Sander, Immanuel Friedrich - Die tröstliche Aussicht in jene Welt.

Sander, Immanuel Friedrich - Die tröstliche Aussicht in jene Welt.

Predigt
über
Ev. Joh. 14, 2. 3., am Todtenfeste 1831 gehalten
von
M. F. E. Sander.
evangelisch-luther. Pastor zu Wichlinghausen.

Was für ein Unterschied sey zwischen den Frommen und Gottlosen, zwischen denen, die einen lebendigen Gott, einen allmächtigen Heiland und eine lebendige Hoffnung haben - und zwischen denen, die, weil sie den Sohn nicht haben, auch den Vater nicht haben, und darum ohne Gott sind, ohne Testamente der Verheißung, ohne Hoffnung im Tode, das könnte uns der heutige Tag, wo das Todtenfest in unserer ganzen Monarchie gefeiert wird, recht klar vor die Augen stellen, wenn auf einmal unserm Geiste alle Kirchen und Bethäuser mit allen Predigern und Zuhörern, die heute dieß Fest feiern, könnten dargestellt werden. Da würden wir hören und sehen, wie es bei denen, die Christum und seine Gnade nicht haben, so todt und kalt und finster ist, als in den Gräbern selbst; aus unzähligen Kirchen und Kapellen, wo die Zuhörer sich Lehrer aufgeladen haben, nach dem ihnen die Ohren jücken, und wo die Prediger dem Rufe einer am Rande des Abgrundes taumelnden Menge: „Predige uns sanft und schaue uns Täuscherei“ - willig Folge leisten, - würde uns ein Moder- und Todtengeruch entgegenschlagen. Wenn wir mit Blitzesschnelle, wie dort Ezechiel, zwischen Himmel und Erde dahingeführt würden, so würden wir in den mehrsten Kirchen eine Todtenfeier sehen, ähnlich jener Todtenfeier der Thamus-Anbeter, die Ezechiel im Tempel sahe (Ezech. 8, 14.). An Deklamationen und allerlei rednerischen Kunststücken, die nur darauf berechnet sind, den sinnlichen Menschen zu bestechen, wird es vielleicht an vielen Orten nicht fehlen; an rührenden Schilderungen und sentimentalen Beschreibungen von der Vergänglichkeit des Lebens, von der Bitterkeit des Todes, von dem Schmerz der Trennung der Geliebten, an Schilderungen, die den Schein einer Gluth des Herzens haben, aber eiskalt sind und eiskalt lassen, wird es nicht mangeln. Auch wird man von Ahnungen der Unsterblichkeit, von der schönen Hoffnung des Wiedersehens, und wie dort Gatten und Gattinnen, Eltern und Kinder sich freudetrunken in die Arme sinken, und von Wanderungen von Stern zu Stern, und was der Sachen mehr sind, viel reden und viel hören; aber wenig, sehr wenig wird man von dem hören, welcher die Auferstehung und das Leben ist, der dem Tode die Macht genommen hat, und zu uns hintritt und spricht: „Ich lebe und du sollst auch leben; ich war todt, aber ich lebe nun von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes!“ - Ach, daß unsre Augen Thränenbäche wären, zu weinen über diese Verwüstungen unsrer Kirche! Hüter, ist die Nacht nicht hin? Wirst du, Herr, nicht bald, wie du verheißen, die Wurfschaufel nehmen und deine Tenne fegen? Willst du nicht bald als Schlacken diese Gottlosen wegwerfen, diese Flattergeister, - nicht bald aus deinem Tempel die Verkäufer und Käufer vertreiben, die elenden Ablaßkrämer, die für ein Paar Gulden jedem die Seligkeit zusprechen, und um des Bauches willen den Gottlosen trösten, und selige Unsterblichkeit ihm verheißen? -

