, können Sie Gott nicht gehorchen.
Hoffentlich bereitet die Schulung, die gegenwärtig unsere Jugend neu formt, der Auflehnung gegen das Erbe endgültig das Ende. Freilich ist der Kampf noch im Gang und noch nicht entschieden. Im wirtschaftlichen Bereich hört man immer noch den gottlosen Satz, das einzige rechtmäßige Eigentum sei das selbst erworbene, und im ethischen Gebiet wird oft der Stolz des Starken, der durch seine überragende Kraft die anderen bändigt, zum Merkmal des nordischen Menschen gemacht, das ihm seinen Vorzug gebe. Allein die Gestaltung unserer völkischen Gemeinschaft steht gegenwärtig unter dem Satz: Du bist, was du ererbt hast; denn jedes Exemplar der Gattung bekommt seine Art durch ihre Rassenseele. Damit ist aber nicht nur von unserem Sehvermögen, durch das die Natur sich uns zeigt, und von unserem Denkvermögen, mit dem wir unsere Vorstellungen ordnen und einigen, sondern auch von unserem Begehren gesagt: es sei uns gegeben und von uns ererbt, und wenn uns zugleich aufgegeben ist, unser Verhalten zu verurteilen, so ist damit die Tatsächlichkeit der Erbsünde erkannt. Dieser Satz gilt, wenn es eine Folge unserer Geburt ist, daß wir unserem Wollen entsagen müssen; trifft aber dieses „Wenn“ zu?
Die Anerkennung des Erbgangs scheint es unmöglich zu machen. Bedeutet sie nicht die Zustimmung zu allem, was in uns geschieht, jene Bejahung des Lebens, die vorbehaltlos jedem Begehren gehorcht? Ist es nicht Torheit, etwas anderes zu begehren als das, was wir begehren, als könnten wir etwas anderes sein, als das, was wir sind? Wer aus der Anerkennung des Erbes diese Folgerung zieht, streicht nicht nur die Erbsünde, sondern die Sünde in jeder Gestalt. Der Streit um die Erbsünde erweitert sich dadurch zum Streit um die Sünde. Gibt es keine Erbsünde, so gibt es keine Sünde; gibt es Sünde, so ist sie Erbsünde.
Was wir gegenwärtig erleben, hilft uns kräftig zur Besinnung. Seit Jahrtausenden besteht die nordische Rasse; aber jetzt erst bemühen wir uns, ein Volk zu werden. Was hat daran die „Rassenseele„ bisher gehindert, völkisch zu werden? Hat sie etwa geschlafen wie der Baal auf dem Karmel? Von einem Schlafen oder Erwachen der „Rassenseele“ zu sprechen, ist heller Unsinn, und ebenso ist es Unsinn, dem Christentum vorzuwerfen, es habe uns daran gehindert, ein Volk zu sein. Jedes Wort und jede Tat, die unter der Einwirkung Jesu steht, treibt zur Gemeinschaft hin. Wenn einst unsere Fürsten Land und Leute als ihr Privateigentum behandelten, und wenn unsere Studierten die Bauern verachteten und unsere Fabrikbesitzer die Arbeiter ausbeuteten, so hatte das mit Jesus rein gar nichts zu tun. Wohl aber waren und sind alle diese Vorgänge im strengen Sinn Auswirkungen der menschlichen Natur. Denn die Natur gibt unserem Begehren zwei Bewegungen. Sie schafft die Gemeinschaft, indem sie uns durch den Typus zusammenbindet, und sie schafft zur Ichheit geneigte Seele. Und wir wollen deshalb die Gemeinschaft; denn durch sie leben wir. Und wir wollen unser Eigenleben; denn ein anderes Leben als unser Eigenleben gibt es für uns nicht. Damit ist noch nicht die Erbsünde beschrieben; vielmehr ist damit aufgezeigt, was unser Erbgut ist. Wer nur von der Erbsünde spricht, redet unsinnig. Es gibt nur darum eine Erbsünde, weil wir ein Erbgut empfangen. Das ist das Wunderbare in jeder Gemeinschaft, sei sie Familie oder Volk oder Kirche, daß sie, wie Paulus prächtig sagte, dem Leibe gleicht, der dadurch lebt, daß er jedes Glied lebendig machte, und dessen Glieder dadurch leben, daß sie den Leib lebendig machen. Weil wir ein Wir sind und zugleich jeder von uns ein Ich ist, sind wir die reich Begabten.
Wir sind aber nicht nur die Reichen, sondern wir sind zum Kampf berufen. Denn das eine der beiden uns geschenkten Begehren bestreitet und verdrängt das andere, und daraus entsteht die Verderbnis des Lebens. Gegen diese schützt uns die Rassenseele nicht; denn sie selbst bringt die Verderbnis hervor. Hagen ersticht Siegfried, nicht obwohl beide nordisch sind, sondern weil beide es sind. Auf beiden Seiten wachsen die Verderbnisse ins Riesengroße: in der Gemeinschaft — sie knechtet, beraubt und entehrt die an sie Gebundenen, um sich zu erhalten und zu stärken — und in der Ichheit — zur Erfüllung ihrer Begier greift sie nach dem, was den anderen gehört. — Da wir alle diesen Kampf zu kämpfen haben, haben wir alle ein Gewissen; das heißt: wir sind alle genötigt, unser Verhalten einem Urteil zu unterwerfen, das totale Geltung hat, unerbittlich fordert und unbedingt verwirft. Denn ob wir uns der Gemeinschaft entziehen oder unser Eigenleben preisgeben, in beiden Fällen wissen wir, daß wir die Wurzeln unseres Lebens zerschneiden. Nur wer völlig vereinsamt in der Höhle Zarathustras sitzt, kann auf sein Gewissen verzichten. Wir aber, die wir in die völkische und von Jesus in die kirchliche Gemeinschaft hineingerufen sind, wir erleben das Gewissen, das an die Gemeinschaft und an uns selbst die unbedingten Ansprüche stellt, und erleben damit auch, daß sich diese Ansprüche keineswegs von selbst erfüllen, sondern die Absage an unser Begehren fordern. Wir erleben also die Erbsünde, nicht weil unsere Rassenlehre schläft oder bastardiert ist, sondern weil sie uns formt.
