Schlachter, Franz Eugen - Das Evangelium der Reformation am Berner Religionsgespräch 1528

Schlachter, Franz Eugen - Das Evangelium der Reformation am Berner Religionsgespräch 1528

Ist es wohl zuviel, wenn wir evangelische Christen uns einmal im Jahr Rechenschaft darüber geben, ob das Evangelium, welches wir heute predigen und hören, noch das gleiche sei wie dasjenige, welches die seligen Reformatoren verkündigt und unsere Väter mit Begeisterung angenommen haben? Doch wohl nicht! Beim Bau des Simplontunnels wurde die Arbeit alle Monate einen ganzen Tag eingestellt, damit die Ingenieure feststellen konnten, ob man nicht von der rechten Richtung abgekommen sei; denn ein einziger Zentimeter Differenz hätte zur Folge haben können, dass die beiden Tunnelhälften viele Meter weit aneinander vorbeigegangen wären. So könnte auch eine anfänglich nur geringe Abweichung von dem Evangelium der Reformation zur Folge haben, dass wir in eine falsche Richtung hineingerieten, und bekanntlich sind ja bereits sehr verschiedene Richtungen innerhalb der reformierten Kirche vorhanden, die zum Teil recht weit auseinandergehen.

Entscheidend für die Durchführung der Reformation im Kanton Bern und also auch maßgebend für ihre Lehre, war das Religionsgespräch, welches in unserer Stadt vom 7. bis zum 20. Januar 1528 abgehalten wurde in der damaligen Franziskanerkirche. Vermittelst solcher Gespräche oder öffentlicher Disputationen zwischen den Anhängern der Reformation und denjenigen des Papsttums pflegte man damals festzustellen, wer im Rechte sei, und je nach dem Ausgange einer solchen Unterredung wurde dann am betreffenden Ort die Reformation eingeführt, oder sie unterblieb, wenn es ihren Anhängern nicht gelang, die Mehrheit von der Wahrheit zu überzeugen. Der Berner Disputation wurde nun nicht nur in der Stadt und im Kanton, sondern in der ganzen Schweiz und selbst im Ausland große Bedeutung beigelegt. Das bewies die Beteiligung, da sich zu diesem Religionsgespräch im ganzen nicht weniger als 350 Geistliche aus der Schweiz und Deutschland zusammenfanden. Das Hauptkontingent stellte Zürich, wo ja die Reformation schon seit mehreren Jahren durchgeführt war. Es sammelten sich dort am Neujahrstag 1528 die evangelischen Theologen von Glarus, Schaffhausen, St. Gallen, Konstanz, Ulm, Lindau und Augsburg, um am 2. Januar mit Zwingli, Pellikan, Bullinger, Schmid und 40 Landgeistlichen nach Bern aufzubrechen, begleitet auch von einer schönen Anzahl Bürgerlicher, die dem Evangelium von Herzen zugetan waren, darunter sogar der Bürgermeister Röust und der Stadtschreiber Mangold, die als Abgesandte des Rates neben dem Zürcher Reformator ritten. Der Rat von Zürich schickte überdies 300 Bewaffnete mit den Geistlichen, die ihnen durch die katholischen Gebiete das Geleite geben sollten, da die Päpstlichen hatten verlauten lassen, „wenn dieses Wild das Land durchziehe, müsse man es jagen, totschlagen oder einsperren.“ In Zofingen wurden sie von dem bernischen Ehrengeleite in Empfang genommen, das der Rat von Bern ihnen bis dorthin entgegengesandt hatte.

Warum der Berner Disputation eine so große Bedeutung beigelegt wurde ist leicht zu verstehen, wenn man die damaligen Verhältnisse auch nur einigermaßen kennt.

Für die Sache der Reformation in der Schweiz bedeutete der endgültige Anschluss Berns eine Sicherstellung, wenn nicht gar den vollständigen Sieg. Bern war der mächtigste Kanton der Schweiz, ein Militärstaat, um dessen Gunst damals sogar auswärtige Regierungen sich bemühten. Trat es der Reformation bei, so war die Gefahr beschworen, die der Sache des Evangeliums von Seiten des katholischen Österreichs drohte, mit dessen Hilfe die päpstlich gesinnten Urkantone, treulos genug, die Herrschaft des Papsttums in unserm Lande wiederherzustellen hofften. Verband sich nun Bern mit Zürich, so bekamen die kleinern evangelisch gesinnten Kantone, wie Basel, Schaffhausen, St. Gallen und Appenzell an diesen beiden starken Brüdern einen mächtigen Rückhalt, und es ließ sich erwarten, dass auch noch andere sich ihnen anschließen würden, welche bisher unentschieden geblieben waren.

Aber auch im Kanton Bern selbst sollte das Religionsgespräch der bisherigen Unentschiedenheit ein Ende machen. Die reformatorischen Schriften waren in Bern von Anfang an fleißig verbreitet und gelesen worden, und es wirkten auch zu Stadt und Land mehrere evangelisch gesinnte Geistliche, von 1515 bis 1519 Dr. Thomas Wyttenbach aus Biel, neben ihm zunächst als sein Gehilfe Bertold Haller, ein geborener Schwabe, der dann von 1520 an als Wyttenbachs Nachfolger mit zunehmender Kühnheit und unter wachsendem Beifall seitens der Bürgerschaft das Wort Gottes auslegte im Anschluss an Luthers Erklärungen. Im gleichen Sinne wirkte in der Stadt Dr. Sebastian Meyer, der Lesemeister im Barfüßerkloster, auf dem Lande aber in Amsoldingen Johannes Haller, ein Ostschweizer, der es 1520 sogar wagte, als erster Bernischer Priester eine Zürcherin zum rechtmäßigen Eheweib zu nehmen. Am meisten Aufsehen erregte nächst diesen der Landpfarrer Jürg Brunner zu Kleinhöchstetten, der die dortige Wallfahrtskirche, die jetzt nur noch ein Ökonomiegebäude ist, derart mit dem Evangelium bediente, dass seine päpstlichen Kollegen ihn bei den Gn. Herren in Bern verklagten. Sie wurden aber abgewiesen, trotzdem Brunner offen zugab, er habe den Papst auf der Kanzel einen Antichristen genannt und die bischöfliche Priesterweihe für ein Fastnachtsspiel erklärt. Er sagte u. a. vor Gericht: „Wer dem Papst Gewalt gegeben, dieses Affenspiel zu veranstalten, das lasst euch von ihm sagen. Gott hat es ihm nicht befohlen, das weiß ich. Ich bin wie jeder andere Christ ein Priester. Dies will ich bleiben; das übrige mag hingehen, woher es gekommen ist!“ Trotz dieser ganz unerhörten Aussprüche des Angeklagten wurden seine Gegner sogar zur Zahlung der Prozesskosten verurteilt; geschehen im Jahre 1522, also 6 Jahre vor Einführung der Reformation.