Wie ganz anders ist es bei denen, welche den lebendigen Gott, seinen Sohn und dessen Gnade kennen! - Diese können auf sich anwenden, was 1. Thess. 4, V. 13. stehet: „Wir trauren nicht, wie die andern, die keine Hoffnung haben. Denn so wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist; also wird Gott auch, die da entschlafen sind durch Jesum, mit ihm führen.“ Während jene mit armseligen Redekünsten, mit schwülstigen Worten, da nichts hinter ist, und mit ästhetischen Spielereien die Bitterkeit des Todes und die Schrecken des Gerichts vertreiben wollen, so können wir fröhlich dem Tage des Todes entgegensehen, ja entgegenjauchzen, und können rufen: Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn. Wir könnten es wohl Alle, die wir hier sind, - denn euch Allen ist das Wort des Lebens oft genug verkündigt. Wir könnten es; - können wir es aber auch Alle? Gehören wir zu denen, denen der Herr seine überschwänglich reichen Tröstungen ins Herz rufen kann? – Das ist eine andre Frage. O möchten doch diese Trostworte des Herrn, die wir heute betrachten wollen, dazu dienen, zu einer ernsten Prüfung Jeden aufzuwecken; der Gewinn derselben ist in jedem Falle groß. Diejenigen, die das Ja in ihrem Herzen finden, werden dann um so getroster, freudiger und dankbarer seyn; die andern aber können durch eine solche Prüfung aus dem Schlafe der Sicherheit aufgeweckt werden.

Text: Joh. 14, 2. 3. „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und ob ich hinginge, euch die Stätte zu bereiten: will ich doch wiederkommen, und euch zu mir nehmen, auf daß ihr seyd, wo ich bin.

Unser Text zeigt uns:
Die tröstliche Aussicht in jene Welt, die der scheidende Erlöser den Seinen gibt.

  1. Er nennt jene Welt des Vaters Haus, wo es viele Wohnungen gibt;
  2. Er will durch seinen Hingang dasselbe noch mehr ausschmücken und den Seinen die Stätte bereiten;
  3. Er verheißt wieder zu kommen, und will die Seinen zu sich nehmen, wo Er ist.

I.

