Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Joel.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Joel.

Joel wurde getrieben, zu Juda als Prophet zu sprechen, als ein Heuschreckenschwarm das Land furchtbar verheerte und zugleich der Regen ausblieb und Dürre und Hitze die Not vollends groß machten. Das erste, was er dem Volke zu sagen hatte, war ein Bußruf; weil aber derselbe gute Aufnahme fand, fährt er mit einer verheißenden Antwort fort.

Das Bußwort während der Heuschreckennot. 1,1-2,17.

Joel leiht zuerst dem Jammer über die Zerstörung des Landes Worte, bleibt aber nicht bloß bei dem stehen, was jedermann sieht und beseufzt. „Der Tag des Herrn ist nahe!“ ruft er Juda zu. Die gegenwärtige Not soll das Herz des Volkes erwecken, daß es den größern Gerichtstag bedenke, dem es entgegengeht. Und die Klage wird zur Bußmahnung vertieft. Volk und Priester sollen sich aufrichtig und reuig zu Gott wenden und im Tempel vor ihm sich demütigen. Die Notzeit hat das Wort des Propheten unterstützt und das Volk hat ihm gehorcht. Darauf hat er ihnen

die gnädige Antwort Gottes, 2,18-3,26,

gebracht.

Die Heuschrecken werden weggenommen und das Land wird wieder mit neuer Fruchtbarkeit beschenkt. 2, 18-27.

Aber wie das Bußwort auf das künftige Gericht hinwies, so geht auch die Verheißung über die zunächst erbetene Hilfe und Gabe hinaus und stellt noch höhere Güter in Aussicht, welche Jerusalem zur herrlichen Stadt Gottes machen werden.

Der innere Lebensstand der Gemeinde wird neu werden. Jetzt steht der Prophet einsam unter dem übrigen Volk. Er hat Gottes Geist, die andern haben ihn nicht. Mit ihm redet Gott, mit den andern nur durch ihn. Sie wissen nichts von dem Zugang und Verkehr mit Gott, den er selbst im Geist erlebt. Das ist noch nicht die vollkommene Gestalt der Gemeinde. Gott wird seinen Geist allem Fleisch geben. Hiezu kommt eine Neugestaltung des ganzen Weltbaus, die allerdings ihre Schrecken hat, weil sie das Alte abbricht, in der aber Jerusalem den Rettungsort bilden wird für alle, die den Herrn anrufen. 3,1-5.

Jerusalem wird gerächt an den Heiden, die an ihm mit schadenfroher Lust grausame Bosheit verübten. Es folgt freilich auch hier die Hilfe erst auf die Zeit der Not. Wie jetzt der Heuschreckenschwarm heranzog, so werden die Heiden Jerusalem umringen. Allein sie werden dorthin versammelt zum Gericht. Durch Gottes machtvollen Eingriff werden sie fallen und es entsteht daraus die Erhöhung Jerusalems zur herrlichen Wohnung Gottes. 3,6-26.

Suchen wir für diese Heuschreckenplage und für den Bußtag, zu dem sie führte, und für die Verheißungen, zu denen derselbe Anlaß gab, den Platz in der Geschichte Israele, so muß uns hiebei zunächst folgende Beobachtung leiten. Seit das Geschick Jerusalems mit den großen Königreichen, zuerst Assur und dann Babylon, aufs engste verflochten war, hat auch jeder prophetische Spruch, der Jerusalems Zukunft mit hohem Blick überschaute, dieser Weltmächte Erwähnung gethan. Auch stand von dieser Zeit an die Vertreibung des Volks aus Kanaan sehr bestimmt vor dem Auge der Propheten. Joel spricht weder von jenen Weltmächten noch vom Exil irgend ein Wort. 1) Es gab freilich auch zu Joels Zeit Gefangene Judas, 3,6.8-12. Die Stadt war von Heiden erobert und der Tempel geplündert worden. Die weggeschleppten Gefangenen wurden von den Philistern und Phöniziern mit Schadenfreude erhandelt und wieder in die Ferne verhandelt. Aber dergleichen geschah, so oft Jerusalem in den Händen von Feinden war, und kann z. B. sehr wohl im Blick auf den Überfall Jerusalems durch eine Schar von Philistern und Arabern geredet sein, der unter Joram vorgekommen ist, 2 Chr. 21,16 f. Von der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar ist hier jedenfalls nicht die Rede. Es wird wohl gesagt, daß die Tempelgeräte geraubt, nicht aber daß der Tempel verbrannt worden sei, ebenso daß Juden in die Sklaverei geschleppt, nicht aber daß die Stadt zerstört wurde. Reden jener Vergewaltigung Jerusalems durch nicht näher bezeichnete Heiden werden nur noch Edom und Ägypten als die alten bösen Feinde Israels erwähnt, 3,24. Weil Joel von den großen Weltmächten schweigt, muß er entweder vor Jesaja oder dann erst, nachdem der Ansturm derselben vorüber war, in der Zeit des neuen Jerusalems unter dem Perserregiment geredet haben.

Die letztere Meinung wird dadurch ausgeschlossen, daß Ezechiel Joels Weissagung gelesen hat.2) Und auch innere Gründe machen es wenig wahrscheinlich, daß wir uns Joel in der Nähe von Maleachi, Esra und Nehemia zu denken hätten. Zu Joels Zeit ist das prophetische Wort noch die bewegende Kraft, die die frommen Triebe im Volk erweckt. Die Landplage treibt das Volk wohl zum Seufzen, Beten und Opfern. Aber die Buße und den Bußtag schafft der Prophet; auf die prophetische Stimme wartet und horcht das Volk. Im Jahrhundert Esras und Nehemias waren Fast- und Bußtage für die Zeiten der Not schon Sitte und Übung. Die Bußstimmung durchdringt die ganze Frömmigkeit. Da wartet die Gemeinde nicht mehr auf das Auftreten eines Propheten. Da beruft sie auch ein Mann wie Nehemia in den Tempel, damit sie sich vor dem Herrn demütige.