Man mag daraus ersehen, wie stark der evangelische Sauerteig schon damals bis in den bernischen Ratssaal hineingedrungen war. Dennoch blieb die Haltung des Rates noch eine schwankende, was sich daraus erklärt, dass zwar das Volk dem Evangelium zugetan war, die Patrizier aber in ihrer Mehrheit es mit der katholischen Geistlichkeit hielten. Charakteristisch für die in jenem Zeitpunkt noch herrschende Unentschiedenheit, da man es weder mit der evangelischen, noch mit der katholischen Partei verderben wollte, ist das Religionsmandat, welches der große Rat auf Viti und Modesti (15. Juni) 1523 erließ und in welchem er verordnete, „da etliche fürgeben, das Wort Gottes und h. Evangelium recht gepredigt zu haben, andere aber widersprechen und sie Ketzer, Schelmen und Buben heißen, so sollen alle Prediger nichts anderes denn allein das h. Evangelium und die Lehre Gottes öffentlich und unverborgen verkünden und was sie sich getrauen können und mögen durch die wahre h. Schrift des Alten und Neuen Testaments zu beschirmen und bewahren; dagegen alle andern Lehren, Disputation und Stempeneien, dem h. Evangelium und Schriften ungemäß, sie seien von dem Luther oder andern Doktoren geschrieben und ausgegangen, ganz und gar unterlassen, sie nicht predigen oder dem gemeinen Mann auf den Kanzeln eröffnen, sondern neben sich stellen und derselben nicht gedenken.“

Diesem Mandat hatten die Gegner der Reformation zugestimmt, weil darin scheinbar die lutherische Lehre verboten war; als sie aber sahen, dass sich die evangelisch Gesinnten eben gerade auf dieses Mandat beriefen, weil es die Verkündigung des göttlichen Wortes verordnete, da reute es sie, zu diesem Erlass Hand geboten zu haben, welcher der Sache der Reformation, anstatt hinderlich, geradezu förderlich war.

Unter dem Volke hatten besonders zwei Begebenheiten der letzten Zeit viel dazu beigetragen, die Achtung vor der herrschenden Kirche zu untergraben, nämlich der ärgerliche Vorfall mit dem Schädel der h. Anna, welchen der Rat in einem Kloster zu Lyon kaufen ließ, der sich aber dann als ein gemeiner, dem dortigen Beinhaus entnommener Totenkopf entpuppte, was den abergläubischen Bernern viel Spott eintrug. Dieser Vorfall gab dann einem humorvollen bernischen Dichter und Maler, Niklaus Manuel, den Mut, an der Fastnacht 1523 zwei Spiele an der Kreuzgasse aufzuführen, in deren erstem die Seelenmessen lesenden Priester als Totenfresser verspottet wurden, während das zweite „von des Papstes und Christi Gegensatz“ dem Volke den Unterschied zwischen dem Leben Christi und seines angeblichen Statthalters vor Augen führte. Manuel wurde so gut verstanden, dass man am Aschermittwoch darauf den Ablass mit Gespött durch alle Gassen trug und das „Bohnenlied“ dazu sang, als dessen Verfasser ebenfalls Manuel angegeben wird. Valerius Anshelm erzählt, die Wirkung sei gewesen, dass ein groß Volk bewegt ward, christliche Freiheit und päpstliche Knechtschaft zu bedenken und zu unterscheiden. „Es ist auch“, sagte er, „in dem evangelischen Handel kaum ein Büchlein so dick (oft) gedruckt und so weit gebracht worden als dieser Spielen.“

Wie die Stimmung zu Stadt und Land unter dem Volke war, das erfuhr die Regierung durch ihre Beamten, welche mit zwei Mandaten, demjenigen von 1523 zu Gunsten der freien Predigt des Evangeliums und einem andern von 1526 zu Gunsten der Sakramente, der Heiligen, der Mutter Gottes und der Kirchenausschmückung die Gemeinden durchzogen, um zu sehen, welchem die Bevölkerung den Vorzug gebe. Allenthalben wurden die Stimmen gegen ein die Freiheit beschränkendes Gesetz abgegeben und verlangt, Gottes Wort sollte frei und öffentlich verkündigt werden, selbst wenn es den Menschensatzungen entgegen laute. Die Emmentaler erklärten, sie könnten die Messe entbehren und wollten bloß Pfarrer und Bibel behalten. In der Stadt hoben sechs Zünfte (Schuhmacher, Weber, Kaufleute, Bäcker, Steinmetzen und Schreiner) in den ihnen gehörigen Klöstern und Kirchen die Messen, Jahrzeiten, Patronate und Präbenden auf; drei andere (Gerber, Schmiede und Schneider) wollten dasselbe tun, sieben schwankten noch; nur die Metzger waren entschieden päpstlich gesinnt.

Der Rat merkte, dass es Zeit wäre, der Unentschiedenheit ein Ende zu machen, und so beschloss er unter Zustimmung der Bürgerschaft am Sonntag nach Martini 1527 einstimmig auf Anfang nächsten Jahres die Abhaltung einer Disputation. Berner und Fremde, Priester und Laien wurden brieflich oder durch gedruckte Zettel dazu eingeladen; es sollte aber bloß die h. Schrift als Autorität gelten. Auch die vier Bischöfe von Lausanne, Konstanz, Basel und Sitten, zu deren Sprengel je ein Teil des Kantons gehörte, wurden aufgefordert, wenn sie ihre Vorrechte im Kanton nicht einbüßen wollten, sich an der Konferenz zu beteiligen; aber sie antworteten, sie hätten nichts damit zu schaffen, weil es sich um eine Besprechung nach der Schrift handle. Auch die fünf Urkantone im Verein mit Freiburg, Glarus und Solothurn nahmen Stellung gegen die Absicht der Berner, indem sie behaupteten, die Mehrzahl des Bundes und der Papst hätten zu entscheiden, wogegen Zürich erklärte, jeder Staat könne nach Belieben seine Lehre wählen. Die römischen Doktoren machten es wie ihre Bischöfe. Sie sagten hochmütig: „Wir gehen nicht nach Bern, schlagen uns nicht in der düstern Höhle, in dieser Ketzerschule. Lasst die Bösewichter herauskommen und auf offenem Felde mit uns kämpfen, wenn sie, wie sie behaupten, die Bibel für sich haben!“ Selbst der Kaiser befahl einen Aufschub der Disputation; aber der Berner Rat erwiderte am Tag der Eröffnung, es sei schon alles versammelt und ein Aufschub unmöglich.