Den Ort, dahin die Gläubigen nach ihrem Abschiede von dieser Welt kommen, nennt Christus hier des Vaters Haus, und zeigt uns damit, daß dort unsre Heimath ist, daß wir dort zu Hause sind. Denn wo des Vaters Haus ist, da ist die Heimath. Dort also, nicht hier, haben wir dieselbe zu suchen. Hier sind wir Fremdlinge und Gäste, was wir um so tiefer fühlen und um so klarer erkennen, je mehr wir himmlisch gesinnt und mit dem Geist erfüllt sind, der uns zu Jüngern Christi macht. Wir sind nicht daheim, sondern wallen, wie es 2. Cor. 5. heißt, so lange wir im Leibe sind, erstens weil dieser Leib, diese irdische Hütte, durch die Sünde dem Tode unterworfen, uns drücket und beschweret. Wir sind nun, um der Sünde willen, mit einer gröbern Hülle umgeben; unser Leib ist mehr dem Reich der bloß materiellen Kräfte anheimgefallen und will uns immer, wenn wir nicht fortwährend wachen, beten, und auf die rechte Weise fasten, hinabziehen in das bloß äußerliche und sündliche Leben und Treiben. Es ist Barmherzigkeit Gottes, daß er uns einen solchen Leib der Demüthigung gegeben; wie der Flug nach oben dadurch gehemmt wird, und der Geist mehr gebunden, - so bewahret uns eben auch dieser grobe Leib mit allen seinen Bedürfnissen und Schwachheiten, daß der Fall nach unten, in satanische Abgründe und Tiefen nicht so beschleunigt werden kann, als bei den Engeln geschah, den Geistern, die solche Hülle nicht haben. Es ist Barmherzigkeit Gottes, daß unsre sinnlichen Bedürfnisse - Hunger, Durst, Müdigkeit - Krankheit und zuletzt der Tod - uns beständig an unsre Ohnmacht und Abhängigkeit von einem höhern Willen erinnern; - wo wären wir vielleicht sonst schon mit unserm Stolz hingerathen! - Aber dieselbe Einrichtung und Anordnung Gottes, die in einer Hinsicht eine heilsame Umzäunung für uns ist, eine gnädige Bewahrung vor, tieferm Fall - ist doch in der andern für den Geist, der nach dem Himmel trachtet und nach Gott dürstet, eine schmerzliche Hemmung und Fessel. - Auf die kühnsten Versuche des Glaubens, diese Welt, in der wir leben und weben mit aller ihrer Herrlichkeit zu verlassen, und über das gewöhnliche Thun und Treiben, Denken und Fühlen sich dorthin zu erheben, wo alles Licht und Leben ist, folgen in der Regel, schon um der schwachen Hütte willen, die schmerzlichsten Demüthigungen. Wir müssen dem Geiste, der ins Weite und Freie wollte, Schranken setzen, das Herz, so es auch in beständiger Andacht glühen möchte, aus den himmlischen Regionen wieder ins irdische Tagewerk hinabführen; - und ob wir wohl berufen sind, einst als Priester und Könige dem Herrn in seinem Heiligthum ununterbrochen zu dienen, so sind wir hier alle doch noch zu Zeiten Gibeoniten, die Holz spalten und Wasser tragen müßen. Die verderblichsten Schwärmereien und Ketzereien sind eben daher mit entstanden, daß man diesem Winke der Natur, und dem Gebote der Schrift, im Schweiße des Angesichts auch irdische Arbeit zu treiben, nicht Folge leisten wollte. Das Mönchsthum und falsche Beschaulichkeit ist mit aus diesem Ungehorsam hervorgegangen. - Zwar wird, so der Geist Christi in uns wohnt, derselbe auch unsre sterblichen