Schlachter, Franz Eugen - Samuel und Saul - 4. Wie Hanna ihr Gelübde dem HErrn bezahlt.
(Kap. 1,19 bis Kap. 2,10.)
Ein Gelübde wird leichter abgelegt als ausgeführt. Unsere Gefühle sind veränderlich, und die Stimmung, in der man einst sein Gelübde mit Begeisterung ausgesprochen hat, dauert nicht immer an. Daher wird manches Gelübde nicht erfüllt. Man bedenke auch, was es für ein Unterschied ist, etwas zu geloben, was man noch nicht besitzt, und es dann zu geben, wenn man es hat. Viele Gelübde werden gebrochen, weil man die Tragweite derselben bei deren Ablegung nicht zu ermessen imstande war, und man später die Kraft zu ihrer Ausführung nicht mehr besitzt. Wenn z. B. ein junger Mensch in noch unreifem Alter ein Gelübde ablegt, das ihn zur Ehelosigkeit zwingt, so kann es sich in der Folge zeigen, dass er dieses Gelübde nicht auszuführen imstande ist ohne ernste Gefahr für seine Sittlichkeit. Daher haben Mönche das Kloster verlassen, Nonnen den Schleier niedergelegt und Diakonissen sind in den Ehestand getreten, weil ihnen das Gelübde, das sie in früheren Jahren abgelegt, mit der Zeit zum unerträglichen Joch geworden ist.
Aus diesem Grund ist jedermann Vorsicht anzuempfehlen, der ein Gelübde ablegen will. „Es ist dem Menschen ein Fallstrick“, sagt Salomo, „das Heilige unbedacht herauszusagen und nach dem Gelübde erst zu überlegen,“ Spr. 20,25. und anderwärts sagt er: „Dein Mund sei nicht zu geschwind und dein Herz übereile sich nicht, etwas vor Gott zu reden! Es ist besser, du gelobst nichts, als geloben und nicht halten,“ Pred. 5,1.4. Vorsichtig soll man sein im Geloben, weil Gott die Gelübde gar nicht von uns verlangt, wie das Gesetz deutlich sagt: „Wenn du es aber unterlässt zu geloben, so ist es dir keine Sünde,“ 5. Mose 23,22. Am selben Ort wird aber ebenso bestimmt betont, dass Gott die Erfüllung eines abgelegten Gelübdes verlangt: „Wenn du dem HErrn deinem Gott ein Gelübde tust, so sollst du nicht säumen, es zu erfüllen, denn der HErr, dein Gott wird es gewiss von dir fordern, und es würde dir Sünde sein. Was über deine Lippen gegangen ist, das sollst du halten und danach tun, wie du dem HErrn, deinem Gott freiwillig gelobt hast,“ V. 21 und 23.
Ist es aber immer und jedenfalls Sünde, wenn man ein abgelegtes Gelübde nicht erfüllt? Wir haben soeben gehört, dass das Gesetz, 5. Mose 23,23 von freiwilligen Gelübden spricht. Ein erzwungenes Gelübde braucht nicht gehalten zu werden denn Gott hat auch kein Wohlgefallen daran. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Luther und Zwingli sprachen seinerzeit die Mönche und Nonnen von ihren Klostergelübden frei; mit vollem Recht, denn Menschensatzungen hatten diesen Leuten diese unerträgliche Lasten auferlegt. Jesus erkennt aber auch ein Gelübde nicht an, durch das man sich den nächsten Pflichten zu entziehen sucht. Gott hat kein Wohlgefallen daran, wenn man Ihm das opfert, was man den Eltern schuldig ist, Matth. 15,5. Ja, es wird sogar durch das Gesetz, 4. Mose 30, einem Vater das Recht eingeräumt, dass er das Gelübde seiner ledigen Tochter ungültig erklären kann, wenn es ihm zu Ohren kommt; ebenso einem Gatten gegenüber von dem Gelübde seiner Frau. Es heißt dort, der HErr werde es in diesem Fall einer solchen vergeben, wenn sie ihr Gelübde nicht erfüllt, die Verantwortung dafür fällt dann dem betreffenden Vater oder Gatten auf.