Was wurde nun an diesem Religionsgespräch für ein Evangelium verkündigt?

Der Rat von Bern hatte zum voraus das biblische Evangelium als allein zulässig erklärt. Sehen wir, ob seiner Verordnung nachgelebt wurde.

Die theologischen Verhandlungen wurden am 7. Januar, einem Dienstag, eröffnet durch ein Begrüßungswort des Vorsitzenden, des Bürgermeisters Joachim v. Watt, genannt Vadianus, von St. Gallen. Auf einem noch erhaltenen Portrait hält dieser edle Mann, welchem St. Gallen das Evangelium verdankte, eine Bibel in der Hand, in der das Wort Pauli steht: „Es ist Ein Gott und Ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat zur Erlösung für alle, auf dass solches zu seiner Zeit gepredigt würde“ (1.Tim. 2,5.6). Dies ist das Losungswort der Reformation und auch der Berner Disputation gewesen. Dieselbe bewegte sich um zehn sog. Thesen, deren erste lautete: „Die heilige christliche Kirche, deren alleiniges Oberhaupt Christus, ist aus dem Wort Gottes entstanden, wohnt in ihm, hört auf keine fremde Stimme“. Sofort erhob sich Widerspruch gegen diesen Artikel. Aleris Grat, ein Dominikaner, rief: „Das Wort alleinig steht nicht in der Schrift: Christus hat einen Stellvertreter auf Erden gelassen“. Haller entgegnete schlagfertig: „Der Stellvertreter, den er zurückgelassen hat, ist der h. Geist.“ Die neun übrigen Artikel, über die man disputierte, waren die Tradition, d.h. die mündliche Überlieferung, auf welche sich die römische Kirche neben der Schrift beruft, ferner Christi Verdienst, Transsubstantiation, d.h. Verwandlung der Hostie in den Leib und das Blut Christi, Messe, Anrufung der Heiligen, Fegefeuer, Bilderdienst, Ehelosigkeit der Priester, Ausschweifungen des Klerus. Die römische Lehre fand auch ihre Verteidiger, u.a. den Pfarrer Maurer von Rapperswil, welcher sagte: „Wenn man die beiden Berner Prediger (Haller und Kolb) verbrennen will, so bin ich bereit, sie aufs Schaffot zu tragen!“ Solche Gründe wirkten natürlich nicht; denn es waren keine. Es fiel den Vertretern des alten Glaubens schwer, sich mit den schriftkundigen Männern der Reformation zu messen, mit Zwingli, Ökolampad, Haller, Bullinger u.a. Der beim Gespräch anwesende solothurnische Priester Jakob von Münster schrieb über den Verlauf der Diskussion: „Der Kampf war für die Ketzer leicht, da ihnen keine gerüsteten Gegner gegenüberstanden. Wir leiden die verdiente Strafe für die Verachtung der Wissenschaft und die Vernachlässigung der Studien. Unsere Niederlage ist entschieden. Sie hätte abgewendet werden können, wenn unsere Bischöfe so große Liebhaber der Studien als der Dirnen gewesen wären!“

Während drei Wochen wurden so jeden Morgen von 7 Uhr und nachmittags von 1 Uhr an die evangelischen Wahrheiten vor dem versammelten Rat und der Geistlichkeit des Kantons durchgesprochen. Außer diesen beiden theologischen Versammlungen in der Barfüßerkirche fand aber auch täglich ein evangelischer Gottesdienst im Münster statt für das Volk, bei welcher Gelegenheit einer der anwesenden Zeugen eine Predigt hielt. Diese Zeugnisse sind uns erhalten geblieben durch die Fürsorge eines der fremden Teilnehmer, des Komturs Schmid von Küßnacht, der mit Zwingli nach Bern gekommen war und die Predigten hernach im Druck herausgab. Aus denselben ist noch heute zu ersehen, welches das Evangelium der Reformation gewesen ist. In diesen Predigten sind alle Hauptpunkte des biblischen Evangeliums enthalten. Besonders wird es von allen Zeugen übereinstimmend betont, dass das Heil allein durch Christum komme; dass man dieses Heil aber auch nur durch den Glauben erlange; dass jedoch dieser Glaube eine Wirkung des heiligen Geistes sei und als solche auch eine wahre Bekehrung und Änderung des Herzens und Lebens herbeiführe.

Gleich am ersten Sonntag nach Beginn des Religionsgespräches sagte der Konstanzer Pfarrer Ambrosius Blarer in seiner ersten Predigt: „Ihr wisset, allerliebste Brüder, welch tausendfältigen Menschentand man uns bisher gelehrt und uns hingewiesen auf unser eigenes Vermögen, eigene Werke, Wallfahrten, römischen Ablass, Anrufung der Heiligen, Weihwasser, Salz, Messen und Brüderschaften, als sollten wir durch solche Dinge Verzeihung der Sünden, Gerechtigkeit und Seligkeit erlangen. Jetzt aber weist man uns einhellig den allein richtigen Weg zum Heil und zur Seligkeit, zu Christo allein, wohl wissend, dass wir alles reichlich und überschwenglich in ihm finden, was wir früher in den vielen menschlich erdachten und verordneten Flickwerken mit Mühe und Angst gesucht, ohne es aber zu finden.“

Desgleichen sagte Martin Bucer aus Straßburg zu dem Volk: „Des Papstes Joch habt ihr nur zu lange getragen, seiner Lehre zu viel gefolget. Christus ist Papst, Kaiser und alles; ihm und sonst niemand hat der Vater im Himmel alle Gewalt im Himmel und auf Erden verliehen. Folget ihr ihm, so ist alles gut, was ihr tut, und es wird auch allen Frommen gefallen, und der andern hat man sich nicht zu achten, sie sind Gottes Feinde und sonst leere Wasserblasen, die nichts vermögen.“