Leiber lebendig machen, und mit himmlischen Kräften durchdringen; - zwar kann selbst hier im Lande des Todes unser Leib lichte seyn und lichte werden, daß das Licht wie ein Blitz ihn durchleuchtet - und so fängt schon hier, auch für den Leib die Erneuerung an, obwohl wir dem Grabe entgegengehen; doch bleibt dieß hier noch unvollkommen; erst durch den Tod gehet es zur völligen Verwandlung; wir müssen erst entkleidet werden, diese grobmaterielle Hülle muß zuvor weggenommen werden, und dann ziehen wir erst die Behausung aus dem Himmel an, und zuletzt den verklärten Leib in der Auferstehung. Es bleibt daher dabei: so lange wir in dieser irdischen Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, - und sehnen uns mit der Behausung vom Himmel bekleidet zu werden; dieß Gefühl aber bezeuget, daß wir nicht daheim, sondern in der Fremde sind. - Wir sind nicht daheim, sondern wallen, weil wir den Herrn noch nicht sehen können von Angesicht zu Angesicht, sondern nur durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; wir wandeln hier nicht im Schauen, sondern im Glauben. Wir sind nicht daheim, - weil wir noch um uns Welt und Sünde, Tod und Hölle und ihre Verwüstungen sehen. -

Dort ist die Heimath; denn da ist des Vaters Haus. Wann wir dahin kommen, so haben wir abgelegt dieß irdische Hüttenhaus, das uns beschwerte und drückte, und haben das Haus von Gott gebaut, eine himmlische Bekleidung, ein Lichtgewand, wie es Moses auf dem Berge der Verklärung hatte, und jene unzählbare Schaar, die Johannes vor dem Throne des Lammes sahe; nichts bindet und fesselt da mehr den Geist, und er kann seine priesterlichen Geschäfte ohne Unterbrechung verrichten, in alle Höhen sich schwingen, in die Tiefen der göttlichen Erbarmung und Rathsschlüsse sich versenken, - und er hat keine Demüthigungen zu fürchten, keinen Satans-Engel, keinen Pfahl im Fleisch. - Das Vaterhaus nennt der Herr jene Welt; denn da wird der Vater sich uns offenbaren; da werden wir nicht mehr durch einen Spiegel sehen in einem dunkeln Wort, sondern von Angesicht zu Angesicht werden wir ihn sehen, wie Er ist, werden Ihn erkennen, wie wir von ihm erkannt sind. Da werden wir ihn erst recht und vollkömmlich als Vater genießen, und jedes Gefühl des Verwaisetseyn, Alleinstehens, Verlassenseyn, das hier zu Zeiten auch die stärksten Glaubenshelden überfällt, ist dort von uns genommen. Da werden wir keinen Mangel mehr haben an irgend einem Gut; die schönen grünen Auen mit aller Fülle des göttlichen Reichthums, die Tische, mit ihrem wunderbaren Manna, die dort uns bereitet sind, wo wir mit Abraham, Isaak, Jakob sitzen und der Kelch des Heils, der dort voll eingeschenkt ist, wird uns sagen, daß wir in des Vaters Haus angelangt sind, da, wo kein Tod mehr ist, wo keine Roth, keine Anfechtung, keine Hitze uns beschwert. Denn das alles, was hier uns betrübt, ist dort aus unserm Auge verbannt; da dürfen Tod und Hölle, Welt und Sünde sich nicht blicken lassen - dort ist alles Licht und Leben; - Licht ist das Kleid, das der Herr anhat, Licht ist das Kleid seiner Heiligen; Heiligkeit ist die Zierde seines Hauses.

