Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Amos.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Amos.

Unter den Königen der nördlichen Stämme war Jerobeam II. einer der Kräftigsten und ruhmreichsten. Er hatte während einer langen Regierung die Syrer, die früher Israel schwer bedrängt hatten, niedergeworfen und auch Moab unterthänig gemacht. Aber es war die letzte Periode der Sicherheit und äußeren Ordnung für das Volk. Mit der Ermordung seines Sohnes Sacharja beginnen die Wirren, durch die das Königtum der nördlichen Stämme verdarb und schließlich der Untergang derselben kam. An der Schwelle dieser Notzeit, aber noch vor deren Einbruch, als man in Israel noch stolz und mutig war und von glücklichen Zeiten redete, hat Amos das Volk im Namen Gottes gewarnt.

Die Könige von Assyrien hatten schon längst eine bedrohliche Macht in Vorderasien erlangt, und die Könige von Samarien hatten ihnen wiederholt Zins entrichtet. Nun dehnten sie ihre Kriegszüge immer häufiger nach dem Westen aus. Der Prophet sieht den Verderber; aber das Volk sah ihn nicht, oder ließ sich wenigstens durch den Ernst seiner Lage nicht zu dem bewegen, was allein not that.

Im Innern war das Volk tief zerrüttet. Es rieb sich selber auf in der wilden Jagd seiner Leidenschaften. Wer mächtig und reich war, brauchte rücksichtslos jedes Mittel zu seinem Vorteil und Genuß, und der Arme war ohne Recht und Schutz. Der Gottesdienst war kein Damm gegen den Untergang des Rechts; er war vielmehr selbst ein wesentlicher Grund des Ruins. Er wurde in denselben Formen gehalten, wie ihn der erste Jerobeam eingerichtet hatte. Bethel war neben Dan das große Heiligtum des Volks. Dort trugen die heiligen Stiere den Namen Jehovah's. Daneben standen auch noch andere Heiligtümer in Ehren, namentlich die von der Geschichte der Väter her berühmten, Bersaba und Gilgal. König und Volk waren eifrig in der Wallfahrt und im Opfer; aber der Gottesdienst war das Gegenteil aufrichtiger, ernster Buße. Heidnischer Sinn verdarb ihn, der die Gottheit mit Opfern und Gaben zu bestechen gedenkt, und es wechselten wilde Klage und tobende Sinnenlust, je nach der Art der Zeit. Darum war auch keine Schranke gegen die ausländischen Götter im Volk vorhanden. Den verschiedenen Baalsgestalten wurde immer wieder gedient. Zwischen demjenigen Jehovah, den das Volk anbetete, und den Baalsfiguren seiner Nachbarn war der Unterschied zu klein, als daß der eine die andern verdrängt hätte.

Amos war ein Mann aus Juda, ein Hirt in Thekoa, einem Städtchen südlich von Bethlehem am Rand des felsigen und öden Abhangs gegen das tote Meer hinab, wo von jeher Schafzucht die Beschäftigung der Bevölkerung bildete, vgl. 1,1. 7,14. Außerdem sammelte er die Früchte der Sykomoren, die zwar eßbar, aber von geringem Werte sind. Er hat dies dem Priester Amazia erzählt, um ihm zu beweisen, wie ferne ihm von Haus aus der Gedanke lag, als Prophet aufzutreten. Er hat vollauf zu thun, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben; für müßige Träume oder ehrgeizige Pläne hat ein Mann in seiner Lage keine Zeit. Deshalb erklärt er auch, er sei kein Prophet noch eines Propheten Sohn.1) Er treibt die Prophetie nicht berufsmäßig, weder selbständig noch im Dienst eines andern Propheten. Darum trifft ihn auch nicht der Verdacht, der durch die berufsmäßigen Propheten leicht verschuldet ward, daß er des Brotes und Lohnes wegen weissage. Ohne seine Absicht und unvermutet ist die innere Nötigung über ihn gekommen, im Namen des Herrn zu reden und zwar zu Ephraim. Er hat sich Bethel zum Ort seiner Predigt gewählt. Hieher kamen die Leute der nördlichen Stämme zur gottesdienstlichen Feier, so sollten sie eben hier das Strafwort des Herrn hören. Und zugleich war das, was man in Bethel als Gottesdienst trieb, unmittelbar der anschauliche Beleg für seine Bußmahnung.

Gottes Zorn über alle, über Israels Feinde und über Israel. 1 u. 2.

Die erste Rede zählt in liedartigen Strophen mit demselben Anfang und Refrain die Feinde Israels auf, Damaskus, die Philisterstädte, Tyrus, Edom, Ammon, Moab. Ihre Städte werden sämtlich ein Raub des Feuers um des blutigen Hasses willen, mit dem sie und des Herrn Volk sich vergriffen haben. Allein die Drohung steht nicht still: Juda wird den von Gott gestraften beigefügt und Israel ebenso. Es ist schwere Schuld, Gottes Volk anzutasten; aber es ist nicht minder schwere Schuld, wenn Gottes Volk gegen Gott sich erhebt, sein Gesetz verwirft wie Juda, die Armen bedrückt und die Propheten verachtet wie Israel.