Sehr kräftig drückte das auch der Komtur Schmid von Küßnacht in folgenden Worten aus: „Christus hat sich selbst einmal für unsere Sünden geopfert und hat für alle Ewigkeit genug getan. Solches genügt allezeit dem Sünder, der sich auf den Tod Christi vertröstet und ist so heilsam und kräftig, als es dem Schächer in der Stunde des Leidens war. … Hier soll man also das Pfaffenopfer (die Messe) abtun; denn es ist ein Missbrauch und eine Lästerung Gottes; dabei soll man aber das einige Opfer Christi in seinem Werte bleiben lassen, das einmal geschehen für alle Zeiten, und in Ewigkeit für die Gläubigen genügt. Stets sollen wir das Andenken daran nicht auf dem Altar, sondern in unsern Herzen durch den Glauben erneuern, so werden wir der Früchte und Segnungen desselben teilhaftig.“

In diesem Sinne sagte auch Kaspar Megander aus Zürich in seiner Abschiedspredigt nach dem Religionsgespräch: „So will ich nun auch heute mit einer ehrsamen Stadt und Gemeinde zu Bern reden. Dieweil ihr die Freiheit der Seelen kennen gelernt, d.i. dieweil ihr durch das teuere Predigen euerer Predikanten und diese Tage her auf dem löblichen Gespräche vernommen habt, dass die Vergebung der Sünden an kein äußeres Ding gebunden sei, sondern dass sie allein durch die Gnade Gottes uns verliehen werde, zu der wir aber durch den Tod seines Sohnes Zutritt erhalten haben, so lasset euch auf keinerlei Weise diese Freiheit, welche euerer Seele Labung und Erquickung gewährt, wieder rauben; sondern bestehet dabei und bietet Trotz dem Teufel und seiner Gewalt. Denn wenn wir, nachdem wir die Gnade Gottes kennen gelernt, uns derselben wieder entziehen und einen andern Weg einschlagen, um selig zu werden, und auf dem alten verharren, so sollen wir wissen, dass es außer Christo kein Opfer und keine Versöhnung mehr gibt, ja dass, wer davon abweicht, schwer und ewiglich sich verfehlt und eine Sünde begeht, die ihm weder hier noch dort nimmermehr verziehen wird. Darum sollen wir in der Freiheit, die wir in Christo gefunden haben, bleiben und verharren.“

Soviel von dem, was die Zeugen des Evangeliums damals von dem durch Christum allein zu erlangenden Heile sagten. Nun wollen wir aber auch etwas hören von dem Weg, der zu diesem Heile führt. Alle Reformatoren sind darin einig, dass man des Heils in Christo nur auf dem Glaubenswege gewiss wird. Thomas Gaßner aus Lindau sagte das in seiner Predigt im Berner Münster damals einfach und klar, indem er sprach: „Nun gibt es viele Menschen, die solches wohl zum Teil glauben, Gott habe soviel Gutes durch Christum verliehen; aber sie wähnen, es gehöre nicht ihnen, und so fragen sie, wie man dieser Wohltaten teilhaftig werde, und wollen erst mit Werken erkaufen, was Gott uns in Christo so reichlich geschenkt hat; so einige durch Messehalten und –hören, wie wir es neulich vernommen. Nein aber, liebe Freunde, nicht also, sondern durch den Glauben allein wird man dieses Gutes teilhaftig: Gott verlangt zu dieser Sache nur den gehorsamen Glauben. Wenn du alles fest und ohne Zweifel glaubst, was das Evangelium von Jesu Christo sagt, so wirst du es wahrlich schon haben. Dahin beziehen sich jene trostreichen Sprüche: „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“ und ähnliche trostreiche Stellen mehr.“

Was aber der Glaube eigentlich sei, das machte Martin Bucer aus Straßburg recht anschaulich, indem er sprach: „Wenn jetzt ein Bettler dasäße und ich zu ihm spräche: Mache dich auf zu meinem Herrn Schultheißen, er will dich reich und glücklich machen; aber mache dich gleich auf, lass all deinen Plunder liegen und komm gleich zum Schultheißen! Wenn nun aber der Bettler sagte: Ei warte, lass mich mein Säcklein Brot und meinen geflickten Mantel mit mir nehmen! Was, glaubte dieser auch meinen Worten? Ich würde zu ihm sagen: Du Narr, lass dein schimmliges Brot und deinen lausigen Mantel liegen! Was soll dir das helfen? Siehe, was tun etliche anders als dieser Bettler? Das Evangelium heißt nur zu Christo kommen; er werde alles geben; und dennoch möchten sie daneben noch gerne haben der lieben Heiligen Fürbitte, dieses und jenes Werk, da und dort einen Abbruch. Ach, in dem, was wahrhaft gut ist, was brüderliche Liebe erfordert, darin muss man sich ohn` Unterlass üben, und was zu einem züchtigen, ehrbaren Wandel dient, soll man auch nicht unterlassen. Aber des alles soll sich das Herz nicht eines Haares breit getrösten, sondern alles Vertrauen soll zu und auf Christo stehen. Jetzt wollen aber auch etliche ihren Trost beim Sündenerlass (Absolution) des christlichen Bruders und bei den Sakramenten suchen. Ach Gott, Christus sagt: Wer zu mir, zu mir, zu mir kommt, den wird nicht hungern; wer an mich glaubt, den wird nicht dürsten! Ja, sagen sie, man kommt auch zu ihm, wenn man sein Wort vom Priester hört und seine Sakramente empfängt. Nein, lieber Freund, der da pflanzet und begießet ist nichts, spricht Paulus; das Gedeihen ist allein Gottes. Christus muss sein Wort ins Herz reden, dann klingts so, dass man es fassen kann. … Man hört zwar das Evangelium und Worte der Ermahnung und des Trostes gerne; aber nicht daraus, dass man solches leiblich hört, kommt der wahre Trost; Christus selber muss uns speisen und tränken. Denn wenn du schon dem Teufel trotzen wolltest und sagen: Ich habe das Sakrament, das Siegel der göttlichen Gnade empfangen, du hast nichts an mir! Wie bald möchte er darauf sagen: Viele Judas empfangen es auch! Wenn aber Christus selber dich tröstet, so kannst du sagen mit Paulo: „Weder Engel noch Mensch, weder Tod noch Leben wird mich von der Liebe Gottes, die er mir durch Christum bewiesen und ewiglich zugesagt hat, zu scheiden vermögen.“

