Schlachter, Franz Eugen - Samuel und Saul - 16. Sauls Verwerfung.
(1. Sam. 15.)
Dieses Kapitel schließt zwar noch lange nicht Sauls Lebensgeschichte ab, es zeigt uns aber, wie sein Schicksal endgültig besiegelt wird. Mit den Worten an Saul: „Du hast des HErrn Wort verworfen, und so hat auch der Herr dich verworfen, dass du nicht König seiest über Israel!“ kündigt Samuel diesem feierlich seine Verwerfung an. Vom HErrn verworfen zu sein, das ist ein furchtbares Geschick. Bedenken wir, dass es das Gegenteil der gnädigen Erwählung, ja die Aufhebung all der gnädigen Einladungen bedeutet, wo der HErr uns zuruft: Kommt her zu Mir! Wie schrecklich, dass derselbe Gott, der uns Seine Liebe tausendfach versichert und uns dieselbe so unwidersprechlich beweist, doch auch den Sünder verschmähen kann, wenn dieser Seine Liebe auf die Dauer verschmäht. Und wie uns an Saul klar wird, kann das Verwerfungsurteil über einen Menschen schon ausgesprochen sein, wenn derselbe äußerlich noch in Amt und Ehren steht und sich guter Verhältnisse erfreut. Saul bekleidete noch viele Jahre hindurch die höchste Stelle in Israel, obgleich er bereits verworfen war, nicht der König Israels zu sein. Die Mehrzahl des Volkes betrachtete ihn wohl auch noch als Knecht des HErrn, und dennoch hatte der HErr kein Wohlgefallen an ihm. Saul wurde durch seinen Steg über die Amalekiter reicher, angesehener und mächtiger denn je, und doch war er in seines Herzens Grund unglücklicher denn ja, denn er fühlte sich der Gnade des HErrn beraubt und bald wich auch der Geist des HErrn von ihm.
Spüren wir nun zu unserer Warnung genau den Ursachen von Sauls Verwerfung nach. Die tiefliegendste Ursache hatte ihm Samuel schon bei seiner ersten Versündigung dort in Gilgal angedeutet, dass er nämlich nicht ein Mann nach dem Herzen Gottes sei. Der HErr wusste das schon längst, Es machte es aber durch die Prüfung offenbar, die ER den Saul zum zweiten Mal bestehen ließ und die dieser wiederum nicht bestand. Er sandte ihn zur Vertilgung der Amalekiter aus, denen Er schon durch Mose die Ausrottung gedroht. Saul befolgte den Befehl des HErrn, dass er gegen diese Feinde des Volkes Israel zog, aber was die Ausrottung derselben betraf, ging er im Gehorsam gegen das Wort des HErrn nur so weit, als es ihm gefiel. Er richtete es so ein, dass er sagen konnte: „Ich habe das Wort des HErrn erfüllt!“, während doch sein Gehorsam nur ein teilweiser war. Ein teilweiser Ungehorsam ist dem HErrn ebenso sehr ein Greuel, wie wenn man Sein Wort gar nicht erfüllt, weil eine eigenmächtige Abänderung Seine Befehles eben ein Verbrechen ist gegen Seine Majestät. Überdies zeigt es sich gewöhnlich, dass der bloß teilweise Gehorsam gar keiner ist, sondern man tut eben das, was man ohnehin gerne will. Soweit Gottes Wort kommod1) ist, erfüllt man es, was einem aber unkommod ist oder unzeitgemäß erscheint, das bleibt unerfüllt, davon sagt man, es sei eben nicht ausführbar. Saul zog gerne in den Krieg, davon versprach er sich Ruhm, aber was ihn beim Volk unbeliebt hätte machen können, das vermied er geflissentlich, deshalb erlaubt er ihnen, trotz dem deutlichen Befehl des HErrn, die Verschonung dessen, was ihnen gefiel.
Zu Sauls Ungehorsam gesellte sich nun aber noch die Heuchelei. Anstatt es offen heraus zu sagen, er habe sich das Gebot des HErrn abzuändern erlaubt, hat er die Stirn zu behaupten, er habe das Wort des HErrn erfüllt. Wie schändlich nimmt sich diese Behauptung aus, während das Blöken der erbeuteten Schafe und das Brüllen der Kinder dagegen spricht. Diese Tiere reden wenigstens die Sprache der Natur, sie drücken sich aus, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, aber der Heuchler muss notwendig anders reden, als es in seinem Herzen ist. Das ist bald gesagt, man habe des HErrn Wort erfüllt, man sei sich keiner Übertretung desselben bewusst, aber wie, wenn der ganze Wandel und die Umgebung eines Menschen dagegen zeugt? Nicht nur die Hausgenossen, sondern vielleicht auch die Haustiere bezeugen das Gegenteil.
Mit Sauls Heuchelei verbindet sich seine Unbußfertigkeit, welche zu der eigentlichen Ursache seiner Verwerfung wird. Denn auch die ernstliche Bußpredigt Samuels bricht das Herz des Heuchlers nicht. Zwar gibt er zu, dass er gesündigt habe, aber er eignet sich leichtsinnigerweise die Vergebung zu, ohne auch nur zerbrochenen Herzens zu sein und daran zu denken, dass der Ungehorsam gut gemacht werden muss. Er sagt: „Ich habe gesündigt!“ fügt aber auch sofort die Entschuldigung bei: „denn ich fürchtete das Volk“; worauf er den Anspruch auf Vergebung begründen will. Demütigen will er sich nicht. „Ich habe gesündigt,“ antwortet er Samuel noch einmal, „aber ehre mich doch vor den Ältesten meines Volkes“ vor denen er doch gesündigt hat, vor denen er nun auch sollte Buße tun.
Saul hat auch in der Folgezeit keine Buße getan. Seine ganze weitere Lebensgeschichte zeigt uns, wie es mit ihm abwärts ging und wie er dem Verstockungsgericht verfiel. Ein Mensch, der wie Saul gegen seine bessere Überzeugung handelt und unbußfertig bleibt, wird allerdings von dem HErrn verstockt. Der Geist des HErrn wich von Saul und ein böser Geist, von Gott gesandt, schreckte ihn. Alle weiteren göttlichen Mahnungen schlug Saul in den Wind. Davids liebliches Vorbild, das ihm bald darauf vor Augen trat, erregte in ihm den tiefsten Hass, anstatt dass er durch die Sanftmut dieses Mannes nach dem Herzen Gottes zur Buße geleitet ward. So hat er denn endlich Hand an sein eigenes Leben gelegt und seinem traurigen Dasein ein erschütterndes Ende gemacht.
Wir aber wollen nicht zu Gericht sitzen über ihn, sondern es machen, wie David in seinem Trauergesang uns zuruft: „Ihr Töchter Israels, weint über Saul!“ (2. Sam. 1,24). Sa, schaue die Güte und die Strenge Gottes, die Strenge an denen, so gefallen sind, die Güte aber an dir, sofern du an der Güte bleibst, auf dass du nicht auch abgehauen wirst!