Ein besonderer Trost liegt darin, daß der Herr von vielen Wohnungen in des Vaters Hause spricht. Damit wird uns die Größe und Herrlichkeit jener Welt angedeutet; dort sind die weiten grünen Auen, und im Hintergrunde die große Stadt, das himmlische Jerusalem. Dort stellt sich uns die Schöpfung in ihrer Herrlichkeit dar; das Hüllen, das hier über alle Kreatur ausgebreitet ist, welche um der Sünde willen der Eitelkeit unterworfen ist und nun in schwächern Andeutungen nur Gottes Herrlichkeit zurückstrahlt, ist dort weggenommen und aufgedeckt, so daß daselbst in allen Kreaturen der Name und die Herrlichkeit des Herrn, die Wunder seiner Liebe so leserlich ausgedrückt sind, daß man es auch im Vorüberlaufen erkennen kann; nicht eintönig wird dieß Lob seyn, das dort ertönt, sondern die wunderbarste Zusammenstimmung von allerlei Sprachen und Reden, die aber zuletzt in dem Einen großen Finale und Unisono endigen: Preis und Anbetung und Ehre Dem, der auf dem Stuhle sitzt und dem Lamme. Die mannichfaltige Weisheit Gottes wird noch vielmehr als hier sich offenbaren in den weiten Gefilden, in den vielen Wohnungen dort; - dort wird es nicht mehr so ärmlich als hier und so kärglich zugehen mit den Kindern Gottes, wo der Meister und Herr selbst nicht hatte, da er sein Haupt hinlegte. Hier, wo die Gottlosen und Ungläubigen gewöhnlich so viel Raum einnehmen und das verdrängen, was ihnen nicht huldigen will, sehen wir die Gläubigen oft in ärmlichen Hütten, in elenden Winkeln; in Klüften und Höhlen der Erde haben die h. Propheten und Apostel, die Märtyrer und Zeugen gewohnt, während die Ahab's und Isabel's, die Herodes und Caiphas in ihren Palästen daher prunkten; kaum ein Plätzchen vor den Thüren der Reichen wurde manchmal den Armen gegönnt, wie jenem Lazarus, - und es ist buchstäblich wahr, daß die Pferde der Reichen und ihre Hunde oft schönere Lager haben, als manches Kind Gottes. Setze dich da unten an - das ist die Stimme, die selbst bis in die Kirchen und Bethäuser den Armen und Elenden zugerufen wird; - aber getrost, dort ist es anders, da ist Raum genug für alle, - und wenn die Gottlosen dann in der Hölle wie die Schafe liegen; - so werden die Kinder Gottes dort einander unter die ewig grünenden Lebensbäume, unter die himmlischen Feigenbäume laden, und mit heiligem Staunen durch die weiten Straßen des himmlischen Jerusalems, und durch alle die Gefilde der Seligen, durch die vielen Wohnungen in des Vaters Hause wandern, die alle herrlich sind.

II.