Der Bußruf an Israel. 3-6.

Israel soll das prophetische Strafwort nicht verspotten. Es hat seinen guten Grund und wird zur Erfüllung kommen, um all des Unrechts willen, das in Samarien geschieht. Deswegen steht dem Volk der Untergang und Bethel die Zerstörung bevor. 3.

Die gewaltthätigen Weiber, die bösen Gottesdienste, die harte Verstockung gegen alle göttlichen Züchtigungen, die über das Volk gekommen sind, bringen ihm den Untergang. 4.

Der Prophet hebt das Klagelied an über dasselbe; denn es schmilzt zusammen auf einen kleinen Rest. Noch steht ihnen der Weg zum Leben offen, wenn sie den Herrn suchen. Aber die Gewaltthätigkeiten an den Armen und die stolze Zuversicht auf des Herrn Tag, als wäre er selbstverständlich ihr Glück und ihre Verherrlichung, und das übermütige Pochen auf ihr Opfer muß abgethan sein. 5.

Allein in ihrer stumpfen Sicherheit und ausgelassenen Lust mitten im Verderben ihres Volkes sind sie unrettbar. So kommt das große Sterben über sie und die Gewaltherrschaft eines fremden Volks. 6. Der dritte Teil des Buchs enthält

warnende Gesichte, 7-9,

vermischt mit erläuternden Sprüchen. Die Heuschrecken, die Gott macht, und das Feuer, das den Ocean verzehrt, zeigen, was Israel droht. Doch indem Gott diese Gesichte wieder ungültig macht, bezeugen sie zugleich mit der Drohung seine Willigkeit zum Verschonen. 7, 1-6.

Doch nun sieht Amos Gott mit dem Senkblei in der Hand. Das Krumme in Israel wird nicht mehr übersehen. Seine Heiligtümer werden deshalb abgebrochen und das königliche Haus wird mit dem Schwert beseitigt. Weder Israels Heiligtümer noch sein Königtum bestehen vor Gottes Maß. 7, 7-11.

Da Amos ausdrücklich auch das königliche Haus unter sein Gerichtswort stellt, lehnt sich der Oberpriester Amazia gegen ihn auf. Es wird deshalb ihm und seiner Familie alles mit der Exilierung verbundene Elend angesagt. 7, 12-17.

Der Korb mit Obst erinnert durch ein Wortspiel an das Ende, das über Israel kommt.2) Nochmals werden die hartherzigen Gewaltthaten an den Armen als der Grund bezeichnet, aus dem Israels Untergang stammt. Die große Trauer, die einbricht, wird beschrieben, und der Entzug des göttlichen Worts geweissagt. 8.

Der Prophet hört, wie Gott den Befehl erteilt, den Altar zu Bethel zu zerschlagen, und die erläuternden Worte weissagen das Exil. 9, 1-10.

Aber der Schluß ist dennoch verheißend. Es gibt in Israel ein Königshaus, das, wenn Gott die Schnur anlegt, nicht weggethan wird, das vielmehr, wenn es auch jetzt einer zerfallenen Hütte gleicht, neuerbaut wird: das ist Davids Haus. Und das Volk wird neu gesammelt und das Land erblüht durch Gottes Segen in reicher Fruchtbarkeit. 9, 11-15.

Auch dieses Buch ist ein höchst merkwürdiges Stück der Bibel. Solche Hirten gab es nur in Israel. Merkwürdig ist es nicht bloß wegen des kraftvollen Schwungs seiner Rede und der erleuchteten durchdringenden Kraft des Urteils. Größer als diese Gaben des Geistes ist das Herz, aus dem diese Worte kommen, ist das heiße Ringen mit der Macht des Unrechts und der verdorbenen Frömmigkeit, ist das eifernde Bemühen, durchzubrechen durch die Sünde Israels und die Buße in ihm zu erwecken, ist der unbeugsame Mut, welcher der Sünde ihre Folge zugesellt und dem Volk den Untergang als nötig, unvermeidlich und gerecht zuerkennt, und der nicht minder hohe Mut, dennoch Gottes Größe, Güte und Treue lobpreisend zu erheben, so daß das Ende seiner Wege mit Israel Leben und Friede ist. Solches entsteht in einem Menschenherzen nur durch Gottes Geist.

1)
Söhne des Propheten hieß man die Männer, die als Diener und Jünger an einen Propheten sich anschlossen.
2)
Das Wort für Obst klingt hebräisch ähnlich wie dasjenige, welches Ende bedeutet.
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