In Zeiten, wo man innerlich sehr bearbeitet ist, werden gerne Gelübde abgelegt. Hannas Beispiel hat uns das gezeigt. Da besteht nun die Gefahr, dass einem hernach die Ausführung zu schwer fallen will. Es kann vorkommen, dass es einen reut, weil man bei nachfolgender Ernüchterung findet, dass man zu viel versprochen hat. Dies ist aber ein Zeichen, dass es mit einem Menschen nicht richtig steht und auch bei Ablegung seines Gelübdes nicht richtig stand, denn wer zu viel versprochen hat, der kennt sich eben selber noch nicht, er traut sich selbst noch zu viel Gutes zu und muss bald danach sehen, dass er es nicht hinauszuführen hat. Wen es aber reut, dem fehlt es eben an der Liebe zu Gott, dem man doch wohl nicht zu viel opfern kann. Er sollte mit Paulus sagen: „Tun wir Zuviel, so tun wir es Gott.“
Als obersten Grundsatz zur Erfüllung eines Gelübdes müssen wir es darum betrachten, dass ein Mensch, der Gott seine Gelübde bezahlen soll, zuerst von Diesem etwas empfangen haben muss. Die Erfüllung des Gelübdes ist ein Akt der Dankbarkeit. Warum ist es Hanna möglich, ihr Gelübde zu erfüllen, als weil sie ihren Samuel von dem HErrn erbeten, von ihm zum Gnadengeschenk erhalten hat? Das Gelübde hatte sie allerdings schon vorher abgelegt, aber so wenig sie den Samuel dem HErrn zeigen konnte, bevor sie ihn vom HErrn erhalten hatte, so wenig kannst du die Übergabe an den HErrn machen, ehe du von Ihm mit dem Heiligen Geist begabt worden bist. Unser Opfer wird geheiligt durch den Heiligen Geist. Anstatt dass du darum deine gebrochenen Gelübde immerfort wieder erneuerst und so Schuld auf Schuld ladest, immer neue Schulden machst, lass dich doch einmal erst beschenken mit dem, was du vom HErrn erbeten hast.
Ein weiterer beachtenswerter Punkt in Hannas Verfahren ist der, dass diese wackere Frau ihr Gelübde zur rechten Zeit erfüllt. Sie tust es nicht zu früh und nicht zu spät. Wer weiß, was er will, übereilt sich nicht. Hanna behält das Kind, bis es reif ist zur Übergabe an das Heiligtum. Sie lässt ihre Familie allein gen Silo ziehen, bis sie den Knaben entwöhnt hat, was in Israel oft ziemlich lange ging. Ehe das Kind einigermaßen selbständig geworden war, ließ sie es nicht aus der Hand. Sie erfüllte zu allererst ihre Mutterpflicht an ihm. Mit Bezug auf die Kinder können wir hier lernen, dass man aus einem Kind nicht vor der Zeit schon etwas machen soll, wozu es der Natur der Sache nach noch nicht reif sein kann, weil sein geistiges Leben noch zu unentwickelt ist. Hanna hatte den Samuel schon in ihrem Herzen dem HErrn geschenkt, aber sie konnte warten, bis das Kind selbst so weit entwickelt war, dass es die Bedeutung der Übergabe an den HErrn einigermaßen begriff. So können auch wir oft nicht sofort an die Ausführung eines Gelübde schreiten, wir müssen Frucht bringen in Geduld. Es ist ja besser, man bringe dem HErrn erst nach einiger Zeit reife Frucht, als dass man Ihm eiligst unreife bringt. Hanna wartet aber auch nicht zu lang, bis sie ihr Gelübde erfüllt. Der Knabe ist noch sehr jung, wie sie ihn zum Heiligtum bringt. Wenn wir meinten, ein Kind sei noch zu jung für den Dienst des HErrn, so wird der Teufel finden, für ihn sei es nicht zu jung. Und wir werden bald genug Gelegenheit haben, unsere Gelübde zu praktizieren, wenn wir welche auf uns haben.
Sehen wir zu, dass wir unsere Gelübde ebenso freudig erfüllen, wie Hanna es tust. Sie ist eine so fröhliche Geberin, dass sie noch mehr opfert, als sie versprochen hat. Mit dem Knaben bringt sie noch drei Farren, ein Epha Mehl und einen Schlauch Wein zum Heiligtum. Und hier weiht sie ihren Samuel ohne jeglichen Vorbehalt dem Herrn wie sie deutlich sagt, für sein Leben lang. Anstatt nun diese Übergabe, die doch dem Mutterherzen ein Stück wegriss, unter Tränen und Klagen zu machen, dichtete sie auf diesen Tag einen Lobgesang, dessen Inhalt uns in Kap. 2,1-10 angegeben ist. Derselbe beginnt merkwürdigerweise mit dem Ausdruck ihrer Fröhlichkeit. Wieso kann sie denn bei dieser Trennung von ihrem Knaben fröhlich sein. Sie sagt es: „denn ich freue mich deines Heils!“ Kap. 2,1. Ihre Freude gründet sich nicht auf ihr Kind, sondern auf die unwandelbare Gnade des HErrn. Von dieser hat sie herrliche Erfahrungen gemacht. Sie hat mehr bekommen als nur den Samuel, den HErrn selbst hat sie kennen gelernt (V. 2). Und mehr als die äußeren, freudigen Erfahrungen mit diesem Kind sind ihr die inneren Erfahrungen wert, die sie gemacht in der Zeit, wo sie um dasselbe mit Tränen flehte, und es dann mit Freuden empfing und in Gottesfurcht pflegte. Hanna ist eine Mutter, die nach dem Wort des Apostels beim Kinderzeugen selig geworden ist, weil sie geblieben ist im Glauben und in der Liebe und in der Heiligung samt der Zucht.