Der Glaube, den die Reformatoren so nachdrücklich lehrten, war aber nun nicht etwa ein bloßer Kopf-, sondern ein wahrer Herzensglaube. Zwingli und seine Mitstreiter betonten es immer wieder, dass der Glaube kein bloßes Fürwahrhalten der evangelischen Lehren, sondern ein herzliches Vertrauen zu Gott und zu Christo sei. Ambrosius Blarer aus Konstanz begann damals am ersten Sonntag des Religionsgesprächs seine ganz besonders geistvolle Predigt mit dem Wunsch: „Der allmächtige, ewige und barmherzige Gott und Vater wolle uns durch Jesum Christum, seinen eingeborenen Sohn, seine väterliche Gnade verleihen und durch die Kraft seines h. Geistes sein h. göttliches Wort in unsere Herzen schreiben, damit es in uns entzünden und wirken möge für diese Zeit einen wahren kräftigen und lebendigen Glauben an ihn und ein herzliches Vertrauen zu ihm!“ Sodann sagte er, obschon er der unbedeutendste und geringste der anwesenden Zeugen sei, so wolle er jetzt doch der Aufforderung folgen und reden, und zwar, „weil ich mich Jesu Christi, meines Erlösers und Heilandes, und des Vertrauens und Glaubens, so ich allein durch ihn zum Vater im Himmel habe, keineswegs schäme, sondern ihn, meines Glaubens Grund, vor aller Welt, wo und wann Not und Ursache es erfordert, ebenso mit dem Munde bekennen will, wie ich von Herzen an ihn glaube“. Nun aber zeigte er in seiner Predigt, wie dieser Herzensglaube nur durch den h. Geist gewirkt werde. „Ohne diesen,“ sagte er, „wäre alles Disputieren fruchtlos und alles Singen und Sagen von Gott und seinem h. Evangelio eitel und vergeblich. Wir alle erfüllen die Luft mit dem Rufe „Evangelium“ und über „das Wort Gottes“ geht ein großes Gerede durch die ganze Welt: aber leider richten nur wenige ihr Leben nach demselben, und wenige sind es, die das Evangelium als eine Kraft Gottes an ihrem eigenen Herzen empfinden. Warum, glaubt ihr wohl, dass die Begeisterung so vieler für das Evangelium so bald erloschen und ihr Herz desselben maßleidig geworden, da sie doch anfangs so warm und so ganz von demselben erfüllt waren und dieser Speise gar nicht satt werden konnten? Allein aus dem Grunde, weil sie das Göttliche ohne den Geist Gottes und nur auf menschliche Weise aufgefasst“. Blarer wies ferner in seiner Predigt auf die bemühende Tatsache hin, dass solche Zuhörer, die während des Religionsgespräches ihres Irrtums durch klare und unzweideutige Stellen des Wortes Gottes so überwiesen wurden, dass sie gar nichts mehr dawider einwenden konnten, dessen ungeachtet nicht ihren Irrtum bekennen, noch der Wahrheit die Ehre geben wollten, sondern fort und fort in ihrer Blindheit verharrt seien. „Hieraus erkennen wir,“ sagte er, „unwidersprechlich, dass die Wahrheit an sich selbst nicht kräftig genug ist, die Menschen gläubig zu machen, es sei denn, dass wir inwendig berührt werden durch die Salbung des Geistes Gottes, und derselbe in unsern Herzen von der Wahrheit Zeugnis gebe; denn wenn dieser Geist bei uns nicht durchbricht und uns erneuert, so sind und bleiben wir fleischlich, müssen auch fleischlich gesinnt sein; und wenn wir gleich die Wahrheit hören in geistlichen Dingen, so wird unser Herz doch nicht fähig, sie zu fassen, sondern, wie es fleischlich ist, so muss es auch das Geistliche auf fleischliche Weise beurteilen, wie der h. Paulus sagt: „Der natürliche, fleischliche Mensch nimmt nicht auf, was des Geistes Gottes ist“. Daher kommt es auch, dass uns die Geistlichkeit und der Götzendienst, so von Menschen erdichtet sind und jetzt schon einige hundert Jahre im Schwange gegangen, ganz anmutig geschienen; denn es menschelt uns wohl an und wir verstehen es wohl und unser fleischlich und menschlich Herz stimmt ihm bei und findet sich selbst darin, dieweil es von Menschen erfunden und eingesetzt ist. Darum haben wir viel Andacht dabei gehabt und ist uns das Herz groß aufgegangen, haben wohl auch weinen mögen, wenn wir mit einer brennenden Kerze vor einem Götzen gekniet und einen Heiligen angerufen haben … weil unser Herz sich gar leicht in menschliche Erfindungen finden kann, dagegen die wahrhaft wohlgefälligen Dinge, die in Wahrheit geistlich sind und Geist erfordern, nicht zu verstehen vermag, dieweil es fleischlich ist. Daraus mögt ihr wohl entnehmen, wie sehr es uns nottut, durch den Geist Gottes erneuert und zu geistlichen Menschen umgewandelt zu werden“.

Aus diesem klaren Zeugnis sieht man nun auch deutlich, wie weit die Reformatoren davon entfernt waren, sich mit der bloßen Rechtgläubigkeit zu begnügen und wie sie nicht nur eine Änderung des Glaubens erzielen wollten, sondern vielmehr dahin arbeiteten, dass der wahre Glaube die Herzen und das Leben der Menschen ändere. Kaspar Megander von Zürich sagte in seiner Predigt, was der Glaube sei, der uns selig mache, „nämlich der wahre, gründliche Glaube, der in Wort und Tat beweist, dass Gott da zu Hause sei, am Gläubigen selbst durch Änderung des sündlichen und unehrbaren Lebens in einen frommen und unschuldigen Lebenswandel“.

