Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der Hebräerbrief.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Der Hebräerbrief.

Der Hebräerbrief beginnt ohne Überschrift, weil er uns sofort mit seinem ersten Satz Christum nach der Erhabenheit seiner Person und der Größe seiner Gabe zeigt, womit er den Grundgedanken und das Thema ausspricht, das seine weitern Erläuterungen uns faßlich machen wollen. Der Brief konnte die Überschrift entbehren, weil seine ersten Leser ohnehin durch den Boten, der ihnen denselben überbrachte, erfahren hatte, wer hier mit ihnen redete. Diese Kenntnis hat sich aber in der Kirche nicht erhalten. Noch aus dem ersten Jahrhundert ist uns ein Brief der römischen Gemeinde an diejenige von Korinth erhalten geblieben, der unter dem Namen des Klemens geht. Der Schreiber desselben hat den Hebräerbrief fleißig gelesen und im Gedächtnis gegenwärtig und verwebt mehrere Stellen desselben in seinen Brief ganz in derselben Weise, wie er Gedanken aus dem Römer- oder ersten Korintherbrief in seine Ermahnung hineinflicht. Daraus sehen wir, daß der Brief jedenfalls noch dem apostolischen Zeitalter angehört und damals in den Gemeinden Italiens und Griechenlands gelesen und geschätzt worden ist. Dagegen sagen uns diese Anführungen über den Verfasser nichts. Im zweiten Jahrhundert waren die Meinungen über den Hebräerbrief in der Kirche gespalten. In den Kirchen des Abendlands Rom, Karthago, Lyon u. s. w. zählte man ihn nicht zu den Paulinischen Briefen und rechnete ihn auch nicht zum Neuen Testament. Er wird hier gelegentlich als Brief des Barnabas citiert. In den östlichen Kirchen dagegen, namentlich in derjenigen von Alexandrien schrieb man ihn Paulus zu. Aber auch hier fiel den mit der Schriftforschung beschäftigten Männern seine von den übrigen Briefen abweichende Sprache und Lehrweise auf, weshalb man vermittelnde Meinungen ausbildete, Paulus habe die Gedanken des Briefs gegeben und einer seiner Begleiter ihn abgefaßt. Das Übergewicht der griechischen Kirche über die lateinische hat bewirkt, daß es später auch im Abendland zum Lehrsatz wurde, Paulus habe den Hebräerbrief verfaßt, bis die Reformatoren, Luther wie Calvin, wieder darauf aufmerksam machten, daß der Brief nicht die Art des Paulus trage.

Auch über die Empfänger des Briefs sagt uns die Überschrift nur das, was auch der Inhalt überall erkennen läßt, daß er an Hebräer d. h. an Christen jüdischer Abkunft gerichtet war. Wir erfahren damit nicht, wo sie wohnten, und die Unbestimmtheit dieser Überschrift zeigt, daß man schon früh keine Nachrichten über die äußern Verhältnisse unsers Briefs mehr besaß. Die Schlußworte, 13,23 u. 24, weisen eher auf die griechischen oder italienischen Gegenden als nach Palästina und legen den Gedanken nahe, daß der Verfasser nicht an eine ganze Gemeinde, sondern an einen kleinern Kreis jüdischer Männer schrieb, die ihm persönlich verbunden waren, da er sie ihre Vorsteher und alle Heiligen grüßen heißt.

Dagegen läßt uns der Brief die innere Lage seiner Leser deutlich erkennen. Er ist keineswegs eine Abhandlung mit bloß lehrhaftem Zweck, vielmehr ein Mahnbrief. Seine Ermahnung ist seine Wurzel und sein Herz, ihr dient alles, was er an Beweisführungen und Erklärungen enthält. Die letztern sind die Hilfe, die er seinen Lesern bietet zur Überwindung ihrer Anfechtung.