Darin aber, daß unser Wille uns nicht nur gegeben, sondern auch von uns gefordert wird, wird noch mehr sichtbar als das, was die Natur uns gibt. In der Bindung, die von uns verlangt: „So sollst du wollen, wenn du dich auch dagegen sträubst„, wird das Kreaturbewußtsein wirksam. Wir erkennen, daß wir geschaffen sind, und damit nehmen wir erst recht die Gefährlichkeit wahr, die an unserem Leben haftet. Sie entsteht nicht nur aus unserem Verhältnis zu den anderen, sondern zuerst und vor allem aus unserem Verhältnis zu dem, der uns geschaffen hat. Wissen wir, daß wir geschaffen sind, so ist es nur Feigheit, wenn wir uns die Entzweiung verhüllen, die unser inneres Leben zerreißt. Was bedeutet unser Kreaturbewußtsein in Wahrheit für die Gestaltung unseres Lebens? Unsere Gedanken über Gott, soweit die Rassenseele sie uns vermittelt, bleiben leer, und obwohl wir wissen, daß unser Wille von uns gefordert ist, bleibt er Eigensucht auch dann, wenn er den gemeinen Nutzen sucht. Geschöpf Gottes und zugleich unfähig sein, Gottes Willen zu wollen, und statt dessen Religion zu haben, die wir selber produzieren, das ist die Erbsünde.
Vom Stand unseres Gottesbewußtseins hängt es ab, in welchem Maß wir die Verwerflichkeit unseres Wollens und Handelns erkennen. Je kräftiger unser Gottesbewußtsein ist, um so mehr bekommt das Urteil „Erbsünde“ Inhalt und Wirksamkeit. Jeder Polytheismus lahmt es. Wenn wir keine andere Macht über uns kennen als die Seele der eigenen Rasse, können wir die Seele anderer Rassen, z. B. die der Juden, verachten und die eigene Seele preisen. So hieß schon der Grieche alle anderen Barbaren, sich selbst aber edel und gut, und so hieß auch der Philosoph den Pöbel profan, ihn haßte er; sich selbst aber feierte er als das Sprachrohr der Vernunft. Wer aber weiß, daß er geschaffen ist, glaubt mit Luther: „Daß Gott mich geschaffen hat samt allen Kreaturen.„ Die Frage: „Sünde oder Gottesdienst“ ist nicht ein völkisches Anliegen, sondern die Sache der Menschheit. Hier handelt es sich nicht mehr als um den Aufstieg eines einzelnen Volkes zu Macht und Ehren; das Werden einer mit Gott versöhnten und in Gott geeinigten Menschheit ist hier das Ziel. Darum entsteht die Erkenntnis der Sünde im biblischen Bereich, zuerst im Alten Testament und dort, noch ganz ohne Einmischung naturwissenschaftlicher und psychologischer Erwägungen, einfach so, daß der Anfang des Sündigens an den Anfang der Menschheit gesetzt wird, worauf es sich im Verhalten aller fortsetzt, dann mit vollendeter Klarheit im Zeugnis Jesu, der von unserem „Herzen„, aus dem das ganze inwendige Leben hervorgeht, sagt, daß aus ihm das böse Begehren herauskomme, und in der Botschaft des Paulus, der deshalb alle zum Glauben an Jesus berufen hat, weil der leibliche Organismus, das „Fleisch und seine Glieder“, mit zwingender Macht das Begehren in uns hervorruft, das dem Gesetz Gottes widerspricht.
„Wird aber das biblische Wort dadurch nicht rätselhaft, daß es uns die einheitliche „Weltanschauung und folgerichtig auch die einheitliche Regelung unseres Verhaltens unmöglich macht? Kreatur Gottes und zugleich Sünder sein, stößt hier nicht der eine Satz den anderen um? Wenn mir meine Rassenseele meinen Ehrgeiz, meine Habgier, meine Rachsucht gibt, mit denen ich die Menschen und die Dinge um mich her verderbe, so gibt dies keinen Raum zur Frage: „Warum tust du das?“ Wer aber den, der ihn geschaffen hat, Gott nennt, heißt ihn heilig und gut und von allem Bösen geschieden. Und doch sind wir unter seinen Augen und nach seiner Verfügung sündig. Ungezählte haben es für die Meisterfrage gehalten, auf die sie sich stürzten, wie die Möglichkeit des Bösen zu erklären sei. Der, den sein entartetes Denkvermögen auch an das hinhetzt, was unerforschlich ist, muß sein Schicksal tragen. Denn Jesu Wort dient nicht diesem Ziel. Er hilft uns nicht dadurch, daß er uns erklärt, wie wir sündig wurden, sondern dadurch, daß er uns, die unsere Rassenseele sündig macht, in die Gemeinschaft Gottes einführt. Das ist Gnade, und ihre Gabe ist der Friede. Es ist Gottes Friede mit uns, den Gottlosen, die wir an ihn glauben, und es ist unser Friede miteinander, da in Gott sowohl unser Eigenleben als unsere Gemeinschaft miteinander begründet sind und dabei durch Gottes Gemeinschaft mit uns ihre Reinigung und Vollendung erhalten.