Magister Konrad Schmid von Küßnacht aber durfte den Bernern bezeugen: „Wie wunderbarlich seid ihr in zwei Jahren durch das göttliche Wort geändert worden, von Lastern zu christlicher Weise und christlichem Wandel“. Die innerliche Herzensänderung, die das Evangelium wirke, hat er recht anschaulich und fein also geschildert: „Was sie (die Gläubigen) früher schmerzte, darin fühlen sie sich jetzt wohl; worüber sie früher getrauert, darüber freuen sie sich nun. Vorher waren sie an äußere Dinge gebunden, fanden darin aber ebensowenig Trost und Heil, als derjenige, welcher leeres Stroh drischt oder mit einem Siebe Wasser schöpft. Wie konnten sie da an ihrem Gewissen gesunden? Wenn sie aber die heilsame Lehre Christi hören und annehmen, werden sie an ihrem Gewissen frei und von den äußeren Dingen entbunden, mögen sie heißen, wie sie wollen, Messe oder Bilder, geweihtes Wasser oder Feuer, Palmen oder Buchen, Wachs oder Öl, päpstlicher Ablass oder Reliquien, Rom oder Jerusalem, Fisch oder Fleisch, Kutte oder Kappe, Pfaff oder Glatze, Mönch oder Nonne, weiße oder schwarze, blaue oder grüne Kutte; - das Evangelium weiset sie alle auf Christum, indem es Gott gefalle, in ihm alle Fülle wohnen zu lassen. Dieser befreit das Gewissen von den äußerlichen Dingen, so dass es sich nicht mehr daran bindet, sondern erlöst wird von Sünde, Teufel und Hölle. Und von nun an wird es gar gesund, hanget Christo an und hasset die Sünde. Weil Christus der Sünde so feind gewesen ist, dass er sein Leben daran gesetzt, uns davon zu befreien, so kann niemand ein Freund Christi sein, ihm recht anhangen und daneben noch die Sünde lieben. Darum halte ich nicht dafür, dass man fromm und selig werde, wenn man nur schläfrig und lose Christo anhanget und sich auf ihn verlässt, sondern wir müssen dabei keine Gemeinschaft mit der Sünde oder mit dem Teufel haben, dieweil Christus durch seinen Tod die Sünde vernichtet und den Teufel überwunden hat. Wer daher der Sünde nicht widersteht, in dem ist das Reich des Teufels und nicht das Reich Christi.“

Das ist sehr klar und entschieden gesprochen: man sieht daraus, dass unsere schweizerischen Reformatoren auch etwas von der Heiligung wussten. Es war auch nötig, die Notwendigkeit derselben zu bezeugen; denn es gab solche, welche gegen die Lehre von dem Heil durch Glauben den Einwand machten: „Wenn der Glaube alles vermag, so brauchen wir nichts Gutes mehr zu tun!“ Dagegen bemerkte Thomas Gaßner von Lindau in seiner Predigt: „Die solches sagen, haben nicht erkannt, dass der Glaube eine Kraft Gottes sei in den Herzen der Auserwählten zu allem Guten, so dass er nicht ohne gute Werke sein kann. Die wahrhaft Gläubigen erfüllen in allem den Willen Gottes; und ob sie schon auch aus menschlicher Schwachheit fallen, verharren sie doch nicht in der Sünde, sondern kehren sich täglich durch bußfertiges Leben zu Gott“.

Allerdings merken wir auch aus den Predigten, dass schon damals nicht eben viele den schmalen Weg wirklich wandelten, sondern bloß froh waren, dass sie nicht mehr zu fasten brauchten und den Pfaffen und Mönchen nicht mehr soviel zu opfern hatten. „Damit glauben sie“, sagt Blarer, „dem Evangelium Genüge geleistet zu haben; dagegen hört man nirgends, oder an gar wenigen Orten, dass man in den Häusern zusammenkomme, um sich gegenseitig zu einem christlichen, gottgefälligen Leben zu ermahnen, zu inbrünstigem Gebete in so großen Beschwerden und Nöten, wie sie uns allenthalben vor Augen treten. Und doch soll sich die Kraft des Evangeliums in großer Dankbarkeit gegen Gott erzeigen, so dass wir unser ganzes Vertrauen in zeitlichen und geistlichen Angelegenheiten auf Gott allein setzen und unsern Sinn nur auf ihn richten; und somit sollen wir unsern Mutwillen und Überfluss in Essen und Trinken, Kleidung und dergleichen ablegen und treue brüderliche Handreichung den Armen und Dürftigen tun; wir sollen nicht Böses mit Bösem, sondern mit Gutem vergelten, die Feinde lieben, selbst das Unsere nicht gerichtlich fordern, den andern Backen darbieten, so wir an einem geschlagen werden; überhaupt sollen wir uns in allen Dingen als ein ganz ehrsames, gelassenes Volk zeigen, das allein acht habe auf seinen Vater im Himmel. Wenn aber das Evangelium solche Forderungen an uns stellt, da gehen wir hinter uns, wollen es nicht, sind seiner schon satt und voll geworden; wir haben unsere Neugierde an ihm befriedigt und fragen ihm nichts mehr nach. Wir haben daraus erlernt, was uns wohlgefallen; was weiter zur Sache gehört und dem sündlichen Fleisch und Blut schwer fällt und dem alten Adam wehe tut, das wollen wir nicht annehmen und zwar einzig deswegen nicht, weil der Grund unseres Herzens arg und verdorben ist und nicht erneuert worden durch die Kraft des h. Geistes, und so ist der Same des göttlichen Wortes auf steiniges Land oder unter die Dornen gefallen“.

Aus diesem sehr ernsten Geständnis, das uns u.a. auch deutlich zeigt, wie das, was zwei Jahrhunderte später der Pietismus anstrebte, schon ganz nach dem Sinne der Reformatoren gewesen wäre, sieht man allerdings, dass auch zur Zeit der Reformation die Menschen waren wie heute und dass man geneigt war, sich mit einer bloß äußerlichen Religiosität zu begnügen. Dass es nötig war, vor solchem Scheinchristentum zu warnen, geht auch aus dem hervor, was der schon wiederholt erwähnte Komtur Schmid aus Küßnacht in seiner Predigt in Betreff des h. Abendmahls sagte: „Glauben und vertrauen soll der Christ, noch bevor er zum Tisch des Herrn sich naht, und alsdann soll er auch mit andern hinzutreten, um da mit ihnen zu bezeugen, dass er ein solcher christlicher Bruder sei, welcher sich auch vertröste auf den Tod Jesu Christi; dass er ein Todfeind sei aller Sünden und Laster, dieweil Christus um der Sünden willen gestorben sei, und dass er voll Liebe sei gegen den Nächsten, wie Christus gegen ihn. Wo aber einer in Wahrheit nicht so gesinnet wäre, jedoch durch den Genuss des h. Abendmahls solches bezeugte, so würde er die Welt betrügen und Gott den Herrn anlügen und so sich schuldig machen am Tode des Herrn und die Verdammnis ernten, wie Paulus es bezeugt. Denn durch den Genuss des Brotes des Herrn verpflichtet er sich heiliger, ein solcher Christ sein zu wollen, als wenn er es der Welt mit einem Eide schwört. Darum ermahnt Paulus einen jeden, indem er spricht: Der Mensch prüfe aber sich selbst und also esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch! Wo wir nun das Abendmahl des Herrn recht feiern und halten würden, wäre es das heilsamste Ding für die ganze Christenheit und am zuträglichsten der Gemeinde Gottes; denn dadurch würde ein rechtschaffenes christliches Volk gebildet, das alle Laster hasste; wo es aber missbraucht wird, gereicht es zum größten Schaden und ist das schädlichste Gift unter den Christen, indem einer durch die Teilnahme am h. Abendmahle sich für einen frommen christlichen Bruder ausgibt, während er es im Herzen nicht ist“.