Und seine Mahnung lautet: haltet die Hoffnung fest, gebt die Freudigkeit und Zuversicht nicht hin, seid geduldig und wartet, stärkt die müden Hände und wankenden Kniee, lauft den Kampf, der euch verordnet ist!1) Die jüdischen Gläubigen, zu denen der Brief spricht, sind müde, schlaff und ungeduldig geworden. Sie fragen: Wo bleibt Christi Reich? ist das die Erfüllung der Verheißung? Sie fühlen sich unbefriedigt, fast enttäuscht durch das, was sie bei Jesus fanden. So wenden sie sich zurück zum Judentum, und vergleichen Israels Besitz mit dem, was Jesu Gemeinde gewonnen hat. Findet sich nicht bei Israel all das auch, was die christliche Gemeinde besitzt, ja noch mehr?

Wir lernen hier das jüdische Christentum von einer neuen Seite kennen. Jene jüdischen Männer, die z. B. in Galatien auftraten, waren von selbstbewußter Zuversicht erfüllt und darum Eiferer für Gott. Sie waren bereit, alles zu thun, was zum Himmelreich nötig sei, das Gesetz zu halten und zu Jesus sich zu bekennen, beides zugleich und mit einander, damit die Summe alles Gott wohlgefälligen vereinigt und ihre Hoffnung vollkommen gesichert sei. Hier im Hebräerbrief ist nichts mehr von diesem stolzen Eifergeist vorhanden. Der Übermut ist in den Kleinmut und die Verzagtheit umgeschlagen, und Mattigkeit hält sie gebunden. Sie sind des Evangeliums überdrüssig geworden, und des Hoffens und Glaubens müde. Da war natürlich auch keine freudige Zustimmung zum Gesetz mehr da. Sie schauen zum Judentum zurück, weil sie von dorther kamen, weil ihnen nichts anderes bleibt, wenn sie Jesus fahren lassen, weil sie sich fürchten, sich am Gesetz zu vergreifen. Sie werfen dasselbe noch nicht beiseite, wie sie auch Jesus noch nicht verleugnet haben; aber sie sind nahe bei einem Fall, der alles begräbt, den alten mit dem neuen Bund.

Die Leser haben auch an der Drangsal der ersten Christenheit Anteil gehabt und der Druck des Leidens verstärkte natürlich ihre Anfechtung. Aber sie kam nicht nur von außen, sondern zumeist von innen. Sie kam aus den eigenmächtigen Erwartungen und Ansprüchen, die das Judentum an die Erscheinung Christi stellte, aus dem ungeduldigen dreisten Drängen, mit dem die Synagoge nach der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes griff. Das war das üble Erbe, das diese jüdischen Männer in sich trugen und zu überwinden hatten, weshalb es ihnen schwer ward beim gekreuzigten und im Himmel verborgenen Jesus zu stehen. Indem uns unser Brief neben den Gesetzeseiferern des Galaterbriefs und den gnostischen Himmelsstürmern des Kolosserbriefs unter den jüdischen Christen schlaff und matt gewordene Männer zeigt, die die Hoffnung und das Vertrauen wegzuwerfen versucht sind, so ergänzt er uns das Bild der jüdischen Christenheit höchst lehrreich. Das war die unvermeidlich eintretende Kehrseite zu jenem frommen Übermut.

Auch der Brief vergleicht den alten mit dem neuen Bund, und zwar faßt er jenen in seinen höchsten Gütern und Gaben und stellt nun Jesus neben sie, um zu zeigen, wie das was die Gemeinde in Jesus besitzt, unvergleichlich größer ist. Der einleitende Satz spricht es zusammenfassend aus:

was uns in Jesus gegeben ist. 1,1-4.

Er, der Sohn Gottes und der Herr der Welt, in dem die Herrlichkeit Gottes erglänzt, hat uns das göttliche Wort und die Reinigung von unsern Sünden gebracht.