Der Herr will diese Stätte, dahin die Seinen kommen, des Vaters Haus, noch mehr schmücken, und für die Seinen zubereiten; dieß sagen die Textesworte. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, will der Herr mit diesen Worten sagen; fehlte es noch an Wohnungen, so wollte ich hingehen und dieselben bereiten. Aber das ist nicht nöthig, sie sind schon da - darum brauch' ich nicht hinzugehen; aber ich will diese Stätte, die schon bereit ist, diese Wohnungen in des Vaters Haus, die schon da sind, noch herrlicher schmücken und zieren und sie zu bereiten; und wenn ich das gethan habe, will ich wiederkommen, und euch zu mir nehmen. - Die Stätte war schon bereitet. - Viele waren ja schon eingegangen zu ihrer Ruhe; mit Abraham, Isaak und Jacob fanden sich da in des Vaters Hause alle Patriarchen und Frommen vor ihnen, und alle nach ihnen; von jenen lichten Höhen jauchzte Abraham schon, weil er nun den Tag des Herrn sahe, und mit ihm frohlockten alle seine Kinder und alle Heiligen, und harreten der großen Dinge und des herrlichen Ausgangs, den der Sohn Gottes nehmen sollte, und warteten mit Verlangen, bis der große Kampf würde gekämpft und der Sohn Gottes würde heimgekehrt seyn in des Vaters Haus. - Aber eben weil sie hierauf noch harreten, weil dieß noch nicht geschehen war, sondern noch bevorstand, spricht der Herr: und ob ich hingehe, die Stätte zu bereiten. Durch seinen Hingang nach Gethsemane und Golgatha und dann zum Vater, sind die vielen Wohnungen, die schon da waren, noch mehr geschmückt, und herrlich geworden, sind noch mehr für seine Jünger bereitet. - So sah es vorher nicht im Himmel aus, wie jetzt und wie Offenb. 5. es uns geschildert wird. Das Lämmlein, das geschlachtet ist, war früher noch nicht im Thron zu finden, ein Menschensohn, der unser Bruder ist, war dort noch nicht zu sehen; die Stimme des Blutes, das besser redet denn Abels, hörte man da noch nicht, den Lobgesang: das Lamm ist würdig zu nehmen Preis und Ehre, vernahm man da noch nicht, und der ganze Himmel konnte noch nicht solche Gottesdienste feiern, ehe er das Wunder in Gethsemane und auf Golgatha gesehen, als nun. Ehe das Wort Fleisch ward, ehe es hieß: Gott offenbart im Fleisch, erschienen den Engeln, - standen selbst die heiligen Seraphim und Thronengel noch mit verhülltem Angesicht vor dem Herrn; auch ihnen war er noch nicht so nahe gekommen, als er's durch seine Menschwerdung ist; es gelüstete die Engel zu schauen in das Geheimniß der Erlösung; - nur im Schattenrisse sahen sie es, wie die Propheten, - aber so hat selbst kein Engel es sich vorgestellt, daß es geschehen würde, als nachher in Gethsemane und Golgatha geschehen. - Nun können auch sie, und mit ihnen alle Seligen hineinschauen mit aufgedecktem Angesicht in die Wunder der Erlösung, und hinaufschauen zu Dem, der heilig, heilig, heilig heißt, und der sich nun herabgelassen und erniedrigt hat bis zum Tode ja bis zum Tode am Kreuze. - Nun singet man mit Freuden vom Sieg des Herrn in sein Heiligthum; nun tönt es anders als vorher, und auch da oben ist es traulicher und lieblicher; denn es ist nun erschienen die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsers Heilandes. Traulicher ist es nun und einladender dorthin zu gehen, da wir nicht allein in das Haus des Vaters gehen, sondern auch in das des erstgebornen Bruders. - Und doch ist es auch viel herrlicher. Denn nun ist jeder Schatten des Todes, der sich sonst wohl auch bis in die Wohnungen der Seligen erstreckte, verscheucht,- das Todeshüllen ist weggenommen, und dem die Macht genommen, der des Todes Macht hatte; - jetzt ist eitel Freude und Siegesgeschrei dort, Triumph und ein ewiges Hosianna! Herrlicher ist es nun dort - denn die Heiligen sind nun erst in ihren Feierkleidern zu finden, und in ihrem Hochzeitsschmuck; denn sie sind nicht ohne uns vollendet. Sie gingen wohl ein zur Ruhe durch ihren Tod; - aber vollendet konnten sie erst werden, den völligen Trost, und getroste Ansprache an Gott konnten sie erst haben, nachdem das Eine Opfer dargebracht war. Früher fehlte ihnen noch etwas; sie waren noch im Zustande des Harrens. - Aber nun heißen sie vollendete Gerechte, nun sind sie gekleidet in die Kleider des Heils und haben den Rock der Gerechtigkeit angezogen, nun stehen sie da in weißen Kleidern, die im Blute des Lammes weiß gemacht sind, wie Johannes sie sah, sie stehen da im priesterlichen heiligen Schmuck; sie stehen nicht mehr fern, sondern drängen sich um den Stuhl Gottes, und das Lamm wohnt über ihnen und weidet sie. Und nicht allein sie, die Heimgegangenen, die hier kämpften und stritten, sind durch den Hingang des Herrn herrlicher und seliger geworden, noch hellere Spiegel der Herrlichkeit Gottes, - nein, die Himmel selbst samt ihren andern Bewohnern, den Engeln, sind herrlicher und schöner worden; denn vorher waren auch die Himmel nicht rein vor ihm, wie es im Hiob heißt, und an seinen Engeln fand er Thorheit. Der Fall der Engel und Menschen hatte seine Folgen selbst auf die Himmel gehabt, aber nun strahlen sie herrlicher; und indem die sieben Siegel jenes Buches aufgethan werden, so werden auch die Heimlichkeiten und Herrlichkeiten der Himmel und des Heiligthums da oben mit entsiegelt; auch die Himmel werden verwandelt und vergärt, daß sie immer lauter und gewaltiger die Geheimnisse der Erlösung verkünden; sie werden verklärt von einer Klarheit zur andern, bis alles vollendet ist, - der neue Himmel und die neue Erde, und bis Jerusalem herabfährt als eine geschmückte Braut. Das alles - auch dieses, was wir noch zu erwarten haben, ist eine Frucht des Hingangs Christi zum Vater und gehört mit in's Wort hinein: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. - O darum können wir so wir anders erleuchtete Augen bekommen haben, zu erkennen die überschwengliche Herrlichkeit jenes Erbes, sehr getrost der Stunde entgegensehen, wo wir von hinnen gehen, und werden die Stunde kaum erwarten können, wenn alle diese Herrlichkeit, womit Christus durch seinen Hingang die Stätte dort bereitet, vor uns stehet. - Noch ein besonderer Trost aber liegt darin, daß der Herr selbst zu uns kommen und in diese Herrlichkeit uns abholen will; dieß betrachten wir im dritten Theile.