Diese Auffassung vom h. Abendmahl ist leider in der reformierten Kirche nicht zur Geltung gelangt, sonst hätte man nicht bald darauf die Leute gezwungen, ganz abgesehen von ihrer Gesinnung, am Tisch des Herrn teilzunehmen. Die von diesem Reformationsprediger vertretenen Grundsätze sind dagegen ganz dieselben, wie sie dann später von den Gründern der Freien Gemeinden betont worden sind, und sie haben auch zur Gründung solcher Gemeinden geführt. Dass solche Grundsätze damals noch nicht allgemeines Verständnis finden konnten, darf uns aber nicht wundern, wenn wir bedenken, wie wenig sie es auch jetzt noch, in unserm erleuchtetern Zeitalter finden, und wie sehr damals das Volk noch befangen war in den römischen Irrtümern. Man musste froh sein, wenn die allergröbsten derselben beseitigt wurden, wie namentlich der arge Bilderdienst, den die schweizerischen Reformatoren als Götzendienst brandmarkten, während die lutherischen dagegen viel zu lax gewesen sind.

Es war eine der ersten Früchte des Berner Religionsgesprächs, dass sofort mit der Abschaffung des Götzendienstes begonnen wurde, noch während die auswärtigen Zeugen innerhalb der Mauern der gastlichen Stadt sich aufhielten. Ergreifend muss es gewesen sein, als Zwingli am 2. Sonntag der Disputation, am 19. Januar, im Münster gegen die Messe predigte. Er bewies deren Nichtigkeit an der Hand des apostol. Glaubensbekenntnisses, welches doch lehre, dass Christus aufgefahren sei gen Himmel und sitze zur rechten Hand Gottes. Wie es denn möglich sei, dass ihn der Priester täglich wieder in der Messe opfern könne? Während dieser Predigt stand ein Priester im Ornat am Altar, um nach Schluss derselben das Opfer darzubringen. Unter dem Eindruck von Zwinglis überzeugenden Worten warf er plötzlich die Messgewänder von sich und rief aus: „Ruhet die Messe nicht auf heiterm Grunde, so will ich jetzt und nimmermehr Messe halten“! Bullinger berichtet: „Des lachet männiglich und ward durch die ganze Stadt kund“; man sah darin ein bedeutendes Wahrzeichen.

Drei Tage später, am 22. Januar, war das Fest des h. Vincenz, Schutzpatrons der Stadt. Man rüstete sich auf die übliche Festlichkeiten. Schon am Vorabend läuteten alle Glocken, am Morgen zündeten die Sakristane die Kerzen an, Weihrauch brannte im St. Vincenzenmünster; aber es erschien kein Mensch, kein Priester, Messe zu lesen, kein Gläubiger, sie zu hören. Abends um die Vesperzeit fehlte zwar der Organist nicht; da aber niemand sonst kam, spielte er das Trauerlied: „Unglücklicher Judas, was hast du getan, dass du den Herrn verraten!“ Er meinte wohl damit die Reformatoren. Ihre Anhänger rächten sich für diese Beschimpfung, indem sie noch am selben Abend die Orgel zertrümmerten, die in ihren Augen nur eine Gehilfin des römischen Götzendienstes war. Und als nun der Rat einige Tage später, nach Beendigung der Disputation, die Abschaffung der Messe verfügte und bekannt machen ließ, jedermann könne von den Messaltären die von ihm gestifteten Zierraten zurücknehmen, ging das Volk an die Zerstörung der Heiligenbilder und Altäre, deren es im Dome nicht weniger als 25 gab. Nur die Metzgernzunft wollte ihren Altar stehen lassen: „wer ihn wegnimmt“, sagte Johann Schneider, „dem will ich das Leben nehmen!“ Peter Thormann verglich die ihres Schmuckes beraubte Kirche mit einem Stall; wenn die Oberländer kämen, könnten sie ihr Vieh dort unterbringen. Als aber Johann Zehender, ein Mitglied des Großen Rates und Anhänger des alten Glaubens, zur Verhöhnung der Reformation auf einem Esel in das Münster ritt, musste er 20 Pfund Strafe zahlen.

In dem von seinem bisherigen Schmuck entblößten Münster, das gerade nicht sonderlich schön aussah, hielt Zwingli die Abschiedspredigt. Er sagte zu den Bernern: „Da nun euere ehrsame Weisheit und Liebe den Götzenschmuck und Messprunk und andere Dinge tatsächlich angegriffen, so bedürfet ihr keines Rates und Mittels mehr als der Standhaftigkeit. Denn es sind da solche, die den Schein haben wollen, als nähmen sie sich ernstlich des Wortes Gottes an, die dennoch vorwitzig sagen, man solle die Götzen zuerst aus den Herzen und dann erst aus den Augen entfernen. Nun, wenn man sie nicht zuerst aus den Herzen entfernt hätte, so wären sie ja wohl auch nicht abgeschafft worden. Wollte man sie aber erst dann entfernen, wenn niemand mehr dadurch verletzt würde, so hätte auch Christus die Wechsler und Krämer nicht aus dem Tempel jagen dürfen. Da liegen nun also die Altäre und Götzen im Tempel. Wem darob graut, der mag nun sehen, ob wir die Götzen für etwas gehabt oder nicht. Es muss aber dieser Unrat und Wust hinaus, damit die unsäglichen Kosten, die ihr vor andern Menschen an das Götzennarrwerk gehängt, künftighin an die lebendigen Bildnisse Gottes verwendet werden“. Damit meinte Zwingli die Armen und Kranken, die ja doch auch zum Bilde Gottes geschaffen seien und demgemäß mit Erbarmen und Wohltat zu behandeln wären, was Gott wohlgefälliger sei, als wenn man das Geld an die Heiligenbilder verschwende.