Nun werden zuerst

Die Boten der göttlichen Offenbarung im alten Bund und Jesus, 1,5-5,10,

mit einander verglichen, und zwar fängt der Brief bei den Engeln an. Im alten Bund hat sich der Himmel um Israels willen aufgethan. Gott machte sich am Sinai durch den Dienst der Engel offenbar. Scheint nicht die Gemeinde Jesu hiegegen im Nachteil zu stehen? Nein! Jesus ist größer als die Engel, weil er der Sohn ist und der König auf Gottes Thron. Wenn wir aber seine Erhabenheit bedenken, so muß uns sein Wort wichtig werden und jede Geringschätzung desselben ist uns verwehrt. 1,5-2,4.

Wir haben ihn freilich noch nicht als den Herrn des Himmels und der Engel gesehen, sondern nach dem Wort des Psalms unter die Engel erniedrigt in den Tod. Aber auch in dieser Erniedrigung erscheint Gottes und Christi Herrlichkeit, weil darin die Größe seiner Liebe offenbar wird, daß er alles mit uns teilt, und uns durch seinen Tod gegen den Teufel und gegen die Sünde und gegen die Versuchung zum Helfer wird. 2,5-18.

Auch der menschliche Mittler des alten Bundes, Mose, ist von Gott hoch geehrt, da er ihm das Zeugnis der Treue in Gottes Hause gab. Aber was ist die Treue des Dieners neben der Treue des Sohnes in dem Hause, daß er selbst bereitet hat? 3,1-6.

Von Mose lenkt der Brief unsern Blick auf das Volk, dem Mose vergeblich diente, weil es durch seinen Unglauben Gottes Zorn auf sich lud. Die Lage der christlichen Gemeinde ist recht anderer Art. Auch ihr würde der Unglaube dieselbe Frucht tragen. Denn auch die Verheißung ist für uns dieselbe wie für die Väter. Auch uns ist der Eingang in Gottes Ruh zum Ziel gegeben, und auch über uns ist Gottes Wort eine richterliche Macht, und kann nicht ungestraft verachtet werden. 3,7-4,13.

Neben Mose gab Gott Israel Aaron, den Priester, zur Vergebung ihrer Sünden. Wir sind auch hierin nicht ärmer als Israel. Auch Jesus ist uns als Priester gegeben, und wir finden in ihm alles, was der alttestamentliche Priester besaß. 4,14-5,10.

Beim priesterlichen Wirken Jesu bleibt der Brief nun stehen, um dasselbe nach seinem Vorzug und seiner Bedeutung recht faßlich zu machen. Dadurch hebt er seinen Lesern den Anstoß, der sie jetzt schwanken macht. Denn wenn sie Jesus als ihren Priester kennen, lernen sie sich an seinem Sterben und an seinem Hingang zum Vater freuen, statt wie jetzt sich hieran zu ärgern. Zuerst schickt er aber

eine ernste Mahnung, 5,11-6,20,

voran. Sie sollen nicht unmündig bleiben, sondern nach der Vollkommenheit streben und bedenken, daß sie für immer fallen können, weil ihnen nichts mehr helfen kann, wenn sie Christus umsonst kennen lernten. 5,11-6,8.

Er will sie durch dieses ernste Wort nicht in's Verzagen treiben, vielmehr sollen sie hoffen und glauben wie die Väter, 6,9-12, und dazu hat ihnen Gott sein Wort eidlich bestätigt und unwandelbar gemacht und mit Christo ihre Hoffnung erhoben bis in's Allerheiligste. 6,13-20.

Damit hat sich der Brief wieder den Weg zur Betrachtung des Priestertums Jesu gebahnt, und er zeigt nun,

wie erst Jesus durch seinen Tod und seine Erhöhung ein wahrhaftiges Priestertum hergestellt hat. 7,1-10,18.

Weil ihn die Schrift Priester nach Melchisedeks Weise heißt, stellt sie ihn über Aaron empor. Denn durch die Vergleichung mit Melchisedek ist ihm ein ewiges Priestertum zugesagt, vor dem sich auch Abraham gebeugt hat. 7,1-10.