Wir werden in Joel das älteste weissagende Wort zu sehen haben, das uns aus Jerusalem erhalten ist.3) Nun ist es freilich überraschend, wie groß und reich die prophetische Hoffnung schon damals gewesen ist. Daß noch ein neuer, ganz wunderbarer Tag Gottes kommen wird, der im besonderen Sinn. des Herrn Tag ist, an dem er sich offenbaren wird mit richterlicher Macht und mit verklärender Herrlichkeit, daß Jerusalem eine leuchtende Zukunft hat, unbesieglich und unzerstörbar ist, und das Geschick aller Völker um Jerusalem sich dreht, das sind Gedanken, welche die Predigt Joels als Israel bekannt voraus setzt, die er bestätigt und weiterführt, aber nicht zum erstenmal ausspricht. Er verkündigt, daß des Herrn Tag nahe sei; daß aber der Herr sich noch einen Tag vorbehalten hat, das weiß Israel. Wir haben hierin die Frucht und Gabe der älteren Propheten vor uns, deren Namen uns in den Geschichtsbüchern begegnen, deren Reden uns aber nicht erhalten sind.

Dasselbe zeigen übrigens die ältesten prophetischen Reden auch sonst. Weder Amos noch Jesaja mußten die Hoffnung Israels erst erwecken; sie müssen umgekehrt dieselbe bereits er: nüchtern und davor bewahren, daß sich das Volk mit leerem Spiel der Phantasie an ihr ergötze ohne sittlichen Ernst und bußfertige Erneuerung.

Sogar in Bethel, nicht bloß in Jerusalem, sagen die Zuhörer des Amos: wenn doch der Tag des Herrn käme! und der Prophet muß ihnen antworten: für euch ist der Tag des Herrn Finsternis, nicht Licht, Am. 5,18. Und Jesaja stellt 2, 1 ff. dem herrlichen Ausblick auf die Erhöhung des Tempels zum Sammelpunkt aller Völker die düstere Gegenwart sichtlich darum gegenüber, damit das Volk mit jener Hoffnung sich nicht über den Ernst der nächsten Zeit hinwegtäusche.

Sehr merkwürdig und lehrreich ist bei Joel, wie er die prophetischen Hoffnungen mit den damaligen Erlebnissen des Volks verknüpft und von den Heuschrecken zum Tag des Herrn, von der Fruchtbarkeit des Landes zu den Geistesströmen und zur Befreiung Jerusalems von allen Feinden aufwärts steigt. Joel lehrt die kleinere Plage zur Zubereitung für Gottes großen Gerichtstag benützen und heißt das Volk an der augenblicklichen Hilfe die Hoffnung auf die völlige Erlösung stärken. Nachdem einmal dem Volk der Blick in eine große Zukunft aufgethan war, bekamen von diesem Ziele aus alle seine Erlebnisse einen vertieften Gehalt.

1)
Zu der Vermutung, die Heere jener Weltmächte seien im Heuschreckenzug verborgen, so daß gleichnisartig mit denselben der Einbruch der Assyrer oder Babylonier beschrieben und mit der Wegnahme des Heuschreckenschwarms die Erlösung von jenen Weltmächten verheißen sei, müßten wir doch durch den Propheten selbst angeleitet werden. Er heißt uns aber nirgends die Heuschrecken symbolisch verstehen. Und jene Plage war mit dem Hunger und Mangel, der sie begleitete, schrecklich genug, um einen solchen Klages und Bußruf zu begründen.
2)
Ezechiel erweitert die Weissagung Joels vom Bache, der aus dem Tempel in's Jordanthal fließen wird, 47,1 ff aus Joel 3,23; ebenso erweitert er die Ankündigung eines letzten Ansturms der Völker gegen Jerusalem durch die Weissagung vom Einfall Gogs, vgl. 38,17. 39,8 mit Joel 3,7. Auch Ez. 30,2 hat Joel 1,15. 2,1 vor Augen. Ebenso wird für Jes. 66,18 Joel 3,7 die Grundstelle sein.
3)
Unter den Vorwürfen, die Amos den nördlichen Stämmen macht, befindet sich auch der, daß sie eine Zeit der Not durch regenlose Dürre und Heuschreckenschwärme ohne Buße verstreichen ließen, 4,6-9. Vielleicht hat damals, als Samarien hart blieb, Joel Jerusalem zur Buße geführt. Amos scheint auch sonst auf Joel zurückzublicken (vgl. Am. 1,2 mit Joel 3,21 und Am. 9,13 mit Joel 3,23. Freilich sind wir damit etwas weit von der Eroberung Jerusalems unter Joram entfernt, da die Hungersnot, von der Amos spricht, seinen Zeitgenossen jedenfalls noch lebhaft in Erinnerung war. Oft denkt man bei Joel an die Regierung des Joas, weil er den König nicht erwähnt und nicht von heidnischem Unrat im Tempel spricht. Bis Joas heranwuchs, hat der Hohepriester Jojada für ihn regiert, und der Gegenschlag gegen das Regiment der Athalja samt dem Einfluß des Hohepriesters hat damals Jerusalem eine fromme Zeit gebracht.
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