Diesem Grundsatz gemäß hat denn auch die Bern. Regierung unmittelbar nach Einführung der Reformation die Klostergüter zur Fürsorge für die Armen und Kranken verwendet. Am 27. Januar 1528 ward die Reformation angenommen, und schon am 7. Februar wurde beschlossen, den niedern Spital, der baufällig geworden war, in das Predigerkloster zu verlegen und dieses dafür umzubauen. Im April war die Übersiedelung schon vollzogen. Da sich das Spitalvermögen durch Rückgabe von Stiftungen um 10.000 Pfund vermindert hatte, so schenkte der Rat im Jahre 1530 dem Spital die Petersinsel im Bielersee nebst andern, vorher dem Kloster Dettligen gehörigen Besitzungen. Auch in den Klöstern Thorberg, Frienisberg, Königsfelden und Interlaken, kurz gerade in den reichsten Klöstern, wurden Spitäler eingerichtet. Auch der schon 1517 gegründete „Mushafen“, aus dem die Armen Suppe erhielten, wurde im Reformationsjahr wieder neu dotiert, und man goß, als der alte Hafen löchericht wurde, zwei neue aus dem Erz einer Klosterglocke, was recht bezeichnend ist. Der Mushafen diente dann später und bis in die neueste Zeit hinein besonders auch der Unterstützung armer Schüler und Studenten; denn das Schulwesen wurde infolge der Reformation auch ganz neu geordnet, wozu sich die Regierung schon durch die Sorge für die Besetzung der Pfarrstellen genötigt sah.

Die in der Stadt unmittelbar nach der Disputation durchgeführte Reformation musste den ganzen Kanton durchdringen. Am 17. Februar forderte der Rat alle Gemeinden des Landes auf zu einer Zusammenkunft auf den kommenden Sonntag. Zu diesen Kirchgemeindeversammlungen erschien das ganze Volk. Die Ratsboten verlasen das Reformationsedikt vom 7. Februar und forderten dann die Anwesenden auf, je nachdem sie es annehmen wollten oder nicht, dazubleiben oder hinauszugehen. Nur wenige verließen die Kirche, die von nun an reformiert war. In mehreren Gemeinden war diese Entscheidung von nachdrücklichen Demonstrationen begleitet; so in Zofingen, Brugg, Aarberg und Büren, wo die Götzen verbrannt wurden. Auf Staufberg trug ein Götz die Götzen ins Feuer, ein Aargauer nämlich, welcher diesen Geschlechtsnamen führte. Auf einen Tag war Roms Macht im ganzen Kanton Bern, zu welchem damals auch der Aargau gehörte, wills Gott für immer, gefallen. Nur im Hasli, Frutigen, Unterseen und Grindelwald schrieen die Unzufriedenen, wenn man die Messe aufhebe, so müsse man auch den Zehnten abschaffen. Im Obersimmental wurde einstweilen noch der römische Kultus beibehalten, woraus hervorgeht, dass der Staat niemand zwang. Dagegen verbot die Regierung jeden Unfug im Spielen, Trinken, Tanzen und unanständiger Kleidung, schloss die schlechten Häuser und verjagte die Insassen derselben. Selbst im Rat wurde mit den Ehebrechern aufgeräumt. Die Wallfahrten zur Beatenhöhle hörten auf; denn die Regierung ließ den Schädel des Heiligen, den man dort verehrte, auf dem Friedhof zu Interlaken beisetzen; andere behaupteten, der Abt des Klosters Muri im Aargau habe ihn gestohlen. In den Oberländer Bergen wurde dagegen die Mär herumgeboten, die Regierung habe die heilige Stätte entweihen lassen, und darob entbrannten die Bergbewohner in hellem Zorn. Anfangs Juli standen die Haslitaler auf Antrieb der benachbarten Unterwaldner auf und beschlossen mit einer Mehrheit von 40 Stimmen die Wiedereinführung der Messe. Auch die Frutiger und Adelbodner machten sich auf, vertrieben den Kastellan Reuter und setzten einen römischen Priester an seine Stelle. In Aeschi ergriffen sogar die Weiber die Waffen, um den reformierten Pfarrer zu verjagen und die Bilder wieder in die Kirche zu bringen. Der Aufruhr ergriff Tal um Tal, Dorf um Dorf. In Interlaken, wo sie sich sammelten, schworen die Unzufriedenen, sie wollten ihre Rechte und Freiheiten verteidigen.

Die Regierung ließ der Sache den Lauf, bis über den Brünig Zuzug von den katholischen Urkantonen kam. Da, als die römisch Gesinnten schon dem Thunersee entlang marschierten, um gegen die Hauptstadt einen Gewaltstreich zu wagen, machte sich der Schultheiß von Erlach an der Spitze seiner Truppen auf und zog gegen Interlaken. Die Aufrührer zogen sich zurück, die Unterwaldner verließen Interlaken in der Nacht. Sogleich wurde das Kloster von 5000 Bernern besetzt, und Erlach forderte die Oberländer auf, sich am 4. November auf der Klostermauer zu versammeln. Als sie erschienen, ließ Erlach seine Mannschaft antreten und die Aufrührer umzingeln. Jetzt donnerten die Kanonen und knatterten die Flinten, dass die Berge wiederhallten. Doch waren sie nur blind geladen; Erlach wollte den Rebellen bloß die Macht des Staates beweisen. Nach dieser Einleitung nahm er das Wort und forderte sie zur Unterwerfung auf. Alle knieten nieder und baten um Gnade. Der Bürgerkrieg war vermieden, der Aufstand beendigt. Die Banner der Aufständischen wurden nach Bern verbracht; dort waren der Adler von Interlaken und der Bock von Hasli lange Zeit noch unter dem Bären zu sehen. Vier Rädelsführer wurden hingerichtet, alle andern begnadigt. „Die Berner“, sagte Zwingli, „hatten den gordischen Knoten mit dem Schwerte durchhauen wie einst Alexander der Große“. Und doch hatten sie es nicht einmal gegen ihre Mitbürger gebraucht, sondern die Reformation war durch eine bessere Waffe, durch das Schwert des Geistes, welches ist Gottes Wort, zum Siege gelangt. Möge die reformierte Kirche dieses Schwert nie an eine andere Waffe vertauschen; denn es ist seinesgleichen nicht!

Druck und Verlag von K.J. Wyß, Bern 1909 Eigenverlag Freie Brügergemeinde Albstadt 2004 Karl Herrmann Kauffmann

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