Jesu Priestertum gründet sich somit nicht bloß auf das Gesetz, wie das der frühern Priester, die deshalb Priester waren, weil das Gesetz dieses Amt ihnen übertrug, sondern auf den inwendigen Reichtum seiner Person, auf die Kraft des unvergänglichen Lebens, die in ihm ist. 7,11-17.

Deshalb ist er auch durch Gottes Eid zum Priester eingesetzt als der, der uns vollkommen erretten kann, und gerade das, was ihn von den frühern Priestern unterscheidet, seine Sündlosigkeit, seine Entfernung von uns und Erhebung in den Himmel, sein einmaliges Opfer, macht die Vollkommenheit seines Priestertums aus. 7,18-28.

Darum steht er auch nicht in einem irdischen, sondern im wahrhaftigen, himmlischen Heiligtum, 8,1-6, und vermittelt uns den bleibenden, neuen Bund mit seinen innerlichen Gütern. 8,7-13.

Die Einrichtung des alten Gottesdienstes wies selbst auf Jesu Priestertum hin, weil damals das Allerheiligste noch verschlossen war und nur der Hohepriester ein einzigesmal dasselbe betreten durfte. 9,1-10.

Was dieser Gang des Hohepriesters in's Allerheiligste am Versöhnungstage weissagte, dazu hat Jesus die Wahrheit und Kraft, da er durch's himmlische Heiligtum in's Allerheiligste Gottes ging kraft seines innerlich wirksamen Opferbluts. 9,11-14.

Deshalb liegt in seinem Sterben keine Verhinderung der Verheißung, vielmehr ist es notwendig zu unserm Heil, damit Gottes Heiligtum auch für uns geöffnet sei, und Jesus von dort wieder zu uns komme als unser Seligmacher, nachdem er jetzt gekommen ist, um unsere Sünden zu bedecken. 9,15-28.

Darum ist auch die Wirkung seines Opfers eine ganz andere als im alten Bund. Das alte Opfer hatte in seiner beständigen Wiederholung das Zeichen seiner Erfolglosigkeit. Jesus hat mit seinem einigen Opfer seiner Gemeinde die Vollkommenheit verschafft. 10,1-18.

Was soll nun auf Grund des priesterlichen Werks und der versöhnenden Gabe Jesu die Gemeinde thun? Es ist ihr damit wie den Alten die Berufung zum Glauben gegeben.

Der Glaubensweg Israels und der Christenheit. 10,19-12,29.

Der Brief macht die vorangehende Lehre fruchtbar in der Mahnung zur Hoffnung und Geduld, mit der wir glaubend bei Jesus bleiben. 10,19-39.

Allein die Leser sind ja des Glaubens müde geworden. Sie möchten endlich Gottes Reich und Herrlichkeit sehen. Darum geht der Brief lehrend auf das Wesen und die Frucht des Glaubens ein und vergleicht auch in dieser Hinsicht den Weg der Alten mit demjenigen der Gemeinde Jesu.

Auch die Alten waren alle auf Glauben gewiesen und mußten sich tragen lassen von dem, was sie nicht sahen, sondern nur hoffen konnten, und sie haben es willig gethan und die Welt um Gottes willen hintangelegt und erfahren, daß Gott als Zeuge für die einsteht, die sich an ihn halten. 11.

Uns hat Christus vollends die Bahn des Glaubens aufgethan, so daß wir im Blick auf ihn auch im Leiden Gottes väterliche Hand erkennen. Nur gegen die Sünde gilts ganze Wachsamkeit und Entschiedenheit. 12,14-17.

So sind wir ungleich reicher begabt als Israel. Dieses sah am Sinai nur die schreckende Majestät Gottes, wie sie mit irdischen Zeichen sich kundthat. Wir sind in's große Reich Gottes eingepflanzt, das Himmel und Erde umspannt und künftig noch in seiner ewigen Herrlichkeit sich offenbaren wird. 12,18-29.