III.

Ich will zu euch kommen, spricht der Herr, und euch zu mir nehmen, auf daß Ihr seyd, wo Ich bin. - Er kommt zu uns und nimmt uns mit sich, wenn wir sterben. Siehe einen Stephanus, der da ruft: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf. Was hier bei Stephanus der Herr offenbarlich that, das thut er, nur mehr auf verborgene Weise, bei allen den Seinen; da er sonst, seiner Verheißung nach alle Tage bei den Seinen ist, sollte er sie denn allein lassen, wo sie seines Trostes, seiner Gegenwart am mehrsten bedürfen? - O gewiß nicht! Dann tritt er hervor, wenn uns am allerbängsten wird um das Herze seyn. - Der Herr selbst will kommen und uns abholen; das ist tröstlicher, als wenn die Engel dort den Lazarus abholen. Seine Nähe, seine gnadenreiche Gegenwart bringt einen Frieden, eine Erquickung, eine Süßigkeit, wie keine andre Kreatur uns solche mittheilen kann. Obgleich er sich selten so offenbart, wie bei Stephani Tode, daß man ihn sichtbar siehet, - so offenbart er doch oft genug seine Herrlichkeit der Seele, daß die Sterbenden ähnliches erfahren, wie der fromme Joh. Arndt, der kurz vor seinem Ende, nachdem er aus einem sanften Schlummer erwacht war, voll himmlischen Entzückens ausrief, daß die Umstehenden davon tief ergriffen wurden: Ich habe seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit des Eingebornen, voller Gnade und Wahrheit. Der Art haben wir noch viele Zeugnisse, wie den Jüngern Christi auf dem Sterbebette so unaussprechlich wohl war, wie noch nie im Leben und auch den Umstehenden war es so, als wären die Pforten des Himmels über ihnen auf. Es däuchte da den Sterbenden, nun finge erst das rechte Leben an, und als streiften sie alle Bande des Todes von sich. Und so ist es auch bei den Gläubigen; sie sterben nicht, sondern gehen aus diesem Leben, das vom Tode umringt ist, in das rechte, wahre Leben ein; oder vielmehr, das wahre Leben, das schon in ihnen ist, das sie ergriffen haben, bricht hindurch zur wahren Freiheit, wie der Schmetterling sein Puppengehäuse durchbricht; es zerreißt jene Fesseln und Hemmketten, von denen wir oben sprachen, welche hier uns noch fesseln und beschweren, so lange wir in dieser Hütte sind. Und wenn dann noch der Herr selbst zur Seite stehet, und den Todesschweiß von der Stirn, und die Thränen von den Wangen abwischt, und der sterbenden Seele zurufet: Fürchte dich nicht, durch das dunkle Todesthal zu gehen, ich bin bei dir; - wenn er ihr zuruft: Friede sei mit dir und dabei sie anhaucht mit seinem Geiste, wie dort die Jünger am Ostertage,- wenn er uns seine durchgrabenen Hände, wie dem Thomas, zeigt, wenn er uns zeigt seine verklärten Narben, die er jeder Anklage entgegen halten wird, wenn er spricht: Siehe in diese Hände, die um deinetwillen durchbohrt sind, habe ich dich gezeichnet, was ist dann der Tod der Gläubigen anders, als ein Heimgeholtwerden zu dem großen Hochzeitstage, was anders als der Eingang zu der großen Freude? - Und könnte Jemand, der solche Hoffnung hat, und die Realität, die Wesenheit aller dieser hier angedeuteten Sachen schon erfahren hat, - könnte der im Ernst vor dieser seligen Heimfahrt, vor diesem Triumphzug, da der Herr selbst kommt, und auf seinen Ehren 5 und Triumphwagen uns setzt, bange seyn? O nein; wenn wir bange sind, so kommt es daher, daß wir noch nicht recht bereit, in's himmlische Wesen noch nicht recht versetzt sind, noch nicht von ganzem Herzen für den Herrn und sein Reich uns entschieden haben, die Seligkeit seiner Gemeinschaft, die Herrlichkeit seiner Tröstungen, und die Kräfte der zukünftigen Welt noch nicht recht erfahren haben. Darum sey dieß nur unsre Sorge, daß es mit diesem allen, was wir hier erwähnten, zuvor in Richtigkeit komme, und daß, wenn der Herr kommt, wir nicht bloß erfunden werden, sondern bekleidet mit den Feierkleidern und Hochzeitskleidern, daß der Herr, wenn er kommt, uns wachend finde, als solche, die ihre Lenden gegürtet haben, deren Lichter brennen, und die bereit sind auf ihren Herrn, wenn er kommt von der Hochzeit. Er wird es an seiner Seite nicht fehlen lassen, nicht ein Wort seiner Verheißungen wird auf die Erde fallen. - Er ist bereit und steht da mit seinen Erquickungen und Tröstungen, mit seiner Liebe und Gnade, mit seiner Herrlichkeit und seinem Glanze; alles wartet schon auf uns, ja der Herr hat sich schon bereitet, vor seinen Kindern herzugehen, und sie zu Tische zu setzen, und ihnen zu dienen. Daß dem so sey, dafür zeugt das Wort des Herrn, die Beispiele aus der Schrift als das eines Stephanus; dafür zeugen so manche Entschlafene, die wir gesehen haben, und die noch reden, obwohl sie gestorben sind. - Lasset uns nur, wir wiederholen es, dafür sorgen, daß auch wir bereit sind, und daß wir als seine rechte Jünger in ihm erfunden werden, nichts wissen als ihn den Gekreuzigten, nichts wollen als ihm Wohlgefallen, seinen Willen thun, nichts haben als den Reichthum und Schatz seiner Gnade und Erbarmung, und daß wir also zu denen gehören, zu denen auch, wie zu jenen Jüngern das Wort gesprochen ist: Ich will zu euch kommen, und euch zu mir nehmen, daß ihr seyd, wo ich bin. Amen.

Quelle: http://glaubensstimme.de/doku.php?id=verzeichnisse:quellen:rheinische_missionsgesellschaft_ezadw

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