Daran schließt der Brief noch die Erinnerung an

einige Grundlinien des christlichen Wandels, 13,

wobei die Mahnung besonders hervortritt: scheidet euch von Israel. Im Blick auf die künftige Stadt Gottes sollen die Leser die Schmach Christi willig tragen, da er sie auch von einem Altare speist, zu dem Israel keinen Zutritt hat.

Es ist sehr begreiflich, daß man diesen Brief Paulus zugeteilt hat. Derselbe führt die Juden ab vom Gesetz, erläutert aufs reichste die Vergebung und Versöhnung mit Gott in Jesu Tod und verkündigt den Glauben als den alleinigen Weg zu Gottes Wohlgefallen. Das schienen ja die Kernsätze der Predigt des Paulus zu sein. Allein diese großen Grundwahrheiten des Evangeliums bilden den gemeinsamen Inhalt aller apostolischen Predigt, und sind hier in anderer Weise innerlich angeeignet und in andere Formen und Begriffe gefaßt, als es Paulus thut.

Wenn z. B. Paulus von dem spricht, was das Gesetz wirkt, bann tritt vor allem dessen gebietende Majestät auf den Plan. Du sollst! das ist die Sprache des Gesetzes. Darum steht es vor Paulus als eine verdammende und tötende Macht und das Gesetz und Christus bilden einen Gegensatz. Das Gesetz fordert, Christus gibt; das Gesetz verdammt, Christus ist unsere Rechtfertigung; das Gesetz wirkt Zorn und Tod, Christus hat Gnade und Leben. Unser Brief stellt beide zusammen wie den Anfang und die Vollendung, die Weissagung und die Erfüllung, das Bild und die Sache. Alles, was das Gesetz enthält, findet sich bei Christo wieder, nur noch in höherem und vollkommenem Maß. Das Gesetz erweckt uns zur Furcht, Christus noch viel mehr, vgl. 2,2.3. 10,28.29. 12,25; das Gesetz bietet uns Hoffnung dar, Christus noch viel mehr, vgl. 7,19. Das Gesetz verschafft uns Vergebung, Christus noch viel mehr; das Gesetz führt uns zu Gott, Christus noch viel mehr. Nun kennt auch Paulus die verheißende Seite am Gesetz recht wohl, und die beiden Betrachtungsweisen des Gesetzes verdrängen und zerstören sich gegenseitig nicht. Dennoch wäre es schwer denkbar, daß Paulus, wenn er zum Schutz jüdischer Christen vor dem Rückfall in's Judentum den alten und neuen Bund verglich, diejenige Seite am Gesetz umgangen haben sollte, welche ihm die wichtigste war, nämlich seine richtende und tötende Kraft.

Spricht Paulus vom Segen des Todes Christi, so bricht stets das Wort hervor: ich bin mit Christo gestorben und ich bin mit ihm auferstanden. Er schließt sich selbst in Jesu Tod und Auferstehung ein. Das ist für ihn geschehen, gilt ihm, ist, weil's Christus hat, auch sein Besitz. In dieser innigen Einigung mit Christo steht des Apostels innerste Kraft. Wir würden diesen Gedankengang in unserm Brief vergebens suchen. Dagegen finden wir zur Erklärung des Todes Jesu einen andern Begriff verwandt, den wir bei Paulus niemals finden: Jesus ist unser Priester! Auch dieser Begriff ist reich und tief; aber er drückt eine andere Art aus, sich des Todes Jesu zu freuen. Da schaut der Blick aus der Tiefe empor zum verborgenen Gott: wer darf hinzutreten zu Gottes Zelt? wer wohnen auf seinem heiligen Berg? der Himmel ist hoch über uns und der Heilige von uns Sündern gänzlich geschieden. Nun kommt von oben der Sohn, macht sich uns gleich und deckt unsere Sünden durch seinen Tod. Was ist er nun? Unser Priester ist er, der uns zu Gott, von dem wir geschieden waren, hinzuleitete, und sein Heiligtum, das uns verschlossen war, uns öffnete. Auch hier wird und der Zugang zu Gott und seiner Gnade gezeigt, aber auf einem andern Wege, als wie es Paulus thut, nicht mit jenem einen freudigen Griff, der alles, was Christus hat, an sich zieht.

Spricht unser Brief vom Glauben, so betont er stark die Pflicht, die uns zum Glauben nötiget. Auch ihr müßt Gott Glauben halten, ebenso gut wie die Alten, ruft er uns zu. Spricht Paulus davon, daß wir nicht auf unsere Kraft und unser Werk gewiesen sind, sondern im Glauben auf Christus sehen dürfen, so hebt er dies hervor als das Zeichen für die Größe des. Evangeliums, als die Verherrlichung der Gnade Gottes und die Seligkeit des Christenstands. Darum macht er den Glauben zum Merkmal der neutestamentlichen Zeit, vgl. Gal. 3,23-25. Unser Brief hebt auch hier die Gemeinsamkeit zwischen dem alten und neuen Bund hervor. Auch die Alten mußten glaubend auf's Unsichtbare sich gründen, wie ihr es müßt, und sie zeigen euch, daß Gott den Glauben nicht zu Schanden werden läßt. Diese Unterschiede des innern Lebens und Verkehrs mit Gott in Christo geben allen christlichen Kernbegriffen ihre besondere Färbung und Eigenart. Sie kehren wieder in der Art, wie vom heiligen Geist geredet wird, wie auf's Wort Gottes hingewiesen wird, wie die Furcht Gottes und Christi erweckt wird, wie der Glaube in's Hoffen hinübergeleitet wird. Auch dies wäre schwer begreiflich, daß Paulus vom Unterschied des alten und neuen Bundes reden sollte, ohne mit einem einzigen Wort der Heiden zu gedenken. Unser Brief spricht nur von Israel.

Die Sprache des Hebräerbriefs ist gewählt und öfter von griechischem Wohlklang und Eleganz, während sich Paulus nie auf der Bahn griechischer Beredsamkeit bewegt. Seine Beweisführungen werden durch ein sonderndes Nachdenken gewonnen, das die Frage in ihre verschiedenen Glieder zerlegt und Punkt um Punkt erläutert, während Paulus gern sofort mit einem großen Kernwort die Antwort auf die Frage gibt. Deshalb stützt sich der Hebräerbrief auch beständig auf einen Text des Alten Testaments. Er besteht aus einer Reihe von Meditationen über Bibelworte, mit denen er Christi Wesen und Werk bewährt und beweist, wie ihm wiederum die Erscheinung Christi den vollen Sinn des alttestamentlichen Worts zur Erkenntnis bringt. Er hat hiebei nur die griechische Bibel gebraucht.

Der Brief macht uns mit einem Lehrer bekannt, der aus der griechischen Judenschaft hervorgegangen ist und das apostolische Evangelium selbständig in sich aufgenommen und mit großer Kraft sich zu eigen gemacht hat. Die Vermutung Luthers, der Brief könnte von Apollo geschrieben sein, oder diejenige, der wir in der alten Kirche begegnen, wenn er Brief des Barnabas genannt worden ist, werden schwerlich weit vom Ziel abirren. Diese Vermutungen nennen uns in der That Männer, aus deren Hand ein solcher Brief hervorgehen konnte. Nur waren sie nicht die einzigen Lehrer dieser Art in der apostolischen Zeit. Das gerade macht unsern Brief wertvoll, daß er uns einen überraschenden Einblick in den Reichtum an Wort und Erkenntnis gewährt, welcher in der ersten Christenheit durch das apostolische Zeugnis und neben demselben herangewachsen ist.

1)
3,6.14. 4,11.14. 6,12. 10,35.36. 12,1.3.4.5.12.
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